T-332/22 – TotalEnergies Marketing Nederland/ Kommission

T-332/22 – TotalEnergies Marketing Nederland/ Kommission

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:T:2024:660

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)

2. Oktober 2024(*)

„ Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokumente zu einem Verfahren nach Art. 101 AEUV – Verweigerung des Zugangs – Ausnahme zum Schutz des Zwecks von Inspektions‑, Untersuchungs- und Audittätigkeiten – Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen eines Dritten – Allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit – Verpflichtung, die unter die Vermutung fallenden Dokumente zu identifizieren und ein Verzeichnis davon vorzulegen “

In der Rechtssache T‑332/22,

TotalEnergies Marketing Nederland NV mit Sitz in Den Haag (Niederlande), vertreten durch Rechtsanwältin M. van Heezik,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch P. Van Nuffel, M. Burón Pérez und A.‑C. Simon als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas, der Richterin A. Marcoulli, der Richter R. Norkus und W. Valasidis (Berichterstatter) sowie der Richterin L. Spangsberg Grønfeldt,

Kanzler: V. Di Bucci,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und der Entscheidung gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV begehrt die Klägerin, die TotalEnergies Marketing Nederland NV, die Nichtigerklärung des Beschlusses C(2022) 1949 final der Europäischen Kommission vom 23. März 2022, mit dem ihre Zweitanträge auf Zugang zu Dokumenten gemäß Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) zurückgewiesen wurden (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 13. September 2006 erließ die Kommission eine Entscheidung aufgrund eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV (Sache COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]), in der sie die Beteiligung mehrerer Unternehmen, darunter der Klägerin, an einem Verstoß gegen Art. 101 AEUV feststellte und diesen Unternehmen Geldbußen auferlegte (im Folgenden: Bitumen-Sache).

3        Am 24. Juni 2021 stellte die Klägerin fünf Anträge auf Zugang zu Dokumenten der Bitumen-Sache.

4        Die von der Klägerin gestellten Anträge hatten folgenden Wortlaut:

–        „Zur (Vor‑)Untersuchung und dem Erlass der Entscheidung in der Bitumen-Sache (COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]): Schriftwechsel zwischen [der Kommission] und der niederländischen Wettbewerbsbehörde (jetzt Behörde für Verbraucher- und Marktangelegenheiten) und/oder anderen Einrichtungen des niederländischen Staates in Bezug auf die Unterstützung durch die niederländische Wettbewerbsbehörde bei (der Vorbereitung von) Nachprüfungen bei Unternehmen durch die Kommission im Rahmen einer (Vor‑)Untersuchung zu möglichen Verstößen gegen das europäische Wettbewerbsrecht“ (Antrag bei der Kommission registriert unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2021/4203);

–        „Zur Bitumen-Sache (COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]): Informationen über Neuerungen, Informationsanfragen oder sonstige Schriftwechsel betreffend die (Vor‑)Untersuchung und die Entscheidung in der Bitumen-Sache, die von [der Kommission] im Zeitraum von der Voruntersuchung bis zur endgültigen Entscheidung vom 13. September 2006 erstellt wurden oder die von der niederländischen Wettbewerbsbehörde (auch in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Beratenden Ausschusses [für Kartell- und Monopolfragen]) und/oder anderen Einrichtungen des niederländischen Staats ausgingen“ (Antrag bei der Kommission registriert unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2021/4204);

–        „Zur (Vor‑)Untersuchung und dem Erlass der Entscheidung in der Bitumen-Sache (COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]): das Verfahren und/oder die Ausgestaltung der Funktionsweise des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen, die im Zeitpunkt der (Vor‑)Untersuchung und/oder des Entscheidungsprozesses in der Bitumen-Sache galten“ (Antrag bei der Kommission registriert unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2021/4205);

–        „Zur (Vor‑)Untersuchung und dem Erlass der Entscheidung in der Bitumen-Sache (COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]): die Einladung(en) zu Sitzungen, ein‑, aber nicht ausschließlich der Einladung(en) zur 414. und 415. Sitzung des Beratenden Ausschusses [für Kartell- und Monopolfragen], die am 4. bzw. 11. September 2006 abgehalten wurden, in denen der Beratende Ausschuss [für Kartell- und Monopolfragen] seine Stellungnahme zum vorläufigen Entscheidungsvorschlag abgab (einschließlich [einer Liste] der Dokumente, die ihm mit dem vorläufigen Vorschlag nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 übermittelt worden waren)“ (Antrag bei der Kommission registriert unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2021/4206);

–        „Zur (Vor‑)Untersuchung und dem Erlass der Entscheidung in der Bitumen-Sache (COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]): die Liste(n) der Teilnehmer (einschließlich der nationalen Wettbewerbsbehörden), die bei den Anhörungen vom 15. und 16. Juni 2005 über die Mitteilung der Beschwerdepunkte in der Bitumen-Sache anwesend waren“ (Antrag bei der Kommission registriert unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2021/4207).

5        Mit Beschluss vom 4. Juli 2021 lehnte die Kommission die Anträge GESTDEM 2021/4203, GESTDEM 2021/4204, GESTDEM 2021/4206 und GESTDEM 2021/4207 ab, mit der Begründung, die angeforderten Dokumente würden unter die Ausnahmeregelung nach Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich und Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 fallen und unterlägen einer allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung für Dokumente, die in der Verwaltungsakte zu einem Verfahren nach Art. 101 AEUV enthalten seien. Zum Antrag GESTDEM 2021/4205 hielt die Kommission dagegen fest, die angeforderten Dokumente beträfen nicht speziell die Bitumen-Sache und seien öffentlich auf den von ihr bezeichneten Websites verfügbar.

6        Mit Schreiben vom 25. August 2021 stellte die Klägerin einen Zweitantrag nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 (im Folgenden: Zweitantrag) und forderte die Kommission auf, ihren Beschluss vom 4. Juli 2021 zu überprüfen. In diesem Antrag machte sie geltend, die Kommission habe ihr kein Bestandsverzeichnis der unter die allgemeine Vertraulichkeitsvermutung fallenden Dokumente gemäß dem Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission (T‑701/18, EU:T:2020:224), übermittelt, und die von den Anträgen GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 betroffenen Dokumente seien von der durch die Kommission angewandten allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung nicht erfasst.

7        Am 23. März 2022 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss, mit dem sie den Zweitantrag zurückwies. Darin führte sie zum einen aus, dass es sich bei den von den Anträgen GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 betroffenen Dokumenten um Schriftwechsel zwischen ihr und der niederländischen Wettbewerbsbehörde oder anderen niederländischen Behörden im Rahmen der Bitumen-Sache, bei den Dokumenten, auf die sich der Antrag GESTDEM 2021/4206 beziehe, um zwei und bei den vom Antrag GESTDEM 2021/4207 betroffenen Unterlagen um ein Dokument handele, deren Art, Datum und Nummer sie anführte. Zum anderen gründe sich, so die Kommission weiter, die Verweigerung des Zugangs zu diesen Dokumenten auf die Ausnahmeregelung nach Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 und die allgemeine Vertraulichkeitsvermutung bezüglich der in der Verwaltungsakte eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV enthaltenen Dokumente. Im Übrigen seien die vom Antrag GESTDEM 2021/4205 betroffenen Dokumente bereits öffentlich verfügbar.

 Anträge der Parteien

8        Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und „das Erforderliche zu veranlassen, damit die entsprechenden Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

9        Die Kommission beantragt,

–        die Klage für unzulässig zu erklären, soweit sie darauf abzielt, ihr aufzuerlegen, den Zugang zu den betroffenen Dokumenten zu gewähren;

–        die Klage im Übrigen abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zur Zuständigkeit des Gerichts

10      Im Rahmen ihres ersten Klageantrags beantragt die Klägerin, „das Erforderliche zu veranlassen, damit die entsprechenden Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“. Die Kommission ist der Ansicht, ein derartiger Antrag liege nicht in der Zuständigkeit des Gerichts und sei als „unzulässig“ zurückzuweisen.

11      Insoweit genügt, wie auch die Kommission geltend macht, der Hinweis, dass das Gericht im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV nicht befugt ist, den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union Anordnungen zu erteilen (vgl. Beschluss vom 26. Oktober 1995, Pevasa und Inpesca/Kommission, C‑199/94 P und C‑200/94 P, EU:C:1995:360, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil vom 25. September 2018, Schweden/Kommission, T‑260/16, EU:T:2018:597, Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung). Es obliegt nämlich nach Art. 266 AEUV dem betreffenden Organ, die sich aus einem Nichtigkeitsurteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen (vgl. Urteil vom 25. September 2018, Amicus Therapeutics UK und Amicus Therapeutics/EMA, T‑33/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:595, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

12      Folglich ist der oben in Rn. 10 wiedergegebene Antrag der Klägerin wegen Unzuständigkeit des Gerichts zurückzuweisen.

 Zur Begründetheit

13      Die Klägerin macht in ihrer Klage zwei Klagegründe geltend: Erstens habe es die Kommission zu Unrecht verweigert, ein Verzeichnis der angeforderten Dokumente vorzulegen und diese Verweigerung unzureichend begründet; zweitens habe sie zu Unrecht auf die von den Anträgen GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 betroffenen Dokumente eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit angewandt. Die beiden Klagegründe sind gemeinsam zu prüfen, da sie sich unter den Umständen des vorliegenden Falles im Wesentlichen auf die Frage beziehen, ob die Kommission eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit anwenden darf (zweiter Klagegrund) und welche Modalitäten bei der Anwendung einer solchen Vermutung gelten (erster Klagegrund).

14      Im Rahmen des zweiten Klagegrundes macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Kommission habe zu Unrecht angenommen, dass die von den Anträgen GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 erfassten Dokumente unter eine allgemeine Vertraulichkeitsvermutung fallen würden. Insbesondere seien die Schriftwechsel zwischen der Kommission und den niederländischen Wettbewerbsbehörden nicht Teil der Verwaltungsakte in der Bitumen-Sache, und die Kommission habe die Gründe, weshalb die konkret angeforderten Dokumente nicht verbreitet werden könnten, nicht angeführt.

15      Im Rahmen des ersten Klagegrundes macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Kommission habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, ein Bestandsverzeichnis der angeforderten Dokumente vorzulegen und habe dies nicht angemessen begründet. Zur Stützung ihres Vorbringens beruft sich die Klägerin auf das Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission (T‑701/18, EU:T:2020:224), wonach die Kommission zur Vorlage eines Bestandsverzeichnisses verpflichtet sei. Dieses Verzeichnis würde es nach Ansicht der Klägerin ermöglichen, die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit zu widerlegen.

16      Die Kommission bestreitet das Vorbringen der Klägerin.

17      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich zwar der zweite Klagegrund ausdrücklich nur auf die Anträge GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 beschränkt, aber auch die Argumentation der Klägerin zum ersten Klagegrund ausschließlich auf den Austausch zwischen der Kommission und den niederländischen Behörden abzielt, der den Gegenstand dieser Anträge bildet. Da sich das Vorbringen der Klägerin somit weder unmittelbar noch mittelbar auf die in dem angefochtenen Beschluss enthaltene Antwort der Kommission auf die Anträge GESTDEM 2021/4205, GESTDEM 2021/4206 und GESTDEM 2021/4207 bezieht, ist festzuhalten, dass der Gegenstand der Klage auf die von der Kommission in dem angefochtenen Beschluss auf die Anträge GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 gegebene Antwort beschränkt ist.

 Einleitende Bemerkungen

18      Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1049/2001 ermöglicht Transparenz, den Unionsorganen eine größere Legitimität, Effizienz und Verantwortung gegenüber den Unionsbürgern in einem demokratischen System zu verleihen. Zu diesem Zweck sieht Art. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vor, dass diese Verordnung der Öffentlichkeit ein Recht auf größtmöglichen Zugang zu den Dokumenten der Unionsorgane gewähren soll (vgl. Urteil vom 22. Januar 2020, MSD Animal Health Innovation und Intervet international/EMA, C‑178/18 P, EU:C:2020:24, Rn. 50 und 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Aus Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001, der insoweit eine Ausnahmeregelung enthält, ergibt sich, dass dieses Zugangsrecht jedoch bestimmten Schranken aus Gründen des öffentlichen oder privaten Interesses unterliegt. Da solche Ausnahmen vom Grundsatz des größtmöglichen Zugangs der Öffentlichkeit zu Dokumenten abweichen, sind sie eng auszulegen und anzuwenden (vgl. Urteil vom 22. Januar 2020, MSD Animal Health Innovation und Intervet international/EMA, C‑178/18 P, EU:C:2020:24, Rn. 52 und 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Organ, eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Union, bei dem bzw. der der Zugang zu einem Dokument beantragt wurde, wenn es bzw. sie beschließt, diesen Antrag auf der Grundlage einer der Ausnahmen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 abzulehnen, grundsätzlich erläutern muss, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das Interesse, das durch diese Ausnahme geschützt wird, konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte, wobei die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung bei vernünftiger Betrachtung absehbar sein muss und nicht rein hypothetisch sein darf (vgl. Urteil vom 22. Januar 2020, MSD Animal Health Innovation und Intervet international/EMA, C‑178/18 P, EU:C:2020:24, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Der Gerichtshof hat jedoch anerkannt, dass es dem betreffenden Organ bzw. der betreffenden Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union freisteht, sich hierbei auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten, da für Anträge auf Verbreitung von Dokumenten gleicher Art vergleichbare allgemeine Erwägungen gelten können (vgl. Urteil vom 22. Januar 2020, MSD Animal Health Innovation und Intervet international/EMA, C‑178/18 P, EU:C:2020:24, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Der Zweck solcher allgemeiner Vermutungen besteht darin, dem betreffenden Organ bzw. der betreffenden Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union die Möglichkeit zu geben, sich unter Berufung auf solche allgemeinen Erwägungen auf den Standpunkt zu stellen, dass die Verbreitung bestimmter Kategorien von Dokumenten grundsätzlich das Interesse beeinträchtigt, das durch die von ihm geltend gemachte Ausnahme geschützt wird, ohne dass es bzw. sie verpflichtet wäre, jedes der angeforderten Dokumente konkret und individuell zu prüfen (vgl. Urteil vom 22. Januar 2020, MSD Animal Health Innovation und Intervet international/EMA, C‑178/18 P, EU:C:2020:24, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Allgemeine Vermutungen sind, da sie eine Ausnahme von der Verpflichtung des betreffenden Unionsorgans, jedes Dokument, auf das sich ein Zugangsantrag bezieht, konkret und individuell zu prüfen, und ganz allgemein von dem Grundsatz des größtmöglichen Zugangs der Öffentlichkeit zu im Besitz der Unionsorgane befindlichen Dokumenten darstellen, eng auszulegen und anzuwenden (Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 80).

24      Das Bestehen einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit schließt nicht die Möglichkeit aus, diese Vermutung für ein bestimmtes Dokument, um dessen Verbreitung ersucht wird, zu widerlegen oder ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung dieses Dokuments gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 nachzuweisen (Urteil vom 28. Juni 2012, Kommission/Éditions Odile Jacob, C‑404/10 P, EU:C:2012:393, Rn. 126).

25      Der Gerichtshof hat allgemeine Vertraulichkeitsvermutungen für fünf Dokumentkategorien anerkannt: erstens in der Verwaltungsakte eines Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen enthaltene Dokumente, zweitens bei den Unionsgerichten in einem anhängigen Verfahren eingereichte Schriftsätze, drittens Schriftverkehr zwischen der Kommission und den Anmeldern oder Dritten in einem Verfahren zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, viertens Dokumente betreffend das Vorverfahren in einer Vertragsverletzungssache einschließlich des Schriftverkehrs zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat in einem EU-Pilotverfahren und fünftens Dokumente betreffend ein Verfahren nach Art. 101 AEUV. In allen diesen Fällen betraf die Zugangsverweigerung eine Gesamtheit von Dokumenten, die durch ihre gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Akte in einem anhängigen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren klar abgegrenzt waren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 81).

26      Insbesondere hat der Gerichtshof in Bezug auf Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln entschieden, dass eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit bei einem Antrag auf Zugang zu einer ganzen Reihe von Dokumenten der Akte eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW, C‑365/12 P, EU:C:2014:112, Rn. 81).

27      Hierzu hat der Gerichtshof festgestellt, dass ein verallgemeinerter Zugang zu den Dokumenten der Akte eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1049/2001 geeignet wäre, das Gleichgewicht zu bedrohen, das der Unionsgesetzgeber in der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) und in der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101] und [102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) gewährleisten wollte, nämlich das Gleichgewicht zwischen einerseits der Verpflichtung der betroffenen Unternehmen zur Übermittlung gegebenenfalls sensibler geschäftlicher Informationen an die Kommission, damit diese das Bestehen eines Kartells feststellen und dessen Vereinbarkeit mit dieser Bestimmung beurteilen kann, und andererseits der Verbürgung eines verstärkten Schutzes der so der Kommission übermittelten Informationen im Rahmen des Berufsgeheimnisses und des Geschäftsgeheimnisses (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW, C‑365/12 P, EU:C:2014:112, Rn. 90).

28      Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass die Kommission für die Zwecke der Anwendung der Ausnahmen von Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 ohne konkrete und individuelle Prüfung jedes einzelnen Dokuments der Akte eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV zu der Annahme berechtigt war, dass die Verbreitung dieser Dokumente grundsätzlich den Schutz der geschäftlichen Interessen der an einem solchen Verfahren beteiligten Unternehmen und den Schutz des Zwecks der Untersuchungstätigkeiten im Zusammenhang mit diesem Verfahren beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW, C‑365/12 P, EU:C:2014:112, Rn. 93).

29      Die von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe sind anhand dieser Grundsätze zu prüfen.

 Zur Verletzung der Begründungspflicht

30      Was die Begründung des angefochtenen Beschlusses betrifft, ist daran zu erinnern, dass die nach Art. 296 AEUV und Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erforderliche Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (Urteil vom 25. November 2020, Bronckers/Kommission, T‑166/19, EU:T:2020:557, Rn. 22).

31      Im vorliegenden Fall hat die Kommission, wie oben aus Rn. 7 hervorgeht, in dem angefochtenen Beschluss jedoch zunächst die angeforderten Dokumente identifiziert und sodann der Klägerin erläutert, dass die Dokumente Teil der Verwaltungsakte eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV seien. Schließlich führte die Kommission aus, die Prüfung der Anträge habe ergeben, dass die angeforderten Dokumente unter die Ausnahmeregelung nach Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 und unter die im Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW (C‑365/12 P, EU:C:2014:112), aufgestellte allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit fallen würden.

32      Daraus folgt, dass der angefochtene Beschluss eine hinreichende Begründung im Sinne der oben in Rn. 30 angeführten Rechtsprechung enthält, da er die betreffenden Dokumente identifiziert und die Gründe anführt, weshalb die Kommission den Zugang nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 unter Anwendung einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit verweigert hat. Das Vorbringen der Klägerin, die Begründung sei unzureichend, ist daher zurückzuweisen, ohne dass über seine von der Kommission bestrittene Zulässigkeit entschieden zu werden braucht.

 Zur Anwendbarkeit der von der Kommission geltend gemachten allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit

33      Hinsichtlich der Frage, ob die von den Anträgen GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 betroffenen Dokumente in den Anwendungsbereich der von der Kommission angewandten allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit fallen, ist festzuhalten, dass diese Dokumente, wie sich aus den Anträgen der Klägerin und dem angefochtenen Beschluss ergibt, Schriftwechsel zwischen der Kommission und der niederländischen Wettbewerbsbehörde (oder anderen niederländischen Behörden) enthalten, die im Rahmen der Untersuchung geführt wurden, auf deren Grundlage die endgültige Entscheidung vom 13. September 2006 in der Bitumen-Sache erlassen wurde.

34      Insbesondere geht aus diesen Anträgen hervor, dass die in Rede stehenden Dokumente einen zwischen der Kommission und den niederländischen Behörden geführten Austausch über die Voruntersuchung – darunter auch über Nachprüfungen und Auskunftsersuchen – sowie über die Entscheidungsfindung in der Bitumen-Sache enthalten. Wie die Kommission in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, sind diese Dokumente Teil des Schriftwechsels, den die Kommission und die niederländischen Behörden in diesem Fall führen mussten.

35      Insoweit genügt der Hinweis, dass die Kommission nach Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Rahmen einer Untersuchung im Hinblick auf Art. 101 AEUV eine Kopie der wichtigsten Schriftstücke übermittelt, die sie für den Erlass einer Entscheidung zusammengetragen hat. Nach Art. 12 Abs. 1 dieser Verordnung kann sie mit den nationalen Wettbewerbsbehörden zudem sämtliche Informationen austauschen. Schließlich unterrichtet sie nach Art. 20 Abs. 3 der Verordnung die Wettbewerbsbehörde des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet eine Nachprüfung vorgenommen werden soll.

36      Daher stellen die hier von der Klägerin angeforderten Schriftstücke, die den bei der Untersuchung zur Bitumen-Sache durchgeführten Austausch betreffen, in dem die Kommission und die niederländischen Wettbewerbsbehörden über die Nachprüfungen, Auskunftsersuchen, Neuerungen und die Entscheidungsfindung in dieser Sache standen, Dokumente dar, die offensichtlich zu einem Verfahren nach Art. 101 AEUV gehören und daher ihrer Art nach Teil der Verwaltungsakte der Kommission in dieser Sache sind.

37      Dazu geht nämlich aus Art. 27 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 hervor, dass die Korrespondenz zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten oder zwischen den Letztgenannten, die im Rahmen einer im Hinblick auf die Anwendung von Art. 101 AEUV durchgeführten Untersuchung der Kommission geführt wurde, einschließlich der gemäß den Art. 11 und 14 dieser Verordnung erstellten Dokumente, unter die internen Schriftstücke einzureihen ist, die in der Akte der Kommission enthalten sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW, C‑365/12 P, EU:C:2014:112, Rn. 86). Im Übrigen ergibt sich aus den Ziff. 1 und 15 der Mitteilung der Kommission über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten in Fällen einer Anwendung der Artikel [101] und [102 AEUV], Artikel 53, 54 und 57 des EWR-Abkommens und der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 (ABl. 2005, C 325, S. 7), dass der im Rahmen von Ermittlungen geführte Schriftverkehr zwischen der Kommission und anderen Behörden, z. B. mit Wettbewerbsbehörden oder anderen Behörden der Mitgliedstaaten zu den internen, nicht einsehbaren Schriftstücken zählt, die einen Teil der Akte der Kommission bilden.

38      Wie oben in Rn. 26 ausgeführt, hat der Gerichtshof im Rahmen der Anwendung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1049/2001 jedoch das Bestehen einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit für Dokumente in einer Akte eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV anerkannt, zu denen auch die Kommunikation zwischen der Kommission und den nationalen Behörden gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW, C‑365/12 P, EU:C:2014:112, Rn. 16 und 81).

39      Nach alledem hat die Kommission im vorliegenden Fall zu Recht eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit nach Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 geltend gemacht, wonach die Verbreitung der Dokumente der Verwaltungsakte in der Bitumen-Sache einerseits den Schutz des Zwecks von Inspektions‑, Untersuchungs- und Audittätigkeiten und andererseits den Schutz geschäftlicher Interessen grundsätzlich beeinträchtigten.

40      Diese Schlussfolgerung wird durch das Vorbringen der Klägerin nicht in Frage gestellt.

41      Wie oben in Rn. 24 ausgeführt, schließt die Anwendung einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit zwar nicht nur das Recht aus, diese Vermutung für ein bestimmtes Dokument, um dessen Verbreitung ersucht wird, zu widerlegen, sondern auch, ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung dieses Dokuments nachzuweisen.

42      Zur Widerlegung der allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung für die angeforderten Dokumente macht die Klägerin jedoch zum einen im Wesentlichen geltend, dass die Kommunikation zwischen der Kommission und den niederländischen Behörden kein Teil der Akte in der Bitumen-Sache sei. Insoweit genügt jedoch die Feststellung, dass die Klägerin nicht Zugang zu irgendeiner Kommunikation zwischen der Kommission und den niederländischen Behörden beantragt hat, sondern gerade und ausschließlich zu Schriftwechseln, die zur Bitumen-Sache gehören.

43      Außerdem ist daran zu erinnern, dass die Klägerin Adressatin der Entscheidung der Kommission in der Bitumen-Sache war und dass sie in ihrer Eigenschaft als Verfahrenspartei über ein spezifisches und nach dem 32. Erwägungsgrund und Art. 27 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 773/2004 beschränktes Zugangsrecht verfügte. Es würde dem Sinn der Verordnungen Nrn. 1/2003 und 773/2004 widersprechen, wenn ein Antragsteller die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1049/2001 zur Umgehung der Vertraulichkeitsregeln nutzt, die durch die vorgenannten Verordnungen aufgestellt werden, um in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV als vertraulich geltende Dokumente zu erhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW, C‑365/12 P, EU:C:2014:112, Rn. 88).

44      Zum anderen genügt der Hinweis, dass die Klägerin nichts zum Nachweis eines überwiegenden öffentlichen Interesses vorgetragen hat. Sie macht lediglich geltend, ihre Anträge auf Zugang seien aufgrund von Forderungen gerechtfertigt, die von mittelbaren und unmittelbaren Kunden gegen sie erhoben worden seien; jedoch weist sie das Bestehen dieser Forderungen nicht nach. Zwar stellt das Bestehen der Verfahrensrechte an sich ein allgemeines Interesse dar. Da diese Rechte im vorliegenden Fall jedoch in dem subjektiven Interesse der Klägerin an ihrer Verteidigung im Rahmen von Entschädigungsverfahren zum Ausdruck kommen, ist das von der Klägerin geltend gemachte Interesse kein allgemeines, sondern ein privates Interesse (Urteil vom 6. Juli 2006, Franchet und Byk/Kommission, T‑391/03 und T‑70/04, EU:T:2006:190, Rn. 138).

 Zu den Modalitäten der Anwendung der von der Kommission geltend gemachten allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung

45      Was die Frage betrifft, ob die Kommission gegen die sich aus dem Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission (T‑701/18, EU:T:2020:224), ergebenden Verpflichtungen verstoßen hat, ist daran zu erinnern, dass nach diesem Urteil ein Organ, wenn es der Auffassung ist, dass eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit gilt, insoweit allgemein auf einen Zugangsantrag antworten kann, als diese Vermutung es von der Verpflichtung befreit, zu erläutern, inwiefern der Zugang zu einem von diesem Antrag erfassten Dokument das geschützte Interesse konkret beeinträchtigt. Die Anwendung einer Vertraulichkeitsvermutung kann jedoch nicht dahin ausgelegt werden, dass sie es dem Organ erlaubt, allgemein zu antworten, dass alle vom Zugangsantrag erfassten Dokumente zu einer Akte gehören, für die eine allgemeine Vertraulichkeitsvermutung gilt, ohne dass es verpflichtet wäre, diese Dokumente zu identifizieren oder ein Verzeichnis von ihnen zu erstellen. Es ist nämlich davon auszugehen, dass das Organ erst dann, wenn es ermittelt hat, welche Dokumente vom Zugangsantrag erfasst sind, diese aufgrund ihrer gemeinsamen Merkmale, ihrer Art oder ihrer Zugehörigkeit zu derselben Akte in Kategorien einteilen und dann eine allgemeine Vertraulichkeitsvermutung auf sie anwenden kann. Ohne diese Identifizierung wäre die Vertraulichkeitsvermutung unwiderleglich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 2020, Campbel/Kommission, T‑701/18, EU:T:2020:224, Rn. 40, 41, 45 und 46).

46      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Zugangsantrag des Klägers in der dem Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission (T‑701/18, EU:T:2020:224), zugrunde liegenden Rechtssache „alle Dokumente betreffend die Frage, ob Irland seine Verpflichtungen aufgrund [mehrerer] Rahmenbeschlüsse eingehalten hat oder nicht“, betroffen hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission, T‑701/18, EU:T:2020:224, Rn. 59). Der Zugangsantrag des Klägers war somit allgemein und abstrakt formuliert sowie auf alle Dokumente gerichtet, die im Besitz der Kommission waren. Das Gericht stellte daher fest, dass die Kommission zu Unrecht angenommen hatte, dass sich dieser Zugangsantrag nur auf die Dokumente im Zusammenhang mit dem Verfahren bezogen habe, mit dem festgestellt werden sollte, dass Irland die in Rede stehenden Rahmenbeschlüsse nicht umgesetzt habe.

47      In ihrer Antwort auf den Zweitantrag in der dem Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission (T‑701/18, EU:T:2020:224), zugrunde liegenden Rechtssache beschränkte sich die Kommission zudem auf die Feststellung, dass die Dokumente, die als dem Antrag des Klägers entsprechend identifiziert wurden, „einen Austausch zwischen [ihren] Dienststellen … und Irland … [über] drei EU-Pilotverfahren [enthalten]“. Nach Auffassung des Gerichts konnte der Kläger anhand dieser Formulierung zum einen weder beurteilen, ob es andere Dokumente gab, die von seinem Antrag hätten erfasst sein können, noch, ob sich alle von diesem Antrag erfassten Dokumente auf die in Rede stehenden EU-Pilotverfahren bezogen (Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission, T‑701/18, EU:T:2020:224, Rn. 56). Zum anderen deutete die von der Kommission verwendete Formulierung darauf hin, dass sie sich bei der Prüfung des Zweitantrags des Klägers auf die Feststellung beschränkt hatte, dass EU-Pilotverfahren zur Umsetzung der in Rede stehenden Rahmenbeschlüsse durch Irland eröffnet worden seien, und daraus geschlossen hatte, dass eine Vertraulichkeitsvermutung gelte. Das Gericht befand jedoch, dass eine solche Antwort der Kommission nicht für den Nachweis genügte, dass sie zuvor eine konkrete Prüfung des Antrags des Klägers vorgenommen hatte oder die vom Zugangsantrag erfassten Dokumente tatsächlich identifiziert hatte (vgl. Rn. 57 des genannten Urteils).

48      In diesem Zusammenhang gelangte das Gericht zu dem Ergebnis, dass die von der Kommission in ihrer Antwort verwendete Formulierung nicht ausreichte, um die vom Zugangsantrag des Klägers erfassten Dokumente identifizieren zu können, und dieser daher nicht in der Lage gewesen sei, die von der Kommission geltend gemachte Vertraulichkeitsvermutung zu widerlegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission, T‑701/18, EU:T:2020:224, Rn. 58 und 65).

49      Im vorliegenden Fall dagegen beziehen sich die Anträge GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 auf Dokumente, die von der Klägerin wie oben wiedergegeben definiert wurden (siehe Rn. 4 erster und zweiter Gedankenstrich). Aus diesen Anträgen geht jedoch hervor, dass die Klägerin Zugang zu einer bestimmten Art von Dokumenten (nämlich Schriftwechsel zwischen der Kommission und den niederländischen Behörden) beantragt hat, und zwar im Hinblick auf ein genau bezeichnetes Verfahren nach Art. 101 AEUV (Bitumen-Sache), wohingegen der Zugangsantrag in der dem Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission (T‑701/18, EU:T:2020:224), zugrunde liegenden Rechtssache weder eine bestimmte Art von Dokumenten noch ein konkretes Verfahren betraf, sondern alle Dokumente betreffend die Frage, ob ein Mitgliedstaat bestimmte Rahmenbeschlüsse des Rates eingehalten hatte.

50      Zudem hat die Kommission in dem angefochtenen Beschluss die Dokumente zu den Anträgen GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 gemeinsam identifiziert und in ihrer Beurteilung festgestellt, dass es sich um einen Austausch mit dem niederländischen Staat im Rahmen der Bitumen-Sache gehandelt habe, der sowohl die Dokumente, die sie nach der Verordnung Nr. 1/2003 mit den nationalen Wettbewerbsbehörden austauschen musste, als auch den direkten Schriftwechsel mit der niederländischen Wettbewerbsbehörde umfasst habe und dass diese Dokumente an sich Teil der Akte der Bitumen-Sache seien und unter die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit fallen würden, die im Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW (C‑365/12 P, EU:C:2014:112), aufgestellt worden sei. Die Kommission hat auch die Grundzüge der allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung und deren Anwendung auf den vorliegenden Fall dargelegt.

51      Die Klägerin bestreitet im Übrigen nicht, dass die Kommission bei der konkreten Prüfung ihrer Zugangsanträge die von den Anträgen GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 betroffenen Dokumente korrekt identifiziert hat, sondern macht lediglich geltend, die Kommission hätte ein Bestandsverzeichnis oder eine Liste dieser Dokumente vorlegen müssen.

52      Zum letztgenannten Punkt ist jedoch entgegen den Ausführungen der Klägerin festzuhalten, dass sich aus dem Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission (T‑701/18, EU:T:2020:224), keine Verpflichtung des Organs, der Einrichtung oder der sonstigen Stelle der Union ableiten lässt, bei der Beantwortung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten, wenn es bzw. sie dabei eine allgemeine Vertraulichkeitsvermutung anwendet, dem Antragsteller in jedem Fall ein Verzeichnis der unter diese Vermutung fallenden Dokumente zur Verfügung zu stellen. Vielmehr ist, wie oben aus Rn. 45 hervorgeht, die Vorlage eines solchen Verzeichnisses nur eines der möglichen Mittel, die angeforderten Dokumente zu identifizieren, damit der Antragsteller die Möglichkeit hat, die Anwendung dieser Vermutung zu widerlegen.

53      In diesem Zusammenhang stellt das Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission (T‑701/18, EU:T:2020:224), klar, dass die Vorlage eines Verzeichnisses der von der allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung erfassten Dokumente nicht erforderlich ist, wenn die betreffenden Dokumente, zumindest ihrer Art nach, bereits aus dem Zugangsantrag hervorgehen und der Antragsteller grundsätzlich die Möglichkeit hat, geltend zu machen, dass ein Dokument von der Anwendung der allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung nicht erfasst sei (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission, T‑701/18, EU:T:2020:224, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Dies ist hier der Fall, da die Anträge GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 sowie der angefochtene Beschluss die betroffenen Dokumente identifizieren, und zwar sowohl im Hinblick auf ihre Art als auch hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu der Akte eines bestimmten Verfahrens nach Art. 101 AEUV.

55      Im Übrigen hat die Klägerin im Verfahren vor dem Gericht nicht dargelegt, inwiefern die unterbliebene Übermittlung eines Verzeichnisses der fraglichen Dokumente sie daran gehindert habe, die von der Kommission angewandte allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit zu widerlegen, obwohl sie Partei des von der Kommission in der Bitumen-Sache eingeleiteten Verfahrens war. Sie war nämlich Adressatin der von der Kommission in der Bitumen-Sache erlassenen endgültigen Entscheidung und folglich an dem Verwaltungsverfahren beteiligt, das zum Erlass dieser Entscheidung geführt hatte. Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass der Umstand, dass es schwierig ist, den zur Widerlegung einer Vermutung erforderlichen Gegenbeweis zu erbringen, als solcher nicht bedeutet, dass die Vermutung tatsächlich unwiderlegbar wäre (vgl. Urteil vom 13. März 2019, AlzChem/Kommission, C‑666/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:196, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit ist festzustellen, dass die Klägerin grundsätzlich in der Lage war, die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit zu widerlegen, auch wenn die Kommission kein abschließendes Verzeichnis der betroffenen Dokumente übermittelt hatte.

56      Dagegen geht aus dem Vorbringen in der Klageschrift zum ersten Klagegrund hervor, dass das Verzeichnis der Dokumente im Sinne des Urteils vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission, (T‑701/18, EU:T:2020:224), von der Klägerin nicht angefordert wurde, um allenfalls die Geltung der von der Kommission angewandten allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung zu widerlegen. Nach dem Vorbringen der Klägerin hätte es ihr dieses Verzeichnis nämlich ermöglicht, zu erfahren, „ob und gegebenenfalls wann und auf welchen Ebenen der Staat Kontakt mit der Kommission hat[te]“, um „sämtliche Umstände, unter denen die Forderungen [ihrer Kunden wegen der angeblich durch die Zuwiderhandlung verursachten Schäden] erhoben werden, genau und vollständig zu erfassen“; dies entspricht nicht der Logik, auf der die vom Gericht im Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission (T‑701/18, EU:T:2020:224), festgestellte Verpflichtung zur Identifizierung der betroffenen Dokumente beruht.

57      Folglich reichte der Umstand, dass die Dokumente, deren Verbreitung beantragt worden war, derselben Art angehörten und Teil der Verwaltungsakte eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV waren, im vorliegenden Fall aus, um die allgemeine Vertraulichkeitsvermutung für die ein solches Verfahren betreffenden Dokumente gelten zu lassen, ohne dass die Kommission verpflichtet war, der Klägerin ein Verzeichnis dieser Dokumente zur Verfügung zu stellen.

58      Im Übrigen beruht das Vorbringen der Klägerin, soweit es dahin zu verstehen ist, dass sie in ihren Anträgen GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 Zugang zu einem Bestandsverzeichnis des Austauschs zwischen der Kommission und den niederländischen Behörden beantragt habe, erstens auf falschen Prämissen und ist zurückzuweisen.

59      Zum einen ergibt sich nämlich aus dem Wortlaut der Anträge GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 (siehe oben, Rn. 4) nicht, dass die Klägerin ein Bestandsverzeichnis der Schriftstücke in der Akte der Bitumen-Sache und insbesondere des Austauschs zwischen der Kommission und den niederländischen Behörden an sich beantragt hat.

60      Zum anderen bezog sich die Klägerin in ihrem Zweitantrag, in welchem sie das fehlende Bestandsverzeichnis der angeforderten Dokumente rügte, auf den angeblichen Verstoß, den die Kommission gegen ihre sich aus dem Urteil vom 28. Mai 2020, Campbell/Kommission, (T‑701/18, EU:T:2020:224), ergebende Verpflichtung begangen habe, ein Bestandsverzeichnis der unter die allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit fallenden Dokumente vorzulegen, nicht aber auf ein Dokument, das an sich von den Anträgen der Klägerin GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 erfasst gewesen wäre.

61      Zweitens, da die Kommission nicht dazu verpflichtet war, ein Verzeichnis der Dokumente vorzulegen, auf die sich die Anträge GESTDEM 2021/4203 und GESTDEM 2021/4204 beziehen, ist die – nach Ansicht der Kommission vom Gericht wegen Unzulässigkeit zurückzuweisende – Rüge der Klägerin, die Verweigerung der Vorlage eines solchen Verzeichnisses sei unzureichend begründet, ebenfalls zurückzuweisen, ohne dass über ihre Zulässigkeit entschieden zu werden braucht.

62      Nach alledem sind der erste und der zweite Klagegrund in vollem Umfang zurückzuweisen, so dass die Klage insgesamt abzuweisen ist.

 Kosten

63      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

64      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die TotalEnergies Marketing Nederland NV trägt die Kosten.

Papasavvas

Marcoulli

Norkus

Valasidis

 

      Spangsberg Grønfeldt            

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Oktober 2024.

Unterschriften



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