C-452/22 – Kommission/ Polen (Code européen des communications électroniques)

C-452/22 – Kommission/ Polen (Code européen des communications électroniques)

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Language of document : ECLI:EU:C:2024:232

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

14. März 2024(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 258 AEUV – Richtlinie (EU) 2018/1972 – Europäischer Kodex für die elektronische Kommunikation – Unterbliebene Umsetzung und unterbliebene Mitteilung der Umsetzungsmaßnahmen – Art. 260 Abs. 3 AEUV – Antrag auf Verurteilung zur Zahlung eines Pauschalbetrags und eines Zwangsgelds – Kriterien für die Festsetzung der Höhe der Sanktion“

In der Rechtssache C‑452/22

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 und Art. 260 Abs. 3 AEUV, eingelegt am 8. Juli 2022,

Europäische Kommission, vertreten durch U. Małecka, L. Malferrari und E. Manhaeve als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters J.‑C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, des Richters S. Rodin und der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission:

–        festzustellen, dass die Republik Polen dadurch, dass sie nicht die Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, die erforderlich waren, um der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (ABl. 2018, L 321, S. 36) nachzukommen, oder ihr diese Vorschriften jedenfalls nicht mitgeteilt hat, ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie verletzt hat;

–        die Republik Polen zu verurteilen, an sie einen Pauschalbetrag in Höhe von 13 180,50 Euro/Tag, mindestens jedoch in Höhe von 3 270 000 Euro zu zahlen;

–        die Republik Polen, sofern der unter dem ersten Gedankenstrich beschriebene Verstoß bis zum Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache andauern sollte, zu verurteilen, an sie ab dem Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache bis zu dem Tag, an dem sie ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie 2018/1972 nachgekommen ist, ein Zwangsgeld in Höhe von 59 290,50 Euro/Tag zu zahlen;

–        der Republik Polen die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtlicher Rahmen

2        In den Erwägungsgründen 2 und 3 der Richtlinie 2018/1972 heißt es:

„(2)      Die Funktionsweise der fünf Richtlinien, die Teil des geltenden Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste sind …, wird regelmäßig von der Kommission überprüft, um insbesondere festzustellen, ob diese Richtlinien angesichts der Technologie- und Marktentwicklung geändert werden müssen.

(3)      In ihrer Mitteilung vom 6. Mai 2015 mit einer Strategie für einen digitalen Binnenmarkt in Europa stellte die Kommission fest, dass der Schwerpunkt ihrer Überprüfung des Rechtsrahmens für die Telekommunikation auf Maßnahmen zur Schaffung von Anreizen für Investitionen in Hochgeschwindigkeitsbreitbandnetze, für ein kohärenteres Binnenmarktkonzept für die Funkfrequenzpolitik und Funkfrequenzverwaltung, geeignete Rahmenbedingungen für einen echten Binnenmarkt durch Beseitigung der Unterschiede zwischen den nationalen Einzelregelungen, Gewährleistung eines wirksamen Verbraucherschutzes, gleiche Ausgangsbedingungen für alle Marktteilnehmer und eine einheitliche Anwendung der Bestimmungen sowie zur Bereitstellung eines wirksameren institutionellen Rechtsrahmen liegen würde.“

3        Art. 1 („Gegenstand, Anwendungsbereich und Ziel“) der Richtlinie 2018/1972 bestimmt:

„(1)      Mit dieser Richtlinie wird ein harmonisierter Rahmen für die Regulierung elektronischer Kommunikationsnetze, elektronischer Kommunikationsdienste, zugehöriger Einrichtungen und zugehöriger Dienste sowie bestimmter Aspekte der Endeinrichtungen errichtet. Sie legt die Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden und gegebenenfalls der anderen zuständigen Behörden sowie eine Reihe von Verfahren fest, die unionsweit die harmonisierte Anwendung des Rechtsrahmens gewährleisten.

(2)      Die Ziele dieser Richtlinie sind,

a)      die Errichtung eines Binnenmarkts für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste, der den Ausbau und die Nutzung von Netzen mit sehr hoher Kapazität bewirkt, einen nachhaltigen Wettbewerb und die Interoperabilität der elektronischen Kommunikationsdienste sowie die Zugänglichkeit und die Sicherheit von Netzen und Diensten gewährleistet und die Interessen der Endnutzer fördert; und

b)      die Bereitstellung unionsweiter hochwertiger, erschwinglicher, öffentlich zugänglicher Dienste durch wirksamen Wettbewerb und Angebotsvielfalt zu gewährleisten und die Fälle zu regeln, in denen die Bedürfnisse von Endnutzern – einschließlich Nutzern mit Behinderungen im Hinblick darauf, dass sie in gleicher Weise wie andere Zugang zu den Diensten haben – durch den Markt nicht ausreichend befriedigt werden können, sowie die notwendigen Endnutzerrechte festzulegen.

…“

4        Art. 124 („Umsetzung“) der Richtlinie 2018/1972 bestimmt in Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 21. Dezember 2020 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.

Die Mitgliedstaaten wenden diese Vorschriften ab dem 21. Dezember 2020 an.

Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. In diese Vorschriften fügen sie die Erklärung ein, dass Bezugnahmen in den geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf die durch diese Richtlinie geänderten Richtlinien als Bezugnahmen auf diese Richtlinie gelten. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme und die Formulierung dieser Erklärung.“

 Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

5        Da die Republik Polen ihr nicht mitgeteilt hatte, welche erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften sie erlassen hat, um die Richtlinie 2018/1972 gemäß deren Art. 124 in das polnische Recht umzusetzen, forderte die Kommission diesen Mitgliedstaat mit einem Aufforderungsschreiben vom 3. Februar 2021 auf, sich hierzu zu äußern.

6        Die polnischen Behörden antworteten am 6. April 2021. Sie wiesen insbesondere darauf hin, dass die Richtlinie 2018/1972 mit zwei Gesetzen umgesetzt werden solle, die voraussichtlich spätestens Anfang August 2021 verkündet und mitgeteilt werden würden.

7        Da die Republik Polen keine weiteren Angaben zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 machte, forderte die Kommission sie mit einer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 23. September 2021 auf, dieser bis zum 23. November 2021 nachzukommen.

8        Die polnischen Behörden antworteten am 17. November 2021. Sie unterrichteten die Kommission über den Stand des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972. Sie gaben insbesondere an, dass die Gesetze, mit denen die Richtlinie umgesetzt werde, voraussichtlich im März 2022 verkündet würden.

9        Die Kommission gelangte zu dem Schluss, dass die Republik Polen nicht die erforderlichen Vorschriften erlassen habe, um der Richtlinie 2018/1972 nachzukommen, und beschloss deshalb am 6. April 2022, beim Gerichtshof die vorliegende Klage zu erheben.

10      Am 27. April 2022 teilten die polnischen Behörden der Kommission mit, dass der Ministerrat den Entwurf des Gesetzes, das der Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 diene, dem Rechtsausschuss der Zentralstelle der Regierung für die Gesetzgebung vorgelegt habe.

11      Am 8. Juli 2022 hat die Kommission dann die vorliegende Klage erhoben.

12      Die Republik Polen beantragt, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise, den von der Kommission vorgeschlagenen Pauschalbetrag und das von der Kommission vorgeschlagene Zwangsgeld nicht zu verhängen, weiter hilfsweise, einen wesentlich niedrigeren Pauschalbetrag und ein wesentlich niedrigeres Zwangsgeld zu verhängen, und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

13      Am 19. Dezember 2022 ist das schriftliche Verfahren in der vorliegenden Rechtssache abgeschlossen worden.

 Zur Klage

 Zum Verstoß gemäß Art. 258 AEUV

 Vorbringen der Parteien

14      Die Kommission weist in der Klageschrift darauf hin, dass die Mitgliedstaaten im Hinblick auf Art. 288 Abs. 3 AEUV verpflichtet seien, die Vorschriften zu erlassen, die erforderlich seien, um zu gewährleisten, dass die Richtlinien innerhalb der darin festgelegten Fristen in das jeweilige nationale Recht umgesetzt würden, und ihr die betreffenden Vorschriften unverzüglich mitzuteilen.

15      Für die Beurteilung der Frage, ob ein Verstoß vorliege, sei die Situation maßgeblich, in der sich der betreffende Mitgliedstaat bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzten Frist befunden habe.

16      Im vorliegenden Fall habe die Republik Polen die Vorschriften, die erforderlich gewesen seien, um die Richtlinie 2018/1972 in ihr nationales Recht umzusetzen, bei Ablauf dieser Frist, ja sogar bei Erhebung der vorliegenden Klage noch nicht erlassen, jedenfalls ihr aber nicht mitgeteilt gehabt.

17      Die Republik Polen bestreite nicht wirklich, den ihr zur Last gelegten Verstoß begangen zu haben. Sie beschränke sich darauf, den Verstoß mit internen Umständen praktischer Art zu rechtfertigen. Solche Umstände vermöchten die Nichtumsetzung einer Richtlinie in der darin festgelegten Frist jedoch nicht zu rechtfertigen.

18      Die Republik Polen vertritt in der Klagebeantwortung die Auffassung, dass sie keinen Verstoß begangen habe. In Anbetracht des horizontalen Charakters der Richtlinie 2018/1972 und der Wahlfreiheit, über die die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie verfügten, habe sie sich für einen Ansatz entschieden, der dem des Unionsgesetzgeber entspreche, nämlich dafür, einen neuen Rechtsakt, die Ustawa Prawo komunikacji elektronicznej (Gesetz über elektronische Kommunikation) in Verbindung mit der Ustawa – Przepisy wprowadzające ustawę – Prawo komunikacji elektronicznej (Gesetz über die Durchführung des Gesetzes über die elektronische Kommunikation), zu erlassen, mit dem der Telekommunikationsmarkt umfassend geregelt werde.

19      Vor die Annahme der Entwürfe dieser beiden Gesetze hätten wegen deren sehr großer Tragweite verschiedene fachliche und gesetzgebungstechnische Untersuchungen und eine umfassende Konsultation sowohl der öffentlichen Verwaltung als auch der Verbraucher und der Wirtschaft durchgeführt werden müssen.

20      Außerdem seien die Vorschriften der Richtlinie 2018/1972 komplex und unbestimmt. Bei ihrer Auslegung hätten deshalb eine Reihe von Zweifeln bestanden, die im Gesetzgebungsprozess zu Meinungsverschiedenheiten Anlass gegeben hätten. Zweifel hätten insbesondere hinsichtlich der Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie und hinsichtlich der Frage bestanden, unter welche Kategorie von Diensten der elektronischen Kommunikation bestimmte Rich Communication Services (RCS) fielen. Die Antwort, die die Kommission auf eine Nachfrage hin zu diesem letzten Gesichtspunkt erteilt habe, habe nicht weitergeholfen.

21      Im Übrigen sei das Gesetzgebungsverfahren wegen der Covid‑19-Pandemie verzögert worden, die die Organisation von Sitzungen zur Abstimmung und Anhörungen erschwert habe und zu zahlreichen Abwesenheiten der daran beteiligten Personen geführt habe. Wegen der Covid‑19-Pandemie hätten außerdem zahlreiche wichtige, insbesondere die Volksgesundheit, die Sicherheit des Staates sowie die Sicherheit und die öffentliche Ordnung betreffende Fragen gleichzeitig bearbeitet werden müssen.

22      In der Erwiderung macht die Kommission geltend, dass keine der von der Republik Polen angeführten Umstände zu rechtfertigen vermöge, dass diese ihren Verpflichtungen zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 zum Zeitpunkt der Einreichung der Erwiderung nicht nachgekommen sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

23      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Vorliegen eines Verstoßes aufgrund der Situation zu beurteilen, in der sich der betreffende Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und können spätere Veränderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Weiter hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Mitgliedstaaten, wenn eine Richtlinie sie ausdrücklich dazu verpflichtet, zu gewährleisten, dass auf sie in den zu ihrer Umsetzung erforderlichen Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei deren amtlicher Veröffentlichung Bezug genommen wird, in jedem Fall eine positive Maßnahme zur Umsetzung der betreffenden Richtlinie erlassen müssen, die eine solche Bezugnahme enthält (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Im vorliegenden Fall ist die Frist zur Beantwortung der mit Gründen versehenen Stellungnahme am 23. November 2021 abgelaufen. Bei der Prüfung der Frage, ob die Republik Polen den ihr zur Last gelegten Verstoß begangen hat, ist daher von den zu diesem Zeitpunkt geltenden nationalen Rechtsvorschriften auszugehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Insoweit steht fest, dass die Republik Polen die zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 erforderlichen Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt nicht getroffen und der Kommission damit auch nicht mitgeteilt hatte.

27      Die Republik Polen rechtfertigt ihren Verstoß erstens mit ihrer Entscheidung, neue Rechtsakte zu erlassen, mit denen der Telekommunikationsmarkt umfassend geregelt werde und bei denen das Gesetzgebungsverfahren überaus komplex gewesen sei, zweitens mit der Unbestimmtheit der Vorschriften der Richtlinie 2018/1972 und drittens mit den Auswirkungen der Covid‑19-Pandemie.

28      Dieses Vorbringen vermag den von der Kommission gerügtem Verstoß jedoch nicht zu rechtfertigen.

29      Erstens ist die behauptete Komplexität des innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 nicht von Belang. Denn nach ständiger Rechtsprechung können Übungen oder Umstände der internen Rechtsordnung eines Mitgliedstaats nicht die Nichtbeachtung der Verpflichtungen und Fristen, die sich aus den Unionsrichtlinien ergeben, und somit auch nicht die verspätete oder unvollständige Umsetzung einer Richtlinie rechtfertigen (Urteil vom 13. Januar 2021, Kommission/Slowenien [MiFID II], C‑628/18, EU:C:2021:1, Rn. 79 die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Zweitens ändert die behauptete Unbestimmtheit und Komplexität der Bestimmungen der Richtlinie 2018/1972 nichts an dem zur Last gelegten Verstoß. Wie die Kommission zu Recht geltend macht, wusste der Unionsgesetzgeber bei der Festlegung der Frist zur Umsetzung der Richtlinie nämlich, wie komplex und bestimmt diese ist. Jedenfalls wäre es allein seine Sache gewesen, die Frist zu verlängern. Es stand den Mitgliedstaaten nicht zu, die Frist nicht einzuhalten, und der Kommission nicht, die Nichteinhaltung der Frist zu tolerieren. Die Republik Polen hat aber nicht behauptet, dass sie die erforderlichen Schritte unternommen hätte, um eine Verlängerung der Frist zu erwirken.

31      Drittens ist zu den Auswirkungen der Anfang 2020 ausgebrochenen Covid‑19-Pandemie festzustellen, dass es Sache des Unionsgesetzgebers gewesen wäre, die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 zu verlängern, wenn er davon ausgegangen wäre, dass die Auswirkungen der Covid‑19-Pandemie, die sich auf das gesamte Gebiet der Union erstreckt hat, so groß gewesen sind, dass die Mitgliedstaaten dadurch daran gehindert waren, ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen.

32      Somit ist festzustellen, dass die Republik Polen dadurch, dass sie bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich waren, um der Richtlinie 2018/1972 nachzukommen, nicht erlassen und der Kommission damit auch nicht mitgeteilt hat, ihre Verpflichtungen aus Art. 124 Abs. 1 der Richtlinie verletzt hat.

 Zu den Anträgen gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV

 Vorbringen der Parteien

33      In der Klageschrift macht die Kommission geltend, dass die Richtlinie 2018/1972 im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sei und damit in den Anwendungsbereich von Art. 260 Abs. 3 AEUV falle und dass die Verletzung der Verpflichtungen aus Art. 124 der Richtlinie, die die Republik Polen dadurch begangen habe, dass sie ihr die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie nicht mitgeteilt habe, ganz klar eine Nichtmitteilung der Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie im Sinne von Art. 260 Abs. 3 AEUV darstelle.

34      In Ziff. 23 ihrer Mitteilung 2011/C 12/01 „Anwendung von Artikel 260 Absatz 3 AEUV“ (ABl. 2011, C 12, S. 1) (im Folgenden: Mitteilung von 2011) habe sie darauf hingewiesen, dass die Sanktionen, die sie gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV vorschlagen werde, nach derselben Methode berechnet würden wie der in den Abschnitten 14 bis 18 ihrer Mitteilung SEK(2005) 1658 „Anwendung von Artikel [260 AEUV]“ (ABl. 2007, C 126, S. 15) (im Folgenden: Mitteilung von 2005) dargestellten, die bei der Anrufung des Gerichtshofs gemäß Art. 260 Abs. 2 AEUV angewandt werde.

35      Danach müssten bei der Festlegung der Höhe der Sanktion erstens die Schwere des Verstoßes, zweitens dessen Dauer und drittens die erforderliche Abschreckungswirkung, um einen erneuten Verstoß zu verhindern, zugrunde gelegt werden.

36      Was als Erstes die Schwere der Zuwiderhandlung angehe, so ziehe sie bei der Festsetzung des Schwerekoeffizienten gemäß Abschnitt 16 der Mitteilung von 2005 und gemäß der Mitteilung von 2011 zwei Gesichtspunkte heran, nämlich zum einen die Bedeutung der Vorschriften des Unionsrechts, gegen die der Mitgliedstaat verstoßen habe, und zum anderen die Folgen dieses Verstoßes sowohl für das Gemeinwohl als auch für die Interessen Einzelner.

37      Hierzu sei zum einen festzustellen, dass die Richtlinie 2018/1972 der Hauptrechtsakt im Bereich der elektronischen Kommunikation sei. Mit dem europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (im Folgenden: EKEK) würden die unionsrechtlichen Vorschriften über die elektronische Kommunikation modernisiert, indem die Wahlmöglichkeiten und die Rechte der Verbraucher gestärkt würden, anspruchsvollere Normen für die elektronische Kommunikation garantiert würden, Investitionen in Netze mit sehr hoher Kapazität gefördert würden und der drahtlose Zugang zu Netzen mit sehr hoher Kapazität in der gesamten Union gefördert werde. Außerdem würden mit dem EKEK Regeln für die Organisation des Sektors der elektronischen Kommunikation, u. a. für dessen institutionelle Struktur und Verwaltung, aufgestellt. Durch die Bestimmungen des EKEK werde die Rolle der nationalen Regulierungsbehörden gestärkt, indem Aufgaben festgelegt würden, die diese mindestens haben müssten, und indem durch die Aufstellung von Kriterien für die Ernennung der Mitglieder und die Verpflichtungen im Bereich der Mitteilung von Informationen die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden gestärkt werde. Im Übrigen werde durch den EKEK auch eine effiziente und effektive Verwaltung der Funkfrequenzen sichergestellt. Durch die entsprechenden Bestimmungen würden die Praktiken der Mitgliedstaaten hinsichtlich der wesentlichen Aspekte der Genehmigungen im Zusammenhang mit Funkfrequenzen besser aufeinander abgestimmt und der Wettbewerb zwischen Infrastrukturen und die Entwicklung von Netzen mit sehr hoher Kapazität in der gesamten Union gefördert. Schließlich würden durch den EKEK verschiedene Aspekte der Erbringung von Diensten der elektronischen Kommunikation geregelt, u. a. die Universaldienstverpflichtung, die Nummerierungsressourcen und die Endnutzerrechte. Die Verschärfung dieser Regeln diene dazu, die Sicherheit und den Verbraucherschutz zu verbessern, insbesondere was den Zugang zu Diensten der elektronischen Kommunikation zu erschwinglichen Preisen angehe.

38      Zum anderen schade die Nichtumsetzung der Richtlinie 2018/1972 in das polnische Recht erstens der Regulierungspraxis in der gesamten Union, was die Verwaltung des Systems der elektronischen Kommunikation, die Genehmigungen im Zusammenhang mit den Funkfrequenzen und die Regeln über den Zugang zum Markt angehe. Den Unternehmen kämen weder einheitlichere und vorhersehbarere Verfahren für die Erteilung oder Verlängerung der Rechte zur Nutzung bestehender Funkfrequenzen noch die Vorhersehbarkeit des Regelungsrahmens aufgrund der Mindestdauer von 20 Jahren der Rechte zur Nutzung der Funkfrequenzen zugute. Solche Mängel wirkten sich unmittelbar auf die Verfügbarkeit und die Entwicklung von Netzen mit sehr hoher Kapazität in der Union aus. Zweitens würden den Verbrauchern eine ganze Reihe handfester Vorteile vorenthalten, die ihnen durch die Richtlinie gewährt würden, z. B. Lösungen über den Zugang zu erschwinglichen Kommunikationsdiensten, das Erfordernis, dass ihnen Informationen über ihre Verträge erteilt werden müssten, die Verpflichtung, transparente Entgelte anzuwenden, die Vereinfachung des Wechsels des Netzanbieters, um erschwinglichere Endkundenpreise zu fördern, und die Verpflichtung der Anbieter, Endnutzern mit Behinderungen einen gleichwertigen Zugang zu den Kommunikationsdiensten anzubieten.

39      Da sie weder erschwerende noch mildernde Umstände festgestellt hat, schlägt die Kommission im vorliegenden Fall einen Schwerekoeffizienten von 10 vor.

40      Als Zweites macht die Kommission zur Dauer des Verstoßes geltend, dass dieser von dem Tag, der auf den Tag, an dem die in der Richtlinie 2018/1972 festgelegte Frist zur Umsetzung abgelaufen sei, gefolgt sei (22. Dezember 2020), bis zu dem Tag, an dem sie entschieden habe, den Gerichtshof anzurufen (6. April 2022), angedauert habe. Es habe sich also um einen relevanten Zeitraum von 15 Monaten gehandelt. Bei Anwendung des in Abschnitt 17 der Mitteilung von 2005 in Verbindung mit der Mitteilung von 2011 vorgesehenen Koeffizienten von 0,10/Monat ergebe sich ein Dauerkoeffizient von 1,5.

41      Was als Drittes die Zahlungsfähigkeit der Republik Polen angeht, so hat die Kommission gemäß ihrer Mitteilung 2019/C 70/01 „Änderung der Berechnungsmethode für Pauschalbeträge und Tagessäte für das Zwangsgeld, die von der Kommission im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgeschlagen werden“ (ABl. 2019, C 70, S. 1), den Faktor „n“ angewandt. Dieser Faktor berücksichtige zwei Elemente, nämlich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und das institutionelle Gewicht des betreffenden Mitgliedstaats, wie es in der Anzahl der Sitze, die diesem im Europäischen Parlament zugewiesen seien, zum Ausdruck komme.

42      Obwohl der Gerichtshof in seinem Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland (Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel) (C‑51/20, EU:C:2022:36), bereits sowohl dieses zweite Element als auch den in der genannten Mitteilung vorgesehenen Anpassungsfaktor von 4,5 für nicht maßgeblich erachtet hat, hat sich die Kommission dafür entschieden, im vorliegenden Fall bis zum Erlass einer neuen Mitteilung, die dieser jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs Rechnung trage, die in der genannten Mitteilung vorgesehenen Kriterien anzuwenden.

43      Nach ihrer Mitteilung 2022/C 74/02 „Aktualisierung der Daten für die Berechnung der Pauschalbeträge und Zwangsgelder, die die Kommission dem Gerichtshof der Europäischen Union bei Vertragsverletzungsverfahren vorschlägt“ (ABl. 2022, C 74, S. 2) (im Folgenden: Mitteilung von 2022), betrage der Faktor „n“ für die Republik Polen 1,45.

44      Sie beantrage gemäß ihrer Mitteilung 2017/C 18/02 „EU-Recht: Bessere Ergebnisse durch bessere Anwendung“ (ABl. 2017, C 18, S. 10) gegen die Republik Polen zum einen für die Zeit von der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache bis zu dem Tag, an dem die Republik Polen dem Urteil in vollem Umfang nachgekommen sei, ein Zwangsgeld und zum anderen für die Zeit von dem Tag, der auf den Tag gefolgt sei, an dem die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 abgelaufen sei, bis zu dem Tag, an dem die Republik Polen ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie in vollem Umfang nachgekommen sei, oder dem Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache einen Pauschalbetrag zu verhängen.

45      Was das Zwangsgeld angeht, weist die Kommission darauf hin, dass die Höhe des Zwangsgelds nach Abschnitt 18 der Mitteilung von 2005 sowohl angemessen sein als auch eine abschreckende Wirkung entfalten müsse. Hierzu werde die Höhe des Zwangsgelds berechnet, indem der einheitliche Grundbetrag mit dem Schwere- und dem Dauerkoeffizienten und dann mit dem Faktor „n“ des betreffenden Mitgliedstaats multipliziert werde. Nach der Mitteilung von 2022 betrage der einheitliche Grundbetrag 2 726 Euro/Tag. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 39 und 40) schlägt die Kommission als Schwerekoeffizienten 10 und als Dauerkoeffizienten 1,5 vor. Der Faktor „n“ für die Republik Polen sei 1,45. Dementsprechend schlägt die Kommission ein Zwangsgeld in Höhe von 59 290,50 Euro/Tag ab dem Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache vor.

46      Zum Pauschalbetrag führt die Kommission aus, dass dieser nach Abschnitt 20 der Mitteilung von 2005 einen festen Mindestbetrag nicht unterschreiten dürfe. Der feste Mindestbetrag trage dem Grundsatz Rechnung, dass jede fortdauernde Nichtdurchführung des Unionsrechts unabhängig von erschwerenden Umständen gleich welcher Art in einer Rechtsgemeinschaft schon an sich einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip darstelle, der mit einer echten Sanktion geahndet werden müsse. Nach der Mitteilung von 2022 betrage der Mindestpauschalbetrag für die Republik Polen 3 270 000 Euro.

47      Nach der Methode gemäß den Mitteilungen von 2005 und 2011 schlägt die Kommission dem Gerichtshof für den Fall, dass der errechnete Pauschalbetrag den Mindestpauschalbetrag übersteigt, vor, den Pauschalbetrag zu bestimmen, indem für die Zeit von dem Tag, der auf den Tag gefolgt sei, an dem die in der betreffenden Richtlinie festgelegte Umsetzungsfrist abgelaufen sei, bis zu dem Tag, an dem der Verstoß abgestellt sei, oder, wenn der Verstoß nicht abgestellt werde, dem Tag der Verkündung des gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV ergangenen Urteils, ein Tagessatz mit der Anzahl der Tage, an denen der Verstoß nicht abgestellt sei, multipliziert werde. Der Tagessatz des Pauschalbetrags werde berechnet, indem der einheitliche Grundbetrag für die Berechnung des Tagessatzes des Pauschalbetrags mit dem Schwerekoeffizienten und dem Faktor „n“ multipliziert werde. Nach der Mitteilung von 2022 sei der einheitliche Grundbetrag 909 Euro. Bei Zugrundelegung eines Schwerekoeffizienten von 10 und eines Faktors „n“ von 1,45 ergebe sich im vorliegenden Fall somit für den Pauschalbetrag ein Tagessatz in Höhe von 13 180,50 Euro. Der Pauschalbetrag werde bestimmt, indem dieser Tagessatz mit der Anzahl der Tage von dem Tag, der auf den Tag gefolgt sei, an dem die in der betreffenden Richtlinie festgelegte Umsetzungsfrist abgelaufen sei (22. Dezember 2020), bis zu dem Tag, an dem die Republik Polen ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie nachkomme oder das Urteil in der vorliegenden Rechtssache verkündet werde, multipliziert werde. Der Pauschalbetrag dürfe jedoch nicht unter dem Mindestpauschalbetrag von 3 270 000 Euro liegen, wie er für die Republik Polen in der Mitteilung von 2022 festgelegt sei.

48      In ihrer Klagebeantwortung vertritt die Republik Polen die Auffassung, dass der von der Kommission vorgeschlagene Pauschalbetrag und das von der Kommission vorgeschlagene Zwangsgeld im Hinblick auf die Schwere des zur Last gelegten Verstoßes unangemessen hoch und unverhältnismäßig seien.

49      Was zum einen die Festlegung des Schwerekoeffizienten angeht, rügt die Republik Polen, dass die Kommission keine detaillierten Ausführungen gemacht habe. Solche seien nach der Mitteilung von 2005 und der Rechtsprechung des Gerichtshofs aber erforderlich. Die Kommission habe sich auf allgemeine Ausführungen beschränkt, anhand derer sich nicht bestimmen lasse, welche Bedeutung die Vorschriften des Unionsrechts hätten, gegen die verstoßen worden sei, noch welche Folgen die Nichtumsetzung der Richtlinie 2018/1972 für das Gemeinwohl und für die Interessen Einzelner gehabt habe.

50      Die Kommission habe die tatsächliche Bedeutung der Vorschriften des Unionsrechts, die von dem zur Last gelegten Verstoß betroffen gewesen seien, nicht richtig eingeschätzt. Mit der Richtlinie 2018/1972 würden nämlich zu einem großen Teil bereits vollständig in das polnische Recht umgesetzte Vorschriften früher geltender Richtlinien übernommen, ohne dass grundlegende Änderungen vorgenommen würden. Bestimmte Änderungen seien nur redaktioneller Art oder von geringer Bedeutung.

51      Bei den Änderungen, die von der Kommission als wesentlich angesehen würden, sei festzustellen, dass das polnische Recht bereits Vorschriften enthalte, die im Wesentlichen mit denen der Richtlinie 2018/1972 vergleichbar seien und garantierten, dass die mit der Richtlinie verfolgten Ziele verwirklicht würden. Diese Bestimmungen seien am 21. Dezember 2020 in Kraft getreten, dem Tag, an dem die Frist zur Umsetzung der Richtlinie abgelaufen sei.

52      Da sie der Kommission nicht mitgeteilt worden seien, seien diese Bestimmungen bei der Beurteilung der Frage, ob der zur Last gelegte Verstoß vorliege, nicht berücksichtigt worden. Bei der Festsetzung des Schwerekoeffizienten seien sie aber zu berücksichtigen, insbesondere bei der Beurteilung der Frage, welche Folgen die nicht rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 für das Gemeinwohl und für die Interessen Einzelner gehabt habe.

53      Was zum anderen die Berücksichtigung der Abschreckungswirkung angeht, insbesondere die Anwendung des Faktors „n“, macht die Republik Polen geltend, dass das institutionelle Gewicht des betreffenden Mitgliedstaats in der Union wie in der Rechtssache, in der das Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland (Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel) (C‑51/20, EU:C:2022:36), ergangen sei, nicht zu berücksichtigen sei. Es genüge, das BIP zugrunde zu legen. Der Faktor „n“ sei daher auf 1,03 herabzusetzen.

54      Entsprechend beantragt die Republik von Polen, von einem niedrigeren Schwerekoeffizienten und einem niedrigeren Faktor „n“ auszugehen und somit geringere Sanktionen zu verhängen, als sie von der Kommission beantragt worden seien.

55      In der Erwiderung macht die Kommission als Erstes geltend, dass das Vorbringen der Republik Polen widersprüchlich sei. Zum einen mache diese geltend, dass wegen des detailliertes Texts der Richtlinie 2018/1972 vielerlei fachliche Untersuchungen und öffentliche Anhörungen u. a. der Verbraucher und der Unternehmen hätten durchgeführt werden müssen, wodurch die Umsetzung verzögert worden sei, und zum anderen, dass die Richtlinie zum großen Teil Bestimmungen früherer Richtlinien übernehme, weshalb der zur Last gelegte Verstoß keine konkreten wesentlichen Auswirkungen auf den Markt oder die Situation der Endnutzer haben könne.

56      Als Zweites macht die Kommission geltend, dass ihr die von der Republik Polen angesprochenen nationalen Bestimmungen, die den Anforderungen der Richtlinie 2018/1972 entsprechen sollen, zum Zeitpunkt der Einreichung der Erwiderung nicht als Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie mitgeteilt seien. Sie könne sie daher bei der Festsetzung des Schwerekoeffizienten nicht berücksichtigen.

57      Erstens habe sie nicht prüfen können, ob die Bestimmungen der Richtlinie 2018/1972 mit diesen nationalen Bestimmungen tatsächlich vollständig umgesetzt worden seien.

58      Zweitens seien die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 2018/1972 jedenfalls verpflichtet, ihr den Wortlaut solcher nationalen Vorschriften in geeigneter Form mitzuteilen, damit sie den Zeitpunkt und den Umfang der Mitteilung bestimmen könne. Die Republik Polen mache letztlich geltend, dass die förmliche Mitteilung dadurch ersetzt werden könne, dass die Maßnahmen zur Umsetzung der betreffenden Richtlinie im Verfahren vor dem Gericht angegeben, also faktisch mitgeteilt würden. Dies wäre nicht mit dem Wortlaut der in der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Mitteilung vereinbar und würde diese aushöhlen, was wiederum der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts abträglich wäre. Dies gelte auch, wenn die Umsetzung einer Richtlinie durch nationale Vorschriften gewährleistet werden könne, die bereits in Kraft seien. Denn auch in einem solchen Fall seien die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung befreit, der Kommission mitzuteilen, dass es diese Vorschriften gebe.

59      Drittens müssten die Angaben, die die Mitgliedstaaten ihr gegenüber zu machen hätten, klar und bestimmt sein, und es müssten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, mittels deren der betreffende Mitgliedstaat seine verschiedenen Verpflichtungen aus der Richtlinie 2018/1972 erfüllt zu haben glaube, eindeutig angegeben werden. Sonst könne sie nicht prüfen, ob der betreffende Mitgliedstaat die Richtlinie tatsächlich und vollständig durchgeführt habe.

60      Viertens sei das Vorbringen der Republik Polen allgemeiner Natur und es lasse sich aus ihm nicht folgern, dass die Vorschriften der Richtlinie 2018/1972 mit den angeführten Rechtsvorschriften tatsächlich und vollständig in das polnische Recht umgesetzt worden wären.

61      Was als Drittes den Faktor „n“ angeht, hält die Kommission an ihrer Auffassung fest.

62      In der Gegenerwiderung stellt die Republik Polen, was als Erstes den Schwerekoeffizienten angeht, klar, dass sie nicht in Abrede stelle, dass die Verpflichtung zum Erlass nationaler Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung einer Richtlinie und die Verpflichtung, der Kommission diese mitzuteilen, wesentliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten darstellten und dass es sich bei der Verletzung dieser Verpflichtungen um einen schweren Verstoß handele. Sie vertrete auch nicht die Auffassung, dass die förmliche Mitteilung an die Kommission durch eine faktische Mitteilung ersetzt werden könne.

63      Zum einen bedeute dies aber nicht, dass die Kommission, wenn sie bei der Festsetzung der Höhe der Sanktionen prüfe, welche Auswirkungen die nicht rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 auf den Binnenmarkt und die Verbraucher gehabt habe, die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften, nur, weil sie ihr nicht mitgeteilt worden seien, völlig außer Acht lassen könnte. Sonst würden bei der Festsetzung des Schwerekoeffizienten nicht die tatsächlichen, sondern die potenziellen Folgen des Verhaltens der Mitgliedstaaten beurteilt. In Abschnitt 16 der Mitteilung von 2005 seien die Bedeutung der Rechtsvorschriften der Union, gegen die der Mitgliedstaat verstoßen habe, und die Folgen dieses Verstoßes sowohl für das Gemeinwohl als auch für die Interessen Einzelner aber gesondert als Gesichtspunkte aufgeführt, die für den Schwerekoeffizienten eines Verstoßes von Bedeutung seien. Bei dem ersten dieser beiden Gesichtspunkte werde die Tragweite des betreffenden Unionsrechtsaktes theoretisch beurteilt, wozu u. a. die potenziellen Folgen seiner Nichtumsetzung in den Mitgliedstaaten zählten. Die Folgen des zur Last gelegten Verstoßes sowohl für das Gemeinwohl als auch für die Interessen Einzelner müssten hingegen in dem konkreten Kontext betrachtet werden. Insoweit seien nicht nur die Vorschriften der Richtlinie zu berücksichtigen, sondern auch tatsächliche Umstände, wozu, auch wenn sie der Kommission noch nicht mitgeteilt worden seien, die geltenden nationalen Rechtsvorschriften gehörten. Die Republik Polen nimmt insoweit auf Rn. 53 des Urteils vom 25. Juni 2013, Kommission/Tschechische Republik (C‑241/11, EU:C:2013:423), Bezug.

64      Im Übrigen weist die Republik Polen darauf hin, dass sie der Kommission am 25. November 2022 eine ganze Reihe von Rechtsakten mitgeteilt habe und dass dem Sejm (Polen) die Entwürfe der beiden Gesetze zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 am 9. Dezember 2022 übermittelt worden seien. Dies zeige, dass das Gesetzgebungsverfahren voranschreite, und sei deshalb gemäß Abschnitt 16.3 der Mitteilung von 2005 als mildernder Umstand anzusehen.

65      Zum anderen sei ihr Vorbringen nicht widersprüchlich. Dass die Richtlinie 2018/1972 zum großen Teil aufgehobene Richtlinien übernehme, schließe nämlich nicht aus, dass die neuen Vorschriften, die in ihr enthalten seien, mehrdeutig seien. Die Probleme, die sie in der Klagebeantwortung angesprochen habe, hätten diese neuen Vorschriften betroffen.

66      Als Zweites macht die Republik Polen zum Faktor „n“ geltend, dass am 20. Januar 2022 das Urteil Kommission/Griechenland (Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel) (C‑51/20, EU:C:2022:36) verkündet worden sei und dass die Kommission sich nicht auf noch nicht abgeschlossene Prüfungen berufen könne, um zu rechtfertigen, dass sie dem Urteil noch nicht nachgekommen sei. Dieses Urteil sei für die anhängigen Verfahren wegen Nichtumsetzung von Richtlinien und der Nichtdurchführung von Urteilen des Gerichtshofs, in denen die Kommission den Mitgliedstaaten vorwerfe, ihren Verpflichtungen nicht rechtzeitig nachgekommen zu sein, bzw. selbst die Durchführung des genannten Urteils verzögere, von erheblicher Bedeutung.

 Würdigung durch den Gerichtshof

67      Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 40) steht fest, dass die Republik Polen der Kommission bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist keine Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 im Sinne von Art. 260 Abs. 3 AEUV mitgeteilt hatte. Der festgestellte Verstoß fällt deshalb in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung.

68      Die Kommission beantragt die Verhängung eines Pauschalbetrags und eines Zwangsgelds.

69      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hängt die Frage, ob die eine oder die andere dieser beiden Maßnahmen angewandt wird, von ihrer Eignung zur Erfüllung des verfolgten Zweckes nach Maßgabe der Umstände des konkreten Falles ab. Während die Verhängung eines Zwangsgelds besonders geeignet erscheint, um einen Mitgliedstaat dazu anzuhalten, einen Verstoß, der ohne eine solche Maßnahme die Tendenz hätte, fortzubestehen, innerhalb kürzester Zeit zu beenden, beruht die Verurteilung zur Zahlung eines Pauschalbetrags eher auf der Beurteilung der Folgen einer Nichterfüllung der Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats für die privaten und öffentlichen Interessen, insbesondere wenn der Verstoß lange Zeit fortbestanden hat (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

–       Zum Antrag auf Verhängung eines Zwangsgelds

70      Zu der Frage, ob es im vorliegenden Fall angezeigt ist, ein Zwangsgeld zu verhängen, ist festzustellen, dass die Verhängung eines Zwangsgelds nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich nur gerechtfertigt ist, soweit der Verstoß, der mit ihm geahndet werden soll, bis zur Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof, also bis zum Abschluss des Verfahrens andauert (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 55 und 57 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

71      Um zu bestimmen, ob im vorliegenden Fall die Verhängung eines Zwangsgelds in Betracht kommt, ist mithin zu prüfen, ob der oben in Rn. 32 festgestellte Verstoß bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens (19. Dezember 2022) angedauert hat.

72      Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass die Republik Polen die Maßnahmen, die erforderlich waren, um die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2018/1972 in das polnische Recht sicherzustellen, zu diesem Zeitpunkt nicht erlassen und damit auch nicht mitgeteilt hatte.

73      Indem sie diese Maßnahmen zum Zeitpunkt der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof nicht erlassen und der Kommission damit auch nicht mitgeteilt hat, hat die Republik Polen ihren Verstoß fortgesetzt.

74      Der Gerichtshof gelangt deshalb zu dem Schluss, dass die von der Kommission beantragte Verurteilung der Republik Polen zur Zahlung eines Zwangsgelds angemessen ist, um sicherzustellen, dass diese den festgestellten Verstoß schnellstmöglich beendet und ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie 2018/1972 nachkommt. Es ist aber durchaus denkbar, dass die Richtlinie zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache vollständig umgesetzt ist. Das Zwangsgeld ist daher nur zu verhängen, wenn der oben in Rn. 32 festgestellte Verstoß am Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils noch andauert.

75      Der Gerichtshof hat das Zwangsgeld in Ausübung des Ermessens, über das er insoweit verfügt, so festzusetzen, dass es zum einen den Umständen angepasst ist und in angemessenem Verhältnis zur festgestellten Vertragsverletzung sowie zur Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats steht, und zum anderen, im Einklang mit Art. 260 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV, den von der Kommission genannten Betrag nicht übersteigt (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76      Im Rahmen der vom Gerichtshof bei der Festlegung der Höhe des Zwangsgelds vorzunehmenden Beurteilung sind daher zur Gewährleistung seines Wesens als Druckmittel im Hinblick auf die einheitliche und wirksame Anwendung des Unionsrechts grundsätzlich die Dauer des Verstoßes, der Grad der Schwere des Verstoßes und die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats als Kriterien heranzuziehen. Bei der Anwendung dieser Kriterien hat der Gerichtshof insbesondere zu berücksichtigen, welche Folgen die Nichterfüllung der Verpflichtungen für die in Rede stehenden öffentlichen und privaten Interessen hat und wie dringend es ist, dass der betreffende Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen nachkommt (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Was als Erstes die Schwere des Verstoßes angeht, ist festzustellen, dass die Pflicht, nationale Maßnahmen zu erlassen, um die vollständige Umsetzung einer Richtlinie sicherzustellen, und die Pflicht, diese Maßnahmen der Kommission mitzuteilen, wesentliche Pflichten der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts sind und dass der Verletzung dieser Pflichten daher eine gewisse Schwere beizumessen ist (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78      Im vorliegenden Fall war die Republik Polen ihren sich aus der Richtlinie 2018/1972 ergebenden Verpflichtungen zur Umsetzung bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist (23. November 2021) nicht nachgekommen (siehe oben, Rn. 32), so dass die volle Wirksamkeit des Unionsrechts nicht gewährleistet war. Dieser Verstoß wiegt umso schwerer, als die Republik Polen zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt keine Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 mitgeteilt hatte.

79      Außerdem ist die Richtlinie 2018/1972 der Hauptrechtsakt im Bereich der elektronischen Kommunikation, wie die Kommission hervorgehoben hat.

80      Insbesondere bestimmt Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2018/1972: „Mit dieser Richtlinie wird ein harmonisierter Rahmen für die Regulierung elektronischer Kommunikationsnetze, elektronischer Kommunikationsdienste, zugehöriger Einrichtungen und zugehöriger Dienste sowie bestimmter Aspekte der Endeinrichtungen errichtet. Sie legt die Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden und gegebenenfalls der anderen zuständigen Behörden sowie eine Reihe von Verfahren fest, die unionsweit die harmonisierte Anwendung des Rechtsrahmens gewährleisten.“

81      Nach ihrem Art. 1 Abs. 2 ist es Ziel der Richtlinie 2018/1972, zum einen einen Binnenmarkt für elektronische Kommunikationsnetze und –dienste zu errichten, der den Ausbau und die Nutzung von Netzen mit sehr hoher Kapazität bewirkt, einen nachhaltigen Wettbewerb und die Interoperabilität der elektronischen Kommunikationsdienste sowie die Zugänglichkeit und die Sicherheit von Netzen und Diensten gewährleistet und die Interessen der Endnutzer fördert, und zum anderen die Bereitstellung unionsweiter hochwertiger, erschwinglicher, öffentlich zugänglicher Dienste durch wirksamen Wettbewerb und Angebotsvielfalt zu gewährleisten und die Fälle zu regeln, in denen die Bedürfnisse von Endnutzern – einschließlich Nutzern mit Behinderungen im Hinblick darauf, dass sie in gleicher Weise wie andere Zugang zu den Diensten haben – durch den Markt nicht ausreichend befriedigt werden können, sowie die notwendigen Endnutzerrechte festzulegen.

82      Schließlich geht aus den Erwägungsgründen 2 und 3 der Richtlinie 2018/1972 hervor, dass der Rechtsrahmen, der vor dem Erlass der Richtlinie galt, durch diese geändert wird, um der Technologie- und Marktentwicklung Rechnung zu tragen.

83      Wie die Republik Polen geltend macht, ist der Bereich, um den es hier geht, zwar bereits durch andere Unionsrechtsakte geregelt, die durch die Richtlinie 2018/1972 geändert oder ersetzt werden.

84      Die Richtlinie 2018/1972 beschränkt sich aber nicht auf deren Kodifizierung. Die Kommission hat – ohne dass ihr die Republik Polen insoweit widersprochen hätte – zu Recht darauf hingewiesen, dass durch den EKEK insbesondere die Wahlmöglichkeiten und die Rechte der Verbraucher gestärkt werden, indem anspruchsvollere Normen für die elektronische Kommunikation garantiert werden, und die Rolle der nationalen Regulierungsbehörden, indem Aufgaben festgelegt werden, die diese mindestens haben müssen, und indem durch die Aufstellung von Kriterien für die Ernennung der Mitglieder und die Verpflichtungen im Bereich der Mitteilung von Informationen die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden gestärkt wird. Außerdem werden durch den EKEK verschiedene Aspekte der Erbringung von Diensten der elektronischen Kommunikation geregelt, u. a. die Universaldienstverpflichtung, die Nummerierungsressourcen und die Endnutzerrechte. Die Verschärfung der Regeln für die Organisation des Sektors der elektronischen Kommunikation durch den EKEK diene dazu, die Sicherheit und den Verbraucherschutz zu verbessern, insbesondere was den Zugang zu Diensten der elektronischen Kommunikation zu erschwinglichen Preisen angehe.

85      Wie die Kommission zu Recht geltend macht, schadet die Nichtumsetzung der Richtlinie 2018/1972 durch die Republik Polen, was die Verwaltung des Systems der elektronischen Kommunikation, die Genehmigungen im Zusammenhang mit den Funkfrequenzen und die Regeln über den Zugang zum Markt angeht, der Regulierungspraxis in der gesamten Union. Dies führt dazu, dass den Unternehmen weder einheitlichere und vorhersehbarere Verfahren für die Erteilung oder Verlängerung der Rechte zur Nutzung bestehender Funkfrequenzen noch die durch die Mindestdauer von 20 Jahren der Rechte zur Nutzung bestehender Funkfrequenzen bedingte Vorhersehbarkeit der Regelung zugutekommen. Solche Mängel wirken sich unmittelbar auf die Verfügbarkeit und die Entwicklung von Netzen mit sehr hoher Kapazität in der Union aus. Zweitens werden den Verbrauchern eine ganze Reihe handfester Vorteile nicht zuteil, die ihnen durch die Richtlinie gewährt werden, z. B. Lösungen über den Zugang zu erschwinglichen Kommunikationsdiensten, das Erfordernis, dass ihnen klare Informationen über ihre Verträge erteilt werden müssen, die Verpflichtung zur Anwendung transparenter Entgelte, die Vereinfachung des Wechsels des Netzanbieters, um erschwinglichere Endkundenpreise zu fördern, und die Verpflichtung der Anbieter, Endnutzern mit Behinderungen einen gleichwertigen Zugang zu den Kommunikationsdiensten anzubieten.

86      Was als Zweites die Dauer des Verstoßes anbelangt, so ist bei deren Bestimmung grundsätzlich auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Gerichtshof den Sachverhalt prüft, und diese Sachverhaltswürdigung ist als zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens erfolgt anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 66 und 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87      Zum Beginn des Zeitraums, der bei der Festsetzung des gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV zu verhängenden Zwangsgelds zu berücksichtigen ist, hat der Gerichtshof entschieden, dass bei der Bestimmung der Dauer des betreffenden Verstoßes auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist abzustellen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2020, Kommission/Rumänien [Bekämpfung der Geldwäsche], C‑549/18, EU:C:2020:563, Rn. 79, und vom 16. Juli 2020, Kommission/Irland [Bekämpfung der Geldwäsche], C‑550/18, EU:C:2020:564, Rn. 90).

88      Im vorliegenden Fall wird nicht wirklich bestritten, dass die Republik Polen die für die Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist (23. November 2021) nicht erlassen und der Kommission damit auch nicht mitgeteilt hatte.

89      Und, wie bereits ausgeführt (siehe oben Rn. 72 und 73), war der oben in Rn. 32 festgestellte Verstoß zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens vor dem Gerichtshof (19. Dezember 2022) noch nicht abgestellt.

90      Wenn man bedenkt, dass die Mitgliedstaaten die Richtlinie 2018/1972 gemäß deren Art. 124 bis zum 21. Dezember 2020 umzusetzen hatten, ist eine Dauer des Verstoßes von fast 13 Monaten durchaus beträchtlich.

91      Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Dauer des Verstoßes zum Teil möglicherweise auf die außergewöhnlichen Umstände der Covid‑19-Pandemie zurückzuführen ist. Die Republik Polen macht nämlich, ohne dass ihr widersprochen würde, geltend, dass das für die Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 erforderliche Gesetzgebungsverfahren durch die Umstände der Covid‑19-Pandemie, die unvorhersehbar gewesen seien und auf die sie keinen Einfluss gehabt habe, verzögert und somit der Zeitraum, in dem der oben in Rn. 32 festgestellte Verstoß fortbestanden habe, verlängert worden sei.

92      Was als Drittes die Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaats angeht, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dessen BIP zum Zeitpunkt der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2020, Kommission/Rumänien [Bekämpfung der Geldwäsche], C‑549/18, EU:C:2020:563, Rn. 85, und vom 16. Juli 2020, Kommission/Irland [Bekämpfung der Geldwäsche], C‑550/18, EU:C:2020:564, Rn. 97).

93      Die Kommission schlägt vor, neben dem BIP der Republik Polen auch deren institutionelles Gewicht in der Union zu berücksichtigen, wie es in der Anzahl der Sitze zum Ausdruck komme, über die die Republik Polen im Parlament verfüge. Sie schlägt ferner vor, einen Anpassungsfaktor von 4,5 anzuwenden, um die Verhältnismäßigkeit und die abschreckende Wirkung der von ihr vorgeschlagenen Sanktionen sicherzustellen.

94      Jedoch hat der Gerichtshof jüngst – wie die Republik Polen zu Recht geltend macht – eindeutig klargestellt, dass die Berücksichtigung des institutionellen Gewichts des betreffenden Mitgliedstaats nicht unerlässlich erscheint, um eine hinreichende Abschreckung zu gewährleisten und den Mitgliedstaat zu einer Änderung seines gegenwärtigen oder zukünftigen Verhaltens zu veranlassen, und dass die Kommission nicht dargetan hat, anhand welcher objektiven Kriterien sie den Wert des Anpassungsfaktors von 4,5 festgesetzt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 115 und 117).

95      Im Hinblick auf das Ermessen, das dem Gerichtshof durch Art. 260 Abs. 3 AEUV eingeräumt wird, wonach der Gerichtshof bei dem von ihm verhängten Zwangsgeld den von der Kommission genannten Betrag nicht übersteigen darf, ist die Republik Polen demnach, falls der oben in Rn. 32 festgestellte Verstoß zum Zeitpunkt der Verkündung des vorliegenden Urteils fortbestehen sollte, zu verurteilen, an die Kommission ab diesem Zeitpunkt ein Zwangsgeld in Höhe von 50 000 Euro/Tag zu zahlen, bis sie den festgestellten Verstoß abgestellt hat.

–       Zum Antrag auf Verhängung eines Pauschalbetrags

96      Zu der Frage, ob es im vorliegenden Fall angezeigt ist, einen Pauschalbetrags zu verhängen, ist festzustellen, dass es Sache des Gerichtshofs ist, in jeder Rechtssache anhand der Umstände des Einzelfalls, mit dem er befasst ist, sowie nach Maßgabe des ihm erforderlich erscheinenden Grades an Überzeugungs- und Abschreckungswirkung die angemessenen finanziellen Sanktionen zu bestimmen, um insbesondere die Wiederholung ähnlicher Verstöße gegen das Unionsrecht zu verhindern (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

97      Zwar hat die Republik Polen während des gesamten Vorverfahrens mit den Dienststellen der Kommission kooperiert und diese laufend darüber unterrichtet, aus welchen Gründen sie an der Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 in das polnische Recht gehindert war. Dennoch ist im vorliegenden Fall in Anbetracht aller rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte des festgestellten Verstoßes – nämlich des gänzlichen Fehlens der Mitteilung der zur Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist und sogar noch zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage und der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof – der Erlass einer abschreckenden Maßnahme wie die Verhängung eines Pauschalbetrags zur wirksamen Verhinderung einer zukünftigen Wiederholung entsprechender Verstöße gegen das Unionsrecht geboten (vgl. entsprechend Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98      Es ist deshalb angezeigt, gegen die Republik Polen einen Pauschalbetrag zu verhängen.

99      In Bezug auf die Berechnung des Pauschalbetrags ist Folgendes festzustellen: Es ist Sache des Gerichtshofs, in Ausübung seines entsprechenden Ermessens innerhalb des Rahmens der Vorschläge der Kommission den Pauschalbetrag, zu dessen Zahlung ein Mitgliedstaat gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV verurteilt werden kann, so festzusetzen, dass er zum einen den Umständen angepasst ist und zum anderen in angemessenem Verhältnis zu dem begangenen Verstoß steht. Zu den insoweit relevanten Faktoren zählen u. a. Aspekte wie die Schwere des festgestellten Verstoßes, der Zeitraum, in dem dieser fortbestanden hat, und die Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaats (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

100    Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 81) ist bei der Bestimmung der Dauer des Verstoßes grundsätzlich auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Gerichtshof den Sachverhalt prüft, und diese Sachverhaltswürdigung ist als zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens erfolgt anzusehen.

101    Was zum einen den Beginns des Zeitraums angeht, der bei der Festsetzung des gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV zu verhängenden Pauschalbetrags zugrunde zu legen ist, hat der Gerichtshof entschieden, dass bei der Bestimmung der Dauer der betreffenden Vertragsverletzung – anders als bei dem Zwangsgeld in Form eines Tagessatzes – nicht auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist, sondern auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in der betreffenden Richtlinie festgelegten Umsetzungsfrist abzustellen ist (Urteile vom 16. Juli 2020, Kommission/Rumänien [Bekämpfung der Geldwäsche], C‑549/18, EU:C:2020:563, Rn. 79, und vom 16. Juli 2020, Kommission/Irland [Bekämpfung der Geldwäsche], C‑550/18, EU:C:2020:564, Rn. 90).

102    Im vorliegenden Fall wird nicht ernsthaft bestritten, dass die Republik Polen die für die Umsetzung der Richtlinie 2018/1972 erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bei Ablauf der in Art. 124 der Richtlinie festgelegten Umsetzungsfrist (21. Dezember 2020) nicht erlassen und der Kommission damit auch nicht mitgeteilt hatte.

103    Zum anderen war der oben in Rn. 32 festgestellte Verstoß zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens (19. Dezember 2022) noch nicht abgestellt (siehe oben, Rn. 89). Er hatte zu diesem Zeitpunkt mithin 728 Tage gedauert.

104    Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Dauer des Verstoßes zum Teil möglicherweise auf die oben in Rn. 91 genannten außergewöhnlichen Umstände zurückzuführen ist.

105    Somit ist es – auch in Anbetracht der Ausführungen zur Schwere des Verstoßes (siehe oben, Rn. 77 bis 85) und zur Zahlungsfähigkeit der Republik Polen (siehe oben, Rn. 92 bis 94) und im Hinblick auf das Ermessen, das dem Gerichtshof durch Art. 260 Abs. 3 AEUV eingeräumt wird, wonach der Gerichtshof bei dem von ihm verhängten Pauschalbetrag den von der Kommission genannten Betrag nicht übersteigen darf –, um wirksam zu verhindern, dass in Zukunft erneut mit dem Verstoß gegen Art. 124 der Richtlinie 2018/1972 vergleichbare Verstöße begangen werden, die die volle Wirksamkeit des Unionsrecht beeinträchtigen, angezeigt, einen Pauschalbetrag in Höhe von 4 Mio. Euro zu verhängen.

106    Die Republik Polen ist deshalb zu verurteilen, an die Kommission einen Pauschalbetrag in Höhe von 4 Mio. Euro zu zahlen.

 Kosten

107    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Republik Polen mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Republik Polen hat dadurch, dass sie bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich waren, um der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation nachzukommen, nicht erlassen und der Europäischen Kommission damit auch nicht mitgeteilt hat, ihre Verpflichtungen aus Art. 124 Abs. 1 der Richtlinie verletzt.

2.      Die Republik Polen hat ihren Verstoß dadurch, dass sie zum Zeitpunkt der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof nicht die Maßnahmen getroffen hat, die erforderlich waren, um die Bestimmungen der Richtlinie 2018/1972 in ihr nationales Recht umzusetzen, und der Europäischen Kommission diese Maßnahmen damit auch nicht mitgeteilt hat, fortgesetzt.

3.      Für den Fall, dass der in Nr. 1 festgestellte Verstoß am Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils noch andauern sollte, wird die Republik Polen verurteilt, ab diesem Tag an die Europäische Kommission ein Zwangsgeld in Höhe von 50 000 Euro/Tag zu zahlen, bis sie den Verstoß abgestellt hat.

4.      Die Republik Polen wird verurteilt, an die Europäische Kommission einen Pauschalbetrag in Höhe von 4 Mio. Euro zu zahlen.

5.      Die Republik Polen trägt neben ihren eigenen Kosten die der Europäischen Kommission.

Unterschriften



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