T-569/16 – OU/ Kommission

T-569/16 – OU/ Kommission

Language of document : ECLI:EU:T:2017:285

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

26. April 2017(*)

„Öffentlicher Dienst – Vertragsbedienstete – Disziplinarverfahren – Vorläufige Dienstenthebung – Einbehaltung von Bezügen – Verweis – Auszahlung – Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts“

In der Rechtssache T‑569/16

OU, wohnhaft in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J.‑N. Louis und N. de Montigny,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch C. Ehrbar und F. Simonetti als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen einer auf Art. 270 AEUV gestützten Klage zum einen auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 13. März 2015, mit der der Antrag des Klägers abgelehnt wurde, ihm die für eine Dauer von sechs Monaten ab dem 15. Januar 2007 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge auszuzahlen, und zum anderen auf Auszahlung dieser Beträge zuzüglich Zinsen

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová sowie der Richter V. Valančius (Berichterstatter) und U. Öberg,

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Der Kläger, Herr OU, war bei der Delegation der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in der Ukraine angestellt, und zwar vom 1. Juli 2003 bis zum 30. April 2006 als örtlicher Bediensteter und anschließend ab dem 1. Mai 2006 für einen Zeitraum von drei Jahren als Vertragsbediensteter nach Art. 3a der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union (im Folgenden: BSB).

2        Im Dezember 2005 leitete das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) gegen den Kläger eine interne Ermittlung wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ein.

3        Nachdem das OLAF Informationen an die belgischen Justizbehörden übermittelt hatte, wurde ein Haftbefehl gegen den Kläger erlassen, und er war vom 30. Mai bis zum 30. November 2006 in Untersuchungshaft.

4        Mit Entscheidung vom 12. Dezember 2006 leitete die zum Abschluss von Dienstverträgen ermächtigte Behörde (im Folgenden: Einstellungsbehörde) der Kommission ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein und setzte dieses sogleich bis zur endgültigen strafrechtlichen Entscheidung der zuständigen belgischen Justizbehörden aus.

5        Mit Entscheidung der Einstellungsbehörde vom 14. Dezember 2006 (im Folgenden: Entscheidung vom 14. Dezember 2006) wurde der Kläger für einen unbefristeten Zeitraum vorläufig seines Dienstes enthoben. In dieser Entscheidung wurde u. a. angegeben, gemäß Art. 24 Abs. 1 des Anhangs IX des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) würden mit Wirkung vom 15. Januar 2007 für einen Zeitraum von sechs Monaten von seinen Bezügen monatlich 800 Euro einbehalten.

6        Mit Entscheidung der Einstellungsbehörde vom 24. Mai 2007 wurde der Kläger mit Wirkung vom 1. Juli 2007 entlassen.

7        Mit Urteil des Tribunal de première instance de Bruxelles (Gericht erster Instanz Brüssel, Belgien) vom 6. November 2011 wurde der Kläger wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten und zu einer Geldstrafe von 5 000 Euro verurteilt. Mit Urteil vom 12. März 2014 hob die Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel, Belgien) dieses Urteil auf und verurteilte den Kläger zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 3 000 Euro. Die gegen dieses Urteil eingelegte Kassationsbeschwerde wurde von der Cour de cassation (Kassationshof, Belgien) mit Urteil vom 17. September 2014 zurückgewiesen.

8        Im Anschluss an das Urteil der Cour de cassation (Kassationshof) vom 17. September 2014 wurde das Disziplinarverfahren wiederaufgenommen, und mit Entscheidung vom 18. Februar 2015 verhängte die Einstellungsbehörde gegen den Kläger einen Verweis gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b des Anhangs IX des Statuts (im Folgenden: Entscheidung über die Disziplinarstrafe vom 18. Februar 2015). Sie gab an, die Schwere der dem Kläger zur Last gelegten und von den belgischen Strafgerichten festgestellten Handlungen hätten sie veranlasst, seinen Vertrag aus disziplinarischen Gründen fristlos zu kündigen, wenn er noch Mitglied des Personals gewesen wäre. Da der Vertrag des Klägers aber am 1. Juli 2007 geendet habe, stelle der Verweis die schwerste Strafe dar, die gegen ihn habe verhängt werden können.

9        Mit E‑Mails vom 18. und vom 26. Februar 2015 beantragte der Kläger, ihm die aufgrund der Entscheidung vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge auszuzahlen.

10      Mit Entscheidung vom 13. März 2015 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Einstellungsbehörde den Auszahlungsantrag des Klägers zurück. Sie verwies auf die Entscheidung über die Disziplinarstrafe vom 18. Februar 2015 und betonte, dass die Schwere der dem Kläger zur Last gelegten Handlungen sie dazu veranlasst hätte, seinen Vertrag aus disziplinarischen Gründen fristlos zu kündigen, wenn er noch Mitglied des Personals gewesen wäre, und dass der Verweis die schwerste Strafe sei, die gegen ihn habe verhängt werden können. Da diese Strafe gegen ihn nur aufgrund des fehlenden Beschäftigungsverhältnisses mit dem Organ verhängt worden sei, sei die Anwendung von Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts nicht gerechtfertigt.

11      Mit Schreiben vom 8. Mai 2015 legte der Kläger gemäß Art. 90 Abs. 2 des Statuts gegen die angefochtene Entscheidung eine Beschwerde ein, mit der er geltend machte, die Einstellungsbehörde habe gegen Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts verstoßen, wonach die von den Bezügen eines Vertragsbediensteten einbehaltenen Beträge ausgezahlt würden, wenn mit der das Disziplinarverfahren abschließenden Entscheidung ein Verweis verhängt werde.

12      Mit Entscheidung vom 2. September 2015 wies die Einstellungsbehörde die Beschwerde zurück.

 Verfahren und Anträge der Parteien

13      Mit Schriftsatz, der am 13. November 2015 bei der Kanzlei des Gerichts für den öffentlichen Dienst eingegangen ist, hat der Kläger einen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt. Mit Beschluss vom 25. Februar 2016 hat der Präsident des Gerichts für den öffentlichen Dienst dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt.

14      Mit Klageschrift, die am 23. März 2016 bei der Kanzlei des Gerichts für den öffentlichen Dienst eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Die Rechtssache ist unter dem Aktenzeichen F‑141/15 in das Register eingetragen worden.

15      Nach Art. 3 der Verordnung (EU, Euratom) 2016/1192 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über die Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung im ersten Rechtszug über die Rechtsstreitigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Bediensteten auf das Gericht (ABl. 2016, L 200, S. 137) ist die vorliegende Rechtssache in dem Stadium, in dem sie sich am 31. August 2016 befand, auf das Gericht übertragen worden. Sie ist unter dem Aktenzeichen T‑569/16 in das Register eingetragen und der Ersten Kammer zugewiesen worden.

16      Nach Art. 106 Abs. 3 seiner Verfahrensordnung hat das Gericht (Erste Kammer) beschlossen, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden.

17      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        die Kommission zu verurteilen, ihm die gemäß der Entscheidung vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge zuzüglich Zinsen zu dem in Art. 12 des Anhangs XII des Statuts festgelegten Zinssatz auszuzahlen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

18      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

19      Der Kläger stützt seine Klage auf einen einzigen Klagegrund, mit dem er einen Verstoß gegen Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts geltend macht.

20      Der Kläger trägt vor, dass die Einstellungsbehörde das gegen ihn eröffnete Disziplinarverfahren mit der Entscheidung über die Disziplinarstrafe vom 18. Februar 2015 abgeschlossen habe, mit der sie gegen ihn einen Verweis verhängt habe. Folglich habe er nach dieser Vorschrift einen Anspruch auf Auszahlung der aufgrund der Entscheidung vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge zuzüglich Zinsen zu dem in Art. 12 des Anhangs XII des Statuts festgelegten Zinssatz.

21      Die Kommission hält dem entgegen, dass die Einstellungsbehörde nicht verpflichtet gewesen sei, dem Kläger die von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge auszuzahlen. Sie weist insoweit darauf hin, es sei nicht möglich gewesen, gegen den Kläger eine schwerere Strafe als einen Verweis zu verhängen, und fügt hinzu, diese Strafe spiegele nicht die Schwere der begangenen Verfehlungen wider. Folglich würde, so die Kommission, die Auszahlung der einbehaltenen Beträge, die eine wörtliche Auslegung von Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts zur Folge hätte, dem Ziel dieser Vorschrift zuwiderlaufen, die Folgen von Einbehaltungen zu beseitigen, die nach Abschluss des Disziplinarverfahrens angesichts der geringen Schwere der festgestellten Verfehlungen als übermäßig angesehen würden. Eine wörtliche Auslegung dieser Vorschrift führe ferner zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Bediensteten, dem die von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge trotz der Schwere der vorgeworfenen Verfehlungen ausgezahlt würden, sowie zu einer Ungleichbehandlung von Bediensteten, die im Dienst die gleichen Verfehlungen begangen hätten, je nachdem, ob mit diesen Bediensteten nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt ununterbrochene und dauerhafte Rechtsbeziehungen beibehalten worden seien oder nicht. Bedienstete, die – wie der Kläger – kein Beschäftigungsverhältnis mehr mit der Kommission hätten, könnten so, weil es nicht möglich sei, ihnen schwerere Strafen als einen Verweis aufzuerlegen, die Auszahlung der von den Bezügen einbehaltenen Beträge erhalten, obgleich die Einbehaltung zum Zeitpunkt der Entscheidung völlig gerechtfertigt gewesen sei. Hilfsweise macht die Kommission geltend, die Beträge könnten nur dann zuzüglich Zinsen ausgezahlt werden, wenn am Ende des Disziplinarverfahrens keinerlei Strafe verhängt worden sei.

22      In Art. 24 Abs. 1 und 4 des Anhangs IX des Statuts, der nach den Art. 50a und 119 BSB für Vertragsbedienstete und ehemalige Vertragsbedienstete entsprechend gilt, heißt es:

„(1)      In der Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss bestimmt werden, ob der Beamte während der Dauer der Dienstenthebung seine vollen Bezüge behält oder ob ein in derselben Verfügung festzusetzender Teilbetrag einzubehalten ist. …

(4)      Wird gegen den Beamten keine Disziplinarstrafe verhängt oder lediglich eine schriftliche Verwarnung, ein Verweis oder ein zeitweiliges Versagen des Aufsteigens in den Dienstaltersstufen verfügt, so werden ihm die gemäß Absatz 1 einbehaltenen Beträge zurückgezahlt; wird keine Disziplinarstrafe verhängt, so erfolgt die Rückzahlung zuzüglich der Zinsen und Zinseszinsen zu dem Satz nach Anhang XII Artikel 12 [des Statuts].“

23      Vorliegend hat die Einstellungsbehörde den Kläger mit Entscheidung vom 14. Dezember 2006 für einen unbefristeten Zeitraum vorläufig seines Dienstes enthoben und mit Wirkung vom 15. Januar 2007 für einen Zeitraum von sechs Monaten von seinen Bezügen monatlich 800 Euro einbehalten.

24      Mit der Entscheidung über die Disziplinarstrafe vom 18. Februar 2015 hat die Einstellungsbehörde gegen den Kläger gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b des Anhangs IX des Statuts einen Verweis verhängt.

25      Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Einstellungsbehörde den Antrag des Klägers, ihm die aufgrund der Entscheidung vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge auszuzahlen, abgelehnt. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung über die Disziplinarstrafe vom 18. Februar 2015 hat sie angegeben, dass die Schwere der dem Kläger zur Last gelegten Handlungen sie veranlasst hätte, seinen Vertrag aus disziplinarischen Gründen fristlos zu kündigen, wenn er noch Mitglied des Personals gewesen wäre, und dass der Verweis die schwerste Strafe gewesen sei, die ihm habe auferlegt werden können. Diese Strafe sei gegen ihn lediglich aufgrund eines rein zufälligen Umstands, nämlich des Fehlens eines Beschäftigungsverhältnisses mit der Kommission, und nicht aufgrund der geringen Schwere der festgestellten Verfehlung verhängt worden. Daher sei die Anwendung von Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts vorliegend nicht gerechtfertigt.

26      Schließlich hat die Einstellungsbehörde mit Entscheidung vom 2. September 2015 die Beschwerde des Klägers gegen die angefochtene Entscheidung zurückgewiesen. Sie hat ausgeführt, dass der Verweis nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der dem Kläger zur Last gelegten Handlungen stehe und nur verhängt worden sei, weil es praktisch unmöglich gewesen sei, gegen den Kläger eine schwerere Strafe zu verhängen, da zwischen ihm und der Kommission kein Beschäftigungsverhältnis bestehe und er keine Ansprüche auf Versorgungsbezüge bzw. Geldleistungen von der Kommission habe. Eine Auszahlung der von den Bezügen einbehaltenen Beträge an den Kläger liefe dem Sinn und Zweck von Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts und dem Grundsatz, dass die Disziplinarstrafe der Schwere der Verfehlung entsprechen müsse, zuwider. Schließlich würde eine Auszahlung der von den Bezügen einbehaltenen Beträge an den Kläger nur das Missverhältnis zwischen den Schäden, die der Kommission entstanden seien, und der Strafe, die sie letztlich verhängt habe, zum Nachteil der Kommission verschärfen.

27      Im vorliegenden Fall ist nacheinander zu prüfen, ob der Kläger entgegen der Auffassung der Einstellungsbehörde zum einen berechtigt war, die Auszahlung der gemäß der Entscheidung vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge zu fordern, und ob er zum anderen berechtigt war, die Erhöhung dieser Beträge durch die in Art. 12 des Anhangs XII des Statuts vorgesehenen Zinsen zu fordern.

28      Was erstens die Frage angeht, ob die Einstellungsbehörde zu Recht angenommen hat, dass der Kläger keinen Anspruch auf Auszahlung der von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge hatte, ist festzustellen, dass Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts, wie die Kommission selbst einräumt, die Auszahlung der von den Bezügen eines vorläufig seines Dienstes enthoben Beamten einbehaltenen Beträge nur davon abhängig macht, dass in der das Disziplinarverfahren abschließenden Entscheidung keine Disziplinarstrafe verhängt wird oder lediglich eine schriftliche Verwarnung, ein Verweis oder ein zeitweiliges Versagen des Aufsteigens in den Dienstaltersstufen – ohne andere Bedingung oder Einschränkung – verfügt wird.

29      Wie die Kommission geltend macht, sind zwar bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteile vom 14. Februar 2012, Toshiba Corporation u. a., C‑17/10, EU:C:2012:72, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 7. März 1996, de Rijk/Kommission, T‑362/94, EU:T:1996:35, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Vorliegend hat die Einstellungsbehörde Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts jedoch offenkundig entgegen seinem klaren und genauen Wortlaut ausgelegt.

31      Die Einstellungsbehörde hat ihre Weigerung, dem Antrag auf Auszahlung der von den Bezügen des Klägers einbehaltenen Beträge stattzugeben, nämlich mit dem Umstand begründet, dass die dem Kläger vorgeworfenen Verfehlungen so schwerwiegend seien, dass sie die sofortige Beendigung seines Arbeitsvertrags aus disziplinarischen Gründen gerechtfertigt hätten, wenn der Vertrag nicht schon beendet gewesen wäre, und dass ein Verweis gegen ihn mithin aufgrund des rein zufälligen Umstands des fehlenden Beschäftigungsverhältnisses mit der Kommission verhängt worden sei und nicht aufgrund der geringen Schwere der betreffenden Verfehlungen.

32      Nach Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts ist jedoch nur die Disziplinarstrafe in der das Disziplinarverfahren abschließenden Entscheidung dafür maßgeblich, ob die von den Bezügen einbehaltenen Beträge auszuzahlen sind; die Bewertung der Schwere der dem Betroffenen vorgeworfenen Verfehlungen ist insoweit ohne Belang.

33      Im Übrigen muss die verhängte Disziplinarstrafe zwar gemäß Art. 10 des Anhangs IX des Statuts der Schwere des Dienstvergehens entsprechen. Die Einbehaltung von Bezügen ist jedoch keine Disziplinarstrafe, sondern nur eine vorübergehende Maßnahme, die für die Zeit getroffen wird, bis das Disziplinarverfahren abgeschlossen und gegebenenfalls eine Disziplinarstrafe verhängt wird (Urteil vom 16. Juli 1998, Y/Parlament, T‑219/96, EU:T:1998:178, Rn. 29). Daher gestattet eine Einbehaltung von Bezügen es der Verwaltung nicht, ein mögliches Missverhältnis zwischen der Schwere der Verfehlungen, die einem Mitglied des Personals vorgeworfen werden, und der Strafe, die am Ende des Disziplinarverfahrens gegen es verhängt wird, auszugleichen.

34      Die Einstellungsbehörde, die hier eine gebundene Entscheidungsbefugnis hatte, hat die Anwendung von Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts somit im Kern von einer in dieser Vorschrift nicht vorgesehenen Voraussetzung abhängig gemacht, nämlich von ihrer Beurteilung der Schwere der geahndeten Verfehlungen.

35      Im Übrigen kann entgegen der Auffassung der Kommission nicht davon ausgegangen werden, dass Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts eine zu füllende Gesetzeslücke enthält, was ehemalige Beamte oder Bedienstete angeht, die keine Ansprüche auf Versorgungsbezüge bzw. Geldleistungen haben, oder die Ansprüche auf Versorgungsbezüge bzw. Geldleistungen haben, die zu niedrig sind, als dass Disziplinarstrafen mit finanziellen Folgen gegen sie verhängt werden könnten. Selbst wenn man davon ausginge, dass diese Auffassung begründet ist, kann sie das Gericht im Übrigen nicht dazu veranlassen, diese Vorschrift entgegen ihrem klaren und genauen Wortlaut auszulegen und ihren Geltungsbereich unberechtigterweise zu beschränken.

36      Dasselbe gilt für das Vorbringen der Kommission, was zum einen die angebliche ungerechtfertigte Bereicherung des Bediensteten angeht, dem die von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge trotz der Schwere der ihm zur Last gelegten Verfehlungen ausgezahlt würden, und was zum anderen die mutmaßliche Ungleichbehandlung von Bediensteten anbelangt, die im Dienst dieselben Verfehlungen begangen hätten, je nachdem, ob mit diesen Bediensteten nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt ununterbrochene und dauerhafte Rechtsbeziehungen beibehalten worden seien oder nicht.

37      Diese Argumente sind aus der angeblichen Gesetzeslücke in Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts hergeleitet. Daher sind sie aus dem oben in Rn. 35 angegebenen Grund zurückzuweisen. Im Übrigen sind ehemalige Bedienstete, die dauerhafte Rechtsbeziehungen mit der Kommission beibehalten haben, beispielsweise in Form der Zahlung von Geldleistungen bzw. Versorgungsbezügen, hinsichtlich der Disziplinarstrafen, die gegen sie verhängt werden können, nicht in derselben Situation wie ehemalige Bedienstete ohne Anspruch auf Zahlung von Geldleistungen bzw. Versorgungsbezügen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Anwendung der Regelung selbst, vor allem aus Art. 9 des Anhangs IX des Statuts und aus Art. 49 BSB, in denen die unterschiedlichen Disziplinarstrafen aufgezählt werden, die gegen ein Mitglied oder ein ehemaliges Mitglied des Personals verhängt werden können.

38      Schließlich kann die Kommission nicht geltend machen, eine wörtliche Auslegung von Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts nehme der Befugnis, Bezüge eines seines Dienstes enthobenen Vertragsbediensteten oder Bediensteten auf Zeit einzubehalten, ihre praktische Wirksamkeit. Wie oben in Rn. 28 ausgeführt, steht der Anspruch auf Auszahlung einbehaltener Beträge nach dieser Vorschrift nur Bediensteten zu, gegen die am Ende des Disziplinarverfahrens keine Strafe verhängt wurde oder gegen die eine schriftliche Verwarnung, ein Verweis oder ein zeitweiliges Versagen des Aufsteigens in den Dienstaltersstufen verfügt wurde. Im Übrigen hatte die von der Einstellungsbehörde in der angefochtenen Entscheidung vorgenommene und von der Kommission vertretene Auslegung zur Folge, dass dieser Vorschrift im vorliegenden Fall ihre praktische Wirksamkeit genommen wurde.

39      Daraus folgt, dass die Einstellungsbehörde gegen Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts verstoßen hat, indem sie dem Kläger die Auszahlung der gemäß der Entscheidung vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge verweigert hat.

40      Was zweitens die Frage angeht, ob der Kläger berechtigt war, von der Einstellungsbehörde zu fordern, dass die von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge zuzüglich der in Art. 12 des Anhangs XII des Statuts vorgesehenen Zinsen ausgezahlt werden, ergibt sich aus Art. 24 Abs. 4 des Anhangs IX des Statuts, dass diese Beträge nur dann zuzüglich solcher Zinsen ausgezahlt werden, wenn bei Abschluss des Disziplinarverfahrens keine Disziplinarstrafe verhängt wurde.

41      Da mit der Entscheidung über die Disziplinarstrafe vom 18. Februar 2015 gegen den Kläger ein Verweis verhängt wurde, hat dieser keinen Anspruch darauf, dass die Beträge, deren Auszahlung er zu Recht verlangt, verzinst werden.

42      Da es sich hier um eine Streitsache vermögensrechtlicher Art handelt, hat der Unionsrichter nach Art. 91 Abs. 1 Satz 2 des Statuts die Befugnis zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung. Folglich ist dem Antrag des Klägers, die Kommission zu verurteilen, ihm die gemäß der Entscheidung vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge auszuzahlen, stattzugeben.

43      Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Kommission zu verurteilen, dem Kläger die gemäß der Entscheidung vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge auszuzahlen, und zwar ohne Zinsen gemäß Art. 12 des Anhangs XII des Statuts.

 Kosten

44      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da im vorliegenden Fall die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Klägers die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung vom 13. März 2015, mit der die Europäische Kommission den Antrag von Herrn OU abgelehnt hat, ihm die aufgrund der Entscheidung der Kommission vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge auszuzahlen, wird aufgehoben.

2.      Die Kommission wird verurteilt, Herrn OU die aufgrund der Entscheidung vom 14. Dezember 2006 von seinen Bezügen einbehaltenen Beträge auszuzahlen.

3.      Die Kommission trägt die Kosten.

Pelikánová

Valančius

Öberg

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 26. April 2017.

Unterschriften


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