Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTS (Achte erweiterte Kammer)
10. April 2024(* )
„Wirtschafts- und Währungsunion – Bankenunion – Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen (SRM) – Einheitlicher Abwicklungsfonds (SRF) – Beschluss des SRB über die Berechnung der für 2022 im Voraus erhobenen Beiträge – Art. 70 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 – Rechtsfehler – Zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Urteils“
In der Rechtssache T‑411/22,
Dexia, vormals Dexia Crédit Local, mit Sitz in Paris (Frankreich), vertreten durch Rechtsanwälte H. Gilliams und J.‑M. Gollier,
Klägerin,
gegen
Einheitlicher Abwicklungsausschuss (SRB), vertreten durch K.‑P. Wojcik, J. Kerlin und C. De Falco als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte H.‑G. Kamann, F. Louis und P. Gey,
Beklagter,
unterstützt durch
Europäisches Parlament, vertreten durch J. Etienne, M. Menegatti und G. Bartram als Bevollmächtigte,
und durch
Rat der Europäischen Union, vertreten durch E. d’Ursel, J. Haunold und A. Westerhof Löfflerová als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
erlässt
DAS GERICHT (Achte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov, der Richter G. De Baere, D. Petrlík (Berichterstatter) und K. Kecsmár sowie der Richterin S. Kingston,
Kanzler: S. Jund, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2024
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, Dexia, vormals Dexia Crédit Local, die Nichtigerklärung des Beschlusses SRB/ES/2022/18 des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) vom 11. April 2022 über die Berechnung der für 2022 im Voraus erhobenen Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) (im Folgenden: angefochtener Beschluss), soweit er sie betrifft.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Die Klägerin war ein französisches Kreditinstitut.
3 Mit dem angefochtenen Beschluss legte der SRB gemäß Art. 70 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 225, S. 1) die für das Jahr 2022 (im Folgenden: Beitragszeitraum 2022) im Voraus erhobenen Beiträge zum SRF (im Folgenden: im Voraus erhobene Beiträge) der Institute fest, die unter Art. 2 in Verbindung mit Art. 67 Abs. 4 dieser Verordnung fallen (im Folgenden: Institute) und zu denen auch die Klägerin zählt.
4 Mit Beitragsbescheid vom 25. April 2022 gab die Autorité de contrôle prudentiel et de résolution (ACPR) (Aufsichts- und Abwicklungsbehörde, Frankreich) in ihrer Eigenschaft als nationale Abwicklungsbehörde im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung Nr. 806/2014 der Klägerin auf, ihren vom SRB festgesetzten im Voraus erhobenen Beitrag für den Beitragszeitraum 2022 zu entrichten.
Angefochtener Beschluss
5 Der angefochtene Beschluss umfasst einen Textkörper nebst drei Anhängen.
6 Der Textkörper des angefochtenen Beschlusses beschreibt das Verfahren zur Bestimmung der im Voraus erhobenen Beiträge für den Beitragszeitraum 2022, das für alle Institute gilt.
7 Zu diesem Zweck wies der SRB in Abschnitt 5 dieses Beschlusses zunächst darauf hin, dass die im SRF verfügbaren Mittel bis zum Ablauf des ursprünglichen Zeitraums von acht Jahren ab dem 1. Januar 2016 (im Folgenden: Aufbauphase) eine Zielausstattung (im Folgenden: endgültige Zielausstattung) von mindestens 1 % der gedeckten Einlagen (im Folgenden: gedeckte Einlagen) aller Institute erreichen müssen, die in allen am einheitlichen Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute und bestimmte Wertpapierfirmen (SRM) teilnehmenden Mitgliedstaaten (im Folgenden: teilnehmende Mitgliedstaaten) zugelassen sind.
8 Sodann legte der SRB in Abschnitt 5 des angefochtenen Beschlusses die in Art. 4 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/81 des Rates vom 19. Dezember 2014 zur Festlegung einheitlicher Modalitäten für die Anwendung der Verordnung Nr. 806/2014 im Hinblick auf im Voraus erhobene Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (ABl. 2015, L 15, S. 1) genannte jährliche Zielausstattung für den Beitragszeitraum 2022 (im Folgenden: jährliche Zielausstattung) fest. In diesem Zusammenhang stellte der SRB klar, dass er die Kriterien berücksichtigt habe, die in Art. 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/747 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Kriterien für die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge sowie der Umstände und Bedingungen, unter denen die Zahlung außerordentlicher nachträglich erhobener Beiträge teilweise oder ganz aufgeschoben werden kann (ABl. 2017, L 113, S. 2), vorgesehen seien.
9 Ferner erläuterte der SRB, dass er die jährliche Zielausstattung auf ein Achtel von 1,6 % des Betrags der gedeckten Einlagen aller Institute im Jahr 2021 festgelegt habe, wie er sich aus den Daten ergeben habe, die von den Einlagensicherungssystemen gemäß Art. 16 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/63 der Kommission vom 21. Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf im Voraus erhobene Beiträge zu Abwicklungsfinanzierungsmechanismen (ABl. 2015, L 11, S. 44) übermittelt worden seien.
10 In Abschnitt 6 des angefochtenen Beschlusses beschrieb der SRB die Methodik für die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge für den Beitragszeitraum 2022.
11 Im Abschnitt 6 des angefochtenen Beschlusses erläuterte der SRB auch, dass die anderen Institute als diejenigen, die in Anbetracht ihrer besonderen Merkmale einen Pauschalbeitrag entrichteten, einen an ihr Risikoprofil angepassten im Voraus erhobenen Beitrag zu entrichten hätten, den er in den folgenden Hauptphasen festgelegt habe.
12 In der ersten Phase berechnete der SRB gemäß Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 806/2014 den jährlichen Grundbeitrag jedes Instituts, der sich anteilig aus dem Betrag der Verbindlichkeiten – ohne Eigenmittel und gedeckte Einlagen – (im Folgenden: Nettoverbindlichkeiten) des betreffenden Instituts im Verhältnis zu den Nettoverbindlichkeiten aller Institute ergibt, die im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassen sind. Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Delegierten Verordnung 2015/63 zog der SRB bestimmte Arten von Verbindlichkeiten von den für die Bestimmung dieses Beitrags zu berücksichtigenden Nettoverbindlichkeiten des Instituts ab.
13 In der zweiten Phase der Berechnung des im Voraus erhobenen Beitrags nahm der SRB gemäß Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 806/2014 eine Anpassung des jährlichen Grundbeitrags entsprechend dem Risikoprofil des betreffenden Instituts vor.
14 Der SRB berechnete den im Voraus erhobenen Beitrag jedes Instituts, indem er die jährliche Zielausstattung auf der Grundlage des auf dem risikoadjustierten jährlichen Grundbeitrag beruhenden Verhältnisses auf alle Institute aufteilte.
Anträge der Verfahrensbeteiligten
15 Die Klägerin beantragt im Wesentlichen,
– den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;
– dem SRB die Kosten aufzuerlegen.
16 Der SRB beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– hilfsweise, im Fall der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses dessen Wirkungen bis zu seiner Ersetzung oder zumindest für einen Zeitraum von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt, zu dem das Urteil rechtskräftig wird, aufrechtzuerhalten;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
17 Das Europäische Parlament beantragt,
– die Klage abzuweisen, soweit sie auf die im vierten und im fünften Klagegrund erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit der Verordnung Nr. 806/2014 gestützt ist;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
18 Der Rat der Europäischen Union beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
19 Zur Stützung ihrer Klage macht die Klägerin fünf Klagegründe geltend:
– erstens einen Verstoß gegen Art. 69 Abs. 2 und Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014,
– zweitens einen Verstoß der Delegierten Verordnung 2015/63 gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung,
– drittens, hilfsweise, einen Verstoß des angefochtenen Beschlusses gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung,
– viertens eine Einrede der Rechtswidrigkeit der Art. 5, 69 und 70 der Verordnung Nr. 806/2014, da Art. 114 AEUV eine ungeeignete Rechtsgrundlage für diese Bestimmungen darstelle,
– fünftens eine Einrede der Rechtswidrigkeit der Art. 69 und 70 der Verordnung Nr. 806/2014 aufgrund eines fiskalischen Charakters der im Voraus erhobenen Beiträge, der Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage dieser Bestimmungen in Frage stelle.
Erster Klagegrund: Verstoß gegen Art. 69 Abs. 2 und Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014
20 Der erste Klagegrund umfasst im Wesentlichen zwei Rügen, mit denen erstens ein Verstoß gegen Art. 69 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 und zweitens ein Verstoß gegen Art. 70 Abs. 2 dieser Verordnung geltend gemacht werden.
21 Zunächst ist die zweite Rüge zu prüfen.
22 Mit dieser Rüge macht die Klägerin geltend, durch die Festlegung der jährlichen Zielausstattung auf 14 253 573 821,46 Euro, was einem Achtel von 1,6 % der gedeckten Einlagen im Jahr 2021 entspreche, habe der SRB Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 umgangen und damit verletzt, der ihn verpflichte, die individuellen im Voraus erhobenen Beiträge so zu berechnen, dass die im Voraus erhobenen Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten seien, 12,5 % der endgültigen Zielausstattung nicht überstiegen (im Folgenden: 12,5 %-Obergrenze).
23 Der SRB macht in erster Linie geltend, dass die in Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehene Regel, dass die 12,5 %-Obergrenze nicht überschritten werden dürfe, während der Aufbauphase nicht gelte. Nach seiner Auffassung habe die in Art. 69 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehene Regel, wonach die im Voraus erhobenen Beiträge bis zum Erreichen der Zielausstattung zeitlich so gleichmäßig wie möglich gestaffelt werden müssten, Vorrang vor der Vorgabe in Art. 70 Abs. 2 dieser Verordnung, weil die erstgenannte Regel eine lex specialis ratione temporis gegenüber der letztgenannten Regel darstelle, die dagegen nur eine lex generalis sei.
24 Hilfsweise macht der SRB geltend, wie er insbesondere in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, dass die in Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehene Regel, wonach die 12,5 %-Obergrenze nicht überschritten werden dürfe, nicht absolut gelte. Er hält es für unmöglich, diese Regel anzuwenden und zugleich der Vorgabe in Art. 69 Abs. 1 dieser Verordnung nachzukommen, nach der er sicherzustellen habe, dass der SRF am Ende der Aufbauphase seine endgültige Zielausstattung erreiche, die mindestens 1 % der gedeckten Einlagen entspreche. Diese Unmöglichkeit sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die endgültige Zielausstattung in dem Sinne dynamisch sei, dass sie im Laufe der Aufbauphase steigen könne. Im Fall einer Erhöhung der gedeckten Einlagen, die zu einer Erhöhung der endgültigen Zielausstattung führen würde, und einer zu Beginn der Aufbauphase vom SRB unterschätzten Höhe dieser Zielausstattung würde die wörtliche Anwendung von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 den SRB daran hindern, eine spätere Anpassung der im SRF anzusammelnden Finanzmittel vorzunehmen, um dieser Unterschätzung entgegenzuwirken. Für den SRB sei es aber schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die endgültige Zielausstattung genau vorherzusagen, weil in der Aufbauphase Unwägbarkeiten auftreten könnten, die sich auf die Entwicklung der Höhe der gedeckten Einlagen auswirken würden. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und in Anbetracht des mit dem SRF verfolgten und im allgemeinem Interesse liegenden Ziels – nämlich zur finanziellen Stabilität der Europäischen Union beizutragen – habe der SRB dem Ziel, bis zum Ende der Aufbauphase die endgültige Zielausstattung zu erreichen, Vorrang einräumen müssen, so dass die in Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehene Anforderung außer Acht gelassen oder flexibel ausgelegt werden müsse.
25 In diesem Zusammenhang macht der SRB außerdem geltend, dass es ihm, wenn die in Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehene Regel über die Einhaltung der 12,5 %-Obergrenze während der Aufbauphase anwendbar wäre und strikt angewandt werden müsste, unmöglich wäre, Art. 69 Abs. 2 dieser Verordnung einzuhalten, der von ihm verlange, zum einen die im Voraus erhobenen Beiträge zeitlich so gleichmäßig wie möglich zu staffeln und zum anderen, die Konjunkturphase und die etwaigen Auswirkungen prozyklischer Beiträge auf die Finanzlage der Institute zu berücksichtigen. Um das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Bestimmungen aufzulösen, müsse insbesondere die 12,5 %-Obergrenze in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie lediglich eine unverbindliche Konkretisierung der Anforderung darstelle, die im Voraus erhobenen Beiträge zeitlich so gleichmäßig wie möglich zu staffeln.
26 Das Parlament und der Rat sind entgegen dem Hauptvorbringen des SRB der Auffassung, dass die sich aus Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 ergebende Anforderung, dass die 12,5 %-Obergrenze nicht überschritten werden dürfe, auch in der Aufbauphase gelte. Sie schließen sich jedoch dem vom SRB hilfsweise vertretenen Standpunkt an, dass diese Anforderung nicht absolut sei und im Licht des Hauptziels, wonach der SRF bis zum Ende der Aufbauphase die endgültige Zielausstattung erreichen müsse, flexibel zu sehen und anzuwenden sei.
27 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die im SRF verfügbaren Mittel nach Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 bis zum Ende der Aufbauphase die endgültige Zielausstattung erreichen müssen, die mindestens 1 % der gedeckten Einlagen aller im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Institute entspricht.
28 Nach Art. 69 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 müssen die im Voraus erhobenen Beiträge während der Aufbauphase zeitlich so gleichmäßig wie möglich gestaffelt werden, bis die oben in Rn. 27 erwähnte endgültige Zielausstattung erreicht ist, wobei jedoch die Konjunkturphase und die etwaigen Auswirkungen prozyklischer Beiträge auf die Finanzlage der Institute zu berücksichtigen sind.
29 Ferner sieht Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 vor, dass „der [SRB] jährlich die einzelnen Beiträge [errechnet], damit die Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten sind, 12,5 % der Zielausstattung nicht übersteigen“. Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 4 dieser Verordnung fügt hinzu, dass „[i]n jedem Fall der … aggregierte Betrag der einzelnen Beiträge aller im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Institute 12,5 % der Zielausstattung nicht übersteigen [darf].“
30 Als Erstes ist in Bezug auf die zeitliche Anwendung der in Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehenen Anforderung der 12,5 %-Obergrenze darauf hinzuweisen, dass das Gericht bereits entschieden hat, dass diese Anforderung während der Aufbauphase gelten soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2021, ABLV Bank/SRB, T‑758/18, EU:T:2021:28, Rn. 68, 69 und 100).
31 Dies geht zunächst aus dem klaren Wortlaut von Art. 69 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 hervor, der vorsieht, dass „[w]ährend der … Aufbauphase“ die im Voraus erhobenen Beiträge „gemäß Artikel 70“ dieser Verordnung berechnet werden, wobei ein solcher Verweis unmissverständlich darauf hinweist, dass sämtliche in der letztgenannten Bestimmung vorgesehenen Anforderungen, einschließlich der in ihrem Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 vorgesehenen, während der Aufbauphase gelten.
32 Sodann heißt es in Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014, dass der SRB die Anforderung der 12,5 %-Obergrenze „jährlich“ einhalten muss, ohne dass ihre zeitliche Anwendung in irgendeiner Weise auf den der Aufbauphase folgenden Zeitraum beschränkt wird.
33 Auch keine andere Bestimmung der Verordnung Nr. 806/2014 besagt, dass die Anforderung der 12,5 %-Obergrenze während der Aufbauphase nicht gelte oder dass der SRB während dieser Phase davon abweichen könne.
34 Schließlich wird die Auslegung, dass diese Anforderung auch während der Aufbauphase gilt, durch die Entstehungsgeschichte der Verordnung Nr. 806/2014 bestätigt.
35 Aus Ziff. 4.3.2 der Begründung und Art. 65 Abs. 1 des Vorschlags COM(2013) 520 final der Europäischen Kommission vom 10. Juli 2013, der zum Erlass der Verordnung Nr. 806/2014 geführt hat, geht nämlich hervor, dass die Kommission in ihrem Gesetzgebungsvorschlag empfohlen hatte, dass sich die Aufbauphase für die Bildung des SRF über zehn Jahre erstrecken sollte.
36 In den folgenden Phasen des Gesetzgebungsverfahrens hatte der Rat, wie aus dem in der mündlichen Verhandlung erörterten interinstitutionellen Dossier vom 27. März 2014 (8078/1/14 REV 1) hervorgeht, vorgeschlagen, die im Voraus erhobenen Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten waren, jährlich auf 10 % der endgültigen Zielausstattung zu begrenzen. Als sich das Parlament und der Rat im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens darauf einigten, die Aufbauphase auf acht Jahre zu verkürzen, beschlossen sie zugleich, die in Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehene Obergrenze auf 12,5 % zu erhöhen.
37 Daraus folgt, wie der Rat im Übrigen im Rahmen des vorliegenden Verfahrens bestätigt hat, dass der Unionsgesetzgeber einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der in die Aufbauphase fallenden Jahre und dem in Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 festgelegten Prozentsatz der Obergrenze hergestellt hat.
38 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die in Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehene 12,5 %-Obergrenze während der Aufbauphase gilt.
39 Dies hat der SRB im Übrigen in Nr. 106 des Anhangs III des angefochtenen Beschlusses, der seine Auswertung der Stellungnahmen der Institute enthält, die an der Konsultation zu den im Voraus erhobenen Beiträgen zum SRF für 2022 teilgenommen hatten, selbst eingeräumt, indem er feststellte, dass er „[d]ie 12,5 %-Obergrenze durch die Anwendung [eines] Koeffizienten auf [ein Achtel] des Gesamtbetrags der in Rede stehenden Einlagen eingehalten [habe]“.
40 Als Zweites ist in Bezug auf den Inhalt der Anforderung der 12,5 %-Obergrenze darauf hinzuweisen, dass der SRB gemäß Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 dafür zu sorgen hat, dass die Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten sind, 12,5 % der Zielausstattung, wie sie in Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehen ist, nicht übersteigen.
41 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014, wie die Vorarbeiten zu dieser Verordnung bestätigen, insoweit auf einem dynamischen Ansatz für die endgültige Zielausstattung beruht, als diese anhand der Höhe der gedeckten Einlagen am Ende der Aufbauphase zu bestimmen ist. In Ziff. 4.3.2 der der Begründung ihres Vorschlags COM(2013) 520 final vom 10. Juli 2013, der zur Annahme der genannten Verordnung führte, hatte die Kommission nämlich erläutert, dass die endgültige Zielausstattung dynamisch bleiben und steigen werde, wenn der Bankensektor wachsen sollte.
42 Die Notwendigkeit, die Entwicklung des Betrags der gedeckten Einlagen zu berücksichtigen, erklärt sich außerdem aus dem Zweck der Erhebung der im Voraus erhobenen Beiträge, der u. a. darin besteht, in einer auf dem Versicherungsgedanken basierenden Logik sicherzustellen, dass der Finanzsektor dem SRM ausreichende Finanzmittel zur Verfügung stellt, damit dieser seine Aufgaben erfüllen kann, wie sich aus dem 41. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 806/2014 ergibt (Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB, C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 113). Das Ziel des SRM besteht gemäß dem 12. Erwägungsgrund dieser Verordnung u. a darin, seinerseits die Stabilität der Banken der teilnehmenden Mitgliedstaaten zu stärken und zu verhindern, dass mögliche Krisen auf nicht teilnehmende Mitgliedstaaten übergreifen.
43 In dieser Hinsicht geht aus Ziff. 4.3.2 der Begründung des Vorschlags COM(2013) 520 final hervor, dass mit zunehmender Größe des Bankensektors im Lauf der Zeit auch die für den SRF bereitzustellenden Finanzmittel steigen sollten. Eine Schätzung dieser Größe ermöglicht es somit, die Höhe der Finanzmittel zu prognostizieren, die für den SRF bereitgestellt werden müssten, damit dieser im Fall einer Krise des Bankensektors zur Finanzierung von Abwicklungsinstrumenten verwendet werden kann und somit deren wirksame Anwendung gemäß Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 im Licht des 101. Erwägungsgrundes dieser Verordnung gewährleistet ist.
44 Im Rahmen von Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 hat sich der Unionsgesetzgeber für einen Ansatz entschieden, bei dem der Betrag der gedeckten Einlagen dazu dient, die Größe des Bankensektors zu schätzen und so die Finanzmittel zu berechnen, die dem SRF zur Verfügung gestellt werden müssen. Aus einer solchen Perspektive spiegelt ein möglicher Anstieg des Betrags der gedeckten Einlagen zwischen dem Beginn und dem Ende der Aufbauphase eine Vergrößerung des Bankensektors wider, was mit einer Erhöhung der vom SRF am Ende dieser Phase benötigten Finanzmittel einhergeht.
45 Aus dem Vorstehenden folgt, dass der Betrag der endgültigen Zielausstattung, auf den sich die 12,5 %-Obergrenze bezieht, anhand des Betrags der gedeckten Einlagen bestimmt werden muss, wie er sich zum Ende der Aufbauphase ergeben wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass dieser Betrag erst zum Ende der Aufbauphase mit Sicherheit bekannt sein kann.
46 Da es sich bei der Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge nach Art. 69 und 70 der Verordnung Nr. 806/2014 um ein jährliches Verfahren handelt, das auf der Festlegung einer endgültigen Zielausstattung, die bis zum Ende der Aufbauphase erreicht werden muss, und dann einer jährlichen Zielausstattung, die auf die Institute aufzuteilen ist, beruht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB, C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 113), obliegt es dem SRB, für jeden Beitragszeitraum eine möglichst genaue Schätzung der endgültigen Zielausstattung anhand der zum Zeitpunkt dieser Schätzung verfügbaren Daten (im Folgenden: prognostizierte endgültige Zielausstattung) vorzunehmen.
47 Daraus folgt, dass die prognostizierte endgültige Zielausstattung für die Anwendung der 12,5 %-Obergrenze maßgeblich ist.
48 Folglich muss der SRB bei der in einem bestimmten Beitragszeitraum vorgenommenen Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge gemäß Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 sicherstellen, dass die Höhe der im Voraus erhobenen Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten sind, 12,5 % der prognostizierten endgültigen Zielausstattung nicht überschreitet.
49 Dieses Ergebnis wird durch das Vorbringen des SRB, des Parlaments und des Rates, die Anforderung der 12,5 %-Obergrenze müsse entweder unangewendet bleiben oder „flexibel“ ausgelegt werden, nicht in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang hat der SRB im Wesentlichen geltend gemacht, dass es ihm nicht möglich sei, sowohl die genannte Obergrenze als auch die sich aus Art. 69 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 806/2014 ergebenden Anforderungen einzuhalten, wonach er erstens sicherstellen müsse, dass der SRF seine endgültige Zielausstattung von mindestens 1 % der gedeckten Einlagen bis zum Ende der Aufbauphase erreiche, und zweitens die im Voraus erhobenen Beiträge bis zum Erreichen der endgültigen Zielausstattung zeitlich so gleichmäßig wie möglich zu staffeln habe, wobei jedoch die Konjunkturphase und die etwaigen Auswirkungen prozyklischer Beiträge auf die Finanzlage der Institute gebührend zu berücksichtigen seien. Daraus hat der SRB, dem sich das Parlament und der Rat insoweit angeschlossen haben, abgeleitet, dass Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 im Licht von Art. 69 Abs. 2 dieser Verordnung auszulegen sei, dem zufolge die im Voraus erhobenen Beiträge „zeitlich so gleichmäßig wie möglich“ gestaffelt werden müssten, was nach Ansicht dieser Parteien eine flexible Auslegung der Anforderung der 12,5 %-Obergrenze erlaube.
50 Hierzu ist festzustellen, dass sich der Sinn von Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 eindeutig aus dem Wortlaut dieser Bestimmung selbst ergibt.
51 Nach ständiger Rechtsprechung darf aber die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts im Licht ihres Zusammenhangs und ihres Zwecks nicht dazu führen, dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit zu nehmen, da sie sonst contra legem und damit unvereinbar mit den Anforderungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit wäre. Somit kann der Unionsrichter, wenn sich der Sinn einer Bestimmung des Unionsrechts eindeutig aus ihrem Wortlaut ergibt, nicht von dieser Auslegung abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 2023, Mensing, C‑180/22, EU:C:2023:565, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 16. Juni 2021, Lucaccioni/Kommission, T‑316/19, EU:T:2021:367, Rn. 118 und die dort angeführte Rechtsprechung).
52 Dies gilt für Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 umso mehr, als diese Bestimmung zwingend formuliert ist, wie der Gebrauch der Wendungen „12,5 % der Zielausstattung nicht übersteigen“ (Unterabs. 1) und „[i]n jedem Fall darf der … aggregierte Betrag der … Beiträge [jährlich] 12,5 % der Zielausstattung nicht übersteigen“ (Unterabs. 4) zeigt. Darüber hinaus legt diese Bestimmung eine Obergrenze von exakt 12,5 % fest, indem sie diese zweimal und ohne jede Ausnahme wiederholt, so dass diese Obergrenze von der Behörde, die für die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge zuständig ist, nicht geändert oder angepasst werden kann.
53 Unter diesen Umständen kann nicht geltend gemacht werden, Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 könne im Licht der in Art. 69 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Anforderung dahin ausgelegt werden, dass die 12,5 %-Obergrenze unangewendet bleiben könne oder nur ein Richtwert sei, so dass es dem SRB freistehe, im Hinblick auf das Erreichen der endgültigen Zielausstattung von ihr abzuweichen.
54 Ebenso lässt Art. 69 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014, der insbesondere vorsieht, dass die im Voraus erhobenen Beiträge bis zum Erreichen der endgültigen Zielausstattung zeitlich so gleichmäßig wie möglich gestaffelt werden müssen, keine Auslegung der in Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 dieser Verordnung vorgesehenen 12,5 %-Obergrenze in dem Sinne zu, dass diese unverbindlich oder nur ein Richtwert sei. Abgesehen davon, dass eine solche Auslegung dem klaren und präzisen Wortlaut von Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 dieser Verordnung zuwiderlaufen würde, ist nämlich zum einen darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber selbst, indem er in Art. 69 Abs. 2 dieser Verordnung ausdrücklich vorsieht, dass die im Voraus erhobenen Beiträge „gemäß Artikel 70 berechnet“ werden müssen, die gleichzeitige Anwendung sowohl der 12,5 %-Obergrenze als auch der Anforderung, diese im Voraus erhobenen Beiträge zeitlich so gleichmäßig wie möglich zu staffeln, in Betracht gezogen hat. Zum anderen zielt Art. 69 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 darauf ab, die finanzielle Belastung der Institute zeitlich und so gleichmäßig wie möglich zu verteilen, um erhebliche Schwankungen dieser Belastung von einem Jahr zum anderen zu vermeiden und so der Konjunkturphase und den Auswirkungen, die prozyklische Beiträge auf die Finanzlage dieser Institute haben können, Rechnung zu tragen. Im Gegensatz dazu zielt Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 dieser Verordnung darauf ab, für jedes einzelne Jahr die Höhe der Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten sind, zu begrenzen. Daraus folgt, dass Art. 69 Abs. 2 und Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 unterschiedliche, wenn auch komplementäre Zwecke verfolgen. Daher ist das Argument, dass Art. 69 Abs. 2 dieser Verordnung eine „flexible“ Auslegung der in Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 dieser Verordnung vorgesehenen Anforderung der 12,5 %-Obergrenze erforderlich mache, zurückzuweisen.
55 Diese Schlussfolgerung ist umso mehr geboten, als es entgegen der Behauptung des SRB nicht unmöglich ist, die oben in Rn. 49 genannten Anforderungen miteinander in Einklang zu bringen.
56 Aufgrund der Dauer der Aufbauphase und des Risikos, dass während dieser Zeit unvorhersehbare Ereignisse eintreten, beruht die Schätzung der endgültigen Zielausstattung zwar auf einer vorausschauenden Analyse der Entwicklung der Höhe der gedeckten Einlagen, die hinsichtlich dieser Einschätzung mit Unsicherheiten behaftet ist.
57 Den Aufgaben, die dem SRB übertragen wurden, ist die Berücksichtigung solcher Unsicherheiten jedoch inhärent. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der SRB nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 dafür verantwortlich ist, dass der SRM wirkungsvoll und einheitlich funktioniert. Zu diesem Zweck ist es Aufgabe des SRB, dafür zu sorgen, dass die endgültige Zielausstattung bis zum Ende der Aufbauphase erreicht und gleichzeitig die 12,5 %-Obergrenze eingehalten wird. Der prospektive Charakter seiner Schätzung der endgültigen Zielausstattung bedeutet, dass der SRB die Entwicklung des Betrags der gedeckten Einlagen während der gesamten Aufbauphase mit der nötigen Sorgfalt schätzen muss, damit er über genügend Mittel verfügt, um die Einhaltung der 12,5 %-Obergrenze mit den oben in Rn. 49 genannten Anforderungen in Einklang zu bringen.
58 Dies gilt umso mehr, als die endgültige Zielausstattung nach Art. 69 Abs. 1 der Verordnung Nr. 806/2014 bis zum Ende der Aufbauphase „mindestens“ 1 % der gedeckten Einlagen erreichen muss. Somit verpflichtet diese Bestimmung den SRB nicht, sicherzustellen, dass diese Zielausstattung exakt 1 % der gedeckten Einlagen entspricht, sondern erlaubt ihm, die Entwicklung der gedeckten Einlagen auf der Grundlage konservativer Projektionen so zu schätzen, dass diese Zielausstattung erreicht und zugleich die 12,5 %-Obergrenze eingehalten wird.
59 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission bei der Ausarbeitung der Delegierten Verordnung 2017/747 ebenfalls die gleichzeitige Anwendung der 12,5 %-Obergrenze und der sich aus Art. 69 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 806/2014 ergebenden Anforderungen, die oben in Rn. 49 angeführt sind, in Betracht gezogen hat. Die Delegierte Verordnung 2017/747, die nach ihrem Art. 1 Nr. 1 insbesondere die Kriterien für die zeitliche Staffelung der Beiträge zum SRF nach Art. 69 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014 festlegen soll, sieht nämlich in ihrem Art. 3 Abs. 4 vor, dass die jährlichen Beiträge in einem bestimmten Beitragszeitraum nur dann vergleichsweise niedriger sein können als der Durchschnitt der „nach Artikel 69 Absatz 1 und Artikel 70 Absatz 2 der Verordnung … Nr. 806/2014 berechneten [jährlichen Beiträge]“, wenn der SRB bestätigt, dass die Zielausstattung auf der Grundlage konservativer Projektionen am Ende der Aufbauphase erreicht werden kann.
60 Als Drittes ist daher zu prüfen, ob der SRB im angefochtenen Beschluss die in Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 vorgesehene Anforderung der 12,5 %-Obergrenze beachtet hat.
61 Insoweit geht aus den Erwägungsgründen 45 und 60 des angefochtenen Beschlusses zunächst hervor, dass der SRB die prognostizierte endgültige Zielausstattung auf den Betrag von 79 987 450 580 Euro geschätzt hat.
62 Somit musste der SRB bei der Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge für den Beitragszeitraum 2022 gemäß Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 und auf der Grundlage seiner eigenen Schätzung der endgültigen Zielausstattung sicherstellen, dass die Höhe der im Voraus erhobenen Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten waren, den Betrag von 9 998 431 322,50 Euro nicht überstieg.
63 Wie sich aus dem 62. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses in Verbindung mit Nr. 124 des Anhangs III dieses Beschlusses und der Spalte „Gemeldeter endgültiger Betrag für 2022 (iii)“ der auf der ersten Seite des Anhangs II dieses Beschlusses enthaltenen Tabelle ergibt, hat der SRB die jährliche Zielausstattung für den Beitragszeitraum 2022 auf einen Betrag von 14 253 573 821,46 Euro festgesetzt, wobei dieser Betrag u. a. nach Abzügen gemäß Art. 8 Abs. 2 der Durchführungsverordnung 2015/81 auf 13 675 366 302,18 Euro reduziert wurde.
64 Daher ist festzustellen, wie der SRB im Übrigen in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, dass der angefochtene Beschluss die Höhe der im Voraus erhobenen Beiträge, die von allen im Hoheitsgebiet aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zugelassenen Instituten zu entrichten waren, auf einen Betrag festgesetzt hat, der die Obergrenze von 12,5 % der prognostizierten endgültigen Zielausstattung überstieg.
65 Daraus folgt, dass der SRB gegen Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 verstoßen hat und dass der zweiten Rüge des ersten Klagegrundes somit stattzugeben ist.
66 Dieser Rechtsfehler rechtfertigt allein schon die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses, soweit er die Klägerin betrifft.
67 Daher ist der angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären, soweit er die Klägerin betrifft, ohne dass die zur Stützung des ersten Klagegrundes vorgebrachte erste Rüge oder die anderen Klagegründe geprüft werden müssen.
Zur zeitlichen Beschränkung der Wirkungen des Urteils
68 Der SRB beantragt, im Fall der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses dessen Wirkungen bis zu seiner Ersetzung oder zumindest für einen Zeitraum von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt, zu dem das Urteil rechtskräftig wird, aufrechtzuerhalten, weil eine solche Nichtigerklärung schwerwiegende Folgen für die finanzielle Stabilität in der Bankenunion haben würde.
69 Die Klägerin hat erklärt, dass sie eine mögliche zeitliche Staffelung der Wirkungen einer Nichtigkeitserklärung in das Ermessen des Gerichts stelle.
70 Nach Art. 264 Abs. 2 AEUV kann der Gerichtshof, falls er dies für notwendig hält, diejenigen Wirkungen einer für nichtig erklärten Handlung bezeichnen, die als fortgeltend zu betrachten sind. Um von der ihm durch diesen Artikel eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, berücksichtigt der Gerichtshof die Wahrung des Grundsatzes der Rechtssicherheit und anderer öffentlicher oder privater Interessen (vgl. Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Schweden, C‑389/19 P, EU:C:2021:131, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 22. Dezember 2008, Régie Networks, C‑333/07, EU:C:2008:764, Rn. 122).
71 So wurde Art. 264 Abs. 2 AEUV insbesondere dahin ausgelegt, dass er es aus Gründen der Rechtssicherheit, aber auch aus Gründen, die auf die Vermeidung einer Diskontinuität oder eines Rückschritts in der Umsetzung der von der Union verfolgten oder unterstützten Politiken abzielen, erlaubt, die Wirkungen einer für nichtig erklärten Handlung während eines angemessenen Zeitraums aufrechtzuerhalten (vgl. Urteil vom 27. Januar 2021, Polen/Kommission, T‑699/17, EU:T:2021:44, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
72 Im vorliegenden Fall wurde der angefochtene Beschluss zwar unter Verstoß gegen Art. 70 Abs. 2 Unterabs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 806/2014 erlassen, so dass der im Voraus erhobene Beitrag der Klägerin möglicherweise zu hoch festgesetzt ist; gleichwohl hat das Gericht im vorliegenden Verfahren aber keinen Fehler festgestellt, der die Verpflichtung der Klägerin, einen im Voraus erhobenen Beitrag für den Beitragszeitraum 2022 zu zahlen, als solche berührt.
73 Unter diesen Umständen und in Anlehnung an die Entscheidung, die der Gerichtshof im Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB (C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 177), getroffen hat, wäre die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses, ohne die Aufrechterhaltung seiner Wirkungen vorzusehen, geeignet, die Durchführung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2014, L 173, S. 190), der Verordnung Nr. 806/2014 und der Delegierten Verordnung 2015/63 zu beeinträchtigen, die einen wesentlichen Bestandteil der Bankenunion darstellen, die zur Stabilität des Euro-Währungsgebiets sowie zur finanziellen Stabilität der Union in ihrer Gesamtheit beiträgt. Wäre der SRB nämlich verpflichtet, den Betrag des im Voraus erhobenen Beitrags der Klägerin sowie die Beträge der im Voraus erhobenen Beiträge anderer Institute wie derjenigen, die eine ähnliche Klage erhoben und dabei denselben Klagegrund geltend gemacht haben, dem in der vorliegenden Rechtssache stattgegeben wurde, mit sofortiger Wirkung zurückzuzahlen, obwohl diese Institute grundsätzlich weiterhin der Verpflichtung zur Zahlung der im Voraus erhobenen Beiträge unterliegen, bestünde die Gefahr, dass eine solche Rückzahlung dem SRF finanzielle Mittel entziehen würde, die sich als notwendig erweisen könnten, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets und die finanzielle Stabilität der Union zu gewährleisten.
74 Folglich könnte die Ablehnung des Antrags auf Aufrechterhaltung der Wirkungen des angefochtenen Beschlusses das Ziel der Finanzstabilität und das Ziel, eine Wirtschafts- und Währungsunion zu errichten, deren Währung der Euro ist, wie dies in Art. 3 Abs. 4 EUV vorgesehen ist, beeinträchtigen.
75 Unter diesen Umständen sind die Wirkungen des angefochtenen Beschlusses, soweit er die Klägerin betrifft, aufrechtzuerhalten, bis der SRB die Maßnahmen getroffen hat, die sich aus der Durchführung des vorliegenden Urteils ergeben, und zwar innerhalb einer angemessenen Frist, die sechs Monate ab dem Tag, an dem das vorliegende Urteil rechtskräftig wird, nicht überschreiten darf.
Kosten
76 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der SRB unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Klägerin seine eigenen Kosten und die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.
77 Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen das Parlament und der Rat ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Achte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Der Beschluss SRB/ES/2022/18 des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) vom 11. April 2022 über die Berechnung der für 2022 im Voraus erhobenen Beiträge zum einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) wird für nichtig erklärt, soweit er Dexia betrifft.
2. Die Wirkungen des Beschlusses SRB/ES/2022/18, soweit er Dexia betrifft, werden aufrechterhalten, bis der SRB die Maßnahmen getroffen hat, die sich aus der Durchführung des vorliegenden Urteils ergeben, und zwar innerhalb einer angemessenen Frist, die sechs Monate ab dem Tag, an dem das vorliegende Urteil rechtskräftig wird, nicht überschreiten darf.
3. Der SRB trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Dexia.
4. Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union tragen ihre eigenen Kosten.
Kornezov
De Baere
Petrlík
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. April 2024.
Unterschriften
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Angefochtener Beschluss
Anträge der Verfahrensbeteiligten
Rechtliche Würdigung
Erster Klagegrund: Verstoß gegen Art. 69 Abs. 2 und Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 806/2014
Zur zeitlichen Beschränkung der Wirkungen des Urteils
Kosten