T-276/16 – Viridis Pharmaceutical / EUIPO – Hecht-Pharma (Boswelan)
Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)
15. September 2017(*)
„Unionsmarke – Verfallsverfahren – Unionswortmarke Boswelan – Erklärung des Verfalls – Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Keine ernsthafte Benutzung der Marke – Fehlen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung“
In der Rechtssache T‑276/16
Viridis Pharmaceutical Ltd mit Sitz in Tortola, Britische Jungferninseln (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Spintig und S. Pietzcker sowie Rechtsanwältin M. Prasse,
Klägerin,
gegen
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch S. Hanne als Bevollmächtigten,
Beklagter,
andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:
Hecht-Pharma GmbH mit Sitz in Hollnseth (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin C. Sachs und Rechtsanwalt J. Sachs,
betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des EUIPO vom 29. Februar 2016 (Sache R 2837/2014‑5) zu einem Verfallsverfahren zwischen Hecht-Pharma und Viridis Pharmaceutical
erlässt
DAS GERICHT (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek, des Richters F. Schalin (Berichterstatter) und der Richterin M. J. Costeira,
Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,
aufgrund der am 30. Mai 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,
aufgrund der am 4. Juli 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,
aufgrund der am 15. August 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2017
folgendes
Urteil
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1 Am 30. September 2003 meldete die Pharmasan GmbH Freiburg, die Rechtsvorgängerin der Klägerin, der Viridis Pharmaceutical Ltd, gemäß der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke an.
2 Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das Wortzeichen Boswelan.
3 Die Marke wurde für folgende Waren der Klasse 5 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet: „Pharmazeutische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege“.
4 Die Anmeldung der Unionsmarke wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 31/2004 vom 2. August 2004 veröffentlicht, und die Marke wurde am 24. April 2007 eingetragen.
5 Am 18. November 2013 stellte die Streithelferin, die Hecht-Pharma GmbH, einen Antrag auf Erklärung des Verfalls der fraglichen Marke für alle eingetragenen Waren gemäß Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009. Sie machte geltend, die Marke sei innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren vor der Stellung ihres Antrags nicht ernsthaft benutzt worden.
6 Die Klägerin reichte aber nur in Bezug auf die Kategorie der Medikamente für die Behandlung von Multipler Sklerose Unterlagen zum Nachweis der Benutzung der angegriffenen Marke ein bzw. machte Gründe für ihre Nichtbenutzung geltend, und nicht für die allgemeinere Kategorie der pharmazeutischen Erzeugnisse und Präparate für die Gesundheitspflege.
7 Mit Entscheidung vom 26. September 2014 erklärte die Löschungsabteilung des EUIPO die Marke der Klägerin hinsichtlich aller eingetragenen Waren für verfallen.
8 Am 6. November 2014 legte die Klägerin gegen die Entscheidung der Löschungsabteilung bei der Beschwerdekammer des EUIPO eine Beschwerde nach den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 ein.
9 Mit Entscheidung vom 29. Februar 2016 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Fünfte Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück.
10 Die Beschwerdekammer führte erstens aus, die von der Klägerin eingereichten Unterlagen seien nicht zum Nachweis dafür geeignet, dass die angegriffene Marke in der Europäischen Union innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren vor der Stellung des Antrags auf Erklärung des Verfalls für die mit ihr gekennzeichneten Waren ernsthaft benutzt worden sei. Diese Unterlagen bezögen sich nämlich auf rein interne, im konkreten Fall eine klinische Prüfung betreffende Handlungen, die weit vor der Vermarktung des Produkts lägen und außerhalb des Wettbewerbs stattfänden. Es seien keine nach außen gerichteten und im Zusammenhang mit der Vermarktung oder Bewerbung des fraglichen Produkts stehenden Handlungen. Sie stellten auch weder eine direkte Vorbereitungshandlung dar noch eine Handlung, die zu einer unmittelbar bevorstehenden Markteinführung beitrage.
11 Zweitens sah die Beschwerdekammer, unter Bezugnahme insbesondere auf die Bestimmung des Begriffs des berechtigten Grundes im Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) vom 15. April 1994 (ABl. 1994, L 336, S. 214, im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen) in Anhang 1C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) (ABl. 1994, L 336, S. 3), im vorliegenden Fall in der Durchführung einer klinischen Studie allein keinen vom Willen der Klägerin unabhängigen Grund, der zur Nichtbenutzung der angegriffenen Marke berechtigen würde. Die Länge einer klinischen Studie hänge nämlich von den finanziellen Mitteln ab, die der Markeninhaber einsetzen wolle, wobei dieser Umstand nicht zu den von seinem Willen unabhängigen Hindernissen zähle. Erst ab dem Zeitpunkt der Antragstellung für das behördliche Zulassungsverfahren könne angenommen werden, dass die Verantwortung für die Dauer des Verfahrens einer externen Behörde übertragen worden sei. Vor der Stellung eines solchen Antrags erscheine der Schutz, den die Verordnung Nr. 207/2009 Unionsmarken gewähre, nicht notwendig. Entscheide sich ein Pharmaunternehmen gleichwohl dafür, eine Unionsmarke viele Jahre vor der Stellung eines solchen Antrags anzumelden, fielen Verzögerungen bei der klinischen Studie in seinen Verantwortungsbereich.
Anträge der Parteien
12 Die Klägerin beantragt,
– die angefochtene Entscheidung aufzuheben, soweit die Fünfte Beschwerdekammer des EUIPO ihre Beschwerde gegen die Entscheidung der Löschungsabteilung vom 26. September 2014, mit der ihre Marke in Bezug auf Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose für verfallen erklärt wurde, zurückgewiesen hat;
– dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.
13 Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
Zum Streitgegenstand
14 In ihrer Klageschrift stellt die Klägerin klar, dass sie die angefochtene Entscheidung nur insoweit angreife, als die gegen die Entscheidung der Löschungsabteilung eingelegte Beschwerde für Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose in Klasse 5 zurückgewiesen worden sei. Diese Beschränkung des Streitgegenstands sei ein zulässiger Antrag auf Teilaufhebung der angefochtenen Entscheidung.
15 Das EUIPO trägt vor, der Antrag auf Beschränkung des Streitgegenstands sei zulässig, soweit er einen Antrag auf Teilaufhebung der angefochtenen Entscheidung darstelle, da die Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose unter die weitere Kategorie der „pharmazeutischen Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege“ fielen. Soweit der Antrag der Klägerin auf die Feststellung einer rechtserhaltenden Benutzung ihrer Marke für Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose abziele, liege er jedoch nicht mehr in der Kompetenz des Gerichts und sei für unzulässig zu erklären, weil er voraussetze, dass das Gericht die Faktoren einer rechtserhaltenden Benutzung in Bezug auf die Waren nach Beschränkung des Streitgegenstands erstmals prüfe, da die Beschwerdekammer keine solche Prüfung vorgenommen habe.
16 Im vorliegenden Fall beantragt die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung lediglich insoweit, als diese den Verfall der angegriffenen Marke für Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose festgestellt hat, die in der allgemeineren Kategorie der pharmazeutischen Erzeugnisse und der Präparate für die Gesundheitspflege enthalten sind. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Klägerin das Ergebnis, zu dem die Beschwerdekammer in den Rn. 42 und 43 der angefochtenen Entscheidung gekommen ist, insoweit nicht angreift, als damit der Verfall der angegriffenen Marke für alle weiteren in der Anmeldung genannten Waren bestätigt wird. Die vorzunehmende Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung wird sich demzufolge ausschließlich auf ihre Begründung und ihre Schlussfolgerungen zum Verfall der angegriffenen Marke für Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose beziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2017, Labeyrie/EUIPO – Delpeyrat [Darstellung eines Musters aus hellen Fischen auf dunklem Hintergrund], T‑767/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:122, Rn. 13), unter Ausschluss rechtlicher oder tatsächlicher Gesichtspunkte oder Umstände, die von der Beschwerdekammer nicht geprüft wurden.
Zur Begründetheit
17 Die Klägerin stützt sich auf drei Klagegründe, mit denen sie erstens die Verletzung von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 rügt, weil die Beschwerdekammer die vorgebrachten Tatsachen und Beweise zu Unrecht nicht als ausreichenden Nachweis für eine ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke in Bezug auf Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose angesehen habe, zweitens die Verletzung von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009, weil die Beschwerdekammer die vorgebrachten Tatsachen und Beweise zu Unrecht nicht als ausreichenden Nachweis für das Vorliegen eines berechtigten Grundes für die Nichtbenutzung dieser Marke in Bezug auf die genannten Arzneimittel gewertet habe, und drittens die Verletzung von Art. 83 der Verordnung Nr. 207/2009 und insbesondere des Grundsatzes des Vertrauensschutzes, weil die Beschwerdekammer von den Richtlinien für die vom Amt durchgeführte Prüfung abgewichen sei.
Zum ersten Klagegrund, mit dem die Verletzung von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 in Bezug auf den Nachweis einer ernsthaften Benutzung der angegriffenen Marke gerügt wird
18 Die Klägerin macht vorab geltend, es sei nicht widersprüchlich, sich auf eine ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke und zugleich auf das Vorliegen eines berechtigten Grundes für deren Nichtbenutzung zu berufen, denn zum einen habe sich die tatsächliche Benutzung auf Handlungen beschränkt, die vor bzw. ohne Vorliegen einer arzneimittelrechtlichen Zulassung rechtlich zulässig gewesen seien, und zum anderen sei unter dem Begriff der Nichtbenutzung nicht nur eine überhaupt nicht erfolgte Benutzung zu verstehen, sondern auch eine aus Rechtsgründen nicht ausreichende Benutzung.
19 Die Beschwerdekammer habe einen Beurteilungsfehler begangen, indem sie zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Benutzungshandlungen, die erwiesenermaßen stattgefunden hätten, nicht zum Nachweis einer ernsthaften Benutzung der angegriffenen Marke ausreichten, und dass es um Handlungen interner Natur gegangen sei, die außerhalb des Wettbewerbs stattgefunden hätten und zudem lange vor der Vermarktung erfolgt seien.
20 Es sei zwar richtig, dass das zur Behandlung von Multipler Sklerose bestimmte und mit der angegriffenen Marke gekennzeichnete Arzneimittel das Zulassungsverfahren nach den deutschen arzneimittelrechtlichen Vorschriften noch nicht erfolgreich durchlaufen habe und somit noch nicht am Markt für jedermann angeboten worden sei, doch sei die Marke Dritten gegenüber benutzt worden. Insoweit sei auf klinische Studien hinzuweisen, die u. a. zur Lieferung von 400 000 als Boswelan bezeichneten Kapseln an ein Universitätsklinikum, zu ihrer Inrechnungstellung durch ein als Vermittler auftretendes Drittunternehmen und zur Rekrutierung von Teilnehmern an Studien, in deren öffentlich zugänglichen Daten die angegriffene Marke genannt werde, geführt hätten. Sie habe somit die als ausreichend für die Bejahung einer ernsthaften Benutzung anzusehenden zulässigen Benutzungshandlungen vorgenommen, während jede weiter gehende Vermarktung aufgrund des arzneimittelrechtlichen Zulassungsvorbehalts in diesem Verfahrensstadium unzulässig gewesen sei.
21 Weiterhin sei die Phase der klinischen Prüfung in der Arzneimittelbranche eine vorbereitende Maßnahme, die vor dem Vertrieb an Endverbraucher durchlaufen werde müsse, so dass das Kriterium des unmittelbaren Bevorstehens der Vermarktung unter Berücksichtigung der besonderen Interessenlage dieser Branche auszulegen sei.
22 Das EUIPO macht seinerseits zur Widersprüchlichkeit der ersten beiden von der Klägerin vorgetragenen Klagegründe geltend, dies sei für die Gründe der angefochtenen Entscheidung nicht tragend gewesen; gleichwohl liege ein Widerspruch darin, sich auf das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke zu berufen und zugleich Handlungen im Zusammenhang mit einer klinischen Studie anzuführen, die eine Benutzung tragen sollten.
23 Im Übrigen werde die besondere Interessenlage der pharmazeutischen Industrie im Rahmen eines Antrags auf Erklärung des Verfalls sehr wohl berücksichtigt, weil u. a. ein arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren einen Grund für die Nichtbenutzung darstellen könne. Die Interessenlage pharmazeutischer Unternehmen könne einem untätigen Markeninhaber jedoch nicht auf unbestimmte Zeit ein rechtliches Monopol verschaffen.
24 Die Benutzungshandlungen, auf die sich die Klägerin berufe, seien nicht geeignet, den Fortbestand ihrer Rechte zu begründen. Die Verwendung für Zwecke der klinischen Studie habe nämlich weder die Vermarktung des betreffenden Arzneimittels zum Ziel gehabt noch dazu gedient, es von Konkurrenzprodukten zu unterscheiden, oder dazu, den angesprochenen Verkehrskreisen eine künftige Kaufentscheidung zu ermöglichen. Auch die Lieferung von Kapseln an ein Universitätsklinikum und die Erwähnung der angegriffenen Marke in Veröffentlichungen über die Ergebnisse der Studie könnten nicht als werbliche Handlung qualifiziert werden; im Übrigen sei eine solche Handlung bei Arzneimitteln, für deren Inverkehrbringen noch keine Genehmigung erteilt worden sei, gemäß der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) untersagt.
25 Die werblichen Handlungen, auf die sich die Klägerin berufe, stellten allenfalls Vorbereitungshandlungen dar, die nur ausnahmsweise eine rechtserhaltende Benutzung tragen könnten, weil nur tatsächlich benutzte Marken Schutz verdienten und weil die Schonfrist von fünf Jahren für Vorbereitungshandlungen ausreichend erscheine. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass der Vertrieb der betreffenden Waren nicht unmittelbar bevorgestanden habe, weil die klinische Studie noch nicht abgeschlossen gewesen sei und es noch immer nicht sei, so dass es sich erübrige, auf die bei der Beschwerdekammer eingereichten Unterlagen einzugehen, mit denen eine werbliche Vorbereitungshandlung nachgewiesen werden solle.
26 Die Streithelferin führt aus, dass die angegriffene Marke zunächst von der Rechtsvorgängerin der Klägerin als Bezeichnung eines Arzneimittels zur Behandlung von Morbus Crohn benutzt worden sei. Erst nach dem Jahr 2008 habe sich die Klägerin entschlossen, eine Zulassung für ein Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose vorzubereiten. Seit 2008 habe die Klägerin jedoch weder einen Antrag auf Zulassung gestellt noch erfolgreich eine klinische Studie im Zusammenhang mit Multipler Sklerose beendet, was bedeute, dass eine Vermarktung des Produkts in naher Zukunft überhaupt nicht möglich sei. Das Verhalten der Klägerin sei mit dem Zweck einer rechtserhaltenden Benutzung nicht vereinbar.
27 Zudem habe das Landgericht München am 22. Dezember 2015 ein rechtskräftig gewordenes – zu den Akten gegebenes – Urteil erlassen, mit dem die Klägerin verurteilt worden sei, vor dem Deutschen Patent- und Markenamt in die Löschung der deutschen Wortmarke Boswelan wegen mangelnder Benutzung und wegen des Fehlens berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung einzuwilligen.
28 Die angegriffene Marke sei nicht ernsthaft und rechtserhaltend benutzt worden, denn insbesondere sei sie nicht auf Produktverpackungen angebracht worden, sei die Lieferung von 400 000 Kapseln in der betreffenden Arzneimittelbranche verschwindend gering, sei die Benutzung nicht öffentlich erfolgt, da sie einen engen Kreis von Praktikern und Patienten im Rahmen einer „Doppelblindstudie“ betroffen habe, und sei die Werbung mangels Zulassung verboten gewesen.
29 Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 im Wesentlichen vorsieht, dass die Unionsmarke auf Antrag beim EUIPO für verfallen erklärt wird, wenn die fragliche Marke innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in der Union für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, nicht ernsthaft benutzt worden ist und keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen.
30 Eine Unionsmarke wird ernsthaft benutzt, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion – die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren – benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, unter Ausschluss symbolischer Verwendungen, die allein der Wahrung der durch die Marke verliehenen Rechte dienen (Urteil vom 11. März 2003, Ansul, C‑40/01, EU:C:2003:145, Rn. 43). Ferner wird mit der Bedingung einer ernsthaften Benutzung der Marke verlangt, dass die Marke, so wie sie in dem fraglichen Gebiet geschützt ist, öffentlich und nach außen benutzt wird (Urteil vom 10. September 2008, Boston Scientific/HABM – Terumo [CAPIO], T‑325/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:338, Rn. 29; vgl. auch entsprechend Urteil vom 11. März 2003, Ansul, C‑40/01, EU:C:2003:145, Rn. 37).
31 Die Frage, ob die Benutzung der Marke ernsthaft ist, ist anhand sämtlicher Umstände zu prüfen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwertet wird; dazu gehören insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke (vgl. Urteil vom 10. September 2008, CAPIO, T‑325/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:338, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch entsprechend Urteil vom 11. März 2003, Ansul, C‑40/01, EU:C:2003:145, Rn. 43).
32 Bezüglich des Umfangs der Benutzung der älteren Marke sind insbesondere das Handelsvolumen aller Benutzungshandlungen sowie die Länge des Zeitraums, in dem Benutzungshandlungen erfolgt sind, und die Häufigkeit dieser Handlungen zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 10. September 2008, CAPIO, T‑325/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:338, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
33 Bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit der Benutzung einer älteren Marke im konkreten Fall ist eine umfassende Beurteilung unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände dieses Einzelfalls vorzunehmen. Diese Beurteilung impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den zu berücksichtigenden Faktoren. So kann ein geringes Volumen von unter der Marke vertriebenen Waren durch eine große Häufigkeit oder zeitliche Konstanz der Benutzungshandlungen dieser Marke ausgeglichen werden und umgekehrt. Außerdem können der erzielte Umsatz und die Menge der unter einer Marke verkauften Waren nicht absolut beurteilt werden, sondern müssen im Zusammenhang mit anderen relevanten Umständen wie dem Umfang der Geschäftstätigkeit, den Produktions- oder Vertriebskapazitäten oder dem Grad der Diversifizierung des Unternehmens, das die Marke verwertet, sowie den Merkmalen der Waren oder Dienstleistungen auf dem betreffenden Markt gesehen werden. Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass die Benutzung einer Marke nicht immer umfangreich zu sein brauchte, um als ernsthaft eingestuft zu werden. Selbst eine geringfügige Benutzung kann also als ernsthaft eingestuft werden, wenn sie in dem betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen wird, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen (vgl. Urteil vom 10. September 2008, CAPIO, T‑325/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:338, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
34 Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob die Beschwerdekammer in Rn. 42 der angefochtenen Entscheidung zu Recht und in einer Linie mit der Auffassung der Löschungsabteilung festgestellt hat, dass der Nachweis der Benutzung für den in Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 genannten Zeitraum von fünf Jahren – im vorliegenden Fall ab dem am 18. November 2013 gestellten Antrag auf Erklärung des Verfalls (im Folgenden: maßgeblicher Zeitraum) – unzureichend war, um den Erhalt der Rechte der Klägerin sicherzustellen.
35 Die von der Klägerin für den Nachweis einer rechtserhaltenden Benutzung der angegriffenen Marke im maßgeblichen Zeitraum beim EUIPO vorgelegten Unterlagen werden – einschließlich der zum ersten Mal vor der Beschwerdekammer vorgelegten und von dieser für zulässig erachteten Unterlagen – in den Rn. 28 und 29 der angefochtenen Entscheidung genannt. Sie beziehen sich im Einzelnen auf die Lieferung von 400 000 Kapseln an ein Universitätsklinikum und ein Alpinia Ludanum Institute of Pharmaceutical Sciences AG genanntes Unternehmen zur Durchführung einer klinischen Studie unter dem Namen „SABA-Studie“ sowie auf die Nennung der angegriffenen Marke in einem Flyer zur Teilnehmer-Rekrutierung für diese Studie, auf Internetseiten und in wissenschaftlichen Publikationen.
36 Aus diesen Anhaltspunkten lässt sich entnehmen, dass die Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Stellung eines Antrags auf Zulassung gemäß den deutschen arzneimittelrechtlichen Regelungen vorbereitende Maßnahmen getroffen hat, nämlich die Durchführung einer klinischen Studie einschließlich bestimmter Maßnahmen, denen bezogen auf diese Studie werblicher Charakter zukommt. Allerdings war ausschließlich die Erlangung einer Zulassung von den zuständigen Behörden geeignet, eine öffentliche und nach außen gerichtete Benutzung der angegriffenen Marke im Einklang mit den oben in Rn. 30 angeführten Zielen – d. h. den Ursprung der bezeichneten Waren zu garantieren, um einen Absatzmarkt für sie zu erschließen oder zu sichern – zu ermöglichen. Die arzneimittelrechtlichen Regelungen verbieten nämlich – wie die Klägerin einräumt – die Werbung für noch nicht zugelassene Arzneimittel, so dass sie jegliche Kommunikationsmaßnahme verbieten, die auf Erschließung oder Sicherung eines Marktanteils gerichtet ist.
37 Die Beschwerdekammer hat zwar in Rn. 31 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass eine ernsthafte Benutzung einer Unionsmarke auch dann vorliegen könne, wenn die von ihr bezeichneten Waren noch nicht vertrieben würden, allerdings unter der Voraussetzung, dass ihr insbesondere im Rahmen einer Werbekampagne zur Gewinnung von Kunden vorbereiteter Vertrieb unmittelbar bevorstehe.
38 Abgesehen davon, dass feststeht, dass die Klägerin noch kein mit der angegriffenen Marke bezeichnetes Arzneimittel zur Behandlung der Multiplen Sklerose vertrieben hatte, da ein solcher Vertrieb in jedem Fall im Stadium einer klinischen Studie verboten ist, hat die Klägerin im vorliegenden Fall jedoch ebenso wenig dargetan, dass der Vertrieb eines solchen Arzneimittels unmittelbar bevorgestanden hätte. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass sich – obgleich die angegriffene Marke im April 2007 eingetragen wurde – aus den von der Klägerin im Verlauf des Verwaltungsverfahrens vorgelegten Unterlagen kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass diese Studie vor einem baldigen erfolgreichen Abschluss gestanden hätte.
39 Zu den weiteren Argumenten der Klägerin ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Benutzung der angegriffenen Marke im Rahmen einer klinischen Studie gegenüber Dritten, sei es als Verbraucher oder als Fachpublikum, weder einer Markteinführung noch einer direkten Vorbereitungshandlung gleichgestellt werden kann, da sie – wie die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt hat – außerhalb des Wettbewerbs in einem engen Teilnehmerkreis und ohne das Ziel, Marktanteile zu erschließen oder zu sichern, stattfindet, so dass sie als Benutzung interner Natur anzusehen ist. Da es sich um eine einzige Studie handelte, legt die Klägerin folglich nicht dar, dass die Lieferung von 400 000 Kapseln zur Durchführung dieser Studie in der betreffenden Arzneimittelbranche einer bedeutenden Menge entsprochen hätte und nicht – wie die Streithelferin geltend macht – einer verschwindend geringen. Schließlich hat die Beschwerdekammer die der Arzneimittelbranche eigenen Unwägbarkeiten nicht verkannt. Da die Klägerin nicht in der Lage war, sich auf andere Handlungen zu berufen als die zur fraglichen klinischen Studie zu zählenden, hat die Beschwerdekammer lediglich die von der Klägerin geltend gemachten Nutzungshandlungen im Hinblick auf die Kriterien geprüft, die ihre Einordnung als geeignet bzw. ungeeignet ermöglichen, um die von der angegriffenen Marke verliehenen Rechte zu sichern.
40 Nach alledem hat die Beschwerdekammer mit der Feststellung, dass die Klägerin die ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke im maßgeblichen Zeitraum nicht nachgewiesen habe, keinen Rechtsfehler bei der Anwendung der ersten in Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 genannten Voraussetzung begangen, so dass der erste Klagegrund unbegründet ist.
Zum zweiten Klagegrund, mit dem die Verletzung von Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 in Bezug auf den Nachweis eines berechtigten Grundes für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke gerügt wird
41 Die Klägerin macht geltend, die Beschwerdekammer habe bei der Beurteilung, ob ein berechtigter Grund für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke vorliege, einen Fehler begangen, und verweist insoweit auf den Begriff der vom Willen des Markeninhabers unabhängigen Umstände im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 des TRIPS-Übereinkommens; dazu gehörten staatliche Verkaufsverbote für Waren aus Gründen des Gesundheitsschutzes.
42 Sie habe zwar während des für die Beurteilung der Benutzung der angegriffenen Marke relevanten Zeitraums keinen Antrag auf Zulassung eines mit ihr gekennzeichneten und zur Behandlung von Multipler Sklerose bestimmten Arzneimittels gestellt, wohl aber einen Antrag auf Genehmigung einer klinischen Prüfung eines solchen Arzneimittels. Ab der Stellung eines solchen Antrags liege ein berechtigter Grund für die Nichtbenutzung vor, sofern die klinische Prüfung nach Genehmigung des Antrags ernsthaft durchgeführt werde.
43 Sie habe die ernsthafte Durchführung einer klinischen Prüfung nachgewiesen. Am 24. Oktober 2010 habe sie bei den zuständigen deutschen Behörden die Genehmigung einer klinischen Prüfung beantragt. Die Genehmigung sei am 24. März 2011 erteilt worden. Für die Teilnahme an dieser Studie, die im September/Oktober 2011 habe beginnen sollen, seien Freiwillige rekrutiert worden. Aufgrund der speziellen Anforderungen an die Auswahlkriterien der Studienteilnehmer habe deren Rekrutierung länger als ursprünglich vorgesehen gedauert. Daher sei nicht denkbar gewesen, dass die Studie vor Mitte 2013 abgeschlossen sein würde. Im Übrigen seien hohe Investitionen in das Projekt geflossen. Vor diesem Hintergrund sei die noch nicht erfolgte Markteinführung nicht auf ihren mangelnden Gestaltungswillen zurückzuführen.
44 Die Beschwerdekammer habe zudem zu Unrecht angenommen, dass nicht die klinische Prüfung, für die kein förmlicher Markenschutz notwendig sei, sondern die Markteinführung ausschlaggebend sei. Die Benutzung einer Marke sei bereits ab den klinischen Prüfungen sachgerecht, um ein Arzneimittel, insbesondere gegenüber medizinischem Personal und Probanden, bis zu seiner Markteinführung durchgängig gleich zu bezeichnen. In Abschnitt 2.11.2 („Eingriffe vom Staat oder von Gerichten“) der Richtlinien für die vom EUIPO durchgeführte Prüfung sehe das EUIPO im Übrigen vor, dass bei klinischen Prüfungen neuer Arzneimittel ein rechtfertigender Grund für die Nichtbenutzung einer Unionsmarke vorliege. Zudem habe die Löschungsabteilung des EUIPO am 22. Februar 2016 eine Entscheidung in einer anderen die Klägerin betreffenden Sache erlassen, in der sie anerkannt habe, dass die Durchführung einer klinischen Prüfung eine solche Nichtbenutzung rechtfertigen könne.
45 Das EUIPO entgegnet, für die Erfüllung der das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung betreffenden Voraussetzungen komme es darauf an, ob sie unabhängig vom Willen des Markeninhabers ein Hindernis für ihre Benutzung darstellten oder auf höherer Gewalt beruhten. Aufgrund ihres Ausnahmecharakters könnten berechtigte Gründe nicht auf bloße Vorbereitungshandlungen zur Erlangung einer Genehmigung gestützt werden, auch wenn sie mit der Initiierung und Durchführung einer klinischen Studie in Zusammenhang stünden. Die Beschwerdekammer habe zu Recht festgestellt, dass die Durchführung einer klinischen Studie einschließlich ihrer Dauer allein im Verantwortungsbereich des Pharmaunternehmens liege.
46 Die rechtlichen Voraussetzungen, die den Nachweis berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung ermöglichten, seien im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen worden. Auch die Ausführungen der Klägerin zur Höhe der von ihr getätigten Aufwendungen seien unbehelflich. Selbst wenn der Abschluss der von ihr angeführten Studie unmittelbar bevorstehen sollte, so dass sie im Endeffekt die Genehmigung für das Inverkehrbringen beantragen könnte, bedürfte es letztlich einer Verdoppelung der fünfjährigen Benutzungsschonfrist.
47 Die Klägerin habe auch nicht nachgewiesen, dass es typisch und üblich sei, bereits im Stadium der klinischen Studie eine Marke zu verwenden, wobei für eine solche Studie andere Anforderungen gälten als für den Zulassungsantrag. Wie die Streithelferin angebe, würden Arzneimittel in diesem Stadium nämlich vielmehr anhand ihres Wirkstoffs bezeichnet.
48 Bei den Richtlinien für die vom EUIPO durchgeführte Prüfung handele es sich nicht um verbindliche Rechtsakte. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sie allein klinische Prüfungen und die Zulassung neuer Arzneimittel als zwar typische, nicht aber zwingende Gründe für die Nichtbenutzung auswiesen. Die frühere Praxis der Beschwerdekammern des EUIPO könne die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in Frage stellen, weil die zu treffende Entscheidung über das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung keine Ermessensentscheidung, sondern eine gebundene Entscheidung sei.
49 Auch nach Ansicht der Streithelferin liegen keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke vor. Diese seien im Licht der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) auszulegen. Da die berechtigten Gründe zu einer Ausnahmebestimmung gehörten, seien sie eng auszulegen, und man könne sich nicht allein auf die Durchführung einer klinischen Studie stützen, denn dies würde es einem Markeninhaber ermöglichen, nach einer erfolglosen ersten Studie eine neue Studie mit einem neuen Indikationsgebiet zu beginnen, ohne dass absehbar wäre, ob tatsächlich ein Zulassungsantrag gestellt werde.
50 Entgegen dem Vorbringen der Klägerin sei es ratsam, bei klinischen Studien nicht den späteren Markennamen eines Arzneimittels zu verwenden, um zu vermeiden, dass die Marke mit dem möglichen Scheitern der Studien in Verbindung gebracht werde. Nach der Rechtsprechung dürfe nur auf einen Zulassungsantrag als berechtigten Grund für die Nichtbenutzung abgestellt werden, was mit Art. 19 des TRIPS-Übereinkommens im Einklang stehe, wonach nur Umstände, die vom Willen des Inhabers der Marke unabhängig seien, einen solchen Grund darstellen könnten. Dies schließe den Beginn und die Durchführung von Studien aus, die grundlegend vom Willen des Markeninhabers abhingen. Dieselbe Schlussfolgerung sei aus den Richtlinien für die vom EUIPO durchgeführte Prüfung zu ziehen, die zudem nicht bindend seien und nur allgemeine Anweisungen enthielten, die an die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls angepasst werden müssten.
51 Im Übrigen beziehe sich die Erste Richtlinie 89/104 nicht auf vorbereitende klinische Studien für die Zulassung eines Arzneimittels, sondern auf die klinische Prüfung von Waren aus Gründen des Gesundheitsschutzes und der nationalen Sicherheit.
52 Nach Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 können berechtigte Gründe dem Verfall einer Unionsmarke wegen Nichtbenutzung entgegenstehen.
53 In Art. 19 Abs. 1 („Erfordernis der Benutzung“) des TRIPS-Übereinkommens geht es u. a. um die Gründe, die die Nichtbenutzung einer Marke rechtfertigen können. Die in diesem Artikel genannte Begriffsbestimmung kann als Auslegungshilfe für den im Unionsrecht verwendeten Begriff der berechtigten Gründe herangezogen werden. Insoweit werden als triftige Gründe für die Nichtbenutzung Umstände angesehen, die unabhängig vom Willen des Inhabers der Marke eintreten und die ein Hindernis für deren Benutzung bilden (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Juni 2007, Häupl, C‑246/05, EU:C:2007:340, Rn. 48 und 49). In Art. 19 Abs. 1 des TRIPS-Übereinkommens werden als Beispiele Einfuhrbeschränkungen oder sonstige staatliche Auflagen für die mit einer Marke bezeichneten Waren oder Dienstleistungen angeführt.
54 Als berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung dieser Marke können allein die Hindernisse angesehen werden, die einen ausreichend unmittelbaren Zusammenhang mit der Marke aufweisen, ihre Benutzung unmöglich oder unzumutbar machen und vom Willen des Markeninhabers unabhängig sind (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Juni 2007, Häupl, C‑246/05, EU:C:2007:340, Rn. 54).
55 Im vorliegenden Fall wurde die angegriffene Marke im September 2003 angemeldet und am 24. April 2007 eingetragen.
56 Zum Zeitpunkt des Verfallsantrags, dem 18. November 2013, war die klinische Studie, auf die sich die Klägerin als berechtigenden Grund für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke beruft, nicht abgeschlossen. Aus der Akte ergibt sich ferner kein Anhaltspunkt zur Bestimmung eines genauen Zeitpunkts für den Abschluss dieser Studie. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin die fragliche klinische Studie als eine Vorstufe zur Stellung eines Antrags auf Zulassung nach den nationalen Regelungen darstellt, so dass es sich lediglich um eine völlig ergebnisoffene Etappe auf dem Weg zum Vertrieb eines Arzneimittels zur Behandlung von Multipler Sklerose handelt.
57 Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass es sich bei der Bezeichnung eines Arzneimittels, das sich noch in der Erprobungsphase befindet und einer klinischen Studie unterzogen wird, mit einer Unionsmarke nicht um eine gesetzliche Verpflichtung handelt, sondern um eine Wahl des Markeninhabers. Hierzu führt die Klägerin aus, dass sie das in Frage stehende Arzneimittel – in Übereinstimmung mit einer ihrer Ansicht nach bestehenden gängigen Praxis in der Arzneimittelbranche – bis zu seinem Vertrieb durchgängig gleich bezeichnen wolle. Diese Praxis wird von der Streithelferin übrigens in Abrede gestellt; sie macht ihrerseits geltend, andere Arten der Bezeichnung eines Arzneimittels in der Erprobungsphase seien möglich und auch gebräuchlich, insbesondere die Bezeichnung eines Arzneimittels mit dem Namen seines Wirkstoffs.
58 Somit ist klar ersichtlich, dass die Klägerin die Wahl getroffen hat, sehr früh eine Unionsmarke zu schützen, obgleich eine beträchtliche Unsicherheit sowohl über den Zeitpunkt als auch über die Möglichkeit eines Vertriebs des mit dieser Marke bezeichneten Arzneimittels bestand, da es sich im Verfahrensstadium der klinischen Studie befand. Dies wird durch die von der Klägerin selbst erwähnten Schwierigkeiten bei der Rekrutierung der Teilnehmer der in Rede stehenden Studie in Anbetracht ihrer strengen Auswahlkriterien bestätigt. Diese der Entwicklung eines neuen pharmazeutischen Produkts innewohnenden Schwierigkeiten konnten der Klägerin als Unternehmerin der betreffenden Branche nicht völlig unbekannt sein.
59 Die Klägerin beruft sich darauf, dass die von ihr veranlassten finanziellen Investitionen erheblich seien und die Ernsthaftigkeit zeigten, mit der sie die fragliche klinische Studie betrieben habe. Da jedoch feststeht, dass die Dauer einer klinischen Studie weitgehend von den eingesetzten finanziellen Mitteln abhängt – wie die Beschwerdekammer in Rn. 38 der angefochtenen Entscheidung festgestellt hat –, weisen die vorgetragenen Schwierigkeiten im Verlauf der fraglichen Studie, insbesondere die mit der Rekrutierung von Freiwilligen verbundenen, auf eine in Anbetracht der Besonderheiten der betreffenden Branche unzureichende Investition hin. Es handelt sich damit um ein Hindernis, das je nach dem von der Klägerin veranlassten Investitionsniveau mehr oder weniger schnell überwunden werden könnte.
60 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Eintragung der angegriffenen Marke am 24. April 2007 erfolgt ist und dass der Antrag auf eine klinische Studie für ein Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose erst am 24. Oktober 2010 bei den zuständigen deutschen Behörden gestellt wurde, mithin nach mehr als drei Jahren.
61 Anhand dieser Gesichtspunkte lässt sich mit dem EUIPO feststellen, dass, auch wenn die Durchführung einer klinischen Studie tatsächlich einen Grund für die Nichtbenutzung einer Marke darstellen kann, wie dies in den Richtlinien für die Prüfung vor dem Amt erwähnt ist, die im vorliegenden Fall von der Klägerin angeführten Handlungen und Ereignisse in ihrem Einfluss- und Verantwortungsbereich lagen, so dass sie nicht von ihrem Willen unabhängige Hindernisse betrafen.
62 Die weiteren Argumente der Klägerin sind nicht geeignet, diese Beurteilung in Frage zu stellen. Es ist insbesondere hervorzuheben, dass sich die Phase der klinischen Studie von der des Antrags auf Zulassung unterscheidet. Sobald alle für einen Antrag auf Zulassung erforderlichen Unterlagen der zuständigen Behörde übergeben wurden, ist es nämlich diese Behörde, die den Antrag prüft, so dass die Rolle eines Markeninhabers während der entsprechenden Prüfungsphase beschränkt wird und das mit der erforderlichen Sorgfalt eingeleitete Verfahren außerhalb seines Einflussbereichs liegt, was bei einer klinischen Studie, bei der nach den Umständen jedes einzelnen Falles zu beurteilen ist, inwieweit sie einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung darstellen kann, nicht der Fall ist. Außerdem ist bezüglich der in einer anderen die Klägerin betreffenden Sache ergangenen Entscheidung der Löschungsabteilung des EUIPO vom 22. Februar 2016 auch zu beachten, dass die vom EUIPO im Hinblick auf ein Zeichen als Unionsmarke gemäß der Verordnung Nr. 207/2009 getroffenen Entscheidungen nach ständiger Rechtsprechung gebundene Entscheidungen und keine Ermessensentscheidungen sind. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen ist daher ausschließlich auf der Grundlage der Verordnung Nr. 207/2009 und nicht auf der Grundlage einer vorherigen Entscheidungspraxis zu beurteilen (vgl. entsprechend Urteile vom 26. April 2007, Alcon/HABM, C‑412/05 P, EU:C:2007:252, Rn. 65, und vom 24. November 2005, Sadas/HABM – LTJ Diffusion [ARTHUR ET FELICIE], T‑346/04, EU:T:2005:420, Rn. 71).
63 Unter diesen Umständen ist die Beschwerdekammer offenkundig zu Recht davon ausgegangen, dass die Handlungen und Ereignisse, auf die sich die Klägerin berufen hat, in ihrem Zuständigkeitsbereich lagen und keine von ihrem Willen unabhängigen Hindernisse betrafen, so dass sie keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke darstellten. Der zweite Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Zum dritten Klagegrund, mit dem die Verletzung von Art. 83 der Verordnung Nr. 207/2009 und insbesondere des Grundsatzes des Vertrauensschutzes gerügt wird
64 Die Klägerin rügt die Verletzung von Art. 83 der Verordnung Nr. 207/2009 und insbesondere des Grundsatzes des Vertrauensschutzes; sie habe darauf vertrauen dürfen, dass das EUIPO im vorliegenden Fall im Einklang mit seinen eigenen Prüfungsrichtlinien für Löschungsverfahren handele, wonach zu den „typischen Gründen“ für die berechtigte Nichtbenutzung „klinische Prüfungen und die Zulassung neuer Arzneimittel“ gehörten.
65 Das EUIPO hält dem erstens entgegen, dass die Richtlinien für die vom Amt durchgeführte Prüfung keine Zusicherung gäben, dass klinische Studien stets einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung darstellten. Zweitens habe es die Klägerin versäumt, vorzutragen, dass sie die angegriffene Marke aufgrund einer aus den Prüfungsrichtlinien erwachsenden Zusicherung nicht benutzt habe. Und drittens wäre das behauptete Vertrauen darauf, zur Nichtbenutzung der angegriffenen Marke berechtigt zu sein, nur dann verständlich, wenn der Klägerin ein Handeln möglich gewesen wäre. Sie mache mit ihrem zweiten Klagegrund aber geltend, dass sie keine andere Wahl gehabt habe, als die Marke nicht zu benutzen, da sie für die fraglichen Waren noch keine Zulassung erhalten habe.
66 Die Streithelferin ist der Ansicht, die Voraussetzungen für die Umsetzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Richtlinien für die vom EUIPO durchgeführte Prüfung stellten keinen Rechtstext dar und böten keine Zusicherung für eine Beurteilung.
67 Nach ständiger Rechtsprechung kann sich jeder auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, bei dem ein Unionsorgan begründete Erwartungen geweckt hat. Eine Verletzung dieses Grundsatzes nicht geltend machen kann, wem die Verwaltung keine konkreten Zusicherungen gegeben hat (vgl. Urteil vom 17. Februar 2017, Unilever/EUIPO – Technopharma [Fair & Lovely], T‑811/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:98, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
68 Klare, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Auskünfte von zuständiger und zuverlässiger Seite stellen unabhängig von der Form ihrer Mitteilung solche Zusicherungen dar (Urteile vom 12. Oktober 2016, Land Hessen/Pollmeier Massivholz, C‑242/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:765, Rn. 63, und vom 19. März 2003, Innova Privat-Akademie/Kommission, T‑273/01, EU:T:2003:78, Rn. 26).
69 Im vorliegenden Fall oblag es zum Nachweis, dass die Richtlinien für die Prüfung vor dem Amt bei ihr begründete Erwartungen dahin geweckt haben, dass klinische Studien für neue Arzneimittel berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke darstellen, der Klägerin, den Beweis zu erbringen, dass sie von Seiten des EUIPO entsprechende klare Zusicherungen erhalten hatte. Die Richtlinien für die Prüfung vor dem Amt haben jedoch allgemeinen Charakter und beschränken sich auf die Angabe, dass klinische Prüfungen wie auch ein Antrag auf Zulassung lediglich „typische Beispiele“ berechtigter Gründe für eine Nichtbenutzung darstellen.
70 Dies bedeutet allenfalls, dass klinische Studien unter bestimmten Voraussetzungen einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung einer Unionsmarke darstellen können. Die Klägerin legt im vorliegenden Fall jedoch nicht dar, dass sie vom EUIPO klare, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Auskünfte darüber erhalten hätte, dass die von ihr durchgeführten klinischen Studien einen berechtigten Grund für die Nichtbenutzung der angegriffenen Marke darstellten. Daher ist der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
71 Da die drei von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe zurückgewiesen worden sind, ist nach alledem die Klage insgesamt abzuweisen.
Kosten
72 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
73 Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Zweite Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Viridis Pharmaceutical Ltd trägt die Kosten.
Prek |
Schalin |
Costeira |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. September 2017.
Der Kanzler |
Der Präsident |
E. Coulon |
M. Prek |
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