C-468/24 – Netz Niederösterreich () und compteurs intelligents)

C-468/24 – Netz Niederösterreich () und compteurs intelligents)

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:967

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANDREA BIONDI

vom 11. Dezember 2025(1)

Rechtssache C468/24

SR

gegen

Netz Niederösterreich GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts St. Pölten [Österreich])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Energie – Stromversorgung – Messgeräte – Intelligente Zähler – Ablehnungsrecht des Verbrauchers – Sicherheit der von intelligenten Zählern übermittelten Daten “

I.      Rechtsrahmen

A.      Unionsrecht

1.        In Art. 20 („Funktionen intelligenter Messsysteme“) Buchst. b und c der Richtlinie 2019/944(2) heißt es:

„Wird die Einführung intelligenter Messsysteme im Rahmen der in Artikel 19 Absatz 2 genannten Kosten-Nutzen-Analyse positiv bewertet oder werden intelligente Messsysteme nach dem 4. Juli 2019 systematisch eingeführt, so beachten die Mitgliedstaaten bei deren Einführung europäische Normen, Anhang II und die folgenden Anforderungen:

b)      Die Sicherheit der intelligenten Messsysteme und der Datenkommunikation wird gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Sicherheit unter gebührender Berücksichtigung der besten verfügbaren Techniken für die Sicherstellung eines Höchstmaßes an Cybersicherheit und unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Kosten und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gewährleistet.

c)      Der Schutz der Privatsphäre und der Daten der Endkunden erfolgt gemäß den einschlägigen Vorschriften der Union über den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre.

…“

2.        Art. 21 („Anspruch auf ein intelligentes Messsystem“) Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2019/944 sieht vor:

„(1)      Wurde die Einführung intelligenter Messsysteme im Rahmen der in Artikel 19 Absatz 2 genannten Kosten-Nutzen-Analyse negativ bewertet und nicht systematisch eingeführt, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass jeder Endkunde auf Anfrage und auf eigene Kosten zu fairen, angemessenen und kosteneffizienten Bedingungen Anspruch auf die Installation oder Aufrüstung zu einem intelligenten Messsystem hat, das

a)      sofern technisch praktikabel, mit den in Artikel 20 genannten Funktionen ausgestattet ist oder über bestimmte Mindestfunktionen verfügt, die von den Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene und gemäß Anhang II festzulegen und zu veröffentlichen sind;

…“

3.        Art. 22 („Konventionelle Zähler“) Abs. 1 der Richtlinie 2019/944 lautet:

„(1)      Sind die Endkunden nicht mit intelligenten Messsystemen ausgestattet, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass den Endkunden individuelle konventionelle Zähler zur Verfügung gestellt werden, die ihren tatsächlichen Verbrauch genau messen.“

4.        Art. 23 („Datenverwaltung“) Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 bestimmt:

„(3)      Die Vorschriften über den Zugang zu Daten und der Datenspeicherung im Rahmen dieser Richtlinie entsprechen dem einschlägigen Unionsrecht.

Die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen dieser Richtlinie erfolgt gemäß der Verordnung (EU) 2016/679.“

5.        Art. 5 („Vertraulichkeit der Kommunikation“) Abs. 3 der Richtlinie 2002/58/EG(3) lautet:

„(3)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Speicherung von Informationen oder der Zugriff auf Informationen, die bereits im Endgerät eines Teilnehmers oder Nutzers gespeichert sind, nur gestattet ist, wenn der betreffende Teilnehmer oder Nutzer auf der Grundlage von klaren und umfassenden Informationen, die er gemäß der Richtlinie 95/46/EG u. a. über die Zwecke der Verarbeitung erhält, seine Einwilligung gegeben hat. Dies steht einer technischen Speicherung oder dem Zugang nicht entgegen, wenn der alleinige Zweck die Durchführung der Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz ist oder wenn dies unbedingt erforderlich ist, damit der Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wurde, diesen Dienst zur Verfügung stellen kann.“

6.        Art. 5 („Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten“) Abs. 1 Buchst. f der Verordnung 2016/679(4) sieht vor:

„(1)      Personenbezogene Daten müssen

f)      in einer Weise verarbeitet werden, die eine angemessene Sicherheit der personenbezogenen Daten gewährleistet, einschließlich Schutz vor unbefugter oder unrechtmäßiger Verarbeitung und vor unbeabsichtigtem Verlust, unbeabsichtigter Zerstörung oder unbeabsichtigter Schädigung durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen (‚Integrität und Vertraulichkeit‘)“.

7.        Art. 13 („Informationspflicht bei Erhebung von personenbezogenen Daten bei der betroffenen Person“) Abs. 1 der Verordnung 2016/679 bestimmt:

„(1)      Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person erhoben, so teilt der Verantwortliche der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten Folgendes mit:

a)      den Namen und die Kontaktdaten des Verantwortlichen sowie gegebenenfalls seines Vertreters;

b)      gegebenenfalls die Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten;

c)      die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen, sowie die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung;

…“

8.        Art. 32 („Sicherheit der Verarbeitung“) Abs. 2 der Verordnung 2016/679 lautet:

„(2)      Bei der Beurteilung des angemessenen Schutzniveaus sind insbesondere die Risiken zu berücksichtigen, die mit der Verarbeitung verbunden sind, insbesondere durch – ob unbeabsichtigt oder unrechtmäßig – Vernichtung, Verlust, Veränderung oder unbefugte Offenlegung von beziehungsweise unbefugten Zugang zu personenbezogenen Daten, die übermittelt, gespeichert oder auf andere Weise verarbeitet wurden.“

B.      Österreichisches Recht

9.        In § 83 Abs. 3 des Elektrizitätswirtschafts- und ‑organisationsgesetzes (im Folgenden: ElWOG)(5) heißt es:

„(3)      Die Sichtanzeige am intelligenten Messgerät ist standardmäßig so zu konfigurieren, dass nur der aktuelle Zählerstand abgelesen werden kann. Zu Zwecken der Überprüfung von darüber hinausgehenden, im Messgerät gespeicherten verrechnungsrelevanten Werten ist auf Kundenwunsch die Anzeige des intelligenten Messgerätes dahingehend freizugeben, dass eine Überprüfung dieser Werte anhand der Anzeige des intelligenten Messgeräts selbst ermöglicht wird. Diese Freigabe hat kostenlos und ohne unverhältnismäßigen Zusatzaufwand für den Endverbraucher zu erfolgen. …“

10.      § 84a Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt:

„(1)      Eine Auslesung samt Verwendung von Viertelstundenwerten der Endverbraucher durch den Netzbetreiber ist nur bei ausdrücklicher Zustimmung des Endverbrauchers oder zur Erfüllung von Pflichten aus einem vom Kunden gewählten, auf Viertelstundenwerten basierenden Liefervertrag zulässig. Davon abgesehen dürfen Netzbetreiber diese Daten in begründeten lokalen Einzelfällen auch ohne Zustimmung des Endverbrauchers aus dem intelligenten Messgerät auslesen, soweit dies für den Zweck der Aufrechterhaltung eines sicheren und effizienten Netzbetriebes unabdingbar ist. Die bezüglichen Daten sind unverzüglich zu löschen, sobald sie für die Erfüllung des Zwecks nicht mehr benötigt werden. … Der Endverbraucher ist im Falle einer Auslesung der Viertelstundenwerte ohne Einwilligung zeitnah darüber zu informieren.“

11.      § 1 der Intelligente Messgeräte-Einführungsverordnung(6) (im Folgenden: IME‑VO) bestimmt:

„(1)      Jeder Netzbetreiber … hat

1.      …

2.      im Rahmen der technischen Machbarkeit, bis Ende 2024 mindestens 95 vH der an sein Netz angeschlossenen Zählpunkte als intelligente Messgeräte (§ 7 Abs. 1 Z 31 ElWOG 2010) gemäß den Vorgaben der [IMA-VO(7)] auszustatten, wobei eine leitungsgebundene Übertragung in Betracht zu ziehen ist.

(4)      Die Netzbetreiber haben die Endverbraucher zeitnah über den Einbau eines intelligenten Messgerätes sowie die damit verbundenen Rahmenbedingungen zu informieren. …

 …

(6)       Lehnt ein Endverbraucher die Messung mittels eines intelligenten Messgerätes ab, hat der Netzbetreiber diesem Wunsch zu entsprechen. Der Netzbetreiber hat in diesem Fall einzubauende oder bereits eingebaute intelligente Messgeräte derart zu konfigurieren, dass keine Monats‑, Tages- und Viertelstundenwerte gespeichert und übertragen werden und die Abschaltfunktion sowie Leistungsbegrenzungsfunktion deaktiviert sind, wobei die jeweilige Konfiguration der Funktionen für den Endverbraucher am Messgerät ersichtlich sein muss. Eine Auslesung und Übertragung des für Abrechnungszwecke oder für Verbrauchsabgrenzungen notwendigen Zählerstandes und, soweit das Messgerät technisch dazu in der Lage ist, der höchsten einviertelstündlichen Durchschnittsbelastung (Leistung) innerhalb eines Kalenderjahres muss möglich sein. Derart konfigurierte digitale Messgeräte werden auf die in Abs. 1 festgelegten Zielverpflichtungen angerechnet, soweit sie die Anforderungen der [IMA-VO] bei entsprechender Aktivierung bzw. Programmierung, die auf Wunsch des Endverbrauchers umgehend vorzunehmen ist, erfüllen.

…“

II.    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12.      Die Netz Niederösterreich GmbH, die Berufungsbeklagte des Ausgangsverfahrens, ist eine Stromnetzbetreiberin in Österreich. SR, die Berufungsklägerin, bezieht Strom von einem Drittunternehmen über das Netz der Berufungsbeklagten.

13.      Die Berufungsklägerin verfügte über einen analogen Stromzähler, dessen Eichung jedoch im Dezember 2023 ablief. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass dieser Zähler durch ein intelligentes Messsystem ersetzt werden muss, das den gesetzlichen Anforderungen entspricht (im Folgenden auch: intelligenter Zähler).

14.      Da die Berufungsklägerin dem Ausbau des bisherigen analogen Messgeräts entgegentrat, erhob die Berufungsbeklagte Klage beim Bezirksgericht Tulln (Österreich), um den Ausbau des bisherigen Messgeräts vornehmen zu können. Die Berufungsklägerin legte gegen das Urteil der ersten Instanz Berufung beim Landesgericht St. Pölten, dem vorlegenden Gericht, ein.

15.      Das vorlegende Gericht hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof sechs Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 22 der Richtlinie 2019/944 in Verbindung mit Anhang II dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass ein Netzbetreiber den Wunsch eines Endverbrauchers, kein intelligentes Messgerät zu erhalten, zu berücksichtigen hat und in diesem Fall verpflichtet ist, dem Endverbraucher an der Stelle eines intelligenten Messsystems einen konventionellen Zähler zur Verfügung zu stellen?

2.      Ist Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2014/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Messgeräten auf dem Markt(8), der ein „Messgerät“ im Sinne der gerätespezifischen Anhänge III bis XII näher definiert (Elektrizitätszähler für Wirkverbrauch [MI-003]) in Verbindung mit Art. 20 Buchst. b und c und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 so auszulegen, dass er einer Bestimmung des nationalen Rechts (§ 7 Abs. 1 Z 31 ElWOG in der Fassung des BGBl. I Nr. 17/2021), die keine konkreten Anforderungen an die Datensicherheit von Messgeräten stellt, entgegensteht?

3.      Ist bei der Auslegung von Art. 20 Buchst. b und c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a, Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 auch auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG(9) in der durch die Richtlinie 1999/34/EG(10) geänderten Fassung Bedacht zu nehmen?

4.      Ist Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58 dahin auszulegen, dass der Begriff „elektronisches Kommunikationsnetz“ auch auf ein Stromnetz anzuwenden ist, über welches Daten (Verbrauchsdaten, Meta-Daten, persönliche ID) nach den Zwecken von Art. 20 Buchst. b und c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 übertragen werden?

5.      Sind Art. 5 Abs. 1 Buchst. f, Art. 13, Art. 32 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 und Art. 7, Art. 8 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift (§ 1 Abs. 6 IME‑VO) entgegenstehen, nach welcher nur die jeweilige Konfiguration des Ableseintervalls für den Endverbraucher ersichtlich sein muss, nicht aber, ob der Netzbetreiber einen „begründeten Einzelfall“ (§ 84a Abs. 1 ElWOG) erkannt hat und Daten des Endverbrauchers vor dem festgelegten Intervall abgerufen hat?

6.      Ist im Hinblick auf Art. 52 Abs. 3 der Charta, Abs. 5 der Präambel und die Erläuterungen zu Art. 7 der Charta die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK für die Auslegung von Art. 20 Buchst. b und c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 heranzuziehen?

16.      Entsprechend dem Ersuchen des Gerichtshofs beziehen sich die vorliegenden Schlussanträge auf die vierte und die fünfte Vorlagefrage.

17.      Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die österreichische und die finnische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und in der Sitzung vom 24. September 2025 mündlich verhandelt.

III. Würdigung

 Vorbemerkungen

 Zur Energieeffizienz und zum Datenschutz

18.      Der Fall ist in einem spezifischen rechtlichen und technologischen Kontext zu sehen, in dem die Digitalisierung des Energiesektors als unverzichtbares Element für die Verwirklichung der im Unionsrecht verankerten Ziele der Energieeffizienz und der ökologischen Nachhaltigkeit angesehen wird.

19.      Insbesondere werden die Mitgliedstaaten mit der Richtlinie 2019/944 über den Elektrizitätsbinnenmarkt aufgefordert, intelligente Messsysteme (im Folgenden auch: intelligenter Zähler) einzuführen(11), um den Verbrauchern den Zugang zu Echtzeitinformationen oder Fast-Echtzeit‑Informationen über ihren Energieverbrauch zu ermöglichen und um ihre aktive Beteiligung an der Energiewende zu fördern(12).

20.      Der Unionsgesetzgeber wollte außerdem die Stellung der Verbraucher hinsichtlich ihres Energieverbrauchs stärken, damit sie sich stärker am Markt beteiligen, indem auch gewährleistet wird, dass sie ihre Versorger frei wählen können(13). Zur Förderung des Engagements der Verbraucher sind geeignete Technologien wie intelligente Messsysteme erforderlich. Solche Systeme verschaffen u. a. den Betreibern einen besseren Überblick über die Netze und ermöglichen es ihnen, ihre Betriebs- und Instandhaltungskosten zu verringern(14). In diesem Zusammenhang sieht die Richtlinie 2019/944 auch Rechte und Pflichten für die Betreiber von Verteilernetzen vor(15).

21.      Das intelligente Messsystem umfasst die Erhebung verschiedener Arten von Daten, von Verbrauchsdaten bis hin zu personenbezogenen Daten. Aus diesem Grund hat der Unionsgesetzgeber betont, wie wichtig es ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten unter Beachtung der DSGVO erfolgt(16).

22.      In diesem Kontext bietet der vorliegende Fall die Gelegenheit, zu prüfen, wie die Mitgliedstaaten das Verhältnis zwischen Energieeffizienz und Datenschutz handhaben.

 Zur Zulässigkeit

23.      Die Berufungsbeklagte und die österreichische Regierung stellen die Zulässigkeit der vierten und der fünften Vorlagefrage in Abrede. Sie machen geltend, dass diese Vorlagefragen hypothetischer Natur seien, da sie den Fall der Installation des intelligenten Messgeräts beträfen, wohingegen das Ausgangsverfahren den Ausbau des bisherigen analogen Messgeräts betreffe.

24.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung „eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat“(17). Diese Vermutung kann nur in Ausnahmefällen widerlegt werden, wenn offensichtlich ist, dass die aufgeworfene Frage keinen Bezug zur tatsächlichen Sachlage oder zum Gegenstand des Ausgangsverfahrens hat oder dass der Gerichtshof nicht über die erforderlichen tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, um eine sachdienliche Antwort zu geben(18).

25.      Darüber hinaus bedeutet der Geist der Zusammenarbeit, der dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegt, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden(19).

26.      Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass das vorlegende Gericht die Bedeutung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts klären möchte, um das nationale Recht entsprechend auszulegen. Dieses Gericht hat die Relevanz der Fragen für den Streitgegenstand begründet und dargelegt, wie sich ihre Beantwortung auf den Ausgang des Ausgangsverfahrens auswirken kann.

27.      Daraus folgt, dass die vorgelegten Fragen nicht als rein hypothetisch angesehen werden können.

A.      Zur vierten Vorlagefrage

28.      Mit der vierten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Voraussetzungen für die Speicherung oder den Zugriff auf in einem Endgerät eines elektronischen Kommunikationsnetzes gespeicherte Informationen gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58 auf ein Stromnetz anwendbar sind, über das personenbezogene Daten entsprechend den Zwecken von Art. 20 Buchst. b und c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 übertragen werden können.

29.      Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2019/944 meiner Ansicht nach im vorliegenden Fall nicht relevant ist, da er den Fall regelt, dass die Einführung intelligenter Messsysteme in einem bestimmten Mitgliedstaat negativ bewertet wurde. Aus den Akten geht hervor, dass die Einführung solcher Systeme nach einer Kosten-Nutzen-Analyse(20), auf deren Grundlage dann die IME‑VO verabschiedet wurde, in Österreich positiv bewertet wurde.

30.      Vor diesem Hintergrund ist zur Beantwortung dieser Vorlagefrage im Wesentlichen zu prüfen, ob der Begriff „Stromnetz“ unter den Begriff „elektronisches Kommunikationsnetz“ fallen kann(21).

31.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58 aufgestellten Anforderungen ausschließlich Informationen betreffen, die im Endgerät eines Teilnehmers oder Nutzers gespeichert sind(22).

32.      Außerdem ist zu beachten, dass nach der Definition in Art. 1 Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/63(23) betreffend Kommunikationsendeinrichtungen Endeinrichtungen direkt oder indirekt an die Schnittstelle eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes angeschlossene Einrichtungen zum Aussenden, Verarbeiten oder Empfangen von Nachrichten(24) sind.

33.      Zwar trifft es zu, dass es in der Durchführungsverordnung 2023/1162 über Interoperabilitätsanforderungen(25) heißt: „Da intelligente Zähler als Endgeräte gelten, findet darüber hinaus die [Richtlinie 2002/58] Anwendung …, einschließlich des Artikels 5 Absatz 3“(26). In dieser Verordnung wird jedoch nicht präzisiert, ob die Gleichstellung intelligenter Zähler mit Endgeräten im Fall eines öffentlichen Stromnetzes als relevant anzusehen ist oder nicht. Die Auslegung, dass intelligente Zähler unabhängig davon, ob es sich um ein öffentliches Stromnetz handelt oder nicht, als Endgeräte gelten, würde meiner Meinung nach zu einer Unvereinbarkeit mit den anderen oben angeführten Bestimmungen des Unionsrechts führen.

34.      Ausgehend von diesen Erwägungen kann der Schluss gezogen werden, dass für die Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58 im vorliegenden Fall im Wesentlichen zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen: (a) Der intelligente Zähler muss im Eigentum des Verbrauchers stehen, und (b) er muss an ein öffentliches Netz angeschlossen sein(27), vorausgesetzt, der intelligente Zähler kann als Endgerät betrachtet werden.

35.      Tatsächlich hat sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt, dass das Stromnetz in Österreich nicht öffentlich ist und dass der intelligente Zähler nicht im Eigentum des Verbrauchers steht.

36.      Im Übrigen besteht, wie die österreichische Regierung ausgeführt hat, der Hauptzweck des Stromnetzes im vorliegenden Fall darin, Strom zu liefern, und nicht in der Übertragung von Signalen, wie dies hingegen bei einem elektronischen Kommunikationsnetz der Fall ist(28).

37.      Daraus würde folgen, dass im vorliegenden Fall die beiden oben angeführten Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58 genannten Anforderungen in Bezug auf Speicherungen nicht erfüllt sind. Es ist jedenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

38.      Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht ist Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58 daher nicht anwendbar, wenn der Zähler nicht im Eigentum des Verbrauchers steht und an ein privates Netz angeschlossen ist.

B.      Zur fünften Vorlagefrage

39.      Mit der fünften Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 1 Buchst. f, Art. 13 und Art. 32 Abs. 2 DSGVO sowie Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Charta der österreichischen Bestimmung (im vorliegenden Fall § 1 Abs. 6 IME‑VO und § 84a Abs. 1 ElWOG) entgegenstehen, wonach nur die jeweilige Konfiguration des Ableseintervalls für den Verbraucher ersichtlich sein muss, nicht aber, ob der Netzbetreiber einen „begründeten Einzelfall“ erkannt und die Daten des Verbrauchers vor dem festgelegten Intervall abgerufen hat.

40.      Zunächst ist festzustellen, dass sowohl die Berufungsbeklagte als auch die österreichische Regierung in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen haben, dass § 84a Abs. 1 ElWOG über den Zugriff der Betreiber auf die Daten intelligenter Messgeräte in bestimmten, begründeten Fällen keine Anwendung findet, wenn das Messgerät auf den Modus „Opt-out“ eingestellt ist(29). Dies liegt daran, dass die Energieverbrauchswerte nicht erfasst werden, so dass eine Einsichtnahme in die Werte gemäß § 84a ElWOG nicht möglich ist.

41.      Vor diesem Hintergrund werde ich nun die fünfte Vorlagefrage prüfen und untersuchen, ob die Bestimmungen der DSGVO § 84a Abs. 1 ElWOG entgegenstehen.

42.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass, wie im 91. Erwägungsgrund der Richtlinie 2019/944 dargelegt, „[d]ie vorliegende Richtlinie … im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen [steht], die insbesondere mit der Grundrechtecharta anerkannt wurden“. Und dass „[e]s … von wesentlicher Bedeutung [ist], dass jede Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen dieser Richtlinie unter Beachtung der [DSGVO] erfolgt“(30).

43.      Gemäß Art. 23 („Datenverwaltung“) der Richtlinie 2019/944 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Vorschriften genau anzugeben, die für den Zugang berechtigter Parteien zu den Daten der Endkunden gelten, und die Datenverwaltung so zu organisieren, dass ein effizienter und sicherer Datenzugang und ‑austausch und gleichzeitig Datenschutz und ‑sicherheit gewährleistet sind.

44.      Was Art. 5 Abs. 1 Buchst. f, Art. 13 und Art. 32 Abs. 2 DSGVO betrifft, um deren Auslegung das vorlegende Gericht in der fünften Vorlagefrage ersucht, bin ich nicht vollständig davon überzeugt, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. f und Art. 32 Abs. 2 im vorliegenden Fall relevant sind.

45.      Tatsächlich legt Art. 5 Abs. 1 Buchst. f DSGVO die Grundsätze der Integrität und Vertraulichkeit fest, wonach der für die Verarbeitung Verantwortliche verpflichtet ist, geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten(31). Art. 32 DSGVO regelt die Pflichten des Verantwortlichen in Bezug auf die Sicherheit der Verarbeitung. Nach Art. 32 Abs. 2 sind bei der Beurteilung des angemessenen Schutzniveaus „die Risiken zu berücksichtigen, die mit der Verarbeitung verbunden sind, insbesondere durch – ob unbeabsichtigt oder unrechtmäßig – Vernichtung, Verlust, Veränderung oder unbefugte Offenlegung von beziehungsweise unbefugten Zugang zu personenbezogenen Daten“(32).

46.      Im vorliegenden Fall betrifft die Frage des vorlegenden Gerichts die Verpflichtung des Betreibers, den Verbraucher zu informieren, wenn er die Daten in einem „begründeten Einzelfall“ abruft. Da Art. 5 Abs. 1 Buchst. f und Art. 32 Abs. 2 DSGVO meiner Meinung nach im vorliegenden Fall nicht relevant sind, werde ich mich bei meiner Würdigung auf Art. 13 konzentrieren.

47.      Dieser Artikel führt die Informationen an, die der Verantwortliche (im vorliegenden Fall der Betreiber) der betroffenen Person (dem Verbraucher) „zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten“ zur Verfügung stellen muss. Zu den bereitzustellenden Informationen gehören auch die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen, und die Rechtsgrundlage für diese Verarbeitung(33). Gemäß Art. 13 Abs. 4 DSGVO entfällt diese Informationspflicht jedoch, wenn und soweit die betroffene Person bereits über die Informationen verfügt.

48.      Was die österreichischen Rechtsvorschriften anbelangt, sieht § 84a Abs. 1 ElWOG ausdrücklich vor, zu welchem Zweck Netzbetreiber Daten „in begründeten lokalen Einzelfällen“ auch ohne Zustimmung des Endverbrauchers aus dem intelligenten Messgerät auslesen können, nämlich soweit dies für den Zweck der Aufrechterhaltung eines sicheren und effizienten Netzbetriebs unabdingbar ist. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass „[d]ie bezüglichen Daten … unverzüglich zu löschen [sind], sobald sie für die Erfüllung des Zwecks nicht mehr benötigt werden. … Der Endverbraucher ist im Falle einer Auslesung der Viertelstundenwerte ohne Einwilligung zeitnah darüber zu informieren.“

49.      Wie die Berufungsbeklagte in ihren Erklärungen dargelegt hat, ist § 84a Abs. 1 ElWOG in den Allgemeinen Bedingungen für den Zugang zum Verteilernetz der Netz Niederösterreich GmbH wiedergegeben(34), bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie Bestandteil des zum Zeitpunkt der Installation des intelligenten Zählers oder vor diesem Zeitpunkt mit dem Verbraucher geschlossenen Vertrags sind.

50.      Meiner Ansicht nach legt § 84a Abs. 1 ElWOG die Verpflichtung gemäß Art. 23 der Richtlinie 2019/944 fest, die Daten so zu verwalten, dass ein effizienter und sicherer Datenzugang und ‑austausch gewährleistet ist.

51.      Tatsächlich legt § 84a ausdrücklich fest, zu welchem Zweck der Zugriff erfolgen kann, und sieht vor, dass die Daten zu löschen sind, sobald sie nicht mehr benötigt werden. In diesem Sinne gewährleistet diese Vorschrift einen sicheren Datenzugang und ‑austausch. Diese Vorschrift garantiert auch den Schutz dieser Daten, da sie vorsieht, dass der Verbraucher zeitnah zu informieren ist, wenn er seine Einwilligung nicht erteilt hat.

52.      Daraus folgt, dass die österreichische Regelung, im vorliegenden Fall § 84a Abs. 1 ElWOG, nicht im Widerspruch zur DSGVO steht, sofern der Verbraucher über den spezifischen Zweck gemäß § 84a Abs. 1 informiert wird. Aus denselben Gründen bin ich der Ansicht, dass die österreichische Regelung nicht im Widerspruch zu Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Charta steht.

53.      Wie auch in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, bin ich mir bewusst, dass Verbraucher Bedenken hinsichtlich des tatsächlichen Schutzes personenbezogener Daten haben können, insbesondere wenn diese über Geräte wie Stromzähler übertragen werden. Insoweit halte ich den Hinweis für angebracht, dass der Unionsgesetzgeber vor Kurzem das Schutzniveau für personenbezogene Daten von Verbrauchern durch den Erlass der Verordnung (EU) 2023/2854(35) verstärkt hat, die – auch wenn sie erst ab dem 12. September 2025 anzuwenden ist – den Nutzern von „vernetzten Produkten“(36) zusätzlich einen zeitnahen Zugriff auf die von diesen Instrumenten generierten Daten garantiert.

54.      Zusammenfassend bin ich der Ansicht, dass Art. 13 DSGVO sowie Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Charta einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der nur die jeweilige Konfiguration des Ableseintervalls für den Endverbraucher ersichtlich sein muss, nicht aber, ob der Netzbetreiber einen „begründeten Einzelfall“ (§ 84a Abs. 1 EIWOG) erkannt hat und Daten des Endverbrauchers vor dem festgelegten Intervall abgerufen hat, sofern der Verbraucher auch über diesen besonderen Zweck im Voraus informiert wird.

IV.    Ergebnis

55.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Landesgericht St. Pölten (Österreich) vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation ist dahin auszulegen, dass

der Begriff „elektronisches Kommunikationsnetz“ nicht auf ein Stromnetz anzuwenden ist, über das Daten (Verbrauchsdaten, Meta-Daten, persönliche ID) entsprechend den Zwecken von Art. 20 Buchst. b und c und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU übertragen werden, wenn das Stromnetz nicht öffentlich ist und der intelligente Zähler nicht im Eigentum des Verbrauchers steht.

Art. 13 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG ist im Licht von Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der nur die jeweilige Konfiguration des Ableseintervalls für den Endverbraucher ersichtlich sein muss, nicht aber, ob der Netzbetreiber einen „begründeten Einzelfall“ erkannt hat und Daten des Endverbrauchers vor dem festgelegten Intervall abgerufen hat, sofern der Verbraucher über diesen besonderen Zweck im Voraus informiert wird.






































Leave a Comment

Schreibe einen Kommentar