T-462/22 – Millennium BCP und BCP África/ Kommission (Zone franche de Madère)

T-462/22 – Millennium BCP und BCP África/ Kommission (Zone franche de Madère)

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:T:2024:773

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

6. November 2024(*)

„ Staatliche Beihilfen – Freizone Madeira – Von Portugal durchgeführte Beihilferegelung – Beschluss, mit dem die Unvereinbarkeit der Regelung mit der Entscheidung K(2007) 3037 endgültig und dem Beschluss C(2013) 4043 final festgestellt, diese Regelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt und die Rückforderung der nach dieser Regelung gezahlten Beihilfen angeordnet wird – Begründungspflicht – Begriff ‚bestehende Beihilfe‘ nach Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung [EU] 2015/1589 – Keine Ausnahme von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der autonomen Region Madeira – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit – Berechtigtes Vertrauen – Rechtssicherheit “

In der Rechtssache T‑462/22,

Millennium BCP Participações, SGPS, Sociedade Unipessoal, Lda mit Sitz in Funchal (Portugal),

BCP África, SGPS, Lda mit Sitz in Funchal,

vertreten durch Rechtsanwälte B. Santiago, L. do Nascimento Ferreira, P. Gouveia e Melo, D. Oda und A. Queiroz Martins,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch I. Barcew und P. Caro de Sousa als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Svenningsen, des Richters J. Martín y Pérez de Nanclares (Berichterstatter) und der Richterin M. Stancu,

Kanzler: L. Ramette, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens, insbesondere

–        der Entscheidung vom 17. Januar 2023, das Verfahren nicht bis zur abschließenden Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache auszusetzen, in der inzwischen das Urteil vom 4. Juli 2024, Portugal/Kommission (Freizone Madeira) (C‑736/22 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2024:579), ergangen ist,

–        der prozessleitenden Maßnahme vom 18. Juli 2023, mit der das Gericht die Kommission um die Vorlage der Anmeldungen und der mit den portugiesischen Behörden im Rahmen der Verwaltungsverfahren N 421/2006 und SA.34160 (2011/N) ausgetauschten Schreiben ersucht hat,

–        die am 28. August 2023 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Antworten der Kommission, in denen sie darauf hinwies, dass sie diese Dokumente wegen der allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit, die für sie im Rahmen eines Beihilfeverfahrens gelte, nicht vorlegen könne,

–        des Beschlusses vom 26. September 2023, mit dem das Gericht gemäß Art. 91 Buchst. b und Art. 92 Abs. 3 seiner Verfahrensordnung im Wege der Beweiserhebung die Vorlage der fraglichen Unterlagen angeordnet hat,

–        der Entscheidung vom 8. November 2023, mit der das Gericht festgestellt hat, dass die gemäß dem Beschluss vom 26. September 2023 vorgelegten Dokumente relevant und unter Berücksichtigung ihres Alters von mehr als fünf Jahren und des Fehlens besonders sensibler Daten nicht vertraulich sind,

auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2024

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragen die Klägerinnen, Millennium BCP Participações, SGPS, Sociedade Unipessoal, Lda und BCP África, SGPS, Lda, Art. 1 und Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses (EU) 2022/1414 der Kommission vom 4. Dezember 2020 über die von Portugal durchgeführte Beihilferegelung SA.21259 (2018/C) (ex 2018/NN) zugunsten der Freizone Madeira (Zona Franca da Madeira, ZFM) – Regelung III (ABl. 2022, L 217, S. 49, im Folgenden: angefochtener Beschluss) für nichtig zu erklären, soweit sie auf Sociedades gestoras de participações sociais (Holdinggesellschaften, im Folgenden: SGPS) anwendbar sind.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Die Regelung für die Freizone Madeira (Portugal, im Folgenden: ZFM) besteht in Form verschiedener Steuervergünstigungen, die im Rahmen des Centro Internacional de Negócios da Madeira (Internationales Geschäftszentrum Madeira), des Registo Internacional de Navios da Madeira (Internationales Schiffsregister von Madeira) und der Zona Franca Industrial (industrielle Freizone) gewährt werden.

3        Diese Regelung wurde ursprünglich durch die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 27. Mai 1987 in der Sache N 204/86 (SG[87] D/6736) als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbare Regionalbeihilfe genehmigt. Ihre Verlängerung wurde anschließend durch die Entscheidung der Kommission vom 27. Januar 1992 in der Sache E 13/91 (SG[92] D/1118) und danach durch die Entscheidung der Kommission vom 3. Februar 1995 in der Sache E 19/94 (SG[95] D/1287) genehmigt.

4        Die Nachfolgeregelung (im Folgenden: Regelung II) wurde durch eine Entscheidung der Kommission vom 11. Dezember 2002 in der Sache N 222A/01 genehmigt.

5        Auf der Grundlage der Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung 2007-2013 (ABl. 2006, C 54, S. 13) wurde eine dritte Regelung (im Folgenden: Regelung III) durch die Entscheidung der Kommission vom 27. Juni 2007 in der Sache N 421/2006 (im Folgenden: Entscheidung von 2007) für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2013 genehmigt. Die Kommission genehmigte diese Regelung als mit dem Binnenmarkt vereinbare Betriebsbeihilfe für die Förderung der regionalen Entwicklung und der Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur von Madeira als Gebiet in äußerster Randlage im Sinne von Art. 349 AEUV.

6        Bei der Regelung III handelt es sich um eine reduzierte Körperschaftsteuer auf tatsächlich und materiell aus Aktivitäten auf Madeira erwirtschaftete Gewinne (3 % von 2007 bis 2009, 4 % von 2010 bis 2012 und 5 % von 2013 bis 2020), eine Befreiung von kommunalen und lokalen Steuern sowie eine Befreiung von Grunderwerbsteuern für die Gründung eines Unternehmens in der ZFM, wobei die Beihilfehöchstbeträge sich nach Obergrenzen in Bezug auf die jährliche Bemessungsgrundlage des Begünstigten richten. Diese Obergrenzen werden nach Maßgabe der Zahl der Arbeitsplätze festgelegt, die bei dem Begünstigten im jeweiligen Steuerjahr erhalten werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann Unternehmen, die in der industriellen Freizone der ZFM registriert sind, eine weitere Senkung der Körperschaftsteuer um 50 % gewährt werden.

7        Der Zugang zur Regelung III beschränkte sich auf Tätigkeiten gemäß einer der Entscheidung von 2007 beigefügten Liste. Außerdem waren von der Anwendung der Regelung III alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit Finanzintermediationen, Versicherungs- und Hilfstätigkeiten im Finanz- und Versicherungsbereich sowie „konzerninterne Dienstleistungen“ (Koordinierungs‑, Treasury- und Vertriebszentren) als „Dienstleistungen vorrangig für Unternehmen“ ausgenommen.

8        Eine geänderte Fassung der Regelung III wurde durch den Beschluss der Kommission vom 2. Juli 2013 in der Sache SA.34160 (2011/N) (im Folgenden: Beschluss von 2013) für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2013 genehmigt. Diese behält dieselben Voraussetzungen wie die in der Regelung III vorgesehenen bei, vorbehaltlich einer Anhebung der Obergrenzen für die Bemessungsgrundlage, auf die eine ermäßigte Körperschaftsteuer angewandt wird, um 36,7 %.

9        In der Folge wurde die Verlängerung der geänderten Regelung III bis zum 30. Juni 2014 durch den Beschluss der Kommission vom 26. November 2013 in der Sache SA.37668 (2013/N) genehmigt. Die Verlängerung dieser Regelung bis Ende 2014 wurde durch den Beschluss der Kommission vom 8. Mai 2014 in der Sache SA.38586 (2014/N) genehmigt.

10      Am 12. März 2015 leitete die Kommission auf der Grundlage von Art. 108 Abs. 1 AEUV und Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV (ABl. 1999, L 83, S. 1) eine Überwachung der Regelung III für die Jahre 2012 und 2013 ein.

11      Mit Schreiben vom 6. Juli 2018 setzte die Kommission die Portugiesische Republik von ihrem Beschluss in Kenntnis, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV in Bezug auf die Regelung III einzuleiten (ABl. 2019, C 101, S. 7).

12      Dieses Verfahren wurde aufgrund von Zweifeln der Kommission eingeleitet, die zum einen die Anwendung der Steuerbefreiungen auf Gewinne, die mit tatsächlich und materiell in der Autonomen Region Madeira (im Folgenden: ARM) ausgeübten Tätigkeiten erwirtschaftet werden, und zum anderen den Zusammenhang zwischen der Höhe der Beihilfe und der Schaffung und Erhaltung von echten Arbeitsplätzen auf Madeira betrafen.

13      Nach Abschluss dieses Verfahrens erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss, dessen verfügender Teil wie folgt lautet:

„Artikel 1

Die Beihilferegelung mit dem Titel ‚Zona Franca da Madeira (III) – Regime III‘ (Zona Franca da Madeira (ZFM) – Regelung III) wurde, soweit sie von Portugal unter Verstoß gegen die Entscheidung [von 2007] und den Beschluss [von 2013] durchgeführt wurde, von Portugal unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 [AEUV] rechtswidrig in Kraft gesetzt und ist mit dem Binnenmarkt unvereinbar.

Artikel 2

Einzelbeihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt werden, stellen keine Beihilfen dar, sofern sie zum Zeitpunkt ihrer Gewährung die Voraussetzungen erfüllen, die in einer nach Artikel 2 der Verordnung (EU) 2015/1588 erlassenen und zum Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfen geltenden Verordnung vorgesehen sind.

Artikel 3

Einzelbeihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt werden und zum Zeitpunkt ihrer Gewährung die Voraussetzungen der in Artikel 1 genannten Beschlüsse oder die Voraussetzungen, die in einer nach Artikel 1 der Verordnung … 2015/1588 erlassenen Verordnung vorgesehen sind, [erfüllen,] sind bis zu den für diese Art von Beihilfen geltenden Beihilfehöchstintensitäten mit dem Binnenmarkt vereinbar.

Artikel 4

(1)      Portugal fordert die mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt wurden, von den Begünstigten zurück.

(4)      Portugal hebt die mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilferegelung in dem in Artikel 1 genannten Umfang auf und stellt mit dem Tag des Erlasses dieses Beschlusses alle Zahlungen für die Beihilfen ein.

Artikel 5

(1)      Die Beihilfen, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt wurden, werden sofort in wirksamer Weise zurückgefordert.

(2)      Portugal stellt sicher, dass dieser Beschluss innerhalb von acht Monaten nach seiner Bekanntgabe umgesetzt wird.

…“

14      Die Klägerinnen sind SGPS mit Sitz in der ARM und unterliegen damit den anwendbaren Vorschriften des portugiesischen Rechts.

15      Nach Art. 1 Abs. 1 des Decreto-Lei no 495/88 (Gesetzesdekret Nr. 495/88) vom 30. Dezember 1988, das die Rechtsstellung der SGPS festlegt, haben diese nur die Verwaltung der Gesellschaftsanteile anderer Gesellschaften zum Gesellschaftszweck.

16      Den Klägerinnen wurde eine Lizenz für die Tätigkeit in der ZFM im Jahr 1998 für das Vorgängerunternehmen von Millennium BCP Participações und im Jahr 1996 für das Vorgängerunternehmen von BCP África erteilt. Sie fielen ab 31. Dezember 2020 nicht mehr unter die Regelung III und ihre Lizenzen für die Tätigkeit in der ZFM wurden bis Mitte 2021 beibehalten.

17      Während des Zeitraums der Anwendung der Regelung III hatten die Klägerinnen keine Arbeitnehmer.

 Vorbringen der Parteien

18      Die Klägerinnen beantragen,

–        Art. 1 und Art. 4 Abs. 1 des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären, soweit sie auf SGPS anwendbar sind;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

19      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

20      Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf drei Klagegründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen die Begründungspflicht, zweitens einen Rechtsfehler, soweit die Kommission die SGPS in den Kreis der Begünstigten einbezogen habe, die von der Rückforderungspflicht im Fall der Nichteinhaltung der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM erfasst würden, und drittens einen Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit rügen.

 Zum ersten Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht

21      Die Klägerinnen machen geltend, sie seien als von der Regelung III begünstigte Unternehmen potenziell von der Verpflichtung zur Rückforderung der Beihilfen betroffen, die in den Erwägungsgründen 213 und 214, in denen die Begünstigten genannt würden, von denen die Beihilfe zurückzufordern sei, und in Art. 4 des angefochtenen Beschlusses vorgesehen sei. Das Fehlen einer spezifischen Bezugnahme im angefochtenen Beschluss auf die Begünstigten der Regelung III, deren Rechtsnatur den SGPS entspreche, stelle jedoch einen Verstoß gegen die Begründungspflicht nach Art. 296 AEUV dar.

22      Der angefochtene Beschluss nehme im 36. Erwägungsgrund auf den Schriftwechsel zwischen der Kommission und den portugiesischen Behörden im Rahmen des dem Erlass des angefochtenen Beschlusses vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens Bezug, in dem die portugiesischen Behörden geltend gemacht hätten, dass der Zugang zur Regelung III für SGPS nicht von der Erfüllung der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM abhängig gewesen sei. Diese Ausnahme sei nämlich in dem bei der Kommission am 28. Juni 2006 angemeldeten Entwurf einer Beihilferegelung und in seinen Anhängen (im Folgenden: Anmeldung von 2006) sowie insbesondere im Estatuto dos Benefícios Fiscais (Regelung über Steuervergünstigungen) enthalten, das in dem dieser Anmeldung beigefügten Entwurf eines Gesetzesdekrets (im Folgenden: angemeldeter Entwurf eines Gesetzesdekrets) vorgeschlagen worden sei.

23      Da die Kommission mit diesem Ansatz der portugiesischen Behörden nicht einverstanden sei, hätte sie die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, auf die sie sich beim Erlass des angefochtenen Beschlusses in Bezug auf SGPS gestützt habe, zumindest summarisch angeben müssen.

24      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

25      Nach der Rechtsprechung muss die nach Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Unionsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. Urteil vom 8. März 2017, Viasat Broadcasting UK/Kommission, C‑660/15 P, EU:C:2017:178, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung). In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Kommission/Spanien u. a., C‑128/16 P, EU:C:2018:591, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Im vorliegenden Fall hat die Kommission gegenüber den portugiesischen Behörden in den Erwägungsgründen 213 und 214 sowie in den Art. 1 bis 4 des angefochtenen Beschlusses die erforderlichen, aber auch ausreichenden Angaben gemacht, die es ihnen ermöglichten, die Begünstigten der Regelung III, wie sie durchgeführt wurde, zu identifizieren und den Betrag der von ihnen zurückzuzahlenden Beihilfen ohne übermäßige Schwierigkeiten selbst zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. September 2022, Portugal/Kommission [Freizone Madeira], T‑95/21, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2022:567, Rn. 231, und vom 21. Juni 2023, Região Autónoma da Madeira/Kommission, T‑131/21, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2023:348, Rn. 178).

27      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Rückforderungspflicht nicht auf sämtliche nach der Regelung III ausgezahlten Einzelbeihilfen erstreckt, sondern nur auf diejenigen, die unter Verstoß gegen die Entscheidung von 2007 und den Beschluss von 2013 [im Folgenden zusammen: Beschlüsse von 2007 und 2013] gewährt wurden, und zwar unter dem Vorbehalt, dass deren Empfänger nicht die in einer Deminimis-Verordnung oder einer Gruppenfreistellungsverordnung festgelegten Voraussetzungen erfüllen, wie sich aus den Art. 1 bis 3 des angefochtenen Beschlusses ergibt.

28      Insoweit müssen die portugiesischen Behörden, wie in den Erwägungsgründen 213 und 214 des angefochtenen Beschlusses vorgesehen, feststellen, ob die von der Regelung III Begünstigten zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2014 die Bedingungen für die Inanspruchnahme dieser Regelung gemäß den Beschlüssen von 2007 und 2013 erfüllt haben.

29      Zum einen impliziert dies die Bestimmung des mit einer „tatsächlich und materiell auf Madeira ausgeübten Tätigkeit“ verbundenen Teils der Gewinne des Begünstigten, unter Ausschluss von Gewinnen, die mit außerhalb der ARM ausgeübten Tätigkeiten erzielt wurden, und zwar auch dann, wenn diese von Gesellschaften mit Sitz in dieser Region ausgeübt wurden. Zum anderen haben die portugiesischen Behörden auf der Grundlage einer objektiven Methode die Zahl der Arbeitsplätze zu bestimmen, die jeder Begünstigte auf Madeira geschaffen oder erhalten hat.

30      Diese Methode zur Berechnung des Betrags der zurückzufordernden Beihilfe beruht auf der Feststellung in den Erwägungsgründen 167 und 179 des angefochtenen Beschlusses, in denen die Kommission zu dem Schluss gelangt ist, dass die Anwendung der Regelung III durch die Portugiesische Republik in Bezug auf die Bedingungen betreffend zum einen die Herkunft der Gewinne, für die die Körperschaftsteuerermäßigung gilt, und zum anderen die Schaffung oder Beibehaltung von Arbeitsplätzen in der ARM gegen die Beschlüsse von 2007 und 2013 verstoße.

31      Was speziell die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM betrifft, um die allein es in der vorliegenden Rechtssache geht, hat die Kommission im 169. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zunächst festgestellt, dass aus der Entscheidung von 2007 (vgl. insbesondere deren 64. Erwägungsgrund) und dem Beschluss von 2013 (vgl. insbesondere dessen 28. Erwägungsgrund) ausdrücklich hervorgehe, dass diese eine Bedingung für den Zugang zur Regelung III gewesen sei und dass sie in die Methode zur Berechnung der Beihilfebeträge im Rahmen der ZFM-Regelung, wie sie von der Portugiesischen Republik angemeldet und mit diesen beiden Beschlüssen genehmigt worden sei, aufgenommen worden sei.

32      Sodann hat die Kommission im 171. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen, dass die Zahl der Arbeitsplätze ein Maß für den Beitrag der Regelung III zur regionalen Entwicklung der ARM sei. Insoweit geht nämlich aus den Beschlüssen von 2007 und 2013 hervor, dass die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Regelung durch die Kommission im Lichte dieser Bedingung vorgenommen wurde.

33      Außerdem hat die Kommission in den Erwägungsgründen 175 und 176 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die von den portugiesischen Behörden angewandte Methode zur Berechnung der Zahl der Arbeitsplätze es ihnen nicht ermöglicht habe, die vom Stelleninhaber tatsächlich für diesen Arbeitsplatz aufgewendete Zeit zu überprüfen. Ohne jedoch eine bestimmte Methode zur Berechnung der Zahl der von jedem Begünstigten in der ARM geschaffenen oder erhaltenen Arbeitsplätze vorzuschreiben, hätten die Beschlüsse von 2007 und 2013 gleichwohl die Anwendung einer objektiven Methode verlangt, mit der habe überprüft werden können, ob die von den Begünstigten der Regelung III angegebenen Arbeitsplätze tatsächlich vorhanden und dauerhaft gewesen seien.

34      Außerdem ergibt sich aus den Erwägungsgründen 36 und 62 des angefochtenen Beschlusses, dass der Kommission die Auffassung der portugiesischen Behörden bekannt war, dass die Entscheidung von 2007 alle Bestimmungen des angemeldeten Entwurfs des Gesetzesdekrets, und damit auch die Ausnahme für SGPS von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM, implizit gebilligt habe.

35      Aus den genannten Erwägungsgründen des angefochtenen Beschlusses geht in hinreichend verständlicher Weise hervor, dass die Kommission implizit, aber notwendigerweise davon ausging, dass die Bedingung der Schaffung oder Beibehaltung von Arbeitsplätzen in der ARM für alle in der ZFM registrierten Unternehmen, also auch für SGPS, gelte und dass daher die Beschlüsse von 2007 und 2013 keinerlei Ausnahme von dieser Bedingung gestattet hätten.

36      Diese Begründung ist ausreichend, um es den Klägerinnen zu ermöglichen, die Begründetheit des angefochtenen Beschlusses zu beurteilen, und dem Gericht, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen.

37      Aus dem angefochtenen Beschluss geht nämlich hervor, dass die Kommission die Einstufung als „bestehende Beihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV (ABl. 2015, L 248, S. 9) der Beihilfen, die im Rahmen der Regelung III ohne Beachtung der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM gezahlt wurden, abgelehnt hat, da sie ihrer Ansicht nach keine Ausnahme von dieser Bedingung zugunsten von SGPS gebilligt hat.

38      Da die Kommission der Ansicht war, dass die Regelung III in ihrer genehmigten Form nach Modalitäten durchgeführt worden sei, die sich wesentlich von denen unterschieden, die für die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Binnenmarkt berücksichtigt worden seien, stufte sie die durchgeführte Regelung III als „rechtswidrige Beihilfe“ und damit als unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV gezahlte „neue Beihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. c der Verordnung 2015/1589 ein.

39      Die Frage, ob die Kommission zu Recht der Ansicht war, dass sie keinerlei Ausnahme von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM genehmigt habe und dass folglich die den SGPS gewährten Beihilfen unter Verstoß gegen die Beschlüsse von 2007 und 2013 gewährt worden seien, betrifft die Begründetheit des angefochtenen Beschlusses. Diese Frage wird daher im Rahmen des zweiten Klagegrundes geprüft.

40      Nach alledem hat die Kommission somit nicht gegen Art. 296 Abs. 2 AEUV verstoßen.

41      Folglich ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Rechtsfehler, da die Kommission die SGPS in den Kreis der Begünstigten einbezogen habe, die von der Rückforderungspflicht im Fall der Nichteinhaltung der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM erfasst würden

42      Als Erstes machen die Klägerinnen geltend, die SGPS unterlägen nicht der Bedingung für den Zugang zu Regelung III betreffend die Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM, so dass der angefochtene Beschluss rechtsfehlerhaft sei, soweit die SGPS in die Gesamtheit der Begünstigten einbezogen worden seien, die von der Verpflichtung zur Rückforderung der nach der Regelung III gewährten Beihilfen erfasst würden.

43      Erstens sei, wie auch in dem der Klageschrift als Anlage A.10 beigefügten Urteil des Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) vom 13. Juli 2021 entschieden worden sei, davon auszugehen, dass der bei der Kommission 2006 angemeldete und später gebilligte Entwurf eines Gesetzesdekrets die Ausnahme für SGPS von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM enthalten habe.

44      Diese Ausnahme sei somit Bestandteil der von der Kommission genehmigten Beihilfemaßnahme gewesen, was im Einklang mit dem Umstand stehe, dass es in Bezug auf die Anwendbarkeit der Regelung III auf SGPS keine Meinungsverschiedenheiten, keine Vorbehalte und nicht einmal eine eigenständige Analyse seitens der Kommission im angefochtenen Beschluss gegeben habe.

45      Wenn die Kommission tatsächlich der Ansicht gewesen wäre, dass die SGPS die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM erfüllen müssten, um in den Genuss der Regelung III kommen zu können, und dass sie somit von der Rückforderungsanordnung, die sich aus dem angefochtenen Beschluss ergebe, erfasst werden müssten, hätte dies in diesem Beschluss ausdrücklich angegeben werden müssen.

46      Zweitens sind die Klägerinnen, wie auch im Urteil des Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) vom 13. Juli 2021 entschieden worden sei, der Ansicht, dass es angesichts der Art der von den SGPS ausgeübten Tätigkeit sinnlos sei, den Zugang zur Regelung III der SGPS von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM abhängig zu machen. Die Erbringung einer solchen Arbeit wäre nämlich für die Verfolgung ihres Gesellschaftszwecks, nämlich die Verwaltung von Gesellschaftsanteilen, völlig nutzlos.

47      Drittens hätte der Beitrag zur regionalen Entwicklung der ARM für die Zwecke der Regelung III andere Formen annehmen können als die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen und sich beispielsweise als Stimulierung der lokalen Wirtschaft mittels der gewährten Beihilfe und der erzielten Steuereinnahmen gemessen werden können.

48      Viertens ergebe sich zum einen aus einer Analyse des Wortlauts der Entscheidung von 2007, dass diese ausdrücklich erwähne, dass die Rechtsgrundlage der Regelung III der angemeldete Entwurf eines Gesetzesdekrets sei, der die Ausnahme für SGPS umfasse. Außerdem wiesen die tatsächlich erlassenen Vorschriften, mit denen die Regelung III eingeführt worden sei, alle darauf hin, dass diese Regelung im Einklang mit der Entscheidung von 2007 genehmigt worden sei. Zum anderen lasse der Kontext nicht die Feststellung zu, dass die Entscheidung von 2007 und die späteren Änderungen der Regelung III die für SGPS vorgesehene Ausnahme nicht erfasst hätten.

49      Als Zweites machen die Klägerinnen geltend, dass ihre Tätigkeit in der Liste der Tätigkeiten aufgeführt sei, die in den Genuss der Regelung III kommen könnten.

50      Zum einen sei der Anwendungsbereich der Regelung III nach dem 25. Erwägungsgrund der Entscheidung von 2007 auf eine Gesamtheit von wirtschaftlichen Tätigkeiten beschränkt gewesen, zu denen „Grundstücks- und Wohnungswesen, Vermietung beweglicher Sachen und Erbringung von unternehmensbezogenen Dienstleistungen (Abschnitt K, Codes 70-74)“ im Sinne der damals geltenden Systematik der Wirtschaftszweige der Europäischen Union (NACE) gehörten.

51      Zum anderen sei eine der in der Abteilung 74 der zum Zeitpunkt der Entscheidung von 2007 anwendbaren NACE genannten Kategorien die Klasse „74.15. Unternehmensverwaltung“, die dem Gesellschaftszweck der Klägerinnen entspreche.

52      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

 Gegenstand des zweiten Klagegrundes

53      Mit ihrem zweiten Klagegrund machen die Klägerinnen im Wesentlichen geltend, dass die ihnen nach der Regelung III gezahlte Beihilfe der von der Kommission in den Jahren 2007 und 2013 genehmigten Beihilfe entspreche, da sie der Ansicht sind, dass sie aufgrund einer Ausnahme für SGPS, die Bestandteil der angemeldeten Regelung III sei, als SGPS nicht der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM unterlegen hätten.

54      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wenn ein Kläger der Auffassung ist, die Kommission sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Modalitäten der Zahlung von Einzelbeihilfen im Rahmen einer zuvor genehmigten Beihilferegelung nicht mit dieser vorherigen Genehmigung vereinbar seien, das Vorbringen dieser Partei dahin zu verstehen ist, dass mit ihm beanstandet wird, dass die Kommission es abgelehnt habe, diese Beihilfen rechtlich als „bestehende Beihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung 2015/1589 zu beurteilen, also als Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder vom Rat der Europäischen Union genehmigt wurden (Urteil vom 21. September 2022, Portugal/Kommission [Freizone Madeira], T‑95/21, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2022:567, Rn. 100).

55      Daher ist der zweite Klagegrund dahin zu verstehen, dass mit ihm im Wesentlichen beanstandet wird, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 150 bis 180 und 228 des angefochtenen Beschlusses die Regelung III in der durchgeführten Form nicht einer „bestehenden Beihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung 2015/1589 gleichgesetzt habe, deren Vereinbarkeit im Rahmen der fortlaufenden Überprüfung bestehender Beihilferegelungen nach Art. 108 Abs. 1 AEUV zu beurteilen gewesen wäre, sondern sie im 180. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses als „rechtswidrige Beihilfe“ und daher als „neue Beihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. c der Verordnung 2015/1589 eingestuft habe, die gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV verstoße.

 Begründetheit des zweiten Klagegrundes

56      Vorab ist anzumerken, dass das Gericht bei der Beurteilung, ob die den SGPS nach der Regelung III in der durchgeführten Form gewährte Einzelbeihilfe der durch die Beschlüsse von 2007 und 2013 genehmigten Beihilfe entspricht, nicht nur den Wortlaut dieser Beschlüsse selbst, sondern auch den Inhalt der von der Portugiesischen Republik vorgenommenen Anmeldung zu prüfen hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 22. März 2012, Italien/Kommission, C‑200/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:165, Rn. 27). Ein Ersuchen um zusätzliche Informationen, mit dem die Kommission um ergänzende Auskünfte über den Anwendungsbereich einer von einem Mitgliedstaat notifizierten Beihilferegelung bittet, und die Antwort der nationalen Behörden auf dieses Ersuchen sind als untrennbar zur notifizierten Beihilferegelung gehörend anzusehen (Urteil vom 16. Dezember 2010, Kahla Thüringen Porzellan/Kommission, C‑537/08 P, EU:C:2010:769, Rn. 45).

57      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass ein Mitgliedstaat, der die Ermächtigung zur Gewährung von Beihilfen in Abweichung von den Regeln des Vertrags beantragt, zur Zusammenarbeit mit der Kommission verpflichtet ist. Aufgrund dieser Verpflichtung hat er alle Angaben zu machen, die der Kommission die Prüfung erlauben, ob die Voraussetzungen für die beantragte Ausnahme erfüllt sind (vgl. Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 147 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Pflicht spiegelt sich ausdrücklich im sechsten Erwägungsgrund der zum Zeitpunkt des Erlasses der Beschlüsse von 2007 und 2013 geltenden Verordnung Nr. 659/1999 wider, dem zufolge „[n]ach Artikel [4 Absatz 3 EUV] die Mitgliedstaaten verpflichtet [sind], mit der Kommission zusammenzuarbeiten und ihr alle zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dieser Verordnung erforderlichen Informationen bereitzustellen“.

58      Somit hängt in einer Situation wie der vorliegenden, in der die Begünstigten einer zuvor genehmigten Beihilferegelung bestreiten, dass diese Regelung unter wesentlich anderen Modalitäten als den genehmigten durchgeführt wurde, die Einstufung der ihnen gezahlten Beihilfen als „bestehende Beihilfe“ oder „neue Beihilfe“ nicht nur vom Wortlaut der Genehmigungsentscheidungen ab, sondern auch vom Inhalt der Anmeldung durch den betreffenden Mitgliedstaat sowie von den von diesem gelieferten zusätzlichen Angaben. In diesem Rahmen ist auch das Verhalten dieses Mitgliedstaats bei der Anmeldung dieser Regelung im Licht seiner Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit der Kommission zu berücksichtigen.

59      Daraus folgt insbesondere, dass die Klägerinnen der Kommission nicht vorwerfen können, einen Fehler bei der rechtlichen Qualifizierung begangen zu haben, als sie die Auffassung vertreten hat, dass die Regelung III unter erheblich anderen Modalitäten als den genehmigten durchgeführt worden sei, wenn die Portugiesische Republik es bei der Anmeldung der Regelung III in den Jahren 2006 und 2011 unterlassen hat, ihr die notwendigen Informationen zu übermitteln, um ihr die Beurteilung zu ermöglichen, ob eine Ausnahme von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM mit dem Binnenmarkt vereinbar ist.

60      Im Licht dieser Erwägungen ist die Tragweite der Beschlüsse von 2007 und 2013 zu bestimmen.

–       Zur Tragweite der Entscheidung von 2007

61      Das Hauptargument der Klägerinnen besteht im Wesentlichen erstens darin, dass die Reform der Regelung über Steuervergünstigungen, die auf die Entscheidung von 2007 folgte, den Wortlaut des Entwurfs eines Gesetzesdekrets wiedergegeben habe, der der Anmeldung von 2006 als Anlage beigefügt gewesen sei, und zweitens darauf, dass das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) mit seinem Urteil vom 13. Juli 2021 bestätigt habe, dass die Regelung über Steuervergünstigungen in ihrer geänderten Fassung dahin auszulegen sei, dass er die in Rede stehende Ausnahme enthalte.

62      Hierzu ist festzustellen, dass zum einen das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) in seinem Urteil vom 13. Juli 2021 tatsächlich die Auffassung vertreten hat, dass die nach der Entscheidung von 2007 geltende Regelung über Steuervergünstigungen, wie sie im Jahr 2006 bei der Kommission angemeldet worden sei, eine Ausnahme von der Bedingung der Schaffung oder Beibehaltung von Arbeitsplätzen in der ARM für SGPS enthalte und dass zum anderen die Entscheidung von 2007, mit der die Regelung III in der angemeldeten Fassung genehmigt wurde, keine ausdrückliche Bezugnahme auf irgendeine Ausnahme zugunsten dieser Gesellschaften enthält.

63      In diesem Zusammenhang ist daher zu prüfen, ob die fehlende Erwähnung einer für SGPS geltenden Ausnahmeregelung in der Entscheidung von 2007 bedeutet, dass die Kommission mit der Genehmigung der Durchführung der Regelung III, wie sie 2006 angemeldet wurde, die Vereinbarkeit dieser Ausnahmeregelung mit dem Binnenmarkt festgestellt und damit auch ihre Durchführung zugunsten der SGPS genehmigt hat.

64      Insoweit ergibt sich zwar aus der Rechtsprechung, dass die Kommission, wenn sie am Ende der Vorprüfungsphase nach Art. 108 Abs. 3 AEUV feststellt, dass die angemeldete Maßnahme eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, die keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, einen Beschluss, keine Einwände zu erheben, erlässt, mit dem sie die Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 Abs. 3 AEUV feststellt (Urteil vom 31. Januar 2023, Kommission/Braesch u. a., C‑284/21 P, EU:C:2023:58, Rn. 64).

65      Ebenso kann die Kommission mit einem nach einer vorläufigen Prüfung nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 ergangenen Beschluss ein Beihilfevorhaben nur in der angemeldeten Form genehmigen und darf dem betreffenden Mitgliedstaat nichts auferlegen oder verbieten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2023, Kommission/Braesch u. a., C‑284/21 P, EU:C:2023:58, Rn. 72).

66      Wie oben in Rn. 56 ausgeführt, kann die Auslegung der Tragweite eines solchen Beschlusses jedoch nicht ausschließlich vom Inhalt dieses Beschlusses abhängen, sondern muss auch im Hinblick auf den Inhalt der von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgenommenen Anmeldung erfolgen.

67      Somit sind die Erläuterungen der nationalen Behörden zu der Rechtsgrundlage der angemeldeten Maßnahme integraler Bestandteil des angemeldeten Beihilfevorhabens. Der Beschluss der Kommission bezieht sich daher auf die angemeldete Maßnahme im eigentlichen Sinne zusammen mit den Erläuterungen der nationalen Behörden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2019, FIH Holding und FIH/Kommission, T‑386/14 RENV, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:623, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission nicht verpflichtet ist, von Amts wegen näherungsweise zu prüfen, welche Gesichtspunkte ihr gegenüber im Verwaltungsverfahren hätten vorgetragen werden können (Urteil vom 28. März 2012, Ryanair/Kommission, T‑123/09, EU:T:2012:164, Rn. 104).

69      Somit ist zu prüfen, ob die portugiesischen Behörden die in Rede stehende Ausnahme im Jahr 2006 wirksam angemeldet haben und damit der Kommission die Beurteilung ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt ermöglicht haben.

70      Insoweit geht aus der gesamten Anmeldung von 2006 sowie aus dem anschließenden Schriftwechsel zwischen der Kommission und den portugiesischen Behörden hervor, dass die in Rede stehende Ausnahme nur in den der Anmeldung beigefügten Rechtsgrundlagen erwähnt wurde.

71      Die einzigen beiden Hinweise auf die in Rede stehende Ausnahme in der Anmeldung von 2006 finden sich nämlich erstens im Wortlaut von Art. 34 Abs. 5 der Regelung über Steuervergünstigungen, die in dem bereits bestehenden Gesetzesdekret Nr. 163/2003 vom 24. Juli 2003 enthalten ist (Anhang 1 der Anmeldung von 2006), und zweitens, mit dem gleichen Wortlaut, in Art. 34 A Abs. 5 dieser Regelung, der im angemeldeten Entwurf eines Gesetzesdekrets vorgeschlagen wurde (Anhang 2 der Anmeldung von 2006).

72      So heißt es in Art. 34 A Abs. 1 bis 5 der Regelung über Steuervergünstigungen, die in dem bei der Kommission angemeldeten Entwurf eines Gesetzesdekrets enthalten ist und die Rechtsgrundlage der Regelung III bildete:

„(Sonderregelung für in der Freizone Madeira zugelassene Einrichtungen ab 1. Januar 2007)

1.      Die Gewinne der vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2013 zur Ausübung von Tätigkeiten in den Bereichen Industrie, Handel oder Seeverkehr und anderer nicht von dieser Regelung ausgeschlossener Dienstleistungen berechtigten Einrichtungen, die die in Art. 33 Abs. 1 genannten Bedingungen erfüllen, unterliegen bis zum 31. Dezember 2020 der [ermäßigten Körperschaftsteuer] nach folgenden Modalitäten:

a)      Von 2007 bis 2009 mit einem Satz von 3 %;

b)      Von 2010 bis 2012 mit einem Satz von 4 %;

c)      Im Jahr 2013 und in den folgenden Jahren mit einem Satz von 5 %.

5.      Die Gewinne von vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2013 zugelassenen Holdinggesellschaften unterliegen unter den in Abs. 1 genannten Voraussetzungen der [ermäßigten Körperschaftsteuer], mit Ausnahme derjenigen, die im portugiesischen Hoheitsgebiet mit Ausnahme von Freizonen oder in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erzielt werden und die gemäß den allgemeinen Bedingungen besteuert werden.“

73      Dagegen wurde diese Ausnahme weder im Anmeldeformular von 2006 noch in dem ihm beigefügten erläuternden Schriftsatz erwähnt.

74      Erstens geht aus dem Wortlaut von Art. 34 A Abs. 5 der Regelung über Steuervergünstigungen, wie er im angemeldeten Entwurf des Gesetzesdekrets vorgeschlagen wird, nicht ausdrücklich hervor, dass die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen nicht für SGPS gilt. Dieser Absatz beschränkt sich nämlich auf den Hinweis, dass die Gewinne von vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2013 zugelassenen Holdinggesellschaften unter den in Abs. 1 dieses Artikels genannten Voraussetzungen der ermäßigten Körperschaftsteuer unterliegen, mit Ausnahme derjenigen, die in Portugal außerhalb der Freizonen oder die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erzielt werden und gemäß den allgemeinen Bedingungen besteuert werden.

75      Zweitens lässt eine Lektüre der Begründung des angemeldeten Entwurfs eines Gesetzesdekrets sowie der Abs. 1, 2 und 5 von Art. 34 A und des Art. 33 Abs. 1 Buchst. g der Regelung über Steuervergünstigungen, die mit diesem Entwurf eines Gesetzesdekrets vorgeschlagen werden, bei vernünftiger Betrachtung den Schluss zu, dass die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM als Voraussetzung für den Zugang zur Regelung III auch für SGPS gilt.

76      Zunächst heißt es nämlich in der Begründung des angemeldeten Entwurfs eines Gesetzesdekrets, dass die Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen eine Bedingung für den Zugang zu der Regelung III darstellt.

77      Sodann soll die Regelung III gemäß dem vom Entwurf eines Gesetzesdekrets vorgeschlagenen Art. 34 A Abs. 1 der Regelung über Steuervergünstigungen nicht nur für Unternehmen gelten, die zur Ausübung von Tätigkeiten in den Bereichen Industrie, Handel oder Seeverkehr berechtigt sind, sondern auch für Unternehmen, die „andere nicht von dieser Regelung ausgeschlossene Dienstleistungen“ erbringen. Insoweit ist festzustellen, dass die Klägerinnen als SGPS Dienstleistungen der Verwaltung der Gesellschaftsanteile anderer Gesellschaften erbrachten, die vernünftigerweise als nicht von der Regelung III ausgeschlossene andere Dienstleistungen im Sinne des im angemeldeten Entwurf eines Gesetzesdekrets vorgeschlagenen Art. 34 A Abs. 1 der Regelung über Steuervergünstigungen angesehen werden konnten.

78      Art. 34 A Abs. 1 der Regelung über Steuervergünstigungen, der im angemeldeten Entwurf eines Gesetzesdekrets enthalten ist, verlangt allerdings von den Unternehmen, die zur Ausübung von Tätigkeiten in den Bereichen Industrie, Handel oder Seeverkehr berechtigt sind, aber auch von den Unternehmen, die „andere Dienstleistungen erbringen, die nicht von der Regelung [III] ausgeschlossen sind“, dass sie „die in Art. 33 Abs. 1 genannten Bedingungen“ dieser Regelung erfüllen. Insoweit nimmt Art. 33 Abs. 1 Buchst. g der Regelung über Steuervergünstigungen ausdrücklich auf die für SGPS geltenden Bedingungen Bezug.

79      Außerdem können nach Art. 34 A Abs. 2 der Regelung über Steuervergünstigungen, der mit dem angemeldeten Entwurf des Gesetzesdekrets vorgeschlagen wird, die in Abs. 1 dieses Artikels genannten Einrichtungen nur dann in den Genuss der Regelung III kommen, wenn sie in der ARM Arbeitsplätze schaffen oder erhalten. Da sich aus der vorstehenden Rn. 78 ergibt, dass die Tätigkeiten der Klägerinnen als „andere Dienstleistungen, die nicht von der Regelung [III] ausgeschlossen sind“, angesehen werden können und daher von Abs. 1 erfasst werden, lässt sich somit aus diesem Abs. 2 logisch folgern, dass die SGPS der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM unterliegen.

80      Schließlich ergibt sich aus der Systematik des vom angemeldeten Entwurf eines Gesetzesdekrets vorgeschlagenen Art. 34 A Abs. 5 der Regelung über Steuervergünstigungen, dass die Gewinne, die SGPS außerhalb der Freizonen oder in anderen Mitgliedstaaten der Union erzielt haben, nach den allgemeinen Voraussetzungen besteuert werden und daher nicht zu den Gewinnen gehören können, auf die die ermäßigte Körperschaftsteuer angewendet werden kann.

81      Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission zum Zeitpunkt der Anmeldung des angemeldeten Entwurfs eines Gesetzesdekrets durch die Portugiesische Republik Art. 34 A der Regelung über Steuervergünstigungen vernünftigerweise dahin auslegen konnte, dass die SGPS wie alle Unternehmen, denen die Regelung III zugutekommen sollte, der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM unterlagen.

82      Drittens geht aus der Anmeldung von 2006 hervor, dass die portugiesischen Behörden beabsichtigten, jedes Unternehmen, das in den Genuss der Regelung III kommen wollte, zur Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM zu verpflichten. Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass die portugiesischen Behörden in dem der Anmeldung von 2006 beigefügten erläuternden Schriftsatz klargestellt haben, dass seit der Regelung II die Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM obligatorisch sei und eine Bedingung für den Zugang zu der in der ZFM geltenden Beihilferegelung darstelle, und aus den Begründungen des bestehenden Gesetzesdekrets und des angemeldeten Entwurfs eines Gesetzesdekrets, in denen ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM eine notwendige Voraussetzung für den Zugang zu den Regelungen II und III darstellt, sowie zum anderen aus dem Umstand, dass die portugiesischen Behörden keine Erläuterungen für die Sonderstellung der SGPS gegeben haben.

83      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die portugiesischen Behörden die Kommission nie darauf aufmerksam gemacht haben, dass der angemeldete Entwurf des Gesetzesdekrets in dem Sinne angewandt werden könne, dass SGPS die Regelung III in Anspruch nehmen könnten, ohne der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM unterworfen zu sein. Somit hat die Portugiesische Republik der Kommission mit der Anmeldung von 2006 und dem anschließenden Schriftwechsel nicht alle erforderlichen Informationen übermittelt, die es ihr ermöglicht hätten, zunächst festzustellen, dass SGPS nach dem angemeldeten Entwurf eines Gesetzesdekrets von der Bedingung für die Inanspruchnahme der Regelung III, nämlich der Schaffung und der Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM, ausgenommen werden können. Deshalb war die Kommission weder aufgefordert noch in die Lage versetzt, die Vereinbarkeit einer solchen Ausnahme mit dem AEU-Vertrag zu prüfen und sich insoweit eine Meinung zu bilden, obwohl die für SGPS geltende Ausnahme in der Praxis dazu führte, dass diese Unternehmen staatliche Beihilfen erhielten, die unter deutlich günstigeren Bedingungen gewährt wurden, als es in der allgemeinen Regelung der Fall war, die für die anderen Unternehmen galt.

84      Dieses Ergebnis kann nicht durch die spätere Auslegung der Rechtsgrundlage der Regelung III durch das Urteil des Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) vom 13. Juli 2021 in Frage gestellt werden.

85      Erstens war nämlich, wie oben in Rn. 56 ausgeführt, die Kommission verpflichtet, nicht nur die Rechtsgrundlage für sich betrachtet zu prüfen, wie es das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) getan hat, sondern die gesamte Anmeldung von 2006 und ihre Anhänge sowie die anschließende Korrespondenz, da die Erläuterungen der nationalen Behörden zur Rechtsgrundlage der angemeldeten Maßnahme Bestandteil des angemeldeten Beihilfevorhabens sind.

86      Zweitens hatte sich das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) gerade deshalb zum Vorliegen der in Rede stehenden Ausnahme zu äußern, weil die portugiesischen Steuerbehörden 2011 davon ausgingen, dass die SGPS, um in den Genuss der Regelung III zu kommen, wie jedes zugelassene und in der ZFM tätige Unternehmen die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM erfüllen müssten und daher nicht unter die in Rede stehende Ausnahme fielen. Außerdem geht aus diesem Urteil hervor, dass die portugiesischen Behörden im Jahr 2017 selbst bestritten haben, dass der 2006 angemeldete und schließlich von der Kommission genehmigte Entwurf eines Gesetzesdekrets eine Ausnahme zugunsten der SGPS enthielt, und dass sie an dieser Position auch im Verfahren vor dem Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) festgehalten haben.

87      Drittens ist auch festzustellen, dass sich im Rahmen des Verfahrens vor dem Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) der Vertreter der Staatsanwaltschaft in seiner Stellungnahme dafür aussprach, der Klage des Vertreters des portugiesischen Fiskus gegen das erstinstanzliche Urteil des Tribunal Administrativo e Fiscal do Funchal (Verwaltungs- und Finanzgericht Funchal, Portugal) stattzugeben und somit zugunsten einer Auslegung, wonach SGPS keine Ausnahme von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM in Anspruch nehmen konnten. Der Umstand, dass sich das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) schließlich in seinem Urteil vom 13. Juli 2021 für die gegenteilige Lösung entschieden hat, belegt hinreichend, dass bis zu diesem Zeitpunkt unterschiedliche Auslegungen in der nationalen Rechtsordnung nicht nur möglich, sondern auch tatsächlich vorhanden waren.

88      Die oben in Rn. 83 gezogene Schlussfolgerung wird auch nicht durch das Vorbringen der Klägerinnen in Frage gestellt, mit dem im Wesentlichen eine Verletzung des Rechts auf eine ordnungsgemäße Verwaltung geltend gemacht wird, da die Kommission die Anmeldung von 2006 nicht sorgfältig geprüft habe.

89      Insoweit hat die Kommission zwar im Interesse einer ordnungsgemäßen Anwendung der grundlegenden Vorschriften des AEU-Vertrags auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen das Verfahren zur Prüfung der beanstandeten Maßnahmen sorgfältig und unvoreingenommen zu führen, damit sie bei Erlass des endgültigen Beschlusses über möglichst vollständige und verlässliche Informationen verfügt (vgl. Urteil vom 10. November 2022, Commission/Valencia Club de Fútbol, C‑211/20 P, EU:C:2022:862, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90      Im vorliegenden Fall ist jedoch darauf hinzuweisen, dass weder im Anmeldeformular von 2006 noch in dem ihm beigefügten erläuternden Schriftsatz eine Ausnahme von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM für SGPS erwähnt wird. So haben zum einen die portugiesischen Behörden die Kommission nicht in die Lage versetzt, zu erkennen, dass ihr eine solche Ausnahme zur Beurteilung vorgelegt worden war, und zum anderen haben die portugiesischen Behörden nicht erläutert, inwiefern die Ausnahme im Hinblick auf das mit der Beihilfe verfolgte Ziel verhältnismäßig und mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, obwohl die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen eine Bedingung für den Zugang zur Regelung III war, insbesondere weil sie der Quantifizierung des Beitrags zum Ziel der regionalen Entwicklung sowie des Umfangs und der Verhältnismäßigkeit der gewährten Vorteile diente.

91      Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung oder gegen ihre Sorgfaltspflicht verstoßen zu haben, indem sie nicht erkannte, dass eine Bestimmung, zu der die portugiesischen Behörden keine Erläuterungen gegeben hatten, dahin ausgelegt werden konnte, dass sie eine Ausnahme von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM erlaubte.

92      Wenn es die Absicht der portugiesischen Behörden gewesen wäre, die Ausnahme von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen für SGPS der Kommission zur Beurteilung vorzulegen, hätte der für sie geltende Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sie dazu veranlassen müssen, die Kommission stärker auf das Vorliegen einer solchen Ausnahme aufmerksam zu machen, die Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt aufkommen lässt, und dann Erläuterungen in Bezug auf diese Vereinbarkeit zu geben.

93      Daher ist im Ergebnis festzustellen, dass eine Ausnahme von der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM nicht als durch die Entscheidung von 2007 genehmigt angesehen werden kann, da sie nicht wirksam angemeldet worden ist. Folglich hat die Kommission dadurch, dass sie es abgelehnt hat, die den SGPS nach der 2007 genehmigten Regelung III ohne Erfüllung dieser Bedingung gezahlten Beihilfen als „bestehende Beihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung 2015/1589 anzusehen, keinen Fehler begangen.

–       Zur Tragweite des Beschlusses von 2013

94      Zunächst ist festzustellen, dass im 19. Erwägungsgrund des Beschlusses von 2013 im Unterschied zur Entscheidung von 2007 von einer Verpflichtung der Portugiesischen Republik die Rede ist, „jede Vorzugsbehandlung von Unternehmen wie den [SGPS] aufzuheben, wenn bestätigt wird, dass ihre Behandlung in der ZFM tatsächlich einen Vorteil gegenüber der für SGPS geltenden allgemeinen portugiesischen Regelung verschafft“.

95      Insoweit geht aus dem Schriftwechsel zwischen der Kommission und den portugiesischen Behörden hervor, dass diese Verpflichtung auf das Ersuchen der Kommission um zusätzliche Auskünfte in ihrem Schreiben vom 29. Februar 2012 folgt, mit dem sie die Portugiesische Republik aufforderte, zu dem Umstand Stellung zu nehmen, dass aus der Website des Internationalen Geschäftszentrums Madeira hervorgehe, dass SGPS Beihilfen nach der Regelung III erhalten könnten, ohne an die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM gebunden zu sein.

96      Hierauf erklärte die Portugiesische Republik in ihrem Schreiben vom 30. April 2013 insbesondere, dass sie damit einverstanden sei, die an SGPS gezahlte Beihilfe der Anwendung der in der fraglichen Regelung vorgesehenen Obergrenzen zu unterwerfen, wobei sich diese Obergrenzen nach der Zahl der Arbeitsplätze richteten, die ein Begünstigter in jedem Steuerjahr erhalten habe (siehe oben, Rn. 6).

97      Angesichts dieser Verpflichtung der Portugiesischen Republik, die untrennbar Teil der angemeldeten Beihilferegelung ist und bei der Bestimmung der Tragweite des Beschlusses von 2013 zu berücksichtigen ist, hat die Kommission keinen Fehler bei der rechtlichen Einstufung begangen, indem sie es abgelehnt hat, die Beihilfen, die den SGPS ohne Erfüllung der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM im Rahmen der Regelung III in der 2013 genehmigten Form gezahlt wurden, einer „bestehenden Beihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung 2015/1589 gleichzustellen.

98      Nach alledem ist der zweite Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit

99      Die Klägerinnen machen im Wesentlichen geltend, der angefochtene Beschluss verstoße gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, da die Kommission die für SGPS geltende Ausnahme implizit genehmigt habe, da sie im Entwurf des Gesetzesdekrets, das die Rechtsgrundlage der Regelung III darstelle, in der bei der Kommission im Jahr 2006 angemeldeten Form enthalten gewesen sei und in der endgültigen, im Diário da República (Amtsblatt der Portugiesischen Republik) veröffentlichten Fassung dieser Norm verankert worden sei.

100    Unter diesen Umständen habe die Kommission dadurch, dass sie in der Entscheidung von 2007 weder Zweifel noch Einwände gegen diese Ausnahme geäußert habe, bei den durch die Regelung III begünstigten SGPS das berechtigte Vertrauen darauf erzeugt, dass diese Ausnahme mit dem Unionsrecht vereinbar sei.

101    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

 Zum Grundsatz des Vertrauensschutzes

102    Was den allgemeinen Grundsatz des Vertrauensschutzes betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass das Recht, sich auf diesen Grundsatz zu berufen, voraussetzt, dass die zuständigen Unionsbehörden dem Betroffenen klare, unbedingte und übereinstimmende, aus befugten und zuverlässigen Quellen stammende Zusicherungen erteilt haben (vgl. Urteil vom 5. März 2019, Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).

103    Daraus ergibt sich von vornherein, dass der Umstand, dass die portugiesischen Behörden möglicherweise Zusicherungen gegeben haben, jedenfalls kein berechtigtes Vertrauen auf Seiten der Klägerinnen begründen konnte, da diese Zusicherungen nicht auf das Verhalten der zuständigen Unionsbehörden zurückzuführen wären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. März 2019, Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung).

104    Außerdem entspricht es ständiger Rechtsprechung im Bereich der staatlichen Beihilfen, dass, da die Überwachung der staatlichen Beihilfen durch die Kommission in Art. 108 AEUV zwingend vorgeschrieben ist, zum einen die von einer Beihilfe begünstigen Unternehmen auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe grundsätzlich nur dann vertrauen dürfen, wenn sie unter Einhaltung des in diesem Artikel vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde, und dass es zum anderen einem sorgfältigen Wirtschaftsteilnehmer regelmäßig möglich ist, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde (vgl. Urteil vom 5. März 2019, Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).

105    Insoweit geht der Unionsrichter bei der Beurteilung der Berechtigung des geltend gemachten Vertrauens von einem hinreichend vorsichtigen, aufmerksamen und sorgfältigen Wirtschaftsteilnehmer aus (vgl. Urteil vom 15. November 2018, Deutsche Telekom/Kommission, T‑207/10, EU:T:2018:786, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

106    Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen nicht dargetan, dass die Kommission in Bezug auf die unter Verstoß gegen die Beschlüsse von 2007 und 2013 – und daher unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV – gezahlten Beihilfen, ihnen klare, unbedingte und übereinstimmende und auch den geltenden Vorschriften entsprechende Zusicherungen erteilt hätte, die geeignet sind, bei ihnen begründete Erwartungen zu wecken, wie dies die Rechtsprechung verlangt.

107    Die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM ist nämlich eine Bedingung für den Zugang zur Regelung III und ein Parameter für die Berechnung des Beihilfebetrags. Außerdem wurde die Verhältnismäßigkeit der Regelung III im Verhältnis zu den Mehrkosten, die durch diese Regelung ausgeglichen werden sollten, im Lichte dieser Bedingung beurteilt.

108    Da die Entscheidung von 2007 keine Ausnahme dahin enthielt, dass SGPS von der Bedingung für die Inanspruchnahme der Regelung III, nämlich der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen, befreit werden sollten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass mit dieser Entscheidung klare, unbedingte und übereinstimmende Zusicherungen dahin erteilt wurden, dass die Regelung III auf SGPS, wie die Klägerinnen, angewendet wird, ohne dass diese verpflichtet wären, Arbeitsplätze in der ARM zu schaffen und zu erhalten.

109    Zum Beschluss von 2013 genügt die Feststellung, dass darin ausdrücklich eine Verpflichtung der Portugiesischen Republik erwähnt wird, SGPS nicht günstiger zu behandeln, so dass die Klägerinnen kein berechtigtes Vertrauen darauf geltend machen können, in den Genuss der Regelung III zu kommen, ohne die Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM zu erfüllen.

110    Daher kann kein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes festgestellt werden.

 Zum Grundsatz der Rechtssicherheit

111    Nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der vom Grundsatz des Vertrauensschutzes zu unterscheiden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Februar 2023, Spanien u. a./Kommission, C‑649/20 P, C‑658/20 P und C‑662/20 P, EU:C:2023:60, Rn. 83), müssen Rechtsakte der Union eindeutig und ihre Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar sein (Urteil vom 14. Oktober 2010, Nuova Agricast und Cofra/Kommission, C‑67/09 P, EU:C:2010:607, Rn. 77).

112    Was die etwaige mangelnde Klarheit und Vorhersehbarkeit der Entscheidung von 2007 betrifft, kann das Vorbringen der Klägerinnen, das bloße Vorhandensein der in Rede stehenden Ausnahme in der Rechtsgrundlage im Anhang der Anmeldung von 2006 genüge für die Annahme, dass die Entscheidung von 2007 diese Ausnahme umfasse, keinen Erfolg haben.

113    Es ist darauf hinzuweisen, dass sowohl der Wortlaut dieser Entscheidung als auch der des Beschlusses von 2013 zeigen, dass der Kontext, in dem sie stehen, aber auch die Ziele der Regelung III keinen Raum für Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Bedingung der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen lassen.

114    Insoweit stellt die Kommission in der Entscheidung von 2007 das Vorliegen der in Rede stehenden Ausnahme nicht fest, insbesondere weil aus der gesamten Anmeldung von 2006 klar hervorgeht, dass die in Rede stehende Ausnahme ihr nicht ordnungsgemäß zur Prüfung vorgelegt wurde, und daher nicht der Schluss gezogen werden kann, dass sie genehmigt wurde. Somit kann das Fehlen eines speziellen Hinweises auf irgendeine besondere Behandlung der SGPS in der Entscheidung von 2007 nicht als stillschweigende Genehmigung der in Rede stehenden Ausnahme ausgelegt werden.

115    Die Tatsache, dass im 19. Erwägungsgrund des Beschlusses von 2013 auf die Verpflichtung der portugiesischen Behörden hingewiesen wird, jegliche Vorzugsbehandlung von SGPS abzuschaffen, stellt diese Schlussfolgerung nicht in Frage. Diese Feststellung zur Verpflichtung, eine Vorzugsbehandlung für SGPS abzuschaffen, bezieht sich auf die Durchführung der Beihilfe und setzt nicht voraus, dass die Gewährung einer solchen Vorzugsbehandlung zuvor genehmigt worden wäre. In Bezug auf die Entscheidung von 2007, die keine derartige Verpflichtung enthält, geht nämlich aus der gesamten Entscheidung hervor, dass nach dem Verständnis der Kommission jedes Unternehmen, das in den Genuss der Regelung III kommen wollte, Arbeitsplätze in der ARM schaffen oder erhalten musste, wobei diese Bedingung eine notwendige Voraussetzung für den Zugang zum Regelung III war.

116    Jedenfalls hätte ein etwaiger Zweifel hinsichtlich der Klarheit der anwendbaren rechtlichen Regelung in Bezug auf die in Rede stehende Ausnahme nicht durch die Entscheidung von 2007 begründet werden können, sondern vielmehr durch das Verhalten der portugiesischen Behörden bei der Anwendung der in Rede stehenden Bestimmungen der Regelung über Steuervergünstigungen, wie sich aus den Rn. 86 und 87 des vorliegenden Urteils ergibt.

117    Daher kann kein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit festgestellt werden, so dass der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen ist.

118    Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

119    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

120    Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Millennium BCP Participações, SGPS, Sociedade Unipessoal, Lda und die BCP África, SGPS, Lda tragen die Kosten.

Svenningsen

Martín y Pérez de Nanclares

Stancu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. November 2024.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Vorbringen der Parteien

Rechtliche Würdigung

Zum ersten Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht

Zum zweiten Klagegrund: Rechtsfehler, da die Kommission die SGPS in den Kreis der Begünstigten einbezogen habe, die von der Rückforderungspflicht im Fall der Nichteinhaltung der Bedingung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der ARM erfasst würden

Gegenstand des zweiten Klagegrundes

Begründetheit des zweiten Klagegrundes

– Zur Tragweite der Entscheidung von 2007

– Zur Tragweite des Beschlusses von 2013

Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit

Zum Grundsatz des Vertrauensschutzes

Zum Grundsatz der Rechtssicherheit

Kosten



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