C-512/22 P – Fininvest/ EZB u.a.

C-512/22 P – Fininvest/ EZB u.a.

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2024:414

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 16. Mai 2024(1)

Verbundene Rechtssachen C512/22 P und C513/22 P

Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest)

gegen

Silvio Berlusconi,

Europäische Zentralbank (EZB) (C512/22 P)

und

Marina Elvira Berlusconi, Pier Silvio Berlusconi, Barbara Berlusconi, Eleonora Berlusconi und Luigi Berlusconi als Rechtsnachfolger von Silvio Berlusconi,

Silvio Berlusconi

gegen

Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest),

Europäische Zentralbank (EZB) (C513/22 P)

„Rechtsmittel – Richtlinie 2013/36/EU – Aufsicht über Kreditinstitute – Beurteilung des Erwerbs qualifizierter Beteiligungen – Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 – Einheitlicher Aufsichtsmechanismus – Befugnisse der Europäischen Zentralbank – Frühere qualifizierte Beteiligung – Ablehnung des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum durch die Finanzgesellschaft Fininvest“

1.        Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest(2), seine Rechtsprechung zur Ausübung der gerichtlichen Kontrolle über die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (im Folgenden: EZB), die im Rahmen von Verwaltungsverfahren zur Beurteilung von Anzeigen über den Erwerb und Verkauf qualifizierter Beteiligungen an Kreditinstituten ergehen, präzisiert.

2.        Im Anschluss an dieses Urteil hat das Gericht mit seinem Urteil vom 11. Mai 2022(3) die Klage gegen den Beschluss der EZB vom 25. Oktober 2016(4) abgewiesen, mit dem die EZB den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum SpA durch Herrn Silvio Berlusconi und die Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest) abgelehnt hatte.

3.        Im Rahmen der beiden vorliegenden verbundenen Rechtsmittel wird der Gerichtshof sich äußern müssen zu

–      dem Begriff des Erwerbs oder der Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut;

–      der Anwendung des Genehmigungsverfahrens auf qualifizierte Beteiligungen, die bereits vor dem Inkrafttreten des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (im Folgenden: SSM) bestanden.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

4.        Die im vorliegenden Rechtsmittelverfahren einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts entsprechen im Wesentlichen jenen, die ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑219/17(5) wiedergegeben habe. Ich nehme daher auf diese Schlussanträge Bezug und gebe diese Vorschriften nicht erneut wieder.

5.        Bei den seinerzeit angeführten Bestimmungen handelt es sich um:

–      die Richtlinie 2013/36/EU(6),

–      die Verordnung (EU) Nr. 1024/2013(7),

–      die Verordnung (EU) Nr. 468/2014(8).

B.      Nationales Recht

6.        Ich nehme ebenfalls Bezug auf die Artikel des Bankengesetzes(9) und weitere Bestimmungen des italienischen Rechts, die ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑219/17 wiedergegeben habe.

II.    Sachverhalt, Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

7.        Der Sachverhalt des Rechtsstreits wird in den Rn. 1 bis 13 des angefochtenen Urteils wie folgt dargestellt:

„Die Finanziaria d’investimento Fininvest SpA (Fininvest) ist eine Holdinggesellschaft italienischen Rechts, die zu 61,21 % von Herrn Silvio Berlusconi über Beteiligungen an vier Gesellschaften italienischen Rechts gehalten [wurde].

Mediolanum war eine börsennotierte gemischte Finanzholdinggesellschaft, die bis zum 30. Dezember 2015 100 % des Kapitals der Banca Mediolanum SpA hielt.

Fininvest hielt 30,1 % des Gesellschaftskapitals von Mediolanum und Fin. Prog Italia hielt 26,5 % des Kapitals dieser Gesellschaft.

Nach dem Inkrafttreten des Decreto legislativo [53/2014(10)]leitete die Banca d’Italia (italienische Zentralbank) ein Verfahren zur Beurteilung der Kläger, Fininvest und Herrn Berlusconi, in ihrer Eigenschaft als qualifizierte Aktionäre von gemischten Finanzholdinggesellschaften ein.

Mit Beschluss vom 7. Oktober 2014 stellte die Banca d’Italia fest, dass Herr Berlusconi die im Decreto ministeriale [144/1998] aufgestellte Leumundsanforderung aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen Steuerbetrugs durch das Urteil Nr. 35729/13 der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) vom 1. August 2013 nicht mehr erfülle (im Folgenden: Beschluss vom 7. Oktober 2014).

Aus diesem Grund ordnete die Banca d’Italia zum einen die Aussetzung der Stimmrechte der Kläger und die Veräußerung ihrer 9,99 % übersteigenden Anteile an Mediolanum an und lehnte zum anderen den Antrag der Kläger auf Genehmigung des Haltens einer qualifizierten Beteiligung ab.

Die Kläger fochten den Beschluss vom 7. Oktober 2014 vor dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) an, das die Klage mit Urteil vom 5. Juni 2015 abwies.

Am 30. Dezember 2015 wurde Mediolanum im Rahmen einer umgekehrten Verschmelzung von ihrer Tochtergesellschaft, der Banca Mediolanum, übernommen.

Am 3. März 2016 gab der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) der von den Klägern gegen das Urteil des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) eingelegten Berufung statt und hob den Beschluss vom 7. Oktober 2014 auf.

Im Anschluss an die … genannte Verschmelzung und das … Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 3. März 2016 vertraten die Banca d’Italia und die Europäische Zentralbank … die Auffassung, dass gemäß den Art. 22 ff. der Richtlinie 2013/36 … sowie gemäß den Art. 19 ff. TUB ein neuer Antrag auf Genehmigung dieser qualifizierten Beteiligung erforderlich sei.

Mit Schreiben vom 14. Juli 2016 forderte die Banca d’Italia Fininvest auf, innerhalb von 15 Tagen einen Antrag auf Genehmigung des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung zu stellen. Da … kein Antrag gestellt wurde, entschied die Banca d’Italia am 3. August 2016, von Amts wegen ein Verwaltungsverfahren gegen Fininvest einzuleiten, nach dessen Abschluss sie der EZB gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung … Nr. 1024/2013 … einen Beschlussvorschlag vom 23. September 2016 vorlegte, in dem die Beurteilung des Leumunds der Erwerber der fraglichen Beteiligung an der Banca Mediolanum negativ ausfiel und die EZB aufgefordert wurde, den Erwerb abzulehnen.

Mit ihrem Beschluss … vom 25. Oktober 2016 lehnte die EZB den Erwerb der qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum durch die Kläger mit der Begründung ab, dass sie die Leumundsanforderung nicht erfüllten und ernsthafte Zweifel an ihrer Fähigkeit bestünden, in Zukunft eine solide und umsichtige Führung dieses Kreditinstituts zu gewährleisten …

Insbesondere war die EZB in Anwendung der Art. 19 und 25 TUB sowie des Art. 1 des Decreto ministeriale Nr. 144 zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36 der Auffassung, dass angesichts des Umstands, dass Herr Berlusconi, Mehrheitsaktionär und tatsächlicher Eigentümer von Fininvest, der indirekte Erwerber der Beteiligung an der Banca Mediolanum sei und wegen Steuerbetrugs rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden sei, die an die Inhaber qualifizierter Beteiligungen gestellte Leumundsanforderung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2013/36, so wie sie umgesetzt worden sei, nicht erfüllt werde. Zudem habe Herr Berlusconi weitere Unregelmäßigkeiten begangen, und gegen ihn und andere Mitglieder der Leitungsorgane von Fininvest seien weitere Verurteilungen ergangen.“

8.        Zur Vervollständigung dieser Darstellung möchte ich bestimmte tatsächliche Umstände ergänzen, die ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑219/17 dargestellt habe:

–      Die Verwaltungsräte beider Gesellschaften beschlossen eine Verschmelzung durch „umgekehrte Übernahme“ von Mediolanum durch die Banca Mediolanum(11). Dieses Verschmelzungsvorhaben wurde der Banca d’Italia am 26. Mai 2015 mitgeteilt, um die Genehmigung nach Art. 57 TUB zu erhalten.

–      Mit Entscheidung Nr. 7969932/21 vom 21. Juli 2015 genehmigte die Banca d’Italia die vorgeschlagene Verschmelzung. Im Schreiben vom 23. Juli 2015, mit dem sie diese Entscheidung mitteilte, bestätigte sie den Beschluss vom 7. Oktober 2014 und erläuterte, dass die dort festgelegte Veräußerungsverpflichtung so zu verstehen sei, „dass sie sich auf Aktien der Banca Mediolanum bezieht, die infolge der Verschmelzung im Austausch gegen Aktien der [Gesellschaft] Mediolanum [Fininvest] zugeteilt werden“.

9.        Am 23. Dezember 2016 erhoben Fininvest und Herr Berlusconi beim Gericht eine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der EZB vom 25. Oktober 2016.

10.      Das Gericht (Zweite erweiterte Kammer) hat beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen, und die Parteien im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme aufgefordert, zu den Konsequenzen Stellung zu nehmen, die sich für diese Rechtssache aus dem Urteil vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, ergeben konnten.

11.      Am 21. Januar 2019 machten die Kläger in Anbetracht dieses Urteils des Gerichtshofs gemäß Art. 84 der Verfahrensordnung des Gerichts neue Nichtigkeitsgründe geltend, zu denen die EZB und die Europäische Kommission Stellung nahmen.

12.      Die Kläger beantragten beim Gericht, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und der EZB die Kosten aufzuerlegen. Die EZB und die Kommission traten diesen Anträgen entgegen.

13.      Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Nichtigkeitsklage in vollem Umfang abgewiesen und Fininvest und Herrn Berlusconi verurteilt, ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der EZB zu tragen, während die Kommission ihre eigenen Kosten zu tragen hatte.

III. Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

14.      Am 22. Juli 2022 haben Fininvest und Herr Berlusconi(12) jeweils ein Rechtsmittel mit gleichem Inhalt gegen das angefochtene Urteil eingelegt.

15.      Mit ihren Rechtsmitteln beantragen Fininvest und Herr Berlusconi,

–      das angefochtene Urteil aufzuheben;

–      dementsprechend den Beschluss der EZB vom 25. Oktober 2016 für nichtig zu erklären;

–      hilfsweise, die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen;

–      der EZB die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des ersten Rechtszugs aufzuerlegen.

16.      Die EZB und die Kommission beantragen, die Rechtsmittel als teilweise unzulässig oder ins Leere gehend, jedenfalls aber als unbegründet zurückzuweisen, gegebenenfalls unter Ersetzung bestimmter Gründe des angefochtenen Urteils. Hilfsweise beantragt die Kommission, die Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses abzuweisen. Außerdem beantragen die EZB und die Kommission, Herrn Berlusconi und Fininvest die Kosten aufzuerlegen.

17.      Die beiden Rechtsmittel sind zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

18.      Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich ist und dass in den Schlussanträgen zum ersten, zum zweiten und zum neunten Rechtsmittelgrund Stellung genommen werden soll.

IV.    Zulässigkeit der Rechtsmittel

19.      Die EZB bestreitet, dass die behauptete Rehabilitierung von Herrn Berlusconi durch Entscheidung vom 11. Mai 2018(13) ihm ermögliche, eine erneute Beurteilung seines nach dem angefochtenen Beschluss fehlenden guten Leumunds zu verlangen. Daraus folge, dass die Rechtsmittelführer kein Interesse an der Nichtigerklärung dieses Beschlusses und der Aufhebung des angefochtenen Urteils hätten.

20.      Diesem Einwand kann nicht gefolgt werden, da sowohl Herr Berlusconi (bzw. nunmehr seine Erben) als auch Fininvest weiterhin ein Interesse an der Nichtigerklärung eines sie nach ihrer Auffassung in ihren Interessen beeinträchtigenden Beschlusses und der Aufhebung des Urteils haben, das diesen Beschluss bestätigt.

V.      Vorbemerkungen: Begriff des Erwerbs oder der Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung

21.      Bevor ich die Rechtsmittelgründe prüfe, möchte ich daran erinnern, dass mit dem Verfahren zur Genehmigung qualifizierter Beteiligungen sichergestellt werden soll, dass der Bankensektor nur natürlichen oder juristischen Personen zugänglich ist, die sein ordnungsgemäßes Funktionieren nicht gefährden.

22.      Im Rahmen der Beurteilung ist insbesondere zu prüfen, ob der interessierte Erwerber über einen guten Leumund und die unverzichtbare finanzielle Solidität verfügt, so dass das Institut, an dem die Beteiligungen erworben werden sollen, weiterhin seine aufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllt. Die Beurteilung trägt auch dazu bei, zu verhindern, dass die Transaktion aus Mitteln finanziert wird, die aus illegalen Aktivitäten stammen(14).

23.      Art. 2 Nr. 8 der SSM-Verordnung verweist auf die Definition der „qualifizierten Beteiligung“ in Art. 4 Abs. 1 Nr. 36 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013(15). Man versteht darunter „das direkte oder indirekte Halten von Anteilen an einem Unternehmen, das mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte dieses Unternehmens repräsentiert oder das anderweitig die Wahrnehmung eines maßgeblichen Einflusses auf die Geschäftsführung dieses Unternehmens ermöglicht“.

24.      Nach Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 besteht eine Pflicht zur Anzeige, wenn „eine natürliche oder juristische Person oder gemeinsam handelnde natürliche oder juristische Personen (im Folgenden ‚interessierter Erwerber‘) … beschlossen hat bzw. haben, an einem Kreditinstitut eine qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erwerben oder eine derartige qualifizierte Beteiligung direkt oder indirekt zu erhöhen, mit der Folge, dass ihr Anteil an den Stimmrechten oder am Kapital 20 %, 30 % oder 50 % erreichen oder überschreiten würde oder das Kreditinstitut ihr Tochterunternehmen würde …“(16).

25.      Aus der Zusammenschau dieser Bestimmungen ergibt sich, dass eine „qualifizierte Beteiligung“ die direkte oder indirekte Beteiligung an einem Kreditinstitut ist, die

–      mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte des Unternehmens ausmacht, oder

–      die Ausübung eines maßgeblichen Einflusses auf die Geschäftsführung des Unternehmens ermöglicht, oder

–      dazu führen würde, dass das Kreditinstitut zur Tochtergesellschaft des interessierten Erwerbers wird.

26.      Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 schreibt vor, dass der Erwerb solcher Beteiligungen an einem Kreditinstitut anzuzeigen ist, und stellt dem Erwerb die direkte oder indirekte Erhöhung solcher Beteiligungen gleich, wenn der Anteil der Stimmrechte oder des gehaltenen Kapitals 20 %, 30 % oder 50 % erreicht oder überschreitet.

27.      Die Kriterien für die Beurteilung des Erwerbs und der Erhöhung qualifizierter Beteiligungen sind in den Art. 22 bis 27 der Richtlinie 2013/36 festgelegt. Strengere Anforderungen können im nationalen Recht nicht festgelegt werden(17).

28.      Art. 23 der Richtlinie 2013/36 harmonisiert die wesentlichen Kriterien für die Beurteilung des Erwerbs oder der Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung(18). Zur Angleichung der Praxis in den Mitgliedstaaten haben die europäischen Aufsichtsbehörden im Jahr 2016 Gemeinsame Leitlinien(19) erlassen.

29.      Das Verfahren zur Erteilung dieser Art von Genehmigungen ist in Art. 4 Abs. 1 Buchst. c, Art. 6 Abs. 4 und Art. 15 der SSM-Verordnung geregelt, die durch die Art. 85 bis 87 der SSM-Rahmenverordnung ergänzt werden. Dieses Verfahren wurde vom Gerichtshof im Urteil vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, einer eingehenden Prüfung unterzogen.

30.      Die EZB verfügt über die ausschließliche Zuständigkeit für die Beurteilung und Entscheidung über den Erwerb und die Erhöhung qualifizierter Beteiligungen an allen dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus unterliegenden Finanzinstituten(20), unabhängig davon, ob diese bedeutend sind und der direkten Aufsicht der EZB unterliegen oder ob sie der Aufsicht der nationalen Behörden unterliegen.

VI.    Erster Rechtsmittelgrund

A.      Vorbringen der Parteien

31.      Die Rechtsmittelführer greifen die Begründung an, mit der das Gericht den ersten vor ihm geltend gemachten Nichtigkeitsgrund zurückgewiesen hat. Ihren ersten Rechtsmittelgrund gliedern sie in sechs Rügen, bezeichnet mit den Buchstaben A, B, C, D, E und F, mit denen sie auf folgende Fragen eingehen:

–      von den Klägern gemeinsam ausgeübte Kontrolle über die Banca Mediolanum; fehlerhafte Beurteilung der Auswirkungen;

–      Stellung von Fininvest als Inhaberin einer qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum; Verfälschung von Tatsachen und offensichtlicher Rechtsfehler;

–      Ersetzung der Begründung des Urhebers des Beschlusses durch eine Begründung des Gerichts; Verletzung der Art. 263 und 264 AEUV;

–      neuer unionsrechtlicher Begriff des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung; Nichtanwendung des nationalen Rechts;

–      Schaffung eines im Unionsrecht nicht vorgesehenen Tatbestands durch das Gericht;

–      Differenzierung zwischen qualifizierter indirekter Beteiligung und qualifizierter direkter Beteiligung: Verstoß gegen Art. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 22 TUB.

32.      Die EZB und die Kommission treten dem Vorbringen der Rechtsmittelführer entgegen und beantragen, diesen Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

B.      Würdigung

1.      Erste und zweite Rüge

33.      Die Rügen A und B des ersten Rechtsmittelgrundes werden auf folgende Argumente gestützt:

–      Das Gericht habe eingeräumt (Rn. 81 des angefochtenen Urteils), dass Herr Berlusconi und Fininvest eine qualifizierte Beteiligung an der Banca Mediolanum gehalten hätten, die ihnen vor der umgekehrten Verschmelzung die Ausübung einer gemeinsamen Kontrolle über Mediolanum und die Banca Mediolanum ermöglicht habe.

–      Von dieser Prämisse ausgehend (d. h. davon, dass Fininvest vor der Verschmelzung Kontrolle über die Banca Mediolanum habe ausüben können), habe sich das Gericht bei der Würdigung der Auswirkungen dieses Umstands, den es selbst eingeräumt habe, geirrt: Wenn die Kontrolle schon vor der Verschmelzung bestanden habe, habe die EZB kein Genehmigungsverfahren für den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung einleiten dürfen. Die betreffende qualifizierte Beteiligung habe schon vor dem Inkrafttreten der Regelung über den SSM bestanden.

–      Das Gericht habe festgestellt (Rn. 70 des angefochtenen Urteils), dass Fininvest und Herr Berlusconi über Fininvest 30,16 % der Anteile an Mediolanum gehalten hätten, die ihrerseits 100 % der Anteile an der Banca Mediolanum gehalten habe. Es habe ferner festgestellt (Rn. 71 des angefochtenen Urteils), dass Fininvest und folglich Herr Berlusconi indirekt eine qualifizierte Beteiligung an der Banca Mediolanum gehalten hätten, da der Anteil der Stimmrechte, die Fininvest indirekt über Mediolanum habe ausüben können, über der Schwelle von 20 % gelegen habe.

–      Diese Feststellungen hätten das Gericht zu der Schlussfolgerung veranlassen müssen, dass es nicht infolge der Verschmelzung in Verbindung mit dem Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 3. März 2016 zu einem Erwerb gekommen sei, da Fininvest und Herr Berlusconi bereits qualifizierte Beteiligungen an der Banca Mediolanum gehalten hätten. Die Genehmigung der EZB habe daher keinen Sinn ergeben.

–      Da das Gericht aus seiner Tatsachenwürdigung nicht die logischen Schlussfolgerungen gezogen habe, habe es mehrere Rechtsfehler begangen.

–      In Rn. 72 des angefochtenen Urteils habe das Gericht festgestellt, dass die indirekte Beteiligung der Kläger nach dem Beschluss vom 7. Oktober 2014 (mit dem die Banca d’Italia die Stimmrechte der Kläger ausgesetzt, die Erteilung der Genehmigung zum Halten einer qualifizierten Beteiligung an Mediolanum verweigert und die Veräußerung der 9,99 % übersteigenden Anteile der Kläger an Mediolanum angeordnet hatte) keine qualifizierte Beteiligung mehr gewesen sei.

–      Diese Schlussfolgerung sei falsch, da die qualifizierte Beteiligung in vollem Umfang fortbestanden habe, solange die Aktien nicht veräußert worden seien. Was die Stimmrechte anbelange, führe der Beschluss vom 7. Oktober 2014 in Anbetracht von Art. 24 TUB technisch gesehen nicht zur Aussetzung dieser Rechte.

–      In Rn. 73 des angefochtenen Urteils habe das Gericht ausgeführt, dass Fininvest infolge der Verschmelzung durch Aufnahme von Mediolanum in die Banca Mediolanum am 30. Dezember 2015 direkte Inhaberin von 9,99 % der Aktien der Banca Mediolanum geworden sei.

–      Nach Ansicht der Rechtsmittelführer ist auch diese Schlussfolgerung falsch, denn die qualifizierte Beteiligung von Fininvest an Mediolanum habe 30,16 % des Gesellschaftskapitals betragen und die ganze Zeit unverändert fortbestanden.

–      In Rn. 76 des angefochtenen Urteils habe das Gericht festgestellt, dass Fininvest nach der Aufhebung des Beschlusses vom 7. Oktober 2014 durch das Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 3. März 2016 zur direkten Inhaberin von 30,16 % der Aktien der Banca Mediolanum geworden sei.

–      Nach Ansicht der Rechtsmittelführer ist auch diese Schlussfolgerung, die auf den beiden vorangegangenen Schlussfolgerungen aufbaue, falsch. Da der Beschluss vom 7. Oktober 2014 durch das Urteil vom 3. März 2016 aufgehoben worden sei, habe sich die ursprüngliche Stellung der Beteiligungen in keiner Weise geändert. Fininvest habe demnach ihre Beteiligung von 30,16% an der Banca Mediolanum nicht aufgrund des genannten Urteils zurückerhalten, sondern habe sie nie verloren. Das genannte Urteil habe sich auf die Höhe der Beteiligung nicht ausgewirkt.

–      Im Ergebnis habe sich die Beteiligung von Fininvest in Höhe von 30,16 % weder (durch den Beschluss der Banca d’Italia) auf 9,99 % verringert noch (nach dem Urteil des Consiglio di Stato) wieder in eine qualifizierte Beteiligung verwandelt. Es habe sich die ganze Zeit um eine qualifizierte Beteiligung von 30,16 % gehandelt.

34.      Meines Erachtens ist diese Rüge begründet, da das Gericht unter Berücksichtigung seiner Sachverhaltsdarstellung zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass die EZB das Verfahren zur Genehmigung qualifizierter Beteiligungen nicht hätte einleiten dürfen.

35.      Meine Auffassung gründet sich auf Art. 15 der SSM-Verordnung und Art. 22 der Richtlinie 2013/36. Beide sehen eine Kontrolle des Erwerbs oder der Erhöhung qualifizierter Beteiligungen durch die EZB vor, seit der SSM am 4. November 2014 in Kraft getreten ist.

36.      Diese Kontrolle erstreckt sich jedoch nicht auf qualifizierte Beteiligungen, die als „alte“ Beteiligungen bezeichnet werden könnten, die also schon vor diesem Datum bestanden. Wenn eine alte qualifizierte Beteiligung an einem Finanzinstitut fortbesteht, aber nicht erhöht wird, unterliegt sie nicht der Prüfung durch die EZB.

37.      Genau auf dieses grundlegende Argument stützen sich die Rechtsmittelführer, indem sie zu Recht geltend machen, das Gericht habe nicht die gebotenen Schlussfolgerungen aus der Feststellung gezogen, dass die Beteiligung von Herrn Berlusconi und Fininvest an Mediolanum und über diese Gesellschaft an der Banca Mediolanum eine alte qualifizierte Beteiligung gewesen sei, die seit vor dem Inkrafttreten des SSM unverändert bestanden habe.

38.      Nach Ansicht des Gerichts ist diese alte Beteiligung durch drei Ereignisse erschüttert worden, nämlich durch: a) den Beschluss vom 7. Oktober 2014, mit dem die Veräußerung der 9,99 % übersteigenden Anteile von Herrn Berlusconi und Fininvest an Mediolanum angeordnet wurde; b) die Aufnahme von Mediolanum in die Banca Mediolanum am 30. Dezember 2015, durch die Fininvest direkte Inhaberin von 9,99 % der Aktien der Banca Mediolanum wurde; und c) die Aufhebung des Beschlusses vom 7. Oktober 2014 durch das Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 3. März 2016, durch die Fininvest und Herr Berlusconi erneut uneingeschränkt über ihre Aktien an der Banca Mediolanum verfügten.

39.      In Bezug auf die Verschmelzung räumt das Gericht ein, dass Herr Berlusconi stets an der Banca Mediolanum beteiligt gewesen sei, „zunächst über Fininvest und dann über Mediolanum“(21). Es führt jedoch weiter aus, dass die umgekehrte Verschmelzung durch Aufnahme zu einer Veränderung der rechtlichen Struktur dieser Beteiligung geführt habe, die die EZB als Erwerb habe einstufen können, „auch wenn sich die Höhe der qualifizierten Beteiligung der Kläger im Vergleich zu derjenigen, über die sie zuvor über Mediolanum verfügten, nicht geändert hat“(22).

40.      Wie ich im Rahmen der Prüfung der fünften Rüge dieses Rechtsmittelgrundes ausführen werde, halte ich diesen Ansatz des angefochtenen Urteils, der auf dem Begriff der Veränderung der rechtlichen Struktur der Beteiligung beruht, für falsch.

41.      Auch die Argumentation des Gerichts zu den Auswirkungen des Beschlusses vom 7. Oktober 2014, genauer gesagt, dass sich dadurch die qualifizierte Beteiligung von Fininvest und Herrn Berlusconi an der Banca Mediolanum auf 9,99 % verringert habe, halte ich für falsch.

42.      Mit ihrem Beschluss vom 7. Oktober 2014 hat die Banca d’Italia zwar die Veräußerung der von Fininvest an Mediolanum gehaltenen Aktien angeordnet, die über eine Beteiligung von 9,99 % hinausgingen. Die Übertragung sollte innerhalb von 30 Monaten nach Gründung einer mit dem Verkauf der Aktien betrauten Treuhandgesellschaft erfolgen. Allerdings kam es nicht zu einer Veräußerung der Aktien, da der Consiglio di Stato (Staatsrat) zunächst die Aussetzung des Vollzugs des Beschlusses der Banca d’Italia angeordnet und diesen dann durch das Urteil vom 3. März 2016 mit Wirkung ex tunc aufgehoben hat.

43.      Aus dieser Abfolge der Entscheidungen ergibt sich, dass sich die die Beteiligung von Fininvest an der Banca Mediolanum repräsentierenden Aktien während dieses gesamten Zeitraums in den Händen von Fininvest befanden und nie auf einen Erwerber übertragen wurden.

44.      Folglich wurde die qualifizierte Beteiligung von Fininvest und Herrn Berlusconi an der Banca Mediolanum entgegen der Schlussfolgerung des Gerichts (Rn. 72 des angefochtenen Urteils) nie auf 9,99 % verringert, sondern bestand unverändert fort, als der SSM in Kraft trat und der EZB die Zuständigkeit für die Genehmigung des Erwerbs und der Erhöhung qualifizierter Beteiligungen übertragen wurde. Lediglich die Stimmrechte aus den der Pflicht zur Veräußerung unterliegenden Aktien wurden für einen kurzen Zeitraum beschränkt.

45.      Dieser erste Fehler hat zu einem weiteren Fehler des Gerichts geführt, soweit es festgestellt hat (Rn. 73 des angefochtenen Urteils), dass Fininvest infolge der Verschmelzung durch Aufnahme von Mediolanum in die Banca Mediolanum direkte Inhaberin von 9,99 % der Aktien dieser Bank geworden sei.

46.      Da Fininvest bereits eine Beteiligung von 30,16 % an Mediolanum hielt, hielt sie jedoch nach der Verschmelzung durch Aufnahme die gleiche qualifizierte Beteiligung von 30,16 % (221 828 000 Aktien) direkt an der Banca Mediolanum, und nicht 9,99 %, wie das Gericht angenommen hat.

47.      Aufgrund dieser beiden Fehler hat das Gericht einen weiteren Fehler begangen (Rn. 76 des angefochtenen Urteils), indem es festgestellt hat, dass Fininvest infolge der Aufhebung des Beschlusses vom 7. Oktober 2014 durch das Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 3. März 2016 direkte Inhaberin von 30,16 % der Aktien der Banca Mediolanum geworden sei.

48.      Das genannte Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) führte entgegen der Ansicht des Gerichts nicht zu einer Erhöhung der Beteiligung von Fininvest an der Banca Mediolanum von 9,99 % auf 30,16 %; diese Beteiligung hatte sich, wie bereits ausgeführt, durch den Beschluss vom 7. Oktober 2014 gar nicht verringert.

49.      Diese drei Fehler des Gerichts entkräften die Schlussfolgerung, zu der es in Rn. 77 des angefochtenen Urteils gelangt ist(23).

50.      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Beteiligung von Fininvest und Herrn Berlusconi an der Banca Mediolanum stets eine qualifizierte Beteiligung in Höhe von 30,16 % war. Da diese Beteiligung nach dem Inkrafttreten des SSM nicht erhöht wurde, war die Genehmigung der EZB nicht erforderlich, weil es sich um eine „alte“ qualifizierte Beteiligung handelte.

51.      Folglich ist der ersten und der zweiten Rüge (A und B) des ersten Rechtsmittelgrundes insoweit stattzugeben, als sie einen Rechtsfehler im angefochtenen Urteil in Bezug auf die Voraussetzungen aufzeigen, unter denen die EZB befugt ist, die Einholung einer Genehmigung für den Erwerb oder die Erhöhung qualifizierter Beteiligungen an Kreditinstituten zu verlangen.

2.      Dritte Rüge (C)

52.      Die Rechtsmittelführer rügen, das Gericht habe sich auf eine Begründung gestützt, die im Beschluss der EZB nicht enthalten gewesen sei, und damit gegen die Art. 263 und 264 AEUV verstoßen.

53.      Diese Rüge beschränkt sich darauf, diesen Umstand bloß zu behaupten und anzukündigen, dass dies in den folgenden Rügen näher ausgeführt werde. Sie hat daher keinen eigenen Gehalt und ist folglich zurückzuweisen.

3.      Vierte Rüge (D)

54.      Nach Ansicht der Rechtsmittelführer hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es davon ausgegangen sei, dass Art. 4 Abs. 3 der SSM-Verordnung für die Bestimmung des Begriffs des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut keinen ausdrücklichen Verweis auf das nationale Recht enthalte.

55.      Meiner Ansicht nach hat das Gericht nicht gegen Art. 4 Abs. 3 der SSM-Verordnung(24) verstoßen. Zwar wird in dieser Bestimmung festgelegt, welches Recht die EZB bei der Wahrnehmung ihrer Aufsichtsaufgaben im Rahmen des SSM anwenden muss. Die Vorschrift verweist jedoch im Hinblick auf die Auslegung eines durch das Unionsrecht eingeführten Begriffs wie des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung nicht auf das nationale Recht(25).

56.      In Bezug auf diesen Begriff enthalten weder Art. 15 der SSM-Verordnung noch Art. 22 der Richtlinie 2013/36 einen ausdrücklichen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten.

57.      Der Begriff des Erwerbs oder der Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung ist, wie das Gericht zutreffend ausgeführt hat(26), ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen ist. Die Einheitlichkeit würde untergraben, wenn jeder Mitgliedstaat diesen Begriff nach eigenem Ermessen definieren könnte.

58.      Dieser Schluss ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs: Aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes folgt, dass die Begriffe einer Bestimmung des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen(27).

59.      Im Ergebnis ist die vierte Rüge zurückzuweisen.

4.      Fünfte Rüge (E)

60.      Die Rechtsmittelführer rügen, das Gericht habe den Begriff „Erwerb einer qualifizierten Beteiligung“ mit dem Begriff „Veränderung der rechtlichen Struktur einer Beteiligung“ gleichgesetzt. Der zuletzt genannte Begriff, den das Gericht im angefochtenen Urteil verwendet habe(28), sei dem Unionsrecht fremd und könne in Fällen wie dem vorliegenden nicht verwendet werden.

61.      Die Kritik der Rechtsmittelführer an dieser Passage des angefochtenen Urteils ist begründet. Die Veränderung der rechtlichen Struktur einer Beteiligung ist ein Begriff, der weder in der Richtlinie 2013/36 noch in der SSM-Verordnung für die Beurteilung herangezogen wird, ob ein Erwerb oder eine Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung vorliegt. In deren Bestimmungen ist nicht vorgesehen, dass eine Veränderung der rechtlichen Struktur als Erwerb einer Beteiligung verstanden werden kann.

62.      Für die Beurteilung des Erwerbs oder der Erhöhung kommt es, wie ich im Folgenden erläutern werde, auf die Anzahl der erworbenen (oder von der Erhöhung umfassten) Beteiligungen an(29), nicht aber auf ihre rechtliche Struktur, ein Begriff, der überdies nicht klar definiert ist und bei dessen Anwendung eine gewisse Unsicherheit entsteht.

63.      Selbst wenn man annähme, dass Veränderungen der rechtlichen Struktur einer Beteiligung relevant wären, beträfe dies jedenfalls, wie ich bereits dargelegt habe, nur die Veränderungen, die nach der Einführung des SSM eingetreten sind, nicht aber frühere Veränderungen.

64.      Bei schon vor der Einführung des SSM bestehenden Beteiligungen ist die Genehmigung der EZB nur dann erforderlich, wenn der Erwerb der Beteiligung zu einer stärkeren Kontrolle des Erwerbers über das Finanzinstitut führt. Die Veränderung der rechtlichen Struktur der Beteiligung (falls man von einer Relevanz dieses neuen Begriffs ausginge, was ich nicht tue) bedarf keiner Genehmigung der EZB, wenn die qualifizierte Beteiligung stabil bleibt und sich nicht erhöht.

65.      Dies war vorliegend der Fall. Fininvest verfügte die ganze Zeit über eine qualifizierte Beteiligung an Mediolanum und damit an der Banca Mediolanum. Die umgekehrte Verschmelzung durch Aufnahme von Mediolanum in die Banca Mediolanum stellte eine interne Neuordnung der Rechtsstruktur der Unternehmensgruppe dar, aber Umfang und Intensität der Kontrolle von Fininvest(30) (und indirekt von Herrn Berlusconi) über dieses Finanzinstitut haben sich dadurch nicht verändert.

66.      Bei Transaktionen wie den hier in Rede stehenden, bei denen dieselben natürlichen und juristischen Personen im gleichen Umfang Kontrolle über und Einfluss auf das Kreditinstitut behalten, liegt kein Erwerb und auch keine Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung vor. Unter solchen Umständen darf die EZB das Verwaltungsverfahren zur Erteilung einer Genehmigung nicht einleiten.

67.      Der fünften Rüge ist daher stattzugeben.

5.      Sechste Rüge (F)

68.      Die Rechtsmittelführer werfen dem Gericht vor, einen Rechtsfehler begangen zu haben, soweit es festgestellt habe, dass für die Frage, ob ein Erwerb einer qualifizierten Beteiligung vorliege, relevant sei, ob die Beteiligung direkt oder indirekt gehalten werde.

69.      In Art. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 22 TUB sei lediglich vom Erwerb einer qualifizierten Beteiligung die Rede, sei es nun eine direkte oder eine indirekte Beteiligung. Darüber hinaus sei Herr Berlusconi (dessen fehlender guter Leumund der Anlass für den Beschluss der EZB gewesen sei) sowohl vor als auch nach der Verschmelzung und dem Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 3. März 2016 stets indirekt an dem Kreditinstitut beteiligt gewesen.

70.      Auch diese Rüge ist begründet. Aus Art. 2 Nr. 8 der SSM-Verordnung, Art. 4 Abs. 1 Nr. 36 der Verordnung Nr. 575/2013 und Art. 22 der Richtlinie 2013/36 lässt sich ableiten, dass das erste Kriterium im Rahmen der Prüfung, ob – direkt oder indirekt(31) – ein Erwerb oder eine Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung vorliegt, quantitativ ist.

71.      Der Erwerb muss nämlich mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte des Unternehmens umfassen(32), und für eine Erhöhung muss ein Anstieg auf mindestens 20 %, 30 % oder 50 % des Kapitals oder der Stimmrechte vorliegen. Die beiden anderen Kriterien (maßgeblicher Einfluss des Erwerbers auf die Geschäftsführung des Unternehmens oder dass das Kreditinstitut zum Tochterunternehmen des Erwerbers wird) kommen im vorliegenden Fall nicht in Frage.

72.      Anders gesagt, kann nach Art. 22 der Richtlinie 2013/36 die qualifizierte Beteiligung an einem Kreditinstitut direkt oder indirekt erworben oder erhöht werden, ohne dass die eine oder andere Art des Erwerbs (direkt oder indirekt) das Ergebnis beeinflusst.

73.      Entscheidend ist also nicht, ob der Erwerb der qualifizierten Beteiligung direkt oder indirekt erfolgt, sondern ob er in einer der beiden Arten vorliegt und in einem gewissen Umfang eine Kontrolle über oder Einflussnahme auf das Kreditinstitut ermöglicht.

74.      Von dieser Prämisse ausgehend, hat das Gericht Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 nicht richtig ausgelegt, soweit es der Änderung der Beteiligung von Fininvest an der Banca Mediolanum von einer indirekten in eine direkte Beteiligung infolge der umgekehrten Verschmelzung durch Aufnahme Bedeutung beigemessen hat(33).

75.      Zu Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 führt das Gericht aus: „[W]enn eine indirekt über zwei Gesellschaften gehaltene Beteiligung dann indirekt über eine einzige Gesellschaft gehalten wird, so kommt es zu einer Veränderung der rechtlichen Struktur der qualifizierten Beteiligung, so dass ein solcher Vorgang als Erwerb einer qualifizierten Beteiligung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist“(34).

76.      Dieser Argumentation, die sich einmal mehr auf den Begriff der Veränderung der rechtlichen Struktur der Beteiligung (den ich bereits als in diesem Zusammenhang unangebracht eingeordnet habe) stützt, kann nicht gefolgt werden. Seine Anwendung auf den vom Gericht festgestellten Sachverhalt ist auf die schon im Ansatz fehlerhafte Herangehensweise zurückzuführen.

77.      Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass das Gericht anerkannt hat, dass sich durch die Verschmelzung „die Höhe der qualifizierten Beteiligung der Kläger im Vergleich zu derjenigen, über die sie zuvor über Mediolanum verfügten, nicht geändert hat“(35). Mit anderen Worten hat der Übergang von einer indirekten zu einer direkten Beteiligung nichts an der Kontrolle von Fininvest über die Banca Mediolanum geändert, da Fininvest stets über 30,16 % der Aktien verfügte.

78.      Das gleiche Argument gilt erst recht für die Beteiligung von Herrn Berlusconi, die die ganze Zeit als indirekte qualifizierte Beteiligung an der Banca Mediolanum bestand(36).

79.      Wenn dies also der Fall ist(37), so folgt aus der fehlenden Relevanz des Übergangs von einer Art der Beteiligung (der direkten) zu einer anderen (der indirekten) in einem Fall wie dem vorliegenden, dass kein (neuer) Erwerb und keine Erhöhung der qualifizierten Beteiligung eingetreten ist. Unter diesen Umständen war ein Tätigwerden der EZB nicht erforderlich.

80.      Im Ergebnis ist der sechsten (und letzten) Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes stattzugeben.

VII. Zweiter Rechtsmittelgrund

A.      Vorbringen der Parteien

81.      Die Rechtsmittelführer beanstanden, dass das Gericht ihren zweiten Nichtigkeitsgrund zurückgewiesen habe, mit dem sie gerügt haben, dass die Anwendung der Art. 22 und 23 der Richtlinie 2013/36 auf vor mehr als 20 Jahren erworbene Beteiligungen am Gesellschaftskapital einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot darstelle.

82.      Obwohl das Gericht im angefochtenen Urteil festgestellt habe, dass die Richtlinie 2013/36 nicht auf den Erwerb qualifizierter Beteiligungen vor ihrem Inkrafttreten anwendbar sei, bestätige es in Wirklichkeit eine rückwirkende Anwendung auf den vorliegenden Fall. Insoweit bilde der mit dem ersten Rechtsmittelgrund gerügte Fehler die Grundlage der mit dem zweiten Rechtsmittelgrund geltend gemachten Rüge.

83.      Die EZB und die Kommission treten diesem Vorbringen entgegen.

B.      Würdigung

84.      Das Gericht hat zu Recht festgestellt, dass der Anwendungsbereich der Art. 22 und 23 der Richtlinie 2013/36 keine qualifizierten Beteiligungen umfasst, deren Erwerb vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erfolgt ist und die somit bereits gehalten wurden, sondern nur die nach dem Inkrafttreten der Richtlinie geplanten Entscheidungen über den Erwerb qualifizierter Beteiligungen(38).

85.      Wie die Rechtsmittelführer geltend machen, geht diese grundsätzliche Feststellung ins Leere, wenn, wie die Prüfung des ersten Rechtsmittelgrundes gezeigt hat, diese Bestimmungen der Richtlinie 2013/36 auf eine qualifizierte Beteiligung wie die von Fininvest an der Banca Mediolanum angewandt werden, an der es nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie im Verhältnis zu vorher keine wirklichen Änderungen (hinsichtlich des Umfangs der Kontrolle über und des Einflusses auf das Kreditinstitut) gegeben hat.

86.      Dem zweiten Rechtsmittelgrund ist daher stattzugeben.

VIII. Neunter Rechtsmittelgrund

A.      Vorbringen der Parteien

87.      Die Rechtsmittelführer rügen, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es die beiden neuen Nichtigkeitsgründe, die die Rechtswidrigkeit der vorbereitenden Handlungen der Banca d’Italia beträfen, für unzulässig erklärt habe(39).

88.      Der Rechtsfehler habe sich bei der Anwendung von Art. 84 der Verfahrensordnung des Gerichts auf die neuen Klagegründe ergeben, die auf das Urteil vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, gestützt worden seien.

89.      Es handele sich um einen offensichtlichen Beurteilungsfehler hinsichtlich des Vorliegens eines „neuen rechtlichen Gesichtspunkts“, verbunden mit einer unvollständigen und offensichtlich unlogischen Begründung und einem Begründungsmangel in Bezug auf die unterbliebene Prüfung der neuen Klagegründe von Amts wegen. Infolgedessen liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes und gegen Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) vor.

90.      Im Rahmen der Darlegung des Rechtsmittelgrundes tragen die Rechtsmittelführer Folgendes vor:

–      Die neuen Nichtigkeitsgründe wiesen einen engen sachlichen Zusammenhang mit den zuvor geltend gemachten Gründen auf.

–      Das Urteil vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, enthalte in großem Umfang neue Auslegungskriterien, die über die angeblich bloße Bestätigung einer früheren Rechtsprechung hinausgingen. Dieses Urteil enthalte eine erste Auslegung erga omnes der Befugnisse der EZB in diesem Bereich und eine Entscheidung über absolut neue und komplexe Fragen.

–      Die Feststellung der Unzulässigkeit dieser neuen Klagegründe verletze das Recht der Rechtsmittelführer auf effektiven und umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz. Um diesen Schutz zu gewährleisten, könne das Gericht diese Gründe gemäß Art. 84 seiner Verfahrensordnung sogar von Amts wegen prüfen.

91.      Die EZB und die Kommission treten diesem Vorbringen entgegen.

B.      Würdigung

92.      Im Urteil vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, hat der Gerichtshof Folgendes festgestellt:

–      Art. 263 AEUV steht dem entgegen, dass die nationalen Gerichte verfahrenseinleitende Handlungen, vorbereitende Handlungen oder nicht bindende Vorschläge, die die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen des Verfahrens zur Genehmigung des Erwerbs oder der Erhöhung einer qualifizierten Beteiligung vorgenommen haben, auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen(40).

–      Der Unionsrichter hat gemäß seiner auf der Grundlage von Art. 263 AEUV bestehenden ausschließlichen Zuständigkeit für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union über die Rechtmäßigkeit der von der EZB erlassenen endgültigen Entscheidung zu entscheiden und zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes der Beteiligten die etwaigen Mängel der vorbereitenden Handlungen oder Vorschläge der nationalen Behörden zu prüfen, die die Gültigkeit der endgültigen Entscheidung beeinträchtigen könnten(41).

93.      Nach der Veröffentlichung dieses Urteils und nach der Aufforderung des Gerichts, zu den sich daraus für die Klage ergebenden Auswirkungen Stellung zu nehmen(42), machten die Kläger zwei neue Nichtigkeitsgründe geltend, mit denen sie die Rechtmäßigkeit der vorbereitenden Handlungen der Banca d’Italia (insbesondere des Beschlusses über die Einleitung des Verfahrens und des der EZB vorgelegten Beschlussvorschlags) in Abrede stellten.

94.      Das Gericht hat diese beiden neuen Klagegründe für unzulässig erklärt, weil seiner Ansicht nach: a) kein enger Zusammenhang mit den in der Klageschrift enthaltenen Nichtigkeitsgründen bestand und b) das Urteil des Gerichtshofs nicht als ein rechtlicher Gesichtspunkt, der erst während des Verfahrens zutage getreten ist, im Sinne von Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts(43) angesehen werden konnte.

95.      Das Vorbringen der Rechtsmittelführer scheint mir begründet zu sein.

96.      Was das Fehlen eines engen Zusammenhangs zwischen den neuen und den ursprünglich in der Klageschrift enthaltenen Nichtigkeitsgründen anbelangt, bin ich der Ansicht, dass dieser Zusammenhang im angefochtenen Urteil hätte bejaht werden müssen.

97.      Zwar stellte die ursprüngliche Klage die Rechtswidrigkeit der vorbereitenden Handlungen der Banca d’Italia nicht in Frage. Wie der Gerichtshof jedoch im Urteil vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, festgestellt hat, erfolgt die Genehmigung des Erwerbs oder der Erhöhung qualifizierter Beteiligungen an Kreditinstituten im Rahmen eines zusammengesetzten Verwaltungsverfahrens, an dem die nationalen Behörden und die EZB beteiligt sind. Die EZB verfügt über die Befugnis zur abschließenden Entscheidung, was bedeutet, dass die ausschließliche Zuständigkeit für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der im Rahmen dieser Verfahren erlassenen Rechtsakte beim Gericht und beim Gerichtshof liegt.

98.      Folglich kann nicht geleugnet werden, dass zwischen den vorbereitenden Handlungen der nationalen Behörden und der abschließenden Handlung der EZB ein unmittelbarer und enger Zusammenhang besteht, da sie Bestandteile ein und desselben zusammengesetzten Verwaltungsverfahrens sind. Die Beurteilung der Gültigkeit der abschließenden Handlung (der EZB) kann davon abhängen, ob wesentliche Mängel der vorbereitenden Handlungen (der nationalen Behörden) vorliegen, was die Rechtsmittelführer vor dem Gericht geltend zu machen beabsichtigten.

99.      Auch im Hinblick auf die Berücksichtigung des Urteils vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, als ein neuer, erst während des Verfahrens zutage getretener rechtlicher Gesichtspunkt, der geeignet ist, die Einführung neuer Nichtigkeitsgründe zu rechtfertigen, sind die Ausführungen des Gerichts rechtsfehlerhaft.

100. Im angefochtenen Urteil hat das Gericht

–      auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs(44) verwiesen, wonach ein Urteil, das einen Rechtszustand bestätigt, der dem Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung bekannt war, nicht als ein Gesichtspunkt betrachtet werden kann, der es ermöglicht, einen neuen Klagegrund vorzubringen;

–      ergänzt, dass „ein im Laufe des Verfahrens ergangenes Urteil nicht als neuer Gesichtspunkt geltend gemacht werden kann, da das Unionsrecht in diesem Urteil grundsätzlich nur ex tunc ausgelegt wird“(45);

–      darauf hingewiesen, dass die Auslegung in Vorabentscheidungsurteilen nicht konstitutiver, sondern deklaratorischer Natur sei und Ex-tunc-Wirkung entfalte(46);

–      festgestellt, dass „[d]ie vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung … den Klägern zum Zeitpunkt [der Erhebung ihrer Nichtigkeitsklage] bekannt“(47) gewesen sei;

–      erklärt, dass das Urteil vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, „nicht als ein erst im Laufe des Verfahrens zutage getretener rechtlicher Gesichtspunkt im Sinne von Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung [des Gerichts] angesehen werden“(48) könne.

101. Ich halte diese Argumentation und die Schlussfolgerung, die das Gericht daraus zieht, nicht für richtig.

102. Das Gericht hat in anderen Urteilen selbst bestätigt, dass ein im Laufe des Verfahrens ergangenes Urteil des Gerichtshofs für die Einführung neuer Nichtigkeitsgründe relevant ist, wenn es neue Klarstellungen zu den anwendbaren Vorschriften enthält(49).

103. Die Urteile, die sich darauf beschränken, die frühere Rechtsprechung zu wiederholen, rechtfertigen sicherlich nicht die Einführung neuer Klagegründe. Etwas anderes gilt für Urteile des Gerichtshofs, in denen eine frühere Rechtsprechung weiterentwickelt oder eine neue Rechtsprechung entwickelt wird: In solchen Fällen können angesichts dieser Urteile in laufenden Nichtigkeitsverfahren neue Gründe eingeführt werden.

104. In diesem Sinne hat sich der Gerichtshof im besonderen Kontext der Richtlinie 2013/32/EU(50) geäußert. Er hat entschieden, dass ein von ihm erlassenes Urteil unter die Begriffe „neuer Umstand“ bzw. „neues Element“ im Sinne von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d und Art. 40 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie fallen kann(51). Dieser Feststellung steht nicht entgegen, dass Urteile in Vorabentscheidungsverfahren Extunc-Wirkung entfalten(52).

105. Das Urteil vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest, enthielt wichtige (und neue) Feststellungen zur gerichtlichen Überprüfung in im Rahmen der Bankenunion geschaffenen komplexen Verwaltungsverfahren, insbesondere in Verfahren zur Genehmigung des Erwerbs qualifizierter Beteiligungen. Dieses Urteil kann nicht als bloße Bestätigung einer früheren Rechtsprechung angesehen werden.

106. Bei Erhebung ihrer Klagen konnten Fininvest und Herr Berlusconi nicht im Voraus wissen, dass die vorbereitenden Handlungen der Banca d’Italia im Rahmen des Verfahrens zur Genehmigung des Erwerbs qualifizierter Beteiligungen ausschließlich vor dem Gericht und nicht vor den italienischen Gerichten angefochten werden mussten.

107. Folglich hat das Gericht die beiden neuen Nichtigkeitsgründe rechtsfehlerhaft für unzulässig erklärt.

108. Unter diesen Umständen beeinträchtigt die Unzulässigkeitserklärung das durch Art. 47 der Charta geschützte Recht der Kläger auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, da die Kläger daran gehindert wurden, etwaige Mängel, die die Rechtmäßigkeit der die abschließende Entscheidung vorbereitenden Handlungen beeinträchtigen, geltend zu machen, um deren Prüfung durch das Gericht zu erreichen.

109. Dem neunten Rechtsmittelgrund ist daher stattzugeben, was zusammen mit dem (teilweisen) Erfolg des ersten und dem Erfolg des zweiten Rechtsmittelgrundes die Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Folge hat.

IX.    Entscheidung über die vor dem Gericht erhobene Nichtigkeitsklage

110. Nach Art. 61 Abs. 1 seiner Satzung hebt der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

111. Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof über die erforderlichen Angaben, um endgültig über die Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der EZB vom 25. Oktober 2016 zu entscheiden.

112. Aus den in den vorstehenden Nummern dargelegten Gründen ist dem ersten Nichtigkeitsgrund, den die Kläger geltend gemacht haben, stattzugeben und der Beschluss der EZB vom 25. Oktober 2016 insgesamt für nichtig zu erklären.

X.      Kosten

113. Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

114. Nach Art. 138 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

115. Die Rechtsmittelführer haben beantragt, der EZB die Kosten aufzuerlegen. Wenn, wie ich vorschlage, ihren Rechtsmitteln stattgegeben wird, sind der EZB die Kosten aufzuerlegen, während die Kommission ihre eigenen Kosten zu tragen hat.

XI.    Ergebnis

116. Nach alldem schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

–      Den Rechtsmitteln wird stattgegeben und das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 11. Mai 2022, Fininvest und Berlusconi/EZB (T‑913/16, EU:T:2022:279), wird aufgehoben.

–      Der Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 25. Oktober 2016, ECB/SSM/2016 – 7LVZJ6XRIE7VNZ4UBX81/4, wird für nichtig erklärt.

–      Die Europäische Zentralbank trägt die Kosten und die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.






















































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