C-181/22 P – Nemea Bank/ EZB u.a.

C-181/22 P – Nemea Bank/ EZB u.a.

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2023:935

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 30. November 2023(1)

Rechtssache C181/22 P

Nemea Bank plc

gegen

Europäische Zentralbank (EZB)

„Rechtsmittel – Einheitlicher Aufsichtsmechanismus – Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 – Der EZB übertragene besondere Aufsichtsaufgaben – Beschluss über den Entzug der Zulassung der Nemea Bank plc zur Aufnahme der Tätigkeit eines Kreditinstituts – Art. 24 – Internes administratives Überprüfungsverfahren – Ersetzung durch einen Beschluss desselben Inhalts – Nichtigkeitsklage – Wegfall des Klagegegenstands und des Rechtsschutzinteresses – Erledigung – Schadensersatzklage – Offensichtliche Unzulässigkeit – Effektiver Rechtsschutz – Art. 47 der Charta“

I.      Einleitung

1.        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die maltesische Nemea Bank plc die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 20. Dezember 2021, Niemelä u. a./EZB (T‑321/17, EU:T:2021:942, im Folgenden: angefochtener Beschluss). Mit dem angefochtenen Beschluss hatte das Gericht zum einen entschieden, den Antrag der Nemea Bank auf Nichtigerklärung des Beschlusses(2) der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 23. März 2017 (im Folgenden: streitiger Beschluss der EZB oder Erstbeschluss) für erledigt zu erklären. Zum anderen hatte es den Schadensersatzantrag der Nemea Bank als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen. Mit ihrem streitigen Beschluss hatte die EZB ihrerseits entschieden, der Nemea Bank die Zulassung für ihre Tätigkeit als Kreditinstitut zu entziehen (im Folgenden: Entzug der Zulassung).

2.        Die mit dem zweiten und dem dritten Rechtsmittelgrund aufgeworfenen Rechtsfragen habe ich bereits in meinen Schlussanträgen in den noch anhängigen Rechtssachen Pilatus Bank/EZB (C‑750/21 P und C‑256/22 P) beantwortet, die ebenfalls den maltesischen Bankensektor betreffen. Diese Fragen bezogen sich auf die wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz der betroffenen Bank durch den von ihr bestellten Rechtsbeistand.(3) Darin bin ich zu dem Schluss gekommen, dass allein dieser Rechtsbeistand befugt ist, die Rechte und Interessen dieser Bank im Verwaltungsverfahren, das zum Entzug ihrer Zulassung führt, und im anschließenden Streitverfahren vor den Unionsgerichten zu vertreten, nicht aber der von den nationalen Aufsichtsbehörden bestellte Verwalter der Bank.

3.        Bisher unbeantwortet ist die dem ersten Rechtsmittelgrund zugrunde liegende Rechtsfrage: Unter welchen Voraussetzungen muss die betroffene Bank vor dem Gericht Nichtigkeitsklage erheben, wenn sie von ihrem durch Art. 24 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013(4) eingeräumten Recht Gebrauch macht, zu beantragen, den Beschluss über den Entzug der Zulassung einer internen administrativen Überprüfung durch den administrativen Überprüfungsausschuss der EZB unterziehen zu lassen. Im vorliegenden Fall hatte die Nemea Bank nämlich einen solchen Antrag kurz vor der Erhebung ihrer Nichtigkeitsklage gegen den streitigen Beschluss der EZB gestellt. Anschließend versäumte sie es jedoch, den von der EZB auf die Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses hin am 30. Juni 2017 erlassenen Beschluss(5) desselben Inhalts (im Folgenden: Zweitbeschluss), der den Erstbeschluss ersetzte, ebenfalls form- und fristgerecht vor dem Gericht anzufechten. Dieser wurde daher (möglicherweise) unanfechtbar und bestandskräftig. Dem Gericht zufolge führte dieser Umstand zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses der Nemea Bank und der Erledigung ihres Antrags auf Nichtigerklärung des Erstbeschlusses, weil der Zweitbeschluss diesen rückwirkend ersetzt habe. Träfe die Rechtsauffassung des Gerichts zu, könnte zumindest im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens hier keine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Entzugs der Zulassung mehr erfolgen.

4.        Das vorliegende Verfahren wirft daher grundsätzliche Fragen des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union auf, bezüglich derer das Sekundärrecht ein administratives Überprüfungs- oder Beschwerdeverfahren vor oder parallel zu der Durchführung des gerichtlichen Klageverfahrens vorsieht. Die Rechtsprechung der Unionsgerichte hat sich schon verschiedentlich zu solchen sekundärrechtlichen Regelungen und ihrem Verhältnis zu Art. 263 AEUV geäußert.(6) Bisher existiert aber keine kohärente, systemübergreifende Klärung dieses Verhältnisses für alle verwaltungsinternen Überprüfungs- oder Beschwerdeverfahren. Insbesondere ist zu verhindern, dass solche Verfahren, anstatt den Rechtsschutz zu verbessern, Rechtsschutzlücken schaffen. Das wäre mit dem Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 47 Abs. 1 der Charta der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie mit Art. 263 AEUV nicht zu vereinbaren.

5.        Diese Schlussanträge widmen sich vornehmlich der Frage der bestrittenen Erledigung des Nichtigkeitsantrags wegen des angeblichen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses der Nemea Bank, die Gegenstand des ersten Rechtsmittelgrundes ist. Sollte der Gerichtshof meinem Vorschlag zur Beantwortung dieses Rechtsmittelgrundes folgen und den angefochtenen Beschluss wegen des Fortbestands des Rechtsschutzinteresses der Nemea Bank aufheben, wäre eine Behandlung des zweiten und des dritten Rechtsmittelgrundes betreffend die wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte(7) nicht mehr erforderlich, da sich diese ebenfalls gegen die Erledigungsfeststellung des Gerichts wenden.

II.    Rechtlicher Rahmen

6.        Der 64. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1024/2013 lautet u. a.:

„Die EZB sollte vorsehen, dass natürliche und juristische Personen die Überprüfung von an sie gerichteten oder sie direkt individuell betreffenden Beschlüssen verlangen können, die die EZB aufgrund der ihr durch diese Verordnung übertragenen Befugnisse erlassen hat. Die Überprüfung sollte sich auf die verfahrensmäßige und materielle Übereinstimmung solcher Beschlüsse mit dieser Verordnung erstrecken, wobei gleichzeitig der der EZB überlassene Ermessensspielraum, über die Zweckmäßigkeit dieser Beschlüsse zu entscheiden, zu achten ist. Für diesen Zweck und aus Gründen der Verfahrensökonomie sollte die EZB einen administrativen Überprüfungsausschuss einrichten, der diese internen Überprüfungen vornimmt. … Das Verfahren für die Überprüfung sollte vorsehen, dass das Aufsichtsgremium seinen vorherigen Beschlussentwurf gegebenenfalls überarbeitet.“

7.        Unter der Überschrift „Der EZB übertragene Aufgaben“ heißt es in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung:

„Im Rahmen des Artikels 6 ist die EZB im Einklang mit Absatz 3 ausschließlich für die Wahrnehmung der folgenden Aufgaben zur Beaufsichtigung sämtlicher in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute zuständig:

a)      Zulassung von Kreditinstituten und Entzug der Zulassung von Kreditinstituten vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 14 …“

8.        Art. 14 Abs. 5 Unterabs. 2 dieser Verordnung bestimmt:

„Ist nach Auffassung der nationalen zuständigen Behörde, die die Zulassung gemäß Absatz 1 vorgeschlagen hat, die Zulassung nach dem einschlägigen nationalen Recht zu entziehen, so legt sie der EZB einen entsprechenden Vorschlag vor. In diesem Fall erlässt die EZB einen Beschluss über den vorgeschlagenen Entzug der Zulassung, wobei sie die von der nationalen zuständigen Behörde vorgelegte Begründung in vollem Umfang berücksichtigt.“

9.        Art. 24 der Verordnung Nr. 1024/2013, überschrieben „Administrativer Überprüfungsausschuss“, sieht u. a. vor:

„(1) Die EZB richtet einen administrativen Überprüfungsausschuss ein, der eine interne administrative Überprüfung der Beschlüsse vornimmt, die die EZB im Rahmen der Ausübung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Befugnisse erlassen hat, nachdem nach Absatz 5 die Überprüfung eines Beschlusses beantragt wurde. Die interne administrative Überprüfung erstreckt sich auf die verfahrensmäßige und materielle Übereinstimmung solcher Beschlüsse mit dieser Verordnung.

(5) Jede natürliche oder juristische Person kann in den Fällen des Absatzes 1 die Überprüfung eines Beschlusses der EZB nach dieser Verordnung beantragen, der an diese Person gerichtet ist oder sie unmittelbar und individuell betrifft. Ein Antrag auf Überprüfung eines Beschlusses des EZB-Rates im Sinne des Absatzes 7 ist nicht zulässig.

(6) Der Antrag auf Überprüfung ist schriftlich zu stellen, hat eine Begründung zu enthalten und ist bei der EZB innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses an die eine Überprüfung verlangende Person oder, sofern eine solche Bekanntgabe nicht erfolgt ist, innerhalb eines Monats ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von dem Beschluss Kenntnis erlangt hat, einzureichen.

(7) Nach einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Überprüfung gibt der administrative Überprüfungsausschuss innerhalb einer Frist, die der Dringlichkeit der Angelegenheit angemessen ist, spätestens jedoch zwei Monate nach Eingang des Antrags, eine Stellungnahme ab und überweist den Fall zwecks Ausarbeitung eines neuen Beschlussentwurfs an das Aufsichtsgremium. Das Aufsichtsgremium unterbreitet dem EZB-Rat unverzüglich einen neuen Beschlussentwurf, der der Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses Rechnung trägt. Der neue Beschlussentwurf hebt den ursprünglichen Beschluss auf oder ersetzt ihn durch einen Beschluss desselben Inhalts oder durch einen geänderten Beschluss. Der neue Beschlussentwurf gilt als angenommen, wenn der EZB-Rat nicht innerhalb eines Zeitraums von höchstens zehn Arbeitstagen widerspricht.

(8) Ein Antrag auf Überprüfung nach Absatz 5 hat keine aufschiebende Wirkung. Der EZB-Rat kann jedoch auf Vorschlag des administrativen Überprüfungsausschusses den Vollzug des angefochtenen Beschlusses aussetzen, wenn die Umstände dies nach seiner Auffassung erfordern.

(9) Die Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses, der neue Beschlussentwurf des Aufsichtsgremiums und der vom EZB-Rat nach Maßgabe dieses Artikels gefasste Beschluss sind zu begründen und den Parteien bekannt zu geben.

(11) Dieser Artikel berührt nicht das Recht, gemäß den Verträgen ein Verfahren vor dem EuGH anzustrengen.“

III. Sachverhalt und streitiger Beschluss der EZB

10.      Der Sachverhalt und der streitige Beschluss der EZB sind in den Rn. 1 bis 8 des angefochtenen Beschlusses wiedergegeben und können wie folgt zusammengefasst werden.

11.      Die fünfte Klägerin im ersten Rechtszug und Rechtsmittelführerin, die Nemea Bank, ist ein weniger bedeutendes Kreditinstitut mit Sitz in Malta, das der direkten Aufsicht der Malta Financial Services Authority (MFSA, maltesische Behörde für Finanzdienstleistungen) untersteht. Die dritten und vierten Klägerinnen im ersten Rechtszug, die Nemea plc und die Nevestor SA, sind direkte Anteilseigner der Nemea Bank. Die ersten und zweiten Kläger im ersten Rechtszug, H. Niemelä und M. Lehto, sind aufgrund ihrer Beteiligung an den dritten und vierten Klägerinnen nur indirekte Anteilseigner sowie Mitglieder des Direktoriums der Nemea Bank.

12.      Nach Einholung einer Stellungnahme der nationalen Abwicklungsbehörde übermittelte die MFSA am 25. Januar 2017 der EZB einen Vorschlag, der Nemea Bank die Zulassung zu entziehen.

13.      Am 13. März 2017 genehmigte der EZB-Rat den Entwurf eines Beschlusses zum Entzug der Zulassung und forderte die Nemea Bank auf, dazu innerhalb von drei Tagen Stellung zu nehmen. Diese leistete der Aufforderung am 15. März 2017 Folge.

14.      Am 23. März 2017 erließ die EZB ihren streitigen Beschluss gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1024/2013.

15.      Am 22. April 2022 beantragten die Nemea Bank und die übrigen Kläger im ersten Rechtszug vor dem administrativen Überprüfungsausschuss der EZB eine interne administrative Überprüfung des streitigen Beschlusses der EZB gemäß Art. 24 Abs. 5 Satz 1 der Verordnung Nr. 1024/2013.

16.      Am 22. Mai 2017 erhoben die Kläger im ersten Rechtszug vor dem Gericht Klage gegen den streitigen Beschluss der EZB.

17.      Am 19. Juni 2017 erließ der administrative Überprüfungsausschuss eine Stellungnahme, in der er vorschlug, den streitigen Beschluss der EZB durch einen Beschluss desselben Inhalts zu ersetzen.

18.      Am 30. Juni 2017 erließ der EZB-Rat auf die Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses hin und auf der Grundlage eines Vorschlags des Aufsichtsgremiums den Zweitbeschluss, der seinem Tenor zufolge den Erstbeschluss nach Art. 24 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1024/2013 ersetzt.

19.      Die Kläger im ersten Rechtszug haben es versäumt, gegen den Zweitbeschluss form- und fristgerecht Nichtigkeitsklage zu erheben.

IV.    Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

20.      Während noch die interne administrative Überprüfung durchgeführt wurde, erhoben die Kläger im ersten Rechtszug mit Klageschrift, die am 22. Mai 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht wurde, Klage gegen den streitigen Beschluss der EZB (oben, Nr. 16). Diese war zum einen auf die Nichtigerklärung dieses Beschlusses und zum anderen auf den Ersatz der Schäden gerichtet, die den Klägern im ersten Rechtszug dadurch entstanden sein sollen.

21.      Auf eine Unzulässigkeitseinrede der EZB behielt das Gericht mit Beschluss vom 13. Juli 2018 die Entscheidung über die Zulässigkeit gemäß Art. 130 Abs. 7 seiner Verfahrensordnung dem Endurteil vor.

22.      Auf Antrag der Europäischen Kommission ließ der Präsident der zuständigen Kammer des Gerichts mit Entscheidung vom 23. Juli 2018 diese als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der EZB zu.

23.      Mit Entscheidung des Präsidenten der zuständigen Kammer des Gerichts vom 29. März 2019 wurde das Verfahren bis zum Erlass des Urteils vom 5. November 2019, EZB u. a./Trasta Komercbanka u. a. (C‑663/17 P, C‑665/17 P und C‑669/17 P, EU:C:2019:923), ausgesetzt. Nach der Wiederaufnahme des Verfahrens verzichtete das Gericht auf eine ursprünglich vorgesehene, dann aber verschobene mündliche Verhandlung. Vielmehr forderte es die Parteien mit prozessleitender Maßnahme vom 2. Juli 2021 u. a. dazu auf, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der Nichtigkeitsantrag angesichts der Ersetzung des streitigen Beschlusses der EZB durch den Zweitbeschluss im Sinne von Art. 131 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts gegenstandslos geworden und für erledigt zu erklären sei.

24.      Mit dem angefochtenen Beschluss erklärte das Gericht den Antrag auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses der EZB wegen des Wegfalls seines Gegenstands und des Rechtsschutzinteresses der Kläger für erledigt (Nr. 1 des Tenors) und wies den Schadensersatzantrag als offensichtlich unzulässig zurück (Nr. 2 des Tenors). Ferner verurteilte es die Kläger und die EZB zur Tragung ihrer jeweils eigenen Kosten bezüglich des Nichtigkeitsantrags (Nr. 3 des Tenors), die Kläger zur Tragung ihrer eigenen Kosten und derjenigen der EZB bezüglich des Schadensersatzantrags (Nr. 4 des Tenors) sowie die Kommission zur Tragung ihrer eigenen Kosten (Nr. 5 des Tenors).

25.      Zur Begründung seiner Erledigungsfeststellung führte das Gericht im Wesentlichen aus, dass der von den Klägern nicht angefochtene Zweitbeschluss den streitigen Beschluss der EZB rückwirkend zum Zeitpunkt seines Wirksamwerdens ersetzt und damit vollständig und ex tunc aus der Unionsrechtsordnung entfernt habe, so dass seine gerichtliche Nichtigerklärung keine zusätzliche Rechtsfolge mehr nach sich zöge.(8)

V.      Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

26.      Mit Schriftsatz, der am 7. April 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Nemea Bank das vorliegende Rechtsmittel eingelegt.

27.      Die Rechtsmittelführerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben,

–        die Rechtssache an das Gericht in völlig anderer Besetzung zur Entscheidung zurückzuverweisen und

–        die EZB zu den Kosten zu verurteilen.

28.      Die EZB beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        die Rechtsmittelführerin zu den Kosten inklusive derjenigen der EZB zu verurteilen.

29.      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        die Rechtsmittelführerin zu den Kosten zu verurteilen.

30.      Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof nach Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung verzichtet, weil er sich für ausreichend unterrichtet hält, um eine Entscheidung zu erlassen.

VI.    Würdigung

A.      Gegenstand des ersten Rechtsmittelgrundes

31.      Mit dem ersten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin eine Verletzung von Art. 263 Abs. 1 AEUV geltend. Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es den Nichtigkeitsantrag für erledigt erklärt habe, anstatt seiner Pflicht zur Kontrolle des streitigen Beschlusses der EZB nachzukommen. Nur die Unionsgerichte seien nach Art. 263 AEUV zuständig, über die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen anderer Unionsorgane zu befinden. Die vom Gericht anerkannte Ex-tunc-Wirkung, mit der der Zweitbeschluss den Erstbeschluss ersetzt haben soll, sei damit unvereinbar. Der Rechtsmittelführerin zufolge kann die Wirkung einer solchen Ersetzung ohne gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle nicht mit derjenigen eines Nichtigkeitsurteils der Unionsgerichte gleichgesetzt werden. Der Erstbeschluss entfalte seit seinem Erlass unverändert gegenüber der Nemea Bank belastende Rechtswirkungen, so dass weiterhin ein Interesse an seiner Nichtigerklärung bestehe.

32.      Die EZB hält dem u. a. entgegen, dass die Kläger im ersten Rechtszug vor dem Gericht auch den Zweitbeschluss hätten anfechten müssen. Dessen Tenor ordne nunmehr bestandskräftig an, der Nemea Bank die Zulassung zu entziehen. Zudem könnten die Kläger auch ohne vorherige Nichtigkeitsklage eine Schadensersatzklage erheben.

33.      Die Kommission wendet sich nicht gegen den ersten Rechtsmittelgrund.

34.      Im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes ist zum einen zu untersuchen, ob eine betroffene Bank nach der (fakultativen) Durchführung der internen administrativen Überprüfung, auf die ein Zweitbeschluss desselben Inhalts ergeht, der den Erstbeschluss ersetzt, darauf verzichten kann, diesen Zweitbeschluss vor dem Gericht anzufechten, wenn sie zuvor bereits den Erstbeschluss angefochten hat (unter B). Zum anderen ist zu klären, ob der Erlass des Zweitbeschlusses und das Versäumnis seiner Anfechtung den Fortbestand des Rechtsschutzinteresses dieser Bank in Bezug auf den Erstbeschluss in Frage stellen können. In diesem Zusammenhang ist vor allem zu prüfen, ob der Zweitbeschluss den Erstbeschluss, so wie vom Gericht im angefochtenen Beschluss festgestellt, rückwirkend oder nur mit Wirkung für die Zukunft ersetzt (unter C).

B.      Pflicht zur Erhebung einer zusätzlichen Nichtigkeitsklage gegen den Zweitbeschluss?

35.      Das Gericht konnte im angefochtenen Beschluss nur dann vom Wegfall des Rechtsschutzinteresses der Kläger im ersten Rechtszug in Bezug auf den streitigen Beschluss der EZB ausgehen, wenn diese den Zweitbeschluss desselben Inhalts ebenfalls anfechten mussten. Dieser Zweitbeschluss könnte allerdings als rein wiederholender oder bestätigender Akt ohne eigenständige Rechtswirkungen anzusehen sein, so dass er gar nicht zulässig anfechtbar war.

36.      Die Regelungen in Art. 24 der Verordnung Nr. 1024/2013 sind daher im Hinblick auf ihren Wortlaut, ihre Ziele und ihre systematische Einordnung, insbesondere im Verhältnis zu dem Recht zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, auszulegen.

1.      Fakultatives internes administratives Überprüfungsverfahren und Möglichkeit der Anfechtung des Erst- oder des Zweitbeschlusses

37.      Das interne administrative Überprüfungsverfahren vor dem administrativen Überprüfungsausschuss der EZB kann nach Art. 24 Abs. 1 und 5 der Verordnung Nr. 1024/2013 nur auf Antrag einer natürlichen oder juristischen Person durchgeführt werden, die Adressatin eines Beschlusses der EZB oder von diesem unmittelbar und individuell betroffen ist.(9) Wie im vorliegenden Fall geschehen, kann demnach eine Bank einen an sie gerichteten Beschluss, ihr die Zulassung zu entziehen, vom administrativen Überprüfungsausschuss überprüfen lassen. Die Überprüfung erstreckt sich auf die verfahrensmäßige und materielle Übereinstimmung eines solchen Beschlusses mit dieser Verordnung.

38.      Daraus ergibt sich, dass die interne administrative Überprüfung zum einen fakultativer Natur ist und zum anderen dem Rechtsschutz der betroffenen Bank dient.

39.      Anders als interne Überprüfungs- oder Beschwerdeverfahren in Bezug auf Entscheidungen vieler Einrichtungen oder sonstiger Stellen der Union ist die Durchführung des internen administrativen Überprüfungsverfahrens also keine Zulässigkeitsvoraussetzung für das Betreiben eines Klageverfahrens vor den Unionsgerichten im Sinne von Art. 263 Abs. 5 AEUV.(10)

40.      Die in Art. 24 der Verordnung Nr. 1024/2013 gewählte Regelungstechnik unterscheidet sich insoweit insbesondere von derjenigen in den Art. 28 und 29 der Verordnung (EU) 2019/942 zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER)(11), die ebenfalls auf Art. 263 Abs. 5 AEUV fußt. Art. 28 dieser Verordnung regelt zwar ein ähnliches Beschwerderecht unmittelbar und individuell betroffener natürlicher und juristischer Personen vor dem Beschwerdeausschuss der ACER. Nach Art. 29 dieser Verordnung können aber „Klagen auf Aufhebung einer Entscheidung, die von [der] ACER im Einklang mit dieser Verordnung getroffen wurde, … erst dann beim Gerichtshof [der Europäischen Union] eingereicht werden, wenn das Beschwerdeverfahren gemäß [ihrem Art. 28] erschöpft ist“.(12)

41.      Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 24 der Verordnung Nr. 1024/2013 für die EZB, die ein selbständiges Organ der Union im Sinne von Art. 13 Abs. 1 EUV ist, keine entsprechende Regelung getroffen. Art. 24 Abs. 11 der Verordnung Nr. 1024/2013 sieht vielmehr ausdrücklich vor, dass „[d]ieser Artikel … nicht das Recht [berührt], gemäß den Verträgen ein Verfahren vor dem EuGH anzustrengen“, also insbesondere das Klagerecht aus Art. 263 AEUV auszuüben.

42.      Eine Bank, deren Zulassung durch Beschluss der EZB entzogen wird, hat daher grundsätzlich die Wahl, entweder diesen Beschluss unmittelbar vor dem Gericht anzufechten oder darauf zu verzichten und stattdessen bei der EZB die Durchführung des internen administrativen Überprüfungsverfahrens zu beantragen, um daraufhin den Zweitbeschluss der EZB gerichtlich anzufechten, oder beides zu tun.

43.      Die Möglichkeit des Verzichts auf eine Anfechtung des Erstbeschlusses im Fall eines Antrags auf interne administrative Überprüfung wird durch Art. 24 Abs. 7 Satz 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 bestätigt. Zwar hat ein solcher Antrag nach Art. 24 Abs. 8 Satz 1 dieser Verordnung weder aufschiebende Wirkung(13) noch kann er den Ablauf der Klagefrist nach Art. 263 Abs. 6 AEUV hemmen. Am Ende des Überprüfungsverfahrens muss die EZB aber einen Zweitbeschluss erlassen, der den Erstbeschluss entweder aufhebt oder ersetzt. Selbst wenn also der Erstbeschluss inzwischen gerichtlich unanfechtbar geworden sein sollte, ist die EZB verpflichtet, ihn aufzuheben oder zu ersetzen. Die vom Entzug der Zulassung betroffene Bank kann sich daher damit begnügen, den Zweitbeschluss anzufechten. Dieser kann nämlich seinerseits Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein, sofern er eigenständige Rechtswirkungen erzeugt (unten, Nrn. 47 ff.).

44.      Unklar ist hingegen, ob – wie im vorliegenden Fall – die betroffene Bank auch nach einem Antrag auf interne administrative Überprüfung den daraufhin erlassenen Zweitbeschluss vor Gericht anfechten muss, um die Rechtswirkungen des Entzugs der Zulassung zu beseitigen, wenn dieser Zweitbeschluss mit dem Erstbeschluss inhaltlich identisch ist und Letzterer bereits Gegenstand einer von ihr erhobenen Nichtigkeitsklage ist.

45.      Weder Art. 24 Abs. 7 Satz 3 der Verordnung Nr. 1024/2013, dem zufolge der nach dem Abschluss eines internen administrativen Überprüfungsverfahrens erlassene Zweitbeschluss „desselben Inhalts“ den Erstbeschluss „ersetzt“, noch andere Bestimmungen dieser Verordnung geben darüber Auskunft. Die möglichen Rechtswirkungen dieses Zweitbeschlusses sind daher näher zu untersuchen.

2.      Pflicht zur Anfechtung des Zweitbeschlusses  trotz Anfechtung des Erstbeschlusses?

46.      Der Zweitbeschluss erfüllt zwar grundsätzlich – analog zum Erstbeschluss – die Voraussetzungen eines für seinen Adressaten verbindlichen Beschlusses im Sinne von Art. 288 Abs. 4 AEUV. Fraglich ist aber, ob er wegen seines rein wiederholenden oder bestätigenden Charakters auch geeignet ist, eigenständige verbindliche Rechtswirkungen gegenüber der betroffenen Bank zu entfalten, wenn deren Zulassung bereits mit dem Erstbeschluss desselben Inhalts entzogen wurde (unter a). Sollte das der Fall sein, hätten die Kläger im ersten Rechtszug es womöglich versäumt, den Zweitbeschluss fristgemäß vor Gericht anzufechten (unter b). Sollte der Zweitbeschluss hingegen als rein bestätigender Rechtsakt anzusehen sein, hätte er gar nicht zulässig mit der Nichtigkeitsklage angefochten werden können (unter c).

a)      Zweitbeschluss als grundsätzlich anfechtbarer Rechtsakt?

47.      Nur ein Akt, der verbindliche Rechtwirkungen erzeugt und die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung beeinträchtigt, ist gerichtlich anfechtbar. Ob er solche Wirkungen erzeugt und daher Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann, ist anhand objektiver Kriterien und seines Inhalts zu beurteilen. Dabei sind auch die Umstände seines Erlasses und die Befugnisse des erlassenden Organs zu berücksichtigen.(14)

48.      Mit Blick auf die in Art. 24 Abs. 7 Satz 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 vorgesehene Ersetzungswirkung des Zweitbeschlusses scheint mir kein Zweifel daran zu bestehen, dass dieser Beschluss eigenständige Rechtswirkungen erzeugt. Die vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich angeordnete Ersetzung hat nämlich – ungeachtet der Frage, ob sie rückwirkend oder ex nunc erfolgt (unten, Nrn. 66 ff.) – zur Folge, dass die Rechtswirkungen des durch den (ersetzten) Erstbeschluss angeordneten Entzugs der Zulassung fortbestehen. Der Erstbeschluss kann wiederum diese Rechtswirkungen kraft seiner Ersetzung allenfalls bis zum Wirksamwerden des Zweitbeschlusses, aber nicht mehr für die Zukunft entfalten. Damit ist eine qualifizierte Änderung der Rechtsstellung der betroffenen Bank verbunden, auch wenn der Erst- und der Zweitbeschluss inhaltlich identisch sind.

49.      Daher ist der Zweitbeschluss prinzipiell tauglicher Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 1 AEUV. Er kann somit nach Ablauf der Klagefrist gemäß Art. 263 Abs. 6 AEUV unanfechtbar werden.

b)      Versäumnis der Klageerhebung gegen den Zweitbeschluss

50.      Die Kläger im ersten Rechtszug haben es allerdings versäumt, form- und fristgerecht eine Nichtigkeitsklage gegen den Zweitbeschluss zu erheben.(15) Dieser ist daher unanfechtbar und bestandskräftig geworden.

51.      Denn weder aus den Vorschriften der Verordnung Nr. 1024/2013 noch aus der Rechtsprechung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Nichtigkeitsklage gegen den Erstbeschluss sich automatisch auf den ersetzenden Zweitbeschluss desselben Inhalts erstreckt. Dazu hätte es vielmehr einer fristgerechten Anpassung des Klageantrags gemäß Art. 86 der Verfahrensordnung des Gerichts oder einer erneuten Klageerhebung bedurft.(16) Die – nach ständiger Rechtsprechung unabdingbare und nicht verlängerbare(17) – Klagefrist ist vorliegend jedoch abgelaufen. Mangels Zufalls oder höherer Gewalt im Sinne von Art. 45 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs kommt auch keine Einsetzung in den vorigen Stand in Betracht.(18)

52.      Im Zusammenhang mit der Rücknahme und Ersetzung eines Rechtsakts hat der Gerichtshof zwar bereits festgestellt, dass es dem Gericht zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege offenstehe, bei der Klägerin nachzufragen, ob sie infolge des ersetzenden Rechtsakts beabsichtige, ihre Anträge anzupassen und sie auch gegen diesen zu richten, wie es in Art. 86 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehen ist.(19) Im vorliegenden Fall hat das Gericht aber darauf verzichtet und die Parteien erst nach dem Verstreichen der Klagefrist in Bezug auf den Zweitbeschluss befragt, ob das Rechtsschutzinteresse der Kläger im ersten Rechtszug in Bezug auf den Erstbeschluss fortbestehe und der Nichtigkeitsantrag eventuell erledigt sei.

53.      Eine solche Vorgehensweise ist mit dem Grundsatz ordnungsgemäßer Rechtspflege und der Sorgfalts- und Hinweispflicht des Gerichts gegenüber den Parteien schwer vereinbar.(20) Dessen ungeachtet ist das Versäumnis der Klageerhebung gegen den Zweitbeschluss primär den anwaltlich vertretenen Klägern im ersten Rechtszug anzulasten. Diese hatten aus freiem Entschluss das interne administrative Überprüfungsverfahren parallel zu ihrem Antrag auf Nichtigerklärung des Erstbeschlusses angestrengt. Ihnen war daher zumutbar, die notwendigen Informationen über die Rechtslage einzuholen und die erforderlichen Schritte einzuleiten, um sicherzustellen, dass der Zweitbeschluss ihnen gegenüber nicht bestandskräftig wird.

54.      Damit steht fest, dass die Rechtsmittelführerin den Entzug ihrer Zulassung zumindest für die Zeit ab dem Wirksamwerden des Zweitbeschlusses nicht mehr mit einer gegen diesen gerichteten Nichtigkeitsklage beseitigen kann.

c)      Zweitbeschluss als nicht anfechtbarer bestätigender Rechtsakt?

55.      Aus der Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Klagen gegen rein bestätigende Rechtsakte folgt meines Erachtens kein anderes Ergebnis.

56.      Danach ist eine Klage gegen einen bestätigenden Rechtsakt zwar unzulässig, wenn dieser gegenüber dem bestätigten Rechtsakt keine neuen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte enthält.(21) Voraussetzung ist aber, dass der bestätigte Rechtsakt gegenüber dem Betroffenen Bestandskraft erlangt hat, weil gegen ihn nicht fristgemäß Klage erhoben worden ist. Aus Gründen der Rechtssicherheit soll nämlich vermieden werden, dass durch eine Klage gegen den bestätigenden Rechtsakt die abgelaufene Klagefrist in Bezug auf den bestätigten Rechtsakt umgangen und somit dessen Bestandskraft ausgehebelt wird.(22) Hier hatten die Kläger im ersten Rechtszug jedoch fristgerecht gegen den Erstbeschluss geklagt, so dass dieser nicht bestandskräftig geworden ist.

57.      Daher ist eine Klage gegen den Zweitbeschluss desselben Inhalts zulässig. Ein Kläger kann unter solchen Umständen nämlich gegen den bestätigten Rechtsakt, gegen den bestätigenden Rechtsakt oder gegen beide gerichtlich vorgehen.(23)

58.      Um die Rechtswirkungen des Entzugs der Zulassung vollständig zu beseitigen, konnten die Kläger im ersten Rechtszug sich daher nicht damit begnügen, nur den Erstbeschluss vor dem Gericht anzufechten.

59.      Das Argument der EZB, wonach die Kläger den Zweitbeschluss hätten anfechten müssen, um auch den Fortbestand ihres Rechtsschutzinteresses in Bezug auf den Erstbeschluss zu rechtfertigen, ist jedoch zurückzuweisen. Zwar ordnet der Zweitbeschluss nunmehr bestandskräftig den Entzug der Zulassung der Rechtsmittelführerin an. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass sie bezüglich der Nichtigerklärung des Erstbeschlusses kein Rechtsschutzinteresse mehr hätte. Denn der Erstbeschluss könnte die Rechtsmittelführerin – entgegen der Auffassung des Gerichts – bis zum Wirksamwerden des Zweitbeschlusses belastet haben. Das wäre der Fall, wenn der Zweitbeschluss den Erstbeschluss nur ex nunc ersetzt hat. Das hat das Gericht vorliegend aber verneint.(24)

60.      Im Folgenden prüfe ich daher, ob das Gericht die Voraussetzungen für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses mit Blick auf die möglichen Rechtswirkungen des Erstbeschlusses rechtsfehlerhaft beurteilt hat.

C.      Fortbestand des Rechtsschutzinteresses bezüglich des Erstbeschlusses?

1.      Kriterien für den Fortbestand des Rechtsschutzinteresses

61.      Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person nur zulässig, wenn sie ein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung hat. Das ist der Fall, wenn ihr die Nichtigerklärung einen Vorteil verschaffen kann. Dieses Rechtsschutzinteresse muss als wesentliche Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung fortbestehen. Andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.(25)

62.      Der streitige Beschluss der EZB wurde zwar durch den Zweitbeschluss desselben Inhalts gemäß Art. 24 Abs. 7 Satz 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 ersetzt. Das Rechtsschutzinteresse eines Klägers entfällt jedoch nicht zwangsläufig, wenn der von ihm angefochtene Rechtsakt im Laufe des Verfahrens aufgehört hat, Wirkungen zu zeitigen. Ein Kläger kann vielmehr weiterhin ein Interesse an der Erklärung der Rechtswidrigkeit dieses Rechtsakts für den Zeitraum haben, in dem er anwendbar war und Wirkungen erzeugte. Ein solches Interesse kann u. a. im Hinblick auf eine mögliche Haftungsklage fortbestehen.(26)

63.      Es ist daher zu prüfen, ob der streitige Beschluss der EZB bis zum Wirksamwerden des Zweitbeschlusses für die Rechtsmittelführerin belastende Rechtswirkungen erzeugte (unter 2). Abschließend untersuche ich, ob und inwieweit eine Nichtigerklärung des Erstbeschlusses ihr einen Vorteil verschaffen kann und somit den Fortbestand ihres Rechtsschutzinteresses rechtfertigt (unter 3).

2.      Extunc-Wirkung der Ersetzung des Erstbeschlusses durch den Zweitbeschluss?

64.      Die Rechtsmittelführerin kann nur dann weiter ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf den Erstbeschluss geltend machen, wenn dieser bis zu seiner Ersetzung durch den Zweitbeschluss zu ihren Lasten Rechtswirkungen erzeugte.

65.      Es steht fest, dass der streitige Beschluss der EZB mit seiner Bekanntgabe gegenüber den Klägern im ersten Rechtszug der Nemea Bank die Zulassung mit sofortiger Wirkung entzog.

66.      Ob und inwieweit der Erstbeschluss bis zum Erlass des ersetzenden Zweitbeschlusses desselben Inhalts nach Art. 24 Abs. 7 Satz 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 Rechtswirkungen erzeugte, hängt wiederum von den Rechtswirkungen dieser „Ersetzung“ ab.

67.      Die Beurteilung des Gerichts, wonach die Ersetzung rückwirkend erfolgte und den Erstbeschluss einem Nichtigkeitsurteil nach Art. 264 Abs. 1 AEUV gleich ex tunc aus der Unionsrechtsordnung entfernte, erschließt sich weder aus dem Wortlaut der Bestimmungen in Art. 24 der Verordnung Nr. 1024/2013 noch aus ihren Zielen oder ihrer Systematik.

68.      In Art. 24 Abs. 7 Satz 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 heißt es lediglich, dass „[der] neue Beschlussentwurf den ursprünglichen Beschluss auf[hebt] oder … ihn durch einen Beschluss desselben Inhalts oder durch einen geänderten Beschluss [ersetzt]“. Der Wortlaut indiziert also keine rückwirkende Ersetzung oder Abänderung.

69.      Außerdem leuchtet nicht ein, dass ein Zweitbeschluss unterschiedliche zeitliche Wirkungen haben sollte, je nachdem ob er den Erstbeschluss entweder aufhebt oder ihn ersetzt, indem er seinen Inhalt bestätigt oder abändert. Denn auch eine Aufhebung oder abändernde Ersetzung könnte den bereits erfolgten Entzug der Zulassung in seiner ursprünglichen Form, geschweige denn seine negativen Folgen für die betroffene Bank, insbesondere den Verlust des Vertrauens der Kunden und Anleger, nicht ungeschehen machen.

70.      Bei einer Ex-tunc-Wirkung könnte eine betroffene Bank die für sie in all diesen Situationen bereits erzeugten belastenden Rechtswirkungen des Erstbeschlusses mangels Rechtsschutzinteresses nicht mehr mit der Nichtigkeitsklage angreifen. Sie wäre allein auf die Schadensersatzklage angewiesen, in deren Rahmen die Rechtmäßigkeitskontrolle einem strengeren Maßstab unterliegt.(27) Eine nur gegen den abändernden Zweitbeschluss gerichtete Nichtigkeitsklage ginge nämlich, soweit sich eine Bank gegen die abgeänderten Teile des ersetzten Erstbeschlusses wenden wollte, ins Leere. Eine solche Rechtsschutzlücke wäre mit den Anforderungen des Rechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 47 Abs. 1 der Charta nicht vereinbar.

71.      Darüber hinaus sieht Art. 24 Abs. 11 der Verordnung Nr. 1024/2013 vor, dass „[d]ieser Artikel … nicht das Recht [berührt], gemäß den Verträgen ein Verfahren vor dem EuGH anzustrengen“. Wie die Rechtsmittelführerin vorträgt, ist die letztverbindliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Beschlüsse der EZB, die Zulassung einer Bank zu entziehen, gemäß Art. 263 AEUV den Unionsgerichten vorbehalten. Eine Ex-tunc-Wirkung des Zweitbeschlusses würde der EZB aber erlauben, die gerichtliche Kontrolle des Erstbeschlusses durch dessen Ersetzung zu beschneiden. Das wäre mit dem Grundgedanken unvereinbar, dass das interne administrative Überprüfungsverfahren dem Rechtsschutz dient (oben, Nrn. 37 ff.). Mangels entsprechender ausdrücklicher Vorschrift ist also davon auszugehen(28), dass allein die Unionsgerichte befugt sind, den Erstbeschluss nach Art. 264 Abs. 1 AEUV rückwirkend für nichtig zu erklären.(29)

72.      Die in Art. 24 Abs. 7 Satz 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 geregelte Ersetzung kann mithin nur eine Wirkung ex nunc haben. Der Erstbeschluss wird durch den Erlass des ersetzenden Zweitbeschlusses desselben Inhalts nicht rückwirkend aus der Unionsrechtsordnung entfernt, sondern von diesem nur mit Wirkung für die Zukunft bestätigt und gewissermaßen „absorbiert“.

73.      Diese Regelungstechnik entspricht derjenigen im Dienstrecht der Union über die Zurückweisung einer Beschwerde gegen eine den Beamten belastende Entscheidung des Dienstherrn(30) und derjenigen über die Behandlung von Beschwerden durch den Beschwerdeausschuss der ACER (oben, Nr. 40)(31), mit dem Unterschied, dass in beiden Fällen vor einer Klage das Beschwerdeverfahren durchgeführt werden muss, sowie derjenigen bestimmter verwaltungsrechtlicher Rechtsbehelfe in den Mitgliedstaaten.(32)

74.      Folglich hat das Gericht rechtsfehlerhaft befunden, dass der Zweitbeschluss den Erstbeschluss rückwirkend ersetzt und aus der Unionsrechtsordnung entfernt habe, so dass ein Nichtigkeitsurteil keine zusätzlichen Rechtswirkungen mehr erzeugen könne.

3.      Fortbestand des Rechtsschutzinteresses in Bezug auf den Erstbeschluss?

75.      Ich prüfe nun abschließend, ob das Gericht dennoch zu dem Ergebnis kommen durfte, dass die Kläger im ersten Rechtszug in Bezug auf den Erstbeschluss kein Rechtsschutzinteresse mehr geltend machen können.

76.      Das ist meiner Meinung nach jedoch eindeutig nicht der Fall.

77.      Zum einen erscheint es nicht ausgeschlossen, dass eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Erstbeschlusses im Rahmen der von den Klägern im ersten Rechtszug erhobenen Klage zu dessen Nichtigerklärung führt. Dies hätte nicht nur die rückwirkende Nichtigkeit des Erstbeschlusses nach Art. 264 Abs. 1 AEUV zur Folge, sondern die EZB hätte nach Art. 266 Abs. 1 AEUV auch die sich aus dem Nichtigkeitsurteil „ergebenden Maßnahmen zu ergreifen“. Da der Zweitbeschluss denselben Inhalt wie der Erstbeschluss aufweist, halte ich die EZB infolge einer solchen Nichtigerklärung nach Art. 266 Abs. 1 AEUV sogar für verpflichtet, den – mit denselben Rechtsfehlern behafteten – Zweitbeschluss ungeachtet seiner Unanfechtbarkeit und des Fehlens einer diesbezüglichen Rechtsgrundlage in der Verordnung Nr. 1024/2013 zurückzunehmen und erneut über den Entzug der Zulassung zu entscheiden.(33) Daher kann die Nichtigerklärung des Erstbeschlusses sehr wohl Rechtswirkungen erzeugen und der Rechtsmittelführerin einen Vorteil verschaffen.

78.      Zum anderen kann der Fortbestand des Rechtsschutzinteresses nach gefestigter Rechtsprechung darauf gestützt werden, dass ein Nichtigkeitsurteil der Vorbereitung einer Haftungsklage dient.(34) Die Möglichkeit der Erhebung einer Schadensersatzklage reicht danach aus, um ein solches Rechtsschutzinteresse zu begründen, sofern dieses nicht hypothetisch ist.(35)

79.      Vorliegend haben die Kläger im ersten Rechtszug zwar schon parallel mit ihrem Nichtigkeitsantrag einen Schadensersatzantrag eingereicht. Das Gericht hat diesen Schadensersatzantrag allerdings als offensichtlich unzulässig mit der Begründung zurückgewiesen, dass die dafür in der Rechtsprechung anerkannten förmlichen Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien. Unabhängig davon, ob das Gericht zu diesem Ergebnis kommen durfte, was Gegenstand des vierten und des fünften Rechtsmittelgrundes ist (unten, Nrn. 87 bis 89), erscheint es aber nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsmittelführerin bei Gericht einen neuen Schadensersatzantrag wegen der angeblichen Rechtswidrigkeit des streitigen Beschlusses der EZB einreicht. Das liegt umso näher, als sie die wesentliche schädigende Wirkung dem Erlass des Erstbeschlusses zuweist, der ihr die Zulassung mit sofortiger Wirkung entzog und ihre wirtschaftliche Tätigkeit ab diesem Zeitpunkt unmöglich machte.

80.      Die Klageerhebung vor dem Gericht unterbrach zudem die fünfjährige Verjährungsfrist nach Art. 46 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union für das Einbringen einer Klage auf außervertragliche Haftung mindestens bis zum Abschluss dieses Rechtsmittelverfahrens. Eine erneute Schadensersatzklage bleibt daher weiter möglich.

81.      Folglich würde die Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses der EZB der Rechtsmittelführerin einen Vorteil verschaffen.

D.      Zwischenergebnis zum ersten Rechtsmittelgrund

82.      Nach alldem komme ich zu dem Schluss, dass das Rechtsschutzinteresse der Rechtsmittelführerin mit Blick auf die Beseitigung der sofortigen belastenden Rechtswirkungen des streitigen Beschlusses der EZB, die von ihr auf eine Nichtigerklärung nach Art. 266 Abs. 1 AEUV zu ergreifenden Maßnahmen und die Vorbereitung einer Haftungsklage fortbestand. Das hat das Gericht verkannt. Daraus folgt, dass es den Nichtigkeitsantrag in Bezug auf diesen Beschluss nicht hätte für erledigt erklären dürfen. Die Tatsache, dass die Kläger im ersten Rechtszug nicht form- und fristgerecht Nichtigkeitsklage gegen den Zweitbeschluss erhoben haben, ist dafür unerheblich.

83.      Dem ersten Rechtsmittelgrund ist daher stattzugeben, ohne dass es einer Prüfung des zweiten und des dritten Rechtsmittelgrundes, die sich ebenfalls gegen die Erledigungsfeststellung des Gerichts in Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Beschlusses richten, bedarf (oben, Nrn. 2 und 5).

84.      Der Rechtsstreit ist mithin an das Gericht zurückzuverweisen(36) zum Zweck der Sachentscheidung über den Nichtigkeitsantrag und die zu seiner Stützung vorgebrachten Klagegründe.

85.      Dem Antrag der Rechtsmittelführerin, an das Gericht in anderer Besetzung zurückzuverweisen, kann jedoch mangels Anhaltspunkten für seine Parteilichkeit nicht entsprochen werden.(37) Die oben in den Nrn. 52 und 53 erwähnte Verletzung der Sorgfalts- und Hinweispflicht des Gerichts gegenüber den Klägern im ersten Rechtszug genügt nicht, ernsthafte Zweifel an dessen Unparteilichkeit zu wecken und das dahin gehende Vertrauen bei den Rechtsuchenden zu erschüttern.(38)

86.      Schließlich ist die Kostenentscheidung bezüglich des Nichtigkeitsantrags in Nr. 3 des Tenors des angefochtenen Beschlusses aufzuheben. Da es sich bei der Frage der Erledigung des Nichtigkeitsantrags um einen abtrennbaren, endgültig zu entscheidenden Teil des Streitverfahrens handelt, schlage ich vor, diesbezüglich die EZB zur Tragung ihrer Kosten und derjenigen der Rechtsmittelführerin zu verurteilen.

E.      Vierter und fünfter Rechtsmittelgrund zum Schadensersatzantrag

87.      Bezüglich des vierten und des fünften Rechtsmittelgrundes genügt der Hinweis, dass das Gericht den Schadensersatzantrag der Kläger im ersten Rechtszug zu Recht gemäß Art. 126 seiner Verfahrensordnung als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen hat.(39)

88.      Entgegen den in ständiger Rechtsprechung anerkannten formalen Anforderungen enthält die beim Gericht eingereichte Klageschrift nämlich nur einen Antrag auf Schadensersatz in Höhe von 10 Mio. Euro, den die Kläger in der Erwiderung sogar auf 100 Mio. Euro erhöht haben. Wie vom Gericht rechtsfehlerfrei befunden(40), beinhaltet sie jedoch keine hinreichende Begründung, geschweige denn einen Nachweis dafür, dass die kumulativen Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der EZB nach Art. 340 Abs. 3 AEUV in Bezug auf dessen Ermessensentscheidung, der Nemea Bank die Zulassung zu entziehen – nämlich eine Rechtswidrigkeit in der Form eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen eine dem Einzelnen Rechte verleihende Rechtsnorm, der Umfang des geltend gemachten Schadens und das Bestehen eines hinreichend unmittelbaren ursächlichen Zusammenhangs zwischen dieser Rechtswidrigkeit und diesem Schaden –, erfüllt waren.(41)

89.      Der vierte und der fünfte Rechtsmittelgrund sind daher als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

VII. Ergebnis

90.      Ich schlage dem Gerichtshof vor, dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben und den angefochtenen Beschluss insoweit aufzuheben, als er den Nichtigkeitsantrag für erledigt erklärt und die diesbezüglichen Kosten zwischen der Rechtsmittelführerin und der EZB aufgeteilt hat (Nrn. 1 und 3 des Tenors), den Rechtsstreit an das Gericht gemäß Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs zurückzuverweisen und die EZB jedenfalls zu den Kosten bezüglich der vom Gericht festgestellten Erledigung des Nichtigkeitsantrags zu verurteilen.











































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