URTEIL DES GERICHTS (Siebte Kammer)
7. Mai 2025(* )
„ Unionsmarke – Verfallsverfahren – Unionsbildmarke RTL – Keine ernsthafte Benutzung der Marke – Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/1001 – Tatsachen und Beweise, die zum ersten Mal vor der Beschwerdekammer vorgelegt werden – Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 – Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung (EU) 2018/625 – Rechtsmissbrauch “
In der Rechtssache T‑1088/23,
RTL Group Markenverwaltungs GmbH mit Sitz in Köln (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt W. Prinz und Rechtsanwältin I. Leroux,
Klägerin,
gegen
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Ringelhann als Bevollmächtigten,
Beklagter,
andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin im Verfahren vor dem Gericht:
Marcella Örtl, wohnhaft in Selb (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt J. Pröll,
erlässt
DAS GERICHT (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin K. Kowalik-Bańczyk, des Richters E. Buttigieg (Berichterstatter) und der Richterin B. Ricziová,
Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2024
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die RTL Group Markenverwaltungs GmbH, die Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 19. September 2023 (Sache R 86/2023‑2) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).
Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Am 26. Mai 2016 wurde zugunsten der Klägerin nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EU] 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke [ABl. 2017, L 154, S. 1]) beim EUIPO unter der Nummer 14884911 die nachstehend dargestellte Unionsbildmarke eingetragen:
3 Die Marke wurde für Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 6, 8, 9, 12, 14, 16, 18, 20, 21, 24, 25, 28, 30, 32, 33, 35, 38, 41, 42, 43 und 45 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung eingetragen.
4 Am 7. Juni 2021 stellte die Streithelferin Marcella Örtl einen Antrag auf Erklärung des Verfalls der angegriffenen Marke auf der Grundlage von Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001, da diese Marke innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden sei, nicht ernsthaft benutzt worden sei.
5 Am 27. August 2021 übermittelte die Klägerin der Nichtigkeitsabteilung eine Stellungnahme sowie Nachweise der Bekanntheit und der Benutzung der angegriffenen Marke.
6 Mit Entscheidung vom 16. November 2022 gab die Nichtigkeitsabteilung dem Antrag auf Erklärung des Verfalls in Bezug auf bestimmte Waren und Dienstleistungen, für die die angegriffene Marke eingetragen worden war, teilweise statt.
7 Am 13. Januar 2023 legte die Klägerin beim EUIPO Beschwerde ein und beantragte die teilweise Aufhebung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung, soweit darin der Verfall der angegriffenen Marke für folgende Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 9, 16, 24, 25, 32, 35, 41, 42 und 45 ausgesprochen worden war:
– Klasse 3: „Seifen; Parfümeriewaren; Mittel zur Körper- und Schönheitspflege“;
– Klasse 9: „Geräte zur Aufzeichnung von Ton und Bild; Geräte zur Übertragung von Ton und Bild; Geräte zur Wiedergabe von Ton und Bild; Geräte für Video on Demand (VOD); Geräte für andere Abrufangebote; Geräte für Pay TV; Geräte für interaktives Fernsehen; Geräte für Teleshopping; Filmapparate; Fotoapparate; Mechaniken für geldbetätigte Apparate soweit in dieser Klasse enthalten; Schallplatten; Optische Speicherplatten (Ton und Bild), sämtliche vorstehenden Waren in bespielter und unbespielter Form“;
– Klasse 16: „Druckereierzeugnisse; Bücher; Zeitungen; Zeitschriften; Papier, Pappe; Papierblätter für Notizen“;
– Klasse 24: „Stoffe einschließlich Webstoffe, Textilwaren und Textilersatzstoffe“;
– Klasse 25: „Bekleidungsstücke“;
– Klasse 32: „Biere und Brauereiprodukte; Mineralwässer; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte“;
– Klasse 35: „Werbung, Marketing und Verkaufsförderung“;
– Klasse 41: „Dienstleistungen im Rahmen der Talentförderung, nämlich Talentsuche für Dritte unter Durchführung von Seminaren, Schulungen, Tagungen, Trainings und Shows“;
– Klasse 42: „Entwicklung von Datenbanksoftware [Programmierarbeiten] zum Bereitstellen von Informationen im Internet und in anderen audiovisuellen Medien sowie Erstellung von Homepages und Webseiten im Internet und in anderen audiovisuellen Medien; technische Beratung, gerichtet auf die Entwicklung, Gestaltung, Produktion und Ausstrahlung von Fernseh- und Hörfunksendungen und Datenbanken sowie von Darbietungen im Internet und in anderen audiovisuellen Medien“;
– Klasse 45: „Online-Dienstleistungen eines sozialen Netzwerks [Bekanntschaftsvermittlung]; Online-Dienstleistungen zum Knüpfen sozialer Kontakte; Organisation von Hochzeitsfeiern“.
8 Am 15. März 2023 ging die Beschwerdebegründung beim EUIPO ein. Die Streithelferin gab dazu keine Stellungnahme ab. Am 15. September 2023 übermittelte die Klägerin eine ergänzende Eingabe.
9 Mit der angefochtenen Entscheidung erklärte die Beschwerdekammer zum einen den Antrag auf Erklärung des Verfalls für zulässig und hob zum anderen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung teilweise auf, soweit darin die angegriffene Marke in Bezug auf „optische Speicherplatten“ der Klasse 9, die Dienstleistungen „Verbreitung von Werbung über Fernsehen, Rundfunk und elektronisch[e] Medien“ der Klasse 35 und „Online-Dienstleistungen eines sozialen Netzwerks [Bekanntschaftsvermittlung]; Online-Dienstleistungen zum Knüpfen sozialer Kontakte“ der Klasse 45 für verfallen erklärt wurde; im Übrigen wies sie die Beschwerde zurück.
Anträge der Parteien
10 Unter Berücksichtigung der Konkretisierung ihrer Anträge in der mündlichen Verhandlung beantragt die Klägerin,
– die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder gegebenenfalls dahin gehend abzuändern, dass der Antrag auf Erklärung des Verfalls der angegriffenen Marke in Bezug auf die Waren der Klasse 3, der Klasse 9 mit Ausnahme von „optischen Speicherplatten (Ton und Bild)“ sowie der Klassen 16, 24, 25 und 32 und in Bezug auf sämtliche Dienstleistungen der Klassen 35, 41 und 42, für die diese Marke eingetragen worden war (siehe oben, Rn. 7), zurückgewiesen wird;
– dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.
11 Das EUIPO beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– im Fall der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
12 Die Streithelferin beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
13 Die Klägerin stützt ihre Klage auf vier Gründe. Mit dem ersten, dem zweiten und dem dritten Klagegrund werden ein Verstoß gegen Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 – da der Beschwerdekammer Rechts- und Beurteilungsfehler unterlaufen seien, indem sie den Verfall der angegriffenen Marke in Bezug auf die Waren und Dienstleistungen der verschiedenen Klassen, für die sie eingetragen worden sei, bestätigt habe – sowie im Wesentlichen ein Verstoß gegen Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung (EU) 2018/625 der Kommission vom 5. März 2018 zur Ergänzung der Verordnung 2017/1001 und zur Aufhebung der Delegierten Verordnung (EU) 2017/1430 (ABl. 2018, L 104, S. 1, berichtigt in ABl. 2022, L 135, S. 34) geltend gemacht. Der vierte Klagegrund bezieht sich im Wesentlichen auf einen Verstoß gegen Art. 63 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 insofern, als die Beschwerdekammer zu Unrecht angenommen habe, dass der Rechtsmissbrauch, den die Streithelferin durch die Einreichung der Anträge auf Erklärung des Verfalls begangen haben soll, für die Prüfung dieser Anträge unerheblich sei.
14 Das Gericht hält es für angezeigt, zunächst den vierten Klagegrund, sodann den ersten Klagegrund und schließlich den zweiten und den dritten Klagegrund gemeinsam zu prüfen.
Vorbemerkungen
15 Nach Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 wird die Unionsmarke auf Antrag beim EUIPO für verfallen erklärt, wenn die Marke innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in der Europäischen Union für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, nicht ernsthaft benutzt worden ist und keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen.
16 Eine Marke wird ernsthaft benutzt, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion – die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren – benutzt wird, um für diese Waren oder Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, unter Ausschluss symbolischer Verwendungen, die allein der Wahrung der durch die Marke verliehenen Rechte dienen (vgl. Urteil vom 3. Juli 2019, Viridis Pharmaceutical/EUIPO, C‑668/17 P, EU:C:2019:557, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
17 Zudem ergibt sich aus Art. 58 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 58 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001, dass sich der Nachweis der ernsthaften Benutzung grundsätzlich auf alle Waren oder Dienstleistungen beziehen muss, für die eine angegriffene Marke eingetragen ist. Wird der Nachweis der ernsthaften Benutzung nur für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen erbracht, für die eine angegriffene Marke eingetragen ist, und sind die übrigen Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 erfüllt, so kann die Marke in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen, für die der Nachweis der ernsthaften Benutzung nicht erbracht wurde bzw. überhaupt kein Nachweis der Benutzung erbracht wurde, für verfallen erklärt werden (Urteil vom 18. Oktober 2016, August Storck/EUIPO – Chiquita Brands [Fruitfuls], T‑367/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:615, Rn. 21).
18 Wenn eine Marke für eine Gruppe von Waren oder Dienstleistungen eingetragen worden ist, die so weit ist, dass darin verschiedene Untergruppen ausgemacht werden können, die sich jeweils als selbständig ansehen lassen, wird der Schutz, der aus dem Nachweis fließt, dass die Marke für einen Teil dieser Waren oder Dienstleistungen ernsthaft benutzt worden ist, nur derjenigen Untergruppe oder denjenigen Untergruppen zuteil, zu der oder zu denen die Waren oder Dienstleistungen gehören, für die die Marke tatsächlich benutzt worden ist (Urteile vom 14. Juli 2005, Reckitt Benckiser [España]/HABM – Aladin [ALADIN], T‑126/03, EU:T:2005:288, Rn. 45, und vom 13. Februar 2007, Mundipharma/HABM – Altana Pharma [RESPICUR], T‑256/04, EU:T:2007:46, Rn. 23).
19 Die Ernsthaftigkeit der Benutzung der Marke ist anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände zu prüfen, die die tatsächliche geschäftliche Verwertung der Marke belegen können; dazu gehören insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu halten oder hinzuzugewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke (Urteil vom 8. Juli 2004, Sunrider/HABM – Espadafor Caba [VITAFRUIT], T‑203/02, EU:T:2004:225, Rn. 40; vgl. auch entsprechend Urteil vom 11. März 2003, Ansul, C‑40/01, EU:C:2003:145, Rn. 43).
20 Auch lässt sich die ernsthafte Benutzung einer Marke nicht mit Wahrscheinlichkeitsannahmen oder Vermutungen nachweisen, sondern sie muss auf konkreten und objektiven Umständen beruhen, die eine tatsächliche und ausreichende Benutzung der Marke auf dem betreffenden Markt belegen (Urteile vom 12. Dezember 2002, Kabushiki Kaisha Fernandes/HABM – Harrison [HIWATT], T‑39/01, EU:T:2002:316, Rn. 47, und vom 6. Oktober 2004, Vitakraft-Werke Wührmann/HABM – Krafft [VITAKRAFT], T‑356/02, EU:T:2004:292, Rn. 28).
21 Im Licht dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob die Beschwerdekammer die Erklärung des teilweisen Verfalls der angegriffenen Marke in Bezug auf die Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 9, 16, 24, 25, 32, 35, 41 und 42 ohne Rechts- und Beurteilungsfehler bestätigt hat.
22 Im vorliegenden Fall haben sowohl die Nichtigkeitsabteilung als auch die Beschwerdekammer den Zeitraum vom 7. Juni 2016 bis 6. Juni 2021 als den Zeitraum von fünf Jahren angesehen, für den die Klägerin eine ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke nachzuweisen hatte. Dies wird von der Klägerin nicht in Abrede gestellt.
Zum vierten Klagegrund des Rechtsmissbrauchs
23 Die Beschwerdekammer vertrat in den Rn. 18 und 19 der angefochtenen Entscheidung die Auffassung, dass Art. 63 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 von der Verfallsantragstellerin nicht verlange, dass sie ein Rechtsschutzbedürfnis nachweise. Die Beschwerdekammer stellte daher fest, dass es für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Antrags auf Erklärung des Verfalls auf ein solches Rechtsschutzbedürfnis oder ein wirtschaftliches Interesse nicht ankomme. Ferner wies die Beschwerdekammer in den Rn. 20 und 21 der angefochtenen Entscheidung darauf hin, dass jegliche Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Stellung des Verfallsantrags durch die Streithelferin fehlten.
24 Die Klägerin wendet sich gegen diese Folgerung der Beschwerdekammer und führt, gestützt auf die Rechtsprechung und eine frühere Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des EUIPO, aus, dass unter bestimmten Voraussetzungen das Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Antragstellung zur Unzulässigkeit des Antrags auf Erklärung des Verfalls führen könne. Sie widerspricht auch der Feststellung der Beschwerdekammer, wonach keinerlei Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Verfallsantrag rechtsmissbräuchlich gestellt worden sei.
25 Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
26 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut von Art. 63 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 ein Antrag auf Erklärung des Verfalls einer Unionsmarke in den Fällen der Art. 58 und 59 dieser Verordnung von jeder natürlichen oder juristischen Person sowie jedem Interessenverband von Herstellern, Erzeugern, Dienstleistungsunternehmen, Händlern oder Verbrauchern, der nach dem für ihn maßgebenden Recht prozessfähig ist, beim EUIPO gestellt werden kann.
27 Nach der Rechtsprechung haben, während die relativen Eintragungshindernisse die Interessen von Inhabern bestimmter älterer Rechte schützen, die absoluten Eintragungshindernisse und die Verfallsgründe den Schutz des ihnen zugrunde liegenden Allgemeininteresses zum Ziel, was erklärt, dass Art. 63 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 nicht verlangt, dass der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis nachweist (vgl. Urteil vom 16. November 2017, Carrera Brands/EUIPO – Autec [Carrera], T‑419/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:812, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Hierfür spricht auch der 24. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1001, dem zufolge der Schutz der Unionsmarke nur insoweit besteht, als diese tatsächlich benutzt wird. Im Licht einer solchen Erwägung zeigt sich nämlich der Zweck von Art. 63 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001, der darin besteht, einem möglichst breiten Personenkreis – ohne vorauszusetzen, dass sie ein Rechtsschutzbedürfnis nachweisen – die Möglichkeit zu bieten, eine Unionsmarke anzufechten, die während einer bestimmten Zeit nicht ernsthaft benutzt wurde (vgl. Urteil vom 16. November 2017, Carrera, T‑419/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:812, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Da nach Art. 63 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 ein Antrag auf Erklärung des Verfalls wegen Nichtbenutzung oder unzureichender Benutzung einer Marke von „jeder natürlichen oder juristischen Person“ gestellt werden kann, ist die Frage des Rechtsmissbrauchs für die Prüfung der Zulässigkeit eines gemäß dieser Bestimmung gestellten Antrags auf Erklärung des Verfalls unbeachtlich (vgl. Urteil vom 7. September 2022, Peace United/EUIPO – 1906 Collins [MY BOYFRIEND IS OUT OF TOWN], T‑699/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:528, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Beschluss vom 19. Januar 2021, Leinfelder Uhren München/EUIPO, C‑401/20 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:31, Rn. 21).
30 Zudem macht Art. 63 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 weder die Zulässigkeit noch die Begründetheit eines Antrags auf Erklärung des Verfalls vom guten Glauben des Antragstellers abhängig. Die Erklärung des Verfalls wegen Nichtbenutzung einer Marke während des festgelegten Zeitraums von fünf Jahren ist eine durch Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 und Art. 64 Abs. 2 dieser Verordnung vorgegebene Rechtsfolge, ohne dass der Markeninhaber einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der Eintragung deshalb hat, weil der Antragsteller außerdem wettbewerbsrechtlich unlautere Handlungen begeht (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Beschluss vom 2. September 2020, DTE Systems/EUIPO – Speed-Buster [PedalBox +], T‑801/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:383, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Zwar darf sich, wie die Klägerin geltend macht, nach der Rechtsprechung niemand in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der Union berufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, Kratzer, C‑423/15, EU:C:2016:604, Rn. 37).
32 Die Klägerin ist der Ansicht, dass nach dem in dieser Rechtsprechung entwickelten Grundsatz die Stellung eines Verfallsantrags unter außergewöhnlichen und besonderen Umständen wie solchen, die dem Fall zugrunde lägen, der zu der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 1. Februar 2020 (Sache R 2445/2017‑G, im Folgenden: Fall Sandra Pabst) geführt habe, eine missbräuchliche Praxis darstellen oder Teil einer solchen Praxis sein könne.
33 Wie die Beschwerdekammer jedoch zu Recht in Rn. 21 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen festgestellt hat, sind die Umstände des vorliegenden Falles nicht mit denen des Falles Sandra Pabst vergleichbar, weil dieser durch außergewöhnliche Umstände gekennzeichnet war, die im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. Erstens ging es im Fall Sandra Pabst nämlich um eine Gesellschaft, die künstlich mit dem alleinigen Ziel gegründet wurde, eine Vielzahl von Verfallsanträgen zu stellen, was bei der Streithelferin in der vorliegenden Rechtssache nicht der Fall ist. Zweitens ging es im Fall Sandra Pabst um die fast zeitgleiche Einreichung von 37 Verfallsanträgen durch eine einzige Gesellschaft gegen dieselbe Partei sowie einer Vielzahl von Verfallsanträgen beim EUIPO (850 Anträge über einen Zeitraum von zwei Jahren), während sich die Klägerin im vorliegenden Fall nur auf die beiden beim EUIPO eingereichten, ihre Marken betreffenden Verfallsanträge bezieht.
34 Drittens stellte die Große Beschwerdekammer im Fall Sandra Pabst fest, dass einige der zahlreichen in Rede stehenden Verfallsanträge aussichtslos gewesen seien und nur dem Zweck der Ausübung von Druck oder als „Vergeltungsmaßnahme“ in Reaktion auf das Scheitern von Verhandlungen gedient hätten, die dem Ziel des Erwerbs der betreffenden Marken durch den Verfallsantragsteller gegolten hätten, mithin um einen unrechtmäßigen Vorteil dadurch zu erlangen, dass der Inhaber dieser Marken habe gezwungen werden sollen, eine Übertragungsvereinbarung über die Marken abzuschließen. Die Klägerin legt nicht dar, dass solche Umstände auch im vorliegenden Fall gegeben wären. Denn dass die Streithelferin aufgrund der Bekanntheit der angegriffenen Marke von deren Benutzung im Mediensektor Kenntnis hatte, wie von der Klägerin geltend gemacht wird, lässt für sich allein nicht den Schluss zu, dass der Antrag auf Erklärung des Verfalls dieser Marke in Bezug auf Waren und Dienstleistungen, die keinen offensichtlichen Bezug zum Mediensektor haben, aussichtslos wäre und somit ausschließlich dazu diente, die Klägerin einer unbilligen Belastung auszusetzen oder sie in irgendeiner Weise unter Druck zu setzen. Im Gegenteil: Dass die Streithelferin beabsichtigte, eine Marke zu benutzen, die aufgrund von Ähnlichkeiten mit der angegriffenen Marke eine Verwechslungsgefahr – die sich aus einem Rechtsstreit über den Widerspruch der Klägerin gegen die Eintragung einer von der Streithelferin beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldeten Marke ergibt – hervorrufen könnte, belegt das tatsächliche Interesse der Streithelferin an einer „Aktualisierung“ des Markenregisters hinsichtlich des Umfangs des Monopols der Klägerin an der angegriffenen Marke, was in Einklang mit dem 24. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1001 steht, wonach der Schutz der Unionsmarke nur insoweit berechtigt ist, als diese Marke tatsächlich benutzt wird.
35 Angesichts des Vorstehenden hat die Beschwerdekammer das Vorbringen der Klägerin, wonach der Antrag auf Erklärung des Verfalls wegen Missbräuchlichkeit unzulässig sei, rechts- und beurteilungsfehlerfrei zurückgewiesen. Folglich ist der vierte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
Zum ersten Klagegrund, der hinsichtlich der Erklärung des Verfall s der an gegriffenen Marke in Bezug auf die Dienstleistungen „Werbung, Marketing und Verkaufsförderung“ der Klasse 35 mit Ausnahme der „Verbreitung von Werbung über Fernsehen, Rundfunk und elektronisch[e] Medien“ auf einen Verstoß gegen Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 sowie auf einen Verstoß gegen Art. 95 Abs. 2 dieser Verordnung gestützt wird
36 Die Klägerin macht geltend, dass die Beschwerdekammer gegen Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 verstoßen habe, als sie zu dem Schluss gekommen sei, dass die Klägerin die ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke für die Dienstleistungen „Werbung, Marketing und Verkaufsförderung“ der Klasse 35 nur in Bezug auf die „Verbreitung von Werbung über Fernsehen, Rundfunk und elektronisch[e] Medien“ nachgewiesen habe.
37 In diesem Zusammenhang wendet sich die Klägerin auch gegen die Weigerung der Beschwerdekammer, ihre Eingabe vom 15. September 2023 (siehe oben, Rn. 8) und die von ihr an diesem Tag vorgelegten Nachweise zu berücksichtigen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass dieses Vorbringen, so wie es vom EUIPO ausgelegt worden sei, so zu verstehen sei, dass damit ein Verstoß der Beschwerdekammer gegen Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 in seiner durch Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2018/625 konkretisierten Form geltend gemacht werde.
38 Zunächst ist zu prüfen, ob die Beurteilung der Beschwerdekammer, wonach die Eingabe der Klägerin vom 15. September 2023 und die an diesem Tag von ihr vorgelegten Nachweise von ihrer Prüfung ausgeschlossen werden müssten, gerechtfertigt ist.
Zur Weigerung, die Eingabe der Klägerin vom 15. September 2023 und die von ihr an diesem Tag vorgelegten Nachweise zu berücksichtigen
39 Die Klägerin macht geltend, die Beschwerdekammer habe einen Verfahrensfehler begangen, indem sie ihre Eingabe vom 15. September 2023 und die von ihr an diesem Tag vorgelegten Nachweise nicht berücksichtigt habe, mit denen die bereits bei der Nichtigkeitsabteilung und in der Beschwerdebegründung vorgelegten Nachweise lediglich ergänzt worden seien. Die Beschwerdekammer habe insoweit insbesondere keinen Gebrauch von ihrem Ermessen gemacht.
40 Das EUIPO widerspricht dem Vorbringen der Klägerin und macht geltend, dass die Möglichkeit der Beschwerdekammer, Tatsachen oder Beweismittel, die ihr zum ersten Mal vorgelegt würden, nach Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2018/625 zu berücksichtigen, notwendigerweise nur für Elemente gelten könne, die insbesondere in Einklang mit den Bestimmungen der Art. 22, 24 und 26 dieser Verordnung vorgelegt würden. Da die Klägerin die in Rede stehende Eingabe und die in Rede stehenden Nachweise nicht im Rahmen der Beschwerdebegründung oder einer möglichen Erwiderung vorgelegt habe, sei die Beschwerdekammer nicht verpflichtet gewesen, ihre Zulässigkeit gemäß den Bestimmungen von Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 und Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2018/625 zu prüfen.
41 Die Streithelferin trägt vor, dass die Eingabe vom 15. September 2023 außerhalb der für das Verfahren festgelegten Fristen für eine Eingabe erfolgt sei und daher von der Beschwerdekammer zu Recht nicht für ihre Entscheidung berücksichtigt worden sei.
42 Die Beschwerdekammer führte in Rn. 13 der angefochtenen Entscheidung aus, dass zur Berücksichtigung der Eingabe der Klägerin vom 15. September 2023 kein Anlass bestanden habe, und verwies zur Begründung auf Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001, auf Art. 68 Abs. 1 Satz 4 dieser Verordnung und auf Art. 26 der Delegierten Verordnung 2018/625.
43 Aus dieser Begründung geht im Wesentlichen hervor, wie das EUIPO in der mündlichen Verhandlung auf eine Frage des Gerichts hin bestätigt hat, dass die Beschwerdekammer der Ansicht war, dass die Eingabe vom 15. September 2023 verspätet gewesen sei (vgl. Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001), d. h. nicht innerhalb von vier Monaten nach Zustellung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 4 der Verordnung 2017/1001) bzw. nicht auf begründeten Antrag im Rahmen einer Erwiderung auf die Beschwerdebeantwortung der anderen Partei des Verfahrens erfolgt sei (vgl. Art. 26 der Delegierten Verordnung 2018/625), so dass diese Eingabe aus ihrer Prüfung auszuschließen gewesen sei.
44 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 bestimmt, dass das EUIPO Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen braucht.
45 Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung folgt, dass die Beteiligten als allgemeine Regel und vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift Tatsachen und Beweismittel auch dann noch vorbringen können, wenn die dafür nach den Bestimmungen der Verordnung 2017/1001 geltenden Fristen abgelaufen sind, und dass es dem EUIPO keineswegs untersagt ist, solche verspätet vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 26. September 2013, Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions, C‑610/11 P, EU:C:2013:593, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Mit der Klarstellung, dass das EUIPO solche Beweismittel nicht zu berücksichtigen „braucht“, räumt Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 dem EUIPO ein weites Ermessen ein, um unter entsprechender Begründung seiner Entscheidung darüber zu befinden, ob die Beweismittel zu berücksichtigen sind oder nicht (vgl. Urteil vom 26. September 2013, Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions, C‑610/11 P, EU:C:2013:593, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung, Urteil vom 24. Januar 2018, EUIPO/European Food, C‑634/16 P, EU:C:2018:30, Rn. 56).
47 Die etwaige Berücksichtigung dieser zusätzlichen Beweismittel ist keineswegs ein dem einen oder dem anderen Beteiligten gewährter „Vorteil“, sondern hat das Ergebnis einer objektiven und mit Gründen versehenen Ausübung des dem EUIPO durch Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 eingeräumten Ermessens zu sein (vgl. Urteil vom 24. Januar 2018, EUIPO/European Food, C‑634/16 P, EU:C:2018:30, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
48 Die Ausübung des dem EUIPO nach Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 eingeräumten Ermessens wird durch Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2018/625 näher geregelt, der gemäß dem achten Erwägungsgrund dieser Delegierten Verordnung die Grenzen des Ermessens der Beschwerdekammern des EUIPO bei der Prüfung verspätet eingereichter Beweismittel sachgerecht festlegen soll.
49 Nach der Rechtsprechung ist es Sache des Gerichts, zu beurteilen, ob die Beschwerdekammer das ihr eingeräumte weite Ermessen tatsächlich ausgeübt hat, um unter Angabe von Gründen und unter gebührender Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu entscheiden, dass die zum ersten Mal vor ihr vorgebrachten Tatsachen oder Beweismittel bei der Entscheidung, die sie zu erlassen hatte, zu berücksichtigen waren oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. November 2022, ADS L. Kowalik, B. Włodarczyk/EUIPO – ESSAtech [Zubehör für kabellose Fernbedienungen], T‑611/21, EU:T:2022:739, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
50 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass, wie die Klägerin einräumt, ihre Eingabe vom 15. September 2023 und die dazugehörigen Nachweise weder vor der Nichtigkeitsabteilung noch innerhalb der für die Einreichung der Beschwerdebegründung gesetzten Frist vorgelegt wurden. Die Klägerin konnte auch nicht die Gestattung einer möglichen Erwiderung gemäß Art. 26 der Delegierten Verordnung 2018/625 beantragen, da die andere Partei die Beschwerdebegründung nicht beantwortet hatte.
51 Nach der oben in den Rn. 44 bis 47 angeführten Rechtsprechung musste die Beschwerdekammer jedoch, da Tatsachen und Beweismittel nicht innerhalb der der Klägerin gemäß den Bestimmungen der Verordnung 2017/1001 dafür gesetzten Frist und damit verspätet im Sinne von Art. 95 Abs. 2 dieser Verordnung vorgebracht und vorgelegt wurden, ihr Ermessen gemäß den Vorgaben von Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2018/625 ausüben, um zu entscheiden, ob diese Elemente bei der Entscheidung, die sie zu erlassen hatte, zu berücksichtigen waren oder nicht.
52 Eine solche objektive Ausübung des Ermessens unter entsprechender Begründung gemäß Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2018/625 im Sinne der oben in Rn. 47 angeführten Rechtsprechung fehlt jedoch im vorliegenden Fall augenscheinlich, da die Beschwerdekammer die von der Klägerin am 15. September 2023 vorgebrachten Tatsachen und vorgelegten Beweismittel allein deshalb zurückgewiesen hat, weil sie nicht im Rahmen eines der in den Art. 22, 24 und 26 der Delegierten Verordnung 2018/625 genannten Schriftsätze vorgebracht bzw. vorgelegt wurden, ohne zu prüfen, ob die in Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2018/625 genannten Bedingungen, unter denen solche Tatsachen und Beweismittel, die ihr zum ersten Mal vorgelegt werden, zugelassen werden können, im vorliegenden Fall erfüllt waren.
53 Entgegen der Begründung der angefochtenen Entscheidung und entgegen dem Vorbringen des EUIPO kann die Prüfung der Zulässigkeit der vor der Beschwerdekammer zum ersten Mal vorgelegten Eingaben und Nachweise nicht auf Tatsachen und Beweismittel beschränkt werden, die im Rahmen der in den Art. 22, 24 und 26 der Delegierten Verordnung 2018/625 genannten Schriftsätze vorgebracht bzw. vorgelegt wurden.
54 Eine solche Beschränkung ergibt sich weder aus Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 noch aus Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2018/625. Die letztgenannte Bestimmung, die das Ermessen der Beschwerdekammer hinsichtlich der Möglichkeit, die ihr zum ersten Mal vorgelegten Tatsachen und Beweismittel zurückzuweisen, näher regelt, sieht insoweit zwei Bedingungen vor, nämlich zum einen, dass diese Tatsachen und Beweismittel auf den ersten Blick von Relevanz erscheinen, und zum anderen eine Angabe der berechtigten Gründe für die nicht fristgemäße Vorlage. Das EUIPO konnte im Rahmen der Beantwortung einer mündlichen Frage des Gerichts keine andere Bestimmung anführen, die eine „gegenteilige Vorschrift“ im Sinne der oben in Rn. 45 angeführten Rechtsprechung darstellen könnte, die es der Beschwerdekammer gestatten würde, ihr Ermessen nicht tatsächlich auszuüben und die ihr zum ersten Mal vorgelegten Tatsachen und Beweismittel allein deshalb zurückzuweisen, weil sie außerhalb der in der Delegierten Verordnung 2018/625 vorgesehenen Schriftsätze vorgelegt wurden.
55 Daraus folgt, dass die Beschwerdekammer einen Fehler begangen hat, als sie die Eingabe der Klägerin vom 15. September 2023 und die von ihr an diesem Tag vorgelegten Nachweise von ihrer Prüfung ausgeschlossen hat, ohne mit Blick auf die in Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung 2018/625 genannten Bedingungen das ihr durch Art. 95 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 eingeräumte Ermessen auszuüben.
Zur Beurteilung der ernsthaften Benutzung der angegriffenen Marke für die Dienstleistungen der Klasse 35
56 In den Rn. 33 bis 39 der angefochtenen Entscheidung vertrat die Beschwerdekammer die Auffassung, dass die von der Klägerin vorgelegten Nachweise die Benutzung der angegriffenen Marke für eine Unterkategorie der Dienstleistungen „Werbung, Marketing und Verkaufsförderung“ der Klasse 35, für die diese Marke eingetragen worden sei, nämlich für die „Verbreitung von Werbung über Fernsehen, Rundfunk und elektronisch[e] Medien“, belegten. Daher hob sie die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung insofern auf, als die angegriffene Marke in Bezug auf diese Dienstleistungen für verfallen erklärt worden war, und wies den Antrag auf Erklärung des Verfalls in Bezug auf diese Dienstleistungen zurück.
57 Die Beschwerdekammer stellte hingegen fest, dass die Benutzung der angegriffenen Marke für andere Unterkategorien der Dienstleistungen „Werbung, Marketing und Verkaufsförderung“ der Klasse 35 nicht nachgewiesen worden sei. Sie stellte zum einen fest, dass es an der Erbringung einer Werbeleistung für einen dritten Auftraggeber fehle (Rn. 41 der angefochtenen Entscheidung), und zum anderen, dass die Verwendung der angegriffenen Marke auf Werbeplakaten Dritter darauf verweise, dass die angezeigte Sendung im Fernsehsender der Gruppe, zu der die Klägerin gehöre, zu verfolgen sei, aber nicht zum Ausdruck bringe, dass diese Marke für die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Werbung, Marketing und Verkaufsförderung eingesetzt werde (Rn. 42 der angefochtenen Entscheidung).
58 Die Klägerin macht geltend, dass die Beschwerdekammer gegen Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 verstoßen habe, als sie zu dem Schluss gekommen sei, dass die Klägerin die ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke für die Dienstleistungen der Klasse 35 nur in Bezug auf die „Verbreitung von Werbung über Fernsehen, Rundfunk und elektronisch[e] Medien“, nicht aber in Bezug auf andere Dienstleistungen in den Bereichen Werbung, Marketing und Verkaufsförderung nachgewiesen habe. Unter Verweis insbesondere auf die Tätigkeiten von Ad Alliance (vormals IP Deutschland), einer Gesellschaft, die als „Vermarktungsunternehmen“ und als konzerneigener Werbevermarkter tätig sei, trägt die Klägerin vor, dass die für die Werbekunden erbrachten Dienstleistungen für die Fernsehwerbung die Entwicklung von Werbestrategien und die Gestaltung von Werbung zum Zweck ihrer Ausstrahlung auf einem der Fernsehsender dieses Konzerns umfassten.
59 Die Klägerin argumentiert, dass die Beschwerdekammer die Funktionsweise des Fernsehwerbemarkts verkannt habe, indem sie die Besonderheiten der Werbedienstleistungen, insbesondere der Fernsehwerbung, die mit der Einbindung von Werbevermarktern wie Ad Alliance verbunden seien, nicht berücksichtigt und angenommen habe, dass die Werbedienstleistungen ausschließlich von Werbeagenturen erbracht würden.
60 Das EUIPO macht geltend, dass die Nachweise, auf die sich die Klägerin beziehe, die Benutzung der angegriffenen Marke für die Dienstleistungen „Ausstrahlung und Übermittlung von Fernsehsendungen“ der Klasse 38 und „Verbreitung von Werbung über Fernsehen, Rundfunk und elektronisch[e] Medien“ der Klasse 35 beträfen. Jedenfalls belegten diese Nachweise, auch die Dokumente mit Bezug zu den „Vermarktungsunternehmen“ Ad Alliance und IP Deutschland, nicht die Erbringung von Werbedienstleistungen an Dritte.
61 Die Streithelferin macht geltend, dass die Klägerin keine Werbedienstleistungen erbringe, sondern lediglich TV- oder Radiosender bereitstelle, über die Werbekunden ihre Werbespots übertragen könnten, was unter die Dienstleistungen der Klasse 38 falle. Werbedienstleistungen umfassten die Produktion von Werbespots, die Entwicklung von Werbestrategien und die Zurverfügungstellung von Werbeflächen und ‑zeiten. Diese Dienstleistungen gehörten jedoch zu den klassischen Aufgaben von Werbeagenturen und würden von der Klägerin nicht erbracht. Die vorgelegten Nachweise bezögen sich vielmehr auf Werbung im Eigeninteresse, die dazu diene, Auftraggeber für die Dienstleistungen der Verbreitung von Werbung durch die Klägerin zu gewinnen.
62 In diesem Zusammenhang ist vorab daran zu erinnern, dass erstens, wie die Nichtigkeitsabteilung auf S. 34 ihrer Entscheidung und die Beschwerdekammer in Rn. 31 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt haben, die Benutzung der betreffenden Marke durch ein mit dem Inhaber dieser Marke wirtschaftlich verbundenes Unternehmen als Benutzung dieser Marke mit Zustimmung ihres Inhabers und somit als Benutzung durch den Inhaber selbst im Sinne von Art. 18 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2015, Now Wireless/HABM – Starbucks [HK] [now], T‑278/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:57, Rn. 38).
63 Daher ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Benutzung der angegriffenen Marke durch die Unternehmen der Gruppe, zu der die Klägerin gehört, wie Ad Alliance, als mit Zustimmung der Klägerin erfolgt und somit als Benutzung durch die Klägerin selbst gilt. Die Nachweise für eine etwaige Benutzung der angegriffenen Marke durch diese Unternehmen müssen daher bei der Beurteilung der ernsthaften Benutzung dieser Marke berücksichtigt werden.
64 Zweitens betreffen die Dienstleistungen „Werbung, Marketing und Verkaufsförderung“ der Klasse 35 nach der Rechtsprechung im Wesentlichen eine beratende und fachliche Unterstützungstätigkeit für Unternehmen, die ihre Waren oder Dienstleistungen fördern und weiterentwickeln wollen. Daher umfassen diese Dienstleistungen auch Dienstleistungen, die darauf abzielen, Drittunternehmen zu unterstützen und ihnen zu helfen, ihre Aktivitäten zu verbessern, indem sie in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen werden oder bessere Einnahmen erzielen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. Juni 2016, Staywell Hospitality Group/EUIPO – Sheraton International IP (PARK REGIS) und Sheraton International IP/EUIPO – Staywell Hospitality Group (PARK REGIS), T‑510/14 und T‑536/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:333, Rn. 54, und vom 31. Januar 2024, ECE Group/EUIPO – ECE Piknik Ürünleri Plastik ve Kömür Üretim Ithalat Ihracat (ECE QUALITY OF LIFE), T‑581/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2024:47, Rn. 45).
65 Um die Benutzung für eine Dienstleistung nachzuweisen, muss die Dienstleistung Dritten angeboten werden und im Allgemeinen eine wirtschaftliche Gegenleistung voraussetzen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 30. September 2016, Alpex Pharma/EUIPO – Astex Pharmaceuticals [ASTEX], T‑355/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:591, Rn. 37 und 38, und vom 7. Dezember 2022, Borussia VfL 1900 Mönchengladbach/EUIPO – Neng [Fohlenelf], T‑747/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:773, Rn. 90).
66 Folglich ist zu prüfen, ob die von der Klägerin im Verfahren vor dem EUIPO vorgelegten Nachweise, insbesondere in Bezug auf die Tätigkeiten der Unternehmen der Gruppe, zu der die Klägerin gehört, darunter Ad Alliance, die Benutzung der angegriffenen Marke für andere Dienstleistungen der Klasse 35 in den Bereichen Werbung, Marketing und Verkaufsförderung, für die sie eingetragen wurde, als die Verbreitung von Werbung belegen können, wie von der Klägerin geltend gemacht wird.
67 Insoweit trägt die Klägerin vor, dass die Werbedienstleistungen, die unter der angegriffenen Marke insbesondere von Ad Alliance erbracht würden, in Beratungs‑, Mitteilungs‑, Gestaltungs- und Realisationsleistungen bestünden.
68 Unter Bezugnahme auf die insbesondere mit der Stellungnahme vom 27. August 2021 (siehe oben, Rn. 5) und dem Schriftsatz vom 15. März 2023 (siehe oben, Rn. 8) im Rahmen des Verfahrens vor dem EUIPO vorgebrachten Argumente und vorgelegten Nachweise führt die Klägerin aus, dass Ad Alliance als Dienstleistungen der Klasse 35 in den Bereichen Werbung, Marketing und Verkaufsförderung insbesondere Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Rentabilität eines Werbeträgers oder einer Werbekampagne, Beratungsdienstleistungen zur Ermittlung von Fernsehsendungen, mit denen die Werbung in Verbindung gebracht werden könnte, sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Konzeption und Gestaltung von Werbung, insbesondere im Hinblick auf Fernsehwerbung („maßgeschneiderte Konzepte“), erbringe. Solche Dienstleistungen seien mit der Tätigkeit einer „klassischen“ Werbeagentur vergleichbar.
69 Insoweit ist festzustellen, dass entgegen der Feststellung der Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung die von der Klägerin im Verfahren vor dem EUIPO vorgelegten Nachweise belegen, dass die Gruppe, zu der die Klägerin gehört, durch Unternehmen dieser Gruppe, insbesondere Ad Alliance, in dem in Rede stehenden Zeitraum gegenüber Dritten gegen Entgelt andere Dienstleistungen der Klasse 35 in den Bereichen Werbung, Marketing und Verkaufsförderung als die Verbreitung von Werbung erbracht hat.
70 Denn erstens hat die Klägerin nachgewiesen, dass die Unternehmen der Gruppe, zu der sie gehört, gegenüber Werbekunden Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Gestaltung und Realisation insbesondere von Fernsehwerbung erbracht haben.
71 Insoweit hat die Klägerin „an Werbekunden übermittelte Präsentationen“ (vgl. insbesondere die Anlagen 90 bis 94 zur Stellungnahme vom 27. August 2021) vorgelegt, die die angegriffene Marke in der eingetragenen Form oder in anderen Formen, die jedoch ihre Unterscheidungskraft nicht beeinträchtigen, enthalten und in denen Dienstleistungen für Sonderformen der Werbung („Special Creations“ oder „Special Ads“) angeboten werden. Solche Sonderformen der Werbung werden während einer laufenden Fernsehsendung oberhalb des Sendungsbilds eingeblendet und können u. a. in Form eines horizontalen oder vertikalen Balkens („Cut-in“), einer großformatigen Werbeanzeige als individuell gestalteter Rahmen, einer Werbeanzeige, die mitten im laufenden Programm ohne Trennelement platziert wird („Framesplit“ oder „Programmsplit“), oder einer Werbeanzeige, die sich über den Bildschirm bewegt („Skyscraper“), gestaltet sein.
72 Eine Sonderform der Werbung, die in den fraglichen Angeboten vorgeschlagen wurde, konnte von der Klägerin auch so gestaltet werden, dass das Produkt des Werbekunden mit Hilfe eines Konzepts beworben wurde, das mit einer erfolgreichen Fernsehsendung verbunden war, die auf einem Sender der RTL-Gruppe ausgestrahlt wurde, z. B. ein Produkt, das mit einem „Goldenen Buzzer“ „belohnt“ wurde (vgl. insbesondere die Anlagen 92 und 93 zur Stellungnahme vom 27. August 2021).
73 Diese Sonderform der Werbung, die dem Werbekunden ermöglichen soll, direkt vom Erfolg einer Fernsehsendung zu profitieren, setzt einen kreativen Beitrag bei der Gestaltung der Werbung voraus, die speziell auf die Sendungen der Gruppe zugeschnitten ist, zu der die Klägerin gehört.
74 Ferner geht aus dem Dokument „Buchungsbedingungen Special Ads“ (vgl. Anlage 90 zur Stellungnahme vom 27. August 2021) hervor, dass „[die] Produktionskosten [für ‚Special Ads‘ oder ‚Special Creations‘] … durch das Marketing der Mediengruppe RTL separat in Rechnung gestellt [werden]“, was bestätigt, dass solche Sonderformen der Werbung nicht als Verbreitung des Werbeinhalts angeboten werden, sondern eine ergänzende Dienstleistung zu dieser Verbreitung darstellen.
75 Im Rahmen des Schriftsatzes vom 15. März 2023 legte die Klägerin auch Werbespots aus den Jahren 2020 und 2021 vor, die der Bewerbung von Produkten von Werbekunden dienten und in denen die angegriffene Marke als Bestandteil des Werbeinhalts genutzt wurde. So bestand die von der Klägerin vorgelegte Werbung beispielsweise in einem Heranzoomen (Zoom-in) der Buchstaben der angegriffenen Marke, bis sich zeigte, dass der Hintergrund des Großbuchstabens „T“ als Bestandteil dieser Marke selbst aus einer Multiplikation des in der Werbung gezeigten Produkts „zusammengesetzt“ war.
76 Die Erbringung von anderen Dienstleistungen in den Bereichen Werbung, Marketing und Verkaufsförderung als der Verbreitung von Werbung gegenüber Werbekunden unter der angegriffenen Marke wird durch weitere Nachweise belegt, die insbesondere in Form des Dokuments „Conditions générales de vente [(Allgemeine Verkaufsbedingungen)]“ oder der technischen Datenblätter, die den Angeboten für die erbrachten Dienstleistungen beigefügt waren, vorgelegt wurden (vgl. insbesondere die Anlagen 111 und 134 zur Stellungnahme vom 27. August 2021) und aus denen hervorgeht, dass die Medienproduktionsabteilungen der Gruppe, zu der die Klägerin gehört, die Werbekunden durch die Gestaltung und Produktion von Werbematerial, einschließlich Ton- und audiovisueller Werbespots, unterstützen.
77 Solche Dienstleistungen erfordern einen kreativen Beitrag der Unternehmen der Gruppe, zu der die Klägerin gehört, bei der Gestaltung der Werbung. Daher beschränken sich diese Dienstleistungen entgegen der Feststellung der Beschwerdekammer nicht auf die bloße Verbreitung von Werbeinhalten, die von einem Dritten erstellt wurden.
78 Zweitens geht aus den vorgelegten Nachweisen (vgl. insbesondere die Anlagen 92 bis 94 zur Stellungnahme vom 27. August 2021) auch hervor, dass die Klägerin den Werbekunden ihre Dienstleistungen im Bereich der Entwicklung von Werbestrategien in den ihr gehörenden Medien angeboten hat, indem sie ihnen die Möglichkeit anbot, an Werbeaktionen teilzunehmen, die von der Gruppe, zu der die Klägerin gehört, ins Leben gerufen worden waren, wie z. B. das Sponsoring in Verbindung mit bestimmten Fernsehsendungen oder die Produktplatzierung in diesen Sendungen.
79 Drittens beruft sich die Klägerin auch zu Recht auf ihre Beratungstätigkeiten zur Ermittlung von Fernsehsendungen, mit denen die Werbung in Verbindung gebracht werden könnte, um die Benutzung der angegriffenen Marke für Dienstleistungen in den Bereichen Werbung, Marketing und Verkaufsförderung nachzuweisen. Denn diese Tätigkeiten können zur Wirksamkeit der Werbestrategie des Werbekunden beitragen und den Schutz seiner Marke vor negativen Einflüssen gewährleisten, die sich ergeben würden, wenn sie mit unerwünschten Inhalten in Verbindung gebracht würde (Brand Safety). Die Gruppe, zu der die Klägerin gehört, gestaltet somit das „Werbeumfeld“ so, dass es für den Werbekunden attraktiver ist, und trägt damit zur Rentabilität des von ihr angebotenen Werbeträgers bei.
80 Schließlich belegen die von der Klägerin vorgelegten Nachweise, dass die Unternehmen der Gruppe, zu der sie gehört, wie Ad Alliance, Beratungsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Vermarktung von Fernsehwerbung erbracht haben, insbesondere durch die Auswertung der von der Klägerin gesammelten Daten über den Fernsehwerbemarkt, und zwar insbesondere, um die Werbestrategie an die verschiedenen Sektoren oder Zielgruppen anzupassen.
81 Solche Dienstleistungen fallen durchaus unter beratende und fachliche Unterstützungsdienstleistungen für Unternehmen, die ihre Waren und Dienstleistungen fördern und weiterentwickeln wollen, und zielen im Sinne der oben in Rn. 64 angeführten Rechtsprechung darauf ab, diesen Unternehmen zu helfen, ihre Aktivitäten zu verbessern, indem sie in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen werden oder bessere Renditen auf Werbeinvestitionen erzielen.
82 Aus den Rn. 70 bis 81 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass entgegen der Feststellung der Beschwerdekammer die von der Klägerin vorgelegten Nachweise, und zwar auch ohne Berücksichtigung der mit der Eingabe vom 15. September 2023 vorgelegten Nachweise, die von der Beschwerdekammer von ihrer Prüfung ausgeschlossen wurden (siehe oben, Rn. 42), belegen, dass die Gruppe, zu der die Klägerin gehört, gegenüber Dritten unter der angegriffenen Marke und während des in Rede stehenden Zeitraums Dienstleistungen in den Bereichen Werbung, Marketing und Verkaufsförderung erbracht hat, die sich nicht auf die Verbreitung von Werbung beschränkten, sondern darauf abzielten, aktiv zur Entwicklung einer Werbestrategie dieser Dritten beizutragen, und zwar unter Berücksichtigung der Kenntnisse, über die die Unternehmen der Gruppe, zu der die Klägerin gehört, in Bezug auf die Funktionsweise des Werbesektors in den Medien verfügten.
83 In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass aus den von der Klägerin im Verfahren vor dem EUIPO vorgelegten Nachweisen hervorgeht, dass die jährlichen Umsätze aus der Fernsehwerbung der Gruppe, zu der die Klägerin gehört, in dem in Rede stehenden Zeitraum mehrere Milliarden Euro betrugen und dass diese Gruppe in verschiedenen Mitgliedstaaten der Union, insbesondere in Deutschland, über bedeutende Anteile am Werbemarkt verfügte. Da die Klägerin nachgewiesen hat, dass sie die angegriffene Marke auch für andere Dienstleistungen als die Verbreitung von Werbung in den Bereichen Werbung, Marketing und Verkaufsförderung benutzt hat, ist ein Teil dieser Einnahmen und Marktanteile somit als aus der Erbringung dieser Dienstleistungen stammend anzusehen.
84 Angesichts des Vorstehenden ist dem ersten Klagegrund stattzugeben und somit die angefochtene Entscheidung dahin gehend abzuändern, dass der Antrag auf Erklärung des Verfalls der angegriffenen Marke in Bezug auf alle in Rede stehenden Dienstleistungen der Klasse 35 zurückgewiesen wird.
Zum zweiten und zum dritten Klagegrund, die hinsichtlich der Erklärung des Verfal ls der angegriffenen Marke in Bezug auf die Waren der Klassen 3, 9, 16, 24, 25 und 32 und die Dienstleistungen der Klassen 41 und 42 auf einen Verstoß gegen Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 gestützt werden
85 Die Beschwerdekammer erklärte die angegriffene Marke in Bezug auf die Waren der Klasse 9 mit Ausnahme von „optischen Speicherplatten“ und in Bezug auf die Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 16, 24, 25, 32, 41 und 42, für die die angegriffene Marke eingetragen worden war, für verfallen. Sie stellte insoweit fest, dass die Klägerin keinen Nachweis für die tatsächliche, nach außen gerichtete Benutzung der angegriffenen Marke für diese Waren und Dienstleistungen erbracht habe und dass die Bekanntheit dieser Marke, auf die sich die Klägerin berufe, im Rahmen dieser Beurteilung nicht relevant sei. Nach Ansicht der Beschwerdekammer kann nämlich eine bekannte Marke – wie alle anderen Unionsmarken – im öffentlichen Interesse wegen Nichtbenutzung für verfallen erklärt werden. Der Schutzumfang einer solchen bekannten Marke im Falle eines Konflikts mit anderen Rechten des geistigen Eigentums ist nach Auffassung der Beschwerdekammer unabhängig von der Frage der Benutzung, die geeignet ist, um die Aufrechterhaltung der Rechte an einer solchen bekannten Marke für die Waren und Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, sicherzustellen.
86 Die Klägerin macht geltend, dass die Beschwerdekammer gegen Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 verstoßen habe, indem sie bei der Beurteilung der Nachweise für die ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke für die Waren der Klassen 3, 9, 16, 24, 25 und 32 und die Dienstleistungen der Klassen 41 und 42 die außergewöhnliche Bekanntheit dieser Marke als „Medienmarke“ in der Union nicht berücksichtigt habe und dass mithin diese Marke unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Unionsmarke bei der Anwendung der Verfallsregeln einen erweiterten Schutz genießen müsse.
87 Nach Ansicht der Klägerin können nämlich bestimmte Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 9, 16, 24, 25, 32, 41 und 42, die identische Verkehrskreise ansprächen wie die Dienstleistungen Werbung, Fernsehsendungen und Fernsehunterhaltung, für die die angegriffene Marke sehr bekannt sei, von deren Sogwirkung profitieren. Aufgrund der unmittelbaren „inhaltlichen“ oder „gedanklichen“ Nähe dieser Produkte zum Kerngeschäft der Klägerin würde die Benutzung eines auch nur entfernt ähnlichen Zeichens für solche Waren und Dienstleistungen beim Publikum zu Konfusionen über mögliche geschäftliche Verbindungen führen, was den Wert der Marke RTL beeinträchtigen würde und ihre Verwässerung zur Folge hätte.
88 Die Klägerin macht geltend, dass unter diesen Umständen Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 keinen Nachweis der Benutzung für jede einzelne der Waren und Dienstleistungen verlange, für die die bekannte Marke eingetragen sei. Sie führt aus, dass „[e]ine Benutzung … auch für solche Waren [vorliegt], hinsichtlich derer über den Bekanntheitsschutz Rechte geltend gemacht werden können“.
89 Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
90 In diesem Zusammenhang ist erstens festzustellen, dass die Klägerin mit ihrer Argumentation im Wesentlichen geltend macht, dass der Grundsatz, wonach die Benutzung einer Unionsmarke, um ihren Verfall zu vermeiden, für jede einzelne der Waren und Dienstleistungen nachgewiesen werden müsse, für die sie eingetragen sei, nicht gelte, wenn eine angegriffene Marke für andere Waren oder Dienstleistungen bekannt sei.
91 Eine solche Argumentation widerspricht jedoch nicht nur dem Wortlaut von Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001, sondern auch dem mit dieser Bestimmung verfolgten Zweck, wie er im 24. Erwägungsgrund dieser Verordnung dargelegt wird (siehe oben, Rn. 28). Indem der Unionsgesetzgeber in Art. 18 Abs. 1 und Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 eine Regel für den Verfall der Unionsmarke wegen mangelnder Benutzung während eines Zeitraums von fünf Jahren geschaffen hat, beabsichtigte er, die Aufrechterhaltung der an die Unionsmarke anknüpfenden Rechte davon abhängig zu machen, dass die Marke tatsächlich benutzt wird (Urteil vom 21. Dezember 2016, Länsförsäkringar, C‑654/15, EU:C:2016:998, Rn. 25).
92 Diese Bedingung erklärt sich aus der Überlegung, dass es nicht gerechtfertigt wäre, wenn eine Marke, die nicht benutzt wird, das Spektrum der Zeichen, die andere Marktteilnehmer als Marken eintragen lassen können, beschränken und den Mitbewerbern die Möglichkeit zur Verwendung dieser oder einer ähnlichen Marke nehmen könnte, wenn diese auf dem Binnenmarkt Waren oder Dienstleistungen anbieten, die mit den durch die fragliche Marke geschützten identisch oder ihnen ähnlich sind. Folglich könnte die Nichtbenutzung einer Unionsmarke auch den freien Warenverkehr und den freien Dienstleistungsverkehr beschränken (Urteile vom 19. Dezember 2012, Leno Merken, C‑149/11, EU:C:2012:816, Rn. 32, und vom 26. September 2013, Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions, C‑610/11 P, EU:C:2013:593, Rn. 54).
93 Der Normzweck des Erfordernisses, wonach eine Marke ernsthaft benutzt worden sein muss, um nach dem Unionsrecht geschützt zu sein, liegt darin, dass das Register des EUIPO nicht als ein strategisches und statisches Depot aufgefasst werden darf, das einem untätigen Rechtsinhaber auf unbestimmte Zeit ein rechtliches Monopol verschafft. Vielmehr soll dieses Register wahrheitsgetreu die Angaben widerspiegeln, die die Unternehmen tatsächlich auf dem Markt benutzen, um ihre Waren und Dienstleistungen im Wirtschaftsleben von anderen zu unterscheiden (vgl. Urteil vom 8. Juni 2022, Muschaweck/EUIPO – Conze [UM], T‑293/21, EU:T:2022:345, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
94 Darüber hinaus haben die Unionsgerichte bereits entschieden, dass die Bestimmungen über den erweiterten Schutz, der Unionsmarken verliehen wird, die in der Union Ansehen oder Bekanntheit genießen, ein anderes Ziel verfolgen als die Bestimmungen, die das Erfordernis des Nachweises einer ernsthaften Benutzung der Unionsmarke festschreiben, das zum Verfall der Marke führen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Dezember 2012, Leno Merken, C‑149/11, EU:C:2012:816, Rn. 53, und vom 3. September 2015, Iron & Smith, C‑125/14, EU:C:2015:539, Rn. 21). Während Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 die Bedingungen für den erweiterten Schutz auch über die Kategorien von Waren und Dienstleistungen hinaus regelt, für die eine Unionsmarke eingetragen wurde, drückt der Begriff „ernsthafte Benutzung“ die Mindestanforderung an die Benutzung aus, die alle Marken erfüllen müssen, um geschützt zu werden. Daraus folgt, dass sich die Bestimmungen über das Erfordernis einer ernsthaften Benutzung der Unionsmarke und insbesondere die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für den Nachweis dieser ernsthaften Benutzung von den die Bekanntheit einer solchen Marke betreffenden Bestimmungen und Kriterien unterscheiden. Diese beiden Arten von Bestimmungen sind daher autonom auszulegen (vgl. Urteil vom 4. Oktober 2017, Intesa Sanpaolo/EUIPO – Intesia Group Holding [INTESA], T‑143/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:687, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
95 Unterstellt, dass die angegriffene Marke im Mediensektor bekannt im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 ist, kann dieser Umstand als solcher somit nicht die ernsthafte Benutzung dieser Marke für die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 9, 16, 24, 25, 32, 41 und 42 nachweisen.
96 Auch aus der Einheitlichkeit der Unionsmarke lässt sich keine andere Schlussfolgerung ziehen.
97 Gemäß Art. 1 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 in Verbindung mit dem vierten Erwägungsgrund dieser Verordnung kommt die Einheitlichkeit einer Unionsmarke nämlich nur darin zum Ausdruck, dass sie einen einheitlichen Schutz genießt und einheitliche Wirkung für die gesamte Union hat.
98 Auch kann der siebte Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung 2018/625, der sich im Übrigen nur auf Verfahrensvorschriften bezieht, insbesondere auf das Verfallsverfahren, von der Klägerin nicht erfolgreich für die Auslegung der materiellen Bestimmungen der Verordnung 2017/1001 herangezogen werden.
99 Zweitens macht die Klägerin geltend, dass der erweiterte Schutz der angegriffenen Marke, deren Bekanntheit behauptet wird, notwendig sei, um deren Nutzung im Rahmen künftiger Lizenzvereinbarungen in Bezug auf die im zweiten und im dritten Klagegrund genannten Waren und Dienstleistungen zu ermöglichen. Selbst wenn dieses Argument als ein eigenständiges Argument neben dem Argument anzusehen wäre, auf das oben in den Rn. 90 bis 98 eingegangen wurde, ist festzustellen, dass die Klägerin keinen einzigen Beweis vorlegt, wie etwa eine Lizenzvereinbarung, die mit einem Dritten über die Nutzung der angegriffenen Marke für die in Rede stehenden Waren geschlossen wurde und die geeignet wäre, zum einen die tatsächliche Benutzung der angegriffenen Marke im Rahmen der Lizenzen für die Marke, die Dritten während des in Rede stehenden Zeitraums erteilt wurden, und zum anderen die Bedeutung einer solchen Benutzung nachzuweisen.
100 Darüber hinaus verweist die Klägerin auf die Akte des Verwaltungsverfahrens und insbesondere auf einige Fotos von Notizbüchern, Strandtüchern, Baby-Stramplern oder Bierdosen, auf denen eine Form der angegriffenen Marke abgebildet ist, zusammen mit Rechnungen und E‑Mails, die an RTL als Kundin der Unternehmen gesendet wurden, die diese auf deren Geheiß hergestellt haben. Da keine weiteren Beweise für den Vertrieb dieser Waren an Dritte vorliegen, können diese Fotos nicht die tatsächliche, nach außen gerichtete Benutzung der angegriffenen Marke zur Erschließung von Absatzmärkten für die Waren der Klassen 16, 24, 25 und 32 belegen, geschweige denn die Bedeutung einer solchen Benutzung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2016, Fruit of the Loom/EUIPO – Takko [FRUIT], T‑431/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:395, Rn. 55).
101 Die Beschwerdekammer hat daher zu Recht den Verfall der angegriffenen Marke in Bezug auf die Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 9, 16, 24, 25, 32, 41 und 42 bestätigt.
102 Angesichts des Vorstehenden sind der zweite und der dritte Klagegrund zurückzuweisen.
Kosten
103 Nach Art. 134 Abs. 1 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Wenn jedoch jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, trägt jede Partei ihre eigenen Kosten.
104 Da die Parteien im vorliegenden Fall jeweils teilweise unterlegen sind, sind sie jeweils zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Siebte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 19. September 2023 (Sache R 86/2023-2) wird dahin gehend abgeändert, dass der Antrag auf Erklärung des Verfalls in Bezug auf alle Dienstleistungen der Klasse 35 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung zurückgewiesen wird, die folgender Beschreibung entsprechen: „Werbung, Marketing und Verkaufsförderung“.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die RTL Group Markenverwaltungs GmbH, das EUIPO und Frau Marcella Örtl tragen jeweils ihre eigenen Kosten.
Kowalik-Bańczyk
Buttigieg
Ricziová
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 7. Mai 2025.
Der Kanzler
Der Präsident
V. Di Bucci
S. Papasavvas