C-198/18 – CeDe Group

C-198/18 – CeDe Group

Language of document : ECLI:EU:C:2019:335

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 30. April 2019(1)

Rechtssache C198/18

CeDe Group AB

gegen

IB Sp. z o.o. (in Insolvenz)

(Vorabentscheidungsersuchen des Högsta domstolen [Oberster Gerichtshof, Schweden])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 – Art. 4 – Anwendbares Recht – Aufrechnung“

I.      Einleitung

1.        Der Verwalter der PPUB Janson sp.j. (im Folgenden: PPUB), einer polnischen Gesellschaft, über deren Vermögen in Polen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, erhob gegen die CeDe Group AB (im Folgenden: CeDe), ein schwedisches Unternehmen, vor den schwedischen Gerichten Klage auf Bezahlung von Waren, die nach einem vor der Insolvenz geschlossenen Vertrag zwischen PPUB und CeDe geliefert wurden, der schwedischem Recht unterliegt. Im Laufe dieses Verfahrens erklärte CeDe die Aufrechnung mit einer höheren Gegenforderung gegen PPUB. Der Verwalter hatte diese Aufrechnung zuvor im Rahmen des polnischen Insolvenzverfahrens zurückgewiesen. Während das Verfahren vor den schwedischen Gerichten anhängig war, wurde die Forderung gegen CeDe vom Verwalter von PPUB an eine andere Gesellschaft, die KAN Sp. z o.o. (im Folgenden: KAN), abgetreten, über deren Vermögen in der Folge ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Da der Verwalter von KAN es jedoch ablehnte, die Forderung zu übernehmen, ist jetzt KAN (in Insolvenz) Partei des Rechtsstreits.

2.        Der Högsta domstolen (Oberster Gerichtshof, Schweden) hat Zweifel bezüglich des auf die Aufrechnung anzuwendenden Rechts. Im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht vertrat KAN die Ansicht, dass auf die Aufrechnung polnisches Recht Anwendung finden müsse, während CeDe der Ansicht war, dass sie schwedischem Recht unterliege.

3.        Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof die Gelegenheit, die in der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren(2) enthaltenen spezifischen Bestimmungen über das anzuwendende Recht und ihr Verhältnis zur allgemeinen Regelung des auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts(3) auszulegen. Welches Recht ist auf eine Aufrechnung anzuwenden, die gegen eine insolvente Gesellschaft im Rahmen eines vom Verwalter dieser Gesellschaft eingeleiteten Klageverfahrens erklärt wird?

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      RomI-Verordnung

4.        Art. 17 („Aufrechnung“) der Rom‑I-Verordnung lautet: „Ist das Recht zur Aufrechnung nicht vertraglich vereinbart, so gilt für die Aufrechnung das Recht, dem die Forderung unterliegt, gegen die aufgerechnet wird.“

B.      Insolvenzverordnung

5.        Die Erwägungsgründe 23 und 24 der Insolvenzverordnung lauten wie folgt:

„(23)      Diese Verordnung sollte für den Insolvenzbereich einheitliche Kollisionsnormen formulieren, die die Vorschriften des internationalen Privatrechts der einzelnen Staaten ersetzen. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sollte das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (lex concursus) Anwendung finden. Diese Kollisionsnorm sollte für Hauptinsolvenzverfahren und Partikularverfahren gleichermaßen gelten. Die lex concursus regelt alle verfahrensrechtlichen wie materiellen Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf die davon betroffenen Personen und Rechtsverhältnisse; nach ihr bestimmen sich alle Voraussetzungen für die Eröffnung, Abwicklung und Beendigung des Insolvenzverfahrens.

(24)      Die automatische Anerkennung eines Insolvenzverfahrens, auf das regelmäßig das Recht des Eröffnungsstaats Anwendung findet, kann mit den Vorschriften anderer Mitgliedstaaten für die Vornahme von Rechtshandlungen kollidieren. Um in den anderen Mitgliedstaaten als dem Staat der Verfahrenseröffnung Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollten eine Reihe von Ausnahmen von der allgemeinen Vorschrift vorgesehen werden.“

6.        Der 26. Erwägungsgrund der Insolvenzverordnung lautet: „Ist nach dem Recht des Eröffnungsstaats eine Aufrechnung nicht zulässig, so sollte ein Gläubiger gleichwohl zur Aufrechnung berechtigt sein, wenn diese nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht möglich ist. Auf diese Weise würde die Aufrechnung eine Art Garantiefunktion aufgrund von Rechtsvorschriften erhalten, auf die sich der betreffende Gläubiger zum Zeitpunkt der Entstehung der Forderung verlassen kann.“

7.        Art. 4 („Anwendbares Recht“) der Insolvenzverordnung bestimmt:

„(1)      Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird, nachstehend ‚Staat der Verfahrenseröffnung‘ genannt.

(2)      Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insbesondere:

d)      die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung;

…“

8.        Art. 6 („Aufrechnung“) der Insolvenzverordnung bestimmt:

„(1)      Die Befugnis eines Gläubigers, mit seiner Forderung gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen, wird von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn diese Aufrechnung nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist.

(2)      Absatz 1 steht der Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder relativen Unwirksamkeit einer Rechtshandlung nach Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe m) nicht entgegen.“

III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

9.        PPUB, ein Unternehmen mit Sitz in Polen, schloss am 9. Juni 2010 mit CeDe, einem Unternehmen mit Sitz in Schweden, einen Vertrag über die Lieferung von Waren. Der Vertrag sah vor, dass bei etwaigen Streitigkeiten über seine Auslegung schwedisches Recht Anwendung findet.

10.      Über das Vermögen von PPUB wurde Ende Januar 2011 in Polen das Insolvenzverfahren eröffnet. Der in dessen Rahmen bestellte Verwalter beantragte im Juli desselben Jahres beim schwedischen Amt für Beitreibung (Kronofogdemyndighet) den Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls(4) über eine Forderung gegen CeDe in Höhe von 1 532 489 Schwedischen Kronen (SEK) zuzüglich Zinsen für Waren, die von PPUB wie vertraglich vereinbart geliefert worden seien.

11.      Die Rechtssache wurde anschließend an das Malmö tingsrätt (Bezirksgericht Malmö, Schweden) abgegeben. CeDe trat der Forderung von PPUB entgegen, indem sie die Aufrechnung mit einer Gegenforderung in einer die Forderung von PPUB übersteigenden Höhe erklärte. Diese Forderung macht CeDe als Schadensersatz für nicht erfolgte Lieferungen sowie für die Lieferung mangelhafter Ware durch PPUB geltend. Nach Ansicht von CeDe ist die Aufrechnungsbefugnis vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen PPUB entstanden.

12.      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wies der Verwalter von PPUB die von CeDe im Insolvenzverfahren in Polen geltend gemachte Aufrechnung zurück.

13.      Im Verfahren vor dem Malmö tingsrätt (Bezirksgericht Malmö) war der Verwalter von PPUB der Ansicht, die Aufrechnungsbefugnis sei gemäß Art. 4 Abs. 1 der Insolvenzverordnung nach polnischem Recht zu beurteilen. Nach dieser Bestimmung gelte, soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt sei, für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet werde (Recht des Staates der Verfahrenseröffnung oder lex concursus). Aus Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Insolvenzverordnung ergebe sich, dass die lex concursus jedenfalls die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung regele. Der Grund hierfür sei, dass Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung, wonach die Aufrechnungsbefugnis durch ein Insolvenzverfahren nicht berührt werde, solange die Aufrechnung nach dem für die Forderung des Schuldners maßgeblichen Recht zulässig sei, nur gelte, wenn die Aufrechnung nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung nicht zulässig sei. Diese Bestimmung finde daher im Ausgangsverfahren keine Anwendung, da das polnische Recht eine Aufrechnung zulasse.

14.      Nach Ansicht von CeDe unterliegt die Aufrechnung dagegen schwedischem Recht. Erstens betreffe die Klage des Verwalters eine Forderung aus dem Vertrag zwischen CeDe und PPUB, der eine Rechtswahlklausel enthalte, wonach für etwaige Streitigkeiten über seine Auslegung schwedisches Recht gelte. Demzufolge finde nach Art. 3 Abs. 1 der Rom‑I-Verordnung schwedisches Recht Anwendung. Ferner gelte nach Art. 17 der Rom‑I-Verordnung, wenn das Recht zur Aufrechnung vertraglich nicht vereinbart sei, das Recht, dem die Forderung unterliege, gegen die aufgerechnet werde.

15.      Zweitens ergebe sich aus Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung, dass das Insolvenzverfahren das Recht auf Aufrechnung nicht berühre, wenn die Aufrechnung nach dem für die Forderung des Schuldners maßgeblichen Recht zulässig sei. Da auf die Forderung des Verwalters schwedisches Recht Anwendung finde, sei auch die Frage der Aufrechnung nach schwedischem Recht zu beurteilen.

16.      Das Malmö tingsrätt (Bezirksgericht Malmö) stellte fest, dass im Sinne der allgemeinen Regel in Art. 4 der Insolvenzverordnung nicht davon ausgegangen werden könne, dass das polnische Recht die Aufrechnung einschränke oder ausschließe. Daher komme die Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung nicht zur Anwendung, und auf die Rechtssache des Ausgangsverfahrens sei polnisches Recht anzuwenden.

17.      Dieses Urteil wurde im Rechtsmittelverfahren vom Hovrätten över Skåne och Blekinge (Berufungsgericht für Skåne und Blekinge, Schweden) mit der Begründung bestätigt, dass u. a. kein Grund bestehe, von der allgemeinen Regel der lex concursus nach Art. 4 Abs. 1 der Insolvenzverordnung abzuweichen. Dass der Verwalter die Geltendmachung der Aufrechnung durch CeDe nicht zugelassen habe, ändere an dieser Beurteilung nichts.

18.      Während des Verfahrens vor dem Hovrätten över Skåne och Blekinge (Berufungsgericht für Skåne und Blekinge) trat der Verwalter von PPUB die Hauptforderung an KAN, eine Gesellschaft mit Sitz in Polen, ab, die dem Verfahren anstelle des Verwalters beitrat.

19.      Gegen das Urteil des Hovrätten Över Skåne och Blekinge (Berufungsgericht für Skåne und Blekinge) legte CeDe Rechtsmittel beim Högsta domstolen (Oberster Gerichtshof) ein. Sie macht geltend, dass auf die Aufrechnung schwedisches Recht Anwendung finden müsse. KAN beantragt, das Urteil des Hovrätten Över Skåne och Blekinge (Berufungsgericht für Skåne und Blekinge) zu bestätigen.

20.      Während des beim Högsta domstolen (Oberster Gerichtshof) anhängigen Verfahrens ist auch über das Vermögen von KAN das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Verwalter jenes Verfahrens hat erklärt, dass die Insolvenzmasse in die Klage der Insolvenzschuldnerin gegen CeDe nicht eintreten werde. Partei des Verfahrens ist somit jetzt KAN in Insolvenz und nicht die Insolvenzmasse.

21.      Vor diesem Hintergrund hat der Högsta domstolen (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.       Ist Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 dahin auszulegen, dass er eine Klage umfasst, die der Insolvenzverwalter einer polnischen Gesellschaft, über deren Vermögen in Polen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, vor einem schwedischen Gericht gegen eine schwedische Gesellschaft erhebt und die auf die Bezahlung von Waren gerichtet ist, die gemäß einer Vereinbarung geliefert wurden, die diese Gesellschaften vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen hatten?

2.       Falls Frage 1 bejaht wird: Ist es von Belang, dass der Insolvenzverwalter während des Gerichtsverfahrens die strittige Forderung an eine Gesellschaft abtritt, die dem Verfahren anstelle der Insolvenzmasse beitritt?

3.       Falls Frage 2 bejaht wird: Ist es von Belang, dass im weiteren Verlauf auch über das Vermögen der Gesellschaft, die in das Verfahren eingetreten ist, das Insolvenzverfahren eröffnet wird?

4.       Wenn der Beklagte in einer Verfahrenssituation, wie sie in Frage 1 geschildert ist, geltend macht, dass er gegen den Zahlungsanspruch des Insolvenzverwalters mit einer Gegenforderung aufrechnet, fällt dann diese Aufrechnungssituation unter Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 1346/2000, wenn beide Forderungen auf dieselbe Vereinbarung gestützt sind?

5.       Ist das Verhältnis von Art. 4 Abs. 2 Buchst. d zu Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 dahin auszulegen, dass Art. 6 Abs. 1 nur dann anwendbar ist, wenn das Recht des Staats der Verfahrenseröffnung keine Aufrechnungsmöglichkeit vorsieht, oder kann Art. 6 Abs. 1 auch in anderen Fällen angewandt werden, etwa wenn nur gewisse Unterschiede bei den Aufrechnungsmöglichkeiten in den in Rede stehenden Rechtsordnungen bestehen, oder wenn es zwar keine Unterschiede gibt, aber die Aufrechnung im Staat der Verfahrenseröffnung gleichwohl zurückgewiesen wird?

22.      Die Europäische Kommission und die spanische Regierung haben in der vorliegenden Rechtssache schriftliche Erklärungen eingereicht.

IV.    Würdigung

23.      Die vorliegenden Schlussanträge sind wie folgt aufgebaut. Ich werde mit der ersten Vorabentscheidungsfrage beginnen und zu dem Ergebnis kommen, dass Art. 4 der Insolvenzverordnung in Bezug auf die Frage, welches Recht auf den Anspruch des Verwalters von PPUB gegen CeDe (im Folgenden: Hauptforderung) anwendbar ist, keine Anwendung findet (A). Daher besteht keine Notwendigkeit, sich mit der zweiten und der dritten Frage zu befassen. Anschließend werde ich erläutern, warum die vierte und die fünfte Frage nach der Abtretung der Hauptforderung an KAN hypothetisch und damit unzulässig geworden sind (B). Ich werde gleichwohl kurz auf den Inhalt dieser Fragen eingehen, um den Gerichtshof für den Fall zu unterstützen, dass er diese Fragen für zulässig halten sollte (C).

A.      Erste Frage: Anwendbarkeit von Art. 4 der Insolvenzverordnung auf die Hauptforderung

24.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob die vom Verwalter von PPUB erhobene Klage unter Art. 4 der Insolvenzverordnung fällt. Ist dies der Fall, wird mit der zweiten und dritten Frage danach gefragt, welche Auswirkungen die Tatsache haben könnte, dass diese Forderung an eine andere juristische Person (KAN) abgetreten und diese später insolvent wurde.

25.      Der genaue Umfang der ersten Frage ist jedoch nicht ganz klar, was auch in den unterschiedlichen Auslegungen dieser Frage durch die Beteiligten, die schriftliche Stellungnahmen abgegeben haben, zum Ausdruck kommt.

26.      Die Kommission hat die erste Frage dahin verstanden, dass sie sich auf den zeitlichen Anwendungsbereich von Art. 4 der Insolvenzverordnung bezieht. In ihrem Vortrag wird daher geprüft, ob diese Bestimmung für einen Anspruch gilt, der sich aus einem Vertrag ergibt, der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen wurde. Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass dies der Fall sei.

27.      Die spanische Regierung prüft die erste, die vierte und die fünfte Frage zusammen. In Bezug auf die erste Frage macht sie geltend, dass für die vom Verwalter erhobene Klage die lex concursus insoweit  gelten solle, als diese die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung regele.

28.      Ich stimme zwar grundsätzlich mit der Ansicht der Kommission zum zeitlichen Anwendungsbereich von Art. 4 der Insolvenzverordnung überein, die erste Frage ist jedoch meines Erachtens weiter zu verstehen.

29.      Das vorlegende Gericht fragt nämlich, ob unter die Bestimmungen über das anwendbare Recht in Art. 4 der Insolvenzverordnung eine Klage wie diejenige des Verwalters von PPUB vor den schwedischen Gerichten fällt.

30.      Was ist in diesem Kontext unter einer „Klage“ zu verstehen? Erstens könnte die Frage dahin verstanden werden, ob Art. 4 der Insolvenzverordnung für die (ursprünglich vertragliche) Hauptforderung des Verwalters von PPUB, die die Grundlage seiner Klage bildet, gilt. Zweitens könnte die Frage dahin verstanden werden, dass sie sich auf eine mögliche Anwendbarkeit von Art. 4 der Insolvenzverordnung auf bestimmte (andere) Aspekte des Verfahrens bezieht, die die Klage des Verwalters aufwirft, wie etwa die Aufrechnung.

31.      Um mit der ersten (und auch plausibleren) Auslegung der ersten Frage zu beginnen, ist zunächst festzustellen, dass es sich bei der Hauptforderung, die Gegenstand der ursprünglichen Klage des Verwalters von PPUB ist, um einen Zahlungsanspruch handelt, der sich aus dem Vertragsverhältnis zwischen PPUB und CeDe ergibt. Diese Forderung steht somit abgesehen davon, dass sie vom Verwalter von PPUB erhoben wurde, im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Insolvenzverordnung in keinerlei Verbindung zum Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen.

32.      Das nationale Gericht fragt in seinem Vorabentscheidungsersuchen konkret nach der Relevanz der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 3 der Insolvenzverordnung im Kontext der Zuständigkeit für Insolvenzverfahren. Nach dieser Rechtsprechung ist eine Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 der Insolvenzverordnung nur für Klagen gegeben, die sich unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren herleiten und in engem Zusammenhang damit stehen. Das hierfür ausschlaggebende Kriterium „ist nicht der prozessuale Kontext, in dem diese Klage steht, sondern deren Rechtsgrundlage. Nach diesem Ansatz ist zu prüfen, ob der der Klage zugrunde liegende Anspruch oder die Verpflichtung den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts entspringt oder aber den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren“(5).

33.      Zwar wird aus den Art. 3 und 4 der Insolvenzverordnung in Verbindung miteinander deutlich, dass diese Verordnung die internationale Zuständigkeit mit dem auf Insolvenzverfahren anwendbaren Recht in Einklang bringen soll(6). Auch wenn dieser allgemeine Ansatz unzweifelhaft ist, ist anzuerkennen, dass die Entsprechung von ius und forum nicht in allen Fällen gewährleistet werden kann, soweit die Bestimmungen der Insolvenzverordnung über das anwendbare Recht für andere als als Insolvenzverfahren einzustufende Verfahren Bedeutung haben. Während nämlich Art. 3 Abs. 1 der Insolvenzverordnung auf die Frage der Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschränkt ist, ist Art. 4 Abs. 1 breiter und bezieht sich auf das für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen geltende Recht.

34.      Es sollte daher eindeutig anerkannt werden, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 3 der Insolvenzverordnung nicht automatisch in allen ihren Gesichtspunkten auf die Auslegung von Art. 4 dieser Verordnung übertragbar ist. Die letztgenannte Bestimmung hat einen breiteren Anwendungsbereich.

35.      Diese Klarstellung vorausgeschickt, ist die Frage, ob Art. 4 der Insolvenzverordnung in der vorliegenden Rechtssache auf die Hauptforderung anwendbar ist, anhand des konkreten Inhalts dieser Bestimmung zu beantworten. Art. 4 der Insolvenzverordnung enthält die allgemeine Regel zur Bestimmung des auf „das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“ anwendbaren Rechts. Dieses Recht ist nach Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung, soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird (lex concursus). Darüber hinaus enthält Art. 4 Abs. 2 der Verordnung „eine nicht erschöpfende Aufzählung der verschiedenen Punkte des Verfahrens, die nach dem Recht des Eröffnungsstaats geregelt werden“(7), darunter u. a. „die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung“ (Art. 4 Abs. 2 Buchst. d) und die Frage, „wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt“ (Art. 4 Abs. 2 Buchst. e).

36.      Daraus, dass in Art. 4 Abs. 2 der Insolvenzverordnung die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung und die Auswirkungen der Insolvenz auf laufende Verträge genannt sind, kann meines Erachtens nicht geschlossen werden, dass jeder Anspruch aus einem Vertrag, wenn gegen eine der Vertragsparteien ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (und/oder wenn gegenüber dem Anspruchsteller aufgerechnet wird), automatisch unter den Begriff des „Insolvenzverfahrens und seiner Wirkungen“ im Sinne der Bestimmung des anwendbaren Rechts fällt. Allein der Umstand, dass es sich um den Verwalter handelt, der diese Klage erhoben hat, ändert daran meines Erachtens nichts(8).

37.      Eine Rechtssache wie die vorliegende verdeutlicht anschaulich, warum jedes andere Ergebnis unvorhersehbare oder gar bizarre Folgen hätte. Das für den vertraglichen Anspruch geltende Recht wäre nicht nur ein anderes als das von den Parteien vereinbarte, sondern würde sich auch immer wieder ändern, wenn es später abgetreten und/oder gegen den Abtretungsempfänger seinerseits schließlich ein Insolvenzverfahren eröffnet würde. Alle diese Änderungen des anwendbaren Rechts würden von Ereignissen abhängen, die nicht nur nach Abschluss des Vertrags und Wahl des anwendbaren Rechts, sondern auch weitgehend losgelöst vom Vertrag stattfänden. All dies könnte zudem geschehen, während ein Verfahren bei ein und demselben Gericht anhängig ist.

38.      Unter diesen Umständen ist Art. 4 der Insolvenzverordnung meines Erachtens dahin auszulegen, dass er nicht für die Bestimmung des Rechts gilt, das auf eine Hauptforderung anzuwenden ist, die Gegenstand einer bei den Gerichten eines Mitgliedstaats erhobenen Klage des Verwalters einer Gesellschaft ist, gegen die ein Insolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat anhängig ist, wenn mit dieser Klage gegen eine andere Gesellschaft ein Zahlungsanspruch geltend gemacht wird, der sich aus vor dieser Insolvenz eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen ergibt.

39.      Im Licht dieser Antwort bedürfen die zweite und die dritte Frage des vorlegenden Gerichts keiner Beantwortung mehr. Da jedoch die mit diesen Fragen allgemein aufgeworfenen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit der vierten und der fünften Frage relevant werden, werde ich die Auswirkungen der Abtretung der Hauptforderung von PPUB an KAN und die spätere Insolvenz der letztgenannten Gesellschaft in Abschnitt B der vorliegenden Schlussanträge untersuchen.

40.      Schließlich besteht, wie in Nr. 30 der vorliegenden Schlussanträge erwähnt, noch die Möglichkeit einer zweiten Auslegung der ersten Frage. Bei dieser Auslegung bezieht sich die erste Frage auf die Annahme, dass Art. 4 der Insolvenzverordnung für bestimmte Aspekte des Verfahrens gilt, die durch die Klage des Verwalters aufgeworfen werden, wie etwa die Aufrechnung. Bei dieser Auslegung würde die erste Frage somit nicht (nur oder überhaupt nicht) eine Änderung des auf die vertragliche Hauptforderung anzuwendenden Rechts, sondern möglicherweise (auch) eine für andere Teilaspekte der Klage geltende Änderung betreffen.

41.      Wenn diese Auslegung der ersten Frage zuträfe, würde sich die erste Frage tatsächlich eindeutig mit dem Inhalt der vierten Frage überschneiden, auf die ich in Abschnitt C.1 der vorliegenden Schlussanträge eingehen werde. Hier mag der Hinweis genügen, dass allgemein die Tatsache, dass das Ausgangsverfahren selbst kein Insolvenzverfahren darstellt, nicht ausschließt, dass Art. 4 der Insolvenzverordnung für bestimmte Aspekte dieses Verfahrens von Bedeutung sein kann.

42.      Diese Bestimmung regelt das für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen geltende Recht. Dass ein Insolvenzverfahren im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Insolvenzverordnung eröffnet wurde, führt zu einer Änderung der Rechtsstellung einer der Parteien. Dies könnte natürlich Auswirkungen (und in diesem Sinne Wirkungen) auf andere Verfahren haben. Dies findet sich in Art. 4 Abs. 2 der Insolvenzverordnung bestätigt, soweit dort von den Wirkungen die Rede ist, die ein Insolvenzverfahren auf andere Verfahren haben kann, wie etwa „auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger … ausgenommen … anhängige Rechtsstreitigkeiten“(9). Die Rechtsprechung liefert hierfür weitere Beispiele. Beispielsweise stellte sich in der Rechtssache Senior Home die Frage nach dem anwendbaren Recht (insbesondere Auslegung von Art. 5 der Insolvenzverordnung über das auf dingliche Rechte anwendbare Recht) außerhalb des Insolvenzverfahrens (und des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung)(10).

B.      Vierte und fünfte Frage: Zulässigkeit

43.      Die vierte Frage geht im Wesentlichen dahin, ob die von CeDe gegen den Zahlungsanspruch des Verwalters von PPUB erklärte Aufrechnung mit einem sich aus derselben Vereinbarung ergebenden Anspruch unter Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Insolvenzverordnung fällt.

44.      Diese Frage geht daher davon aus, dass gegen eine Forderung aufgerechnet wird, die vom Verwalter eines Unternehmens erhoben wird, gegen das ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Das vorlegende Gericht führt im Vorabentscheidungsersuchen jedoch aus, dass die ursprünglich vom Verwalter von PPUB erhobene Hauptforderung zwischenzeitlich abgetreten wurde. Daher wird die Aufrechnung jetzt in einem Verfahren zwischen CeDe und KAN geltend gemacht.

45.      Die Abtretungsproblematik, die das vorlegende Gericht in der zweiten Frage im Hinblick auf die Klageforderung aufwirft(11), ist für die Prüfung der Fragen vier und fünf relevant, die die Anwendbarkeit der Art. 4 und 6 der Insolvenzverordnung auf die Aufrechnung betreffen.

46.      Wie die Kommission zu Recht vorträgt, wirft die Abtretung der Hauptforderung Zweifel an der Notwendigkeit einer Beantwortung der Fragen vier und fünf auf. Wie in Nr. 35 der vorliegenden Schlussanträge angeführt, regeln die Bestimmungen der Insolvenzverordnung über das anwendbare Recht, und insbesondere Art. 4 dieser Verordnung, nämlich Fragen des Insolvenzverfahrens an sich und seiner Wirkungen im Sinne der näheren Klarstellung durch Abs. 2 dieser Bestimmung.

47.      Vor diesem Hintergrund führt die Abtretung einer Forderung eines insolventen Unternehmens wie PPUB (bzw. seines Verwalters) an eine (ursprünglich solvente) dritte Partei dazu, dass das Insolvenzverfahren insoweit keine Wirkungen mehr hat. Unabhängig davon, welchen Auslegungsspielraum dieser Wortlaut lassen mag, ist meines Erachtens, in Übereinstimmung mit der von der Kommission auf die zweite Frage zur Abtretung der Forderung vorgeschlagenen Antwort, nicht ersichtlich, inwieweit die Bestimmungen der Insolvenzverordnung über das anwendbare Recht, insbesondere Art. 4 Abs. 2 Buchst. d und Art. 6 Abs. 1, für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens in irgendeiner Weise relevant sein sollten, da die Forderung infolge der Abtretung mit dem Insolvenzverfahren nicht mehr in Verbindung steht.

48.      Die spätere Insolvenz der neuen Gläubigerin (KAN) lässt dieses Ergebnis in der vorliegenden Rechtssache unberührt. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist der in dem KAN betreffenden Insolvenzverfahren bestellte Verwalter in den Anspruch von KAN gegen CeDe nicht eingetreten, so dass KAN im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht in eigenem Namen handelt. Diese Forderung ist daher nicht Teil einer anderen Insolvenzmasse geworden und kann sich auf die Insolvenzmasse von KAN, wie sie von ihrem Verwalter verwaltet wird, nicht auswirken. Die in Rede stehende Aufrechnung wird folglich nicht mehr von irgendwelchen anhängigen Insolvenzverfahren berührt und fällt daher nicht in den Anwendungsbereich der Insolvenzverordnung.

49.      Vor diesem Hintergrund und unabhängig davon, ob die von CeDe geltend gemachte Aufrechnung ursprünglich unter Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Insolvenzverordnung gefallen wäre(12), ist festzustellen, dass die von CeDe geltend gemachte Aufrechnung aufgrund der Abtretung der Hauptforderung von PPUB an KAN nicht mehr von Insolvenzverfahren berührt wird. Daher ist meines Erachtens nicht ersichtlich, inwieweit eine Beantwortung der vierten Frage durch den Gerichtshof für das nationale Gericht bei der Entscheidung im Ausgangsverfahren von Nutzen sein sollte. Soweit sie sich auf die Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Insolvenzverordnung auf eine Aufrechnung gegen eine vom Verwalter von PPUB erhobene Klage bezieht, ist die vierte Frage des vorlegenden Gerichts als hypothetisch anzusehen und daher unzulässig(13).

50.      Dasselbe muss für die fünfte Frage des vorlegenden Gerichts gelten, die das Verhältnis zwischen Art. 4 Abs. 2 Buchst. d und Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung sowie die konkreten Fälle, in denen Art. 6 Abs. 1 Anwendung finden kann, betrifft.

51.      Daher sind die vierte und die fünfte Frage im konkreten Kontext der vorliegenden Rechtssache hypothetisch und daher unzulässig.

C.      Hilfsgutachtlich: Beantwortung der vierten und der fünften Frage

52.      Um den Gerichtshof vollumfänglich zu unterstützen, falls er bezüglich der Zulässigkeit der vierten und der fünften Frage zu einem anderen Ergebnis gelangen sollte, werde ich abschließend im verbleibenden Teil der vorliegenden Schlussanträge kurz auf die in diesen Fragen aufgeworfenen materiellen Fragestellungen eingehen. Hinzuweisen ist indes darauf, dass das Vorabentscheidungsersuchen recht unvollständige Angaben zum tatsächlichen und rechtlichen Rahmen enthält. Hierdurch wird meine hilfsgutachtliche Würdigung zwangsläufig kurz und abstrakt, da mir etwas unklar bleibt, welcher Art das vor dem nationalen Gericht aufgeworfene Problem genau ist.

1.      Vierte Frage: Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. d

53.      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die von CeDe gegen die Forderung des Verwalters von PPUB geltend gemachte Aufrechnung unter Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Insolvenzverordnung fällt.

54.      Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass Art. 4 der Insolvenzverordnung (wie in der Antwort auf die erste Frage geklärt) zwar nicht das auf die Hauptforderung anwendbare Recht regelt, dies aber, wie in den Nrn. 41 und 42 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, nicht ausschließt, dass diese Bestimmung für andere Teilaspekte dieses Verfahrens, einschließlich der Möglichkeit und der Voraussetzungen einer Aufrechnung, durchaus relevant sein kann. Ein Insolvenzverfahren kann nämlich eine Wirkung auf die Möglichkeit haben, der insolventen Partei eine Aufrechnung entgegenzuhalten.

55.      Art. 4 der Insolvenzverordnung ist lex specialis gegenüber der allgemeinen Regel in Art. 17 der Rom‑I-Verordnung(14), wonach „[wenn] das Recht zur Aufrechnung nicht vertraglich vereinbart [ist], … für die Aufrechnung das Recht [gilt], dem die Forderung unterliegt, gegen die aufgerechnet wird“.

56.      Demnach besteht, auch wenn die Hauptforderung dem Recht des einen Mitgliedstaats unterliegt, nach der besonderen Regelung in Art. 4 der Insolvenzverordnung weiterhin die Möglichkeit, dass für eine Aufrechnung das Recht eines anderen Mitgliedstaats gilt.

57.      Auch wenn somit das Vorabentscheidungsersuchen davon ausgeht, dass die vierte Frage nur für den Fall gestellt wird, dass die erste Frage bejaht wird (d. h. wenn Art. 4 auf die Hauptforderung Anwendung fände), teile ich nicht die Ansicht, dass das Schicksal einer Aufrechnung durch jenes der Hauptforderung besiegelt wird.

58.      Diese Klarstellung vorausgeschickt, bleibt indes der genaue Umfang der vierten Frage zu klären. Für eine Forderung, wie diejenige, die von CeDe gegen die Hauptforderung geltend gemacht wird, muss das nationale Gericht nämlich i) die materielle Begründetheit der sich aus der nicht vertragsgemäßen Leistung ergebenden Forderung und ii) die Voraussetzungen der Aufrechnung prüfen. Diese zweite Ebene kann verschiedene Fragestellungen umfassen, je nachdem, ob das nationale System Unterschiede zwischen den Voraussetzungen für das Bestehen der Aufrechnungsbefugnis und ihrer Geltendmachung nach den Regeln des Insolvenzrechts vorsieht. Während eindeutig ist, dass sich Art. 4 Abs. 2 Buchst. d nicht auf Fragen der materiellen Begründetheit bezieht, die sich unter i) stellen können(15) und für die das nach der Vereinbarung der Parteien auf den Vertrag anwendbare Recht maßgebend ist, ist nicht ohne Weiteres erkennbar, welche unter ii) fallenden Aspekte von Art. 4 Abs. 2 Buchst. d dieser Verordnung umfasst sind.

59.      Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Insolvenzverordnung ist nämlich in dieser Hinsicht alles andere als eindeutig. Einige Sprachfassungen deuten offenbar darauf hin, dass diese Bestimmung die Voraussetzungen für die „Wirksamkeit“ einer Aufrechnung (also die Möglichkeit, sie in einem Insolvenzverfahren geltend zu machen) regelt(16), während in anderen Sprachfassungen lediglich von den Voraussetzungen einer Aufrechnung die Rede ist(17), was unter Einschluss auch der materiellen Voraussetzungen der Aufrechnung verstanden werden könnte.

60.      Diese Unsicherheit hat eine Diskussion in der Lehre über die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der Insolvenzverordnung hervorgerufen. Es werden offenbar drei Ansätze zu dieser Frage vertreten. Nach der ersten Auslegung ist das Bestehen der Aufrechnungsbefugnis eine Vorfrage, die dem auf die Hauptforderung anwendbaren Recht unterliegt; Art. 4 Abs. 2 Buchst. d gilt dann nur für die prozessuale Möglichkeit, eine Aufrechnung im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Nach der zweiten Auslegung regelt Art. 4 Abs. 2 Buchst. d auch das auf die Aufrechnungsbefugnis selbst anwendbare Recht. Nach der dritten Auslegung hängt der konkrete Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 2 Buchst. d von der lex concursus ab. Damit könne Art. 4 Abs. 2 Buchst. d neutral bleiben und kein nationales System gegenüber dem anderen bevorzugen(18).

61.      Bei der Beurteilung dieser Frage muss der besondere Charakter der Aufrechnung im Blick behalten werden. Wie vom Gerichtshof festgestellt, „bewirkt“ eine Aufrechnung „das gleichzeitige Erlöschen zweier gegenseitiger Forderungen von zwei Personen“(19). Sie ist zugleich und für beide beteiligten Parteien ein Zahlungs- (Erfüllung einer Verbindlichkeit) und Durchsetzungsmittel: Durch die Geltendmachung einer Aufrechnung zwingt eine der Parteien ihren Schuldner zur Zahlung(20). Daher kann im Rahmen eines Insolvenzverfahrens eine Aufrechnung unmittelbar die par conditio creditorum berühren, da die Gläubiger, die Aufrechnungsansprüche haben, eine vollständige Erfüllung ihrer Ansprüche außerhalb des Insolvenzverfahrens bewirken können.  Vor diesem Hintergrund verfolgen die nationalen Rechtsordnungen der verschiedenen Mitgliedstaaten in der Frage der Aufrechnung in der Insolvenz verschiedene und bisweilen deutlich voneinander abweichende Ansätze, entweder indem der Einzelgläubiger geschützt werden soll (und die Aufrechnung als Sicherungsmittel begriffen wird) oder indem die Gläubigergesamtheit des insolventen Schuldners geschützt werden soll (und die Aufrechnung aufgrund des Pari-passu-Grundsatzes eingeschränkt wird)(21).

62.      Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Aufrechnung im Rahmen der Insolvenz in den verschiedenen Mitgliedstaaten und des diesen Systemen jeweils zugrunde liegenden unterschiedlichen Sinn und Zwecks halte ich den oben skizzierten dritten Ansatz praktisch für nachvollziehbarer. Der konkrete Anwendungsbereich von Art. 4 in Bezug auf die Aufrechnung ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 der Insolvenzverordnung. Während Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung die Grundregel festlegt, dass das für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen geltende Recht die lex concursus ist, enthält Art. 4 Abs. 2 eine nicht erschöpfende Aufzählung dieser Wirkungen, zu denen u. a. „d) die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung“ gehören. Daraus folgt offenbar, dass sobald das Insolvenzverfahren nach der lex concursus Wirkungen auf eine Aufrechnung hat, diese Wirkungen der lex concursus unterliegen. Demnach fällt in nationalen Rechtsordnungen, in denen eine Aufrechnung als Wirkung der Insolvenz selbst anzusehen ist, die Aufrechnung als solche unter Art. 4 der Verordnung.

63.      Gleichwohl würde ich dem Gerichtshof nicht empfehlen, zu dieser Fragestellung im Kontext der vorliegenden Rechtssache Stellung zu nehmen. Die Fragestellungen, die sich aus den Fragen vier und fünf ergeben, sind viel tiefgreifender. Sie verdienen eine angemessene und umfassend fundierte rechtliche Erörterung und nicht eine beiläufige Feststellung in einer Rechtssache, in der die tatsächlichen Umstände, die den gestellten Fragen zugrunde liegen, ebenso wie die Relevanz dieser Fragen unklar bleiben.

2.      Fünfte Frage: Auslegung von Art. 6 Abs. 1

64.      Mit seiner fünften Frage ersucht das vorlegende Gericht um eine Klärung der Bedeutung von Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung. Das vorlegende Gericht hat Zweifel im Hinblick auf dessen genauen Anwendungsbereich: Ist dieser nur eröffnet, wenn eine Aufrechnung nach der lex concursus nicht möglich ist? Ist er auch eröffnet, wenn es bestimmte Unterschiede zwischen den Möglichkeiten einer Aufrechnung nach der lex concursus und dem auf die Hauptforderung anwendbaren Recht gibt? Ist er auch dann eröffnet, wenn es keine rechtlichen Unterschiede gibt, einer Aufrechnung aber im Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung nicht stattgegeben wurde?

65.      Art. 6 der Insolvenzverordnung ist Ausdruck der „abgeschwächten Universalität“, die für die Insolvenzverordnung Modell stand, wonach „einerseits für das Hauptinsolvenzverfahren und seine Wirkungen das Recht des Mitgliedstaats gilt, in dem dieses Verfahren eröffnet wurde, andererseits jedoch die Verordnung mehrere Ausnahmen von dieser Regel vorsieht“(22). Wie im 24. Erwägungsgrund der Insolvenzverordnung hervorgehoben, dient die Einführung einer Reihe von Ausnahmen von der Grundregel dazu, Vertrauensschutz und Rechtssicherheit in den anderen Mitgliedstaaten als dem Staat der Verfahrenseröffnung zu gewährleisten.

66.      Der besondere Sinn und Zweck, der der Ausnahmeregelung für die Aufrechnung zugrunde liegt, wird im 26. Erwägungsgrund der Insolvenzverordnung näher erläutert, wonach Art. 6 dieser Verordnung Fälle regeln soll, in denen eine Aufrechnung nach der lex concursus nicht zulässig ist. In diesem Fall sollte der Gläubiger gleichwohl „zur Aufrechnung berechtigt sein, wenn diese nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht möglich ist“. Mit diesem Erwägungsgrund wird der Beweggrund für diese Ausnahmeregelung näher erläutert: Die Aufrechnung erhält „eine Art Garantiefunktion aufgrund von Rechtsvorschriften …, auf die sich der betreffende Gläubiger zum Zeitpunkt der Entstehung der Forderung verlassen kann“.

67.      Eine grammatische und systematische Auslegung spricht daher dafür, dass Art. 6 der Insolvenzverordnung (wie andere besondere Bestimmungen, etwa wie Art. 5) als Ausnahmeregelung zu Art. 4 dieser Verordnung dient. Durch Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung wird nämlich die allgemeine Regel in Art. 4 (die den Grundsatz der lex concursus aufstellt) „korrigiert“, um die Rechtssicherheit solcher Gläubiger zu wahren, die nach dem auf die Forderung des insolventen Schuldners anwendbaren Recht zur Aufrechnung berechtigt gewesen wären(23).

68.      In diesem Kontext läuft die Frage des vorlegenden Gerichts darauf hinaus, ob die „Unzulässigkeit“ der Aufrechnung gemäß der lex concursus nach Art. 4 der Insolvenzverordnung konkret oder abstrakt gegeben sein muss, damit die Ausnahme nach Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung anwendbar wird.

69.      Das vorlegende Gericht spricht drei Möglichkeiten der Auslegung an: Art. 6 könne dahin verstanden werden, dass er Anwendung finde, a) wenn eine Aufrechnung nach der lex concursus nicht zulässig sei, b) wenn sie nach anderen Voraussetzungen zulässig sei oder c) wenn nach Anwendung der Voraussetzungen für eine Aufrechnung, die identisch sein könnten, in einem konkreten Fall eine Aufrechnung nicht zulässig sei.

70.      Die Kommission ist der Ansicht, dass Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung aufgrund seiner Funktion als „Garantie“ unabhängig davon gelte, ob die lex concursus im Allgemeinen oder im konkreten Fall einen Ausgleich durch Aufrechnung nicht zulasse. Für die spanische Regierung ist dagegen offenbar die lex concursus, wenn sie eine Aufrechnung (in irgendeiner Form) zulasse, selbst das anwendbare Recht, ohne dass die Ausnahme nach Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung Anwendung finden könne.

71.      Ich pflichte der Kommission bei.

72.      Erstens bestimmt Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung, dass „[d]ie Befugnis eines Gläubigers, mit seiner Forderung … aufzurechnen, … von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt [wird], wenn diese Aufrechnung nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist“(24). Die Formulierung, dass die „Befugnis, … aufzurechnen“, nicht berührt wird, legt nahe, dass diese Befugnis zur Aufrechnung mit Forderungen im konkreten Fall bereits besteht.

73.      Zweitens kann das im 26. Erwägungsgrund genannte Ziel von Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung, die geschäftliche Rechtssicherheit zu wahren, nur dann erreicht werden, wenn das Kriterium der fehlenden Zulässigkeit in concreto verstanden wird. Um seine Funktion als „Garantie“ erfüllen zu können, muss Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung nämlich Anwendung finden, wenn das auf die Forderung des insolventen Schuldners anwendbare Recht eine solche Aufrechnung im konkreten Fall zugelassen hätte.

74.      Zusammenfassend muss bei einem Ansatz, der auf die konkreten Ergebnisse der in einem bestimmten Fall kollidierenden anwendbaren Rechte abstellt, das maßgebende Kriterium auf die konkrete Lösung ausgerichtet sein, die sich nach dem auf die Hauptforderung anwendbaren Recht (einschließlich des Insolvenzrechts) ergeben würde.

75.      Demnach sollte Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung nicht nur dann Anwendung finden, wenn nach der lex concursus die Möglichkeit einer Aufrechnung vollständig ausgeschlossen ist, sondern auch dann, wenn sich die konkreten Voraussetzungen für eine Aufrechnung insofern unterscheiden, als nach der lex concursus eine Aufrechnung im konkreten Fall nicht möglich wäre, während sie nach dem auf die Hauptforderung anwendbaren Recht möglich gewesen wäre. Mit anderen Worten findet Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung nur dann keine Anwendung, wenn zwischen zwei Regelungskomplexen „materielle Gleichwertigkeit“ herrscht, so dass die lex concursus anwendbar bleibt. Der Umstand allein, dass die lex concursus die Möglichkeit einer Aufrechnung unter bestimmten Voraussetzungen zulässt, schließt daher die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 der Insolvenzverordnung nicht aus.

76.      Schließlich wird mit der letzten Teilfrage des vorlegenden Gerichts nach dem Fall gefragt, dass die Regelungen der lex concursus und der lex causae gleichwertig sind, aber ihre Anwendung im konkreten Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen führt.

77.      Leider sind die Sachverhaltsangaben des vorlegenden Gerichts in dieser Hinsicht wiederum sehr dünn. Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Verwalter die Aufrechnung im Insolvenzverfahren abgelehnt habe, ohne die Gründe hierfür zu nennen. Mangels Mitteilung des konkreten dieser Frage zugrunde liegenden Sachverhalts sowie irgendwelcher Angaben zum Inhalt der lex concursus oder des für die Hauptforderung geltenden Rechts, verfügt der Gerichtshof meines Erachtens nicht über die für eine Beantwortung dieser Frage erforderlichen Angaben.

78.      Abschließend ist jedenfalls zu betonen, dass nach Art. 16 der Insolvenzverordnung das in einem Mitgliedstaat durchgeführte Hauptinsolvenzverfahren in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist und dass diese Regel der Anerkennung nach Art. 25 der Verordnung auch für alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der Durchführung und Beendigung des Verfahrens gilt(25).

V.      Ergebnis

79.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Vorabentscheidungsfrage des Högsta domstolen (Oberster Gerichtshof, Schweden) wie folgt zu beantworten:

Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass er nicht für die Bestimmung des Rechts gilt, das auf eine Forderung anzuwenden ist, die Gegenstand einer bei den Gerichten eines Mitgliedstaats erhobenen Klage des Verwalters einer Gesellschaft ist, gegen die ein Insolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat anhängig ist, wenn mit dieser Klage gegen eine andere Gesellschaft ein Zahlungsanspruch geltend gemacht wird, der sich aus vor dieser Insolvenz eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen ergibt.


























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