C-724/22 – Investcapital

C-724/22 – Investcapital

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Language of document : ECLI:EU:C:2024:182

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

29. Februar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Richtlinie 93/13/EWG – Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts – Vertrag über einen revolvierenden Kredit – Mahnverfahren – Im Rahmen dieses Verfahrens von Amts wegen vorgenommene Prüfung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln – Vollstreckung der verfahrensbeendenden Entscheidung – Präklusion der Möglichkeit, die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel in dem Stadium der Vollstreckung des Mahnbescheids geltend zu machen – Prüfungskompetenz des nationalen Gerichts“

In der Rechtssache C‑724/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia n. 2 de León (Gericht erster Instanz Nr. 2 León, Spanien) mit Entscheidung vom 26. Juli 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 24. November 2022, in dem Verfahren

Investcapital Ltd

gegen

G. H. R.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu‑Matei (Berichterstatterin) sowie der Richter J.‑C. Bonichot und S. Rodin,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der spanischen Regierung, vertreten durch A. Pérez‑Zurita Gutiérrez als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Cherubini, Avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) und den Effektivitätsgrundsatz.

2        Es ergeht im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens zwischen der Investcapital Ltd und G. H. R., einem Verbraucher, wegen der Vollstreckung eines Mahnbescheids über eine Forderung aus einem Kreditvertrag.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es: „Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten müssen über angemessene und wirksame Mittel verfügen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird“.

4        Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

5        Art. 7 Abs. 1 der genannten Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

 Spanisches Recht

6        Art. 136 der Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil (Gesetz 1/2000 über den Zivilprozess) vom 7. Januar 2000 (BOE Nr. 7 vom 8. Januar 2000, S. 575) (im Folgenden: Zivilprozessordnung), sieht vor:

„Ist die Frist für die Vornahme einer Verfahrenshandlung durch eine Partei verstrichen, so tritt Präklusion ein, und es besteht keine Möglichkeit mehr, die fragliche Handlung vorzunehmen. Der Letrado de la Administración de Justicia [(Rechtspfleger)] vermerkt den Fristablauf in einer amtlichen Urkunde und ordnet die zu treffenden Maßnahmen an oder teilt sie dem Gericht mit, damit eine entsprechende Entscheidung ergehen kann.“

7        In Art. 551 Abs. 1 der Zivilprozessordnung heißt es:

„Auf den Vollstreckungsantrag hin erlässt das Gericht, sofern die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen und Erfordernisse vorliegen, der Vollstreckungstitel keinen Formmangel aufweist und die beantragten Vollstreckungsmaßnahmen mit Art und Inhalt des Titels übereinstimmen, den Beschluss, der den Vollstreckungsbefehl enthält und mit dem die Zwangsvollstreckung angeordnet wird.“

8        Art. 556 der Zivilprozessordnung („Widerspruch gegen die Vollstreckung prozessualer oder schiedsgerichtlicher Entscheidungen oder von Mediationsvereinbarungen“) bestimmt:

„(1)      Handelt es sich bei dem Vollstreckungstitel um eine eine Verurteilung aussprechende prozessuale oder schiedsgerichtliche Entscheidung oder eine Mediationsvereinbarung, kann der Vollstreckungsschuldner innerhalb von zehn Tagen nach der Zustellung des Beschlusses, mit dem sie für vollstreckbar erklärt wird, Einspruch einlegen, indem er schriftlich die Zahlung oder die Erfüllung der Verpflichtung aus dem Urteil, dem Schiedsspruch oder der Vereinbarung geltend macht und durch Vorlage von Dokumenten nachweist.

Er kann auch einwenden, dass die Vollstreckungshandlung unwirksam sei oder dass Vereinbarungen oder Vergleiche zur Abwendung der Vollstreckung geschlossen worden seien, sofern diese Vereinbarungen und Vergleiche in einer öffentlichen Urkunde niedergelegt sind.

(2)      Der in den Fällen des vorstehenden Absatzes eingelegte Widerspruch hat keine die Vollstreckung aufschiebende Wirkung.

…“

9        Die Zivilprozessordnung wurde durch die Ley 42/2015 de reforma de la Ley 1/2000 (Gesetz 42/2015 zur Änderung des Gesetzes 1/2000) vom 5. Oktober 2015 (BOE Nr. 239 vom 6. Oktober 2015) (im Folgenden: geänderte Zivilprozessordnung) geändert. Deren Art. 815 Abs. 4 bestimmt:

„Beruht die Geltendmachung der Forderung auf einem Vertrag zwischen einem Unternehmer oder Gewerbetreibenden und einem Verbraucher oder Nutzer, hat der Letrado de la Administración de Justicia [(Rechtspfleger)] dies dem Richter vor Erlass des Mahnbescheids mitzuteilen, damit dieser die etwaige Missbräuchlichkeit jeder Klausel, die dem Antrag zugrunde liegt oder Einfluss auf die Forderungshöhe hat, beurteilen kann.

Der Richter hat von Amts wegen zu prüfen, ob eine der Klauseln, die dem Antrag zugrunde liegen oder Einfluss auf die Forderungshöhe haben, als missbräuchlich eingestuft werden kann. Ist er der Ansicht, dass eine Klausel als missbräuchlich eingestuft werden kann, hört er die Parteien binnen fünf Tagen an. Nach deren Anhörung hat der Richter innerhalb der darauf folgenden fünf Tage mittels Beschluss zu entscheiden. Für diesen Verfahrensabschnitt ist weder die Beteiligung eines Anwalts noch eines Prozessbevollmächtigten vorgesehen.

Erachtet der Richter eine der Vertragsklauseln für missbräuchlich, sind in dem zu erlassenden Beschluss die Folgen dieser Beurteilung festzulegen, indem entweder das Begehren für unstatthaft erklärt oder die Fortsetzung des Verfahrens ohne Anwendung der für missbräuchlich erachteten Klauseln angeordnet wird.

Findet das Gericht keine missbräuchlichen Klauseln, hat es dies festzustellen und der Letrado de la Administración de Justicia [(Rechtspfleger)] hat den Mahnbescheid gegen den Schuldner in der in Abs. 1 vorgesehenen Weise zu erlassen.

Der erlassene Beschluss ist jedenfalls unmittelbar anfechtbar.“

10      Art. 816 der geänderten Zivilprozessordnung lautet:

„(1)      Kommt der Schuldner dem Mahnbescheid nicht nach oder lässt er sich nicht auf das Verfahren ein, erlässt der Letrado de la Administración de Justicia [(Rechtspfleger)] einen Beschluss zur Beendigung des Mahnverfahrens und benachrichtigt den Gläubiger, damit dieser die Anordnung der Vollstreckung beantragt, wozu ein einfacher Antrag genügt und die in Art. 548 dieses Gesetzes vorgesehene Frist von 20 Tagen nicht abgelaufen sein muss.

(2)      Die Vollstreckung wird nach ihrer Anordnung gemäß den Bestimmungen über die Vollstreckung aus gerichtlichen Urteilen durchgeführt, und es kann der für diese Fälle vorgesehene Widerspruch erhoben werden, doch können der Antragsteller des Mahnverfahrens und der Vollstreckungsschuldner nicht nachträglich in einem ordentlichen Verfahren den im Mahnverfahren geltend gemachten Betrag bzw. die Erstattung des durch die Vollstreckung Erlangten verlangen.

Ab dem Erlass des Beschlusses, mit dem die Vollstreckung wegen der Forderung angeordnet wird, fallen die in Art. 576 genannten Zinsen an.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      Am 23. Juli 2018 stellte Investcapital einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids gegen G. H. R., mit dem sie von G. H. R. auf der Grundlage einer Forderung, die ihr von der Servicios Financieros Carrefour EFC SA abgetreten worden war, die Zahlung eines Betrags von 5 774,84 Euro verlangte. Diese Forderung ergab sich aus einem revolvierenden Verbraucherkreditvertrag (im Folgenden: Kreditvertrag).

12      Zur Stützung ihres Antrags legte Investcapital diesen Kreditvertrag und eine von ihr selbst ausgestellte Bescheinigung über die Forderung vor, ohne irgendeinen buchhalterischen Beleg über diese Bescheinigung oder eine von Servicios Financieros Carrefour über diese Forderung ausgestellte Bescheinigung vorzulegen. In dieser Bescheinigung wurde der geforderte Betrag in Höhe von 5 517,27 Euro in „nicht gezahltes Kapital“ und in Gebühren und Beitreibungskosten in Höhe von 257,53 Euro aufgeschlüsselt. Eine Aufschlüsselung des „nicht gezahlten Kapitals“ wurde nicht vorgelegt.

13      Am 17. Dezember 2018 wurden Investcapital und G. H. R. von dem Gericht aufgefordert, sich zur etwaigen Missbräuchlichkeit der im Kreditvertrag enthaltenen Zins‑, Kosten- und Gebührenklauseln zu äußern. Bei dieser Gelegenheit erklärte Investcapital, dass sie auf den als Gebühren und Beitreibungskosten geforderten Betrag verzichte, womit sich der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids nur auf den Betrag des nicht gezahlten Kapitals, d. h. auf 5 517,27 Euro, bezog. G. H. R. äußerte sich nicht. Das Gericht stellte kein Vorliegen missbräuchlicher Vertragsklauseln fest.

14      Daher wurde das Mahnverfahren mit Beschluss des Rechtspflegers vom 9. Juli 2019 beendet.

15      Am 16. Dezember 2021 reichte Investcapital bei dem Juzgado de Primera Instancia n. 2 de León (Gericht erster Instanz Nr. 2 León, Spanien), dem vorlegenden Gericht, einen Vollstreckungsantrag ein, wobei sie sich auf den Beschluss vom 9. Juli 2019 stützte, den sie als Vollstreckungstitel ansah.

16      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das Nichtvorliegen jeglicher Bescheinigung und das Nichtvorliegen eines buchhalterischen Belegs über den als „nicht gezahltes Kapital“ geforderten Betrag sowie das Nichtvorliegen einer Aufschlüsselung dieses Betrags nach „Erfahrung der Gerichte“ einen Gesichtspunkt darstellten, der auf eine Verschleierung etwaiger im Kreditvertrag enthaltener missbräuchlicher Klauseln hindeuten könne, da dieser Betrag möglicherweise nicht mit dem als Hauptforderung geschuldeten Betrag übereinstimme. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wurde daher die Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der Klauseln dieses Vertrags während des Mahnverfahrens durchgeführt, ohne dass alle erforderlichen Daten zur Verfügung standen.

17      Diese Beurteilung veranlasste das vorlegende Gericht, die Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits nach der Möglichkeit einer erneuten Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der Klauseln des Kreditvertrags zu befragen. Investcapital vertrat die Ansicht, dass eine solche zweite Prüfung gegen den Grundsatz der Präklusion von Verfahrenshandlungen verstoße, da die hierfür gesetzte Frist abgelaufen sei. G. H. R. machte geltend, dass eine erneute Prüfung in der Vollstreckungsphase im Hinblick auf die Richtlinie 93/13 immer noch möglich sei.

18      Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass im Unterschied zu den Situationen in den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 18. Februar 2016, Finanmadrid EFC (C‑49/14, EU:C:2016:98), und vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco (C‑600/19, EU:C:2022:394), ergangen seien, die geänderte Zivilprozessordnung nunmehr vorsehe, dass die etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln im Rahmen des Mahnverfahrens von Amts wegen geprüft werde. Dagegen könne der aus einem solchen Verfahren hervorgehende gerichtliche Titel nicht Gegenstand einer weiteren Prüfung oder eines Widerspruchs wegen der Missbräuchlichkeit dieser Klauseln sein, da unterstellt werde, dass er nach Durchführung einer solchen Prüfung, die in der geänderten Zivilprozessordnung zwingend vorgesehen sei, ausgestellt worden sei.

19      Das vorlegende Gericht weist auch darauf hin, dass der spanische Gesetzgeber, indem er eine Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln im Rahmen des Mahnverfahrens und nicht bei der Vollstreckung des aus einem solchen Verfahren hervorgegangenen Titels, vorgesehen habe, der Ansicht gewesen sei, dass diese Prüfung unter Androhung der in Art. 136 der Zivilprozessordnung vorgesehenen Präklusion, ausschließlich in einem bestimmten Verfahrensabschnitt erfolgen müsse. Nach diesem Verfahrensabschnitt trete Präklusion der Prüfung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln ein. Außerdem verbiete das spanische Recht im Interesse der Rechtssicherheit die Überprüfung rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidungen, wie dies bei dem das Mahnverfahren beendenden Beschluss der Fall sei.

20      In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, ob Art. 7 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es ihm aufgrund der Präklusion der Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln nicht erlaubt, im Rahmen des Verfahrens zur Vollstreckung eines Mahnbescheids eine erneute Prüfung in diesem Sinne vorzunehmen, wenn es der Auffassung ist, dass missbräuchliche Klauseln vorliegen, die in dem Mahnverfahren, das zur Ausstellung des Titels geführt hat, dessen Vollstreckung von ihm verlangt wird, nicht entdeckt wurden.

21      Das vorlegende Gericht fragt sich auch, ob es für die Durchführung einer solchen Prüfung den Anforderungen dieses Artikels entspricht, wenn im Rahmen des Verfahrens zur Vollstreckung eines Mahnbescheids zusätzlich zu den im Rahmen des Mahnverfahrens angeforderten Unterlagen ergänzende Unterlagen verlangt werden.

22      Unter diesen Umständen hat der Juzgado de Primera Instancia n. 2 de León (Gericht erster Instanz Nr. 2 León) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Steht Art. 7 der Richtlinie 93/13 einer erneuten Prüfung missbräuchlicher Klauseln von Amts wegen bei der Vollstreckung eines Titels entgegen, der aus einem Mahnverfahren hervorgegangen ist, in dem bereits eine Prüfung missbräuchlicher Klauseln stattgefunden hat?

Verneinendenfalls: Verstößt es gegen Art. 7 der Richtlinie 93/13, vom Vollstreckungsgläubiger sämtliche ergänzenden erforderlichen Informationen zur Bestimmung des Ursprungs der Höhe der Verbindlichkeit, einschließlich der Hauptforderung und gegebenenfalls der Zinsen, Vertragsstrafen und anderen Beträge, anzufordern, damit von Amts wegen geprüft werden kann, ob diese Klauseln möglicherweise missbräuchlich sind? Steht eine nationale Regelung, die im Rahmen der Vollstreckung das Anfordern solcher ergänzenden Unterlagen nicht vorsieht, im Widerspruch zu Art. 7 der Richtlinie?

2.      Steht eine nationale Verfahrensvorschrift, die im Verfahren zur Vollstreckung eines aus einem Mahnverfahren hervorgegangenen Titels eine zweite Prüfung von Amts wegen in Bezug auf missbräuchliche Klauseln verbietet oder nicht vorsieht, im Widerspruch zum Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts, wenn davon ausgegangen wird, dass aufgrund einer unvollkommenen oder unvollständigen Prüfung der Missbräuchlichkeit im vorangegangenen Verfahren, in dem der Vollstreckungstitel erlassen wurde, missbräuchliche Klauseln vorliegen können?

Bejahendenfalls: Ist es als mit dem Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts vereinbar anzusehen, dass das Gericht vom Vollstreckungsgläubiger sämtliche Unterlagen verlangen kann, die erforderlich sind, um die Vertragsbedingungen, aus denen sich die Höhe der Verbindlichkeit ergibt, zu bestimmen, damit eine Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der Klauseln vorgenommen werden kann?

 Zur Zulässigkeit

23      Die spanische Regierung macht geltend, die Vorlagefragen seien unzulässig, da zum einen der Sachverhalt, auf dem diese Fragen beruhten, nämlich eine unvollständige Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der Klauseln des Kreditvertrags im Mahnverfahren, hypothetisch sei, da das Gericht im Rahmen dieses Verfahrens eine Prüfung von Amts wegen im Einklang mit Art. 815 Abs. 4 der geänderten Zivilprozessordnung vorgenommen habe. Zum anderen erfordere die Prüfung der korrekten Bezifferung des von Investcapital geforderten Betrags keine Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der Klauseln des Kreditvertrags im Sinne der Richtlinie 93/13.

24      Hierzu ist festzustellen, dass es ausschließlich Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Richters ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten des Ausgangsverfahrens die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Solange diese Fragen die Auslegung oder die Gültigkeit einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, über sie zu befinden. Folglich gilt für eine Vorlagefrage zum Unionsrecht eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Die Entscheidung über eine solche Frage kann vom Gerichtshof nur dann abgelehnt werden, wenn die Auslegung des Unionsrechts, um die er ersucht wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2023, International Protection Appeals Tribunal u. a. [Anschlag in Pakistan], C‑756/21, EU:C:2023:523, Rn. 35 und 36).

25      Im vorliegenden Fall beschreibt zum einen die Vorlageentscheidung den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen des Ausgangsverfahrens hinreichend, und die Angaben des vorlegenden Gerichts ermöglichen es, die Reichweite der Vorlagefragen zu bestimmen.

26      Zum anderen ist es ausschließlich Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob die Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit der Klauseln des Kreditvertrags im Mahnverfahren als vollständig angesehen werden kann und ob, um sicherzustellen, dass der im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens geforderte Betrag korrekt beziffert wurde, eine vorherige Prüfung der Missbräuchlichkeit der Klauseln des Kreditvertrags erforderlich ist oder nicht.

27      Daher ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

 Zu den Vorlagefragen

 Zu den ersten Teilen der ersten und der zweiten Frage

28      Mit den ersten Teilen der ersten und der zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes einer nationalen Regelung entgegensteht, die es dem mit der Vollstreckung eines Mahnbescheids befassten Gericht aufgrund der Präklusion nicht erlaubt, die etwaige Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Kreditvertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher von Amts wegen oder auf Antrag des Verbrauchers zu prüfen, wenn eine solche Prüfung bereits von einem Gericht im Stadium des Mahnverfahrens vorgenommen wurde, es aber Grund zu der Annahme gibt, dass sie unvollständig war.

29      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Richtlinie 93/13 und insbesondere ihr Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit ihrem 24. Erwägungsgrund die Mitgliedstaaten verpflichten, angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Oktober 2015, BBVA, C‑8/14, EU:C:2015:731, Rn. 19, und vom 31. März 2022, Lombard Lízing, C‑472/20, EU:C:2022:242, Rn. 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Zwar hat der Gerichtshof bereits in mehrfacher Hinsicht dargelegt, wie das nationale Gericht den Schutz der den Verbrauchern nach dieser Richtlinie zustehenden Rechte sicherstellen muss, doch sind die Verfahren zur Prüfung, ob eine Vertragsklausel missbräuchlich ist, im Prinzip nicht unionsrechtlich harmonisiert und unterliegen damit gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, vorausgesetzt allerdings, dass diese Verfahren nicht ungünstiger sind als diejenigen, die für gleichartige, dem innerstaatlichen Recht unterliegende Sachverhalte gelten (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. u. a. Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco, C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Was den Effektivitätsgrundsatz anbelangt, der allein von den Fragen des vorlegenden Gerichts betroffen ist, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen (Urteil vom 22. September 2022, Vicente [Verfahren zur Vollstreckung von Anwaltshonoraren], C‑335/21, EU:C:2022:720, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass im spanischen Verfahrensrecht das in Art. 815 der Zivilprozessordnung vorgesehene Mahnverfahren durch das Gesetz 42/2015 geändert wurde, um zu ermöglichen, dass das Gericht von Amts wegen die etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln im Hinblick auf die Richtlinie 93/13 prüft.

33      Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, wird ein Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids, der auf einen Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher gestützt wird, gemäß Art. 815 Abs. 4 der geänderten Zivilprozessordnung vom Letrado de la Administración de Justicia (Rechtspfleger) dem Richter mitgeteilt, damit dieser von Amts wegen die etwaige Missbräuchlichkeit jeder Vertragsklausel, die dem Antrag zugrunde liegt oder Einfluss auf die Forderungshöhe hat, beurteilen kann. Ist der Richter der Ansicht, dass eine Klausel als missbräuchlich eingestuft werden kann, hört er die Parteien an. Nach deren Anhörung entscheidet er mittels Beschluss und bestimmt gegebenenfalls die Folgen, die sich aus der Feststellung der Missbräuchlichkeit der geprüften Klauseln ergeben. Der Beschluss ist anfechtbar. Findet der Richter keine missbräuchlichen Klauseln, hat er dies festzustellen und der Letrado de la Administración de Justicia (Rechtspfleger) hat den Mahnbescheid gegen den Schuldner zu erlassen.

34      Nach Art. 816 Abs. 1 der geänderten Zivilprozessordnung erlässt der Letrado de la Administración de Justicia (Rechtspfleger), wenn der Schuldner dem Mahnbescheid nicht nachkommt oder sich nicht auf das Verfahren einlässt, einen Beschluss zur Beendigung des Mahnverfahrens, der einen Vollstreckungstitel darstellt. Dieser Beschluss stellt gemäß Art. 556 der Zivilprozessordnung eine Verfahrensentscheidung dar, gegen die kein auf eine etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln gestützter Widerspruch eingelegt werden kann.

35      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Umstand, dass der spanische Gesetzgeber eine Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln im Rahmen des Mahnverfahrens und nicht bei der Vollstreckung des am Ende eines solchen Verfahrens erlassenen Beschlusses des Letrado de la Administración de Justicia (Rechtspfleger) (im Folgenden: Rechtspfleger) vorgesehen habe, von dem Willen zeuge, unter Androhung der Präklusion vorzuschreiben, dass diese Prüfung in einem früheren Verfahren als dem Verfahren zur Vollstreckung eines solchen Mahnbescheids durchgeführt werde. Dem Verbraucher wäre es somit verwehrt, eine solche Prüfung bei der Vollstreckung eines Mahnbescheids zu beantragen, da diese Prüfung vom Richter auch nicht von Amts wegen vorgenommen werden kann.

36      Im vorliegenden Fall ist zwar unstreitig, dass eine solche Prüfung im Rahmen des Mahnverfahrens stattgefunden hat, doch bezweifelt das vorlegende Gericht dessen Wirksamkeit, da die zur Stützung des Antrags auf Erlass eines Mahnbescheids vorgelegten Unterlagen seiner Ansicht nach nicht ausreichten, um dem Richter die Feststellung zu ermöglichen, wie die Höhe der geltend gemachten Forderung bestimmt worden ist. Unter diesen Umständen fragt sich das vorlegende Gericht, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes vom Vollstreckungsrichter verlangt, die etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln ungeachtet der nationalen Verfahrensvorschriften über die Präklusion des Rechts, eine Verfahrenshandlung nach Ablauf der in diesem Sinne gesetzten Frist vorzunehmen, zu prüfen.

37      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Umstand, dass die Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln nur im Rahmen des Mahnverfahrens und nicht anlässlich der Vollstreckung des am Ende dieses Verfahrens erlassenen Mahnbescheids vorgesehen ist, für sich genommen keinen Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz darstellt.

38      Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, kann die Einhaltung dieses Grundsatzes nämlich nur dann garantiert werden, wenn die nationalen Verfahrensregeln es ermöglichen, dass die in dem von diesen Verfahren betroffenen Vertrag enthaltenen Klauseln im Rahmen des Mahnverfahrens oder im Rahmen des Verfahrens zur Vollstreckung des Mahnbescheids von Amts wegen auf ihre Missbräuchlichkeit überprüft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Februar 2016, Finanmadrid EFC, C‑49/14, EU:C:2016:98, Rn. 46).

39      Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits klargestellt, es sollten zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege die nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordenen Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können (Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco, C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Was die Präklusion aufgrund des Ablaufs bestimmter Verfahrensfristen betrifft, so ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass angemessene Ausschlussfristen, die im Interesse der Rechtssicherheit festgesetzt werden, nicht geeignet sind, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, wenn diese Fristen faktisch ausreichend sind, um den Betroffenen zu ermöglichen, einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzureichen (Urteil vom 9. Juli 2020, Raiffeisen Bank und BRD Groupe Société Générale, C‑698/18 und C‑699/18, EU:C:2020:537, Rn. 62 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Im vorliegenden Fall wirft nicht die Dauer der Fristen, die dem Verbraucher gesetzt sind, um im Rahmen des Mahnverfahrens seine sich aus der Richtlinie 93/13 ergebenden Rechte geltend zu machen, die Fragen des vorlegenden Gerichts auf, sondern der Grundsatz der Präklusion bei Ablauf dieser Fristen und die sich daraus für dieses Gerichts ergebende Unmöglichkeit, im Verfahren zur Vollstreckung des Mahnbescheids die etwaige Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln von Amts wegen oder auf Antrag des Verbrauchers zu prüfen.

42      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Zusammenhang mit einem Hypothekenvollstreckungsverfahren, in dem das Gericht verpflichtet war, bei der Eröffnung dieses Verfahrens von Amts wegen die etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln zu prüfen, ohne dass diese Prüfung in den nachfolgenden Abschnitten dieses Verfahrens durchgeführt werden konnte, entschieden hat, dass der durch die Richtlinie 93/13 gewährte Schutz nur dann gewährleistet wäre, wenn das nationale Gericht in seiner Entscheidung, mit der die Vollstreckung aus der Hypothek gestattet wird, ausdrücklich darauf hinwiese, dass es die Missbräuchlichkeit der Klauseln des Titels, auf der das Hypothekenvollstreckungsverfahren beruht, von Amts wegen geprüft hat, dass diese – zumindest summarisch begründete – Prüfung kein Vorliegen einer missbräuchlichen Klausel ergeben hat und dass der Verbraucher die etwaige Missbräuchlichkeit dieser Klauseln nicht mehr geltend machen kann, wenn er nicht innerhalb der vom nationalen Recht gesetzten Frist Einspruch einlegt (Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco, C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 51).

43      Es geht auch aus der Rechtsprechung hervor, dass wenn sich das nationale Gericht im Fall einer vorhergehenden, zum Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung führenden Prüfung eines streitigen Vertrags darauf beschränkt hat, von Amts wegen eine einzige oder bestimmte Klauseln des Vertrags anhand der Richtlinie 93/13 zu prüfen, es die Richtlinie somit einem Gericht, bei dem der Verbraucher im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens ordnungsgemäß Einspruch eingelegt hat, gebietet, auf Antrag der Parteien oder von Amts wegen die etwaige Missbräuchlichkeit der übrigen Klauseln des Vertrags zu beurteilen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt. Denn der Schutz der Verbraucher würde sich ohne diese Kontrolle als unvollständig und unzureichend erweisen und wäre entgegen Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie weder ein angemessenes noch ein wirksames Mittel, um der Verwendung von Klauseln dieser Art ein Ende zu setzen (Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Was insbesondere die Begründung betrifft, die dem Gericht obliegt, das die Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln geprüft hat, hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Begründung es dem mit einer nachfolgenden Klage befassten Gericht ermöglichen muss, zum einen die Klauseln oder Teile von Klauseln, die im Rahmen eines ersten Verfahrens anhand der Richtlinie 93/13 überprüft wurden, und zum anderen die – wenn auch nur summarisch dargestellten – Gründe, aus denen das mit dem ersten Verfahren befasste Gericht diese Klauseln oder Teile von Klauseln für nicht missbräuchlich gehalten hat, zu ermitteln (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 18. Dezember 2023, Eurobank Bulgaria, C‑231/23, EU:C:2023:1008, Rn. 34).

45      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die gerichtliche Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln, die in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden enthalten sind, mit dem Effektivitätsgrundsatz im Hinblick auf die Richtlinie 93/13 vereinbar ist, wenn zum einen der Verbraucher über diese Prüfung und die Folgen informiert wird, die sich aus seiner Untätigkeit im Hinblick auf die Präklusion des Rechts, die etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln geltend zu machen, ergeben, und zum anderen die im Anschluss an diese Prüfung getroffene Entscheidung hinreichend begründet ist, um es zu ermöglichen, die bei dieser Gelegenheit geprüften Klauseln und die – wenn auch summarischen – Gründe, aus denen das Gericht diese Klauseln für nicht missbräuchlich gehalten hat, zu ermitteln. Eine gerichtliche Entscheidung, die diesen Anforderungen genügt, kann dazu führen, dass im Rahmen eines späteren Verfahrens keine erneute Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln durchgeführt wird.

46      Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass das Gericht im Rahmen des Mahnverfahrens die Klauseln des Kreditvertrags auf der Grundlage seiner Verpflichtung aus der geänderten Zivilprozessordnung von Amts wegen geprüft und die Parteien aufgefordert hat, hierzu Stellung zu nehmen, da es Zweifel im Hinblick auf die etwaige Missbräuchlichkeit dieser Klauseln hatte. Der Verbraucher kam dieser Aufforderung nicht nach und legte auch kein Rechtsmittel gegen den gerichtlichen Beschluss ein, dass keine solchen Klauseln feststellbar seien, woraufhin der Rechtspfleger einen Mahnbescheid erließ. Auch hat der Verbraucher offenbar keinen Widerspruch gegen diesen Mahnbescheid eingelegt, so dass der Beschluss des Rechtspflegers vom 9. Juli 2019 den das Mahnverfahren beendenden Beschluss darstellt.

47      Im Übrigen geht aus der Vorlageentscheidung auch nicht hervor, dass etwaige verfahrensrechtliche Zwänge den Verbraucher davon hätten abhalten können, seine Rechte im Rahmen des Mahnverfahrens geltend zu machen.

48      Folglich scheint in Anbetracht der in den Rn. 42 und 44 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, sofern zum einen der Verbraucher von der im Rahmen des Mahnverfahrens von Amts wegen durchgeführten Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln und den Folgen seiner Untätigkeit Kenntnis hatte und zum anderen der vom Gericht nach Abschluss dieser Prüfung erlassene Beschluss hinreichend begründet ist, die von diesem im Rahmen dieses Verfahrens durchgeführte Prüfung dem Effektivitätserfordernis im Hinblick auf Art. 7 der Richtlinie 93/13 zu genügen, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist.

49      Es ist auch darauf hinzuweisen, dass es dem Verbraucher, wenn er sich für berechtigt hielt, freistand, innerhalb der ihm hierfür gesetzten Fristen die fehlende Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die vom Gericht im Rahmen des Mahnverfahrens erlassene gerichtliche Entscheidung anzufechten.

50      In ihren schriftlichen Stellungnahmen vertritt die Europäische Kommission die Auffassung, dass der das Mahnverfahren beendende Beschluss des Rechtspflegers keinerlei Begründung enthalte, so dass er nicht zur Präklusion der Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln führen könne.

51      In Anbetracht des in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführten Grundsatzes der Verfahrensautonomie steht es den Mitgliedstaaten jedoch frei, ihre Verfahrensordnung so zu gestalten, dass eine Prüfung nach der Richtlinie 93/13 nicht nur anlässlich des das Mahnverfahren beendenden Beschlusses, sondern auch zu jedem Zeitpunkt dieses Verfahrens durchgeführt werden kann, sofern sie von einem Gericht vorgenommen wird und mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist. Da nach dem spanischen Verfahrensrecht eine solche Prüfung während eines solchen Verfahrens erfolgt, ist der Umstand, dass sie im Verfahren zur Vollstreckung des Mahnbescheids nicht mehr durchgeführt werden kann, für sich genommen nicht geeignet, die Wirksamkeit dieser Richtlinie zu beeinträchtigen.

52      Nach alledem ist auf die ersten Teile der ersten und der zweiten Frage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die es dem mit der Vollstreckung eines Mahnbescheids befassten Gericht aufgrund der Präklusion nicht erlaubt, die etwaige Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Kreditvertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher von Amts wegen oder auf Antrag des Verbrauchers zu prüfen, wenn eine solche Prüfung bereits von einem Gericht im Stadium des Mahnverfahrens vorgenommen wurde, vorausgesetzt, dieses Gericht hat in seiner Entscheidung die Klauseln, die geprüft wurden, ermittelt, es hat – wenn auch summarisch – die Gründe dargelegt, aus denen diese Klauseln nicht missbräuchlich sind, und es hat darauf hingewiesen, dass es dem Verbraucher verwehrt ist, die etwaige Missbräuchlichkeit dieser Klauseln geltend zu machen, wenn die im nationalen Recht gegen diese Entscheidung vorgesehenen Rechtsbehelfe nicht fristgemäß eingelegt werden.

 Zu den zweiten Teilen der ersten und der zweiten Frage

53      Mit den zweiten Teilen der ersten und der zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes einer nationalen Regelung entgegensteht, die es dem mit der Vollstreckung eines Mahnbescheids befassten Gericht nicht erlaubt, von Amts wegen Beweisaufnahmen durchzuführen, um die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen festzustellen, die erforderlich sind, um die etwaige Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Kreditvertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher zu prüfen.

54      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass diese Fragen nur gerechtfertigt sind, wenn das vorlegende Gericht im Anschluss an die Prüfung, die es im Hinblick auf die ersten Teile der ersten und der zweiten Frage vorzunehmen hat, zu dem Ergebnis gelangt, dass die im Stadium des Mahnverfahrens durchgeführte Prüfung hinsichtlich der Richtlinie 93/13 nicht den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes entspricht und dass es folglich eine neue Prüfung vornehmen muss.

55      Um auf die zweiten Teile dieser Fragen zu antworten, ist darauf hinzuweisen, dass das mit der Richtlinie 93/13 geschaffene Schutzsystem nach ständiger Rechtsprechung auf dem Gedanken beruht, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 4. Mai 2023, BRD Groupe Societé Générale und Next Capital Solutions, C‑200/21, EU:C:2023:380, Rn. 24 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Die Ungleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem kann daher nur durch ein positives Eingreifen von dritter, von den Vertragsparteien unabhängiger Seite ausgeglichen werden (vgl. insbesondere Urteil vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Gelangt das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis, dass es mangels einer wirksamen Prüfung im Stadium des Mahnverfahrens selbst die etwaige Missbräuchlichkeit der Klauseln des Kreditvertrags prüfen muss, muss es die Möglichkeit haben, eine zu diesem Zweck erforderliche Beweisaufnahme von Amts wegen durchzuführen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2022, Vicente [Verfahren zur Vollstreckung von Anwaltshonoraren], C‑335/21, EU:C:2022:720,Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Nach alledem ist auf die zweiten Teile der ersten und der zweiten Frage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es dem mit der Vollstreckung eines Mahnbescheids befassten Gericht nicht erlaubt, von Amts wegen Beweisaufnahmen durchzuführen, um die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen festzustellen, die erforderlich sind, um die etwaige Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Kreditvertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher zu prüfen, wenn die Prüfung, die das zuständige Gericht im Stadium des Mahnverfahrens vornimmt, hinsichtlich dieser Richtlinie nicht den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes entspricht.

 Kosten

59      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist im Licht des Effektivitätsgrundsatzes

dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die es dem mit der Vollstreckung eines Mahnbescheids befassten Gericht aufgrund der Präklusion nicht erlaubt, die etwaige Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Kreditvertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher von Amts wegen oder auf Antrag des Verbrauchers zu prüfen, wenn ein Gericht eine solche Kontrolle bereits im Stadium des Mahnverfahrens vorgenommen hat, vorausgesetzt, dieses Gericht hat in seiner Entscheidung die Klauseln, die geprüft wurden, ermittelt, es hat – wenn auch summarisch – die Gründe dargelegt, aus denen diese Klauseln nicht missbräuchlich sind, und es hat darauf hingewiesen, dass es dem Verbraucher verwehrt ist, die etwaige Missbräuchlichkeit dieser Klauseln geltend zu machen, wenn die im nationalen Recht gegen diese Entscheidung vorgesehenen Rechtsbehelfe nicht fristgemäß eingelegt werden.

2.      Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist im Licht des Effektivitätsgrundsatzes

dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es dem mit der Vollstreckung eines Mahnbescheids befassten Gericht nicht erlaubt, von Amts wegen Beweisaufnahmen durchzuführen, um die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen festzustellen, die erforderlich sind, um die etwaige Missbräuchlichkeit von Klauseln in einem Kreditvertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher zu prüfen, wenn die Prüfung, die das zuständige Gericht im Stadium des Mahnverfahrens vornimmt, hinsichtlich dieser Richtlinie nicht den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes entspricht.

Unterschriften



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