T-733/16 – Banque postale/ EZB
Language of document : ECLI:EU:T:2018:477
Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)
13. Juli 2018()
„Wirtschafts- und Währungspolitik – Aufsicht über Kreditinstitute – Art. 4 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 – Berechnung der Verschuldungsquote – Weigerung der EZB, der Klägerin zu erlauben, Risikopositionen, die bestimmte Anforderungen erfüllen, bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen – Art. 429 Abs. 14 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 – Ermessen der EZB – Rechtsfehler – Offensichtlicher Beurteilungsfehler“
In der Rechtssache T‑733/16
La Banque postale mit Sitz in Paris (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte E. Guillaume und L. Coudray,
Klägerin,
gegen
Europäische Zentralbank (EZB), vertreten durch K. Lackhoff, R. Bax und G. Bassani als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte H.‑G. Kamann und F. Louis,
Beklagte,
unterstützt durch
Republik Finnland, vertreten durch S. Hartikainen als Bevollmächtigten,
Streithelferin,
wegen einer Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses ECB/SSM/2016‑96950066U5XAAIRCPA 78/16 der EZB vom 24. August 2016 nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. d und Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die EZB (ABl. 2013, L 287, S. 63) sowie nach Art. 429 Abs. 14 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2013, L 176, S. 1, Berichtigungen ABl. 2013, L 208, S. 68, und ABl. 2013, L 321, S. 6),
erlässt
DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek (Berichterstatter), der Richter E. Buttigieg, F. Schalin und B. Berke sowie der Richterin M. J. Costeira,
Kanzler: G. Predonzani, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2018
folgendes
Urteil
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1 Die Klägerin, La Banque postale, ist eine als Kreditinstitut zugelassene Aktiengesellschaft französischen Rechts. Als bedeutendes Unternehmen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63) fällt sie unter die direkte Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB).
2 Am 22. Juli 2015 beantragte die Klägerin bei der EZB die Erlaubnis, nach Art. 429 Abs. 14 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2013, L 176, S. 1, Berichtigungen ABl. 2013, L 208, S. 68, und ABl. 2013, L 321, S. 6) Risikopositionen aus Einlagen für bei ihr gezeichnete reglementierte Produkte, zu deren Übertragung an die Caisse des dépôts et consignations (Hinterlegungs- und Konsignationszentralkasse, im Folgenden: CDC), eine französische öffentlich-rechtliche Kreditanstalt, sie verpflichtet war, bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen.
3 Die betreffenden Produkte sind das Livret A (Sparbuch A), das in den Art. L. 221-1 bis L. 221-9 des französischen Code monétaire et financier (Währungs- und Finanzgesetzbuch, im Folgenden: CMF) geregelt ist, das Livret d’épargne populaire (Volkssparbuch, im Folgenden: LEP), das in den Art. L. 221-13 bis L. 221-17-2 CMF geregelt ist, und das Livret de développement durable et solidaire (Sparbuch für nachhaltige und solidarische Entwicklung, im Folgenden: LDD), das in Art. L. 221-27 CMF geregelt ist. Nach Art. L. 221-5 CMF wird ein Anteil an den gesamten Einlagen auf dem Livret A und dem LDD in einem von der CDC verwalteten Sparfonds zentralisiert. Gleiches gilt nach Art. R. 221-58 CMF für das LEP.
4 Am 8. Juni 2016 übermittelte die EZB der Klägerin den Entwurf eines Beschlusses, mit dem die Gewährung der beantragten Ausnahme abgelehnt wurde, ihr aber übergangsweise gestattet wurde, einen Teil der an die CDC übertragenen Risikopositionen bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen, wobei der Umfang dieser zeitweiligen Ausnahme schrittweise verringert und am 1. Januar 2019 gestrichen werden sollte. Die EZB räumte der Klägerin eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme ein.
5 Am 21. Juni 2016 nahm die Klägerin schriftlich zu diesem Beschlussentwurf Stellung und beantragte erneut, die in Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 vorgesehene Ausnahme in Anspruch nehmen zu dürfen. Hilfsweise vertrat sie die Ansicht, der von der EZB vorgesehene Übergangszeitraum sei zu kurz und müsse bis zum 31. Dezember 2022 verlängert werden. Darüber hinaus beantragte sie, nach Art. 31 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der EZB vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der EZB und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM-Rahmenverordnung) (ABl. 2014, L 141, S. 1) gehört zu werden.
6 Am 5. Juli 2016 fand in den Geschäftsräumen der EZB eine Zusammenkunft zwischen Vertretern der Klägerin und der EZB statt.
7 Am 7. Juli 2016 legte die Klägerin eine neue schriftliche Stellungnahme vor, in der sie hervorhob, dass sie an ihrem Antrag auf Inanspruchnahme von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 festhalte. Angesichts der erheblichen Auswirkungen einer Ablehnung der EZB, die den Nenner der Verschuldungsquote um fast 50 % erhöhen würde, beantragte sie hilfsweise, dass sich der von der EZB vorgesehene Übergangszeitraum vom 1. Januar 2017 bis mindestens zum 31. Dezember 2022 erstreckt.
8 Am 24. August 2016 erließ die EZB den Beschluss ECB/SSM/2016‑96950066U5XAAIRCPA 78/16 nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. d und Art. 10 der Verordnung Nr. 1024/2013 sowie nach Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 (im Folgenden: angefochtener Beschluss).
9 Die EZB lehnte es darin als Erstes ab, die Risikopositionen gegenüber der CDC aus dem Teil der Einlagen auf dem Livret A, dem LDD und dem LEP, zu dessen Übertragung an sie die Klägerin verpflichtet war, bei der Berechnung der Verschuldungsquote der Klägerin unberücksichtigt zu lassen.
10 Die EZB erkannte erstens an, dass die Anforderungen von Art. 429 Abs. 14 Buchst. a bis c der Verordnung Nr. 575/2013 erfüllt waren, und begründete dies damit, dass die CDC als eine öffentliche Stelle anzusehen sei, dass die Risikopositionen gegenüber der CDC in Übereinstimmung mit Art. 116 Abs. 4 dieser Verordnung für Aufsichtszwecke verwendet würden, und dass die Klägerin zur Übertragung eines Anteils an den Einlagen auf dem Livret A, dem LDD und dem LEP an die CDC verpflichtet sei, um Investitionen im allgemeinen Interesse zu finanzieren. Darüber hinaus hob die EZB im Wesentlichen hervor, dass die genannten Anforderungen in Bezug auf den Teil der reglementierten Einlagen, für den unabhängig vom Zweck seiner Verwendung keine Verpflichtung zur Übertragung an die CDC bestehe, nicht erfüllt seien.
11 Zweitens ergebe sich aus dem Wortlaut von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013, so die EZB, dass sie über ein Ermessen verfüge, aufgrund dessen es ihr freistehe, ob sie Risikopositionen, die die in dieser Bestimmung aufgeführten Anforderungen erfüllten, bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt lassen wolle oder nicht. Die EZB vertrat im Wesentlichen die Ansicht, dass auch dann aufsichtsrechtliche Gründe für die Ablehnung eines Freistellungsantrags nach der genannten Bestimmung bestehen könnten, wenn die besagten Anforderungen erfüllt seien. In diesem Zusammenhang bezog sie sich auf den Zweck der Einführung der Verschuldungsquote, der darin bestehe, eine – nicht nach dem Risiko aus den verschiedenen Komponenten der Risikopositionen eines Kreditinstituts gewichtete – einfache und transparente Übersicht über den Umfang dieser Positionen zu geben, um zu verhindern, dass sich die Risikopositionen im Verhältnis zum Eigenkapital übermäßig entwickelten.
12 Drittens blieben die von der Klägerin an die CDC übertragenen Gelder für die Berechnung ihrer Verschuldungsquote relevante Risikopositionen. Die EZB stützte sich dabei auf drei Gründe. Der erste Grund, den sie als „ersten Hinweis“ einstufte, beruht auf der buchungstechnischen Behandlung der Spareinlagen. Die EZB leitete aus dem Umstand, dass die reglementierten Spargelder auf der Passivseite der Bilanz der Klägerin und die an die CDC übertragenen Einlagen auf der Aktivseite ihrer Bilanz ausgewiesen wurden, ab, dass die Klägerin weiterhin für die Risikopositionen aus Spareinlagen, einschließlich der an die CDC übertragenen Gelder, hafte. Zudem sei die Klägerin verpflichtet, das Management operationeller Risiken im Zusammenhang mit den reglementierten Sparformen sicherzustellen. Der zweite Grund besteht in der vertraglichen Verpflichtung der Klägerin, die Kundeneinlagen unabhängig davon zurückzuzahlen, ob die an die CDC übertragenen Mittel an sie rückübertragen werden. Der dritte Grund beruht auf dem Umstand, dass zwischen den Anpassungen der Positionen der Klägerin und denen der CDC zu Neugewichtungszwecken eine gewisse Zeit vergeht. Die EZB vertrat die Auffassung, die Klägerin könne sich während dieses Zeitraums veranlasst sehen, bis zu den Mittelübertragungen der CDC auf Notverkäufe von Aktiva zurückzugreifen. Im Ergebnis leitete die EZB aus diesen Gründen ab, dass der Mechanismus der Übertragung von der CDC an die Klägerin unvollkommen sei, was aufsichtsrechtliche Bedenken hervorrufe, die eine Ablehnung des Antrags der Klägerin rechtfertigten.
13 Als Zweites gestattete die EZB der Klägerin angesichts der erheblichen Auswirkungen der Ablehnung für diese, den 10 % ihrer Gesamtrisikopositionsmessgröße übersteigenden Teil der Risikopositionen gegenüber der CDC, zu dessen Übertragung die Klägerin rechtlich verpflichtet ist, beim Umfang der im Rahmen der Berechnung der Verschuldungsquote zu berücksichtigenden Risikopositionen vorläufig unberücksichtigt zu lassen, wobei der Nichtberücksichtigungsanteil schrittweise und linear – von 100 % im Jahr 2016 auf 86 % im Jahr 2017, 71 % im Jahr 2018 usw. bis auf 14 % im Jahr 2022 – verringert und am 1. Januar 2023 gestrichen werden sollte.
Verfahren und Anträge der Parteien
14 Mit Klageschrift, die am 18. Oktober 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
15 Mit Schriftsatz, der am 24. Januar 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Republik Finnland beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der EZB zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 1. März 2017 hat der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts den Streitbeitritt zugelassen.
16 Am 20. April 2017 hat die Republik Finnland ihren Streithilfeschriftsatz eingereicht. Die Klägerin hat fristgerecht dazu Stellung genommen. Die EZB hat nicht Stellung genommen.
17 Auf Vorschlag der Zweiten Kammer hat das Gericht nach Art. 28 der Verfahrensordnung des Gerichts beschlossen, die Rechtssache an einen erweiterten Spruchkörper zu verweisen.
18 Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.
19 In der Sitzung vom 20. Februar 2018 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.
20 Die Klägerin beantragt,
– den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;
– der EZB die Kosten aufzuerlegen.
21 Die EZB und die Republik Finnland beantragen,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
22 Zur Stützung ihrer Klage macht die Klägerin drei Klagegründe geltend, wobei der erste aus einem Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Tatsache, dass der angefochtene Beschluss verfrüht gewesen sein soll, der zweite aus einem Rechtsfehler der EZB bei der Auslegung des Umfangs ihrer Zuständigkeit für die Durchführung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 und der dritte aus der Rechtswidrigkeit der Gründe für die Ablehnung der Gewährung der nach dieser Bestimmung beantragten Ausnahme durch die EZB hergeleitet wird.
23 Nach Ansicht des Gerichts genügt es, den zweiten und den dritten Klagegrund zu prüfen. Mit ihrem zweiten Klagegrund wirft die Klägerin der EZB im Wesentlichen vor, sich bei der Anwendung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 ein Ermessen zugestanden zu haben, und mit ihrem dritten Klagegrund stellt sie in Abrede, dass die EZB dieses Ermessen – unterstellt, sie verfügt über ein solches – rechtmäßig ausgeübt hat.
Zweiter Klagegrund, mit dem im Wesentlichen geltend gemacht wird, die EZB habe bei der Auslegung des Umfangs ihrer Zuständigkeit nach Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 einen Rechtsfehler begangen
24 Die Klägerin trägt vor, Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 könne nicht so ausgelegt werden, als räume er der EZB ein Ermessen ein, da es rechtswidrig wäre, wenn die Europäische Kommission die ihr vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union nach Art. 290 Abs. 1 AEUV übertragene Befugnis weiter auf einen Dritten übertrüge. Dass die zuständigen Behörden einem Institut gemäß Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 erlauben „dürfen“, in seinen Risikomessgrößen Risikopositionen unberücksichtigt zu lassen, die bestimmte Kriterien erfüllten, könne folglich nicht so ausgelegt werden, als werde diesen Behörden ein Ermessen eingeräumt. Die Bestimmung sei vielmehr dahin auszulegen, dass sie den zuständigen Behörden lediglich eine Durchführungsbefugnis verleihe. Die EZB räume selbst ein, beim Erlass des angefochtenen Beschlusses ein Ermessen ausgeübt zu haben. Sie habe daher bei der Durchführung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 den Umfang ihrer Zuständigkeit rechtsfehlerhaft ausgelegt.
25 Die EZB, unterstützt von der Republik Finnland, tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Vorab äußert sie Zweifel am Interesse der Klägerin, diesen Klagegrund geltend zu machen. Jedenfalls sei er in der Sache zurückzuweisen.
26 Was die Zulässigkeit des Klagegrundes angeht, genügt die Feststellung, dass deren Bestreiten durch die EZB auf der Annahme beruht, die Klägerin stütze sich auf die Rechtswidrigkeit des mit der Delegierten Verordnung (EU) 2015/62 der Kommission vom 10. Oktober 2014 zur Änderung der Verordnung Nr. 575/2013 im Hinblick auf die Verschuldungsquote (ABl. 2015, L 11, S. 37) eingeführten Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013. Die EZB leitet daraus im Wesentlichen ab, dass die Klägerin, wenn sie mit dieser Einrede durchdringen sollte, bei der Berechnung ihrer Verschuldungsquote keine Freistellung erhalten könnte.
27 Das Vorbringen der Klägerin ist jedoch nicht in diesem Sinne zu verstehen. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes bestätigt hat, trägt sie lediglich vor, Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 sei dahin auszulegen, dass er der EZB eine gebundene Zuständigkeit und kein Ermessen verleihe, erhebt gegenüber dieser Bestimmung aber keine Einrede der Rechtswidrigkeit nach Art. 277 AEUV. Folglich ficht sie nicht die Gültigkeit von Art. 429 Abs. 14 an, sondern verortet ihr Vorbringen lediglich in deren Auslegung.
28 Was die Prüfung des Klagegrundes in der Sache betrifft, ist festzustellen, dass sich die Zuständigkeit der EZB für den Erlass des angefochtenen Beschlusses aus der Verordnung Nr. 1024/2013 ergibt und der Umfang ihrer Befugnisse durch Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 bestimmt wird.
29 Bezüglich der Zuständigkeit der EZB für den Erlass des angefochtenen Beschlusses ist darauf hinzuweisen, dass der EZB nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 1024/2013 folgende Aufgabe übertragen ist: „Gewährleistung der Einhaltung der in Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 1 genannten Rechtsakte, die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute in Bezug auf Eigenmittelanforderungen, Verbriefung, Beschränkungen für Großkredite, Liquidität, Verschuldungsgrad sowie Meldung und Veröffentlichung entsprechender Informationen festlegen“. Da die Klägerin ein bedeutendes Unternehmen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1024/2013 ist, fällt die Wahrnehmung dieser Aufgabe außerdem in den unmittelbaren Zuständigkeitsbereich der EZB und nicht den der nationalen Behörden im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) (Urteil vom 16. Mai 2017, Landeskreditbank Baden-Württemberg/EZB, T‑122/15, im Rechtsmittelverfahren, EU:T:2017:337, Rn. 63).
30 In Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1024/2013 heißt es: „Zur Wahrnehmung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben und mit dem Ziel, hohe Aufsichtsstandards zu gewährleisten, wendet die EZB das einschlägige Unionsrecht an …“ Zum einschlägigen Unionsrecht gehört die Verordnung Nr. 575/2013.
31 Bezüglich des Umfangs der Befugnisse der EZB bei der Anwendung des mit der Delegierten Verordnung 2015/62 in die Verordnung Nr. 575/2013 eingefügten Art. 429 Abs. 14, heißt es in dieser Bestimmung: „Die zuständigen Behörden dürfen einem Institut erlauben, in seinen Risikomessgrößen Risikopositionen unberücksichtigt zu lassen, die folgende Anforderungen erfüllen: a) Es handelt sich um Risikopositionen gegenüber einer öffentlichen Stelle. b) Sie werden in Übereinstimmung mit Artikel 116 Absatz 4 behandelt. c) Sie stammen aus Einlagen, zu deren Übertragung an die unter [Buchst.] a erwähnte öffentliche Stelle das Institut rechtlich verpflichtet ist, um Investitionen im allgemeinen Interesse zu finanzieren.“
32 Der vorliegende Klagegrund setzt folglich eine Prüfung voraus, ob Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 dahin auszulegen ist, dass er es in das Ermessen der zuständigen Behörden – und damit der EZB – stellt, die Gewährung einer Ausnahme abzulehnen, obwohl die in dieser Bestimmung aufgeführten Anforderungen erfüllt sind, oder – im Gegenteil – dahin, dass er eine gebundene Zuständigkeit verleiht, die zur Gewährung der Ausnahme verpflichtet, wenn die genannten Anforderungen erfüllt sind.
33 Die Klägerin stützt ihre Auslegung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 auf die Annahme, dass die Kommission nicht befugt war, zugunsten der zuständigen Behörden ein Ermessen bei der Durchführung dieser Bestimmung vorzusehen, und trägt vor, die genannte Bestimmung sei in einer Weise auszulegen, die sie mit dem Vertrag in Einklang bringe.
34 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Bestimmung des abgeleiteten Rechts der Europäischen Union möglichst so auszulegen, dass sie mit dem Vertrag und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts vereinbar ist (Urteile vom 4. Oktober 2007, Schutzverband der Spirituosen‑Industrie, C‑457/05, EU:C:2007:576, Rn. 22, vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 174, und vom 25. November 2009, Deutschland/Kommission, T‑376/07, EU:T:2009:467, Rn. 22).
35 Allerdings ist diese Rechtsprechung, wie die Verwendung des Ausdrucks „möglichst“ in der vorstehend in Rn. 34 erwähnten Rechtsprechung belegt, auf eine Bestimmung, deren Bedeutung klar und eindeutig ist und die daher keiner Auslegung bedarf, nicht anwendbar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. November 2009, Deutschland/Kommission, T‑376/07, EU:T:2009:467, Rn. 22). Andernfalls würde der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des abgeleiteten Unionsrechts als Grundlage für eine Auslegung dieser Bestimmung contra legem dienen, was nicht zugelassen werden kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 17. Juli 2015, EEB/Kommission, T‑685/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:560, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine Bestimmung, deren Bedeutung klar und eindeutig ist, hat das Gericht, falls eine Rechtswidrigkeitseinrede im Sinne von Art. 277 AEUV erhoben wird, lediglich auf ihre Vereinbarkeit mit dem Vertrag und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts zu prüfen.
36 Wie bereits oben in Rn. 27 erläutert worden ist, erhebt die Klägerin gegenüber Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 jedoch keine Einrede der Rechtswidrigkeit.
37 Folglich ist zu prüfen, ob die Bedeutung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 klar und eindeutig ist oder ob sich diese Bestimmung im Gegenteil möglicherweise für eine Auslegung eignet, die mit dem Vertrag und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts im Einklang steht. Nur in diesem zweiten Fall wäre nämlich zu prüfen, ob die Kommission, wie die Klägerin vorträgt, nicht befugt war, den zuständigen Behörden ein Ermessen bei der Durchführung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 einzuräumen, was bedeuten würde, dass diese Bestimmung so auszulegen wäre, als verleihe er ihnen eine gebundene Zuständigkeit.
38 Bei der Bestimmung der genauen Tragweite von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 sind nicht nur dessen Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch der Zusammenhang, in dem er steht, und die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Zur grammatischen Auslegung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 ist festzustellen, dass die Wendung, wonach die „zuständigen Behörden … einem Institut erlauben [dürfen], in seinen Risikomessgrößen Risikopositionen unberücksichtigt zu lassen, die folgende Anforderungen erfüllen“, zwangsläufig bedeutet, dass diese Bestimmung den zuständigen Behörden teilweise eine gebundene Zuständigkeit verleiht und ihnen teilweise ein Ermessen überträgt.
40 Einerseits stellt Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 drei Anforderungen auf, die für die zuständigen Behörden gelten. Diese sind daher nicht befugt, eine Ausnahme zu gewähren, wenn die genannten Anforderungen nicht erfüllt sind. Sie befinden sich also in einer Situation gebundener Zuständigkeit und müssen die Anwendung der Bestimmung ablehnen.
41 Andererseits „dürfen“ die zuständigen Behörden eine Ausnahme gewähren, d. h. sie haben die Möglichkeit dazu, wenn die Anforderungen erfüllt sind. Der Verweis auf diese Möglichkeit setzt notwendigerweise ein Recht der zuständigen Behörden voraus, die Ausnahme zu gewähren oder nicht zu gewähren. Sie verfügen daher insoweit über ein Ermessen.
42 Folglich ist der Schluss zu ziehen, dass Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 einen klaren und eindeutigen Wortlaut aufweist, aus dem sich ergibt, dass die zuständigen Behörden bei der Durchführung dieser Bestimmung über ein Ermessen verfügen, sofern die darin aufgeführten Anforderungen erfüllt sind.
43 Diese Schlussfolgerung steht auch mit der kontextbezogenen und der teleologischen Auslegung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 im Einklang.
44 Bezüglich der kontextbezogenen Auslegung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 ist festzustellen, dass die Ausübung eines Ermessens einer der drei Modalitäten für die Umsetzung der in dieser Verordnung enthaltenen Ausnahmen entspricht.
45 Aus der Systematik der Verordnung Nr. 575/2013 geht nämlich hervor, dass diese zugleich Ausnahmen, die automatisch, d. h. ohne dass es eines Tätigwerdens der zuständigen Behörden bedarf, anwendbar sind, etwa die in Art. 429 Abs. 13 dieser Verordnung genannte, Ausnahmen, die ein Tätigwerden der zuständigen Behörden im Rahmen der Umsetzung einer gebundenen Zuständigkeit voraussetzen, etwa die in Art. 78 Abs. 1 der Verordnung erwähnte, und Ausnahmen aufführt, die die Ausübung eines Ermessens seitens dieser Behörden voraussetzen. Neben Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 gehört deren Art. 10 Abs. 1 zu den Ausnahmen, die unter diese dritte Kategorie fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2017, Crédit mutuel Arkéa/EZB, T‑712/15, EU:T:2017:900, im Rechtsmittelverfahren, Rn. 67 und 68).
46 Für die teleologische Auslegung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013, soweit sich dieser auf die Möglichkeit bezieht, bestimmte Risikopositionen bei der Berechnung der Verschuldungsquote von Kreditinstituten unberücksichtigt zu lassen, sind sowohl die Ziele, die mit der Einführung einer Verschuldungsquote verfolgt werden, als auch diejenigen relevant, denen speziell Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 entspricht.
47 Was erstens die Ziele angeht, die mit der Einführung einer Verschuldungsquote verfolgt werden, verbunden mit der Verpflichtung der Kreditinstitute, ihre Verschuldungsquote zu veröffentlichen und letztlich gegebenenfalls auf einem bestimmten Niveau zu halten, ergibt sich aus dem 90. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 575/2013, dass der Gesetzgeber beabsichtigt hat, der Anhäufung übermäßiger Schulden durch die Kreditinstitute entgegenzuwirken. Wie aus diesem Erwägungsgrund sowie den Definitionen in Art. 4 Abs. 1 Nrn. 93 und 94 der Verordnung hervorgeht, ist mit übermäßiger Verschuldung der Fall gemeint, dass ein Kreditinstitut einen zu großen Teil seiner Investitionen eher durch Schulden als durch Eigenmittel finanziert. In diesem Fall läuft das Kreditinstitut Gefahr, nicht über genügend Eigenmittel zu verfügen, um Forderungen nach Rückzahlung seiner Schulden bedienen zu können, und auf Notverkäufe einiger seiner Vermögenswerte zurückgreifen zu müssen. Die negativen Folgen dieser überstürzten Verringerung des Verschuldungsniveaus während der Finanzkrise sind im 90. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 575/2013 wie folgt erläutert worden: „Dies verstärkte den Abwärtsdruck auf Vermögenspreise und führte zu weiteren Verlusten für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen, so dass sich deren Eigenmittel weiter verringerten. Infolge dieser Negativspirale kam es zu einer Kreditknappheit in der Realwirtschaft[,] und es entstand eine tiefere und länger andauernde Krise.“
48 In diesem Rahmen soll die Verschuldungsquote eine Einschätzung der Höhe der Eigenmittel eines Kreditinstituts im Verhältnis zu seinen Risikopositionen liefern, und zwar unabhängig davon, ob der mit jeder einzelnen Risikoposition verbundene Risikograd berücksichtigt wird. Dies ergibt sich aus dem 91. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 575/2013, in dem hervorgehoben wird, dass „[r]isikobasierte Eigenmittelanforderungen … nicht ausreichen, um Institute davon abzuhalten, exzessive, auf Dauer nicht tragbare Verschuldungsrisiken einzugehen“, sowie aus den Arbeiten des Basler Ausschusses, auf die in den Erwägungsgründen 92 und 93 der Verordnung Nr. 575/2013 Bezug genommen wird. In der Veröffentlichung des Basler Ausschusses über die Basel‑III-Vereinbarungen, die der Klagebeantwortung als Anhang beigefügt ist, wird die Verschuldungsquote nämlich als eine „einfache und transparente, nicht risikobasierte [Quote] [gesehen], die als glaubwürdige Ergänzung zu den risikobasierten Eigenkapitalanforderungen dient“. Diese fehlende Gewichtung nach dem Risiko der Verschuldungsquote findet sich in der Beschreibung ihrer Berechnungsmethodik in Art. 429 Abs. 2 der Verordnung Nr. 575/2013 wieder. In diesem Artikel heißt es, dass die Verschuldungsquote „der Quotient aus der Kapitalmessgröße eines Instituts und seiner Gesamtrisikopositionsmessgröße [ist] und … als Prozentsatz angegeben [wird]“. Von einer Gewichtung nach dem Risikograd der Risikopositionen ist dort keine Rede.
49 Allerdings ist festzustellen, dass dieses Ziel keinen absoluten Charakter hat, da sich das besonders niedrige Risikoprofil bestimmter Risikopositionen nach der Verordnung Nr. 575/2013 in der Berechnung der Verschuldungsquote der betreffenden Kreditinstitute widerspiegeln kann.
50 Dies kommt zum einen im 95. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 575/2013 zum Ausdruck, in dem es heißt: „Bei der Prüfung der Auswirkungen der Verschuldungsquote auf verschiedene Geschäftsmodelle sollte Geschäftsmodellen mit anscheinend niedrigem Risiko, z. B. Hypothekendarlehen und Spezialfinanzierungen für regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder öffentliche Stellen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.“ Diese Absicht findet Niederschlag in Art. 511 der Verordnung, der mit „Verschuldung“ überschrieben ist und aus dem sich im Wesentlichen ergibt, dass der Bericht, den die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (im Folgenden: EBA) der Kommission zu erstatten hat, damit diese gegebenenfalls beschließt, dem Gesetzgeber vorzuschlagen, bestimmte geeignete Stufen für Verschuldungsquoten für verbindlich zu erklären, die „Ermittlung von Geschäftsmodellen, die das Gesamtrisikoprofil der Institute abbilden[,] und [die] Einführung verschiedener Stufen für die Verschuldungsquote dieser Geschäftsmodelle“ einschließen muss.
51 Dies kommt zum anderen dadurch zum Ausdruck, dass mit der nach Art. 456 Abs. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 575/2013 erlassenen Delegierten Verordnung 2015/62 die erstgenannte Verordnung um Art. 429 Abs. 14 ergänzt worden ist, der die Möglichkeit vorsieht, bestimmte Risikopositionen bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen.
52 Was zweitens die Ziele betrifft, die mit der Einfügung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 in diese Verordnung angestrebt worden sind, ist festzustellen, dass die mit der Delegierten Verordnung 2015/62 eingeführten Änderungen nach deren zwölftem Erwägungsgrund „die Vergleichbarkeit der von den Instituten veröffentlichten Verschuldungsquoten erhöhen und dazu beitragen [sollten], eine Irreführung der Marktteilnehmer hinsichtlich der wahren Verschuldung von Instituten zu vermeiden“.
53 Aus dem oben in Rn. 31 wiedergegebenen Wortlaut von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 geht hervor, dass diese Bestimmung nur Anwendung finden kann, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Zunächst muss es sich bei den Risikopositionen, die bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt bleiben sollen, um Risikopositionen gegenüber einer öffentlichen Stelle handeln. Sodann müssen sie in Übereinstimmung mit Art. 116 Abs. 4 der Verordnung Nr. 575/2013 behandelt werden. Schließlich müssen die genannten Risikopositionen aus Einlagen stammen, zu deren Übertragung an die fragliche öffentliche Stelle das Institut rechtlich verpflichtet ist, um Investitionen im allgemeinen Interesse zu finanzieren.
54 Durch diese Ausnahme hat die Kommission mit Zustimmung des Gesetzgebers die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass Risikopositionen eines Kreditinstituts gegenüber öffentlichen Stellen, die aufgrund einer vom Staat gestellten Garantie den gleichen niedrigen Risikograd aufweisen wie Positionen gegenüber diesem Staat und keiner Investitionsentscheidung seitens des Kreditinstituts entsprechen – da das Institut einer Verpflichtung zur Übertragung der betreffenden Gelder unterliegt –, für die Berechnung der Verschuldungsquote irrelevant sind und bei dieser Berechnung daher unberücksichtigt bleiben können.
55 Art. 116 Abs. 4 der Verordnung Nr. 575/2013 sieht nämlich vor: „In Ausnahmefällen können Risikopositionen gegenüber öffentlichen Stellen behandelt werden wie Risikopositionen gegenüber dem Zentralstaat oder der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaft, in dessen bzw. deren Hoheitsgebiet sie ansässig sind, sofern nach Ansicht der zuständigen Behörden des betreffenden Hoheitsgebiets aufgrund einer vom Zentralstaat oder der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaft gestellten angemessenen Garantie kein Unterschied zwischen den Risiken der Positionen besteht.“ Diese Bestimmung ist in Verbindung mit Art. 114 Abs. 4 der Verordnung zu lesen, in dem es heißt: „Risikopositionen gegenüber Zentralstaaten und Zentralbanken der Mitgliedstaaten, die auf die Landeswährung dieses Zentralstaats und dieser Zentralbank lauten und in dieser Währung refinanziert sind, wird ein Risikogewicht von 0 % zugewiesen.“ Daher betrifft Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 lediglich Risikopositionen, die bei der Umsetzung des Standardansatzes für die Berechnung der Mindesteigenkapitalanforderungen ein Risikogewicht von 0 % erhalten würden.
56 Die Durchführung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 setzt demnach die Vereinbarkeit zweier Ziele voraus: Einerseits die Einhaltung der Logik der Verschuldungsquote, wonach deren Berechnung die Gesamtrisikopositionsmessgröße eines Kreditinstituts ohne Risikogewichtung enthalten muss, und andererseits die Berücksichtigung des – vom Gesetzgeber gebilligten – Ziels der Kommission, wonach bestimmte Risikopositionen mit einem besonders niedrigen Risikoprofil, die sich nicht aus einer Investitionsentscheidung des Kreditinstituts ergeben, für die Berechnung der Verschuldungsquote gegebenenfalls irrelevant sind und bei dieser Berechnung außer Betracht bleiben können.
57 Wird den zuständigen Behörden ein Ermessen bei der Durchführung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 zuerkannt, dürfen sie auch eine Abwägung zwischen diesen beiden Zielen unter Berücksichtigung der Besonderheiten jedes Einzelfalls vornehmen.
58 Nach alledem ist der Schluss zu ziehen, dass Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 dahin auszulegen ist, dass er den zuständigen Behörden ein Ermessen dahin gehend einräumt, die Anwendung der mit diesem Artikel eingeführten Ausnahme abzulehnen, obwohl die darin aufgeführten Anforderungen erfüllt sind.
59 Angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 ist der Schluss zu ziehen, dass sich diese Bestimmung nicht für die von der Klägerin erstrebte unionsrechtskonforme Auslegung eignen kann. Folglich ist das Vorbringen der Klägerin, wonach die Kommission nicht befugt gewesen sei, zugunsten der zuständigen Behörden – und damit der EZB – ein Ermessen vorzusehen, bei der Auslegung der Bestimmung nicht zu berücksichtigen und wäre nur zur Stützung einer gegenüber Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 erhobenen Rechtswidrigkeitseinrede im Sinne von Art. 277 AEUV relevant gewesen.
60 Der zweite Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
Dritter Klagegrund, mit dem in Abrede gestellt wird, dass die EZB ihr Ermessen rechtmäßig ausgeübt hat
61 Die Klägerin macht geltend, die EZB habe eingeräumt, dass die Voraussetzungen von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 im vorliegenden Fall erfüllt seien. Sie weist darauf hin, dass, wenn ein Organ über ein Ermessen verfüge, das Gericht prüfen müsse, ob die berücksichtigten Gesichtspunkte geeignet seien, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu untermauern. Vorliegend sei das bei der Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht der Fall, da mit dieser Begründung nicht nachgewiesen werde, dass berechtigte und genau definierte aufsichtsrechtliche Gründe für die Weigerung bestünden, die Risikopositionen gegenüber der CDC bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt lassen zu dürfen. Solche Gründe hätten zur Folge, dass den Anforderungen in Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 und damit der Möglichkeit einer Ausnahme, die in dieser Bestimmung gleichwohl vorgesehen sei, die Wirkung genommen werde. In diesem Zusammenhang hebt die Klägerin u. a. hervor, dass der mit einer Anpassung zwischen den Positionen der Klägerin und denen der CDC verbundene Zeitablauf nicht das Verschuldungsrisiko, sondern das Liquiditätsrisiko betreffe und in diesem Rahmen als unerheblich angesehen worden sei. Darüber hinaus unterstreicht sie den theoretischen Charakter der Möglichkeit eines Zahlungsausfalls des französischen Staates und eines massiven Abzugs der reglementierten Spargelder im Fall einer Finanzkrise.
62 Die EZB, unterstützt von der Republik Finnland, beantragt, den Klagegrund zurückzuweisen. Sie weist auf die Grenzen der Kontrolle hin, die das Gericht bezüglich der Ausübung eines Ermessens vornehmen könne, und fügt hinzu, dass Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 als Ausnahmeregelung eng auszulegen sei. Sie leitet daraus im Wesentlichen ab, dass es bei der Auslegung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 auf deren allgemeine Zwecke im Zusammenhang mit der Verschuldungsquote und nicht auf die Ziele der Bestimmung selbst ankomme. In diesem Zusammenhang müsse die Verschuldungsquote nach ihrem Zweck unabhängig von jeder Risikogewichtung ermittelt werden.
63 Die EZB vertritt die Auffassung, sie habe ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Insoweit weist sie u. a. darauf hin, dass staatliche Risikopositionen ausfallen und eine Vertrauenskrise auf den Finanzmärkten hervorrufen könnten; nach der Logik der Verschuldungsquote würden sogar Positionen berücksichtigt, von denen nur ein geringes Risiko ausgehe. Sie habe den angefochtenen Beschluss auf eine Bewertung der besonderen Merkmale der französischen reglementierten Sparformen und der Situation der Klägerin gestützt.
64 Erstens könnten Risikopositionen gegenüber der CDC insoweit eine Quelle übermäßiger Verschuldung darstellen, als sie sich nicht grundlegend von Risikopositionen unterschieden, die eine Verschuldung erzeugten, da es sich um Aktiva handle, die durch Schulden gegenüber den Sparern finanziert seien, die die Klägerin diesen auf Anforderung zurückzahlen müsse. Außerdem übertrage die Klägerin sämtliche reglementierten Spargelder an die CDC, obwohl sie nur zur Übertragung eines Bruchteils davon verpflichtet sei.
65 Zweitens sei der Umstand, dass Risikopositionen gegenüber der CDC Risikopositionen gegenüber dem französischen Staat gleichgestellt seien und im Rahmen der Standardmethode zur Berechnung der Eigenmittelanforderungen mit einem Risiko von 0 % gewichtet würden, für die Verschuldungsquote irrelevant, da diese auf dem Grundsatz der Berücksichtigung sämtlicher in der Bilanz ausgewiesener Risikopositionen beruhe, und zwar unabhängig von deren Risikograd.
66 Drittens bringe der mit einer Anpassung der jeweiligen Risikopositionen der Klägerin und der CDC verbundene Zeitablauf ein zusätzliches Verschuldungsrisiko mit sich. Da es der Klägerin während dieses Zeitraums nicht möglich sei, sich an die CDC zu wenden, könne sie, mit dem Abzug von Spareinlagen konfrontiert, veranlasst sein, ihre Verschuldung durch potenzielle Zwangsverkäufe – für sie Quellen erheblicher Verluste – zu senken. Die EZB fügt hinzu, dass sich das Risiko einer übermäßigen Verschuldung zwar durch einen Liquiditätsengpass zu verwirklichen beginne, es aber verschiedene Abstufungen gebe, da dieses Risiko auf dem relativen Umfang der durch Schulden finanzierten Risikopositionen im Verhältnis zu den Eigenmitteln eines Kreditinstituts beruhe. Im angefochtenen Beschluss sei sie daher keiner Verwechslung zwischen Liquiditätsrisiko und Risiko einer übermäßigen Verschuldung erlegen, weshalb der Beschluss nicht im Widerspruch zur Prüfung dieses Anpassungszeitraums anhand des Liquiditätsrisikos stehe. In diesem Zusammenhang bestreitet sie das Bestehen einer Inkohärenz zwischen dem angefochtenen Beschluss und ihrem Beschluss vom 15. August 2016 über die Berechnung der Liquiditätsquote, mit dem der Klägerin die beantragte Genehmigung erteilt worden ist, da diese Beschlüsse aufsichtsrechtliche Maßnahmen beträfen, die zwar zusammenhingen, aber doch unterschiedlich seien. Zudem solle die Verschuldungsquote verhindern, dass sich die Finanzierungsquellen eines Kreditinstituts übermäßig an Schulden orientierten, und stelle „das letzte Auffangnetz aufsichtsrechtlicher Sicherheit“ dar.
67 Wie oben in den Rn. 10 bis 12 wiedergegeben, hat die EZB es im angefochtenen Beschluss abgelehnt, die nach Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 beantragte Ausnahme zu gewähren. Sie hat hervorgehoben, dass die von der Klägerin an die CDC übertragenen Gelder insoweit für die Berechnung ihrer Verschuldungsquote relevante Risikopositionen blieben, als die reglementierten Sparformen auf einem unvollkommenen Übertragungsmechanismus beruhten, der der Klägerin das mit der Verschuldungsquote verbundene Risiko aufbürde. Bei dieser Schlussfolgerung hat sich die EZB auf drei Gründe gestützt, die erstens aus der buchungstechnischen Behandlung der reglementierten Spareinlagen, die belege, dass die Klägerin weiterhin für sämtliche Risikopositionen aus reglementierten Sparformen einschließlich der an die CDC übertragenen Gelder hafte, zweitens aus der vertraglichen Verpflichtung der Klägerin, die Kundeneinlagen unabhängig davon zurückzuzahlen, ob die an die CDC übertragenen Mittel an sie rückübertragen werden, und drittens aus dem Umstand hergeleitet wurden, dass zwischen den Anpassungen der Positionen der Klägerin und denen der CDC eine gewisse Zeit vergeht.
68 Im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes bestreitet die Klägerin die Rechtmäßigkeit dieser Gründe.
69 Da die EZB aus den im Rahmen der Prüfung des zweiten Klagegrundes dargelegten Gründen über ein Ermessen und damit über einen weiten Spielraum bei der Entscheidung verfügt, ob sie die Vergünstigung des Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 gewährt oder nicht, darf die richterliche Kontrolle, die das Gericht über die Stichhaltigkeit der Gründe des angefochtenen Beschlusses ausüben muss, nicht dazu führen, dass es seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung durch die EZB setzt; vielmehr soll mit der Kontrolle überprüft werden, ob der angefochtene Beschluss nicht auf unzutreffenden Tatsachenfeststellungen beruht und ob er nicht mit einem Rechtsfehler, einem offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einem Ermessensmissbrauch behaftet ist (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 6. Februar 2014, CEEES und Asociación de Gestores de Estaciones de Servicio/Kommission, T‑342/11, EU:T:2014:60, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).
70 Aus einer ständigen Rechtsprechung ergibt sich jedoch, dass, wenn die Organe über einen solchen Spielraum verfügen, der Beachtung der Garantien, die die Unionsrechtsordnung in Verwaltungsverfahren gewährt, eine umso größere Bedeutung zukommt. Zu diesen Garantien, die durch die Rechtsordnung der Union in Verwaltungsverfahren gewährt werden, gehört u. a. der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung, der die Verpflichtung des zuständigen Organs umfasst, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen (Urteile vom 21. November 1991, Technische Universität München, C‑269/90, EU:C:1991:438, Rn. 14, und vom 29. März 2012, Kommission/Estland, C‑505/09 P, EU:C:2012:179, Rn. 95).
Rechtmäßigkeit der in Nr. 2.3.3 Ziff. i und ii des angefochtenen Beschlusses angeführten Gründe
71 In Nr. 2.3.3 Ziff. i des angefochtenen Beschlusses hat die EZB ihre Entscheidung, die beantragte Ausnahme abzulehnen, damit begründet, dass die buchungstechnische Behandlung der reglementierten Spareinlagen einen ersten Hinweis darauf darstelle, dass die Risikopositionen gegenüber der CDC nach wie vor Risikopositionen der Klägerin seien. Sie hat in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass die reglementierten Spareinlagen auf der Passivseite der Bilanz der Klägerin und die Risikopositionen gegenüber der CDC auf der Aktivseite dieser Bilanz ausgewiesen würden. Außerdem sei die Klägerin für das Management der operationellen Risiken im Zusammenhang mit den reglementierten Spareinlagen verantwortlich.
72 In ihren Schriftsätzen weist die EZB darauf hin, dass die buchhaltungstechnische Behandlung der reglementierten Sparformen im angefochtenen Beschluss nur als „erster Hinweis“ darauf vorgebracht worden sei, dass die Risikopositionen gegenüber der CDC nach wie vor Risikopositionen der Klägerin seien, und trägt vor, sich bei der Ablehnung der beantragten Ausnahme nicht auf diesen Umstand berufen zu haben. Aus der Systematik des angefochtenen Beschlusses geht jedoch hervor, dass die Ausführungen unter Nr. 2.3.3 Ziff. i dieses Beschlusses einen der Gründe darstellen, auf die sich die EZB gestützt hat, als sie zu dem Schluss gelangt ist, dass die von der Klägerin an die CDC übertragenen Gelder nach wie vor für die Berechnung ihrer Verschuldungsquote relevante Risikopositionen seien. Folglich ist die Rechtmäßigkeit dieses Grundes zu prüfen.
73 In Nr. 2.3.3 Ziff. ii des angefochtenen Beschlusses hat die EZB hervorgehoben, dass die Klägerin der vertraglichen Verpflichtung unterliege, die Kundeneinlagen unabhängig davon zurückzuzahlen, ob die an die CDC übertragenen Mittel an sie rückübertragen würden, und diese Verpflichtung auch für den Fall eines Zahlungsausfalls der CDC und des französischen Staates gelte. Zudem rechtfertigten sowohl der Umfang der Risikopositionen gegenüber der CDC als auch der Umstand, dass diese Risikopositionen im Rahmen anderer aufsichtsrechtlicher Anforderungen möglicherweise nicht berücksichtigt würden, ihre Einbeziehung in die Berechnung der Verschuldungsquote.
74 Mit diesem Grund hat die EZB daher die Ansicht vertreten, die Risikopositionen gegenüber der CDC seien für die Berechnung der Verschuldungsquote der Klägerin relevant, da diese der Verpflichtung unterliege, den Sparern die Gelder zu erstatten, die sie an die CDC habe übertragen müssen, und zwar auch dann, wenn die CDC nicht in der Lage sei, die besagten Gelder an die Klägerin zurückzuzahlen.
75 Festzustellen ist, dass das einzige im angefochtenen Beschluss angeführte Beispiel für eine Situation, in der die CDC nicht in der Lage wäre, die genannten Gelder zurückzuzahlen, das eines Zahlungsausfalls des französischen Staates ist. In der mündlichen Verhandlung befragt, hat die EZB bestätigt, dass dies der einzige Fall war, der ihr vor Augen gestanden hatte.
76 Die Klägerin wirft der EZB vor, einen Rechtsfehler begangen zu haben, indem sie Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 die praktische Wirksamkeit genommen habe.
77 Insoweit ist festzustellen, dass es der EZB im Rahmen der Ausübung des ihr nach Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 zuerkannten Ermessens zwar freisteht, ob sie die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme gewähren will oder nicht, diese Freiheit aber unter dem Vorbehalt steht, dass die mit der Ausnahmeregelung verfolgten Ziele nicht missachtet werden und die Regelung nicht ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt wird (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 15. Dezember 2016, Nemec, C‑256/15, EU:C:2016:954, Rn. 48 und 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
78 Aus den oben in den Rn. 46 bis 57 dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass das Ziel von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 darin besteht, den zuständigen Behörden die Vornahme einer Abwägung zwischen einerseits der Logik der Verschuldungsquote, der zufolge in den Risikomessgrößen eines Kreditinstituts das Risiko unberücksichtigt bleiben muss, das von den Risikopositionen dieses Kreditinstituts ausgeht, und andererseits dem Fall zu ermöglichen, dass bestimmte Risikopositionen mit besonders niedrigem Risikoprofil, die sich nicht aus einer Investitionsentscheidung des Kreditinstituts ergeben, für die Berechnung der Verschuldungsquote möglicherweise irrelevant sind und bei dieser Berechnung unberücksichtigt bleiben können.
79 Daraus folgt zwangsläufig, dass sich die EZB nicht auf Gründe stützen kann, die die in Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 eröffnete Möglichkeit praktisch unanwendbar machen, ohne dieser Bestimmung die praktische Wirksamkeit zu nehmen und die Ziele zu missachten, die bei ihrer Einführung im Vordergrund gestanden haben (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 11. Dezember 2008, Stichting Centraal Begeleidingsorgaan voor de Intercollegiale Toetsing, C‑407/07, EU:C:2008:713, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
80 Mit dem in Nr. 2.3.3 Ziff. i des angefochtenen Beschlusses angeführten Grund schließt die EZB die Risikopositionen der Klägerin gegenüber der CDC aufgrund von Erwägungen, die den von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 betroffenen Risikopositionen inhärent sind, vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung aus.
81 Dies gilt erstens für die Erwägung, wonach die Risikopositionen der Klägerin gegenüber der CDC auf der Aktivseite ihrer Buchführungsbilanz ausgewiesen werden.
82 Eine Risikoposition ist in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 als „Aktivposten (Vermögenswert) oder … außerbilanzielle[r] Posten“ definiert. Folglich schließt diese Definition notwendigerweise die auf der Aktivseite der Bilanz eines Kreditinstituts ausgewiesenen Posten ein. Da Art. 429 Abs. 14 Buchst. c der Verordnung Nr. 575/2013 Risikopositionen betrifft, die aus Einlagen stammen, zu deren Übertragung an eine öffentliche Stelle das Institut rechtlich verpflichtet ist, um Investitionen im allgemeinen Interesse zu finanzieren, sind außerdem Risikopositionen betroffen, die ihrer Art nach eher dazu bestimmt sind, in der Bilanz eines Kreditinstituts ausgewiesen zu werden als außerbilanzielle Posten darzustellen.
83 Die Tatsache, dass sich die Risikopositionen gegenüber der CDC im Rahmen der reglementierten Sparformen, worauf die EZB in ihren Schriftsätzen hinweist, von Treuhandvermögen unterscheiden sollen, das nach Art. 429 Abs. 13 der Verordnung Nr. 575/2013 gegebenenfalls ausgebucht und bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt bleiben kann, ist insoweit irrelevant, da es hier allein um die Auslegung und Anwendung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 geht.
84 Da Risikopositionen, die gemäß Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 im Rahmen der Berechnung der Verschuldungsquote eines Kreditinstituts unberücksichtigt bleiben können, ihrer Art nach dazu bestimmt sind, auf der Aktivseite der Bilanz dieses Instituts ausgewiesen zu werden, kann die Erwägung, wonach die Risikopositionen gegenüber der CDC auf der Aktivseite der Bilanz der Klägerin ausgewiesen werden, die Ablehnung der Gewährung der beantragten Ausnahme folglich nicht wirksam rechtfertigen.
85 Das Gleiche gilt zweitens aus ähnlichen Gründen für die Erwägung, wonach die genannten Risikopositionen einen Teil der Einlagen darstellen, die bei der Klägerin im Rahmen der reglementierten und weiterhin auf der Passivseite ihrer Bilanz ausgewiesenen Sparformen eingezahlt worden sind. Insoweit genügt die Feststellung, dass dieser Umstand angesichts des Wortlauts von Art. 429 Abs. 14 Buchst. c der Verordnung Nr. 575/2013 – weit davon entfernt, der Anwendung dieser Bestimmung entgegenzustehen – eine Voraussetzung für ihre Durchführung darstellt.
86 Die gleiche Schlussfolgerung gilt drittens für die Feststellung der EZB, dass die Klägerin das operationelle Risiko im Zusammenhang mit den reglementierten Sparformen trage. Dieses ist in Art. 4 Abs. 1 Nr. 52 der Verordnung Nr. 575/2013 definiert als „das Risiko von Verlusten, die durch die Unangemessenheit oder das Versagen von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder durch externe Ereignisse verursacht werden, einschließlich Rechtsrisiken“. Da Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 Risikopositionen betrifft, die einen Teil der bei dem betreffenden Kreditinstitut eingezahlten Einlagen darstellen, ist der Logik dieser Bestimmung inhärent, dass die Klägerin das mit den fraglichen Spargeldern verbundene Risiko trägt.
87 Was den in Nr. 2.3.3 Ziff. ii des angefochtenen Beschlusses angeführten Grund angeht, heißt es in Art. 429 Abs. 14 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 575/2013: „Die zuständigen Behörden dürfen einem Institut erlauben, in seinen Risikomessgrößen Risikopositionen unberücksichtigt zu lassen, die folgende Anforderungen erfüllen: a) Es handelt sich um Risikopositionen gegenüber einer öffentlichen Stelle. b) Sie werden in Übereinstimmung mit Artikel 116 Absatz 4 behandelt.“
88 Wie sich oben aus den Rn. 53 bis 55 ergibt, kommt in dem Verweis in Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 auf Art. 116 Abs. 4 dieser Verordnung in Verbindung mit Art. 114 Abs. 4 der genannten Verordnung der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass Risikopositionen gegenüber öffentlichen Stellen, die aufgrund einer Garantie des Staates den gleichen Risikograd aufweisen wie Risikopositionen gegenüber diesem Staat, im Rahmen der Berechnung der Verschuldungsquote gegebenenfalls unberücksichtigt bleiben können.
89 Da Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 nur Risikopositionen gegenüber öffentlichen Stellen betrifft, die über die Garantie eines Staates verfügen, würde eine Ablehnung, die mit der grundsätzlichen Erwägung begründet wird, dass ein Staat zahlungsunfähig sein könnte, ohne die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen Falls in Bezug auf den betreffenden Staat zu prüfen, darauf hinauslaufen, die in Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 vorgesehene Möglichkeit praktisch unanwendbar zu machen.
90 Wie aus dem angefochtenen Beschluss hervorgeht, hat die EZB bei der Schlussfolgerung, dass die Klägerin in die Lage kommen könnte, den Sparern die an die CDC übertragenen Gelder erstatten zu müssen, ohne sie von dieser zurückzuerhalten, einzig und allein auf den Fall einer Nichtzahlung des französischen Staates abgehoben, ohne die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts zu prüfen.
91 Dass die EZB die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls des französischen Staates beim Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht geprüft hat, wird auch durch das Protokoll über die Zusammenkunft vom 5. Juli 2016 zwischen Vertretern der Klägerin und der EZB bestätigt, wonach einer der Vertreter der EZB auf dieser Zusammenkunft erklärt hat, dass „die Verschuldungsquote … daher alle in der Bilanz ausgewiesenen Risikopositionen berücksichtigen [müsse und die] Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls des französischen Staates … weder bewertet noch von der EZB bei der Vorbereitung ihres Beschlussentwurfs berücksichtigt worden [sei], da es sich bei der Verschuldungsquote nicht um eine risikosensitive Anforderung [handle]“.
92 Da die EZB die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls des französischen Staates nicht geprüft hat, kann außerdem und infolgedessen auch die Tatsache als solche, dass in Nr. 2.3.3 Ziff. ii des angefochtenen Beschlusses auf den Umfang der Risikopositionen der Klägerin gegenüber der CDC abgehoben worden ist, die Berücksichtigung dieser Risikopositionen bei der Berechnung der Verschuldungsquote nicht rechtfertigen. Dieser Umfang könnte nämlich nur dann relevant sein, wenn die Klägerin die im Rahmen der reglementierten Sparformen übertragenen Gelder aufgrund eines Zahlungsausfalls des französischen Staates von der CDC nicht erhalten könnte und auf Zwangsverkäufe von Vermögenswerten zurückgreifen müsste.
93 Infolgedessen ist festzustellen, dass die in Nr. 2.3.3 Ziff. i und ii des angefochtenen Beschlusses angeführten Gründe dazu führen, dass der Ausnahmeregelung in Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 die praktische Wirksamkeit genommen wird, da sie die Anwendung der Regelung aufgrund von Gesichtspunkten ausschließen, die den in diesem Artikel genannten Risikopositionen inhärent sind.
94 Diese Schlussfolgerung wird durch das Vorbringen der EZB – insbesondere durch die Feststellung, dass sich die Risikopositionen gegenüber der CDC nicht grundlegend von Risikopositionen unterschieden, die eine Verschuldung erzeugten, da diese Aktiva durch Schulden gegenüber den Sparern finanziert seien, die die Klägerin ihnen auf Anforderung zurückzahlen müsse – nicht in Frage gestellt. Insoweit genügt die Feststellung, dass der Gesetzgeber – im Gegensatz zu anderen Risikopositionen – für Risikopositionen, die die in Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 vorgesehenen Anforderungen erfüllen, die Möglichkeit vorgesehen hat, sie bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen – eine Möglichkeit, die die EZB nicht von vornherein ausschließen kann.
95 Gleiches gilt für den Hinweis, wonach die staatliche Garantie im Zusammenhang mit den Risikopositionen gegenüber der CDC nicht dazu führe, dass diese Positionen für die Berechnung der Verschuldungsquote der Klägerin irrelevant wären, da diese eine nicht auf dem mit jeder einzelnen Risikoposition der Klägerin verbundenen Risikograd basierende Einschätzung liefern solle und Staaten außerdem Bonitätsrisiken ausgesetzt sein könnten. Da Risikopositionen gegenüber öffentlichen Stellen, die die in Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 vorgesehenen Anforderungen erfüllen, nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Berechnung der Verschuldungsquote gegebenenfalls unberücksichtigt bleiben können, war es nämlich Sache der EZB, bei der Ausübung ihres Ermessens die Ziele, die bei der Einführung der Verschuldungsquote im Vordergrund gestanden haben, mit den Zielen von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 in Einklang zu bringen. Aus den oben in den Rn. 88 bis 90 dargelegten Gründen ist dies jedoch nicht geschehen, da sich die EZB nicht auf eine Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Risikos eines Zahlungsausfalls des französischen Staates gestützt hat, sondern eine Argumentation gewählt hat, die de facto jede Möglichkeit ausschließt, dass einem Antrag nach Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 stattgegeben werden kann.
96 Schließlich ist die Feststellung der EZB, dass die Klägerin sämtliche im Rahmen der reglementierten Sparformen bei ihr eingezahlten Einlagen an die CDC übertrage, irrelevant. Insoweit kann darauf hingewiesen werden, dass nach Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 nur die Gelder bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt bleiben können, zu deren Übertragung an die CDC die Klägerin verpflichtet ist. Freiwillige Übertragungen an die CDC sollen bei dieser Berechnung daher berücksichtigt werden.
97 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Begründung in Nr. 2.3.3 Ziff. i und ii des angefochtenen Beschlusses rechtsfehlerhaft ist.
Rechtmäßigkeit des in Nr. 2.3.3 Ziff. iii des angefochtenen Beschlusses angeführten Grundes
98 In Nr. 2.3.3 Ziff. iii des angefochtenen Beschlusses hat die EZB auf den Zeitraum Bezug genommen, der zwischen den Anpassungen der jeweiligen Risikopositionen der Klägerin und der CDC liegt. Die EZB hat daraus im Wesentlichen geschlossen, dass sich die Klägerin veranlasst sehen könnte, bis zu den Mittelübertragungen der CDC auf Notverkäufe von Vermögenswerten zurückzugreifen.
99 Die Klägerin trägt vor, dieser Grund sei auf eine Verwechslung zwischen Liquiditätsrisiko und Verschuldungsrisiko zurückzuführen. Außerdem hätten die vergangenen Finanzkrisen gezeigt, dass es bei den reglementierten Sparformen keinen „Ansturm auf die Banken“ gegeben habe.
100 Hervorzuheben ist, dass das Risiko einer übermäßigen Verschuldung nach der Definition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 94 der Verordnung Nr. 575/2013 „das Risiko [bezeichnet], das aus der Anfälligkeit eines Instituts aufgrund seiner Verschuldung oder Eventualverschuldung erwächst und möglicherweise unvorgesehene Korrekturen seines Geschäftsplans erfordert, einschließlich der Veräußerung von Aktiva in einer Notlage, was zu Verlusten oder Bewertungsanpassungen der verbleibenden Aktiva führen könnte“.
101 Daraus folgt, dass sich die im Rahmen einer übermäßigen Verschuldung in Betracht kommenden Risiken im Fall eines Liquiditätsmangels verwirklichen. Um Liquidität zu erhalten, kann sich ein Kreditinstitut nämlich veranlasst sehen, unvorgesehene geschäftsplanerische Maßnahmen, einschließlich der Veräußerung von Aktiva in einer Notlage mit den in Art. 4 Abs. 1 Nr. 94 der Verordnung Nr. 575/2013 genannten Konsequenzen, zu ergreifen, worauf im 90. Erwägungsgrund dieser Verordnung hingewiesen wird.
102 Da sich die negativen Folgen einer übermäßigen Verschuldung im Fall eines Liquiditätsmangels zeigen, führt der von der Klägerin hervorgehobene Umstand, dass der Zeitraum für die Anpassung ihrer Risikopositionen an die der CDC das Liquiditätsrisiko betrifft, nicht dazu, dass dieser Zeitraum für die Beurteilung des mit ihrer Verschuldungsquote verbundenen Risikos ohne Bedeutung wäre.
103 Wie die Klägerin zu Recht feststellt, räumt die EZB jedoch selbst ein, dass dieser Anpassungszeitraum im Rahmen der Prüfung der in Art. 412 der Verordnung Nr. 575/2013 und in der Delegierten Verordnung (EU) 2015/61 der Kommission vom 10. Oktober 2014 zur Ergänzung der Verordnung Nr. 575/2013 in Bezug auf die Liquiditätsdeckungsanforderung an Kreditinstitute (ABl. 2015, L 11, S. 1) enthaltenen Liquiditätsdeckungsanforderungen kein Liquiditätsrisiko darstellt.
104 In diesem Zusammenhang bezieht sich die Klägerin auf den Beschluss der EZB vom 15. August 2016 über die Berechnung ihrer Liquiditätsquote. In diesem Beschluss hat sich die EZB damit einverstanden erklärt, auf den Zeitraum für die Anpassung der jeweiligen Risikopositionen der Klägerin und der CDC die Ausnahme in Art. 26 der Delegierten Verordnung 2015/61 anzuwenden. Die EZB hat in dem Beschluss festgestellt, dass dieser Zeitraum, sofern er nicht mehr als zehn Kalendertage betrage, einer Berechnung der mit den Risikopositionen gegenüber der CDC verbundenen Liquiditätsabflüsse unter Abzug der damit einhergehenden Zuflüsse nicht entgegenstehe.
105 Hervorzuheben ist, dass die Delegierte Verordnung 2015/61 zur Ergänzung der Verordnung Nr. 575/2013 erlassen worden ist, in deren Art. 412 Abs. 1 es heißt, dass „Institute … über liquide Aktiva verfügen [müssen], deren Gesamtwert die Liquiditätsabflüsse abzüglich der Liquiditätszuflüsse unter Stressbedingungen abdeckt, damit gewährleistet wird, dass sie über angemessene Liquiditätspuffer verfügen, um sich einem möglichen Ungleichgewicht zwischen Liquiditätszuflüssen und ‑abflüssen unter erheblichen Stressbedingungen während 30 Tagen stellen zu können[, und i]n Stressperioden … ihre liquiden Aktiva zur Deckung ihrer Netto-Liquiditätsabflüsse verwenden [dürfen]“.
106 In Art. 26 („Mit Zuflüssen einhergehende Abflüsse“) der Delegierten Verordnung 2015/61 heißt es: „Vorbehaltlich der vorherigen Genehmigung durch die zuständige Behörde können die Kreditinstitute den Liquiditätsabfluss abzüglich eines damit einhergehenden Zuflusses berechnen, sofern dieser alle folgenden Voraussetzungen erfüllt: a) Der mit dem Abfluss einhergehende Zufluss ist direkt mit dem Abfluss verbunden und wird bei der Berechnung der Liquiditätszuflüsse in Kapitel 3 nicht berücksichtigt; b) der mit dem Abfluss einhergehende Zufluss erfolgt aufgrund einer gesetzlichen, aufsichtsrechtlichen oder vertraglichen Verpflichtung; c) der mit dem Abfluss einhergehende Zufluss erfüllt eine der folgenden Voraussetzungen: i) Er entsteht zwingend vor dem Abfluss; ii) er geht innerhalb von 10 Tagen ein und wird von der Zentralregierung eines Mitgliedstaats garantiert.“
107 Die zuständigen Behörden – und damit die EZB im Rahmen der ihr in Art. 4 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 1024/2013 übertragenen Aufsichtsaufgabe – werden durch diese Vorschrift in die Lage versetzt, Liquiditätszuflüsse und damit einhergehende Abflüsse auszugleichen, wenn sie aufgrund des Bestehens einer Garantie der Zentralregierung eines Mitgliedstaats und der Kürze des zwischen ihnen liegenden Zeitraums der Ansicht sind, dass dieser Zeitraum kein Liquiditätsrisiko darstellt.
108 Die Tatsache, dass die EZB Liquiditätszuflüssen und ‑abflüssen im Zusammenhang mit den Risikopositionen gegenüber der CDC den Vorteil von Art. 26 der Delegierten Verordnung 2015/61 gewährt, kommt folglich logischerweise einer Anerkennung durch die EZB gleich, dass der möglicherweise zwischen ihnen liegende Zeitraum kein Liquiditätsrisiko darstellt.
109 Diese Schlussfolgerung zum Fehlen eines durch einen solchen Anpassungszeitraum verursachten Liquiditätsrisikos wird außerdem durch die Lektüre des Berichts der EBA vom 15. Dezember 2015 über Anforderungen in Bezug auf stabile Refinanzierung nach Art. 510 der Verordnung Nr. 575/2013 bestätigt, auf den sich die Klägerin in ihrer Klageschrift bezieht. In diesem Bericht vertritt die EBA die Ansicht, dass kein Liquiditätsrisiko bestehe, wenn Banken verpflichtet seien, einen zuvor festgelegten Teil der reglementierten Einlagen an einen speziellen staatlich kontrollierten Fonds zu übertragen, der Darlehen für Arbeiten von allgemeinem Interesse vergebe, die Zuflüsse und Abflüsse mindestens einmal monatlich ausgeglichen würden und der öffentliche Fonds im Fall eines Rückgangs der Höhe der reglementierten Einlagen aufgrund festgestellter Abhebungen rechtlich zur Rückzahlung an die Bank verpflichtet sei.
110 Da sich die mit einer Situation übermäßiger Verschuldung verbundenen Risiken aus den oben in Rn. 101 dargelegten Gründen im Fall eines Liquiditätsmangels verwirklichen, ist die Grundsatzposition der EZB, wonach der in Rede stehende Anpassungszeitraum, obwohl er aufgrund seines allgemeinen Charakters kein Liquiditätsrisiko darstellt, den Eintritt der mit einer übermäßigen Verschuldung verbundenen Risiken begünstigen könne, als offensichtlich falsch anzusehen.
111 Der in Rede stehende Anpassungszeitraum könnte nämlich nur dann für das Verschuldungsrisiko relevant sein, obwohl er es für das Liquiditätsrisiko nicht ist, wenn die Abzüge reglementierter Spareinlagen einen solchen Umfang annähmen, dass die Schwelle der im Rahmen der Berechnung der Liquiditätsquote nach Art. 412 Abs. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 genannten „erheblichen Stressbedingungen“ überschritten wird.
112 Die Berücksichtigung einer solchen Möglichkeit bei der Ablehnung des Antrags der Klägerin konnte nicht ohne eine eingehende Prüfung der Merkmale der reglementierten Sparformen durch die EZB erfolgen. Diese Prüfung hätte die EZB u. a. dazu bewegen müssen, zu untersuchen, ob es angesichts der Merkmale der reglementierten Sparformen – insbesondere der mit diesen Sparformen verbundenen Garantie des Staates – denkbar war, dass reglementierte Spareinlagen in einem solchen Umfang und so plötzlich abgezogen werden, dass sich die Klägerin veranlasst sieht, auf die in Art. 4 Abs. 1 Nr. 94 der Verordnung Nr. 575/2013 genannten Maßnahmen zurückzugreifen, ohne die Mittelübertragungen der CDC im Rahmen der Anpassung der Risikopositionen abwarten zu können.
113 Aus den oben in den Rn. 56 und 57 dargelegten Gründen hatte die EZB bei der Durchführung von Art. 429 Abs. 14 der Verordnung Nr. 575/2013 nämlich eine Abwägung zwischen den Zielen der Verschuldungsquote und der Möglichkeit vorzunehmen, dass bestimmte Risikopositionen, die die in dieser Bestimmung aufgeführten Anforderungen erfüllen, bei der Berechnung der genannten Quote unberücksichtigt bleiben, und dabei die Besonderheiten jedes Einzelfalls zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung zur Prüfung der Besonderheiten der reglementierten Sparformen ergab sich auch aus der oben in Rn. 70 erwähnten Rechtsprechung.
114 Die EZB hat im angefochtenen Beschluss jedoch keine detaillierte Prüfung der Merkmale der reglementierten Sparformen durchgeführt, da sie lediglich abstrakt auf die Risiken abgehoben hat, die mit dem Zeitraum für die Anpassung der Positionen der Klägerin und denen der CDC verbunden sind.
115 Damit ist die EZB folglich ihrer nach der oben in Rn. 70 angeführten Rechtsprechung bestehenden Verpflichtung, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen, nicht nachgekommen.
116 Diese Schlussfolgerung wird durch das Vorbringen der EZB, wonach die Verschuldungsquote keine risikobasierte Aufsichtsanforderung sei und die Märkte plötzlich Vertrauen in normalerweise als sehr sicher geltende Investitionen verlieren könnten, nicht in Frage gestellt. Ein solches Vorbringen, das sich lediglich auf die mit der Einführung der Verschuldungsquote durch die Verordnung Nr. 575/2013 verfolgten Ziele stützt, lässt nämlich die Ziele unberücksichtigt, die mit der Einfügung von Art. 429 Abs. 14 in diese Verordnung verfolgt worden sind.
117 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass sämtliche Gründe, aus denen die EZB auf das Bestehen eines unvollkommenen Übertragungsmechanismus, durch den der Klägerin das Risiko im Zusammenhang mit der Verschuldungsquote aufgebürdet werde, geschlossen und daher den Antrag der Klägerin, die Risikopositionen gegenüber der CDC aus Einlagen, zu deren Übertragung an diese sie verpflichtet ist, bei der Berechnung ihrer Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen, abgelehnt hat, rechtswidrig sind.
118 Folglich ist dem dritten Klagegrund stattzugeben und den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären, ohne dass es einer Prüfung des ersten Klagegrundes bedarf.
Kosten
119 Gemäß Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die EZB unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
120 Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Folglich trägt die Republik Finnland ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Der Beschluss ECB/SSM/2016-96950066U5XAAIRCPA 78/16 der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 24. August 2016 wird für nichtig erklärt.
2. Die EZB wird zur Tragung der Kosten verurteilt.
3. Die Republik Finnland trägt ihre eigenen Kosten.
Prek |
Buttigieg |
Schalin |
Berke |
Costeira |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. Juli 2018.
Unterschriften
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