C-770/23 P – Kommission/ HB

C-770/23 P – Kommission/ HB

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Language of document : ECLI:EU:C:2025:851

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 30. Oktober 2025(1)

Rechtssache C770/23 P

Europäische Kommission

gegen

HB

„ Rechtsmittel – Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Einziehung einer vertraglichen Forderung durch die Kommission im Wege der Verrechnung mit einer von ihrem Vertragspartner gegen sie geltend gemachten Forderung – Vertrag, der in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fällt – Befugnis der Kommission zum Erlass des Verrechnungsbeschlusses – Zuständigkeit der Unionsgerichte für die Entscheidung über die Klage gegen den Verrechnungsbeschluss “

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Rechtlicher Rahmen

III. Vorgeschichte des Rechtsmittelverfahrens

A. Dem Verfahren vor dem Gericht vorangegangener Sachverhalt

B. Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

C. Ereignisse nach Verkündung des angefochtenen Urteils und Einlegung des vorliegenden Rechtsmittels

IV. Rechtsmittelverfahren und Anträge der Parteien

V. Würdigung

A. Rechtsmittel

1. Fortbestand des Gegenstands des Rechtsmittels

2. Begründetheit

a) Einziehbarkeit einer bestrittenen Forderung durch Verrechnung (erster Rechtsmittelgrund)

b) Einziehbarkeit einer in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fallenden vertraglichen Forderung durch Verrechnung (zweiter Rechtsmittelgrund)

1) Verrechnungsbeschlüsse über vertragliche Forderungen sind anfechtbare Handlungen im Sinne von Art. 263 AEUV

2) Der Erlass eines Verrechnungsbeschlusses zur Einziehung einer vertraglichen Forderung, die in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fällt, ist dennoch möglich

3. Ergebnis in Bezug auf das Rechtsmittel

B. Klage vor dem Gericht

C. Zwischenergebnis

VI. Kosten

A. Kosten des Rechtsmittelverfahrens

B. Kosten im Verfahren des ersten Rechtszugs

VII. Ergebnis

I.      Einleitung

1.        Gemäß Art. 272 AEUV ist der Gerichtshof der Europäischen Union für Entscheidungen aufgrund einer Schiedsklausel zuständig, die in einem von der Union oder für ihre Rechnung abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Vertrag enthalten ist. Soweit keine Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgrund der Verträge besteht, sind nach Art. 274 AEUV Streitsachen, bei denen die Union Partei ist, der Zuständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte nicht entzogen.

2.        Mangels einer Schiedsklausel zugunsten der Unionsgerichte fallen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit den von der Europäischen Kommission geschlossenen Verträgen daher in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte(2).

3.        Trotz der trügerischen Einfachheit dieser Zuständigkeitsverteilung hat sich der Gerichtshof bereits mehrfach mit der Frage befasst, ob ein Rechtsstreit im Zusammenhang mit einem von der Kommission geschlossenen Vertrag vor den Unionsgerichten oder vor den nationalen Gerichten zu verhandeln ist(3).

4.        In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof im Urteil ADR Center/Kommission (im Folgenden: Urteil ADR)(4) entschieden, dass die Kommission nur dann von ihrer Befugnis, ihren Entscheidungen über die Einziehung vertraglicher Forderungen selbst Vollstreckbarkeit im Sinne von Art. 299 AEUV zu verleihen, Gebrauch machen kann, wenn der betreffende Vertrag eine Schiedsklausel zugunsten der Unionsgerichte enthält.

5.        Ein solcher Beschluss, der ein vollstreckbarer Titel ist, stellt nämlich eine mit der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV anfechtbare Handlung dar, in deren Rahmen die Unionsgerichte die Begründetheit der auf diese Weise eingezogenen Forderung zu prüfen haben. Der Erlass eines solchen Titels zur Einziehung einer Forderung aus einem in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fallenden Vertrag würde daher den Rechtsstreit dem zuständigen Gericht entziehen und die im AEU-Vertrag festgelegte Zuständigkeitsverteilung umgehen(5).

6.        Liegt eine solche Beschränkung aber auch dann vor, wenn die Kommission eine vertragliche Forderung, für die ein nationales Gericht zuständig ist, nicht durch Erlass eines Vollstreckungstitels, sondern im Wege der Verrechnung einzieht? Mit anderen Worten: Ist die Kommission daran gehindert, eine Forderung, die sie aufgrund eines Vertrags geltend macht, der keine Schiedsklausel zugunsten der Unionsgerichte enthält, im Wege der Aufrechnung einzuziehen?

7.        Im angefochtenen Urteil(6) hat das Gericht dies bejaht. Nach Auffassung des Gerichts stellt ein Verrechnungsbeschluss ebenso wie ein Beschluss, der ein vollstreckbarer Titel im Sinne von Art. 299 AEUV ist, eine nach Art. 263 AEUV anfechtbare Handlung dar. Eine Forderung aus einem Vertrag, der keine Schiedsklausel enthält, falle jedoch für die Prüfung ihrer Begründetheit in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts. Daher stelle der Erlass eines Verrechnungsbeschlusses zur Einziehung einer solchen Forderung ebenfalls eine Umgehung der im AEU-Vertrag festgelegten Zuständigkeitsverteilung dar(7).

8.        Im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens hat der Gerichtshof zu beurteilen, ob diese Lösung zutreffend ist.

9.        Bevor sich der Gerichtshof mit dieser Problematik befassen kann, wird er prüfen müssen, ob der Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittels fortbesteht. Diese Frage stellt sich deshalb, weil die Forderung von HB gegen die Kommission, mit der diese die streitige Verrechnung vorgenommen hat, nicht mehr besteht, so dass der im ersten Rechtszug angefochtene Verrechnungsbeschluss gegenstandslos geworden ist.

II.    Rechtlicher Rahmen

10.      Für den vorliegenden Rechtsstreit gelten die Bestimmungen der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union (im Folgenden: Haushaltsordnung von 2018)(8).

11.      Art. 98 („Feststellung von Forderungen“) der Haushaltsordnung von 2018 bestimmt u. a.:

„(1)      Zur Feststellung einer Forderung muss der zuständige Anweisungsbefugte

a)      das Vorliegen der Verbindlichkeiten des Schuldners überprüfen;

b)      das Bestehen und die Höhe der Schuld bestimmen oder überprüfen und

c)      die Fälligkeit der Schuld überprüfen.

Mit der Feststellung einer Forderung wird bestätigt, dass die Union einen Anspruch gegenüber einem Schuldner hat und berechtigt ist, von diesem Schuldner die Begleichung seiner Schuld zu fordern.

(2)      Jede einredefreie, bezifferte und fällige Forderung ist dadurch festzustellen, dass eine Einziehungsanordnung ausgestellt wird, durch die der zuständige Anweisungsbefugte den Rechnungsführer anweist, den Betrag einzuziehen. Anschließend wird dem Schuldner eine Zahlungsaufforderung übermittelt, es sei denn, es wird unmittelbar ein Verzichtsverfahren gemäß Absatz 4 Unterabsatz 2 durchgeführt. Sowohl die Einziehungsanordnung als auch die Zahlungsaufforderung werden vom zuständigen Anweisungsbefugten ausgestellt.

Der Anweisungsbefugte übermittelt die Zahlungsaufforderung unmittelbar nach Feststellung der Forderung, spätestens jedoch vor Ablauf einer Frist von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt, an dem das Unionsorgan unter normalen Umständen die Schuld hätte einfordern können. …

(3)      Zur Feststellung einer Forderung vergewissert sich der zuständige Anweisungsbefugte, dass

a)      die Forderung einredefrei, d. h. nicht an eine Bedingung geknüpft ist;

b)      die Forderung bezifferbar, d. h. in einem genauen Geldbetrag ausgedrückt ist;

c)      die Forderung fällig ist, d. h., dass keine Zahlungsfrist vorliegt;

(4)      Die Zahlungsaufforderung ist die dem Schuldner erteilte Information, dass

a)      die Union die Forderung festgestellt hat;

…“

12.      Art. 101 Abs. 1 Unterabs. 3 der Haushaltsordnung von 2018 sieht vor, dass „[d]er Rechnungsführer … den geschuldeten Betrag durch Verrechnung gemäß Artikel 102 ein[zieht]“.

13.      Art. 102 („Einziehung durch Verrechnung“) der Haushaltsordnung von 2018 lautet:

„(1)      Wenn der Schuldner gegenüber der Union oder einer mit der Ausführung des Haushalts betrauten Exekutivagentur eine nach Artikel 98 Absatz 3 Buchstabe a einredefreie, bezifferbare und fällige Forderung geltend macht, die einen durch eine Auszahlungsanordnung festgestellten Geldbetrag zum Gegenstand hat, nimmt der Rechnungsführer nach Ablauf der in Artikel 98 Absatz 4 Unterabsatz 1 Buchstabe b genannten Frist die Einziehung der festgestellten Forderung durch Verrechnung vor.

Soweit der Schutz der finanziellen Interessen der Union dies erfordert, kann der Rechnungsführer die Einziehung durch Verrechnung unter außergewöhnlichen Umständen vor Ablauf der in Artikel 98 Absatz 4 Unterabsatz 1 Buchstabe b genannten Zahlungsfrist vornehmen, wenn er berechtigten Grund zu der Annahme hat, dass der der Union geschuldete Betrag verloren gehen könnte.

Wenn der Schuldner einverstanden ist, kann der Rechnungsführer die Einziehung durch Verrechnung auch vor Ablauf der in Artikel 98 Absatz 4 Unterabsatz 1 Buchstabe b genannten Frist vornehmen.

(2)      Bevor eine Einziehung gemäß Absatz 1 dieses Artikels erfolgt, nimmt der Rechnungsführer Rücksprache mit dem zuständigen Anweisungsbefugten und unterrichtet die betreffenden Schuldner, auch über die Rechtsbehelfe gemäß Artikel 133.

(3)      Die Verrechnung im Sinne des Absatzes 1 hat die Wirkung einer Zahlung und entlastet die Union in Höhe des Betrags der Schuld und der gegebenenfalls fälligen Zinsen.“

14.      Art. 103 („Einziehungsverfahren bei Ausbleiben einer freiwilligen Zahlung“) der Haushaltsordnung von 2018 lautet:

„(1)      Ist unbeschadet des Artikels 102 bei Ablauf der in Artikel 98 Absatz 4 Unterabsatz 1 Buchstabe b genannten Frist die vollständige Einziehung nicht erwirkt worden, so setzt der Rechnungsführer den zuständigen Anweisungsbefugten hiervon in Kenntnis und leitet unverzüglich das Einziehungsverfahren mit allen ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln ein, einschließlich gegebenenfalls durch Inanspruchnahme aller vorherigen Garantien.

(2)      Ist unbeschadet des Artikels 102 die in Absatz 1 dieses Artikels genannte Art der Einziehung nicht möglich und hat der Schuldner die Zahlung auf ein Fristsetzungsschreiben des Rechnungsführers hin nicht geleistet, so nimmt dieser die Einziehung im Wege der Zwangsvollstreckung des Titels gemäß Artikel 100 Absatz 2 oder auf der Grundlage eines gerichtlich erwirkten Titels vor.“

III. Vorgeschichte des Rechtsmittelverfahrens

A.      Dem Verfahren vor dem Gericht vorangegangener Sachverhalt

15.      Die Vorgeschichte des Rechtsstreits wird in den Randnummern 14 bis 37 des angefochtenen Urteils dargestellt und lässt sich wie folgt zusammenfassen.

16.      Am 24. Oktober 2007 veröffentlichte die Union, vertreten durch die Europäische Agentur für Wiederaufbau (EAR), eine Ausschreibung mit dem Ziel, den CARDS-Auftrag zu vergeben, d. h. einen Dienstleistungsauftrag über die Bereitstellung technischer Hilfe für den Hohen Justizrat in Serbien.

17.      Am 10. Juni 2008 wurde der CARDS-Auftrag an das von HB koordinierte Konsortium vergeben. Der entsprechende Vertrag im Wert von bis zu 1 999 125 Euro wurde dann am 30. Juli 2008 unterzeichnet. Dieser Vertrag sah u. a. vor, dass für alle sich daraus ergebenden oder damit zusammenhängenden Streitigkeiten die Gerichte von Brüssel (Belgien) zuständig waren(9).

18.      Nachdem das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) Unregelmäßigkeiten festgestellt hatte, erließ die Kommission am 15. Oktober 2019 den Beschluss C(2019) 7319 final. Darin vertrat sie die Auffassung, dass die im Rahmen des CARDS-Auftrags geleisteten Zahlungen in Höhe von 1 197 055,86 Euro zu Unrecht getätigt worden und von HB einzuziehen seien (im Folgenden: CARDS-Rückforderungsbeschluss).

19.      Am 19. November 2019 erhob HB beim Gericht zwei Klagen, die unter den Aktenzeichen T‑795/19 bzw. T‑796/19 in das Register eingetragen wurden, mit denen sie u. a. die Rechtmäßigkeit des CARDS-Rückforderungsbeschlusses anfocht.

20.      Am 7. Februar 2020 verklagte HB die Union, vertreten durch die Kommission, vor dem Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (französischsprachiges Gericht Erster Instanz von Brüssel, Belgien). Sie beantragte u. a., festzustellen, dass die Union nicht berechtigt sei, den CARDS-Auftrag zu kündigen. Hilfsweise beantragte sie, die Union zur Zahlung vertraglichen Schadensersatzes in Höhe des Vertragswerts zu verurteilen.

21.      Am 19. Februar 2021 erließ das Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (französischsprachiges Gericht Erster Instanz von Brüssel) ein Urteil, in dem es feststellte, dass es über die für die Entscheidung über die von HB erhobene Klage erforderliche Zuständigkeit verfüge. Es beschloss jedoch, das Verfahren in der Sache in Erwartung der Entscheidungen zur Beendigung des Verfahrens in den Rechtssachen T‑795/19 und T‑796/19 auszusetzen.

22.      Mit seinen Urteilen vom 21. Dezember 2021 in diesen Rechtssachen, HB/Kommission(10) und HB/Kommission(11) (im Folgenden zusammen: Urteile in den Rechtssachen T‑795/19 und T‑796/19, HB/Kommission), wies das Gericht u. a. die Klagen als unzulässig ab, soweit sie auf die Nichtigerklärung des CARDS-Rückforderungsbeschlusses gerichtet waren. Außerdem erlegte es der Kommission die Kosten einschließlich der Kosten des von HB eingeleiteten Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes auf.

23.      Mit Schreiben vom 31. März 2022 erklärte sich die Kommission mit der Höhe der ihr aufgrund der Urteile in den Rechtssachen T‑795/19 und T‑796/19, HB/Kommission, auferlegten Kosten in Höhe von insgesamt 19 904,76 Euro einverstanden. Sie stellte jedoch die Zahlung dieses Betrags im Wege der Verrechnung in Aussicht, da im Wesentlichen u. a. die Forderung aus dem CARDS-Rückforderungsbeschluss weiterhin geschuldet sei.

24.      Am 13. Mai 2022 erließ die Kommission einen Beschluss, mit dem sie die von HB gegen sie geltend gemachte Kostenforderung in den Rechtssachen T‑795/19 und T‑796/19 gegen die Forderung in Höhe von 1 197 055,86 Euro verrechnete, die ihr gemäß dem CARDS-Rückforderungsbeschluss gegen HB zustehe (im Folgenden: streitiger Beschluss).

B.      Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

25.      Mit Klageschrift, die am 18. Juli 2022 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob HB Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses und auf Verurteilung der Kommission zum Ersatz ihres materiellen Schadens.

26.      Mit dem angefochtenen Urteil erklärte das Gericht den streitigen Beschluss für nichtig (Nr. 1 des Tenors), wies die Klage im Übrigen ab (Nr. 2 des Tenors) und erlegte HB und der Kommission jeweils ihre eigenen Kosten auf (Nr. 3 des Tenors).

C.      Ereignisse nach Verkündung des angefochtenen Urteils und Einlegung des vorliegenden Rechtsmittels

27.      Mit Urteil vom 26. September 2024 in den verbundenen Rechtssachen C‑160/22 P und C‑161/22 P, Kommission/HB, hat der Gerichtshof die Urteile in den Rechtssachen T‑795/19 und T‑796/19, HB/Kommission, aufgehoben, diese Rechtssachen an das Gericht zurückverwiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten (im Folgenden: Urteil in den verbundenen Rechtssachen C‑160/22 P und C‑161/22 P, Kommission/HB)(12).

IV.    Rechtsmittelverfahren und Anträge der Parteien

28.      Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2023, der am 15. Dezember 2023 berichtigt wurde, hat die Kommission gegen das angefochtene Urteil Rechtsmittel eingelegt.

29.      Die Kommission beantragt,

–        die Nrn. 1 und 3 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben;

–        den Rechtsstreit gemäß Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union endgültig zu entscheiden und die von HB im ersten Rechtszug erhobene Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses abzuweisen;

–        HB die Kosten des vorliegenden Verfahrens vor dem Gerichtshof und des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen.

30.      HB beantragt,

–        das Rechtsmittel der Kommission zurückzuweisen;

–        der Kommission sämtliche Kosten aufzuerlegen.

31.      Mit Antrag gemäß Art. 149 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der den Parteien am 21. Oktober 2024 übermittelt wurde, hat der Gerichtshof diese gebeten, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob das vorliegende Rechtsmittel nach der Verkündung des Urteils in den verbundenen Rechtssachen C‑160/22 P und C‑161/22 P, Kommission/HB, gegenstandslos geworden ist. Die Parteien haben innerhalb der gesetzten Frist auf dieses Ersuchen geantwortet.

32.      Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung abgesehen.

V.      Würdigung

33.      Der vorliegende Rechtsstreit erfordert, zunächst auf das Rechtsmittel (A) und dann auf die Klage vor dem Gericht einzugehen (B).

A.      Rechtsmittel

34.      Bevor ich auf die Begründetheit des vorliegenden Rechtsmittels eingehe (2), werde ich prüfen, ob der Gegenstand dieses Rechtsmittels ungeachtet des Wegfalls des Gegenstands des im ersten Rechtszug angefochtenen streitigen Beschlusses fortbesteht (1).

1.      Fortbestand des Gegenstands des Rechtsmittels

35.      Einleitend ist festzustellen, dass bei einem Verrechnungsgeschäft ein Schuldner (im vorliegenden Fall die Kommission), gegen den ein Gläubiger (im vorliegenden Fall HB) eine sogenannte „Haupt-“ oder „Passivforderung“ hat, diese Forderung mit einer sogenannten „Gegen-“ oder „Aktivforderung“, die er selbst gegen den Gläubiger der Hauptforderung hat, verrechnet. Mit anderen Worten: Anstatt seinem Gläubiger den Betrag der Hauptforderung zu zahlen, rechnet er diesen Betrag mit dem Betrag der Gegenforderung auf, um ein Hin und Her von zwei Auszahlungen zwischen denselben Personen zu vermeiden.

36.      Die Verrechnung ist somit ein ganz bestimmter Modus, um Verbindlichkeiten eines Schuldners zum Erlöschen zu bringen, und zugleich umgekehrt eine Art der Einziehung der Forderungen, die dieser seinerseits gegen seinen Gläubiger geltend macht(13).

37.      Im vorliegenden Fall belief sich, wie in den Nrn. 22 bis 24 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, zum einen die Hauptforderung, die die Kommission HB schuldete, auf 19 904,76 Euro und resultierte aus den Kosten, zu denen das Gericht die Kommission in den Rechtssachen T‑795/19 und T‑796/19, HB/Kommission, verurteilt hatte. Zum anderen belief sich die Gegenforderung, die die Kommission gegen HB geltend machte und die sie mit dem streitigen Beschluss teilweise beitrieb, auf 1 197 055,86 Euro und bestand aus dem Betrag, den die Kommission von HB im Rahmen des CARDS-Auftrags forderte.

38.      Wie jedoch in Nr. 27 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, hat der Gerichtshof mit dem Urteil in den verbundenen Rechtssachen C‑160/22 P und C‑161/22 P, Kommission/HB, die Urteile in den Rechtssachen T‑795/19 und T‑796/19, HB/Kommission, aufgehoben, diese Rechtssachen an das Gericht zurückverwiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten. Die Kommission schuldet HB diesen Kostenbetrag daher nicht mehr, sodass die Hauptforderung nicht mehr besteht.

39.      Folglich ist, wie die Kommission in ihrer Antwort auf die Fragen des Gerichtshofs eingeräumt hat, der im ersten Rechtszug angefochtene streitige Beschluss gegenstandslos geworden und muss zurückgenommen werden.

40.      Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Urteil in den verbundenen Rechtssachen C‑160/22 P und C‑161/22 P, Kommission/HB, entschieden, dass der CARDS-Rückforderungsbeschluss als anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV einzustufen ist und das Gericht zu Unrecht angenommen hat, dass er im Rahmen vertraglicher Beziehungen ergangen ist. Die von der Kommission im streitigen Beschluss gegen HB eingezogene Gegenforderung fällt daher in die Zuständigkeit des Gerichts. Daraus folgt, dass die Lösung des Urteils ADR, das die Einziehung einer in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fallenden vertraglichen Forderung betrifft und die Grundlage für die im angefochtenen Urteil gewählte Lösung bildet, im vorliegenden Fall nicht mehr relevant ist.

41.      Nach Ansicht der Kommission ist jedoch das vorliegende Rechtsmittel nicht gegenstandslos geworden, insbesondere weil der Gerichtshof klären müsse, ob die vom Gericht im angefochtenen Urteil gewählte Lösung im Hinblick auf den Erlass künftiger Entscheidungen über die Einziehung durch Verrechnung von Forderungen aus Verträgen, die keine Schiedsklauseln zugunsten der Unionsgerichte enthielten, gültig sei.

42.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ebenso wie das Rechtsschutzinteresse auch der Streitgegenstand bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen muss – andernfalls der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist(14).

43.      Außerdem ergibt sich aus Art. 56 Abs. 2 und 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass privilegierte Kläger wie die Kommission kein Rechtsschutzinteresse für die Einlegung eines Rechtsmittels nachweisen müssen(15). Über einen anhängigen Rechtsstreit kann jedoch nur dann entschieden werden, wenn die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht infolge der Erledigung des Streitgegenstands rein hypothetischer Natur sind(16). Die privilegierten Rechtsmittelführer können daher weder die Urteile des Gerichts vor dem Gerichtshof unbeschränkt anfechten(17), noch sind sie frei von jeder Bindung in Bezug auf den Fortbestand des Streitgegenstands(18).

44.      Somit ist es nicht Sache des Gerichtshofs, sich im Rahmen eines Rechtsmittels mit allgemeinen und abstrakten Fragen zu befassen oder „rechtliche Belehrungen“ vorzunehmen(19). Der Gerichtshof lehnt es daher ab, über ein Rechtsmittel zu entscheiden, wenn sein Urteil nur für zukünftige gleichartige Fälle von Interesse wäre(20).

45.      Im Rahmen der Beurteilung des Rechtsschutzinteresses nicht privilegierter Kläger erkennt der Gerichtshof jedoch an, dass solche Kläger unter bestimmten Umständen ein Interesse an der Aufhebung einer im Lauf des Verfahrens aufgehobenen Handlung behalten, um den Urheber der angefochtenen Handlung zu veranlassen, diese für die Zukunft in geeigneter Weise zu ändern, und um somit das Risiko zu vermeiden, dass sich die Rechtswidrigkeit, die der angefochtenen Handlung anhaften soll, wiederholt(21). Der Fortbestand eines solchen Interesses ist insbesondere dann anzunehmen, wenn vorhersehbar ist, dass das betreffende Organ kurz- oder mittelfristig neue Rechtsakte erlassen wird, die genau auf die vom Kläger in Frage gestellte rechtliche Auslegung gestützt sind(22).

46.      Dies muss erst recht für die Beurteilung des Fortbestands des Gegenstands eines Rechtsmittels gelten, das wie das vorliegende Rechtsmittel von einem privilegierten Rechtsmittelführer eingelegt wurde, der kein Rechtsschutzinteresse nachweisen muss.

47.      Wie in Nr. 7 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, hat das Gericht im angefochtenen Urteil entschieden, dass die Kommission in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die im Wege der Verrechnung eingezogene Gegenforderung aus einem Vertrag stammt, der keine Schiedsklausel zugunsten der Unionsgerichte enthält, nicht befugt ist, auf diese Art der Einziehung zurückzugreifen.

48.      Wie die Kommission in ihren Schriftsätzen ausgeführt hat, folgt daraus, dass sie nach der Rechtslage, die durch die Gründe des angefochtenen Urteils bestimmt wird und die sie zu beachten hat(23), nicht mehr auf die Verrechnung zurückgreifen kann, um Forderungen einzuziehen, die sie gegenüber Vertragspartnern geltend macht, an die sie durch Verträge gebunden ist, die keine Schiedsklausel zugunsten der Unionsgerichte enthalten. Die Kommission hat indessen anhand von Zahlen belegt, dass diese Forderungen sehr zahlreich sind und einen erheblichen Haushaltsposten darstellen.

49.      Daraus folgt, dass der Wegfall des Gegenstands des durch den Tenor des angefochtenen Urteils für nichtig erklärten streitigen Beschlusses nicht die Folgen beseitigt, die die in den Gründen dieses Urteils gewählte Lösung für die Kommission(24) und im weiteren Sinne für die Unionsrechtsordnung mit sich bringt. Der Wegfall dieses Gegenstands beseitigt nämlich nicht die rechtliche Würdigung, auf der der Tenor des angefochtenen Urteils(25), das Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens ist, beruht. Sollte dieses in einer Erledigung der Hauptsache enden, würde diese Lösung, die in den Gründen enthalten ist, die den Tenor des angefochtenen Urteils tragen, somit in Rechtskraft erwachsen(26).

50.      Unter diesen Umständen verstieße es nicht nur gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit sowie des Schutzes und der ordnungsgemäßen Verwaltung der Finanzen der Union, sondern auch gegen die Grundsätze der Verfahrensökonomie und der geordneten Rechtspflege, davon auszugehen, dass das vorliegende Rechtsmittel gegenstandslos geworden ist, und die Kommission zu verpflichten, die Rechtslage in Bezug auf die Verrechnung vertraglicher Forderungen durch die Einleitung weiterer Rechtsmittelverfahren zu klären.

51.      Zudem ist jedenfalls auch nicht ersichtlich, dass der Wegfall des Gegenstands des streitigen Beschlusses den Rechtsstreit zwischen den Parteien beendet hätte und das Rechtsmittel daher aus diesem Grund gegenstandslos geworden wäre(27).

52.      Daraus folgt, dass unbeschadet des Wegfalls des Gegenstands des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. Nrn. 105 und 106 der vorliegenden Schlussanträge) das vorliegende Rechtsmittel nicht gegenstandslos geworden und daher in der Sache zu prüfen ist.

2.      Begründetheit

53.      Nach Ansicht der Kommission weist die Begründung des Gerichts im angefochtenen Urteil in doppelter Hinsicht Rechtsfehler auf.

54.      Zum einen wirft die Kommission dem Gericht vor, zu Unrecht entschieden zu haben, dass sie eine vertragliche Forderung, deren Begründetheit vor dem zuständigen nationalen Gericht bestritten worden sei, nicht im Wege der Verrechnung einziehen könne (a).

55.      Zum anderen habe das Gericht die Verrechnungsbeschlüsse rechtsfehlerhaft den Beschlüssen, die vollstreckbare Titel sind, gleichgestellt und die Erwägungen des Urteils ADR auf sie übertragen (b).

a)      Einziehbarkeit einer bestrittenen Forderung durch Verrechnung (erster Rechtsmittelgrund)

56.      Im Rahmen ihres ersten Rechtsmittelgrunds macht die Kommission geltend, das Gericht habe in den Rn. 60 und 61 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen. Es habe die Prüfung, ob eine Forderung einredefrei, bezifferbar und fällig sei, mit der Prüfung ihrer Begründetheit verwechselt und die Anfechtung zu Unrecht als einen Gesichtspunkt betrachtet, der bei der Beurteilung der Frage, ob die Forderung einredefrei, bezifferbar und fällig sei, zu berücksichtigen sei.

57.      In diesen Randnummern hat das Gericht entschieden, dass die Kommission bei Erlass des streitigen Beschlusses die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verrechnung einer vertraglichen Forderung verkannt habe, die vor einem nationalen Gericht angefochten worden sei, das allein für die Feststellung zuständig gewesen sei, ob diese Forderung begründet sei und ob sie, ganz allgemein, einredefrei, bezifferbar und fällig sei, so dass sie im Rahmen einer Verrechnung berücksichtigt werden könne(28).

58.      Wie die Kommission zu Recht feststellt, ergibt sich aus diesen Erwägungen in der Tat, dass das Gericht implizit, aber zwangsläufig davon ausgegangen ist, dass die Frage, ob eine Forderung bestritten ist oder nicht, ein Gesichtspunkt war, der bei der Prüfung der Frage, ob diese Forderung einredefrei, bezifferbar und fällig im Sinne der Bestimmungen der Haushaltsordnung von 2018 sei, zu berücksichtigen war.

59.      Diese Auslegung hält jedoch einer Prüfung der relevanten Bestimmungen dieser Verordnung im Hinblick auf ihren Wortlaut, ihre Systematik und ihr Ziel nicht stand.

60.      Erstens wird mit der Feststellung einer Forderung bestätigt, dass die Union einen Anspruch gegenüber einem Schuldner hat und berechtigt ist, von diesem Schuldner die Begleichung seiner Schuld zu fordern (Art. 98 Abs. 1 Unterabs. 2 der Haushaltsordnung von 2018). Zur Feststellung einer Forderung vergewissert sich der zuständige Anweisungsbefugte u. a., dass a) die Forderung einredefrei, d. h. nicht an eine Bedingung geknüpft ist, b) die Forderung bezifferbar, d. h. in einem genauen Geldbetrag ausgedrückt ist, und c) die Forderung fällig ist, d. h., dass keine Zahlungsfrist vorliegt (Art. 98 Abs. 3 Buchst. a bis c dieser Verordnung).

61.      Zweitens stellt der zuständige Anweisungsbefugte jede einredefreie, bezifferte und fällige Forderung dadurch fest, dass er eine Einziehungsanordnung ausstellt, durch die er den Rechnungsführer anweist, den Betrag einzuziehen. Auf diese Einziehungsanordnung hin wird dem Schuldner eine Zahlungsaufforderung übermittelt, die ihn über die Feststellung der Forderung und die Zahlungsfrist informiert (Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Abs. 4 Unterabs. 1 sowie Art. 100 Abs. 1 der Haushaltsordnung von 2018).

62.      Drittens kann der Rechnungsführer, sofern er nicht beschließt, die Forderung ganz oder teilweise zu annullieren, nur in hinreichend begründeten Fällen auf die Einziehung einer festgestellten Forderung verzichten, wenn sich die Einziehung als unmöglich oder unverhältnismäßig erweist (Art. 101 Abs. 2 bis 6 der Haushaltsordnung von 2018).

63.      Macht, viertens schließlich, der Schuldner seinerseits gegenüber der Union eine Forderung geltend, nimmt der Rechnungsführer die Einziehung der festgestellten Forderung der Union durch Verrechnung vor, nachdem er dem Schuldner Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (Art. 101 Abs. 1 Unterabs. 3 und Art. 102 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 sowie Art. 133 der Haushaltsordnung von 2018).

64.      Aus einer Zusammenschau dieser Vorschriften ergibt sich, dass sich die Einredefreiheit der Forderung nur auf den Umstand bezieht, dass sie keiner Bedingung unterliegt (siehe oben, Nr. 60), und nicht mit ihrer Unbestrittenheit verwechselt werden darf(29).

65.      Somit wird die Einredefreiheit einer Forderung bestimmt und die Einziehungsanordnung ergeht, noch bevor der Schuldner durch die Zahlungsaufforderung über die Feststellung dieser Forderung informiert wird, die Anlass zu ihrer Anfechtung geben kann (oben, Nr. 61). Zwar muss der Rechnungsführer dem Schuldner Gelegenheit zur Stellungnahme geben, bevor er die Einziehung der festgestellten Forderung durch Verrechnung vornimmt (siehe oben, Nr. 63). Er kann jedoch nicht auf die Einziehung einer einmal festgestellten Forderung verzichten, selbst wenn sie angefochten wird, es sei denn, er beschließt, sie zu annullieren (siehe oben, Nr. 62).

66.      Folglich ist die Unbestrittenheit einer Forderung keine Voraussetzung für die Feststellung dieser Forderung und ihre Einziehung durch Verrechnung. Vielmehr können der zuständige Anweisungsbefugte und der Rechnungsführer, wenn eine Forderung festgestellt wird, nicht von ihrer Einziehung durch Verrechnung absehen.

67.      Dies ist nur folgerichtig im Hinblick auf das Ziel der Haushaltsordnung von 2018, das im Schutz der finanziellen Interessen und in der ordnungsgemäßen Verwaltung des Haushaltsplans der Union besteht, die für deren Funktionieren unerlässlich sind(30).

68.      Das Gericht ist daher in früheren Rechtssachen zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anfechtung einer Forderung einem Rückgriff auf die Verrechnung zwecks ihrer Einziehung nicht entgegensteht(31).

69.      Folglich hat das Gericht seine Begründung in den Rn. 60 und 61 des angefochtenen Urteils zu Unrecht implizit, aber zwangsläufig auf die Erwägung gestützt, dass die Anfechtung einer von der Union festgestellten Forderung der Einziehung dieser Forderung im Wege der Verrechnung entgegenstehe. Der erste Rechtsmittelgrund der Kommission ist daher begründet und greift durch.

b)      Einziehbarkeit einer in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fallenden vertraglichen Forderung durch Verrechnung (zweiter Rechtsmittelgrund)

70.      Im Rahmen ihres zweiten Rechtsmittelgrundes macht die Kommission geltend, das Gericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Erlass eines Verrechnungsbeschlusses zur Einziehung einer in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fallenden vertraglichen Forderung zu einer Umgehung der im Primärrecht festgelegten Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten führe. Selbst wenn ein solcher Verrechnungsbeschluss eine vor den Unionsgerichten anfechtbare Handlung darstellen sollte, könne er insoweit nicht einem Beschluss, der ein vollstreckbarer Titel im Sinne von Art. 299 AEUV wie der im Urteil ADR sei, gleichgestellt werden.

71.      Zur Beurteilung dieser Rügen ist als Erstes zu bestätigen, dass das Gericht die Verrechnungsbeschlüsse zu Recht als anfechtbare Handlungen im Sinne von Art. 263 AEUV eingestuft hat (Rn. 52 und 54 des angefochtenen Urteils) (1).

72.      Als Zweites werde ich prüfen, ob die Kommission gleichwohl befugt ist, solche Beschlüsse zu erlassen, um vertragliche Forderungen einzuziehen, deren Begründetheit in die gerichtliche Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fällt (2).

1)      Verrechnungsbeschlüsse über vertragliche Forderungen sind anfechtbare Handlungen im Sinne von Art. 263 AEUV

73.      Nach der Rechtsprechung kann bei Vorliegen eines Vertrags, der den Kläger an ein Organ bindet, eine Klage nach Art. 263 AEUV nur dann bei den Unionsgerichten anhängig gemacht werden, wenn die angefochtene Handlung verbindliche Rechtswirkungen erzeugen soll, die außerhalb der vertraglichen Beziehung, die die Parteien bindet, angesiedelt sind und die Ausübung hoheitlicher Befugnisse voraussetzen, die dem vertragschließenden Organ als Verwaltungsbehörde übertragen worden sind(32).

74.      Zwar handelt es sich bei der Verrechnung um einen Mechanismus, der im Zivilrecht zwischen Privatpersonen, die über keine hoheitlichen Befugnisse verfügen, üblich ist(33). Der Erlass eines Verrechnungsbeschlusses nach der durch die Haushaltsordnung von 2018 eingeführten Regelung zur Einziehung einer vertraglichen Forderung ist jedoch eine Handlung, die außerhalb der vertraglichen Beziehung zwischen den Parteien liegt und die Ausübung hoheitlicher Befugnisse voraussetzt, die dem vertragschließenden Organ als Verwaltungsbehörde übertragen wurden.

75.      Wenn, zum einen, die Kommission eine Gegenforderung, die sie gegen ihren Vertragspartner auf der Grundlage eines Vertrags geltend macht, mit einer Hauptforderung verrechnet, die dieser gegen sie aufgrund einer anderen vertraglichen oder einseitigen Beziehung hat(34), entfaltet dieser Beschluss verbindliche Rechtswirkungen, die über die vertragliche Beziehung hinausgehen, aus der die Gegenforderung resultiert.

76.      Zum anderen setzt der Erlass eines solchen Beschlusses die Ausübung hoheitlicher Befugnisse voraus, die der Kommission in ihrer Eigenschaft als Verwaltungsbehörde übertragen wurden. Insoweit gehen die verbindlichen Rechtswirkungen eines solchen Beschlusses über jegliche vertragliche Beziehung zwischen den Parteien hinaus, unabhängig davon, ob die Hauptforderung und die Gegenforderung, die Gegenstand des Verrechnungsbeschlusses sind, aus demselben Vertrag stammen oder nicht.

77.      Wie ich nämlich in der Rechtssache ADR ausgeführt habe, beschränken sich die verbindlichen Rechtswirkungen eines Beschlusses, der aufgrund hoheitlicher Befugnisse erlassen wird, die dem vertragschließenden Organ als Verwaltungsbehörde übertragen worden sind, niemals allein auf die vertragliche Beziehung der Parteien. Ein solcher Beschluss entfaltet immer auch außervertragliche Rechtswirkungen, gerade weil diese Wirkungen auf einer allgemeinen hoheitlichen und außervertraglichen Befugnis des vertragschließenden Organs beruhen(35).

78.      Verrechnungsbeschlüsse gehören im Wesentlichen aus zwei Gründen zur Wahrnehmung solcher hoheitlicher Befugnisse.

79.      Zum einen hat der Erlass eines Verrechnungsbeschlusses hoheitlichen Charakter, weil die Kommission, wie in den Nrn. 64 bis 66 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, verpflichtet ist, einen solchen Beschluss auch dann zu erlassen, wenn die auf diese Weise eingezogene Forderung angefochten wird.

80.      Zum anderen und vor allem kann der Vertragspartner der Kommission anders als in zivilrechtlichen Beziehungen zwischen Privatparteien dieser keine Verrechnung entgegenhalten, wenn sie die ihr gegenüber geltend gemachte Forderung bestreitet. Die Haushaltsordnung sieht keinen Verrechnungsmechanismus vor, der es dem Vertragspartner ermöglichen würde, unter solchen Umständen eine Verrechnung vorzunehmen.

81.      Zudem ergibt sich aus der Zusammenschau der Art. 102 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 111 Abs. 3 bis 5 der Haushaltsordnung von 2018, dass ein Vertragspartner der Kommission nur dann eine einredefreie, bezifferbare und fällige Forderung gegenüber der Union geltend machen kann, wenn der entsprechende Geldbetrag durch eine Auszahlungsanordnung festgestellt wurde. Eine solche Auszahlungsanordnung wird erst erteilt, wenn der zuständige Anweisungsbefugte zuvor akzeptiert hat, dass eine Ausgabe zulasten des Haushalts gehen wird, nachdem er insbesondere geprüft hat, ob die Voraussetzungen der rechtlichen Verpflichtung, die diese Ausgabe vorsieht, erfüllt sind. Ist die Kommission daher der Auffassung, dass eine Ausgabe, die ein Vertragspartner von ihr verlangt, nicht gerechtfertigt ist, wird eine solche Auszahlungsanordnung nicht erteilt, so dass der Vertragspartner nicht über eine einredefreie, bezifferbare und fällige Forderung verfügt, die im Rahmen einer Verrechnung geltend zu machen wäre.

82.      Infolgedessen hat das Gericht im Rahmen einer ständigen Rechtsprechung zu Recht festgestellt, dass die Verrechnungsbeschlüsse der Kommission Handlungen darstellen, die vor den Unionsgerichten mit einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV angefochten werden können(36).

2)      Der Erlass eines Verrechnungsbeschlusses zur Einziehung einer vertraglichen Forderung, die in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fällt, ist dennoch möglich

83.      Im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens schließt sich die Kommission zwar der Auffassung des Gerichts in dem angefochtenen Urteil an, ein Beschluss über die Verrechnung einer vertraglichen Forderung, die in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts falle, stelle eine nach Art. 263 AEUV vor dem Unionsgericht anfechtbare Handlung dar. Das Gericht hat ihrer Ansicht nach jedoch einen Fehler begangen, als es aus dieser Feststellung geschlossen hat, dass der Erlass eines solchen Beschlusses zu einer Umgehung der im AEU-Vertrag festgelegten Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten führe. Die dem Urteil ADR zugrunde liegende Erkenntnis lasse sich insoweit nicht auf Verrechnungsbeschlüsse übertragen.

84.      Im Urteil ADR hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Kommission nicht befugt ist, Beschlüsse, die ein vollstreckbarer Titel im Sinne von Art. 299 AEUV sind, zu erlassen, um vertragliche Forderungen einzuziehen, die in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fallen. Folglich kann die Kommission keine solchen Beschlüsse erlassen, um Forderungen aus Verträgen, die keine Schiedsklausel zugunsten der Unionsgerichte enthalten, einzuziehen(37).

85.      Der Grund für diese Beschränkung liegt jedoch nicht nur darin, dass ein Beschluss, der ein vollstreckbarer Titel im Sinne von Art. 299 AEUV ist, eine nach Art. 263 AEUV anfechtbare Handlung darstellt, sondern auch und vor allem darin, dass die Unionsgerichte im Rahmen einer solchen Klage die Begründetheit der Forderung prüfen müssen.

86.      Wie ich in der Rechtssache ADR ausgeführt habe, kann nach Art. 299 Abs. 4 AEUV die Zwangsvollstreckung eines Beschlusses, der ein vollstreckbarer Titel ist, nur durch eine Entscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt werden, während die nationalen Rechtsprechungsorgane nur für die Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen zuständig sind. Darüber hinaus sehen die Verfahrensordnungen sowohl des Gerichts als auch des Gerichtshofs vor, dass Anträge auf Aussetzung der Zwangsvollstreckung von Rechtsakten gemäß Art. 299 AEUV nur in Verbindung mit einer Klage beim Gericht bzw. beim Gerichtshof zulässig sind(38).

87.      Unter diesen Umständen verlangt das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf, dass die mit einem solchen Rechtsbehelf befassten Unionsgerichte auch die Begründetheit der geltend gemachten Forderung prüfen(39). Andernfalls könnte die Zwangsvollstreckung einer Forderung außerhalb jeder gerichtlichen Kontrolle erfolgen.

88.      Der Erlass eines Beschlusses, der ein vollstreckbarer Titel ist, für die Einziehung einer vertraglichen Forderung, die in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fällt, liefe somit darauf hinaus, die Prüfung der Begründetheit dieser Forderung dem zuständigen nationalen Gericht zu entziehen und damit die im AEU-Vertrag festgelegte gerichtliche Zuständigkeitsordnung zu umgehen.

89.      Wie die Kommission zu Recht geltend macht, gelten diese Erwägungen jedoch nicht für Verrechnungsbeschlüsse im Sinne von Art. 102 der Haushaltsordnung von 2018, wie den streitigen Beschluss, der Gegenstand des angefochtenen Urteils ist.

90.      So bestimmt Art. 102 Abs. 3 der Haushaltsordnung von 2018 zwar, dass die Verrechnung im Sinne von Abs. 1 dieses Artikels die gleiche Wirkung wie eine Zahlung hat und die Union in Höhe des Betrags der Schuld und der gegebenenfalls fälligen Zinsen entlastet.

91.      Im Fall der Einziehung einer vertraglichen Forderung, deren Begründetheit aufgrund des Fehlens einer Schiedsklausel in dem betreffenden Vertrag der Prüfungskompetenz eines nationalen Gerichts unterliegt, ist diese Bestimmung jedoch teleologisch zu reduzieren, d. h. sie ist restriktiv dahin auszulegen, dass die Verrechnung die Union nicht in Höhe des Betrags der Schuld (der Hauptforderung) entlastet. Sie entlastet sie lediglich von der Verpflichtung, die Hauptforderung bis zum Abschluss der Prüfung einer etwaigen Anfechtung der Begründetheit der im Wege der Verrechnung eingezogenen Gegenforderung auszuzahlen.

92.      Wie ich in der Rechtssache ADR ausgeführt habe, hat unter diesen Umständen ein Verrechnungsbeschluss nur eine praktische und keine rechtliche Wirkung in Bezug auf die eingezogene Gegenforderung(40). Ein solcher Beschluss kann zwar rechtskräftig werden, sei es, weil der Vertragspartner ihn nicht vor den Unionsgerichten anficht, sei es, weil diese seine Gültigkeit in einem rechtskräftigen Urteil bestätigen. Dies berührt jedoch nicht die Frage der Begründetheit der Gegenforderung, die Gegenstand dieses Beschlusses ist. Dieser kann nämlich der Feststellung dieser Forderung keine endgültige Rechtswirkung verleihen. Die Voraussetzungen, unter denen die Feststellung dieser Forderung Rechtswirkung erlangt, richten sich vielmehr nach den für sie geltenden gesetzlichen und vertraglichen Regelungen und unterliegen der Beurteilung durch das zuständige Gericht.

93.      Unter diesen Umständen beschränkt sich die Kontrolle durch die Unionsgerichte, die mit einer Nichtigkeitsklage gegen einen nach Art. 102 der Haushaltsordnung von 2018 erlassenen Verrechnungsbeschluss befasst sind, auf die Überprüfung der Voraussetzungen, die diese Verordnung für den Erlass eines solchen Beschlusses aufstellt (vgl. Nrn. 60 bis 66 der vorliegenden Schlussanträge). Weder diese Kontrolle noch die Rechtskraft des auf diese Weise ergangenen Urteils können jedoch die Begründetheit der eingezogenen vertraglichen Gegenforderung umfassen(41). Diese Frage fällt nämlich mangels einer Schiedsklausel in dem betreffenden Vertrag nicht in die Zuständigkeit der Unionsgerichte(42).

94.      Folglich führt diese gerichtliche Kontrolle des Verrechnungsbeschlusses durch die Unionsgerichte nicht zu einer Umgehung der durch das Primärrecht festgelegten gerichtlichen Zuständigkeitsordnung. Im Gegensatz zu Beschlüssen, die vollstreckbare Titel sind, wie der Beschluss, der Gegenstand des Urteils ADR war, ist es daher bei Verrechnungsbeschlüssen denkbar, dass das Gericht, das über die Rechtmäßigkeit des Verrechnungsbeschlusses entscheidet, und das Gericht, das über die Begründetheit der von der Kommission geltend gemachten und im Wege der Verrechnung eingezogenen Forderung entscheidet, nicht dieselben sind.

95.      Zugleich stellt die Beschränkung der Kontrolle der Unionsgerichte auf die in der Haushaltsordnung von 2018 für den Erlass eines Verrechnungsbeschlusses aufgestellten Voraussetzungen, zu denen die Prüfung der Begründetheit der betreffenden Gegenforderung nicht gehört, keine Verletzung des Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf dar. Dies ergibt sich aus dem oben in den Nrn. 91 und 92 angeführten Umstand, dass der Verrechnungsbeschluss der Feststellung der geltend gemachten Gegenforderung keine Bestandskraft verleiht. Er bewirkt lediglich, dass die Auszahlung der Hauptforderung des Vertragspartners bis zum Abschluss des Verfahrens zur Überprüfung der Begründetheit der Gegenforderung vor dem zuständigen nationalen Gericht aufgeschoben wird.

96.      Wie die Kommission zu Recht einräumt, wäre sie, falls das zuständige nationale Gericht feststellen sollte, dass diese Forderung nicht besteht, selbstverständlich verpflichtet, ihrem Vertragspartner den einbehaltenen Betrag der Hauptforderung, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen, zu zahlen(43). Wie das Gericht bereits unter ähnlichen Umständen anerkannt hat, könnte es im Rahmen der ihm insoweit durch seine Verfahrensordnung eingeräumten Möglichkeiten auch die Klage gegen den Verrechnungsbeschluss bis zur Entscheidung des nationalen Gerichts über die Begründetheit der betreffenden Forderung aussetzen(44).

97.      Zwar führt der Erlass des Verrechnungsbeschlusses, da er in der Praxis den Betrag der von der Kommission geltend gemachten Gegenforderung einzieht (weil die Hauptforderung des Vertragspartners nicht ausgezahlt wird), zu einer Umkehr der Pflicht, das für die Entscheidung über die Begründetheit der Gegenforderung zuständige Vertragsgericht anzurufen. Deshalb ist es nicht Sache der Kommission, dieses Gericht zu befassen, um die Begründetheit ihrer geltend gemachten Forderung prüfen zu lassen und einen vollstreckbaren Titel zu ihrer Einziehung zu erwirken. Stattdessen obliegt es dem Vertragspartner, dieses Gericht anzurufen, um die Begründetheit der von der Kommission geltend gemachten Forderung prüfen zu lassen und gegebenenfalls ein Urteil zu erwirken, mit dem die Kommission verpflichtet wird, den aufgrund des Verrechnungsbeschlusses einbehaltenen Betrag der Hauptforderung auszuzahlen.

98.      Die Benachteiligung des Vertragspartners gegenüber der Kommission, die durch die Gewährung dieser Erleichterung bei der Einziehung der Forderungen der Kommission bewirkt wird, ist jedoch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die finanziellen Interessen der Union zu schützen(45). Wie ich bereits in der Rechtssache ADR ausgeführt habe, wäre es mit diesem Grundsatz nicht vereinbar, wenn die Kommission verpflichtet würde, Unionsmittel an einen säumigen, zahlungsunfähigen oder einfach nur unwilligen Schuldner auszuzahlen(46).

99.      Dies ist im Übrigen der Grund dafür, dass nach der Haushaltsordnung von 2018 die Verrechnung die vorrangige obligatorische Art der Einziehung vor jeder anderen Art der Einziehung von Unionsforderungen darstellt(47). So kann der Rechnungsführer, wie das Gericht zu Recht in anderen Rechtssachen festgestellt hat, nicht von der Verrechnung absehen, wenn der Schuldner Inhaber einer Forderung gegenüber der Union ist und nicht freiwillig zurückzahlt(48). Konnte die Forderung hingegen nicht im Wege der Verrechnung oder der Vollstreckung einer vorherigen Sicherheitsleistung eingezogen werden, so kann der Rechnungsführer diese Forderung alternativ durch Erlass eines Beschlusses, der ein vollstreckbarer Titel ist, oder durch einen gerichtlich erwirkten Titel einziehen(49).

100. Auch darin unterscheiden sich die Beschlüsse, die vollstreckbare Titel im Sinne von Art. 299 AEUV sind, wie der Beschluss, der Gegenstand des Urteils ADR war, von den Verrechnungsbeschlüssen wie demjenigen, der Gegenstand der vorliegenden Rechtssache ist. Da Erstere ebenso wie ein gerichtlich erwirkter Titel eine Option sind, die der Kommission zur Verfügung steht, ist es gerechtfertigt, ihre Anwendung auf der Grundlage von Art. 272 und 274 AEUV zu beschränken (vgl. Nrn. 1 bis 5 der vorliegenden Schlussanträge). Umgekehrt können, da der Rückgriff auf Letztere obligatorisch und nicht fakultativ ist, deren Wirkungen der Feststellung einer Forderung, die nach diesen primärrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Prüfung ihrer Begründetheit Sache eines nationalen Gerichts ist, keine Rechtswirkung verleihen.

101. Aus diesen Erwägungen folgt, dass das Gericht einen Fehler begangen hat, als es entschieden hat, dass die Kommission unter den Umständen des vorliegenden Falles auf der Grundlage der im Urteil ADR gewählten Lösung nicht befugt war, den streitigen Beschluss zu erlassen. Der zweite Rechtsmittelgrund der Kommission ist daher ebenfalls begründet und greift durch.

3.      Ergebnis in Bezug auf das Rechtsmittel

102. Aus vorstehender Prüfung ergibt sich, dass die Erwägungen des Gerichts, die Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Urteils zugrunde liegen, mit Rechtsfehlern behaftet sind. Dieses Urteil ist daher aufzuheben, soweit in Nr. 1 seines Tenors der streitige Beschluss für nichtig erklärt wird.

B.      Klage vor dem Gericht

103. Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

104. Das ist vorliegend der Fall.

105. Wie in den Nrn. 37 bis 39 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, ist der streitige Beschluss gegenstandslos geworden, da die Hauptforderung von HB gegen die Kommission, die diese mit ihrer geltend gemachten Gegenforderung gegen HB aus dem CARDS-Vertrag verrechnet hat, nicht mehr besteht.

106. Folglich hat sich der von HB beim Gericht gestellte Antrag auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses erledigt.

C.      Zwischenergebnis

107. Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit in Nr. 1 seines Tenors der streitige Beschluss für nichtig erklärt wurde, der Rechtsstreit endgültig zu entscheiden und festzustellen, dass der von HB beim Gericht gestellte Antrag auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses in der Hauptsache erledigt ist.

VI.    Kosten

A.      Kosten des Rechtsmittelverfahrens

108. Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet dieser über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist oder wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

109. Da HB mit ihren Anträgen im vorliegenden Rechtsmittelverfahren unterlegen ist und die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind HB die Kosten dieses Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

B.      Kosten im Verfahren des ersten Rechtszugs

110. Art. 149 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bestimmt, dass der Gerichtshof über die Kosten entscheidet, wenn er feststellt, dass die Klage gegenstandslos geworden und die Hauptsache erledigt ist. Nach Art. 142 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten nach freiem Ermessen, wenn er die Hauptsache für erledigt erklärt.

111. Im vorliegenden Fall hat sich der von HB im ersten Rechtszug gestellte Antrag auf Nichtigerklärung erledigt, da der streitige Beschluss gegenstandslos geworden ist.

112. Die vorliegende Analyse hat ergeben, dass das Gericht den streitigen Beschluss zu Unrecht für nichtig erklärt hat, obwohl die Kommission befugt war, ihn zu erlassen, so dass den entsprechenden Anträgen der Kommission im ersten Rechtszug stattzugeben war. Außerdem ist Nr. 2 des Tenors des angefochtenen Urteils, mit dem der Antrag von HB auf Ersatz ihres materiellen Schadens zurückgewiesen wird, nicht aufzuheben.

113. Die vorliegende Analyse hat jedoch auch gezeigt, dass die rechtlichen Mittel gegen einen Beschluss über die Verrechnung einer vertraglichen Forderung, die in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fällt, komplex sind. Zudem hatte HB die gebotene Sorgfalt walten lassen, als sie hinsichtlich der streitigen Verrechnung sowohl das Unionsgericht als auch das für die Prüfung der Begründetheit der betreffenden Forderung zuständige nationale Gericht angerufen hatte.

114. Unter diesen Umständen erscheint es in Anbetracht des vorliegenden Falles angemessen, jede Partei zur Tragung ihrer eigenen Kosten im Verfahren des ersten Rechtszugs zu verurteilen, wie im angefochtenen Urteil entschieden. Der Antrag der Kommission, Nr. 3 des Tenors dieses Urteils aufzuheben und HB die Kosten des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen, ist daher zurückzuweisen.

VII. Ergebnis

115. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Nr. 1 des Tenors des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 4. Oktober 2023, HB/Kommission (T‑444/22, EU:T:2023:604), wird aufgehoben.

2.      Der Antrag auf Nichtigerklärung in der Rechtssache T‑444/22 hat sich erledigt.

3.      HB trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission im Rechtsmittelverfahren.



















































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