C-24/19 – A u.a. () und à Nevele)

C-24/19 – A u.a. () und à Nevele)

Language of document : ECLI:EU:C:2020:503

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

25. Juni 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2001/42/EG – Prüfung der Umweltauswirkungen – Städtebauliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen – Art. 2 Buchst. a – Begriff ‚Pläne und Programme‘ – Durch einen Erlass und ein Rundschreiben aufgestellte Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung – Art. 3 Abs. 2 Buchst. a – Nationale Rechtsakte, durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten gesetzt wird – Fehlende Umweltprüfung – Aufrechterhaltung der Wirkungen der nationalen Rechtsakte und der auf ihrer Grundlage erteilten Genehmigungen nach Feststellung der Unionsrechtswidrigkeit dieser Rechtsakte – Voraussetzungen“

In der Rechtssache C‑24/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad voor Vergunningsbetwistingen (Rat für Genehmigungsstreitigkeiten, Belgien) mit Entscheidung vom 4. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Januar 2019, in dem Verfahren

A u. a.

gegen

Gewestelijke stedenbouwkundige ambtenaar van het departement Ruimte Vlaanderen, afdeling Oost-Vlaanderen,

Beteiligte:

Organisatie voor Duurzame Energie Vlaanderen VZW,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan und I. Jarukaitis, der Richter E. Juhász, M. Ilešič, J. Malenovský und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter F. Biltgen, A. Kumin, N. Jääskinen und N. Wahl,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von A u. a., vertreten durch T. Swerts, W.‑J. Ingels und L. Nijs, advocaten,

–        der Organisatie voor Duurzame Energie Vlaanderen VZW, vertreten durch T. Malfait und V. McClelland, advocaten,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, M. Jacobs und P. Cottin als Bevollmächtigte im Beistand von J. Vanpraet, advocaat,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, M. Gijzen und M. Noort als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Z. Lavery als Bevollmächtigte im Beistand von R. Warren, QC, und D. Blundell, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Manhaeve und M. Noll‑Ehlers als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. März 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. 2001, L 197, S. 30).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A u. a. und dem Gewestelijke stedenbouwkundige ambtenaar van het departement Ruimte Vlaanderen, afdeling Oost-Vlaanderen (Regionaler Städtebaubeamter für den Raum Flandern, Abteilung Ost-Flandern, Belgien) wegen dessen Entscheidung, einem Stromerzeuger und ‑lieferanten eine städtebauliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von fünf Windkraftanlagen auf einem Grundstück zu erteilen, dessen Anrainer A u. a. sind.

 Rechtlicher Rahmen

 Internationales Recht

3        Das Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen, das am 26. Februar 1991 in Espoo (Finnland) unterzeichnet wurde (im Folgenden: Übereinkommen von Espoo), wurde am 24. Juni 1997 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt und trat am 10. September 1997 in Kraft.

4        Art. 2 Abs. 7 des Übereinkommens von Espoo lautet:

„Als Mindestforderung sind die nach diesem Übereinkommen geforderten Umweltverträglichkeitsprüfungen in der Projektplanungsphase durchzuführen. In angemessenem Umfang werden die Parteien bestrebt sein, die Grundsätze der Umweltverträglichkeitsprüfung auf Maßnahmen, Pläne und Programme anzuwenden.“

 Unionsrecht

5        Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/42 lautet:

„Die Umweltprüfung ist ein wichtiges Werkzeug zur Einbeziehung von Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme bestimmter Pläne und Programme, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt in den Mitgliedstaaten haben können. Denn sie gewährleistet, dass derartige Auswirkungen aus der Durchführung von Plänen und Programmen bei der Ausarbeitung und vor der Annahme berücksichtigt werden.“

6        Art. 1 („Ziele“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Ziel dieser Richtlinie ist es, im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden, indem dafür gesorgt wird, dass bestimmte Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, entsprechend dieser Richtlinie einer Umweltprüfung unterzogen werden.“

7        In Art. 2 der Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Pläne und Programme‘ Pläne und Programme, einschließlich der von der Europäischen Gemeinschaft mitfinanzierten, sowie deren Änderungen,

–        die von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder die von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und

–        die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen;

b)      ‚Umweltprüfung‘ die Ausarbeitung eines Umweltberichts, die Durchführung von Konsultationen, die Berücksichtigung des Umweltberichts und der Ergebnisse der Konsultationen bei der Entscheidungsfindung und die Unterrichtung über die Entscheidung gemäß den Artikeln 4 bis 9;

…“

8        Art. 3 („Geltungsbereich“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die unter die Absätze 2 bis 4 fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, werden einer Umweltprüfung nach den Artikeln 4 bis 9 unterzogen.

(2)      Vorbehaltlich des Absatzes 3 wird eine Umweltprüfung bei allen Plänen und Programmen vorgenommen,

a)      die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337/EWG [des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 1985, L 175, S. 40)] aufgeführten Projekte gesetzt wird …

…“

9        Die Richtlinie 85/337 wurde durch die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1) aufgehoben und ersetzt.

10      In Anhang II Nr. 3 Buchst. i der Richtlinie 2011/92 werden „Anlagen zur Nutzung von Windenergie zur Stromerzeugung (Windfarmen)“ angeführt.

 Belgisches Recht

 Vlarem II

11      Der Besluit van de Vlaamse regering houdende algemene en sectorale bepalingen inzake milieuhygiëne (Erlass der Flämischen Regierung zur Festlegung der allgemeinen und sektoriellen Bestimmungen im Bereich der Umwelthygiene) vom 1. Juni 1995 (Belgisch Staatsblad, 31. Juli 1995, S. 20526) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Vlarem II) wurde u. a. in Durchführung des Decreet van de Vlaamse Raad betreffende de milieuvergunning (Dekret des Flämischen Rates über die Umweltgenehmigung) vom 28. Juni 1985 (Belgisch Staatsblad, 17. September 1985, S. 13304) und des Decreet van de Vlaamse Raad houdende algemene bepalingen inzake milieubeleid (Dekret des Flämischen Rates zur Festlegung der allgemeinen Bestimmungen im Bereich der Umweltpolitik) vom 5. April 1995 (Belgisch Staatsblad, 3. Juni 1995, S. 15971) erlassen. Der Vlarem II enthält allgemeine und sektorielle Umweltbedingungen hinsichtlich schädlicher Einwirkungen und Gefahren, die bestimmte Anlagen und Tätigkeiten hervorrufen können, sowie hinsichtlich der Wiedergutmachung etwaiger durch deren Betrieb bzw. Vornahme verursachter Umweltschäden.

12      Durch Art. 99 des Besluit van de Vlaamse regering tot wijziging van het besluit van de Vlaamse regering van 6 februari 1991 houdende de vaststelling van het Vlaams reglement betreffende de milieuvergunning en van [Vlarem II], wat betreft de actualisatie van voormelde besluiten aan de evolutie van de techniek (Erlass der Flämischen Regierung zur Änderung des Erlasses der Flämischen Regierung vom 6. Februar 1991 zur Festlegung der Flämischen Regelungen betreffend die Umweltgenehmigung und des [Vlarem II] in Bezug auf die Anpassung dieser Erlasse an die Entwicklung der Technik) vom 23. Dezember 2011 (Belgisch Staatsblad, 21. März 2012, S. 16474) wurde dem Vlarem II ein Abschnitt 5.20.6 über Anlagen zur Stromerzeugung durch Windenergie hinzugefügt.

13      Dieser Abschnitt („Anlagen zur Stromerzeugung durch Windenergie“) enthält u. a. Bestimmungen über den Schattenwurf durch Rotorblätter (Beschränkung der hierdurch hervorgerufenen stroboskopischen Effekte), die Sicherheit der Windkraftanlagen (Vorhandensein bestimmter Warn‑ bzw. Erkennungssysteme und Abschaltautomatiken) und Lärm (Durchführung akustischer Messungen).

14      Zum Schattenwurf bestimmt Art. 5.20.6.2.1 des Vlarem II:

„Befindet sich ein gegen Schattenwurf empfindliches Objekt im Umkreis der Windkraftanlage mit einer erwarteten Beschattungsdauer von vier Stunden pro Jahr, wird die Windkraftanlage mit einem automatischen Abschaltmodul ausgerüstet.“

15      Art. 5.20.6.2.2 des Vlarem II verpflichtet den Betreiber, für jede Windkraftanlage ein Protokoll zu führen, darin bestimmte Daten zum Schattenwurf anzugeben sowie mindestens in den ersten beiden Betriebsjahren einen Kontrollbericht zu erstellen.

16      Art. 5.20.6.2.3 des Vlarem II lautet:

„Für relevante gegen Schattenwurf empfindliche Objekte in Industriegebieten, mit Ausnahme von Wohngebäuden, gilt ein Maximum von 30 Stunden effektiven Schattenwurfs pro Jahr, mit einem Maximum von 30 Minuten effektiven Schattenwurfs pro Tag.

Für relevante gegen Schattenwurf empfindliche Objekte in allen anderen Gebieten und für Wohngebäude in Industriegebieten gilt ein Maximum von acht Stunden effektiven Schattenwurfs pro Jahr, mit einem Maximum von 30 Minuten effektiven Schattenwurfs pro Tag.“

17      Auf dem Gebiet der Sicherheit sieht Art. 5.20.6.3.1 des Vlarem II vor, dass alle Windkraftanlagen entsprechend den Sicherheitsanforderungen der Norm IEC61400 oder einer gleichwertigen Norm errichtet und zertifiziert werden müssen. Gemäß Art. 5.20.6.3.2 des Vlarem II müssen alle Windkraftanlagen mit Sicherheitseinrichtungen ausgestattet sein, die insbesondere aus einer Schutzeinrichtung gegen die Gefahren im Zusammenhang mit Vereisung und Blitzschlag, einem Hilfsbremssystem und einem Onlinekontrollsystem, das Unregelmäßigkeiten erkennt und sie an die Kontrolleinheit der Windkraftanlage übermittelt, bestehen.

18      In Bezug auf Lärm legt Art. 5.20.6.4.2 des Vlarem II Lärmgrenzwerte im Freien in der Nähe von Wohngebäuden fest:

„Das spezifische Geräusch einer Windkraftanlage im Freien ist, sofern die Umweltgenehmigung nichts anderes bestimmt, pro Bezugszeitraum und in der Nähe des nächstgelegenen nicht zur Anlage gehörenden Wohngebäudes oder des nächstgelegenen Wohngebiets auf den in Anhang 5.20.6.1 genannten Richtwert oder auf das in Anhang 4B Titel I Nr. F14, 3 des vorliegenden Erlasses: Lsp ≤ MAX (Richtwert, LA 95) genannte Hintergrundgeräusch begrenzt.

Soll das Hintergrundgeräusch herangezogen werden, um eine höhere Norm festzulegen, muss der Abstand zwischen den Windkraftanlagen und den Wohngebäuden größer sein als das Dreifache des Rotordurchmessers.“

19      Anhang 5.20.6.1 des Vlarem II enthält folgende Angaben:

„Gebietsbestimmung gemäß der Genehmigung

Richtwert für das spezifische Geräusch im Freien in dB(A)

tagsüber

abends

nachts

1° Ländliche Gebiete und Ferienhausgebiete

44

39

39

2a° Gebiete oder Teile von Gebieten, mit Ausnahme von Wohngebieten oder Teilen von Wohngebieten, die weniger als 500 m von Industriegebieten entfernt sind

50

45

45

2b° Wohngebiete oder Teile von Wohngebieten, die weniger als 500 m von Industriegebieten entfernt sind

48

43

43

3a° Gebiete oder Teile von Gebieten, mit Ausnahme von Wohngebieten oder Teilen von Wohngebieten, die weniger als 500 m von Gebieten für Handwerksbetriebe und für kleine und mittlere Unternehmen, von Dienstleistungsgebieten oder von Abbaugebieten während des Abbaus entfernt sind

48

43

43

3b° Wohngebiete oder Teile von Wohngebieten, die weniger als 500 m von Gebieten für Handwerksbetriebe und für kleine und mittlere Unternehmen, von Dienstleistungsgebieten oder von Abbaugebieten während des Abbaus entfernt sind

44

39

39

4° Wohngebiete

44

39

39

5°Industriegebiete, Dienstleistungsgebiete, Gebiete für gemeinschaftliche Anlagen und öffentliche Versorgungseinrichtungen sowie Abbaugebiete während des Abbaus

60

55

55

5bis° Landwirtschaftliche Gebiete

48

43

43

6° Erholungsgebiete mit Ausnahme von Ferienhausgebieten

48

43

43

7° Alle anderen Gebiete mit Ausnahme von Puffergebieten, militärischen Bereichen und Gebieten, die Gegenstand von in speziellen Erlassen festgelegten Richtwerten sind

44

39

39

8° Pufferzonen

55

50

50

9° Gebiete oder Teile von Gebieten, die weniger als 500 m von Gebieten für den Abbau von Kies während des Abbaus entfernt sind

48

43

43

10° Landwirtschaftliche Gebiete

48

43

43“

 Rundschreiben von 2006

20      Der Omzendbrief EME/2006/01-RO/2006/02 (Rundschreiben EME/2006/01‑RO/2006/02) („Abwägungsrahmen und Voraussetzungen für die Errichtung von Windkraftanlagen“) vom 12. Mai 2006 (Belgisch Staatsblad, 24. Oktober 2006, S. 56705) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Rundschreiben von 2006) stellt ausweislich seiner Nr. 3 eine Aktualisierung eines Rundschreibens vom 17. Juli 2000 dar.

21      Das Rundschreiben von 2006 enthält nach seiner Nr. 3.1 eine Reihe von Gesichtspunkten, die bei der Wahl des Standorts einer Windkraftanlage zu berücksichtigen sind. Die Nrn. 3.1.1 bis 3.1.14 enthalten verschiedene Erwägungen in den Bereichen Zusammenlegung, Bodennutzung, Wohnen, Landwirtschaft, Industriegebiete, Hafengebiete, Sport und Freizeit, Landschaft, Lärmbelastung, Schattenwurf und Lichtreflexe, Sicherheit, Natur, Umweltverträglichkeitsstudie und Luftfahrt.

22      Konkret lautet Nr. 3.1.9 („Lärmbelastung“) des Rundschreibens wie folgt:

„Das Ausmaß potenzieller Belastungen durch Windkraftanlagen ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wie etwa der Quellstärke der Turbinen, der Errichtungsform, der Achshöhe und der Anzahl der Windkraftanlagen. Auch die Art des Untergrundes (Wasser, Land), der Abstand zu den Anwohnern in der Umgebung und das Niveau des Hintergrundgeräuschs spielen eine Rolle. Im Allgemeinen nimmt das Hintergrundgeräusch bei zunehmendem Wind stärker zu als die Quellstärke der Turbine.

Gemäß Titel II Art. 5.20 Abs. 2 des [Vlarem II] findet keine Geräuschpegelnorm Anwendung. Die Umweltgenehmigung kann jedoch nach Maßgabe der Umgebungssituation Lärmemissionsgrenzwerte festlegen. Die an der Quelle zu treffenden erforderlichen Maßnahmen müssen dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. Zur Beurteilung des spezifischen Geräuschs der Windkraftanlagen können international anerkannte Softwareprogramme verwendet werden. Die Ermittlung des Hintergrundgeräuschs muss von einem in den Bereichen Lärm und Erschütterungen anerkannten Umweltsachverständigen durchgeführt werden.

Befinden sich das nächstgelegene nicht zur Anlage gehörende Wohngebäude oder das nächstgelegene Wohngebiet in einem Abstand von mehr als 250 m zum Turm der Windkraftanlage, kann davon ausgegangen werden, dass die durch die Windkraftanlage oder die Windfarm verursachte Beeinträchtigung auf ein akzeptables Niveau begrenzt werden kann.

Beträgt der Abstand weniger oder gleich 250 m, ist wie folgt vorzugehen:

Das spezifische Geräusch wird in der Nähe des nächstgelegenen nicht zur Anlage gehörenden Wohngebäudes oder des nächstgelegenen Wohngebiets ermittelt. Um zu beurteilen, ob eine Windkraftanlage oder eine Windfarm an einem bestimmten Ort zulässig sind, ist das spezifische Geräusch in Abweichung von Titel II Anhang 2.2.1 des [Vlarem II] nach den folgenden Umweltqualitätsnormen für Lärm im Freien zu bewerten:

Richtwerte in dB(A) im Freien

Gebiet

Umweltqualitätsnormen in dB(A) im Freien

tagsüber

abends

nachts

1° Ländliche Gebiete und Ferienhausgebiete

49

44

39

2° Gebiete oder Teile von Gebieten, die weniger als 500 m von nicht in Nr. 3 genannten Industriegebieten oder von Gebieten für gemeinschaftliche Anlagen und öffentlichen Versorgungseinrichtungen entfernt sind

54

49

49

3° Gebiete oder Teile von Gebieten, die weniger als 500 m von Gebieten für Handwerksbetriebe und kleine und mittlere Unternehmen, von Dienstleistungsgebieten oder von Abbaugebieten während des Abbaus entfernt sind

54

49

44

4° Wohngebiete

49

44

39

5°Industriegebiete, Dienstleistungsgebiete, Gebiete für gemeinschaftliche Anlagen und öffentliche Versorgungseinrichtungen und Abbaugebiete während des Abbaus

64

59

59

6° Erholungsgebiete mit Ausnahme von Ferienhausgebieten

54

49

44

7° Alle anderen Gebiete mit Ausnahme von Pufferzonen, militärischen Bereichen und Gebieten, die Gegenstand von in speziellen Erlassen festgelegten Richtwerten sind

49

44

39

8° Pufferzonen

59

54

54

9° Gebiete oder Teile von Gebieten, die weniger als 500 m von Gebieten für den Abbau von Kies während des Abbaus entfernt sind

59

54

49

Die Ermittlung des spezifischen Geräuschs muss bei einer Windgeschwindigkeit von 8 Metern/Sekunde und in der ungünstigsten Windrichtung erfolgen, also wenn die Lärmauswirkung der Windkraftanlage(n) am betreffenden Punkt am höchsten ist.

Entspricht das spezifische Geräusch den oben genannten Umweltqualitätsnormen oder liegt das spezifische Geräusch in der Nähe des nächstgelegenen nicht zur Anlage gehörenden Wohngebäudes oder des nächstgelegenen Wohngebiets um 5 dB(A) unter dem Hintergrundgeräusch, kann davon ausgegangen werden, dass die durch die Windkraftanlage oder die Windfarm verursachte Beeinträchtigung auf ein akzeptables Niveau beschränkt werden kann.“

23      Nr. 3.1.10 („Schattenwurf – Lichtreflexe“) des Rundschreibens von 2006 lautet:

„Die sich bewegenden Rotorblätter der Windkraftanlagen können durch Schattenwurf und Lichtreflexe sowohl für die in der Umgebung wohnenden und arbeitenden Personen als auch für den Gartenbau (Gewächshäuser) Beeinträchtigungen verursachen.

Die Umrisse des Schattenwurfs können mit Hilfe international gebräuchlicher einschlägiger Softwareprogramme berechnet werden. Bei der Beurteilung der Beeinträchtigung durch Schattenwurf gelten höchstens 30 Stunden effektiven Schattenwurfs pro Jahr in einer bewohnten Wohnstätte als akzeptabel. Geht der Schattenwurfeffekt darüber hinaus, ist zu prüfen, inwieweit Abhilfemaßnahmen ergriffen werden können (etwa angepasster Sonnenschutz, Beschichtung der Fenster …). …

Etwaige Auswirkungen sind im Standortvermerk zu beschreiben.“

24      Was die Wahl des Standorts betrifft, wird im Rundschreiben von 2006 auch der Grundsatz des planerischen Ansatzes (Nr. 3.2.1) angesprochen, mit dem die aus städtebaulicher Perspektive, aus Umwelt- und Windgesichtspunkten optimalen Standorte eingegrenzt werden sollen; das Rundschreiben von 2006 gibt eine Übersicht über die Gebiete, die für die Errichtung von Windkraftanlagen in Betracht kommen (Nr. 3.2.2). Schließlich stellt das Rundschreiben die Rolle der Arbeitsgruppe zur Windenergie überblicksartig dar (Nr. 4).

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

25      Am 30. November 2016 erteilte der regionale Städtebaubeamte für den Raum Flandern, Abteilung Ost-Flandern, am Ende eines Verfahrens, das im Jahr 2011 begonnen hatte, der Electrabel SA unter einer Reihe von Auflagen eine städtebauliche Genehmigung (im Folgenden: Genehmigung vom 30. November 2016) für die Errichtung und den Betrieb von fünf Windkraftanlagen auf dem Gebiet der Gemeinden Aalter (Belgien) und Nevele (Belgien) (im Folgenden: Windfarmprojekt). Nach dieser Genehmigung war insbesondere erforderlich, dass bestimmte, durch die Regelungen in Abschnitt 5.20.6 des Vlarem II bzw. durch das Rundschreiben von 2006 (im Folgenden zusammen: der Erlass und das Rundschreiben von 2006) festgelegte Voraussetzungen erfüllt werden.

26      A u. a. erhoben in ihrer Eigenschaft als Anrainer des für die Verwirklichung des Windfarmprojekts vorgesehenen Grundstücks beim vorlegenden Gericht, dem Raad voor Vergunningsbetwistingen (Rat für Genehmigungsstreitigkeiten, Belgien), Klage auf Aufhebung der Genehmigung vom 30. November 2016. Zur Stützung ihrer Klage bringen sie vor, dass der Erlass und das Rundschreiben von 2006, auf deren Grundlage die Genehmigung erteilt worden sei, gegen Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 verstießen, da sie entgegen den Bestimmungen dieser Richtlinie in der Auslegung durch den Gerichtshof u. a. im Urteil vom 27. Oktober 2016, D’Oultremont u. a. (C‑290/15, EU:C:2016:816), nicht Gegenstand einer Umweltprüfung gewesen seien. Aus diesem Urteil gehe hervor, dass ein nationaler Rechtsakt, der eine Reihe von Bestimmungen hinsichtlich der Errichtung von Windkraftanlagen enthalte, die bei der Erteilung verwaltungsrechtlicher Genehmigungen über die Errichtung und den Betrieb solcher Anlagen zu beachten seien, unter den Begriff „Pläne und Programme“ im Sinne dieser Richtlinie falle und deshalb einer Umweltprüfung unterzogen werden müsse.

27      Der regionale Städtebaubeamte für den Raum Flandern, Abteilung Ost-Flandern, ist demgegenüber im Wesentlichen der Ansicht, der Erlass und das Rundschreiben von 2006 fielen nicht unter den Begriff „Pläne und Programme“ im Sinne der Richtlinie 2001/42, da diese Rechtsakte keinen hinreichend vollständigen Rahmen darstellten, um als kohärentes System für Projekte zur Errichtung von Windkraftanlagen angesehen zu werden.

28      Im Hinblick auf die durch das Urteil vom 27. Oktober 2016, D’Oultremont u. a. (C‑290/15, EU:C:2016:816), erfolgten Klarstellungen hegt das vorlegende Gericht Zweifel, ob der Erlass und das Rundschreiben von 2006 Gegenstand einer Umweltprüfung hätten sein müssen. Daher stellt es sich die Frage, ob sowohl diese Rechtsakte als auch die auf ihrer Grundlage erteilte Genehmigung vom 30. November 2016 mit der Richtlinie 2001/42 vereinbar sind.

29      Darüber hinaus regt das vorlegende Gericht an, der Gerichtshof möge seine ständige Rechtsprechung überdenken, die mit dem Urteil vom 22. März 2012, Inter-Environnement Bruxelles u. a. (C‑567/10, EU:C:2012:159), begonnen und seitdem in den Urteilen vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a. (C‑671/16, EU:C:2018:403), vom 7. Juni 2018, Thybaut u. a. (C‑160/17, EU:C:2018:401), vom 8. Mai 2019, „Verdi Ambiente e Società (VAS) – Aps Onlus“ u. a. (C‑305/18, EU:C:2019:384), vom 12. Juni 2019, CFE (C‑43/18, EU:C:2019:483), sowie vom 12. Juni 2019, Terre wallonne (C‑321/18, EU:C:2019:484), bestätigt worden sei. Nach dieser Rechtsprechung sei die Wortfolge „die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen“ in Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 dahin auszulegen, dass im Sinne und zur Anwendung der Richtlinie 2001/42 die Pläne und Programme „erstellt werden müssen“ und somit der Umweltprüfung gemäß den von dieser Bestimmung festgelegten Bedingungen unterlägen, deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften „geregelt“ sei.

30      Das vorlegende Gericht vertritt jedoch unter Bezugnahme auf die Nrn. 18 und 19 der Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Inter-Environnement Bruxelles u. a. (C‑567/10, EU:C:2011:755) die Auffassung, der Gerichtshof sollte einer Auslegung den Vorzug geben, die eher dem Willen des Unionsgesetzgebers entspreche und die darin bestehe, die Tragweite von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 auf die Rechtsakte zu beschränken, die nach Rechts‑ oder Verwaltungsvorschriften verpflichtend erlassen werden müssten.

31      Unter diesen Umständen hat der Raad vor Vergunningsbetwistingen (Rat für Genehmigungsstreitigkeiten) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Führen Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 dazu, dass Art. 99 des Erlasses der Flämischen Regierung zur Änderung des Erlasses der Flämischen Regierung vom 6. Februar 1991 zur Festlegung der Flämischen Regelungen betreffend die Umweltgenehmigung und des Vlarem II in Bezug auf die Anpassung dieser Erlasse an die Entwicklung der Technik, der Abschnitt 5.20.6 über Anlagen für die Erzeugung von Strom mittels Windenergie in Vlarem II einführt, und das Rundschreiben von 2006, die jeweils unterschiedliche Bestimmungen über die Errichtung von Windkraftanlagen enthalten, u. a. auch Sicherheitsmaßnahmen und je nach Planungsgebiet definierte Schattenwurf- und Geräuschpegelnormen, als „Pläne oder Programme“ im Sinne dieser Richtlinienvorschriften zu qualifizieren sind?

2.      Wenn sich herausstellen sollte, dass vor der Annahme des Erlasses und dem Erlass des Rundschreibens von 2006 eine Umweltprüfung hätte vorgenommen werden müssen, darf der Raad voor Vergunningsbetwistingen (Rat für Genehmigungsstreitigkeiten) die Rechtsfolgen des dann rechtswidrigen Erlasses und des Rundschreibens von 2006 vorläufig aufrechterhalten? Dazu müssen einige Teilfragen gestellt werden:

a)      Kann eine politische Maßnahme, wie das Rundschreiben von 2006, bei der die Ausarbeitungsbefugnis auf den Ermessensspielraum und die politische Gestaltungsfreiheit der betreffenden Behörde zurückgeht, weshalb keine Festlegung der für die Ausarbeitung von „Plänen oder Programmen“ zuständigen Behörde im eigentlichen Sinne vorliegt, und für die auch kein förmliches Ausarbeitungsverfahren vorgesehen ist, als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 angesehen werden?

b)      Reicht es aus, dass eine politische Maßnahme oder eine allgemeine Regelung, wie der Erlass und das Rundschreiben von 2006, den Ermessensspielraum der für die Genehmigungserteilung zuständigen Behörde teilweise einschränkt, um als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 zu gelten, selbst wenn der Erlass und das Rundschreiben von 2006 kein Erfordernis bzw. keine notwendige Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung darstellen oder keinen Rahmen für künftige Genehmigungen setzen sollen, obwohl der Unionsgesetzgeber diesen Zweck als Bestandteil des Begriffs „Pläne und Programme“ betrachtet?

c)      Kann eine politische Maßnahme, wie das Rundschreiben von 2006, deren Ausarbeitung aus Gründen der Rechtssicherheit und daher vollständig freiwillig erfolgt, als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 angesehen werden, und widerspricht eine solche Auslegung womöglich der Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die teleologische Auslegung einer Richtlinie nicht wesentlich von dem eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers abweichen darf?

d)      Kann Abschnitt 5.20.6 des Vlarem II, der Regeln enthält, deren Erlass nicht vorgeschrieben war, als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 angesehen werden, und widerspricht eine solche Auslegung womöglich der Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die teleologische Auslegung einer Richtlinie nicht wesentlich von dem eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers abweichen darf?

e)      Können eine politische Maßnahme und ein normativer Regierungserlass, wie der Erlass und das Rundschreiben von 2006, die beschränkten indikativen Charakter haben oder zumindest keinen Rahmen setzen, aus dem ein Recht auf Durchführung eines Projekts hergeleitet werden kann, und die kein Recht auf einen Rahmen einräumen, in dem Projekte erlaubt werden können, als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 angesehen werden, „durch [den bzw. das] der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337 aufgeführten Projekte gesetzt wird“, und widerspricht eine solche Auslegung womöglich der Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die teleologische Auslegung einer Richtlinie nicht wesentlich von dem eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers abweichen darf?

f)      Können eine politische Maßnahme, wie das Rundschreiben von 2006, die rein indikativen Charakter hat, und/oder ein normativer Regierungserlass, wie Abschnitt 5.20.6 des Vlarem II, der bloß Mindestgrenzen für die Genehmigungserteilung festlegt und im Übrigen völlig autonom als allgemeine Regelung wirkt,

–        wobei beide nur eine beschränkte Anzahl an Kriterien und Modalitäten enthalten

–        und weder diese Maßnahme noch dieser Regierungserlass für irgendeines der Kriterien oder irgendeine der Modalitäten allein bestimmend ist und wobei folglich argumentiert werden könnte, dass anhand von objektiven Umständen ausgeschlossen werden kann, dass sie erhebliche Umweltauswirkungen haben können,

als „Plan oder Programm“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/42 angesehen werden und daher als Rechtsakte, die durch die Festlegung der auf den betreffenden Bereich anzuwendenden Regeln und Kontrollverfahren eine signifikante Gesamtheit an Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte vorsehen, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben?

g)      Kann ein Gericht, falls Frage 2 Buchst. f verneint wird, dies selbst feststellen, nachdem der Erlass ergangen ist oder die Pseudorechtsvorschriften (wie der Erlass und das Rundschreiben von 2006) erlassen wurden?

h)      Kann ein Gericht, falls es nur mittelbar über eine inter partes geltende Einrede zuständig ist und falls sich aus der Beantwortung der Vorlagefragen ergibt, dass der Erlass und das Rundschreiben von 2006 rechtswidrig sind, anordnen, dass die Wirkungen des rechtswidrigen Erlasses und/oder Rundschreibens aufrechterhalten werden, wenn die rechtswidrigen Instrumente zu einem Umweltschutzziel, das auch von einer Richtlinie im Sinne von Art. 288 AEUV verfolgt wird, beitragen und die Voraussetzungen des Unionsrechts für eine solche Aufrechterhaltung (wie im Urteil vom 28. Juli 2016, Association France Nature Environnement [C‑379/15, EU:C:2016:603], aufgestellt) erfüllt sind?

i)      Kann ein Gericht, falls Frage 2 Buchst. h verneint wird, anordnen, dass die Wirkungen des angefochtenen Projekts aufrechterhalten werden, um so mittelbar die Voraussetzungen des Unionsrechts für die Aufrechterhaltung der Rechtsfolgen des der Richtlinie 2001/42 widersprechenden Plans oder Programms (wie im Urteil vom 28. Juli 2016, Association France Nature Environnement [C‑379/15, EU:C:2016:603], aufgestellt) zu erfüllen?

 Zu den Vorlagefragen

 Fragen 1 und 2 Buchst. a bis d: Begriff „Pläne und Programme“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42

32      Mit seinen Fragen 1 und 2 Buchst. a bis d, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 dahin auszulegen ist, dass ein von der Regierung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats angenommener Erlass und ein von ihr erlassenes Rundschreiben, die jeweils unterschiedliche Bestimmungen über die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen enthalten, unter den Begriff „Pläne und Programme“ fallen.

33      Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 definiert die von ihm erfassten „Pläne und Programme“ anhand zweier kumulativer Voraussetzungen, die in den beiden Gedankenstrichen dieser Bestimmung niedergelegt sind, nämlich dass sie zum einen von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen wurden oder von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung mittels eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet wurden und zum anderen aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen.

34      Die erste dieser Voraussetzungen ist erfüllt, da den Angaben des vorlegenden Gerichts zu entnehmen ist, dass der Erlass und das Rundschreiben von 2006 von der flämischen Regierung, einer regionalen Behörde, erlassen wurden.

35      Hinsichtlich der in Art. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/42 genannten zweiten Voraussetzung ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass im Sinne und zur Anwendung der Richtlinie 2001/42 als Pläne und Programme, die „erstellt werden müssen“, jene Pläne und Programme anzusehen sind, deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen (Urteile vom 22. März 2012, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑567/10, EU:C:2012:159, Rn. 31, vom 7. Juni 2018, Thybaut u. a., C‑160/17, EU:C:2018:401, Rn. 43, sowie vom 12. Juni 2019, Terre wallonne, C‑321/18, EU:C:2019:484, Rn. 34). Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit dieser Bestimmung angesichts ihres Ziels eine Maßnahme als Maßnahme, die „erstellt werden muss“, anzusehen ist, wenn die Befugnis zu ihrem Erlass ihre Rechtsgrundlage in einer besonderen Bestimmung findet, auch wenn die Ausarbeitung der Maßnahme eigentlich nicht verpflichtend ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 38 bis 40).

36      Vorab ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen ebenso wie die Regierung des Vereinigten Königreichs in ihren schriftlichen Erklärungen den Gerichtshof ersuchen, diese Rechtsprechung zu überdenken.

37      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Oktober 2019, BGL BNP Paribas, C‑548/18, EU:C:2019:848, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Was zunächst den Wortlaut von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ein Vergleich der Sprachfassungen von Art. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/42 Bedeutungsunterschiede zwischen den Fassungen aufzeigt. Während der in der französischen Fassung verwendete Begriff „exigés“ ebenso wie insbesondere die Begriffe in der spanischen („exigidos“), der deutschen („erstellt werden müssen“), der englischen („required“), der niederländischen („zijn voorgeschreven“), der portugiesischen („exigido“) und der rumänischen („impuse“) Sprachfassung nämlich auf eine Art Erfordernis oder Verpflichtung verweisen, verwendet die italienische Sprachfassung den weniger zwingenden Begriff „previsiti“ („vorgesehen“).

39      Allerdings sind alle Fassungen der Handlungen in den Amtssprachen der Union maßgebend, so dass grundsätzlich allen Sprachfassungen einer Unionshandlung der gleiche Wert beizumessen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. November 2011, Homawoo, C‑412/10, EU:C:2011:747, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 20. Februar 2018, Belgien/Kommission, C‑16/16 P, EU:C:2018:79, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Folglich führt die Prüfung des Wortlauts von Art. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/42 zu keinem eindeutigen Ergebnis, da sich durch sie nicht feststellen lässt, ob die „Pläne und Programme“ im Sinne dieser Bestimmung nur solche sind, die von den nationalen Behörden kraft Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erlassen werden müssen.

41      Was sodann die Entstehungsgeschichte von Art. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/42 angeht, so wurde diese Bestimmung, die weder im ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission noch in dessen geänderter Fassung enthalten war, durch den Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 25/2000 vom 30. März 2000, vom Rat festgelegt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. 2000, C 137, S. 11) hinzugefügt. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 62 und 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wollte der Unionsgesetzgeber durch diese Ergänzung die Pflicht zur Durchführung einer Umweltprüfung nur auf bestimmte Pläne und Programme begrenzen, ohne aber wohl die Absicht gehabt zu haben, sie ausschließlich auf Pläne und Programme zu beschränken, deren Annahme vorgeschrieben ist.

42      Hinsichtlich des Zusammenhangs, in den sich diese Bestimmung einfügt, ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 66 und 67 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, erstens zu betonen, dass ein binäres Konzept, das eine Unterscheidung danach vornimmt, ob die Annahme eines Plans oder eines Programms verpflichtend oder freiwillig ist, nicht geeignet wäre, die unterschiedlichen Gegebenheiten und die heterogene Praxis der nationalen Behörden hinreichend genau und daher zufriedenstellend zu erfassen. Die Annahme von Plänen und Programmen, die auf eine Vielzahl von Fallgestaltungen zurückgehen kann, ist nämlich häufig weder generell vorgeschrieben noch zur Gänze dem Ermessen der zuständigen Behörden überlassen.

43      Zweitens schließt Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 nicht nur die Ausarbeitung oder Annahme von „Plänen und Programmen“, sondern auch ihre Änderungen ein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. März 2012, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑567/10, EU:C:2012:159, Rn. 36, sowie vom 10. September 2015, Dimos Kropias Attikis, C‑473/14, EU:C:2015:582, Rn. 44). Wie der Generalanwalt in Nr. 68 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, liegt jedoch der letztgenannte Fall, in dem auch die Änderung des betreffenden Plans oder Programms erhebliche Umweltauswirkungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/42 haben kann, am häufigsten dann vor, wenn eine Behörde von sich aus entscheidet, eine solche Änderung vorzunehmen, ohne dazu verpflichtet zu sein.

44      Die vorausgehenden Erwägungen stehen im Einklang mit dem Ziel der Richtlinie 2001/42, die sich ihrerseits in den in Art. 37 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehenen Rahmen einfügt, wonach ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität in die Politik der Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden müssen.

45      Ausweislich des Art. 1 der Richtlinie 2001/42 besteht deren Ziel nämlich darin, im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden.

46      Das Hauptziel der Richtlinie 2001/42 besteht nach ihrem Art. 1 darin, dass Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, bei ihrer Ausarbeitung und vor ihrer Annahme einer Umweltprüfung unterzogen werden (Urteile vom 22. September 2011, Valčiukienė u. a., C‑295/10, EU:C:2011:608, Rn. 37, sowie vom 7. Juni 2018, Thybaut u. a., C‑160/17, EU:C:2018:401, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Ferner wurde die Richtlinie 2001/42 auf der Grundlage von Art. 175 Abs. 1 EG erlassen, der das Tätigwerden der Gemeinschaft in der Umweltpolitik zur Erreichung der in Art. 174 EG genannten Ziele betrifft. Gemäß Art. 191 AEUV, der Art. 174 EG entspricht, Abs. 2 zielt die Umweltpolitik der Union unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf ein „hohes Schutzniveau“ ab. Art. 191 Abs. 1 AEUV erlaubt den Erlass von Maßnahmen, die insbesondere bestimmte Aspekte der Umwelt betreffen, wie die Erhaltung und den Schutz der Umwelt sowie die Verbesserung ihrer Qualität, den Schutz der menschlichen Gesundheit sowie die umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen. Im gleichen Sinne heißt es in Art. 3 Abs. 3 EUV, dass die Union insbesondere auf „ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ hinwirkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Associazione Italia Nostra Onlus, C‑444/15, EU:C:2016:978, Rn. 41 bis 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Würde Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 dahin ausgelegt, dass nur die Pläne oder Programme, deren Annahme verpflichtend ist, von der in dieser Richtlinie festgelegten Pflicht zu einer Umweltprüfung erfasst wären, bestünde jedoch die Gefahr, dass diese Ziele konterkariert würden. Zum einen ist nämlich, wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, die Annahme solcher Pläne oder Programme häufig nicht generell vorgeschrieben. Zum anderen hätte ein Mitgliedstaat bei dieser Auslegung die Möglichkeit, die Pflicht zur Umweltprüfung leicht dadurch zu umgehen, dass er bewusst keine Pflicht der zuständigen Behörden zur Annahme solcher Pläne oder Programme vorsieht.

49      Darüber hinaus steht die weite Auslegung des Begriffs „Pläne und Programme“ im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Union, wie sie sich insbesondere aus Art. 2 Abs. 7 des Übereinkommens von Espoo ergeben.

50      Folglich hat der Gerichtshof, während bei einer engen Auslegung, die die zweite Voraussetzung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 allein auf „Pläne und Programme“ beschränkte, deren Annahme verpflichtend ist, die Gefahr bestünde, die Tragweite dieser Voraussetzung zu marginalisieren, der Notwendigkeit den Vorzug gegeben, die praktische Wirksamkeit dieser Voraussetzung sicherzustellen, indem eine weitere Konzeption des Begriffs „erstellt werden müssen“ zugrunde gelegt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2012, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑567/10, EU:C:2012:159, Rn. 30).

51      Mithin gibt es keinen Anhaltspunkt, der eine Änderung der entsprechenden Rechtsprechung des Gerichtshofs rechtfertigen kann.

52      Hieraus ergibt sich, dass Art. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/42 dahin auszulegen ist, dass im Sinne und zur Anwendung dieser Richtlinie als Pläne und Programme, die „erstellt werden müssen“, jene Pläne und Programme anzusehen sind, deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen.

53      Hinsichtlich der Frage, ob der Erlass und das Rundschreiben von 2006 diese Voraussetzung erfüllen, ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass der Vlarem II ein Erlass ist, der von der Exekutive einer föderalen Einheit Belgiens, nämlich der flämischen Regierung, in Durchführung von höherrangigen Vorschriften der Legislative derselben föderalen Einheit, nämlich des flämischen Parlaments, erlassen wurde. Aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts zum Dekret des Flämischen Rates über die Umweltgenehmigung und zum Dekret des Flämischen Rates zur Festlegung der allgemeinen Bestimmungen im Bereich der Umweltpolitik geht jedoch hervor, dass diese Dekrete den Erlass des Vlarem II durch die flämische Regierung insbesondere dadurch regelten, dass sie der flämischen Regierung die Befugnis zum Erlass dieses Rechtsakts übertrugen und vorgaben, dass die darin vorgesehenen sektoriellen Voraussetzungen dazu dienen sollten, inakzeptable Beeinträchtigungen und Gefahren der betreffenden Anlagen und Tätigkeiten für die Umwelt zu verhindern und zu begrenzen.

54      Zum Rundschreiben von 2006 ist dem Vorabentscheidungsersuchen zu entnehmen, dass das Rundschreiben im vorliegenden Fall von der flämischen Regierung stammt und vom Ministerpräsidenten und zwei in diesem Bereich zuständigen Ministern unterzeichnet wurde.

55      Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass das Rundschreiben von 2006, das wie der Vlarem II dazu beitrage, die Ziele und zu erfüllenden Vorschriften der Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG (ABl. 2009, L 140, S. 16) zu verwirklichen bzw. umzusetzen, seine Rechtsgrundlage in der Verwaltungs- und Beurteilungskompetenz finde, über die die Behörden gemäß den einschlägigen nationalen Vorschriften verfügten, um sogenannte „Umweltgenehmigungen“ im Sinne dieser Vorschriften zu erteilen.

56      So gehe das Rundschreiben von 2006 auf die Entscheidung der Ministerialbehörden der genannten föderalen Einheit zurück, ihr eigenes Ermessen dadurch zu begrenzen, dass sie sich zur Befolgung der auf diese Weise selbst festgelegten Regeln verpflichtet hätten. Es zeigt sich mithin, dass sich der Erlass des Rundschreibens von 2006, vorbehaltlich der Prüfung, die im vorliegenden Fall das vorlegende Gericht hinsichtlich der genauen Rechtsnatur eines solchen Rundschreibens in der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats durchzuführen haben wird, in den Rahmen der Befugnisse einfügt, die diesen Ministerialbehörden nach belgischem Recht zustehen.

57      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Begriff „Pläne und Programme“ nicht nur ihre Ausarbeitung, sondern auch ihre Änderung einschließt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2019, CFE, C‑43/18, EU:C:2019:483, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Der Gerichtshof hat insbesondere bereits entschieden, dass, obwohl ein Rechtsakt keine positiven Vorschriften enthält und auch nicht enthalten kann, die durch ihn eröffnete Möglichkeit zur einfacheren Bewilligung von Abweichungen von geltenden Bestimmungen die Rechtslage ändert und zur Folge hat, dass ein solcher Rechtsakt in den Anwendungsbereich von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2018, Thybaut u. a., C‑160/17, EU:C:2018:401, Rn. 58).

59      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 108 und 109 seiner Schlussanträge ausgeführt hat und wie sich aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt, hat es jedoch den Anschein, dass Nr. 3 des Rundschreibens von 2006 den Einschluss von Gebieten gestattet, die ursprünglich nicht für die Erzeugung von Windenergie in Betracht gezogen worden waren. Außerdem scheint der Anhang dieses Rundschreibens weniger strenge Werte im Vergleich zu den Werten zu enthalten, die im Anhang zu Abschnitt 5.20.6.1 des Vlarem II auf dem Gebiet der Umweltqualität hinsichtlich Lärm und Schattenwurf in Wohngebieten vorgesehen sind, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.

60      Daher ändert, wie sinngemäß der Generalanwalt in Nr. 80 seiner Schlussanträge ausgeführt hat und vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht, das Rundschreiben von 2006 die Bestimmungen des Vlarem II, indem es sie weiterentwickelt oder aufhebt, so dass davon ausgegangen werden kann, dass es die in Rn. 52 des vorliegenden Urteils genannte Voraussetzung erfüllt.

61      Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass der allgemeine Charakter des Erlasses und des Rundschreibens von 2006 der Einstufung dieser Rechtsakte als „Pläne und Programme“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 nicht entgegensteht. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung kann nämlich der Begriff „Pläne und Programme“ zwar Rechtsetzungsakte umfassen, die im Gesetzgebungs- oder Verordnungsweg erlassen wurden, jedoch enthält diese Richtlinie gerade keine besonderen Bestimmungen über Politiken oder allgemeine Regelungen, die eine Abgrenzung gegenüber Plänen und Programmen im Sinne der Richtlinie erforderten. Der Umstand, dass ein nationaler Rechtsakt ein gewisses Abstraktionsniveau aufweist und das Ziel einer Umgestaltung eines geografischen Gebiets verfolgt, zeugt von seiner programmatischen bzw. planerischen Dimension und hindert seine Einbeziehung in den Begriff „Pläne und Programme“ nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Folglich erfüllen der Vlarem II und, vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht durchzuführenden Prüfung, das Rundschreiben von 2006 auch die zweite Voraussetzung des Art. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/42.

63      Nach alledem ist auf die Fragen 1 und 2 Buchst. a bis d zu antworten, dass Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 dahin auszulegen ist, dass ein von der Regierung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats angenommener Erlass und ein von ihr erlassenes Rundschreiben, die jeweils unterschiedliche Bestimmungen über die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen enthalten, unter den Begriff „Pläne und Programme“ fallen.

 Frage 2 Buchst. e bis g: Begriff „Pläne und Programme“, die einer Umweltprüfung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 unterworfen sind

64      Mit seiner zweiten Frage Buchst. e bis g möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 dahin auszulegen ist, dass ein Erlass und ein Rundschreiben, die jeweils unterschiedliche Bestimmungen über die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen enthalten, darunter Maßnahmen in Bezug auf Schattenwurf, Sicherheit und Geräuschpegelnormen, Pläne und Programme darstellen, die nach dieser Bestimmung einer Umweltprüfung unterzogen werden müssen.

65      Art. 3 der Richtlinie 2001/42 knüpft die Pflicht, einen bestimmten Plan oder ein bestimmtes Programm einer Umweltprüfung zu unterziehen, an die Voraussetzung, dass der Plan bzw. das Programm, der bzw. das unter diese Bestimmung fällt, voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hat (Urteil vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 30). Konkret werden gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie Pläne und Programme einer systematischen Umweltprüfung unterzogen, die in bestimmten Bereichen ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 2011/92 aufgeführten Projekte gesetzt wird (Urteil vom 8. Mai 2019, „Verdi Ambiente e Società [VAS] – Aps Onlus“ u. a., EU:C:2019:384, Rn. 47).

66      Als Erstes ist im vorliegenden Fall unstreitig, dass der Erlass und das Rundschreiben von 2006 den in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 erwähnten Energiesektor betreffen und dass diese nationalen Rechtsake Windfarmprojekte betreffen, die zu den in Anhang II Nr. 3 Ziff. i der Richtlinie 2011/92 angeführten Projekten gehören.

67      Als Zweites ist hinsichtlich der Frage, ob durch diese Rechtsakte der Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten gesetzt wird, darauf hinzuweisen, dass sich der Begriff „Pläne und Programme“ auf jeden Rechtsakt bezieht, der dadurch, dass er die in dem betreffenden Bereich anwendbaren Regeln und Verfahren zur Kontrolle festlegt, eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte aufstellt, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben (Urteile vom 27. Oktober 2016, D’Oultremont u. a., C‑290/15, EU:C:2016:816, Rn. 49, vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 53, sowie vom 12. Juni 2019, CFE, C‑43/18, EU:C:2019:483, Rn. 61).

68      Diese Auslegung soll die Umweltprüfung von Vorgaben sicherstellen, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen verursachen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne, C‑41/11, EU:C:2012:103, Rn. 42, sowie vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 54).

69      Im vorliegenden Fall stellen der Erlass und das Rundschreiben von 2006 Bedingungen für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen in der Region Flandern auf, die insbesondere den Schattenwurf, die Sicherheitsvorschriften und die Lärmemissionen betreffen.

70      Auch wenn der Erlass und das Rundschreiben von 2006 keine vollständige Gesamtheit an Vorschriften über die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen darzustellen scheinen, hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass der Begriff „signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten“ qualitativ und nicht quantitativ zu verstehen ist. Es sollen nämlich mögliche Strategien zur Umgehung der in der Richtlinie 2001/42 genannten Verpflichtungen, die die Maßnahmen zerstückeln könnten und so die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie verringern, vermieden werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Juni 2018, Inter-Environnement Bruxelles u. a., C‑671/16, EU:C:2018:403, Rn. 55, und vom 12. Juni 2019, CFE, C‑43/18, EU:C:2019:483, Rn. 64).

71      Wie der Generalanwalt in Nr. 94 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, zeigen das Gewicht und das Ausmaß der von diesem Erlass und diesem Rundschreiben festgelegten Vorgaben, dass diese Rechtsakte zwar keinen erschöpfenden, wohl aber einen hinreichend signifikanten Rahmen für die Bestimmung der Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung von Windfarmen – Projekten, die unbestreitbar Umweltauswirkungen haben – im betreffenden geografischen Gebiet darstellen.

72      In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 50 des Urteils vom 27. Oktober 2016, D’Oultremont u. a. (C‑290/15, EU:C:2016:816), entschieden hat, dass ein Rechtsakt, der Vorschriften ähnlich denen des Erlasses und des Rundschreibens von 2006 über die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen enthielt, ein hinreichend signifikantes Gewicht und Ausmaß hatte, um die in dem betreffenden Bereich geltenden Voraussetzungen zu regeln, und dass die mit diesen Normen getroffenen Entscheidungen insbesondere umweltpolitischer Art dazu beitragen sollen, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die konkreten Projekte der Errichtung und des Betriebs von Windkraftanlagen künftig genehmigt werden können.

73      In Anbetracht dieser Umstände ist davon auszugehen, dass der Erlass und, vorbehaltlich der Prüfungen, auf die in den Rn. 60 und 62 des vorliegenden Urteils verwiesen worden ist, das Rundschreiben von 2006 unter den Begriff „Pläne und Programme“ fallen, die gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/42 einer Prüfung der Umweltauswirkungen unterzogen werden müssen.

74      Diese Auslegung kann durch die besondere Rechtsnatur des Rundscheibens von 2006 nicht in Frage gestellt werden.

75      Die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 enthaltene Wortfolge „durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung [von] Projekte[n] gesetzt wird“ verweist nämlich nicht auf nationale Rechtsvorschriften und stellt daher einen autonomen Begriff des Unionsrechts dar, der im Unionsgebiet einheitlich auszulegen ist.

76      Auch wenn keine Gewissheit besteht, dass ein Rechtsakt wie das Rundschreiben von 2006 verbindliche Rechtswirkungen für Dritte entfalten kann, kann dieses Rundschreiben, vorbehaltlich einer Prüfung seiner genauen rechtlichen Tragweite durch das vorlegende Gericht, jedoch nicht Bestimmungen mit bloßem Richtwertcharakter gleichgestellt werden, die die in der vorstehenden Randnummer genannte Voraussetzung nicht erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2019, Terre wallonne, C‑321/18, EU:C:2019:484, Rn. 44).

77      Abgesehen davon, dass der Titel des Rundschreibens von 2006 „Abwägungsrahmen und Voraussetzungen für die Errichtung von Windkraftanlagen“ lautet, geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervor, dass die Genehmigung vom 30. November 2016 klarstellt, dass diese zu jedem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieses Rundschreibens erfüllen muss, was nahelegt, dass das Rundschreiben zumindest für die im Bereich der Genehmigungserteilung zuständigen Behörden verbindlich ist.

78      Im Übrigen scheint, wie der Generalanwalt in Nr. 95 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die belgische Regierung selbst den verbindlichen Charakter des Erlasses und des Rundschreibens von 2006 insgesamt für diese Behörden einzuräumen, wenn sie vorträgt, dass es, sollten die nach diesen Rechtsakten vorgesehenen Umweltbedingungen eventuell nicht mit dem Unionsrecht in Einklang stehen, dazu führen würde, dass die zuvor erteilten Genehmigungen ungültig würden, so dass die Wirkungen des vom vorlegenden Gericht zu erlassenden Urteils zeitlich zu begrenzen wären.

79      Nach alledem ist auf die zweite Frage Buchst. e bis g zu antworten, dass Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 dahin auszulegen ist, dass ein Erlass und ein Rundschreiben, die jeweils unterschiedliche Bestimmungen über die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen enthalten, darunter Maßnahmen in Bezug auf Schattenwurf, Sicherheit und Geräuschpegelnormen, Pläne und Programme darstellen, die nach dieser Bestimmung einer Umweltprüfung unterzogen werden müssen.

 Frage 2 Buchst. h und i: Möglichkeit des vorlegenden Gerichts, die Wirkungen des Erlasses, des Rundschreibens von 2006 und der Genehmigung vom 30. November 2016 aufrechtzuerhalten

80      Mit seiner zweiten Frage Buchst. h und i möchte das vorlegende Gericht wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen es, wenn sich herausstellt, dass vor der Annahme des Erlasses und des Rundschreibens, auf die eine vor ihm angefochtene Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen gestützt ist, eine Umweltprüfung im Sinne der Richtlinie 2001/42 hätte vorgenommen werden müssen, so dass die beiden Rechtsakte und die Genehmigung nicht mit dem Unionsrecht in Einklang stehen, die Wirkungen dieser beiden Rechtsakte und dieser Genehmigung aufrechterhalten kann.

81      Zunächst einmal besteht nach ihrem Art. 1 das Ziel der Richtlinie 2001/42 darin, dass Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, bei ihrer Ausarbeitung und vor ihrer Annahme einer Umweltprüfung unterzogen werden.

82      Da die Richtlinie 2001/42 keine Bestimmungen hinsichtlich der Konsequenzen enthält, die aus einem Verstoß gegen die von ihr aufgestellten Verfahrensvorschriften zu ziehen wären, ist es Sache der Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, damit sämtliche „Pläne“ und „Programme“, die „erhebliche Umweltauswirkungen“ im Sinne dieser Richtlinie haben können, Gegenstand einer Umweltprüfung gemäß den von der Richtlinie vorgesehenen Verfahrensmodalitäten und Kriterien sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, Association France Nature Environnement, C‑379/15, EU:C:2016:603, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Die Mitgliedstaaten sind nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV vorgesehenen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet, die rechtswidrigen Folgen eines solchen Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beheben. Hieraus ergibt sich, dass die zuständigen nationalen Behörden einschließlich der nationalen Gerichte, die mit Klagen gegen einen innerstaatlichen Rechtsakt befasst sind, der unter Verstoß gegen das Unionsrecht erlassen wurde, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um dem Unterbleiben einer Umweltprüfung abzuhelfen. Bei einem unter Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung einer Umweltprüfung erlassenen „Plan“ oder „Programm“ könnte dies etwa darin bestehen, Maßnahmen zur Aussetzung oder Aufhebung des Plans oder Programms zu ergreifen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, Association France Nature Environnement, C‑379/15, EU:C:2016:603, Rn. 31 und 32) sowie eine bereits erteilte Genehmigung zurückzunehmen oder auszusetzen, damit die Prüfung durchgeführt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 2019, Kommission/Irland [Windfarm Derrybrien], C‑261/18, EU:C:2019:955, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84      Zudem kann nur der Gerichtshof in Ausnahmefällen und aus zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit eine vorübergehende Aussetzung der Verdrängungswirkung herbeiführen, die eine unionsrechtliche Vorschrift gegenüber mit ihr unvereinbarem nationalem Recht ausübt. Wären nämlich nationale Gerichte befugt, auch nur vorübergehend nationalen Bestimmungen Vorrang vor dem Unionsrecht einzuräumen, gegen das sie verstoßen, würde die einheitliche Anwendung des Unionsrechts beeinträchtigt (Urteil vom 29. Juli 2019, Inter-Environnement Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen, C‑411/17, EU:C:2019:622, Rn. 177 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85      Zur Argumentation der Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen, wonach die ausnahmsweise Aufrechterhaltung der Wirkungen der mit dem Unionsrecht unvereinbaren nationalen Maßnahmen nur im Rahmen einer direkten Klage gegen die potenziell unzulänglichen Maßnahmen möglich sei, nicht aber im Rahmen einer Einrede, wenn sich die vor dem nationalen Gericht erhobene Klage gegen in Durchführung dieser Maßnahmen erlassene Rechtsakte richte, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, wie der Generalanwalt in den Nrn. 126 bis 128 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, in seiner Rechtsprechung keine derartige Unterscheidung vorgenommen hat und dass diese Aufrechterhaltung durch den Gerichtshof im Rahmen beider Klagen möglich ist.

86      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass es zwar das Decreet betreffende de organisatie en de rechtspleging van sommige Vlaamse bestuursrechtscolleges (Dekret über die Organisation und das Verfahren bestimmter flämischer Verwaltungsgerichte) vom 4. April 2014 (Belgisch Staatsblad, 1. Oktober 2014, S. 77620) dem vorlegenden Gericht nicht gestattet, die Wirkungen des Erlasses und des Rundschreibens von 2006 vorübergehend aufrechtzuerhalten, ihm jedoch die belgische Verfassung in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung das Recht einräumen würde, diese nationalen Regelungen unangewendet zu lassen, wenn sie gegen höherrangige Vorschriften verstoßen. Art. 36 Abs. 1 und 2 des Dekrets über die Organisation und das Verfahren bestimmter flämischer Verwaltungsgerichte würde dem vorlegenden Gericht gestatten, die Wirkungen der Genehmigung vom 30. November 2016 vorübergehend aufrechtzuerhalten, auch wenn sie in Anwendung von unionsrechtswidrigen nationalen Rechtsakten erteilt wurde.

87      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ausweislich der dem Gerichtshof vorliegenden Akte das Windfarmprojekt offenbar noch nicht abgeschlossen ist, ja mit seiner Durchführung noch nicht einmal begonnen wurde.

88      Sollte es zutreffen, dass die Durchführung des Windfarmprojekts noch nicht begonnen hat, wäre es aber jedenfalls wohl nicht erforderlich, die Wirkungen der Genehmigung vom 30. November 2016 während der Dauer der durch den Erlass und das Rundschreiben von 2006 vorgeschriebenen Umweltprüfung aufrechtzuerhalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Juli 2017, Comune di Corridonia u. a., C‑196/16 und C‑197/16, EU:C:2017:589, Rn. 43, sowie vom 28. Februar 2018, Comune di Castelbellino, C‑117/17, EU:C:2018:129, Rn. 30). Daher wäre es Sache des vorlegenden Gerichts, die Genehmigung aufzuheben, die auf der Grundlage des „Plans“ oder „Programms“ erteilt wurde, der bzw. das seinerseits unter Verstoß gegen die Pflicht zur Vornahme einer Umweltprüfung angenommen worden war (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne, C‑41/11, EU:C:2012:103, Rn. 46).

89      Eine solche Aufhebung müsste nach den in Rn. 83 des vorliegenden Urteils dargelegten Grundsätzen auch erfolgen, sollte sich herausstellen, dass mit der Durchführung des Windfarmprojekts begonnen wurde oder diese gar beendet ist.

90      Abgesehen davon ist erstens entschieden worden, dass unter Berücksichtigung des Vorliegens einer zwingenden Erwägung im Zusammenhang mit dem Umweltschutz ein nationales Gericht ausnahmsweise berechtigt sein kann, eine nationale Rechtsvorschrift wie die in Rn. 86 des vorliegenden Urteils genannte anzuwenden, die es ihm gestattet, bestimmte Wirkungen eines nationalen Rechtsakts aufrechtzuerhalten, bei dem das Verfahren zu seinem Erlass gegen die Richtlinie 2001/42 verstoßen hat, wenn die Gefahr besteht, dass die Aufhebung dieses Rechtsakts ein rechtliches Vakuum schaffen würde, das mit der Pflicht des betreffenden Mitgliedstaats unvereinbar wäre, die Maßnahmen zur Umsetzung eines anderen Unionsrechtsakts zum Schutz der Umwelt, wie der Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (ABl. 1991, L 375, S. 1), zu erlassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne, C‑41/11, EU:C:2012:103, Rn. 56 und 63).

91      Insoweit führt das vorlegende Gericht aus, dass der Erlass und das Rundschreiben von 2006 zur Umsetzung der Ziele der Richtlinie 2009/28 betreffend die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen beitrügen. Auch wenn diese Art der Stromerzeugung von Umweltschutzerwägungen geleitet wird und ein übergeordnetes Ziel der Union im Energiebereich darstellt, kann jedoch nicht schon jedes Hindernis in deren Entwicklung auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, wie dasjenige, das sich aus der Aufhebung einer städtebaulichen Genehmigung ergeben kann, die einem Stromerzeuger und ‑lieferanten für die Errichtung einer begrenzten Anzahl von Windkraftanlagen erteilt wurde, ausreichen, um die Umsetzung der Richtlinie in diesem Mitgliedstaat allgemein zu gefährden.

92      Zweitens hat der Gerichtshof in Rn. 179 des Urteils vom 29. Juli 2019, Inter-Environnement Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen (C‑411/17, EU:C:2019:622), befunden, dass auch die Stromversorgungssicherheit des betreffenden Mitgliedstaats eine zwingende Erwägung darstellt. Gleichzeitig hat er jedoch klargestellt, dass die Stromversorgungssicherheit betreffende Erwägungen die Aufrechterhaltung der Wirkungen nationaler Maßnahmen, die unter Verstoß gegen die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Pflichten erlassen wurden, nur dann rechtfertigen können, wenn im Fall einer Aufhebung oder Aussetzung der Wirkungen dieser Maßnahmen die tatsächliche und schwerwiegende Gefahr einer Unterbrechung der Stromversorgung des betreffenden Mitgliedstaats bestünde, der nicht mit anderen Mitteln und Alternativen, insbesondere im Rahmen des Binnenmarkts, entgegengetreten werden kann.

93      Allerdings ist, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof vorgebracht hat und wie der Generalanwalt in Nr. 132 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht sicher, dass sich die Einstellung des Betriebs einer begrenzten Anzahl von Windkraftanlagen signifikant auf die Stromversorgung des gesamten betreffenden Mitgliedstaats auswirken kann.

94      Jedenfalls darf eine etwaige Aufrechterhaltung der Wirkungen dieser Rechtsakte nur für den Zeitraum gelten, der absolut notwendig ist, um die festgestellte Rechtswidrigkeit zu beseitigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Februar 2012, Inter-Environnement Wallonie und Terre wallonne, C‑41/11, EU:C:2012:103, Rn. 62, sowie vom 29. Juli 2019, Inter-Environnement Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen, C‑411/17, EU:C:2019:622, Rn. 181).

95      Nach alledem ist auf die zweite Frage Buchst. h und i zu antworten, dass ein nationales Gericht, wenn sich herausstellt, dass vor der Annahme des Erlasses und des Rundschreibens, auf die eine vor ihm angefochtene Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen gestützt ist, eine Umweltprüfung im Sinne der Richtlinie 2001/42 hätte vorgenommen werden müssen, so dass die beiden Rechtsakte und die Genehmigung nicht mit dem Unionsrecht in Einklang stehen, die Wirkungen dieser Rechtsakte und dieser Genehmigung nur dann aufrechterhalten kann, wenn ihm dies im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits durch das innerstaatliche Recht gestattet ist und wenn sich die Aufhebung der Genehmigung signifikant auf die Stromversorgung des gesamten betreffenden Mitgliedstaats auswirken könnte, und zwar nur während des Zeitraums, der absolut notwendig ist, um dieser Rechtswidrigkeit abzuhelfen. Dies wird gegebenenfalls das vorlegende Gericht im Ausgangsrechtsstreit zu beurteilen haben.

 Kosten

96      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme ist dahin auszulegen, dass ein von der Regierung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats angenommener Erlass und ein von ihr erlassenes Rundschreiben, die jeweils unterschiedliche Bestimmungen über die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen enthalten, unter den Begriff „Pläne und Programme“ fallen.

2.      Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 ist dahin auszulegen, dass ein Erlass und ein Rundschreiben, die jeweils unterschiedliche Bestimmungen über die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen enthalten, darunter Maßnahmen in Bezug auf Schattenwurf, Sicherheit und Geräuschpegelnormen, Pläne und Programme darstellen, die nach dieser Bestimmung einer Umweltprüfung unterzogen werden müssen.

3.      Ein nationales Gericht kann, wenn sich herausstellt, dass vor der Annahme des Erlasses und des Rundschreibens, auf die eine vor ihm angefochtene Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen gestützt ist, eine Umweltprüfung im Sinne der Richtlinie 2001/42 hätte vorgenommen werden müssen, so dass die beiden Rechtsakte und die Genehmigung nicht mit dem Unionsrecht in Einklang stehen, die Wirkungen dieser Rechtsakte und dieser Genehmigung nur dann aufrechterhalten, wenn ihm dies im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits durch das innerstaatliche Recht gestattet ist und wenn sich die Aufhebung der Genehmigung signifikant auf die Stromversorgung des gesamten betreffenden Mitgliedstaats auswirken könnte, und zwar nur während des Zeitraums, der absolut notwendig ist, um dieser Rechtswidrigkeit abzuhelfen. Dies wird gegebenenfalls das vorlegende Gericht im Ausgangsrechtsstreit zu beurteilen haben.

Unterschriften


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