Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JEAN RICHARD DE LA TOUR
vom 11. Dezember 2025(1 )
Rechtssache C ‑791/24
TERVE Production spol. s r. o.
gegen
Intesa Sanpaolo Holding International SA
(Vorabentscheidungsersuchen des Najvyšší súd Slovenskej republiky [Oberstes Gericht der Slowakischen Republik])
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Internationale Zuständigkeit der Gerichte – Ersetzung der Zustimmung zum Entwurf für einen Aktienkaufvertrag durch eine gerichtliche Entscheidung – Besondere Zuständigkeit – Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag – Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist – Ausschließliche Zuständigkeit – Vorfrage der Gültigkeit eines Beschlusses eines Gesellschaftsorgans “
I. Einleitung
1. Der Gerichtshof ist mit Vorabentscheidungsfragen befasst, die die internationale Zuständigkeit der Gerichte für die gerichtliche Anfechtung auf dem Gebiet des Schutzes von Minderheitsaktionären betrifft, die nicht für die Einstellung der Börsennotierung einer Gesellschaft gestimmt haben, von der sie Aktien besitzen. Nach den slowakischen Rechtsvorschriften muss nämlich im Fall des Beschlusses einer solchen Einstellung ein Übernahmeangebot veröffentlicht werden, und die Gesellschaft oder ihr Mehrheitsaktionär, der das Angebot an ihrer Stelle abgegeben hat, hat nach Ablauf der Angebotsfrist das Recht, die Übernahme der verbliebenen Aktien zu verlangen. Umgekehrt können die Minderheitsaktionäre nach Ablauf derselben Frist den Ankauf ihrer Aktien verlangen.
2. Um diese Fragen zu beantworten, hat der Gerichtshof zum einen Art. 7 Nrn. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012(2 ) auszulegen, der besondere Zuständigkeitsvorschriften für die Feststellung enthält, ob die Klage auf Ersetzung der Annahme des von den Minderheitsaktionären vorgelegten Entwurfs für einen Aktienkaufvertrag durch den Mehrheitsaktionär einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag oder eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung zum Gegenstand hat. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich vorschlagen, diese Frage dahin zu beantworten, dass diese Klage einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne dieser Bestimmung betrifft.
3. Der Gerichtshof hat zum anderen zu entscheiden, ob Art. 24 Nr. 2 dieser Verordnung, der eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats vorsieht, in dem eine Gesellschaft ihren Sitz hat, wenn die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe angegriffen wird, auf eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung anwendbar ist, mit dem im Anschluss an das vom Mehrheitsaktionär ausgeübte Ausschlussrecht die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre beschlossen wurde, wenn die Entscheidung über diese Klage die Klagebefugnis dieser Minderheitsaktionäre bedingt. Ich werde dem Gerichtshof vorschlagen, diese Frage zu bejahen, wenn es dem nationalen Gericht nach den nationalen Rechtsvorschriften möglich ist, im in Rede stehenden Gerichtsverfahren über die Nichtigkeit des Beschlusses einer Hauptversammlung in Abwesenheit der betroffenen Gesellschaft zu befinden.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
4. In den Erwägungsgründen 13 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:
„(13) Zwischen den Verfahren, die unter diese Verordnung fallen, und dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten muss ein Anknüpfungspunkt bestehen. Gemeinsame Zuständigkeitsvorschriften sollten demnach grundsätzlich dann Anwendung finden, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat.
…
(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. …“
5. Art. 4 Abs. 1 in Kapitel II Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) dieser Verordnung lautet:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“
6. Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) dieses Kapitels enthält Art. 7, dessen Nrn. 1 und 2 Folgendes bestimmen:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;
…
2. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“.
7. Abschnitt 6 („Ausschließliche Zuständigkeiten“) dieses Kapitels besteht aus Art. 24, dessen Nr. 2 Folgendes vorsieht:
„Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien sind folgende Gerichte eines Mitgliedstaats ausschließlich zuständig:
…
2. für Verfahren, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat. Bei der Entscheidung darüber, wo der Sitz sich befindet, wendet das Gericht die Vorschriften seines Internationalen Privatrechts an“.
B. Slowakisches Recht
8. Gemäß § 118i Abs. 1 des Zákon č. – 566/2001 Z. z. o cenných papieroch a investičných službách a o zmene a doplnení niektorých zákonov (zákon o cenných papieroch) (Gesetz Nr. 566/2001 über Wertpapiere und Investitionsdienstleistungen sowie zur Änderung bestimmter Gesetze [Wertpapiergesetz]) vom 9. November 2001 in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Wertpapiergesetz) hat ein Bieter, der ein obligatorisches Übernahmeangebot veröffentlicht hat, das weder ein Teilübernahmeangebot noch ein bedingtes Übernahmeangebot ist, das Recht zu verlangen, dass die Aktien aller übrigen Aktionäre (im Folgenden: übrige Aktionäre) der Zielgesellschaft gegen eine angemessene Gegenleistung auf ihn übertragen werden (im Folgenden: Ausschlussrecht), sofern ihm Aktien gehören, deren Gesamtnennbetrag mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals der Zielgesellschaft ausmacht und mindestens 95 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft entspricht. Der Bieter kann das Ausschlussrecht nur innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Frist für das in Satz 1 genannte Übernahmeangebot geltend machen; andernfalls erlischt es.
9. Nach § 118i Abs. 6 des Wertpapiergesetzes ist für die Verabschiedung des Beschlusses der Hauptversammlung über die Übertragung der Aktien aller übrigen Aktionäre auf den Bieter die Zustimmung von mindestens 95 % der Stimmen aller Aktionäre der Gesellschaft erforderlich. Über den Ablauf der Hauptversammlung wird ein Protokoll in Form einer notariellen Urkunde erstellt. Der Vorstand der Zielgesellschaft hat innerhalb von 30 Tagen, nachdem die Hauptversammlung den Beschluss nach Satz 1 gefasst hat, dessen Eintragung in das Handelsregister zu beantragen. Der Antrag auf Eintragung in das Handelsregister umfasst auch den Beschluss der Národná banka Slovenska (Slowakische Nationalbank) über die Erteilung der vorherigen Zustimmung zur Ausübung des Ausschlussrechts sowie die Bestätigung der Hinterlegung der für die Auszahlung der Leistungen an die übrigen Aktionäre bestimmten Mittel. Mit der Verabschiedung des Beschlusses der Hauptversammlung über die Übertragung der Aktien aller übrigen Aktionäre auf den Bieter gilt das Ausschlussrecht als ausgeübt.
10. Gemäß § 118i Abs. 8 des Wertpapiergesetzes werden nach Ablauf von 30 Tagen nach der Eintragung des Beschlusses der Hauptversammlung gemäß § 118i Abs. 6 in das Handelsregister die Aktien der Zielgesellschaft von den übrigen Aktionären auf den Bieter übertragen. Die in Satz 1 genannte Übertragung des Aktienbesitzes ist ein Rechtstatbestand und wird an dem Tag, an dem sie erfolgt, in das gesetzliche Wertpapierregister auf der Grundlage eines Auftrags zur Registrierung der Übertragung eingetragen, den die Zielgesellschaft bei der Centrálny depozitár cenných papierov Slovenskej republiky (Zentrale Wertpapierverwahrstelle der Slowakei) einreicht, die Aktienemissionen im Register des Emittenten einträgt. Grundlage für die Eintragung der Übertragung aufgrund des Ausschlussrechts sind der Beschluss der Hauptversammlung gemäß § 118i Abs. 6 des Wertpapiergesetzes, die vorherige Zustimmung der slowakischen Nationalbank zur Ausübung des Ausschlussrechts gemäß dessen Abs. 4 sowie der Auszug aus dem Handelsregister der Zielgesellschaft nach der Eintragung des Beschlusses der Hauptversammlung gemäß dessen Abs. 6.
11. § 118j des Wertpapiergesetzes bestimmt:
„(1) Sind die in § 118i Abs. 1 genannten Umstände eingetreten, so ist ein Aktionär, der verbleibende Aktien der Zielgesellschaft hält, berechtigt, von dem Bieter … zu verlangen, dass er seine Aktien gegen eine angemessene Gegenleistung erwirbt.
(2) Das in Abs. 1 genannte Recht kann von dem verbleibenden Aktionär innerhalb von drei Monaten nach Ablauf des Übernahmeangebots ausgeübt werden; andernfalls erlischt das Recht. Der verbleibende Aktionär übt dieses Recht durch Übersendung eines Entwurfs eines Aktienkaufvertrags aus. Der Vertragsentwurf muss insbesondere enthalten:
a) die verlangte angemessene Gegenleistung in Geld oder in Wertpapieren,
b) die Frist für die Annahme des Vertragsentwurfs,
c) die Frist und das Verfahren für die Durchführung der Übertragung der Wertpapiere.
(3) Der [Bieter] nimmt den Vertragsentwurf innerhalb der darin angegebenen Frist oder andernfalls innerhalb von zehn Arbeitstagen nach dessen Zustellung an. Nimmt [er] den Vertragsentwurf innerhalb dieser Frist nicht an, so kann der Berechtigte bei Gericht beantragen, die Annahme des Vertragsentwurfs durch eine gerichtliche Entscheidung zu ersetzen. Dieses Recht muss innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der in Satz 1 genannten Frist ausgeübt werden; andernfalls erlischt es.
(4) Der [Bieter] kann unmittelbar nach Zustellung des Vertragsentwurfs bei Gericht beantragen, die Angemessenheit der verlangten Gegenleistung zu prüfen. Dieses Recht erlischt, wenn es nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Vertragsentwurfs ausgeübt wird.
Wurde die Höhe der Gegenleistung nicht durch ein Sachverständigengutachten festgelegt, so liegt die Beweislast für die Angemessenheit der vorgeschlagenen Gegenleistung bei dem Berechtigten.
(5) Die Vorschriften von § 118i sind entsprechend anzuwenden.“
12. Gemäß § 119 Abs. 1 des Wertpapiergesetzes muss ein Emittent börsennotierter Aktien, dessen Hauptversammlung beschließt, dass die Börsennotierung der von ihm ausgegebenen Aktien eingestellt wird, ein obligatorisches Übernahmeangebot zum Erwerb aller börsennotierten Aktien der Aktionäre, die in der Hauptversammlung nicht für den Beschluss über die Einstellung der Börsennotierung gestimmt haben oder die an der Hauptversammlung nicht teilgenommen haben, veröffentlichen. In dem obligatorischen Übernahmeangebot wird der Grund für die Veröffentlichung dieses Angebots, nämlich der Beschluss der Hauptversammlung der Gesellschaft über die Einstellung der Börsennotierung angegeben.
13. Laut § 119 Abs. 3 des Wertpapiergesetzes gilt die in dessen Abs. 1 genannte Pflicht als gewahrt, wenn ein obligatorisches Übernahmeangebot zum Erwerb aller Aktien von Aktionären, die in der Hauptversammlung nicht für den Beschluss über die Einstellung der Börsennotierung gestimmt haben, von einer anderen Person als dem Emittenten dieser Aktien veröffentlicht wird.
14. Gemäß § 119 Abs. 6 des Wertpapiergesetzes kann ein gemäß § 119 Abs. 1 dieses Gesetzes in Verbindung mit dessen § 170 Abs. 3 abgegebenes obligatorisches Übernahmeangebot nur dann der Ausübung des Ausschlussrechts gemäß § 118i des Wertpapiergesetzes vorausgehen, wenn es sich bei der Person, die dieses Angebot abgibt, um eine Person nach § 119 Abs. 3 dieses Gesetzes handelt und es sich weder um ein Teilübernahmeangebot noch um ein bedingtes Übernahmeangebot handelt.
III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefragen
15. Am 18. Dezember 2020 fasste die Hauptversammlung der in der Slowakei ansässigen VÚB a. s. einen Beschluss über die Einstellung der Börsennotierung der Aktien dieser Gesellschaft.
16. In Anwendung slowakischen Rechts übernahm die Mehrheitsaktionärin der VÚB, die Gesellschaft Intesa Sanpaolo Holding International SA (im Folgenden: Intesa), die ihren Sitz in Luxemburg hat, freiwillig die Verpflichtung des Emittenten, d. h. der VÚB, ein Übernahmeangebot für alle Aktien derjenigen Aktionäre zu veröffentlichen, die bei der Hauptversammlung nicht für den Beschluss über die Einstellung der Börsennotierung gestimmt hatten oder die an der Hauptversammlung nicht teilgenommen hatten. Zu diesen übrigen Aktionären gehörte die TERVE Production spol. s r. o. (im Folgenden: TERVE), die ihren Sitz in der Slowakei hat. In ihrem Übernahmeangebot erklärte Intesa, dass Aktienkaufverträge im Rahmen dieses Übernahmeangebots dem slowakischen Recht unterlägen und dass für die Entscheidung von Streitigkeiten aus diesen Verträgen die slowakischen ordentlichen Gerichte zuständig seien. Am 19. April 2021 genehmigte die Hauptversammlung der VÚB (im Folgenden: zweite Hauptversammlung) die Übertragung aller Aktien der übrigen Aktionäre der VÚB auf Intesa.
17. TERVE erhob am 18. August 2021 Klage beim Okresný súd Bratislava V (Bezirksgericht Bratislava V, Slowakei), um im Anschluss an das Übernahmeangebot eine Entscheidung zur Ersetzung der Annahme ihres Entwurfs für einen Aktienkaufvertrag durch Intesa zu erwirken. In Bezug auf die Zuständigkeit der slowakischen Gerichte berief sie sich auf Art. 7 Nr. 1 und Art. 25 der Verordnung Nr. 1215/2012. Intesa erhob eine Einrede der Unzuständigkeit. Mit Beschluss vom 28. Februar 2022 gab der Okresný súd Bratislava V (Bezirksgericht Bratislava V) Intesa Recht und erklärte sich zur Entscheidung über den Rechtsstreit für unzuständig, weil zwischen den Parteien kein Vertrag und keine Gerichtsstandsvereinbarung zustande gekommen sei.
18. Mit Beschluss vom 26. Oktober 2023 hob der Krajský súd v Bratislave (Regionalgericht Bratislava, Slowakei) den angefochtenen Beschluss auf, wobei er auf die enge Verbindung zwischen dem Rechtsstreit auf der einen und der Rechtsordnung sowie den slowakischen Gerichten auf der anderen Seite abstellte, da Intesa Aktionärin einer slowakischem Gesellschaft slowakischen Rechts mit Sitz in der Slowakei sei und die zentrale slowakische Wertpapierverwahrstelle das Register der Aktien dieser Gesellschaft führe. Ferner sei nicht Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 anwendbar, weil zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis bestehe, sondern Art. 7 Nr. 2 dieser Verordnung.
19. Intesa legte beim Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik), dem vorlegenden Gericht, eine Rechtsbeschwerde ein und bestritt die Zuständigkeit der slowakischen Gerichte. In Anwendung des in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 aufgestellten Grundsatzes seien die luxemburgischen Gerichte zuständig, da sie selbst ihren Sitz in Luxemburg habe. Die Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 1 dieser Verordnung sei nicht gegeben, weil zwischen TERVE und ihr kein Vertragsverhältnis bestehe. Auch Art. 24 Nrn. 2 und 4 dieser Verordnung könne die Zuständigkeit der slowakischen Gerichte nicht begründen, weil der Gegenstand des Verfahrens nicht zu den in diesen Bestimmungen abschließend aufgeführten Angelegenheiten gehöre. Das obligatorische Übernahmeangebot sei für die Begründung der Zuständigkeit irrelevant, da es nicht angenommen worden sei und das Angebot abgelaufen sei. Intesa beanstandet, dass der Krajský súd v Bratislave (Regionalgericht Bratislava) Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 als Rechtsgrundlage herangezogen habe, weil die gegen sie gerichtete Klage keinen Anspruch auf Schadensersatz zum Gegenstand habe.
20. Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die Entscheidung über die beiden durch die besonderen Umstände der Rechtssache aufgeworfenen Probleme anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung der Art. 7 und 24 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht möglich sei. Zum einen habe das Verfahren die Ersetzung der Willenserklärung der Intesa im Rahmen des von TERVE ausgeübten Andienungsrechts zum Gegenstand, nachdem Intesa freiwillig ein Übernahmeangebot veröffentlicht habe. Zum anderen werfe TERVE die Frage nach der Nichtigkeit bzw. Nichtexistenz des Beschlusses der zweiten Hauptversammlung der VÚB auf, mit dem die Übertragung aller verbliebenen Aktien genehmigt worden sei.
21. Unter diesen Umständen hat der Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass eine Klage auf Ersetzung der Annahme des Entwurfs der Klägerin für einen Aktienkaufvertrag durch eine gerichtliche Entscheidung einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ zum Gegenstand hat?
2. Falls die erste Frage verneint wird: Ist Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass eine Klage auf Ersetzung der Annahme des Entwurfs der Klägerin für einen Aktienkaufvertrag durch eine gerichtliche Entscheidung als Klage in Bezug auf eine „unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder [auf] Ansprüche aus einer solchen Handlung“ anzusehen ist?
3. Ist Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass er auch auf das Ausgangsverfahren anwendbar ist, da die Klägerin beantragt, dass das Gericht im Ausgangsverfahren als Vorfrage ihren Einwand der Nichtexistenz oder Nichtigkeit des Beschlusses der Hauptversammlung, mit dem die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre (einschließlich der Aktien der Klägerin) auf die Beklagte genehmigt wurde, prüft?
IV. Würdigung
A. Vorbemerkungen
1. Vorbemerkungen zur Verordnung Nr. 1215/2012
22. Es sei darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass, da die Verordnung Nr. 1215/2012 die Verordnung (EG) Nr. 44/2001(3 ) ersetzt hat, die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Verordnung Nr. 44/2001 auch für die Verordnung Nr. 1215/2012 gilt, soweit die Bestimmungen dieser Unionsrechtsakte als gleichwertig angesehen werden können. Dies ist insbesondere nicht nur bei Art. 5 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 und Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012(4 ) der Fall, sondern auch bei Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 und Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012.
23. Zudem bezweckt die Verordnung Nr. 1215/2012, die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen durch Zuständigkeitsvorschriften zu vereinheitlichen, die in hohem Maß vorhersehbar sind, und verfolgt auf diese Weise einen Zweck der Rechtssicherheit, der darin besteht, den Rechtsschutz der in der Europäischen Union ansässigen Personen in der Weise zu verbessern, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und ein Beklagter vorhersehen kann, vor welchem Gericht er verklagt werden kann(5 ).
24. So stellt Art. 4 dieser Verordnung den Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzmitgliedstaats des Beklagten auf. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass die Regeln über besondere und ausschließliche Zuständigkeiten als Ausnahmen von diesem Grundsatz eng auszulegen sind nicht weiter ausgelegt werden dürfen, als es ihre Zielsetzung erfordert(6 ).
2. Vorbemerkungen zum Ausschlussrecht und zum Andienungsrecht im slowakischen Recht
25. Nach dem Wertpapiergesetz ist eine andere Person als der Emittent, die ein Übernahmeangebot für alle börsennotierten Aktien veröffentlicht hat, das weder ein Teilübernahmeangebot noch ein bedingtes Übernahmeangebot ist, im Anschluss an den Beschluss der Hauptversammlung über die Einstellung der Börsennotierung der Aktien an Stelle des Emittenten berechtigt zu verlangen, dass die verbliebenen Aktien der übrigen Aktionäre gegen eine angemessene Gegenleistung auf sie übertragen werden, sofern sie über mindestens 95 % der stimmberechtigten Aktien und mindestens 95 % der Stimmrechte verfügt.
26. Zur Geltendmachung dieses Ausschlussrechts muss der Aktionär innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Gültigkeitsfrist für das Übernahmeangebot die Zustimmung der Hauptversammlung zur Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre auf ihn mit mindestens 95 % der Stimmen erwirken. Der Vorstand hat innerhalb von 30 Tagen nach der Beschlussfassung die Eintragung in das Handelsregister zu beantragen; beizufügen sind der Beschluss der slowakischen Nationalbank über die Erteilung der vorherigen Zustimmung sowie der Nachweis der Hinterlegung der für die Auszahlung der angemessenen Gegenleistung an die übrigen Aktionäre bestimmten Mittel. Nach Ablauf einer neuen Frist von 30 Tagen nach der Eintragung in das Handelsregister reicht die Gesellschaft im Namen des Bieters bei der zentralen Wertpapierverwahrstelle den Auftrag zur Registrierung der Übertragung der verbliebenen Aktien der übrigen Aktionäre ein. Diesem Auftrag sind der Beschluss der Hauptversammlung über die Übertragung, die vorherige Zustimmung der slowakischen Nationalbank sowie der Auszug aus dem Handelsregister beizufügen.
27. Um die etwaige Säumnis der Person, die das Übernahmeangebot veröffentlicht hat, auszugleichen, sieht das Wertpapiergesetz vor, dass die übrigen Aktionäre innerhalb derselben Frist von drei Monaten nach Ablauf der Frist für das Übernahmeangebot von dieser Person den Erwerb ihrer Aktien gegen eine angemessene Gegenleistung verlangen können. Diese Aktionäre müssen den Entwurf eines Aktienkaufvertrags übersenden, der die angemessene Gegenleistung, die Annahmefrist sowie die Frist und das Verfahren für die Durchführung der Übertragung der Aktien enthalten muss. Wird der Vertragsentwurf nicht innerhalb der darin angegebenen Frist oder andernfalls innerhalb von zehn Arbeitstagen angenommen, so können die Aktionäre bei Gericht beantragen, die Annahme durch eine gerichtliche Entscheidung zu ersetzen.
28. In diesem rechtlichen Rahmen hat Intesa an Stelle der VÚB freiwillig ein Übernahmeangebot veröffentlicht und nach Ablauf der Dreimonatsfrist ihr Ausschlussrecht ausgeübt, das seinen materiellen Ausdruck in der Übertragung der verbliebenen Aktien auf ihren Namen gefunden hat. Parallel dazu übersandte TERVE in Ausübung ihres Andienungsrechts Intesa den Entwurf eines Aktienkaufvertrags, den Intesa nicht annahm. Intesa begründete ihre Weigerung damit, dass die verbliebenen Aktien von TERVE, da sie das Übernahmeangebot von Intesa nicht innerhalb der zwingenden Dreimonatsfrist angenommen habe, auf Intesa übertragen worden seien und TERVE daher keine Klagebefugnis mehr als Aktionärin besitze und die Möglichkeit verloren habe, das obligatorische Übernahmeangebot anzunehmen.
B. Fragen zu den besonderen Zuständigkeiten gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 1215/2012
29. Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen behandelt werden können, möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob die Klage bei Gericht auf Ersetzung der Annahme des Entwurfs für einen Aktienkaufvertrag, die gegen den Aktionär gerichtet ist, der im Anschluss an den Beschluss über die Einstellung der Börsennotierung der Aktien des Emittenten an dessen Stelle ein obligatorisches Übernahmeangebot veröffentlicht hat, einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 oder eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 dieser Verordnung zum Gegenstand hat.
30. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Begriffe „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ und „unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ autonom und hauptsächlich unter Berücksichtigung der Systematik und der Zielsetzungen dieser Verordnung auszulegen sind, um deren einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu sichern. Diese Begriffe lassen sich deshalb nicht als Verweisung darauf verstehen, wie das dem nationalen Gericht unterbreitete Rechtsverhältnis nach dem anwendbaren nationalen Recht zu qualifizieren ist(7 ).
31. Der Gerichtshof hat dem hinzugefügt, dass sich die Wendung „unerlaubte Handlung oder … Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 auf jede Klage bzw. jeden verfahrenseinleitenden Antrag bezieht, mit der bzw. dem eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht werden soll und die bzw. der nicht an einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a dieser Verordnung anknüpft, da sie bzw. er nicht auf eine rechtliche Verpflichtung gestützt ist, die eine Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangen ist(8 ).
32. Da der Gerichtshof aus der Wendung „unerlaubte Handlung oder … Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ einen Begriff macht, der nur dann greift, wenn der Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ nicht einschlägig ist, werde ich meine Prüfung mit dem letztgenannten Begriff beginnen.
33. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht den Abschluss eines Vertrags, sondern setzt vielmehr eine von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung voraus(9 ).
34. Der Gerichtshof hat dies um vier Klarstellungen ergänzt, die nach meinem Eindruck für die Beantwortung der im vorliegenden Fall gestellten Fragen von Bedeutung sind.
35. Als Erstes hat er anerkannt, dass bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts die Satzung einer Gesellschaft als Vertrag anzusehen ist, der sowohl die Beziehungen zwischen den Aktionären als auch die Beziehungen zwischen diesen und der von ihnen gegründeten Gesellschaft regelt(10 ). Diese Gedankenführung hat er zum einen auf den Fall von Vereinsmitgliedern ausgedehnt, weil der Beitritt zu einem Verein zwischen den Mitgliedern enge Bindungen gleicher Art schafft, wie sie zwischen den Parteien eines Vertrags bestehen(11 ), und zum anderen auf den Fall von Miteigentümern, denn jeder Miteigentümer erklärt sich dadurch, dass er Miteigentümer einer Liegenschaft wird und bleibt, damit einverstanden, dass sämtliche Bestimmungen des Miteigentumsvertrags sowie die von der Hauptversammlung der Miteigentümer dieses Gebäudes angenommenen Entscheidungen für ihn gelten(12 ).
36. Als Zweites hat der Gerichtshof darauf erkannt, dass die in Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehene besondere Zuständigkeitsregel für Ansprüche aus einem Vertrag auf der Grundlage der Klage und nicht auf der Identität der Parteien beruht(13 ). Er hat daraus abgeleitet, dass die Gläubigeranfechtungsklage dann unter „Ansprüche aus einem Vertrag“ fällt, wenn sie auf der Grundlage von Forderungen erhoben wird, die aus Verpflichtungen entstanden sind, die mit dem Abschluss eines Vertrags übernommen wurden, und dass der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten somit um den von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 zugelassenen zu ergänzen ist, da ein solcher Gerichtsstand im Hinblick auf den vertraglichen Ursprung der Beziehungen zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner sowohl dem Grundsatz der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit als auch dem Ziel einer geordneten Rechtspflege entspricht(14 ). Im Urteil vom 4. Oktober 2018, Feniks(15 ), ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gläubiger bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts den Ort wählen konnte, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre(16 ). Im Übrigen hat der Gerichthof auf dem Gebiet der Beförderung im Luftverkehr entschieden, dass Art. 3 Abs. 5 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004(17 ), wonach dann, wenn ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung erfüllt, davon ausgegangen wird, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht, und somit davon auszugehen ist, dass dieses Luftfahrtunternehmen Verpflichtungen erfüllt, die es gegenüber dem Vertragspartner der betreffenden Fluggäste freiwillig eingegangen ist. Diese Verpflichtungen finden ihren Ursprung in dem Vertrag über eine Beförderung im Luftverkehr(18 ). Daraus hat er gefolgert, dass der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag“ auch eine von Fluggästen auf der Grundlage dieser Verordnung erhobene Klage auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung bei einer aus mehreren Teilstrecken bestehenden Flugreise umfasst, die sich gegen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen richtet, das nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggasts ist(19 ).
37. Als Drittes hat der Gerichtshof festgestellt, dass „Ansprüche aus einem Vertrag“ doppelten, nämlich gesetzlichen und vertraglichen Ursprungs sein können. So hat er entschieden, dass die Mitgliedschaft in der Eigentümergemeinschaft zwar gesetzlich vorgeschrieben ist, die Einzelheiten der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums jedoch gegebenenfalls durch Vertrag geregelt werden, und der Eintritt in die Eigentümergemeinschaft durch freiwilligen Erwerb einer Eigentumswohnung samt Miteigentumsanteilen an den gemeinschaftlichen Bereichen erfolgt, so dass es sich bei der Verpflichtung der Miteigentümer gegenüber der Eigentümergemeinschaft um eine freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung einer Person gegenüber einer anderen handelt(20 ).
38. Als Viertes hat der Gerichtshof entschieden, dass der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag“ auch den Fall einer Klage umfasst, die erhoben wird, um von dem gewerbsmäßigen Verkäufer den scheinbar gewonnenen Preis, dessen Auszahlung von diesem verweigert wird, gerichtlich einzufordern, da diese Klage ihre Grundlage gerade in der streitigen Gewinnzusage hat und der vermeintlich Begünstigte deren Nichterfüllung geltend macht, um seine Klage zu begründen(21 ).
39. Dieser Rückblick auf die Rechtsprechung sollte meines Erachtens den Gerichtshof in die Lage versetzen, den Gegenstand der von TERVE gegen Intesa erhobenen Klage als „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ einzustufen.
40. Diese beiden Gesellschaften sind nämlich Aktionäre ein und derselben Gesellschaft, VÚB, und das Übernahmeangebotsverfahren mit der Folge des Ausschlussrechts bzw. des Andienungsrechts soll im Fall eines Beschlusses über die Einstellung der Börsennotierung der Aktien die Rechte der Minderheitsaktionäre schützen. Deshalb ist grundsätzlich der Emittent der Aktien, der in einer Vertragsbeziehung zu seinen Aktionären steht, zur Veröffentlichung eines Übernahmeangebots verpflichtet.
41. Zudem hat Intesa aus freien Stücken beschlossen, an Stelle des Emittenten, also VÚB, deren Beziehungen zu ihren Aktionären vertraglicher Natur sind, ein solches Angebot abzugeben. Es wäre inkonsequent, wenn der Rechtsstreit über das Recht des Minderheitsaktionärs, seine Aktien im Fall einer Einstellung der Börsennotierung veräußern zu können, hier nach Maßgabe dessen in die Zuständigkeit der slowakischen oder der luxemburgischen Gerichte fiele, wie sich Intesa in der Frage der Abgabe eines Übernahmeangebots entscheidet. Es wäre ebenso inkonsequent, dass, sollten das Ausschlussrecht und das Andienungsrecht innerhalb derselben Frist ausgeübt und angefochten werden, die Rechtsstreitigkeiten dann in die Zuständigkeit in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässiger Gerichte fielen, wenn der Aktionär, der das Übernahmeangebot veröffentlicht hat, seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat als der Emittent.
42. Darüber hinaus ist der Umstand, dass die Verpflichtung, im Fall der Einstellung der Börsennotierung der Aktien ein Übernahmeangebot mit der Folge des Ausschlussrechts und des Andienungsrechts zu veröffentlichen, gesetzlichen Ursprungs ist, nicht geeignet, die Einstufung der Verpflichtung als eine vertragliche in Frage zu stellen. Wie ich bereits ausgeführt habe(22 ), kann eine solche Verpflichtung nämlich vertraglichen und gesetzlichen Ursprungs sein. Die gesetzliche Verpflichtung gilt jedoch nur, weil eine Verpflichtung vertraglicher Natur besteht. Im vorliegenden Fall haben die Aktionäre der VÚB für die Einstellung der Börsennotierung gestimmt, was zur Begründung der gesetzlichen Verpflichtung geführt hat, ein Übernahmeangebot zu veröffentlichen. Daraufhin hat Intesa als Inhaberin von mindestens 95 % der stimmberechtigten Aktien und 95 % der Stimmrechte freiwillig dieses Angebot an Stelle der VÚB veröffentlicht, was für sie die gesetzliche Verpflichtung begründet hat, das Ausschlussrecht auszuüben oder sich dem Andienungsrecht zu unterwerfen.
43. Schließlich bedeutet die Weigerung, einer gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen, nicht, dass kein Fall eines Vertrags oder von Ansprüchen aus einem Vertrag vorliegt. Daher bedeutet der Umstand, dass Intesa, die aus freien Stücken bereit war, ein Übernahmeangebot zu veröffentlichen, sich weigert, das Angebot von TERVE zum Kauf ihrer Aktien anzunehmen, nicht, dass nicht ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand dieses Angebots bilden.
44. Demnach hat diese Handlung der TERVE gegenüber Intesa einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag und nicht eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung im Sinne der Verordnung Nr. 1215/2012 zum Gegenstand.
45. Dem vorlegenden Gerich ist daher zu antworten, dass Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass eine Klage auf Ersetzung der Annahme des Entwurfs eines Minderheitsaktionärs für einen Aktienkaufvertrag seitens des Aktionärs, der im Anschluss an den Beschluss der Aktionärshauptversammlung über die Einstellung der Börsennotierung der Aktien an Stelle des Emittenten ein Übernahmeangebot veröffentlicht hat, durch eine gerichtliche Entscheidung einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag zum Gegenstand hat.
C. Frage zur ausschließlichen Zuständigkeit gemäß Art. 24 der Verordnung Nr. 1215/2012
46. Mit seiner dritten Vorabentscheidungsfrage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass er auf eine Klage anwendbar ist, mit der die Gültigkeit des Beschlusses einer Hauptversammlung angegriffen wird, mit dem im Anschluss an ein an Stelle des Emittenten vom Mehrheitsaktionär freiwillig veröffentlichtes Übernahmeangebot die Übertragung der verbliebenen Aktien auf diesen genehmigt wurde, wenn diese Klage eine Vorfrage zu der Klage darstellt, mit der eine gerichtliche Entscheidung zur Ersetzung der Annahme des Entwurfs für einen Aktienkaufvertrag durch den Mehrheitsaktionär beantragt wird.
47. Mit der Kommission bin ich der Ansicht, dass diese Frage nur dann relevant ist, wenn nach slowakischem Recht das Gericht, bei dem eine Klage auf Ersetzung der Annahme eines Entwurfs für einen Aktienkaufvertrag durch den Mehrheitsaktionär anhängig ist, über die Gültigkeit des Beschlusses einer Hauptversammlung befinden darf, ohne dass die Gesellschaft, deren Beschluss angegriffen wird, Partei des Rechtsstreits ist.
48. Für den Fall, dass dem so sein sollte, schlage ich folgende Würdigung vor.
49. Es sei daran erinnert, dass Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 „für Verfahren, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben“, eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats vorsieht, in dem die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat.
50. Im vorliegenden Fall geht es hier um den Begriff „Gültigkeit des Beschlusses eines Organs einer Gesellschaft“, dessen Umrisse der Gerichthof bereits bei der Auslegung von Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 zu bestimmen hatte, deren Bestimmungen in Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 übernommen worden sind(23 ).
51. Insoweit hat er darauf hingewiesen, dass Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 hauptsächlich den Zweck verfolgt, die Zuständigkeit an einem Ort zu lokalisieren, um einander widersprechende Entscheidungen über die Gültigkeit der Beschlüsse der Organe von Gesellschaften zu verhindern(24 ). Diese Lokalisierung an einem Ort ist bei den Gerichten des Mitgliedstaats vorgesehen, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, da diese Gerichte am besten in der Lage sind, über die entsprechenden Streitigkeiten zu entscheiden, vor allem deswegen, weil die Förmlichkeiten der Publizität für die Gesellschaft und ihre Beschlüsse in diesem Staat erfüllt werden. Die ausschließliche Zuständigkeit ist diesen Gerichten daher im Interesse einer geordneten Rechtspflege zugewiesen worden(25 ).
52. Sollte TERVE gegen VÚB auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der zweiten Hauptversammlung klagen, wären daher zweifellos die slowakischen Gerichte zuständig.
53. Da es sich bei dieser ausschließlichen Zuständigkeit um eine Ausnahme von der in Art. 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 aufgestellten allgemeinen Zuständigkeitsregel handelt, ist sie eng auszulegen(26 ).
54. Aufgrund dieser engen Auslegung ist davon auszugehen, dass Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass er nur Rechtsstreitigkeiten erfasst, die in erster Linie die Gültigkeit von Beschlüssen der Organe von Gesellschaften betreffen(27 ).
55. Dementsprechend ist zu prüfen, ob im Rahmen einer Klage auf Ersetzung der Annahme des Entwurfs für einen Aktienkaufvertrag die Vorfrage der Gültigkeit des Beschlusses der Hauptversammlung, mit dem die Übertragung der verbliebenen Aktien auf denjenigen beschlossen wurde, der das Ausschlussrecht ausgeübt hat, den Hauptgegenstand des Rechtsstreits bilden kann.
56. Die Klagebefugnis der TERVE hängt nämlich unmittelbar von der Gültigkeit des Beschlusses der zweiten Hauptversammlung ab, da – sollte er nichtig sein – die Übertragung der Aktien auf Intesa in Frage steht und TERVE noch Aktionärin von VÚB ist. Ist dieser Beschluss hingegen gültig, hat TERVE die Eigenschaft als Aktionärin verloren und kann ihr Andienungsrecht nicht mehr ausüben.
57. Dementsprechend ist meines Erachtens die Gültigkeit des Beschlusses der zweiten Hauptversammlung die unverzichtbare Voraussetzung für die Klage der TERVE auf Ersetzung der Annahme ihres Entwurfs für einen Vertrag über den Kauf der verbliebenen Aktien durch Intesa(28 ). Denn dieser Beschluss bildet die Grundlage des Andienungsrechts der übrigen Aktionäre. Wir haben es hier daher nicht mit einem Fall zu tun, in dem die Nichtigkeit der Beschlüsse der Organe der Gesellschaft gegenüber dem Hauptgegenstand der Klage nur ein Nebenaspekt ist(29 ). Daher ist die Zuständigkeit der slowakischen Gerichte aufgrund der ausschließlichen Zuständigkeit gemäß Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 gegeben.
58. Der Gerichtshof hat auch klargestellt, dass die Lokalisierung der Zuständigkeit an einem Ort – um einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern(30 ) – bei den Gerichten des Ortes, an dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, hinsichtlich deren die Gültigkeit von Beschlüssen ihrer Organe angegriffen wird, ermöglicht, die Ziele einer in hohem Maß vorhersehbaren Zuständigkeit und der Rechtssicherheit zu erreichen(31 ).
59. So können die Staatszugehörigkeit der Gesellschaft, hinsichtlich deren der Beschluss der Organe angegriffen wird, das auf die mit der beanstandeten Hauptversammlung im Zusammenhang stehenden Handlungen und Formalitäten anwendbare Recht, die verwendete Sprache(32 ) sowie das anwendbare materielle Recht(33 ) Berücksichtigung finden. Im Ausgangsverfahren ist VÚB slowakischer Staatszugehörigkeit und unterliegt ihre Hauptversammlung, sowohl was die Formalitäten als auch was das anwendbare Recht betrifft, slowakischem Recht. Dies ist geeignet, eine enge Verbindung zwischen dem Rechtsstreit und den slowakischen Gerichten herzustellen, die dem Ziel einer geordneten Rechtspflege genügen kann(34 ).
60. In einer entsprechenden Rechtssache, in der die für die zwangsweise Übertragung der Beteiligungen von Minderheitsaktionären einer Gesellschaft auf den Mehrheitsaktionär angebotene Abfindung beanstandet wurde, hat der Gerichtshof im Interesse der Ziele der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit auch berücksichtigt, dass dieser Mehrheitsaktionär damit rechnen musste, dass das Gericht des Ortes, an dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, zuständig ist(35 ). Meines Erachtens kann der Umstand, dass Intesa in ihrem eigenen Übernahmeangebot, auf das der Beschluss der zweiten Hauptversammlung über die Übertragung der verbliebenen Aktien folgte, dessen Gültigkeit angegriffen wird, angegeben hat, dass die sich daraus ergebenden Aktienkaufverträge dem slowakischen Recht und der Zuständigkeit der slowakischen Gerichte unterlägen, bestätigen, dass diese Gesellschaft damit rechnen musste, vor den slowakischen Gerichten verklagt zu werden.
61. Anders als bei dem Sachverhalt, zu dem das Urteil vom 12. Mai 2011, BVG(36 ), ergangen ist, in dem die ausschließliche Zuständigkeit gemäß Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 von einer Gesellschaft, die sich auf die Ungültigkeit ihrer eigenen Beschlüsse berief, geltend gemacht wurde, um ihre zur Verteidigung erhobene Einrede der Unzuständigkeit zu stützen, wird in der vorliegenden Rechtssache die Nichtigkeit der Beschlüsse der Organe der Gesellschaft mit der Klage geltend gemacht.
62. Nach alledem schlage ich vor, dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass er auf eine – selbst nur vorab erhobene – Klage anwendbar ist, mit der die Gültigkeit des Beschlusses einer Hauptversammlung angegriffen wird, mit dem im Anschluss an ein an Stelle des Emittenten vom Mehrheitsaktionär freiwillig veröffentlichtes Übernahmeangebot die Übertragung der verbliebenen Aktien auf diesen genehmigt wurde, wenn diese Klage eine unverzichtbare Voraussetzung der Klage darstellt, mit der in erster Linie die Ersetzung der Annahme des von dem Minderheitsaktionär vorgelegten Entwurfs für einen Aktienkaufvertrag durch den Mehrheitsaktionär beantragt wird.
V. Ergebnis
63. In Anbetracht all dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
1. Art. 7 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
ist dahin auszulegen,
dass eine Klage auf Ersetzung der Annahme des Entwurfs eines Minderheitsaktionärs für einen Aktienkaufvertrag seitens des Aktionärs, der im Anschluss an den Beschluss der Aktionärshauptversammlung über die Einstellung der Börsennotierung der Aktien an Stelle des Emittenten ein Übernahmeangebot veröffentlicht hat, durch eine gerichtliche Entscheidung einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag zum Gegenstand hat.
2. Art. 24 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012
ist dahin auszulegen,
dass er auf eine – selbst nur vorab erhobene – Klage anwendbar ist, mit der die Gültigkeit des Beschlusses einer Hauptversammlung angegriffen wird, mit dem im Anschluss an ein an Stelle des Emittenten vom Mehrheitsaktionär freiwillig veröffentlichtes Übernahmeangebot die Übertragung der verbliebenen Aktien auf diesen genehmigt wurde, wenn diese Klage eine unverzichtbare Voraussetzung der Klage darstellt, mit der in erster Linie die Ersetzung der Annahme des von dem Minderheitsaktionär vorgelegten Entwurfs für einen Aktienkaufvertrag durch den Mehrheitsaktionär beantragt wird.