C-345/22 – Maersk

C-345/22 – Maersk

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Language of document : ECLI:EU:C:2024:349

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

25. April 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gerichtliche Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Art. 25 Abs. 1 – Durch ein Konnossement dokumentierter Seefrachtvertrag – Im Konnossement enthaltene Gerichtsstandsklausel – Wirksamkeit gegenüber dem Drittinhaber des Konnossements – Anwendbares Recht – Nationale Rechtsvorschriften, nach denen die Klausel durch den Drittinhaber des Konnossements einzeln und gesondert ausgehandelt worden sein muss“

In den verbundenen Rechtssachen C‑345/22 bis C‑347/22

betreffend drei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Audiencia Provincial de Pontevedra (Provinzgericht Pontevedra, Spanien) mit Entscheidungen vom 16. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Mai 2022, in den Verfahren

Maersk A/S

gegen

Allianz Seguros y Reaseguros SA (C‑345/22 und C‑347/22)

und

Mapfre España Compañía de Seguros y Reaseguros SA

gegen

MACS Maritime Carrier Shipping GmbH & Co. (C‑346/22)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Richters P. G. Xuereb in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, des Richters A. Kumin (Berichterstatter) und der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Maersk A/S und der MACS Maritime Carrier Shipping GmbH & Co., vertreten durch C. Lopera Merino, Abogada, sowie G. Quintás Rodriguez und C. Zubeldía Blein, Procuradoras,

–        der Allianz Seguros y Reaseguros SA, vertreten durch L. A. Souto Maqueda, Abogado,

–        der Mapfre España Compañía de Seguros y Reaseguros SA, vertreten durch J. Tojeiro Sierto, Abogado,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Noë und C. Urraca Caviedes als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. November 2023

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1, berichtigt in ABl. 2016, L 264, S. 43, im Folgenden: Brüssel‑Ia-Verordnung).

2        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von drei Rechtsstreitigkeiten, in denen sich in den Rechtssachen C‑345/22 und C‑347/22 die dänische Speditionsgesellschaft Maersk A/S und die spanische Versicherungsgesellschaft Allianz Seguros y Reaseguros SA (im Folgenden: Allianz) und in der Rechtssache C‑346/22 die spanische Versicherungsgesellschaft Mapfre España Compañía de Seguros y Reaseguros SA (im Folgenden: Mapfre) und die deutsche Speditionsgesellschaft MACS Maritime Carrier Shipping GmbH & Co. (im Folgenden: MACS) gegenüberstehen. Die beiden Versicherungsgesellschaften machen vor einem spanischen Gericht die Rechte Dritter geltend, die von den Speditionsgesellschaften auf dem Seeweg beförderte Waren erworben hatten, und verlangen Schadensersatz für Sachschäden, die im Zuge der Beförderung an diesen Waren entstanden sein sollen. Die Speditionsgesellschaften bestreiten dagegen die Zuständigkeit der spanischen Gerichte unter Berufung auf eine Klausel, die die Zuständigkeit eines Gerichts des Vereinigten Königreichs für die Entscheidung über Streitigkeiten aus den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beförderungsverträgen begründen soll.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Austrittsabkommen

3        Mit Beschluss (EU) 2020/135 vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 1) hat der Rat der Europäischen Union dieses Abkommen über den Austritt (ABl. 2020, L 29, S. 7, im Folgenden: Austrittsabkommen) im Namen der Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) genehmigt. Das Austrittsabkommen ist diesem Beschluss beigefügt und trat am 1. Februar 2020 in Kraft.

4        Art. 67 („Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen sowie diesbezügliche Zusammenarbeit zwischen zentralen Behörden“) Abs. 1 dieses Abkommens sieht vor:

„Im Vereinigten Königreich sowie in den Mitgliedstaaten in Fällen, die einen Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen, gelten für vor dem Ablauf der Übergangszeit eingeleitete gerichtliche Verfahren sowie für damit zusammenhängende Verfahren oder Klagen gemäß den Artikeln 29, 30 und 31 der [Brüssel‑Ia‑]Verordnung … die folgenden Rechtsakte und Bestimmungen …:

a)      die Zuständigkeitsbestimmungen der [Brüssel‑Ia‑]Verordnung;

…“

5        Art. 126 („Übergangszeitraum“) des Abkommens lautet:

„Es gibt einen Übergangs- oder Durchführungszeitraum, der am Tag des Inkrafttretens dieses Abkommens beginnt und am 31. Dezember 2020 endet.“

6        In Art. 127 („Anwendungsbereich für den Übergang“) des Austrittsabkommens heißt es:

„(1)      Sofern in diesem Abkommen nichts anderes bestimmt ist, gilt das Unionsrecht während des Übergangszeitraums für das Vereinigte Königreich sowie im Vereinigten Königreich.

(3)      Während des Übergangszeitraums entfaltet das nach Absatz 1 für das Vereinigte Königreich und im Vereinigten Königreich geltende Unionsrecht die gleichen Rechtswirkungen wie innerhalb der Union und ihrer Mitgliedstaaten und wird nach denselben Methoden und allgemeinen Grundsätzen aus[ge]legt und angewendet, die auch innerhalb der Union gelten.

…“

 Brüsseler Übereinkommen

7        Art. 17 Abs. 1 des am 27. September 1968 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. 1978, L 304, S. 1 und – geänderter Text – S. 77), das Übereinkommen über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. 1982, L 388, S. 1) und das Übereinkommen über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. 1989, L 285, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) sah vor:

„Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig. Eine solche Gerichtsvereinbarung muss geschlossen werden

a)      schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b)      in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

c)      im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.

…“

 BrüsselI-Verordnung

8        Art. 23 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Brüssel‑I-Verordnung) bestimmte:

„Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Eine solche Gerichtsvereinbarung muss geschlossen werden

a)      schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b)      in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

c)      im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.“

 BrüsselIa-Verordnung

9        Art. 25 in Kapitel II („Zuständigkeit“) Abschnitt 7 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) der Brüssel‑Ia-Verordnung sieht vor:

„(1)      Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell ungültig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden:

a)      schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b)      in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

c)      im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.

(5)      Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrags ist, ist als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln.

Die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung kann nicht allein mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass der Vertrag nicht gültig ist.“

 Spanisches Recht

10      In Abschnitt XI der Präambel der Ley 14/2014 de Navegación Marítima (Gesetz 14/2014 über die Seeschifffahrt) vom 24. Juli 2014 (BOE Nr. 180 vom 25. Juli 2014, S. 59193, im Folgenden: LNM) heißt es:

„… [Titel IX] Kapitel I enthält die sogenannten besonderen Zuständigkeitsregeln und soll, gestützt auf die vorrangige Anwendung der Regeln der internationalen Übereinkommen und der unionsrechtlichen Vorschriften in diesem Bereich, festgestellte Missbräuche verhindern, indem in Verträgen über die Nutzung eines Schiffs oder in ergänzenden Schifffahrtsverträgen enthaltene Klauseln, die die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts oder Schiedsgerichts vorsehen, für nichtig erklärt werden, wenn diese Klauseln nicht einzeln und gesondert ausgehandelt wurden. …“

11      Art. 251 („Übertragungswirkung“) LNM lautet:

„Die Übergabe eines Konnossements hat die gleiche Wirkung wie die Lieferung der darin verbrieften Waren, unbeschadet der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Ansprüche einer Person, der der Besitz an diesen Waren rechtswidrig entzogen worden ist. Der Erwerber des Konnossements erwirbt alle Rechte und Ansprüche des Übertragenden an den Waren, mit Ausnahme von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, die nach Maßgabe der Bestimmungen in Titel IX Kapitel I der Zustimmung des Erwerbers bedürfen.“

12      Der in Titel IX Kapitel I des LNM enthaltene Art. 468 („Gerichtsstands- und Schiedsklauseln“) Abs. 1 bestimmt:

„Unbeschadet der in Spanien geltenden internationalen Übereinkommen und der unionsrechtlichen Vorschriften sind die in Verträgen über die Nutzung eines Schiffs oder in ergänzenden Schifffahrtsverträgen enthaltenen Klauseln über die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts oder Schiedsgerichts nichtig und gelten als nicht vereinbart, wenn sie nicht einzeln und gesondert ausgehandelt wurden.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

 Rechtssache C345/22

13      Maersk Line Perú SAC, eine peruanische Tochtergesellschaft von Maersk, schloss als Verfrachterin mit Aquafrost Perú (im Folgenden: Aquafrost) als Befrachterin einen Vertrag über die Beförderung von Gütern auf dem Seeweg zu den Bedingungen CFR (Kosten und Fracht), der durch ein am 9. April 2018 ausgestelltes Konnossement dokumentiert wurde. Dieses enthielt auf der Rückseite eine Gerichtsstandsklausel mit folgendem Wortlaut:

„… [D]as vorliegende Konnossement [unterliegt] dem englischen Recht, und alle sich daraus ergebenden Streitigkeiten werden vom High Court of Justice [(England & Wales)] [(Hoher Gerichtshof [England und Wales], Vereinigtes Königreich)] entschieden, wobei die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Staates ausgeschlossen ist. Im Übrigen kann der Verfrachter nach eigenem Ermessen bei einem zuständigen Gericht des Ortes Klage gegen den Händler erheben, an dem dieser seine Tätigkeit ausübt.“

14      Die in Rede stehenden Waren wurden von der Oversea Atlantic Fish SL (im Folgenden: Oversea) erworben, die damit Drittinhaberin des Konnossements wurde. Da die Waren beschädigt im Bestimmungshafen eintrafen, erhob Allianz, die in die Rechte von Oversea eingetreten war, Klage beim Juzgado de lo Mercantil n. 3 de Pontevedra (Handelsgericht Nr. 3 Pontevedra, Spanien) und verlangte von Maersk Schadensersatz in Höhe von 67 449,71 Euro. Die Klage wurde vor Ablauf des in Art. 126 des Austrittsabkommens vorgesehenen Übergangszeitraums erhoben.

15      Unter Berufung auf die in Rn. 13 des vorliegenden Urteils erwähnte Gerichtsstandsklausel bestritt Maersk die Zuständigkeit der spanischen Gerichte.

16      Mit Beschluss vom 26. Mai 2020 wies der Juzgado de lo Mercantil n. 3 de Pontevedra (Handelsgericht Nr. 3 Pontevedra) die Unzuständigkeitseinrede zurück. Dagegen legte Maersk bei diesem Gericht eine Beschwerde ein, die mit Beschluss vom 2. Dezember 2020 zurückgewiesen wurde. Mit Urteil vom 7. Juli 2021 gab das Gericht der Klage von Allianz in der Sache statt.

17      Maersk legte gegen dieses Urteil Berufung bei der Audiencia Provincial de Pontevedra (Provinzgericht Pontevedra, Spanien), dem vorlegenden Gericht, ein und bestritt die Zuständigkeit der spanischen Gerichte mit der Begründung, dass die Gerichtsstandsklausel der Drittinhaberin des Konnossements entgegengehalten werden könne. Es sei nämlich Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung anzuwenden und nicht Art. 251 LNM, der unionsrechtswidrig sei.

18      Das vorlegende Gericht fragt sich, ob die Gerichtsstandsklausel der Drittinhaberin des Konnossements entgegengehalten werden kann, obwohl diese ihr beim Erwerb des Konnossements nicht ausdrücklich, einzeln und gesondert zugestimmt hat. Aus dem Urteil vom 18. November 2020, DelayFix (C‑519/19, EU:C:2020:933), ergebe sich, dass die Brüssel‑Ia-Verordnung die Parteiautonomie bei der Wahl des zuständigen Gerichts im Vergleich zu dem, was unter der Brüssel‑I-Verordnung gegolten habe, stärke.

19      Ferner ergebe sich insbesondere aus Rn. 27 des Urteils vom 16. März 1999, Castelletti (C‑159/97, EU:C:1999:142), dass im Bereich des internationalen Seeverkehrs eine Vermutung dafür bestehe, dass die Vertragsparteien die in den Beförderungsverträgen enthaltenen Gerichtsstandsklauseln kennen und ihnen zugestimmt hätten, da es sich um eine in diesem Bereich gebräuchliche Klausel handele.

20      Gerichtsstandsklauseln seien eigenständig und abtrennbar, so dass sie hinsichtlich des anwendbaren materiellen Rechts einer anderen Rechtsordnung unterliegen könnten als der Rest des Vertrags, in dem sie enthalten seien. Daher könne eine Gerichtsstandsklausel sogar dann gültig sein, wenn der Vertrag selbst nichtig sei.

21      Art. 251 LNM verweise für den besonderen Fall von Konnossementen auf dem Gebiet der Güterbeförderung, die eine Gerichtsstandsklausel enthielten und anschließend von einem Dritten erworben würden, auf Art. 468 LNM, der bestimme, dass eine solche Klausel nichtig sei, wenn sie nicht einzeln und gesondert von dem Dritten ausgehandelt worden sei.

22      Diese Regelung werde in der Gesetzesbegründung der LNM mit der Notwendigkeit gerechtfertigt, die Interessen der nationalen Empfänger zu schützen, die Inhaber von Konnossementen seien, in die die ursprünglichen Parteien eine Gerichtsstandsklausel aufgenommen hätten, und die insbesondere im Fall von Seefrachtverträgen mit Konnossementen im Linienverkehr die schwächere Vertragspartei seien. Denn es könne in der Praxis einen wirksamen Rechtsschutz beeinträchtigen, wenn inländische Unternehmen, Befrachter und Warenempfänger dazu verpflichtet würden, ihre Reklamationen vor ausländischen Gerichten geltend zu machen.

23      Das vorlegende Gericht hält es für problematisch, Art. 251 LNM anzuwenden, um etwaige Lücken im Unionsrecht zu schließen. Überdies bestehe ein Widerspruch zwischen dieser Bestimmung und der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die insbesondere auf das Urteil vom 9. November 2000, Coreck (C‑387/98, EU:C:2000:606, Rn. 23), zurückgehe. Da Gerichtsstands- und Schiedsklauseln nach spanischem Recht für die Parteien nämlich nur dann verbindlich seien, wenn sie einzeln und gesondert ausgehandelt worden seien, erfolge die Übertragung der Rechte aus einem Konnossement nicht vollständig.

24      Es stelle sich jedoch die Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung möglicherweise unanwendbar sei.

25      Erstens ist das vorlegende Gericht nämlich, gestützt sowohl auf Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung als auch auf die Urteile vom 3. Juli 1997, Benincasa (C‑269/95, EU:C:1997:337), und vom 18. November 2020, DelayFix (C‑519/19, EU:C:2020:933), der Ansicht, dass die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel nach dem Recht des Staates zu prüfen sei, dessen Gerichte gemäß dieser Klausel zuständig seien, so dass im vorliegenden Fall das englische Recht und nicht Art. 468 LNM anzuwenden sei. Zweitens müsse sich, sollte Art. 251 LNM auf das Ausgangsverfahren anwendbar sein, die Form, die die Zustimmung zu einer Gerichtsstandsklausel haben müsse, nach dem Unionsrecht und nicht nach nationalem Recht richten, und zwar um zu verhindern, dass die einzelnen Mitgliedstaaten insoweit unterschiedliche Voraussetzungen aufstellten. Drittens sei zweifelhaft, ob Art. 251 LNM mit der auf das Urteil vom 9. November 2000, Coreck (C‑387/98, EU:C:2000:606), zurückgehenden Rechtsprechung vereinbar sei, da nach dieser Bestimmung die Rechte und Pflichten aus einer in einem Konnossement enthaltenen Gerichtsstandsklausel von den Rechten und Pflichten ausgenommen seien, die auf den Drittinhaber des Konnossements übertragen würden.

26      Unter diesen Umständen hat die Audiencia Provincial de Pontevedra (Provinzgericht Pontevedra) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Erfasst die Regelung in Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung, soweit danach die Ungültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats zu prüfen ist, den die Parteien als Gerichtsstand festgelegt haben, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens auch die Frage der Wirksamkeit der Klausel gegenüber einem Dritten, der nicht Partei des Vertrags ist, in dem die Klausel vereinbart wurde?

2.      Ist, wenn das Konnossement an einen Dritten, der Empfänger der Ware ist und der an dem Vertrag zwischen dem Befrachter und dem Verfrachter nicht beteiligt war, begeben wird, eine Vorschrift wie Art. 251 LNM, wonach die Gerichtsstandsklausel „einzeln und gesondert“ mit diesem Dritten ausgehandelt worden sein muss, damit sie ihm gegenüber wirksam ist, mit Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung und mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung dieser Bestimmung vereinbar?

3.      Ist es mit dem Unionsrecht vereinbar, dass das Recht der Mitgliedstaaten zusätzliche Voraussetzungen für die Wirksamkeit von in Konnossementen enthaltenen Gerichtsstandsklauseln gegenüber Dritten vorsieht?

4.      Stellt eine Vorschrift wie Art. 251 LNM, wonach die Rechte und Pflichten nur teilweise auf den Drittinhaber übergehen, und zwar unter Ausschluss der Gerichtsstandsklauseln, die Einführung einer zusätzlichen Voraussetzung für die Gültigkeit solcher Klauseln dar, und ist sie mit Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung unvereinbar?

 Rechtssache C346/22

27      MACS als Verfrachterin und die Tunacor Fisheries Ltd als Befrachterin schlossen einen Seefrachtvertrag zu den Bedingungen CFR (Kosten und Fracht), der durch ein am 13. April 2019 ausgestelltes Konnossement dokumentiert wurde. Dieses enthielt auf der Rückseite eine Gerichtsstandsklausel mit folgendem Wortlaut:

„Das vorliegende Konnossement unterliegt dem englischen Recht, und alle sich daraus ergebenden Streitigkeiten werden dem High Court of Justice [(England & Wales)] [(Hoher Gerichtshof [England und Wales])] zur Entscheidung vorgelegt.“

28      Die in Rede stehenden Waren wurden von der Fortitude Fishing SL (im Folgenden: Fortitude) erworben, die damit Drittinhaberin des Konnossements wurde. Da die Waren beschädigt im Bestimmungshafen eintrafen, erhob Mapfre, die in die Rechte von Fortitude eingetreten war, Klage beim Juzgado de lo Mercantil n. 3 de Pontevedra (Handelsgericht Nr. 3 Pontevedra, Spanien) und verlangte von MACS Schadensersatz in Höhe von 80 187,90 Euro. Die Klage wurde vor Ablauf des in Art. 126 des Austrittsabkommens vorgesehenen Übergangszeitraums erhoben.

29      Unter Berufung auf die in Rn. 27 des vorliegenden Urteils erwähnte Gerichtsstandsklausel bestritt MACS die Zuständigkeit der spanischen Gerichte.

30      Mit Beschluss vom 3. Mai 2021 erklärte sich der Juzgado de lo Mercantil n. 3 de Pontevedra (Handelsgericht Nr. 3 Pontevedra) für unzuständig.

31      Mapfre legte gegen diesen Beschluss bei der Audiencia Provincial de Pontevedra (Provinzgericht Pontevedra), die auch in der Rechtssache C‑346/22 das vorlegende Gericht ist, ein Rechtsmittel ein und machte zum einen geltend, dass die spanischen Gerichte zuständig seien, da Fortitude weder Partei des zwischen MACS und Tunacor Fisheries geschlossenen Beförderungsvertrags sei noch an der Beförderung beteiligt gewesen sei, und zum anderen, dass ihr die Gerichtsstandsklausel nach Art. 251 LNM nicht entgegengehalten werden könne.

32      MACS bestritt hingegen die Zuständigkeit der spanischen Gerichte mit der Begründung, dass die Gerichtsstandsklausel der Drittinhaberin des Konnossements entgegengehalten werden könne. Es sei nämlich Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung anzuwenden und nicht Art. 251 LNM, der unionsrechtswidrig sei.

33      Da das vorlegende Gericht die gleichen Zweifel hegt wie in der Rechtssache C‑345/22, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof im Wesentlichen dieselben Fragen wie in jener Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen.

 Rechtssache C347/22

34      Maersk Line Perú als Verfrachterin und Aquafrost als Befrachterin schlossen einen Seefrachtvertrag zu den Bedingungen CFR (Kosten und Fracht), der durch ein am 2. August 2018 ausgestelltes Konnossement dokumentiert wurde. Dieses enthielt auf der Rückseite eine Gerichtsstandsklausel mit dem gleichen Wortlaut wie die in der Rechtssache C‑345/22 fragliche.

35      Die in Rede stehenden Waren wurden von Oversea erworben, die damit Drittinhaberin des Konnossements wurde. Da die Waren beschädigt im Bestimmungshafen eintrafen, erhob Allianz, die in die Rechte von Oversea eingetreten war, Klage beim Juzgado de lo Mercantil n. 3 de Pontevedra (Handelsgericht Nr. 3 Pontevedra, Spanien) und verlangte von Maersk Schadensersatz in Höhe von 106 093,65 Euro. Die Klage wurde vor Ablauf des in Art. 126 des Austrittsabkommens vorgesehenen Übergangszeitraums erhoben.

36      Unter Berufung auf die in Rn. 34 des vorliegenden Urteils erwähnte Gerichtsstandsklausel bestritt Maersk die Zuständigkeit der spanischen Gerichte.

37      Mit Beschluss vom 20. Oktober 2020 wies der Juzgado de lo Mercantil n. 3 de Pontevedra (Handelsgericht Nr. 3 Pontevedra) die Unzuständigkeitseinrede zurück. Maersk legte gegen diesen Beschluss keine Beschwerde ein. Mit Urteil vom 9. Juli 2021 gab das Gericht der Klage von Allianz in der Sache statt.

38      Maersk legte gegen dieses Urteil bei der Audiencia Provincial de Pontevedra (Provinzgericht Pontevedra), die auch in der Rechtssache C‑347/22 das vorlegende Gericht ist, ein Rechtsmittel ein und machte geltend, dass die spanischen Gerichte unzuständig seien, weil die Gerichtsstandsklausel der Drittinhaberin des Konnossements entgegengehalten werden könne. Es sei nämlich Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung anzuwenden und nicht Art. 251 LNM, der unionsrechtswidrig sei.

39      Da das vorlegende Gericht die gleichen Zweifel hegt wie in der Rechtssache C‑345/22, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof im Wesentlichen dieselben Fragen wie in jener Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen.

 Verfahren vor dem Gerichtshof

40      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 15. Juli 2022 sind die Rechtssachen C‑345/22, C‑346/22 und C‑347/22 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamer verfahrensbeendender Entscheidung verbunden worden.

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen

41      Zur Frage, ob der Anwendungsbereich der Brüssel‑Ia-Verordnung, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, eine Situation wie die in den Ausgangsverfahren vorliegende erfasst, ist zum einen festzustellen, dass mit den in diesen Verfahren in Rede stehenden Gerichtsstandsklauseln die Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit den fraglichen Seefrachtverträgen einem Gericht des Vereinigten Königreichs übertragen wurde, und zum anderen, dass das Austrittsabkommen am 1. Februar 2020 in Kraft getreten ist.

42      Allerdings gelten nach Art. 67 Abs. 1 Buchst. a des Austrittsabkommens die Zuständigkeitsbestimmungen der Brüssel‑Ia-Verordnung im Vereinigten Königreich sowie in den Mitgliedstaaten in Fällen, die einen Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen, für vor dem Ablauf der Übergangszeit gemäß Art. 126 dieses Übereinkommens eingeleitete gerichtliche Verfahren (Urteil vom 24. November 2022, Tilman, C‑358/21, EU:C:2022:923, Rn. 28).

43      Außerdem gilt das Unionsrecht nach Art. 127 Abs. 1 und 3 des Abkommens während dieses Übergangszeitraums im Vereinigten Königreich und wird nach denselben Methoden und allgemeinen Grundsätzen ausgelegt und angewendet, die auch innerhalb der Union gelten.

44      Da sich aus den Vorlageentscheidungen ergibt, dass Allianz und Mapfre ihre jeweiligen Klagen vor dem 31. Dezember 2020 und damit vor dem Ende des Übergangszeitraums erhoben haben, ist daher, wie die spanische Regierung und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt haben, festzustellen, dass die Brüssel‑Ia-Verordnung ungeachtet des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union auf die Ausgangsverfahren anwendbar ist.

 Zur jeweils ersten Vorlagefrage in den verbundenen Rechtssachen

45      Mit seiner jeweils ersten Frage in den verbundenen Rechtssachen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin auszulegen ist, dass sich die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel gegenüber dem Drittinhaber des Konnossements, in dem diese Klausel enthalten ist, nach dem Recht des Mitgliedstaats richtet, dem das oder die in der Klausel bezeichneten Gerichte angehören.

46      Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung bestimmt: „Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell ungültig.“

47      Diese Bestimmung präzisiert also nicht, ob eine Gerichtsstandsklausel über den Kreis der Vertragsparteien hinaus auf einen Dritten übertragen werden kann, der Partei eines späteren Vertrags ist und ganz oder teilweise in die Rechte und Pflichten einer der Parteien des ursprünglichen Vertrags eintritt (Urteil vom 18. November 2020, DelayFix, C‑519/19, EU:C:2020:933, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Außerdem ergibt sich aus Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung zwar, dass die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel nach dem Recht des Mitgliedstaats zu beurteilen ist, dem das oder die in dieser Klausel bezeichneten Gerichte angehören. Die Frage, ob eine solche Klausel einem am Vertrag nicht beteiligten Dritten, wie dem Drittinhaber eines Konnossements, entgegengehalten werden kann, betrifft jedoch, wie der Generalanwalt in den Nrn. 54 bis 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht die materielle Wirksamkeit der Klausel, sondern ihre Wirkungen, deren Beurteilung sich zwangsläufig an die Beurteilung ihrer materiellen Gültigkeit anschließt, wobei letztere Beurteilung unter Berücksichtigung der Beziehungen zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien vorzunehmen ist.

49      Folglich ist in Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung weder geregelt, welche Wirkungen eine Gerichtsstandsklausel gegenüber einem Dritten hat, noch, welches nationale Recht insoweit anwendbar ist.

50      Allerdings ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 17 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens und zu Art. 23 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung, dass eine in ein Konnossement aufgenommene Gerichtsstandsklausel einem am Vertrag nicht beteiligten Dritten entgegengehalten werden kann, wenn sie im Verhältnis zwischen dem Befrachter und dem Verfrachter als gültig anerkannt wurde und der Drittinhaber nach dem anwendbaren nationalen Recht mit dem Erwerb dieses Konnossements in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist. In einem solchen Fall muss das angerufene Gericht nicht prüfen, ob der Dritte der Klausel zugestimmt hat (Urteile vom 19. Juni 1984, Russ, 71/83, EU:C:1984:217, Rn. 24 und 25, sowie vom 7. Februar 2013, Refcomp, C‑543/10, EU:C:2013:62, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51      Der Gerichtshof hat daraus in Bezug auf diese Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens und der Brüssel‑I-Verordnung abgeleitet, dass nur dann, wenn der Drittinhaber eines Konnossements nach dem in der Sache anwendbaren nationalen Recht, das in Anwendung der Vorschriften des internationalen Privatrechts des angerufenen Gerichts bestimmt wurde, in alle Rechte und Pflichten der ursprünglichen Vertragspartei eingetreten ist, eine Gerichtsstandsvereinbarung, der dieser Drittinhaber nicht zugestimmt hat, ihm dennoch entgegengehalten werden kann (Urteile vom 9. November 2000, Coreck, C‑387/98, EU:C:2000:606, Rn. 24, 25 und 30, sowie vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 65). Umgekehrt muss das angerufene Gericht, wenn das anwendbare nationale Recht kein solches Substitutionsverhältnis vorsieht, prüfen, ob der Dritte der Gerichtsstandsvereinbarung tatsächlich zugestimmt hat (Urteil vom 7. Februar 2013, Refcomp, C‑543/10, EU:C:2013:62, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Zwar ist Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung teilweise anders formuliert als Art. 17 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens und Art. 23 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung, doch ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 51 bis 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat und wie sich im Wesentlichen aus dem Urteil vom 24. November 2022, Tilman (C‑358/21, EU:C:2022:923, Rn. 34), ergibt, festzustellen, dass die in den Rn. 50 und 51 des vorliegenden Urteils dargestellte Rechtsprechung auf diese Bestimmung der Brüssel‑Ia-Verordnung übertragbar ist.

53      Zum einen ist nämlich hinsichtlich des Umstands, dass Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung nicht mehr die Voraussetzung enthält, dass mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben muss, darauf hinzuweisen, dass die Abschaffung dieses Erfordernisses die Parteiautonomie bei der Wahl des zuständigen Gerichts oder der zuständigen Gerichte stärkt, aber auf die Bestimmung der Wirkungen einer Gerichtsstandsklausel gegenüber einem am Vertrag nicht beteiligten Dritten keinen Einfluss hat. Zum anderen ist, soweit diese Vorschrift nunmehr bestimmt, nach welchem nationalen Recht die materielle Wirksamkeit einer solchen Klausel zu beurteilen ist, in Anbetracht der Ausführungen in Rn. 48 des vorliegenden Urteils davon auszugehen, dass diese neue Kollisionsnorm nicht regelt, ob die Klausel einem solchen Dritten entgegengehalten werden kann.

54      Demnach müsste das vorlegende Gericht, sollte es im vorliegenden Fall feststellen, dass Oversea und Fortitude als Drittinhaberinnen von Konnossementen jeweils in sämtliche Rechte und Pflichten von Aquafrost bzw. Tunacor Fisheries als Befrachterinnen und ursprüngliche Parteien der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beförderungsverträge eingetreten sind, daraus gemäß Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs folgern, dass die in diesen Rechtssachen fraglichen Gerichtsstandsklauseln diesen Drittinhaberinnen entgegengehalten werden können. Im Rahmen der Prüfung, ob die Drittinhaberinnen in sämtliche Rechte und Pflichten der Befrachterinnen eingetreten sind, ist Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dagegen nicht relevant, da sich diese Rechtsnachfolge nach dem in der Sache anwendbaren nationalen Recht richtet, das in Anwendung der Vorschriften des internationalen Privatrechts des Mitgliedstaats bestimmt wird, dem das vorlegende Gericht angehört.

55      Nach alledem ist auf die jeweils erste Frage in den verbundenen Rechtssachen zu antworten, dass Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin auszulegen ist, dass sich die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel gegenüber dem Drittinhaber des Konnossements, in dem diese Klausel enthalten ist, nicht nach dem Recht des Mitgliedstaats richtet, dem das oder die in der Klausel bezeichneten Gerichte angehören. Die Klausel kann dem Drittinhaber entgegengehalten werden, wenn er durch den Erwerb des Konnossements in sämtliche Rechte und Pflichten einer der ursprünglichen Vertragsparteien eintritt, was nach dem in der Sache anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen ist, das nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts des Mitgliedstaats, dem das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht angehört, zu bestimmen ist.

 Zu den jeweiligen Fragen 2 bis 4 in den verbundenen Rechtssachen

56      Mit seinen jeweiligen Fragen 2 bis 4 in den verbundenen Rechtssachen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein an einem Seefrachtvertrag zwischen einem Verfrachter und einem Befrachter nicht beteiligter Dritter, der das diesen Vertrag dokumentierende Konnossement erwirbt und somit dessen Drittinhaber wird, in alle Rechte und Pflichten des Befrachters mit Ausnahme derjenigen eintritt, die sich aus einer in dem Konnossement enthaltenen Gerichtsstandsklausel ergeben, und diese Klausel dem Dritten nur dann entgegengehalten werden kann, wenn er sie einzeln und gesondert ausgehandelt hat.

57      In Anbetracht der Ausführungen in den Rn. 50 bis 52 und 55 des vorliegenden Urteils ist Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin auszulegen, dass eine in einem Konnossement enthaltene Gerichtsstandsklausel dem Drittinhaber dieses Konnossements entgegengehalten werden kann, wenn sie im Verhältnis zwischen dem Befrachter und dem Verfrachter, die den durch dieses Konnossement dokumentierten Frachtvertrag geschlossen haben, als gültig anerkannt wurde, und der Drittinhaber nach dem anwendbaren nationalen Recht, das nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts des Mitgliedstaats, dem das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht angehört, zu bestimmen ist, mit dem Erwerb des Konnossements in alle Rechte und Pflichten einer der ursprünglichen Vertragsparteien eintritt.

58      Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht allerdings keine Angaben gemacht, die die Gültigkeit der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gerichtsstandsklauseln in Frage stellen könnten. Folglich wird es zu prüfen haben, ob die in diesen Rechtssachen in Rede stehenden Drittinhaberinnen der Konnossemente nach dem anwendbaren nationalen Recht jeweils in alle Rechte und Pflichten der betreffenden Befrachter eingetreten sind. Ist dies der Fall, braucht nicht geprüft zu werden, ob sie diesen Klauseln jeweils zugestimmt haben.

59      Wie aus den Vorlageentscheidungen hervorgeht, scheint das vorlegende Gericht insoweit davon auszugehen, dass das spanische Recht das anwendbare nationale Recht ist. Art. 251 in Verbindung mit Art. 468 LNM sieht jedoch im Wesentlichen vor, dass der Erwerber des Konnossements alle Rechte und Ansprüche des Übertragenden an den Waren erwirbt, mit Ausnahme von Gerichtsstandsklauseln, die der Zustimmung des Erwerbers bedürfen, wobei diese Klauseln nichtig sind und als nicht vereinbart gelten, wenn sie nicht einzeln und gesondert ausgehandelt wurden.

60      Daher ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen und des Generalanwalts in Nr. 61 seiner Schlussanträge festzustellen, dass eine solche nationale Regelung eine Umgehung von Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bewirkt und daher gegen diese Bestimmung verstößt.

61      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts verpflichtet Art. 251 in Verbindung mit Art. 468 LNM die betreffenden nationalen Gerichte nämlich, zu prüfen, ob ein Dritter, der ein Konnossement erworben hat, der darin enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung zugestimmt hat, auch wenn er in alle Rechte und Pflichten des Befrachters eintritt, der den durch dieses Konnossement dokumentierten Vertrag geschlossen hat.

62      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser nationalen Regelung die auf das Urteil vom 9. November 2000, Coreck (C‑387/98, EU:C:2000:606, Rn. 25), zurückgehende Rechtsprechung missachtet wird, da diese Regelung zur Folge hat, dass dem Drittinhaber eines Konnossements mehr Rechte zustehen als dem Befrachter, in dessen Rechte er eingetreten ist, da sich der Drittinhaber dafür entscheiden kann, nicht an die zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung gebunden zu sein.

63      Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts zur Gewährleistung der Wirksamkeit sämtlicher Bestimmungen des Unionsrechts u. a. den nationalen Gerichten auferlegt, ihr nationales Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen (Urteil vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64      Die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts hat jedoch bestimmte Grenzen und darf insbesondere nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (Urteil vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65      Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat und eine nationale Regelung nicht im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts auslegen kann, nach dem Grundsatz des Vorrangs verpflichtet ist, für die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – nationale Regelung oder Praxis aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, soweit sie einer unmittelbar anwendbaren Bestimmung des Unionsrechts wie einer Verordnungsbestimmung entgegensteht, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung oder Praxis auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 31, und vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 37 und 57 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

66      Im vorliegenden Fall verweist Art. 251 LNM hinsichtlich des Erfordernisses der Zustimmung des Erwerbers eines Konnossements zu darin enthaltenen Gerichtsstandsklauseln auf die Bestimmungen des Titels IX Kapitel I des LNM. Art. 468 LNM, der zu diesem Kapitel I gehört, sieht vor, dass „[u]nbeschadet der in Spanien geltenden internationalen Übereinkommen und der unionsrechtlichen Vorschriften … die in Verträgen über die Nutzung eines Schiffs oder in ergänzenden Schifffahrtsverträgen enthaltenen Klauseln über die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts oder Schiedsgerichts nichtig [sind] und … als nicht vereinbart [gelten], wenn sie nicht einzeln und gesondert ausgehandelt wurden“.

67      Folglich wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob Art. 251 in Verbindung mit Art. 468 LNM dahin ausgelegt werden kann, dass die darin vorgesehene Regel, dass der Erwerber eines Konnossements alle Rechte und Ansprüche des Übertragenden an den Waren erwirbt, mit Ausnahme von Gerichtsstands- und Schiedsklauseln, wenn diese vom Erwerber nicht einzeln und gesondert ausgehandelt wurden, nur in einer Situation Anwendung findet, die nicht unter Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung fällt. Sollte das vorlegende Gericht feststellen, dass dies nicht der Fall ist, müsste es diese nationale Regel in den Ausgangsverfahren unangewendet lassen, da sie gegen diese unmittelbar anwendbare Bestimmung des Unionsrechts verstößt.

68      Nach alledem ist auf die jeweiligen Fragen 2 bis 4 in den verbundenen Rechtssachen zu antworten, dass Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein an einem Seefrachtvertrag zwischen einem Verfrachter und einem Befrachter nicht beteiligter Dritter, der das diesen Vertrag dokumentierende Konnossement erwirbt und somit dessen Drittinhaber wird, in alle Rechte und Pflichten des Befrachters mit Ausnahme derjenigen eintritt, die sich aus einer in dem Konnossement enthaltenen Gerichtsstandsklausel ergeben, und diese Klausel dem Dritten nur dann entgegengehalten werden kann, wenn er sie einzeln und gesondert ausgehandelt hat.

 Kosten

69      Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

ist dahin auszulegen, dass

sich die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel gegenüber dem Drittinhaber des Konnossements, in dem diese Klausel enthalten ist, nicht nach dem Recht des Mitgliedstaats richtet, dem das oder die in der Klausel bezeichneten Gerichte angehören. Die Klausel kann dem Drittinhaber entgegengehalten werden, wenn er durch den Erwerb des Konnossements in sämtliche Rechte und Pflichten einer der ursprünglichen Vertragsparteien eintritt, was nach dem in der Sache anwendbaren Recht zu beurteilen ist, das nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts des Mitgliedstaats, dem das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht angehört, zu bestimmen ist.

2.      Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012

ist dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein an einem Seefrachtvertrag zwischen einem Verfrachter und einem Befrachter nicht beteiligter Dritter, der das diesen Vertrag dokumentierende Konnossement erwirbt und somit dessen Drittinhaber wird, in alle Rechte und Pflichten des Befrachters mit Ausnahme derjenigen eintritt, die sich aus einer in dem Konnossement enthaltenen Gerichtsstandsklausel ergeben, und diese Klausel dem Dritten nur dann entgegengehalten werden kann, wenn er sie einzeln und gesondert ausgehandelt hat.

Unterschriften



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