C-683/22 – Adusbef (Pont Morandi)

C-683/22 – Adusbef (Pont Morandi)

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Language of document : ECLI:EU:C:2024:376

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 30. April 2024(1)

Rechtssache C683/22

Adusbef – Associazione difesa utenti servizi bancari e finanziari

gegen

Presidenza del Consiglio dei ministri,

Ministero dell’Economia e delle Finanze,

Ministero delle Infrastrutture e della Mobilità sostenibili,

DIPE – Dipartimento programmazione e coordinamento della politica economica,

Autorità di regolazione dei trasporti,

Corte dei Conti,

Avvocatura dello Stato,

Beteiligte:

Mundys S.p.A., vormals Atlantia S.p.A.,

Autostrade per l’Italia S.p.A.,

Holding Reti Autostradali S.p.A.

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio [Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Konzession für den Betrieb von Autobahnstrecken – Schwerwiegende Verletzung der Wartungs- und Instandhaltungspflichten – Richtlinie 2014/23/EU – Art. 43 – Änderung der Konzession – Fortbestand des bisherigen Konzessionsnehmers – Beurteilung der Erforderlichkeit, ein neues Vergabeverfahren zu organisieren – Begründung der Entscheidung – Merkmal der Wesentlichkeit der Änderungen – Beurteilung der Zuverlässigkeit des Konzessionsnehmers im Rahmen einer Änderung der Konzession – Art. 44 – Kündigung der Konzession – Nichtdurchführung eines Vergabeverfahrens – Unzuverlässigkeit des Konzessionsnehmers“

1.        Am 14. August 2018 stürzte das gemeinhin als „Morandi-Brücke“ bezeichnete Polcevera-Viadukt der Autobahn A10 bei Genua, Italien, ein. Konzessionsnehmerin für diesen Autobahnabschnitt war zu jenem Zeitpunkt das Unternehmen Autostrade per l’Italia S.p.A. (im Folgenden: ASPI).

2.        Die nationalen Behörden leiteten ein Verfahren ein, um eine etwaige Haftung von ASPI wegen einer schwerwiegenden Verletzung ihrer Pflichten zur Wartung und Instandhaltung des ihr unterstehenden Autobahnnetzes zu klären.

3.        Das Verfahren endete mit Abschluss eines Accordo transattivo  (im Folgenden: Vergleich) zwischen ASPI und den italienischen Behörden, auf den eine „III Atto aggiuntivo“ (im Folgenden: 3. Zusatzvereinbarung) folgte, die von denselben Parteien unterzeichnet und in den ursprünglichen Konzessionsvertrag aufgenommen wurde. Mit diesen Vereinbarungen wurden die Konzessionsbedingungen geändert, ohne ein neues Vergabeverfahren durchzuführen.

4.        Ein Verbraucherschutzverband hat die Vereinbarungen vor einem italienischen Gericht angefochten, das dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts zur Änderung (und eventuellen Kündigung) der in der Richtlinie 2014/23/EU(2) geregelten Konzessionsverträge vorlegt.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht. Richtlinie 2014/23

5.        Art. 3 („Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz“) sieht vor:

„(1)      Öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und in nichtdiskriminierender Weise und wahren in ihrem Handeln Transparenz und Verhältnismäßigkeit.

(2)      Öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber streben … danach, die Transparenz des Vergabeverfahrens und der Vertragserfüllung zu gewährleisten.“

6.        Art. 38 („Auswahl und qualitative Bewertung der Bewerber“) bestimmt:

„…

(7)      Öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber können oder müssen – falls von einem Mitgliedstaat verlangt – in folgenden Situationen einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen:

c)      der öffentliche Auftraggeber kann in jeder geeigneten Weise nachweisen, dass der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat, die seine Integrität in Frage stellt;

f)      der Wirtschaftsteilnehmer hat bei der Durchführung einer wesentlichen Anforderung im Rahmen einer früheren Konzession oder eines früheren Vertrags mit einem öffentlichen Auftraggeber oder einem Auftraggeber im Sinne dieser Richtlinie oder im Sinne der Richtlinie 2014/25/EU erhebliche oder dauerhafte Mängel erkennen lassen, die die vorzeitige Kündigung dieses früheren Vertrags, Schadenersatz oder andere vergleichbare Sanktionen nach sich gezogen haben;

…“

7.        Art. 43 („Vertragsänderungen während der Vertragslaufzeit“) legt fest:

„(1)      Konzessionen können in den folgenden Fällen ohne Durchführung eines neuen Konzessionsvergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden:

a)      wenn die Änderungen, unabhängig von ihrem Geldwert, in den ursprünglichen Konzessionsunterlagen in Form von klar, präzise und eindeutig formulierten Überprüfungsklauseln, die auch Wertüberprüfungsklauseln beinhalten können, oder Optionen vorgesehen sind. Entsprechende Klauseln müssen Angaben zu Umfang und Art möglicher Änderungen oder Optionen sowie zu den Bedingungen enthalten, unter denen sie zur Anwendung gelangen können. Sie dürfen keine Änderungen oder Optionen vorsehen, die den Gesamtcharakter der Konzession verändern würden;

c)      wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

i)      die Änderung wurde erforderlich aufgrund von Umständen, die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender öffentlicher Auftraggeber oder Auftraggeber nicht vorhersehen konnte;

ii)      der Gesamtcharakter der Konzession verändert sich aufgrund der Änderung nicht;

iii)      im Falle von Konzessionen, die von dem öffentlichen Auftraggeber für die Ausübung von Tätigkeiten vergeben werden, die nicht in Anhang II genannt sind, wird der Wert um höchstens 50 % des Wertes der ursprünglichen Konzession erhöht. Werden mehrere aufeinanderfolgende Änderungen vorgenommen, so gilt diese Beschränkung für den Wert jeder einzelnen Änderung. Solche aufeinanderfolgenden Änderungen dürfen nicht mit dem Ziel vorgenommen werden, diese Richtlinie zu umgehen;

d)      wenn ein neuer Konzessionsnehmer den Konzessionsnehmer ersetzt, dem der öffentliche Auftraggeber oder der Auftraggeber den Zuschlag für die Konzession ursprünglich erteilt hatte, aufgrund entweder

i)      einer eindeutig formulierten Überprüfungsklausel oder Option gemäß Buchstabe a, oder

ii)      der Tatsache, dass ein anderer Wirtschaftsteilnehmer, der die ursprünglich festgelegten qualitativen Eignungskriterien erfüllt, im Zuge einer Unternehmensumstrukturierung – einschließlich Übernahme, Fusion, Erwerb oder Insolvenz – ganz oder teilweise an die Stelle des ursprünglichen Konzessionsnehmers tritt, sofern dies keine weiteren wesentlichen Änderungen des Vertrags zur Folge hat und nicht dazu dient, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen, oder

iii)      der Tatsache, dass der öffentliche Auftraggeber oder der Auftraggeber selbst die Verpflichtungen des Hauptkonzessionärs gegenüber seinen Unterauftragnehmern übernimmt, wenn diese Möglichkeit in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist;

e)      wenn die Änderungen, unabhängig von ihrem Wert, nicht wesentlich im Sinne des Absatzes 4 sind.

Öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber, die einen Vertrag in den Fällen gemäß den Buchstaben b und c des vorliegenden Absatzes geändert haben, veröffentlichen eine diesbezügliche Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union. Die Bekanntmachung enthält die in Anhang XI genannten Angaben und wird gemäß Artikel 33 veröffentlicht.

(2)      Darüber hinaus können Konzessionen auch ohne Durchführung eines neuen Konzessionsvergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden, ohne dass überprüft werden muss, ob die in Absatz 4 Buchstaben a bis d genannten Bedingungen erfüllt sind, wenn der Wert der Änderung die beiden folgenden Werte nicht übersteigt:

i)      den in Artikel 8 genannten Schwellenwert und

ii)      10 % des Wertes der ursprünglichen Konzession.

Der Gesamtcharakter der Konzession darf sich allerdings aufgrund der Änderung nicht verändern. Im Falle mehrerer aufeinanderfolgender Änderungen wird deren Wert auf der Grundlage des kumulierten Nettowerts der aufeinanderfolgenden Änderungen bestimmt.

(4)      Eine Änderung einer Konzession während ihrer Laufzeit gilt als wesentlich im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe e, wenn sie dazu führt, dass sich die Konzession erheblich von der ursprünglich vergebenen Konzession unterscheidet. Unbeschadet der Absätze 1 und 2 gilt eine Änderung in jedem Fall als wesentlich, wenn eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist/sind:

a)      mit der Änderung werden Bedingungen eingeführt, die – wenn sie für das ursprüngliche Konzessionsvergabeverfahren gegolten hätten – die Zulassung anderer als der ursprünglich ausgewählten Bewerber oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots ermöglicht hätten oder das Interesse weiterer Teilnehmer am Konzessionsvergabeverfahren geweckt hätten;

b)      mit der Änderung wird das wirtschaftliche Gleichgewicht der Konzession zugunsten des Konzessionsnehmers in einer Weise verschoben, die in der ursprünglichen Konzession nicht vorgesehen war;

c)      mit der Änderung wird der Umfang der Konzession erheblich ausgeweitet;

d)      ein neuer Konzessionsnehmer ersetzt den Konzessionsnehmer, dem der öffentliche Auftraggeber oder der Auftraggeber ursprünglich den Zuschlag erteilt hatte, in anderen als den in Absatz 1 Buchstabe d vorgesehenen Fällen.

(5)      Ein neues Konzessionsvergabeverfahren im Einklang mit dieser Richtlinie ist erforderlich bei anderen als den in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Änderungen der Bestimmungen einer Konzession während ihrer Laufzeit.“

8.        Art. 44 („Kündigung von Konzessionen“) bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber unter bestimmten Bedingungen, die im anwendbaren nationalen Recht festgelegt sind, über die Möglichkeit verfügen, eine Konzession während ihrer Laufzeit zu kündigen, wenn eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist/sind:

a)      Es wurde eine Änderung der Konzession vorgenommen, die ein neues Konzessionsvergabeverfahren gemäß Artikel 43 erforderlich gemacht hätte;

b)      der Konzessionsnehmer befand sich zum Zeitpunkt der Konzessionsvergabe in einer der in Artikel 38 Absatz 4 genannten Situationen und hätte daher vom Konzessionsvergabeverfahren ausgeschlossen werden müssen;

c)      der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet in einem Verfahren nach Artikel 258 AEUV, dass ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen dadurch verstoßen hat, dass ein öffentlicher Auftraggeber oder ein Auftraggeber dieses Mitgliedstaats die fragliche Konzession unter Verletzung seiner Verpflichtungen aus den Verträgen und aus dieser Richtlinie vergeben hat.“

B.      Italienisches Recht

1.      Decreto-legge 6 dicembre 2011, n. 201. Disposizioni urgenti per la crescita, l’equità e il consolidamento dei conti pubblici(3)

9.        Gemäß Art. 43 Abs. 1 sind Aktualisierungen oder Änderungen von zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rechtsvorschrift laufenden Autobahnvereinbarungen, wenn sie Änderungen bzw. Ergänzungen des Investitionsplans oder regulatorische Aspekte zum Schutz der öffentlichen Finanzen umfassen, von der Stellungnahme bestimmter Stellen abhängig und von den in der Bestimmung genannten Behörden zu genehmigen.

2.      Decreto legislativo 18 aprile 2016, n. 50. Codice dei contratti pubblici(4)

10.      Als fakultative Gründe für den Ausschluss von Bietern nennt Art. 80 Abs. 5 in Buchst. c und Buchst. cter schwerwiegendes berufliches Fehlverhalten und eine Pflichtverletzung bei der Ausführung einer früheren Konzession.

11.      Im dritten Teil des Decreto legislativo, der Konzessionsverträge regelt, findet sich

–      Art. 175 über Vertragsänderungen während der Vertragslaufzeit, der mit wenigen Änderungen den Wortlaut von Art. 43 der Richtlinie 2014/23 übernimmt;

–      Art. 176 über die Beendigung, die Erneuerung von Amts wegen, die Kündigung wegen Nichterfüllung und die Ersetzung des Konzessionsnehmers.

II.    Sachverhalt, Rechtsstreit und Vorlagefragen

12.      Am 12. Oktober 2007 schlossen ASPI und die Azienda Nazionale Autonoma delle Strade (Nationales autonomes Straßenunternehmen, Italien)(5) eine „Convenzione unica“ (im Folgenden: Einheitsvereinbarung)(6), mit der ASPI die Konzession für den Betrieb von mehr als 2 800 km der italienischen Autobahnstrecken erhielt(7).

13.      Die Konzession läuft am 31. Dezember 2038 aus.

14.      Am 14. August 2018 stürzte in der Nähe von Genua auf der an ASPI konzessionierten Autobahn A10 ein Brückenabschnitt des (gemeinhin als „Morandi-Brücke“ bezeichneten) Polcevera-Viadukts ein, was zum Tod von 43 Menschen führte.

15.      Am 16. August 2018 leitete die Generaldirektion für die Überwachung von Autobahnkonzessionsnehmern gegenüber ASPI ein Verfahren zur Beanstandung einer schwerwiegenden Verletzung der Pflichten zur Wartung und Instandhaltung des Autobahnnetzes ein.

16.      Ab dem 10. Juli 2019 fanden verschiedene Treffen zwischen der Konzessionsnehmerin und den Behörden statt, in deren Rahmen ASPI am 11. Juli 2020 ein Angebot unterbreitete(8).

17.      Auf der Grundlage dieses „Kompromissvorschlags“ wurde ein Vergleich ausgearbeitet und ASPI in einem gemeinsamen Schreiben mehrerer italienischer Ministerien und der Präsidentschaft des Ministerrats am 23. September 2020 mitgeteilt.

18.      In dem Vergleich werden die von der Konzessionsnehmerin zu ergreifenden Maßnahmen und die sonstigen von ihr mit dem Ziel eines Vergleichs im Verletzungsverfahren übernommenen Verpflichtungen festgelegt. Weiterhin wird die „Neuverhandlung der Einheitsvereinbarung“ vom 12. Oktober 2007 unterbreitet.

19.      Am 15. Juli 2021 übermittelte ASPI einen Entwurf einer Zusatzvereinbarung zur Einheitsvereinbarung und ihren Anhängen.

20.      Am 14. Oktober 2021 unterzeichneten das Ministerium für Infrastruktur und ASPI den Vergleich, und dieser wurde durch das Dekret Nr. 37 vom 22. Februar 2022 des Ministeriums für Infrastruktur im Einvernehmen mit dem Ministero dell’economia e delle Finanze (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, Italien) genehmigt(9).

21.      Am 21. März 2022 unterzeichneten das Ministerium für Infrastruktur und ASPI die 3. Zusatzvereinbarung zur Einheitsvereinbarung, mit der bestimmte Änderungen der Konzessionsklauseln in die Einheitsvereinbarung aufgenommen wurden.

22.      Mit einer im Jahr 2022 unter der Nummer 6020 eingegangenen Klage fechten mehrere Vereinigungen (von denen nur die Associazione difesa utenti servizi bancari e finanziari [im Folgenden: Adusbef] schließlich als klagebefugt anerkannt wurde) vor dem vorlegenden Gericht die folgenden Rechtsakte an und beantragen ihre Nichtigerklärung:

–      Beschluss Nr. 75/21 des Interministeriellen Ausschusses für Wirtschaftsplanung und nachhaltige Entwicklung vom 22. Dezember 2021 mit der Bezeichnung „Autostrade per l’Italia S.p.A. – Stellungnahme zur 3. Zusatzvereinbarung zur Einheitsvereinbarung vom 12. Oktober 2007 und zum Wirtschafts- und Finanzplan im Sinne von Art. 43 des Decreto-legge Nr. 201 von 2011 (Beschluss Nr. 75/2021)“;

–      Dekret Nr. 37 vom 22. Februar 2022 des Ministeriums für Infrastruktur im Einvernehmen mit dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, mit dem der Vergleich vom 14. Oktober 2021 zwischen dem Ministerium für Infrastruktur und ASPI genehmigt wird;

–      Entscheidung der Corte dei Conti (Rechnungshof, Italien) Nr. SCCLEG/2/2022/PREV vom 29. März 2022;

–      befürwortende Stellungnahme der Avvocatura Generale dello Stato (Generalstaatsanwaltschaft, Italien) zum Entwurf der genannten Vereinbarung, die mit Schreiben vom 24. September 2021 übermittelt wurde;

–      Vergleich vom 14. Oktober 2021, unterzeichnet vom Ministerium für Infrastruktur und ASPI;

–      Schreiben vom 5. November 2021, Nr. 19135, mit dem ASPI dem Ministerium für Infrastruktur den aktualisierten Vorschlag für den Wirtschafts- und Finanzplan übermittelt;

–      Stellungnahme vom 22. Dezember 2021 der Nucleo di consulenza per l’attuazione delle linee guida per la regolazione dei servizi di pubblica utilità (Beratungsgruppe für die Umsetzung der Leitlinien für die Regelung der öffentlichen Versorgungsdienste) zum Entwurf der 3. Zusatzvereinbarung zur Einheitsvereinbarung und dem entsprechenden Wirtschafts- und Finanzplan;

–      Stellungnahme vom 14. Oktober 2020 und Schreiben vom 16. Dezember 2021 der Autorità di regolazione dei trasporti (Regulierungsbehörde für den Verkehrssektor, Italien);

–      Protokolle der Sitzungen des Consiglio dei Ministri (Ministerrat, Italien) vom 14. und 15. Juli 2020;

–      alle sonstigen vorbereitenden, damit zusammenhängenden oder darauf folgenden Rechtsakte.

23.      Die von der Adusbef geltend gemachten Anfechtungsgründe(10) betreffen sowohl einen Verstoß gegen nationale Rechtsvorschriften als auch gegen die Art. 38, 43 und 44 der Richtlinie 2014/23.

24.      Dieser Anfechtung treten ASPI, die öffentlichen Institutionen und Verwaltungen, die die angefochtenen Rechtsakte erlassen haben, in gemeinsamer Vertretung sowie die Atlantia S.p.A.(11) und, als Streithelferin zur Unterstützung der Beklagten die Holding Reti Autostradali entgegen.

25.      Vor diesem Hintergrund legt das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) dem Gerichtshof folgende Fragen „in Bezug auf die in den Art. 38, 43 und 44 der Richtlinie 2014/23 vorgesehene Regelung“ zur Vorabentscheidung vor:

1.      Widerspricht eine Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften dem Unionsrecht, nach der die konzessionsgebende Behörde während der Konzessionslaufzeit ein Verfahren zur Partei- und Inhaltsänderung oder zur Neuverhandlung einer Autobahnkonzession einleiten kann, ohne die Verpflichtung zur Durchführung eines Vergabeverfahrens zu prüfen und hierzu Stellung zu nehmen?

2.      Widerspricht eine Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften dem Unionsrecht, nach der die konzessionsgebende Behörde während der Konzessionslaufzeit ein Verfahren zur Partei- und Inhaltsänderung oder zur Neuverhandlung einer Autobahnkonzession einleiten kann, ohne die Zuverlässigkeit eines Konzessionsnehmers zu prüfen, der eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat?

3.      Gebietet das Unionsrecht im Fall der Bejahung der Verletzung der Verpflichtung zur Durchführung eines Vergabeverfahrens und/oder der Bejahung der Unzuverlässigkeit des Inhabers einer Autobahnkonzession die Kündigung des Vertragsverhältnisses?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

26.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 4. November 2022 beim Gerichtshof eingegangen.

27.      Die Adusbef, ASPI, die Holding Reti Autostradali, Mundys, die deutsche, die estnische und die italienische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der deutschen und der estnischen Regierung haben sie alle an der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2024 teilgenommen.

IV.    Würdigung

A.      Vorbemerkungen

1.      Anwendbare Richtlinie

28.      Nach Auffassung von Mundys ist die Richtlinie 2014/23 auf den Rechtsstreit nicht anwendbar, da sie nach ihrem Art. 54 Abs. 2 „keine Anwendung auf vor dem 17. April 2014 ausgeschriebene oder vergebene Konzessionen [findet]“. Im vorliegenden Fall wurde die streitige Konzession am 12. Oktober 2007 vergeben.

29.      Zwar wurde die ursprüngliche Konzession vor dem Erlass der Richtlinie 2014/23 vergeben, jedoch ist für die Bestimmung der anwendbaren Vorschrift der Zeitpunkt der Änderungen maßgeblich, deren Gültigkeit angefochten wird(12). Dieser Zeitpunkt liegt nach dem 17. April 2014, und somit ist die Richtlinie 2014/23 anwendbar.

30.      Mit dem gleichen Argument können entsprechend die Einwände hinsichtlich der Unzuverlässigkeit der Konzessionsnehmerin und hinsichtlich des Vorliegens eines Grundes für die Kündigung des Vertrags zurückgewiesen werden. Beide beziehen sich auf Sachverhalte, die sich aus den nach dem 17. April 2014 vorgenommenen streitigen Änderungen ergeben oder mit ihnen zusammenhängen.

2.      Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

31.      ASPI, die Holding Reti Autostradali, Mundys und die italienische Regierung machen mit teils übereinstimmenden, teils abweichenden Argumenten geltend, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig. Im Wesentlichen führen sie aus, die vom vorlegenden Gericht gelieferten tatsächlichen und rechtlichen Angaben seien nicht ausreichend, um eine sachdienliche Antwort auf seine Fragen zu geben, und außerdem seien die Fragen hypothetischer Art.

32.      Es besteht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit von Vorlagefragen nach der Auslegung des Unionsrechts. Zudem ist es Sache des nationalen Gerichts, in eigener Verantwortung den rechtlichen und sachlichen Rahmen festzulegen, dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage nur in von ihm genau festlegten Ausnahmefällen ablehnen(13).

33.      Unbeschadet dessen, was ich nachstehend zur dritten Vorlagefrage ausführen werde, und unbeschadet gewisser Unklarheiten in den beiden anderen Fragen stehen meiner Meinung nach die ersten beiden Vorlagefragen in Zusammenhang mit dem Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens. Die Schilderung des Sachverhalts ist zwar nicht so präzise, wie sie sein sollte(14), jedoch bieten diese Schilderung und die rechtlichen Erwägungen aus der Vorlageentscheidung(15) dem Gerichtshof die Mindestbedingungen für die Beantwortung der ersten beiden Vorlagefragen.

B.      Erste Vorlagefrage

34.      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob das Unionsrecht „eine Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften [zulässt], nach der die konzessionsgebende Behörde während der Konzessionslaufzeit ein Verfahren zur Partei- und Inhaltsänderung oder zur Neuverhandlung einer Autobahnkonzession einleiten kann, ohne die Verpflichtung zur Durchführung eines Vergabeverfahrens zu prüfen und hierzu Stellung zu nehmen“.

35.      Die so formulierte Frage ist dahin zu verstehen, dass sie sich auf Art. 43 der Richtlinie 2014/23 bezieht, der die Änderung von Konzessionsverträgen während ihrer Laufzeit regelt. Ich werde darauf eingehen, indem ich diese Bestimmung sowie die formalen und die materiellen Aspekte der in der vorliegenden Rechtssache vereinbarten Änderungen prüfe.

1.      Änderungen der Konzessionsverträge in der Richtlinie 2014/23

36.      Nach Art. 43 der Richtlinie 2014/23 können Konzessionen in den in Abs. 1 genannten Fällen ohne Durchführung eines neuen Konzessionsvergabeverfahrens geändert werden. Für die vorliegende Rechtssache von Bedeutung ist der Fall, dass „die Änderungen, unabhängig von ihrem Wert, nicht wesentlich im Sinne des Absatzes 4 sind“ (Abs. 1 Buchst. e).

37.      Art. 43 Abs. 4 regelt, wann die Änderung einer Konzession während ihrer Laufzeit als wesentlich gilt. In einem solchen Fall ist nach Abs. 5 „[e]in neues Konzessionsvergabeverfahren … erforderlich“.

38.      Im 75. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/23 heißt es: „Ein neues Konzessionsvergabeverfahren ist erforderlich bei wesentlichen Änderungen der ursprünglichen Konzession, insbesondere des Umfangs und der inhaltlichen Ausgestaltung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien …“.

39.      Bereits vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2014/23 hat der Gerichtshof entschieden, dass wesentliche Änderungen der wesentlichen Bestimmungen eines Konzessionsvertrags die Vergabe eines neuen Konzessionsvertrags erfordern können(16).

40.      Im Jahr 2011 wurde eine Debatte(17) über die Notwendigkeit einer Reform der Richtlinien für das öffentliche Auftragswesen angestoßen. Eine der Fragen, die zur Konsultation vorgelegt wurden, bezog sich darauf, ob es angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofs „auf EU-Ebene einer rechtlichen Klarstellung bedarf, um die Bedingungen festzulegen, denen zufolge eine Änderung des Auftrags ein neues Vergabeverfahren erfordert“. Das Ergebnis, das sich in den drei Vergaberichtlinien aus dem Jahr 2014 niedergeschlagen hat, ist, was die Vertragsänderungen betrifft, ähnlich.

41.      Die nachfolgende Rechtsprechung zu Art. 43 der Richtlinie 2014/23 legt den Artikel im Sinne der früheren Rechtsprechung aus. So hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 2. September 2021 festgestellt, dass mit diesem Artikel „die Fälle abschließend harmonisiert wurden, in denen einerseits Konzessionen geändert werden können, ohne dass die Durchführung eines neuen Konzessionsvergabeverfahrens … erforderlich ist, und in denen andererseits bei einer Änderung der Konzessionsbedingungen ein solches Vergabeverfahren erforderlich ist“(18).

42.      Wie ich dargestellt habe, legt Art. 43 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/23 fest, welche Änderungen kein neues Vergabeverfahren erfordern. Art. 43 Abs. 4 bestimmt, wann eine Änderung als wesentlich gilt, was zur Folge hat (Abs. 5), dass ein neues Konzessionsvergabeverfahren eingeleitet werden muss.

43.      Die erste Vorlagefrage des vorlegenden Gerichts ist im Licht dieser Prämissen zu beantworten. Der Wortlaut der Frage ist allerdings zweideutig: So wie sie formuliert ist, scheint sie nur auf die Feststellung abzuzielen, ob eine formale Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers zur Stellungnahme in Form einer begründeten Entscheidung besteht, deren materiellem Inhalt dann weniger Bedeutung zukäme.

44.      Der formale Ansatz steht jedoch im Gegensatz zu der Aufmerksamkeit, die das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung einer der (geltend gemachten) wesentlichen Änderungen der Konzession widmet, nämlich der Änderung der Eigentümerstruktur der Konzessionsnehmerin.

45.      Der Vollständigkeit halber werde ich auf beide Aspekte, d. h. auf die formale und die materielle Perspektive, der Frage eingehen. Zunächst möchte ich darauf aufmerksam machen, dass die Vorlageentscheidung mit Ausnahme der Änderung der Eigentümerstruktur weder den Ursprung noch den Inhalt der geänderten Konzessionsklauseln genau bezeichnet.

46.      Wie ich bereits dargestellt habe, erfolgte die Änderung durch zwei Rechtsakte, die zwar miteinander verbunden, rechtlich gesehen jedoch vollkommen unterschiedlich ausgestaltet sind:

–      zum einen durch den Abschluss des Vergleichs zwischen dem Ministerium für Infrastruktur und ASPI am 14. Oktober 2021, mit dem das Verfahren wegen Pflichtverletzung der Konzessionsnehmerin beendet wurde(19);

–      zum anderen durch die Unterzeichnung der 3. Zusatzvereinbarung zur Einheitsvereinbarung durch dieselben Parteien am 21. März 2022. Tatsächlich wurden mit diesem Rechtsakt die Änderungen in die Konzession aufgenommen. In der Vorlageentscheidung wird ihm jedoch wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

2.      Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zur Begründung seiner Entscheidung

47.      Art. 43 Abs. 1, 2 und 4 der Richtlinie 2014/23 verpflichtet im Rahmen der Regelung, wie Konzessionen (mit oder ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens) geändert werden können, den öffentlichen Auftraggeber nicht zur Angabe der Gründe, die ihn zu der Auffassung veranlassen, dass einer der in diesen Bestimmungen genannten Fälle vorliegt.

48.      Angesichts der Regelungslücke in Art. 43 der Richtlinie 2014/23 ist es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, den öffentlichen Auftraggebern eine Pflicht zur Begründung ihrer Entscheidungen zur Konzessionsänderung aufzuerlegen oder nicht.

49.      Der Gerichtshof hat jedoch bereits entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber unter bestimmten Bedingungen dieser Pflicht unterliegt, um es den Adressaten dieser Entscheidungen zu ermöglichen, „ihre Rechte geltend zu machen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob mit einer Klage gegen die Entscheidungen [der nationalen Behörden] vorzugehen ist“, und „um den Gerichten die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen zu ermöglichen“(20).

50.      Das vorlegende Gericht wird zu prüfen haben, ob die angefochtenen Rechtsakte in Anbetracht des Streitgegenstands hätten begründet werden müssen und, falls dies der Fall ist, ob sie eine ausreichende Begründung enthalten, um die Geltendmachung der Rechte der Adressaten oder ihre gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen(21).

51.      Unter diesem Gesichtspunkt enthält die Vorlageentscheidung hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der öffentliche Auftraggeber vor seiner Entscheidung Beurteilungen vorgenommen hat, die dem Begründungserfordernis genügen können. Insbesondere haben die zuständigen Behörden (zutreffend oder nicht, was jedoch eine andere Frage ist) erläutert, warum die Änderung der Konzession die beste Lösung war.

52.      So wird in Rn. 2.2 der Vorlageentscheidung beschrieben, wie der öffentliche Auftraggeber die negativen und positiven Folgen der beiden im Raum stehenden Alternativen (Änderung der Konzession ohne neue Ausschreibung oder Kündigung des Vertrags) abgewogen hat(22). Die Gründe, die die italienischen Behörden dazu bewogen haben, sich für die erste Alternative zu entscheiden, werden in den verschiedenen Dokumenten, die Teil des Verfahrens sind, ausführlich dargestellt(23).

53.      Unter diesen Umständen könnte sich die Begründung des öffentlichen Auftraggebers aus dem Inhalt der Gesamtheit der Akten ergeben, die die von der Adusbef in ihrer Klage angefochtenen Rechtsakte umfassen. Dazu gehören die Stellungnahmen der nationalen Organe und Institutionen, in denen hervorgehoben wird, dass der Abschluss des Vergleichs und der 3. Zusatzvereinbarung angebracht sei, und aufgrund derer der öffentliche Auftraggeber es für angemessen hielt, die ursprüngliche Konzession ohne ein neues Vergabeverfahren zu ändern.

54.      In ihrer Klageschrift an das vorlegende Gericht führt die Adusbef aus, dass „die dem Vergleich zugrunde liegenden Gründe, aus denen der Vertrag nicht gekündigt, sondern fortgeführt wird“, im Vergleich enthalten seien, und gibt einen Teil des Inhalts wieder(24). In dem Schreiben(25) kritisiert die Adusbef mit ihren eigenen Argumenten die Gründe, die im Vergleich zugunsten einer Fortführung des Vertrags genannt werden, sowie die Gründe, die die Corte dei conti (Rechnungshof) zur „Berücksichtigung bei der Begründung“ dargelegt hat.

55.      Die Adusbef konnte somit den Inhalt der Rechtsakte, mit denen die Konzession geändert wurde und die sie der gerichtlichen Kontrolle durch das vorlegende Gericht unterwirft(26), zur Kenntnis nehmen und anfechten.

3.      Einstufung der Änderungen des Konzessionsvertrags

56.      Die Vorlageentscheidung konzentriert sich in erster Linie auf die (angebliche) Änderung des Konzessionsvertrags infolge der Änderung der Eigentümerstruktur von ASPI. Streitig ist, ob ein „Wechsel des Konzessionsnehmers“ im Sinne von Art. 43 Abs. 4 Buchst. d in Verbindung mit Art. 43 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2014/23 vorliegt.

57.      Das vorlegende Gericht möchte weiterhin wissen,

–      ob der Einsturz der Morandi-Brücke als „unvorhersehbarer Umstand“ im Sinne von Art. 43 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/23 angesehen werden kann;

–      ob die Verpflichtung von ASPI zu einer Ausgleichszahlung in Höhe von 3,4 Mrd. Euro und zur Erhöhung der Sicherheitsstandards des Autobahnnetzes sowie deren wirksamer Umsetzung eine wesentliche Änderung der Konzession darstellt.

58.      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob nach Art. 43 Abs. 5 der Richtlinie 2014/23 die Einleitung eines neuen Konzessionsvergabeverfahrens erforderlich war. Der Gerichtshof kann ihm jedoch einige Hinweise geben, um es bei der Entscheidung zu unterstützen.

a)      Änderung der Eigentümerstruktur: eine wesentliche Änderung des Konzessionsvertrags?

59.      Nach Art. 43 Abs. 1 Buchst. d Ziff. ii der Richtlinie 2014/23 können „Konzessionen … in den folgenden Fällen ohne Durchführung eines neuen Konzessionsvergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden: … wenn ein neuer Konzessionsnehmer den Konzessionsnehmer ersetzt, dem der öffentliche Auftraggeber oder der Auftraggeber den Zuschlag für die Konzession ursprünglich erteilt hatte, aufgrund entweder … der Tatsache, dass ein anderer Wirtschaftsteilnehmer … im Zuge einer Unternehmensumstrukturierung – einschließlich Übernahme, Fusion, Erwerb oder Insolvenz – ganz oder teilweise an die Stelle des ursprünglichen Konzessionsnehmers tritt“.

60.      Für die Auslegung dieser Bestimmung ist auf den 77. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/23 zu verweisen, der sich auf strukturelle Veränderungen, wie etwa eine rein interne Umstrukturierung, eine Übernahme oder einen Zusammenschluss während der Konzessionsausführung bezieht. Derartige strukturelle Veränderungen sollten, heißt es weiter, „nicht automatisch neue Vergabeverfahren für die … Konzession erfordern“.

61.      Aus den schriftlichen Erklärungen und den in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Stellungnahmen der Parteien des Rechtsstreits sowie aus den Angaben in der Vorlageentscheidung(27) geht hervor, dass keine vollständige oder teilweise Ersetzung der Konzessionsnehmerin vorliegt (ASPI war und bleibt Konzessionsnehmerin), sondern eine interne Umstrukturierung des Unternehmens(28), bei der Aktionäre im Rahmen einer der Kommission gemeldeten Transaktion durch neue Aktionäre ersetzt wurden(29).

62.      In der mündlichen Verhandlung wurde erörtert, ob die Mehrheitsbeteiligung der Cassa Depositi e Prestiti(30) am Aktienkapital von ASPI ihrer Natur nach(31) eine Änderung der Konzessionsnehmerin darstellt, die ein Vergabeverfahren erfordert.

63.      Grundsätzlich stellt also die reine Ersetzung einzelner Aktionäre durch andere im Rahmen einer Änderung der Eigentümerstruktur, bei der es nicht zur Ersetzung des Konzessionsnehmers kommt, keine wesentliche Parteiänderung dar, die ein neues Vergabeverfahren im Sinne von Art. 43 Abs. 1 Buchst. d Ziff. ii der Richtlinie 2014/23 erfordert. Dies wurde vom Gerichtshof mit der Feststellung bestätigt, dass „es sich bei internen Neuorganisationen des ursprünglichen Auftragnehmers um nicht wesentliche Änderungen der Vertragsbedingungen des betreffenden öffentlichen Auftrags handeln [kann], bei denen kein neues Vergabeverfahren erforderlich ist“(32).

64.      Aus einem anderen Blickwinkel wird das vorlegende Gericht zu berücksichtigen haben, ob eine solche Parteiänderung nach Art. 10bis der Einheitsvereinbarung zulässig ist. Zu prüfen ist, ob die angefochtenen Rechtsakte den Bestimmungen von Art. 43 Abs. 1 Buchst. d Ziff. i der Richtlinie 2014/23(33) entsprechen, d. h. ob die Änderung als Option oder als eindeutig formulierte Überprüfungsklausel in der ursprünglichen Konzessionsvereinbarung vorgesehen war(34).

b)      Sonstige (objektive) Änderungen

65.      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts(35) beruhen die Änderungen der Einheitsvereinbarung nicht auf Umständen, „die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender öffentlicher Auftraggeber oder Auftraggeber nicht vorhersehen konnte“.

66.      Seiner Auffassung nach kann ein pflichtwidriges Verhalten, das die Verkehrssicherheit beeinträchtigen oder allein oder in Verbindung mit anderen Ursachen zu einem tragischen Ereignis wie dem Einsturz der Morandi-Brücke führt, nicht als unvorhersehbarer Umstand angesehen werden.

67.      Meines Erachtens sollte der Schwerpunkt nicht darauf liegen, ob das Ereignis vorhersehbar war, sondern darauf, ob sich die Vertragsänderung „notwendigerweise“ daraus ergibt. Art. 43 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/23 bezieht sich gerade auf die Erforderlichkeit einer Änderung aufgrund von Umständen, die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender öffentlicher Auftraggeber oder Auftraggeber nicht vorhersehen konnte.

68.      Unabhängig vom Grund für die vereinbarten Änderungen ist im vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung, ob sie als wesentlich einzustufen sind, um entscheiden zu können, ob unabhängig von ihrer Ursache die Organisation eines Vergabeverfahrens erforderlich gewesen wäre, weil diese Änderungen den Gegenstand oder den Gesamtcharakter der Konzession verändert haben.

69.      In der mündlichen Verhandlung wurde erörtert, welche Inhaltsänderungen sich insbesondere aus dem Vergleich und der Zusatzvereinbarung in Bezug auf die Einheitsvereinbarung ergeben. Insoweit nennt das vorlegende Gericht die Verpflichtung von ASPI zu einer Ausgleichszahlung in Höhe von 3,4 Mrd. Euro und zur Erhöhung der Sicherheitsstandards des Autobahnnetzes. Es verweist jedoch weder auf die Tarifänderung noch auf Änderungen anderer Art, die aus diesen beiden Vereinbarungen hervorgehen.

70.      Auch insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die von ASPI übernommenen Verpflichtungen eine wesentliche Änderung des Vertrags im Sinne von Art. 43 Abs. 1, 2 und 4 der Richtlinie 2014/23 darstellen. Bei seiner Würdigung kann es berücksichtigen, wie es in der mündlichen Verhandlung ohne abschließendes Ergebnis erörtert wurde, ob die eingeführten Änderungen die Stellung des Konzessionsnehmers tatsächlich verschlechtern, indem sie ihm belastendere Bedingungen auferlegen(36), oder im Gegenteil seinen Interessen entsprechen, indem sie ihm die Fortsetzung der Konzession ermöglichen. Weiterhin kann das Gericht prüfen, ob diese Änderungen auf der Umsetzung neuer gesetzlicher Maßnahmen allgemeiner Art(37) oder eher auf Ad-hoc-Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers beruhen, die dieser freiwillig zugunsten der Konzessionsnehmerin getroffen hat.

71.      Was die vom vorlegenden Gericht genannten Änderungen betrifft, so erscheinen mir diese beiden Inhaltsänderungen nicht wesentlich: Zum einen zielt der finanzielle Beitrag von ASPI (der als solcher für die Konzessionsnehmerin eine Belastung darstellt) darauf ab, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Vorfalls im Rahmen einer Transaktion auszugleichen; zum anderen unterscheidet sich die Verpflichtung, die Sicherheit des Autobahnnetzes zu erhöhen, nicht wesentlich von den Verpflichtungen aus der Einheitsvereinbarung.

C.      Zweite Vorlagefrage

72.      Das vorlegende Gericht möchte klären, ob „eine Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften dem Unionsrecht [widerspricht], nach der die konzessionsgebende Behörde während der Konzessionslaufzeit ein Verfahren zur Partei- und Inhaltsänderung oder zur Neuverhandlung einer Autobahnkonzession einleiten kann, ohne die Zuverlässigkeit eines Konzessionsnehmers zu prüfen, der eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat“(38).

73.      Die Frage geht davon aus, dass die Konzessionsnehmerin einen schweren Verstoß gegen ihre Verpflichtungen zur Instandhaltung und Erhaltung der Autobahninfrastruktur begangen hat. Der öffentliche Auftraggeber hat diesen Verstoß jedoch nicht förmlich festgestellt, da das zu diesem Zweck eingeleitete Verfahren mit dem bereits mehrmals genannten Vergleich endete.

74.      Das vorlegende Gericht berücksichtigt die Stellungnahme einer interinstitutionellen Arbeitsgruppe vom 28. Juni 2019(39), in der festgestellt wurde, dass die Konzessionsnehmerin einen schwerwiegenden Verstoß gegen ihre Wartungs- und Instandhaltungspflichten begangen habe. Diese Stellungnahme sah jedoch bereits den Ausschluss der Feststellung der Pflichtverletzung im Gegenzug für eine Neuverhandlung der Einheitsvereinbarung vor(40), was auch tatsächlich geschah.

75.      Die Frage ist dahin zu verstehen, dass sie sich auf Art. 38 der Richtlinie 2014/23 bezieht, bei dem es sich um eine der Bestimmungen der Richtlinie handelt, die in der den drei Vorlagefragen vorstehenden Überschrift genannt wird.

76.      Art. 38 der Richtlinie 2014/23 regelt die Auswahl und qualitative Bewertung der Bewerber. Er befindet sich in Titel II über die Vergabe von Konzessionen. In diesem Zusammenhang sieht die Richtlinie 2014/23 die Zuverlässigkeit als wesentliche Komponente der Erstauswahl vor. Nach dem 70. Erwägungsgrund können die öffentlichen Auftraggeber „Wirtschaftsteilnehmer [ausschließen], die sich als unzuverlässig erwiesen haben“.

77.      Das Element der Zuverlässigkeit prägt auch die Ausschlussgründe, die sich auf die subjektiven Verhältnisse sowohl des Bewerbers als auch der übrigen Wirtschaftsteilnehmer beziehen(41). Es muss ein Zusammenhang zwischen der (mangelnden) Zuverlässigkeit und den in Art. 38 der Richtlinie 2014/23 genannten spezifischen Ausschlussgründen bestehen.

78.      Die Ausschlussgründe haben ihre Berechtigung in der Phase der Auswahl des Auftragnehmers, nicht aber, wenn das Vertragsverhältnis bereits angebahnt ist und die Konzession, wie im vorliegenden Fall, bereits seit Jahren besteht. In den Absätzen von Art. 38 ist zwar vorgesehen, dass der öffentliche Auftraggeber jederzeit während des (Konzessionsvergabe‑)Verfahrens über einen Ausschluss entscheiden kann, jedoch handelt es sich hierbei um das Verfahren zur Auswahl und Bewertung der Bewerber.

79.      Vorliegend stellt sich die Frage, ob die Zuverlässigkeit auch bei der Änderung der Bedingungen eines bestehenden Vertrags als wesentliches Element anzusehen ist. Mit anderen Worten ist zu klären, ob nach der Richtlinie 2014/23 im Zusammenhang mit einer Vertragsänderung die Zuverlässigkeit des Konzessionsnehmers zu prüfen ist.

80.      Die Antwort auf diese Frage hängt von der Art der vorgeschlagenen Änderungen ab:

–      Handelt es sich um eine wesentliche Änderung im Sinne der vorstehenden Ausführungen, so muss der öffentliche Auftraggeber ein neues Konzessionsvergabeverfahren einleiten, in dessen Verlauf er die Zuverlässigkeit aller Bewerber zu bewerten hat, einschließlich des bisherigen Konzessionsnehmers (falls dieser sich für eine Teilnahme entscheidet)(42). Die Bewertung der Zuverlässigkeit erfolgt dabei im Rahmen des Verfahrens, das zur Vergabe einer neuen Konzession eingeleitet wird.

–      Handelt es sich hingegen um nicht wesentliche Änderungen, ist nach der Richtlinie 2014/23 auch keine neue Bewertung der Zuverlässigkeit des Konzessionsnehmers erforderlich. Die Ausschlussgründe nach Art. 38 müssen dann nicht geprüft werden.

81.      Der Unterschied zwischen den beiden Situationen wird deutlicher bei einer Betrachtung der Regelung der Parteiänderungen in der Richtlinie 2014/23. Art. 43 Abs. 1 Buchst. d Ziff. ii verlangt für den Fall, dass ein anderer Wirtschaftsteilnehmer ganz oder teilweise an die Stelle des ursprünglichen Konzessionsnehmers tritt, dass dieser „die ursprünglich festgelegten qualitativen Eignungskriterien erfüllt“. Bei der Prüfung, ob diese Kriterien erfüllt sind, muss der öffentliche Auftraggeber folgerichtig die Zuverlässigkeit des neuen Wirtschaftsteilnehmers, der den bisherigen ersetzt, berücksichtigen.

82.      Liegt jedoch keine solche Parteiänderung vor, sondern lediglich eine interne Unternehmensumstrukturierung aufgrund von Änderungen in der Eigentümerstruktur des bisherigen und auch zukünftigen Konzessionsnehmers, ist der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, die Zuverlässigkeit des Konzessionsnehmers, die bereits im ursprünglichen Vergabeverfahren beurteilt wurde, erneut zu prüfen.

83.      Was nicht wesentliche Inhaltsänderungen betrifft, so werden diese nach der Regelung für Vertragsänderungen in der Richtlinie 2014/23 analog zu den Parteiänderungen behandelt.

84.      Von den vorstehenden Ausführungen zu unterscheiden ist der Fall, wenn der Konzessionsnehmer während der Vertragslaufzeit seine vertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt hat. Dieser Umstand kann sich unter bestimmten Bedingungen auf seine Beziehung zum öffentlichen Auftraggeber auswirken, da er einen (später eingetretenen) Mangel an Integrität oder Zuverlässigkeit darstellt. Aus diesem eingeschränkten Blickwinkel lässt sich argumentieren, dass die Zuverlässigkeit des Konzessionsnehmers während der gesamten Laufzeit der Konzession vorliegen muss.

85.      In der Tat handelt es sich bei der Unzuverlässigkeit des Konzessionsnehmers aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die Klauseln eines bestehenden Konzessionsvertrags um einen Faktor, der zur Kündigung dieses Vertrags führen kann, wie ich nachstehend erläutern werde. Insoweit kann auf schwerwiegende Verstöße, sobald diese festgestellt und vom öffentlichen Auftraggeber als solche erklärt wurden, mit der Kündigung der Konzession reagiert werden, was nicht in Art. 38 der Richtlinie 2014/23 geregelt ist.

86.      Es muss jedoch nicht zwangsläufig zu dieser Reaktion kommen, wenn der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seines Ermessens aus Gründen des öffentlichen Interesses entsprechende Vertragsänderungen (sofern diese nicht wesentlich sind) vorzieht.

D.      Dritte Vorlagefrage

1.      Zulässigkeit

87.      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob das Unionsrecht „im Fall der Bejahung der Verletzung der Verpflichtung zur Durchführung eines Vergabeverfahrens und/oder der Bejahung der Unzuverlässigkeit des Inhabers einer Autobahnkonzession“ „die Kündigung des Vertragsverhältnisses“ gebietet.

88.      Die Vorlagefrage ist dahin zu verstehen, dass sie sich auf Art. 44 der Richtlinie 2014/23 bezieht, der die Kündigung von Konzessionen(43) regelt und der mit Art. 176 des Gesetzbuchs über das öffentliche Auftragswesen ins italienische Recht umgesetzt wurde.

89.      So wie die Vorlagefrage formuliert ist, ist sie meiner Auffassung nach unzulässig, da sie für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich ist. Im Ausgangsverfahren wurde eine Klage auf Nichtigerklärung der genannten Rechtsakte (Genehmigung der Vertragsänderungen) erhoben, es wird jedoch nicht die Beendigung der Konzession gefordert(44).

90.      Da sich der Rechtsstreit beim vorlegenden Gericht auf die Rechtmäßigkeit der Vertragsänderungen beschränkt, ist nicht ersichtlich, warum im vorliegenden Fall über die Heranziehung der Kündigungsregelung in Art. 44 der Richtlinie 2014/23 entschieden werden sollte(45).

2.      Würdigung

91.      Für den Fall, dass der Gerichtshof die Frage zulässt, werde ich kurz auf die Auswirkungen des genannten Art. 44 auf den Rechtsstreit eingehen.

92.      Nach diesem Artikel stellen „[d]ie Mitgliedstaaten … sicher, dass öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber unter bestimmten Bedingungen, die im anwendbaren nationalen Recht festgelegt sind, über die Möglichkeit verfügen, eine Konzession während ihrer Laufzeit zu kündigen“, wenn einer von drei spezifischen Fällen vorliegt(46).

93.      Die Aufzählung mit diesen drei Fällen ist nicht abschließend. Die Mitgliedstaaten können in ihren nationalen Rechtsvorschriften die Kündigung einer Konzession vorsehen, wenn ein schwerwiegender Verstoß gegen die Vertragsklauseln vorliegt, der einer der Parteien zuzurechnen ist(47).

94.      In der Tat enthalten die nationalen Rechtsordnungen häufig Bestimmungen, wonach das Recht zur Kündigung, falls eine der Parteien ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, implizit in den wechselseitigen Verpflichtungen enthalten ist. Dies ist der Fall bei Art. 1453 des italienischen Zivilgesetzbuchs: Bei gegenseitigen Verträgen kann jede Vertragspartei, wenn die andere Partei ihre Pflichten nicht erfüllt, nach ihrer Wahl die Erfüllung oder die Beendigung des Vertrags verlangen, unbeschadet etwaiger Schadensersatzforderungen.

95.      Mit Art. 176 des Gesetzbuchs über das öffentliche Auftragswesen hat der italienische Gesetzgeber Art. 44 der Richtlinie 2014/23 in das nationale Recht umgesetzt(48), jedoch auch die Kündigung der Konzession bei Pflichtverletzung des Konzessionsnehmers vorgesehen. Für diesen Fall verweist Art. 176 Abs. 7 des Gesetzbuchs über das öffentliche Auftragswesen auf Art. 1453 des Zivilgesetzbuchs.

96.      Daraus folgt (vorbehaltlich der Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften durch das vorlegende Gericht), dass eine Verletzung der Konzessionsverpflichtungen unabhängig von Art. 44 der Richtlinie 2014/23 ein rechtmäßiger Grund für die Kündigung des Konzessionsvertrags sein kann. Aus den Verfahrensunterlagen geht hervor, dass im gegen ASPI eingeleiteten Verfahren wegen Verletzung ihrer Pflichten zur Wartung und Instandhaltung der Autobahn als mögliche Maßnahme die Kündigung der Konzession vorgesehen war.

97.      Das vorlegende Gericht möchte jedoch wissen, ob das Unionsrecht „im Fall der Bejahung der Verletzung der Verpflichtung zur Durchführung eines Vergabeverfahrens und/oder der Bejahung der Unzuverlässigkeit des Inhabers einer Autobahnkonzession die Kündigung des Vertragsverhältnisses“ gebietet.

98.      Wie die italienische Regierung, die Kommission und einige der Parteien des Rechtsstreits ausführen(49), lässt sich die Antwort auf die dritte Vorlagefrage aus der Antwort auf die zweite Frage ableiten. Aus dieser Antwort ergibt sich, dass keiner der beiden vom vorlegenden Gericht genannten Faktoren in der vorliegenden Rechtssache zur Kündigung der Konzession führt:

–      Was den ersten Punkt (Nichtdurchführung eines Vergabeverfahrens) anbetrifft, so ist ein neues Vergabeverfahren nur bei wesentlichen Änderungen der Konzession erforderlich. Nach Art. 44 Buchst. a der Richtlinie 2014/23 ist eine Kündigung zulässig, wenn „eine Änderung der Konzession vorgenommen [wurde], die ein neues Konzessionsvergabeverfahren gemäß Artikel 43 erforderlich gemacht hätte“, was hier aus den bereits genannten Gründen nicht der Fall zu sein scheint.

–      Was den zweiten Punkt (Unzuverlässigkeit des Konzessionsnehmers) anbetrifft, so habe ich bereits dargelegt, dass diese in der Phase der Auswahl und Bewertung des Bieters zu prüfen ist, nicht jedoch bei nicht wesentlichen Änderungen der Konzession. Hängt die Unzuverlässigkeit mit einem schwerwiegenden Verstoß gegen die Vertragsbedingungen zusammen, so kann der öffentliche Auftraggeber aufgrund dieses Verstoßes den Vertrag kündigen, wobei es sich jedoch nicht um einen der in Art. 44 der Richtlinie 2014/23 geregelten Gründe handelt.

V.      Ergebnis

99.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) vorgelegte dritte Vorlagefrage für unzulässig zu erklären und die erste und die zweite Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 38 und Art. 43 Abs. 1, 4 und 5 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe sind wie folgt auszulegen:

1.      Nach Art. 43 der Richtlinie 2014/23 kann ein Konzessionsvertrag ohne Durchführung eines neuen öffentlichen Vergabeverfahrens geändert werden, wenn die an den Vertragsklauseln vorgenommenen Änderungen, die den Gesamtcharakter der Konzession unverändert lassen, nicht wesentlich sind, was vom vorlegenden Gericht zu beurteilen ist.

Nachdem sie geprüft haben, ob die Änderungen der Konzessionsbedingungen wesentlicher Art sind oder nicht, müssen die öffentlichen Auftraggeber oder Auftraggeber entscheiden, ob es erforderlich ist, ein neues öffentliches Vergabeverfahren durchzuführen. Die entsprechende Entscheidung muss es den Betroffenen ermöglichen, ihre Rechte zu verteidigen und gegebenenfalls gerichtlich prüfen zu lassen.

2.      Art. 38 der Richtlinie 2014/23 verpflichtet die öffentlichen Auftraggeber oder Auftraggeber, im Rahmen des Auswahlverfahrens und der qualitativen Bewertung der Bewerber die Zuverlässigkeit dieser Bewerber in Zusammenhang mit den entsprechenden Ausschlussgründen zu beurteilen. Diese Beurteilung ist sowohl für die Erteilung der ursprünglichen Konzession als auch für wesentliche Änderungen des Konzessionsvertrags, bei denen ein neues öffentliches Vergabeverfahren durchgeführt werden muss, erforderlich.



















































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