C-607/22 – Eurowings (Vol inexistant)

C-607/22 – Eurowings (Vol inexistant)

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Language of document : ECLI:EU:C:2023:201

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

10. März 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen – Art. 2 – Begriff ‚ausführendes Luftfahrtunternehmen‘ – Bei einem Reiseunternehmen gebuchter Flug – Flug, der nie existiert haben soll“

In der Rechtssache C‑607/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Juli 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 20. September 2022, in dem Verfahren

Eurowings GmbH

gegen

Flightright GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richter N. Piçarra und N. Jääskinen,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Eurowings GmbH, einem Luftfahrtunternehmen, und der Flightright GmbH, der Fluggäste ihre etwaigen Ausgleichsansprüche abgetreten haben, wegen einer Ausgleichsleistung, die Flightright verlangt, weil der von den betreffenden Fluggästen gebuchte Flug annulliert worden sein soll.

 Rechtlicher Rahmen

3        In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

b)      ‚ausführendes Luftfahrtunternehmen‘ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt;

…“

4        Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung bestimmt in den Abs. 1 und 4:

„(1)      Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen

c)      vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

i)      sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

ii)      sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

iii)      sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

(4)      Die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über die Annullierung des Fluges unterrichtet wurde, trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen.“

5        Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) der Verordnung sieht in Abs. 1 vor:

„Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

b)      400 [Euro] bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

6        Flightright, der Fluggäste ihre etwaigen Ausgleichsansprüche abgetreten haben, verlangt von Eurowings nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 eine Ausgleichszahlung in Höhe von insgesamt 1 600 Euro.

7        Die Fluggäste hatten bei einem Reiseunternehmen eine Pauschalreise mit Flugbeförderung nach Mallorca (Spanien) gebucht. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Fluggäste ausweislich der vom Reiseunternehmen ausgestellten Reiseunterlagen am 14. Juli 2018 von Eurowings mit dem Flug EW 6850 (geplanter Abflug um 19.45 Uhr in Palma de Mallorca [Spanien], geplante Landung um 22.15 Uhr in Hannover [Deutschland]) befördert werden sollten. Eurowings führte diesen Flug jedoch nicht durch, so dass die Fluggäste Hannover im Wege einer Ersatzbeförderung mit dem Flug DE 1529 am 15. Juli 2018 um 2.22 Uhr erreichten.

8        Eurowings macht geltend, einen Flug mit der Flugnummer EW 6850 am 14. Juli 2018 von Palma de Mallorca nach Hannover nie geplant zu haben. Da ein solcher Flug nie existiert habe, könne sie nicht als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 eingestuft werden.

9        Flightright erhob beim Amtsgericht Düsseldorf (Deutschland) Klage auf Zahlung der in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsleistung. Das Amtsgericht gab der Klage mit der Begründung statt, dass die betreffenden Fluggäste über eine bestätigte Buchung im Sinne dieser Verordnung für den Flug EW 6850 von Palma de Mallorca nach Hannover verfügten. Die pauschale Behauptung von Eurowings, der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Flug habe nie existiert, genüge nicht dem Erfordernis, darzutun, warum in der Buchungsbestätigung ein konkreter Flug nebst konkreter Flugnummer aufgeführt sei.

10      Auf die Berufung von Eurowings gegen das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf beim vorlegenden Gericht, dem Landgericht Düsseldorf (Deutschland), wirft dieses die Frage auf, ob ein Luftfahrtunternehmen als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 eingestuft werden kann, obwohl der über ein Reiseunternehmen gebuchte Flug nach den Angaben des Luftfahrtunternehmens nie geplant gewesen sein soll.

11      Unter diesen Umständen hat das Landgericht Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass ein Luftfahrtunternehmen im Verhältnis zu einem Fluggast als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn der Fluggast mit einem Reiseunternehmen einen Vertrag für einen bestimmten Flug dieses Luftfahrtunternehmens geschlossen hat, ohne dass das Luftfahrtunternehmen einen Flug mit dieser Flugnummer an diesem Tag je geplant hat, wenn ein solcher Flug also nie existent war?

 Zur Vorlagefrage

12      Nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder die Beantwortung dieser Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

13      Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

14      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Luftfahrtunternehmen als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn der Fluggast mit einem Reiseunternehmen einen Vertrag über einen bestimmten, durch Flugnummer und Datum konkretisierten Flug dieses Luftfahrtunternehmens geschlossen hat, ohne dass das Unternehmen je einen Flug mit dieser Nummer an diesem Tag geplant hat.

15      In Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 wird der Begriff „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ definiert als „ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“.

16      Diese Definition stellt demnach zwei kumulative Voraussetzungen für die Einstufung eines Luftfahrtunternehmens als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ auf, und zwar zum einen die Durchführung des betreffenden Fluges und zum anderen das Bestehen eines mit einem Fluggast abgeschlossenen Vertrags (Urteil vom 4. Juli 2018, Wirth u. a., C‑532/17, EU:C:2018:527, Rn. 18).

17      Im Rahmen der ersten Voraussetzung stellt der Begriff „Flug“ das zentrale Element dar. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist darunter ein „Luftbeförderungsvorgang …, der somit in gewisser Weise eine ‚Einheit‘ dieser Beförderung darstellt, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute festlegt“, zu verstehen (Urteil vom 4. Juli 2018, Wirth u. a., C‑532/17, EU:C:2018:527, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Folglich ist als ausführendes Luftfahrtunternehmen das Unternehmen anzusehen, das im Rahmen seiner Tätigkeit der Beförderung von Fluggästen die Entscheidung trifft, einen bestimmten Flug durchzuführen – die Festlegung seiner Flugroute und Flugzeit eingeschlossen – und dadurch ein an Interessierte gerichtetes Angebot für den Luftverkehr zu schaffen. Das Unternehmen, das eine solche Entscheidung trifft, übernimmt nämlich die Verantwortung für die Durchführung des betreffenden Fluges, einschließlich insbesondere seiner etwaigen Annullierung oder einer etwaigen großen Verspätung bei der Ankunft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juli 2018, Wirth u. a., C‑532/17, EU:C:2018:527, Rn. 20).

19      Trifft ein Luftfahrtunternehmen aber keine solche Entscheidung zur Durchführung eines bestimmten Fluges und unterbreitet es kein Angebot für den Luftverkehr, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Unternehmen beabsichtigte, den Flug im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 durchzuführen, so dass es nicht als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann.

20      Diese Situation ist jedoch von derjenigen zu unterscheiden, in der es ein vom Luftfahrtunternehmen unterbreitetes Angebot gibt, das aber seitens des Unternehmens später Änderungen erfährt, die gegebenenfalls zu einer Verspätung oder Annullierung des Fluges führen.

21      Zum letztgenannten Fall hat der Gerichtshof nämlich bereits entschieden, dass bei einem Angebot eines Luftfahrtunternehmens für den Luftverkehr, das dem Angebot entspricht, auf das ein Reiseunternehmen im Rahmen seiner Beziehung zu einem Fluggast zurückgegriffen hat – sei es auch vorbehaltlich etwaiger Änderungen dieses Angebots –, davon auszugehen ist, dass das Luftfahrtunternehmen im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 einen Flug durchzuführen beabsichtigt, so dass es als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a., C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038, Rn. 59 und 62).

22      Es ist Sache des für die Würdigung des Sachverhalts der bei ihm anhängigen Rechtssache allein zuständigen vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob Eurowings in Anbetracht der oben in den Rn. 18 bis 21 angeführten Erwägungen kein Angebot für den Luftverkehr oder ein – gegebenenfalls später von ihr geändertes – Angebot unterbreitet hatte.

23      Hinzuzufügen ist, dass es, sofern das Luftfahrtunternehmen kein „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 ist und somit keine Ausgleichszahlung nach dieser Verordnung zu leisten hat, dem Fluggast gleichwohl unbenommen bleibt, gegen seinen Vertragspartner, hier das Reiseunternehmen, nach nationalem Recht Klage auf Ersatz des Schadens zu erheben, der ihm durch dessen Handeln entstanden ist.

24      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Luftfahrtunternehmen nicht als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn der Fluggast mit einem Reiseunternehmen einen Vertrag über einen bestimmten, durch Flugnummer und Datum konkretisierten Flug dieses Luftfahrtunternehmens geschlossen hat, ohne dass das Unternehmen je einen Flug mit dieser Nummer an diesem Tag geplant hat; es kann aber als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden, wenn es ein – gegebenenfalls später von ihm geändertes – Angebot unterbreitet hat.

 Kosten

25      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

ein Luftfahrtunternehmen nicht als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn der Fluggast mit einem Reiseunternehmen einen Vertrag über einen bestimmten, durch Flugnummer und Datum konkretisierten Flug dieses Luftfahrtunternehmens geschlossen hat, ohne dass das Unternehmen je einen Flug mit dieser Nummer an diesem Tag geplant hat; es kann aber als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden, wenn es ein – gegebenenfalls später von ihm geändertes – Angebot unterbreitet hat.

Luxemburg, den 10. März 2023

Der Kanzler

 

Der Kammerpräsident

A. Calot Escobar

 

M. Safjan



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