Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 13. Juli 2023(1 )
Rechtssache C ‑551/21
Europäische Kommission
gegen
Rat der Europäischen Union
„Nichtigkeitsklage – Beschluss (EU) 2021/1117 – Protokoll zur Durchführung des partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der Gabunischen Republik und der Europäischen Gemeinschaft (2021‑2026) – Unterzeichnung im Namen der Europäischen Union und vorläufige Anwendung – Befugnis zur Unterzeichnung – Ermächtigung durch den Präsidenten des Rates – Unterzeichnung durch den Ständigen Vertreter der Republik Portugal und Präsidenten des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (AStV) – Art. 13 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV – Art. 218 Abs. 2 und 5, Art. 220 und 221 AEUV – Befugnis der Kommission zur Außenvertretung der Union – Zuständigkeit des Rates zum Abschluss internationaler Verträge – Prinzip der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Unionsorganen – Art. 296 und 297 AEUV – Begründungspflicht – Veröffentlichung des Ermächtigungsbeschlusses“
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Rechtlicher Rahmen
A. Die beiden Wiener Übereinkommen
B. Unionsrecht
1. EUV
2. AEUV
III. Vorgeschichte des Rechtsstreits
IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien
V. Würdigung
A. Zulässigkeit
B. Begründetheit
1. Erster Klagegrund
a) Ungeklärtes Verhältnis von Art. 17 EUV und Art. 218 AEUV
b) Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV – Begriff der „Vertretung der Union nach außen“
1) Auslegung im Licht des Völkerrechts
2) Auslegung im Licht der Art. 220 und 221 AEUV
3) Zwischenergebnis
c) Art. 218 Abs. 2 und 5 AEUV – Genehmigung des Rates zur Unterzeichnung
1) Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
2) Würdigung
d) Zwischenergebnis
2. Zweiter Klagegrund
VI. Kosten
VII. Ergebnis
I. Einleitung
1. Mit der vorliegenden Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Europäische Kommission die Nichtigerklärung von Art. 2 des Beschlusses (EU) 2021/1117 des Rates vom 28. Juni 2021 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – und die vorläufige Anwendung des Protokolls zur Durchführung des partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der Gabunischen Republik und der Europäischen Gemeinschaft (2021‑2026)(2 ) (im Folgenden: streitiger Beschluss). Danach wird der Präsident des Rates ermächtigt, die Person(en) zu benennen, die befugt ist (sind), das Protokoll im Namen der Union zu unterzeichnen. Des Weiteren beantragt sie die Nichtigerklärung der darauf beruhenden Ermächtigung des Ständigen Vertreters der Republik Portugal und Präsidenten des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (AStV) durch den Präsidenten des Rates, dieses Protokoll im Namen der Union zu unterzeichnen (im Folgenden: streitige Ermächtigung).
2. Die Kommission rügt im Wesentlichen, dass der Rat seine Zuständigkeit überschritten und dadurch ihre Befugnis zur Vertretung der Union nach außen gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV beeinträchtigt habe. Art. 218 Abs. 5 AEUV ermächtige ihn nur, durch Beschluss die Unterzeichnung einer Übereinkunft und gegebenenfalls deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten zu genehmigen, nicht jedoch die Unterzeichnung durch einen Vertreter anzuordnen. Dies falle vielmehr in die Zuständigkeit der Kommission.
3. Diese Fragen sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs noch ungeklärt. Sie betreffen die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts innerhalb der Union im Zusammenhang mit dem Verfahren zum Abschluss völkerrechtlicher Übereinkünfte mit Drittstaaten oder internationalen Organisationen, wie es seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon besteht. Die streitige Rechtspraxis des Rates bestand zwar schon lange zuvor. Die Kommission bestreitet sie aber erstmals mit dieser Klage, insbesondere mit der Begründung, dass sich die Rechtslage mit dem Vertrag von Lissabon geändert habe. Die Klärung der Zuständigkeiten ist nicht nur innerhalb des Institutionengefüges der Union, sondern auch aus der Sicht der Drittstaaten und der internationalen Organisationen von grundlegender Bedeutung.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Die beiden Wiener Übereinkommen
4. Art. 7 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge(3 ) (im Folgenden: Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge) regelt unter der Überschrift „Vollmacht“ Folgendes:
„1. Eine Person gilt hinsichtlich des Annehmens des Textes eines Vertrages oder der Festlegung seines authentischen Textes oder der Abgabe der Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, als Vertreter eines Staates,
a) wenn sie eine gehörige Vollmacht vorlegt oder
b) wenn aus der Übung der beteiligten Staaten oder aus anderen Umständen hervorgeht, dass sie die Absicht hatten, diese Person als Vertreter des Staates für die genannten Zwecke anzusehen und auch keine Vollmacht zu verlangen.
2. Kraft ihres Amtes werden, ohne eine Vollmacht vorlegen zu müssen, als Vertreter ihres Staates angesehen
a) Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister zur Vornahme aller sich auf den Abschluss eines Vertrags beziehenden Handlungen;
b) Chefs diplomatischer Missionen zum Annehmen des Textes eines Vertrags zwischen Entsende- und Empfangsstaat;
c) die von Staaten bei einer internationalen Konferenz oder bei einer internationalen Organisation oder einem ihrer Organe beglaubigten Vertreter zum Annehmen des Textes eines Vertrags im Rahmen der Konferenz, der Organisation oder des Organs.“
5. Art 10 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, überschrieben mit „Festlegung des authentischen Textes“, bestimmt:
„Der Text eines Vertrags wird als authentisch und endgültig festgelegt
a) nach dem Verfahren, das darin vorgesehen oder von den an seiner Abfassung beteiligten Staaten vereinbart wurde, oder,
b) in Ermangelung eines solchen Verfahrens, durch Unterzeichnung, Unterzeichnung ad referendum oder Paraphierung des Vertragswortlauts oder einer den Wortlaut enthaltenden Schlussakte einer Konferenz durch die Vertreter dieser Staaten.“
6. Art. 11 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, überschrieben mit „Arten der Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein“, lautet:
„Die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, kann durch Unterzeichnung, Austausch von Urkunden, die einen Vertrag bilden, Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder Beitritt oder auf eine andere vereinbarte Art ausgedrückt werden.“
7. Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge gilt nur für Verträge zwischen Staaten. Das nicht in Kraft getretene Wiener Übereinkommen vom 21. März 1986 über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen (im Folgenden: Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge internationaler Organisationen) enthält in den Art. 10 und 11 weitgehend entsprechende Regelungen über die Festlegung des authentischen Textes und Abschluss von Verträgen. Es sieht jedoch in seinem Art. 7 für internationale Organisationen keine Vertretungsbefugnis kraft Amtes vor.
B. Unionsrecht
1. EUV
8. Art. 13 Abs. 2 EUV lautet:
„Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen, die in den Verträgen festgelegt sind. Die Organe arbeiten loyal zusammen.“
9. Art. 15 Abs. 6 Unterabs. 2 EUV regelt:
„Der Präsident des Europäischen Rates nimmt auf seiner Ebene und in seiner Eigenschaft, unbeschadet der Befugnisse des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, die Außenvertretung der Union in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wahr.“
10. Art. 17 Abs. 1 EUV sieht u. a. vor:
„… Außer in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und den übrigen in den Verträgen vorgesehenen Fällen nimmt [d]ie [Kommission] die Vertretung der Union nach außen wahr. …“
11. Art. 27 Abs. 2 EUV lautet:
„Der Hohe Vertreter vertritt die Union in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Er führt im Namen der Union den politischen Dialog mit Dritten und vertritt den Standpunkt der Union in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen.“
2. AEUV
12. Art. 218 AEUV sieht u. a. Folgendes vor:
„1. Unbeschadet der besonderen Bestimmungen des Artikels 207 werden Übereinkünfte zwischen der Union und Drittländern oder internationalen Organisationen nach dem im Folgenden beschriebenen Verfahren ausgehandelt und geschlossen.
2. Der Rat erteilt eine Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen, legt Verhandlungsrichtlinien fest, genehmigt die Unterzeichnung und schließt die Übereinkünfte.
3. Die Kommission oder, wenn sich die geplante Übereinkunft ausschließlich oder hauptsächlich auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bezieht, der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik legt dem Rat Empfehlungen vor; dieser erlässt einen Beschluss über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen und über die Benennung, je nach dem Gegenstand der geplanten Übereinkunft, des Verhandlungsführers oder des Leiters des Verhandlungsteams der Union.
4. Der Rat kann dem Verhandlungsführer Richtlinien erteilen und einen Sonderausschuss bestellen; die Verhandlungen sind im Benehmen mit diesem Ausschuss zu führen.
5. Der Rat erlässt auf Vorschlag des Verhandlungsführers einen Beschluss, mit dem die Unterzeichnung der Übereinkunft und gegebenenfalls deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten genehmigt werden.
6. Der Rat erlässt auf Vorschlag des Verhandlungsführers einen Beschluss über den Abschluss der Übereinkunft.
Mit Ausnahme der Übereinkünfte, die ausschließlich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik betreffen, erlässt der Rat den Beschluss über den Abschluss der Übereinkunft
a) nach Zustimmung des Europäischen Parlaments in folgenden Fällen:
…
b) nach Anhörung des Europäischen Parlaments in den übrigen Fällen …
7. Abweichend von den Absätzen 5, 6 und 9 kann der Rat den Verhandlungsführer bei Abschluss einer Übereinkunft ermächtigen, im Namen der Union Änderungen der Übereinkunft zu billigen, wenn die Übereinkunft vorsieht, dass diese Änderungen im Wege eines vereinfachten Verfahrens oder durch ein durch die Übereinkunft eingesetztes Gremium anzunehmen sind. Der Rat kann diese Ermächtigung gegebenenfalls mit besonderen Bedingungen verbinden.
…
10. Das Europäische Parlament wird in allen Phasen des Verfahrens unverzüglich und umfassend unterrichtet.
11. Ein Mitgliedstaat, das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission können ein Gutachten des Gerichtshofs über die Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft mit den Verträgen einholen. Ist das Gutachten des Gerichtshofs ablehnend, so kann die geplante Übereinkunft nur in Kraft treten, wenn sie oder die Verträge geändert werden.“
13. Art. 220 AEUV lautet:
„1. Die Union betreibt jede zweckdienliche Zusammenarbeit mit den Organen der Vereinten Nationen und ihre[n] Sonderorganisationen, dem Europarat, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Die Union unterhält ferner, soweit zweckdienlich, Beziehungen zu anderen internationalen Organisationen.
2. Die Durchführung dieses Artikels obliegt dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und der Kommission.“
14. Art. 221 AEUV sieht vor:
„1. Die Delegationen der Union in Drittländern und bei internationalen Organisationen sorgen für die Vertretung der Union.
2. Die Delegationen der Union unterstehen der Leitung des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik. Sie werden in enger Zusammenarbeit mit den diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Mitgliedstaaten tätig.“
III. Vorgeschichte des Rechtsstreits
15. Auf Vorschlag der Kommission ermächtigte der Rat diese am 22. Oktober 2015, im Namen der Europäischen Union Verhandlungen mit der Gabunischen Republik über den Abschluss eines neuen Protokolls zur Durchführung des partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der Gabunischen Republik und der Europäischen Gemeinschaft (2021‑2026) (im Folgenden: Protokoll) aufzunehmen. Dieses Abkommen war 2007 geschlossen worden und räumte den Fischern aus der Gemeinschaft Fangmöglichkeiten in den Hoheitsgewässern der Gabunischen Republik ein.(4 )
16. Nach erfolgreichem Abschluss dieser Verhandlungen wurde das Protokoll am 10. Februar 2021 paraphiert.
17. Am 19. Mai 2021 unterbreitete die Kommission dem Rat ihren Vorschlag eines Beschlusses über die Unterzeichnung des Protokolls im Namen der Union und dessen vorläufige Anwendung.
18. Art. 2 des Beschlussvorschlags lautete wie folgt:
„Das Generalsekretariat des Rates stellt die zur Unterzeichnung des Protokolls – vorbehaltlich seines Abschlusses – erforderliche Bevollmächtigungsurkunde für die von der Kommission benannte Person aus.“
19. Der Rat wies die in Art. 2 des Beschlussvorschlags unterbreitete Formulierung zurück und erließ daraufhin den streitigen Beschluss.
20. Der streitige Beschluss lautet wie folgt:
„Artikel 1
Die Unterzeichnung des Protokolls … im Namen der Union wird – vorbehaltlich [sein]es Abschlusses … – genehmigt.
Artikel 2
Der Präsident des Rates wird ermächtigt, die Person(en) zu benennen, die befugt ist (sind), das Protokoll im Namen der Union zu unterzeichnen.
Artikel 3
Das Protokoll wird ab dem Datum seiner Unterzeichnung… vorläufig angewandt, bis die für sein Inkrafttreten erforderlichen Verfahren abgeschlossen sind.“
21. Mit der streitigen Ermächtigung vom 28. Juni 2021 erteilte der Präsident des Rates die Vollmacht an Herrn Nuno Brito, ständiger Vertreter der Republik Portugal bei der Union und Präsident des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (AStV), und ermächtigte ausschließlich ihn dazu, das Protokoll im Namen der Union zu unterzeichnen.
22. Am 30. Juni 2021 informierte das Generalsekretariat des Rates die Kommission und die Mitgliedstaaten mit dem Dokument ST 10307/21 darüber, dass die Unterzeichnung des Protokolls erfolgt sei und dass es seinem Art. 24 entsprechend seit dem 29. Juni 2021 angewendet werde.
IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien
23. Mit Schriftsatz, der am 7. September 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Kommission die vorliegende Nichtigkeitsklage erhoben.
24. Die Kommission beantragt:
– Art. 2 des streitigen Beschlusses für nichtig zu erklären;
– die streitige Ermächtigung für nichtig zu erklären;
– den Rat zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
25. Der Rat beantragt:
– die Klage als unzulässig zurückzuweisen;
– hilfsweise die Klage als unbegründet abzuweisen;
– die Kommission zur Tragung der Kosten zu verurteilen;
– hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof den Nichtigkeitsanträgen entsprechen sollte, nach Art. 264 Abs. 2 AEUV zu bezeichnen, dass die Wirkungen des streitigen Beschlusses und der streitigen Ermächtigung als fortgeltend zu betrachten sind.
26. Mit Beschluss vom 26. Januar 2022 ließ der Präsident des Gerichtshofs die Tschechische Republik, die Französische Republik, Ungarn, das Königreich der Niederlande und die Republik Portugal als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zu.
27. Mit Beschluss vom 3. März 2022 ließ der Präsident des Gerichtshofs den Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (im Folgenden: Hoher Vertreter) als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zu.
28. Die Kommission, der Hohe Vertreter, der Rat, Tschechien, Frankreich und Portugal haben sich sowohl schriftlich geäußert als auch an der mündlichen Verhandlung vom 8. März 2023 beteiligt. Ungarn und die Niederlande haben sich nur schriftlich geäußert.
V. Würdigung
29. Der Rat bestreitet sowohl die Zulässigkeit als auch die Begründetheit der Nichtigkeitsklage.
A. Zulässigkeit
30. Der Rat, unterstützt von Ungarn, den Niederlanden und Portugal, begründet die Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage im Wesentlichen damit, dass sich die angefochtene Genehmigung in Art. 2 nicht vom Rest des streitigen Beschlusses trennen lasse. Ihre Nichtigerklärung sei geeignet, den Wesensgehalt dieses Beschlusses zu verändern.
31. Die Kommission, unterstützt vom Hohen Vertreter, bestreitet das.
32. Nach ständiger Rechtsprechung ist die teilweise Nichtigerklärung eines Unionsrechtsakts nur möglich, soweit sich die Teile, deren Nichtigerklärung beantragt wird, von dessen Rest abtrennen lassen. Das ist nur der Fall, wenn die teilweise Nichtigerklärung den Geist oder den Wesensgehalt dieses Rechtsakts unberührt lässt. Zur Klärung der Frage, ob die angefochtenen Bestimmungen abtrennbar sind, muss ihre Bedeutung geprüft werden. Nur so kann beurteilt werden, ob ihre Nichtigerklärung den Geist und den Wesensgehalt des angefochtenen Rechtsakts verändern würde. Dabei handelt es sich um eine objektive Beurteilung, die nicht vom (subjektiven) politischen Willen des Organs abhängt, das diesen Rechtsakt erlassen hat.(5 )
33. In Art. 1 des streitigen Beschlusses genehmigt der Rat die Unterzeichnung des Protokolls, und in seinem Art. 3 ordnet er an, dass es vorläufig angewandt wird. Sein Art. 2 ermächtigt den Präsidenten des Rates, die Person zu benennen, die befugt ist, das Protokoll zu unterzeichnen.
34. Den Regelungen in den Art. 1 und 3 des streitigen Beschlusses ist mithin die (politische) Entscheidung des Rates zu entnehmen, das von der Kommission ausgehandelte Protokoll seinem Inhalt nach zu billigen und es vorläufig in Kraft zu setzen. Die in Art. 2 dieses Beschlusses vorgesehene Ermächtigung zur Benennung der Person, die zur Unterzeichnung des Protokolls bevollmächtigt sein soll, betrifft hingegen die Art und Weise, wie der gefasste (außenpolitische) Wille der Union gegenüber der Gabunischen Republik zum Ausdruck kommen und vollzogen werden soll. Objektiv betrachtet kann nicht angenommen werden, dass die rechtliche Frage, wer als Vertreter der Union bevollmächtigt sein soll, das Protokoll zu unterzeichnen, die Entscheidung des Rates hätte beeinflussen können, ob er mit der Unterzeichnung das Protokoll genehmigt und seine vorläufige Anwendung anordnet.
35. Auch wäre denkbar gewesen, dass die Ermächtigung und Bevollmächtigung zur Unterzeichnung später in einem gesonderten Rechtsakt erfolgt. Das zeigt, dass die Regelungen in den Art. 1 und 3 des streitigen Beschlusses auch ohne seinen Art. 2 Bestand haben könnten.
36. Eine eventuelle Nichtigerklärung von Art. 2 würde daher die Art. 1 und 3 des streitigen Beschlusses weder ihres Regelungsgehalts berauben noch diesen Gehalt abändern. Umso weniger würde dadurch der Geist oder der Wesensgehalt dieses Beschlusses verändert.
37. Art. 2 des streitigen Beschlusses ist daher von seinem Rest abtrennbar und ein tauglicher Klagegegenstand.
38. Der Umstand, dass Art. 2 des streitigen Beschlusses schon vollzogen und das Protokoll völkerrechtlich verbindlich unterzeichnet wurde, ist insoweit unbeachtlich. Der Rechtsstreit hat sich wegen konkreter Wiederholungsgefahr nämlich nicht erledigt. Denn gemessen an der vom Rat vertretenen Rechtsauffassung besteht kein Zweifel daran, dass er auch künftig mit Art. 2 des streitigen Beschlusses vergleichbare Rechtsakte erlassen würde.(6 )
39. Schließlich ist das von Ungarn unterstützte Vorbringen des Rates zurückzuweisen, wonach die Kommission in der Klageschrift nur das Informationsschreiben des Generalsekretariats des Rates vom 30. Juni 2021 identifiziert und beigefügt habe, nicht aber die streitige Ermächtigung vom 28. Juni 2021. Letztere wurde weder veröffentlicht noch war sie diesem Informationsschreiben beigefügt. Sie wurde der Kommission vielmehr erst im schriftlichen Verfahren als Anlage zur Klagebeantwortung des Rates übermittelt.
40. Folglich ist die vom Rat erhobene Unzulässigkeitseinrede zurückzuweisen.
B. Begründetheit
41. Die Kommission macht zwei Gründe zur Stützung ihrer Klage geltend. Der Rat habe erstens in ihre Zuständigkeiten eingegriffen (unter 1) und zweitens seine Pflichten zur Begründung und zur Veröffentlichung des streitigen Beschlusses verletzt (unter 2).
1. E rste r Klagegrund
42. Der erste Klagegrund gliedert sich in zwei Teile, nämlich eine Verletzung der Zuständigkeit der Kommission (Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 und 2 EUV) (erster Teil) und des Grundsatzes loyaler Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) (zweiter Teil). Ich behandele beide Teile gemeinsam.
a) Ungeklärte s Verhältnis von Art. 17 EUV und Art. 218 AEUV
43. Die Regelung in Art. 2 des streitigen Beschlusses stellt nur dann eine Verletzung der Verträge im Sinne von Art. 263 Abs. 2 AEUV dar, wenn der Rat es der Kommission gemäß Art. 218 Abs. 2 und 5 AEUV in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV hätte überlassen müssen, einen Vertreter zum Zweck der Unterzeichnung des Protokolls zu benennen. Nach Art. 218 AEUV hat der Rat zwar wesentliche Zuständigkeiten im Rahmen des Verfahrens zum Abschluss internationaler Übereinkünfte.(7 ) Nach Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV nimmt aber die Kommission, vorbehaltlich anderer Vertragsregeln, die Zuständigkeit zur Vertretung der Union nach außen wahr.
44. Die streitentscheidende Frage ist daher, ob die Befugnis zur Bestimmung der Person, die ermächtigt wird, internationale Übereinkünfte im Namen der Union zu unterzeichnen, zur Zuständigkeit der Kommission zur Wahrnehmung der Vertretung der Union nach außen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV gehört oder aber zu den Zuständigkeiten des Rates beim Abschluss solcher Übereinkünfte nach Art. 218 AEUV.
45. Die Antwort darauf ergibt sich nicht explizit aus diesen rechtlich gleichrangigen Vertragsbestimmungen(8 ), sondern muss durch Auslegung ermittelt werden. Im Zentrum dieser Auslegung steht das Verhältnis der Vorschriften in Art. 218 Abs. 2 und 5 AEUV einerseits zu derjenigen in Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV andererseits. Dieses Verhältnis ist in der Rechtsprechung bisher kaum geklärt.
46. Zu Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV hat der Gerichtshof lediglich festgestellt, dass die Befugnis der Kommission zur Außenvertretung sie nicht berechtige, einen nicht bindenden Nachtrag zu einer Vereinbarung zu unterzeichnen, selbst wenn dieser einen Standpunkt oder eine Politik der Union widerspiegele, den der Rat bereits festgelegt habe. Dafür bedürfe die Kommission vielmehr der vorherigen Genehmigung des Rates.(9 ) Nicht entschieden wurde hingegen die hier streitige Frage, ob die Kommission nach einer Genehmigung der Unterzeichnung durch den Rat generell befugt ist, eine bindende Vereinbarung mit einem Drittstaat zu unterzeichnen oder die dazu ermächtigte Person zu benennen.
47. Hier ist insbesondere zu prüfen, ob sich Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV entnehmen lässt, dass die Kommission – wie von ihr vorgetragen – ausschließlich dafür zuständig ist, die für die Unterzeichnung von internationalen Übereinkünften, wie dem streitbefangenen Protokoll, bevollmächtigte Person zu bestimmen. Dazu untersuche ich zunächst die Bedeutung des Begriffs der „Vertretung der Union nach außen“, insbesondere unter Berücksichtigung des Völkerrechts (unter b). Anschließend beleuchte ich den Zusammenhang zwischen Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV einerseits und Art. 218 Abs. 2 und 5 AEUV andererseits unter Einbeziehung der Ziele dieser Vorschriften (unter c).
b) Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV – Begriff der „Vertretung der Union nach außen“
48. Das Unionsrecht definiert nicht, was unter dem Begriff „Vertretung der Union nach außen“ zu verstehen ist. Insbesondere ist nicht ausdrücklich geregelt, ob die Vertretung auch die Unterzeichnung von internationalen Übereinkünften einschließt.
49. Aus der Entstehungsgeschichte von Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die Urheber der Verträge die Zuständigkeiten beim Abschluss internationaler Übereinkünfte zugunsten der Kommission erweitern bzw. zulasten des Rates einschränken wollten. Aussagekräftige Materialien fehlen hierzu. Eine gleichlautende Zuständigkeitsvorschrift war bereits in Art. I‑26 Abs. 1 des Vertrags über eine Verfassung für Europa(10 ) enthalten, ohne dass die Materialien über die Gründe oder Ziele für deren Einführung oder über ihren Regelungsgehalt Auskunft geben.
50. Üblicherweise ist eine Vertretung im rechtlichen Sinne allerdings dadurch gekennzeichnet, dass der Vertreter vom Vertretenen bevollmächtigt wird, bestimmte Handlungen vorzunehmen.(11 ) Dies schließt insbesondere die Abgabe von Willenserklärungen ein. Die Unterzeichnung einer internationalen Übereinkunft ist prima facie eine solche Willenserklärung.
1) Auslegung im Licht des Völkerrechts
51. Die jeweiligen Art. 10 und 11 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge und des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge internationaler Organisationen bestätigen dieses Verständnis. Diesen Bestimmungen ist zu entnehmen, dass die Unterzeichnung einer solchen Übereinkunft deren endgültigen Text festlegen oder die Zustimmung, durch ihn gebunden zu sein, ausdrücken kann. Die Unterzeichnung bringt somit in beiden Fällen eine Willenserklärung zum Ausdruck, die typischerweise von der Vertretungsbefugnis erfasst ist.
52. Das erstgenannte Wiener Übereinkommen findet zwar nur auf Verträge zwischen Staaten Anwendung und das zweitgenannte Übereinkommen wurde zwar von der Union unterzeichnet, ist aber nicht in Kraft getreten. Beide Übereinkommen sind jedoch weitgehend Ausdruck des Völkergewohnheitsrechts. Daher können ihre Vorschriften zur Inspiration bei der Auslegung des Unionsrechts herangezogen werden.(12 )
53. Darauf aufbauend vertreten die Kommission und der Hohe Vertreter sogar die Auffassung, aus den beiden Wiener Übereinkommen ergäben sich Anhaltspunkte dafür, dass Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV unmittelbar eine Vertretungsmacht der Kommission begründe, internationale Übereinkünfte zu unterzeichnen.
54. Die Frage, ob ein Vertreter eines Staates gegenüber anderen Staaten befugt ist, eine Willenserklärung abzugeben, ist in den beiden Wiener Übereinkommen geregelt. Sie unterscheiden im Hinblick auf die beiden in den Art. 10 und 11 genannten Funktionen der Unterzeichnung zwischen einerseits bevollmächtigten oder zur Vertretung berechtigten Personen und andererseits Personen, die kraft Amtes als Vertreter ihres Staates angesehen werden. Eine bevollmächtigte Person muss eine „gehörige Vollmacht“ vorlegen, oder die Berechtigung zur Vertretung eines Staates muss aus der Übung der beteiligten Staaten oder aus anderen Umständen hervorgehen.(13 ) Bestimmte Funktionsträger, etwa Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister, werden darüber hinaus kraft Amtes als Vertreter ihres Staates angesehen.(14 )
55. Für internationale Organisationen sieht das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge internationaler Organisationen hingegen nur eine Bevollmächtigung oder Berechtigung zur Vertretung aufgrund der Umstände, nicht aber die Vertretungsmacht kraft Amtes vor.(15 ) Anscheinend wurde in Bezug auf internationale Organisationen bewusst darauf verzichtet, eine Regelung der Vertretungsmacht kraft Amtes einzuführen, um insbesondere den erheblichen Unterschieden in deren Struktur und Vertretungsregeln Rechnung zu tragen.(16 )
56. Der Umstand, dass bei internationalen Organisationen keine Vertretung kraft Amtes vorgesehen ist, spricht dagegen, dass Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV im Außenverhältnis unmittelbar eine Vertretungsbefugnis der Kommission begründen könnte.
57. Ebenso wenig ergibt sich eine Vertretungsbefugnis der Kommission im Außenverhältnis aus der von der Union und den Staaten gepflegten Übung.(17 ) Das haben die Verfahrensbeteiligten wiederholt bestätigt. Wie sich aus der vom Rat übermittelten Dokumentation ergibt, behielt er vielmehr seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon seine ständige Praxis bei, der zufolge nur er einen Vertreter, und zwar regelmäßig den Ständigen Vertreter des Mitgliedstaats, der den Ratsvorsitz innehat(18 ), bestimmt und ermächtigt, internationale Übereinkünfte mit Drittstaaten zu unterzeichnen. Nur in Einzelfällen bevollmächtigt der Rat zu diesem Zweck neben einem seiner Vertreter auch ein Mitglied oder einen Angehörigen der Dienste der Kommission.(19 ) Entsprechendes gilt im Bereich der GASP für den Hohen Vertreter.(20 ) Diese ständige, vertraglich nicht ausdrücklich geregelte Praxis (unten, Nrn. 71 ff.) vermag allerdings auch kein für die Unionsorgane bindendes Präjudiz zu schaffen, das eine Vertretung durch die Kommission ausschließen würde.(21 )
58. Im Einklang mit diesem völkerrechtlichen Verständnis und dieser ständigen Übung geht auch der streitige Beschluss davon aus, dass im Außenverhältnis keine Vollmacht oder Vertretungsbefugnis der Kommission besteht oder gar originär aus Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV folgt, sondern durch den Rat gemäß Art. 218 Abs. 2 und 5 AEUV erst erteilt werden muss. Entsprechend wird nach Art. 2 dieses Beschlusses der „Präsident des Rates … ermächtigt, die Person(en) zu benennen, die befugt ist (sind), das Protokoll im Namen der Union zu unterzeichnen“.
59. Schließlich kann die Einfügung von Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV durch den am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon insoweit nicht als ein anderer, eine Vollmacht begründender Umstand(22 ) angesehen werden. Es ist schon zweifelhaft, ob eine Änderung des internen Rechts einer Vertragspartei ein derartiger Umstand sein kann. Dagegen spricht insbesondere der in dem jeweiligen Art. 27 der beiden Übereinkommen niedergelegte Gedanke, dass sich eine Vertragspartei nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen.
60. Die Frage, ob Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV es erfordert, die Kommission oder die von ihr zu bestimmende Person zur Unterzeichnung zu ermächtigen, betrifft somit nur das Innenverhältnis der Union. Sie hat insbesondere keinen Einfluss darauf, ob die Unterzeichnung des Protokolls durch den vom Rat bevollmächtigten Vertreter gegenüber der Gabunischen Republik Rechtswirkungen zu erzeugen vermochte oder mangels Vertretungsmacht unbeachtlich war.(23 )
61. Das Völkerrecht, insbesondere die beiden Wiener Übereinkommen, gibt daher entgegen der Ansicht der Kommission und des Hohen Vertreters keine Auskunft darüber, wie die Befugnis zur Unterzeichnung internationaler Übereinkünfte zwischen dem Rat und der Kommission verteilt ist.
2) Auslegung im Licht der Art. 220 und 221 AEUV
62. Weiterhin könnten die Art. 220 und 221 AEUV für die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV von Bedeutung sein. Denn insbesondere Art. 221 Abs. 1 AEUV bezieht sich ausdrücklich auf die „Vertretung der Union“ durch ihre Delegationen.
63. Die Bestimmungen in den Art. 220 und 221 AEUV regeln u. a. die Beziehungen der Union zu internationalen Organisationen und Drittländern seit dem Vertrag von Lissabon neu, indem sie diese Zuständigkeiten zwischen der Kommission und dem Hohen Vertreter aufteilen. Letzterer ist zwar kein eigenständiges Organ der Union im Sinne von Art. 13 Abs. 1 EUV, sondern ein Mitglied der Kommission, besitzt aber besondere, eigenständige Zuständigkeiten als Vertreter der Union, insbesondere im Rahmen der GASP (Art. 18 und Art. 27 Abs. 2 EUV).(24 )
64. Trotz der Verwendung des Begriffs „Vertretung“ betreffen die Art. 220 und 221 AEUV allerdings nicht die Vertretung der Union bei der Anbahnung internationaler Übereinkünfte, geschweige denn die Befugnis zu ihrer Unterzeichnung, sondern nur ihre diplomatische oder konsularische Vertretung und die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen.
65. Das schließt jedoch nicht aus, dass der ebenfalls mit dem Vertrag von Lissabon eingefügte Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV und der darin enthaltene Begriff der „Vertretung der Union nach außen“ weiter zu verstehen ist (oben, Nr. 50). Ähnlich wie Art. 27 Abs. 2 EUV in Verbindung mit den Art. 220 und 221 AEUV dem Hohen Vertreter die Außenvertretung im Bereich der GASP umfassend übertragen hat, könnte Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV die Zuständigkeiten der Kommission auch im Zusammenhang mit dem Abschluss internationaler Übereinkünfte erweitert haben.
3) Zwischenergebnis
66. Somit begründen weder der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV noch seine Auslegung im Licht des Völkerrechts oder der Art. 220 und 221 AEUV, im Außenverhältnis eine Vertretungsmacht der Kommission, internationale Übereinkünfte im Namen der Union zu unterzeichnen. Die Zuständigkeit für die Unterzeichnung ist aber prima facie im Innenverhältnis der Union vom Begriff der „Vertretung der Union nach außen“ umfasst.
c) Art. 218 Abs. 2 und 5 AEUV – Genehmigung des Rat e s zur Unterzeichnung
67. Die Zuständigkeiten der Kommission nach Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV bestehen allerdings nur vorbehaltlich der „übrigen in den Verträgen vorgesehenen Fälle“. Eine solche Einschränkung könnte sich aus Art. 218 Abs. 2 und 5 AEUV und den darin vorgesehenen Zuständigkeiten des Rates zum Abschluss internationaler Übereinkünfte ergeben.
1) Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
68. Der Kommission und dem Hohen Vertreter zufolge ergibt sich insbesondere aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Zweck von Art. 218 Abs. 5 AEUV, dass diese Vorschrift nur im Innenverhältnis der Union regele, welches Organ, nämlich der Rat, die Zustimmung zu dem ausgehandelten Abkommen und seiner Unterzeichnung zu geben habe. Die Frage, wer ein solches Abkommen unterzeichne, betreffe aber die Außenvertretung der Union. Diese sei in der insoweit spezielleren Vorschrift von Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV geregelt und außerhalb der GASP der Kommission zugewiesen.
69. Der Rat legt Art. 218 Abs. 5 AEUV hingegen dahin aus, dass er nicht nur die Zuständigkeit für die Genehmigung der Unterzeichnung, sondern auch für die Unterzeichnung selbst umfasse. Die Entscheidung, die Unterzeichnung zu genehmigen, bilde mit der Ermächtigung zur Ernennung der unterzeichnenden Person eine rechtliche Einheit. Art. 218 Abs. 5 AEUV sei daher die umfassendere und gegenüber Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV speziellere Norm.
70. Zur Beantwortung der Frage, welche dieser beiden Auffassungen zutrifft, lege ich Art. 218 AEUV mit Blick auf seinen Wortlaut und die Systematik seiner Vorschriften aus. Die Entstehungsgeschichte dieses Artikels ist für die Auslegung unergiebig.(25 )
2) Würdigung
71. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt Art. 218 AEUV im Bereich des Abschlusses internationaler Übereinkünfte insofern eine eigene, allgemeine Bestimmung von verfassungsmäßiger Bedeutung dar, als er den Unionsorganen bestimmte Kompetenzen verleiht. Zur Schaffung eines Gleichgewichts zwischen diesen Organen sieht er insbesondere vor, dass Übereinkünfte zwischen der Union und einem oder mehreren Drittstaaten von der Kommission unter Beachtung der vom Rat erlassenen Verhandlungsrichtlinien ausgehandelt und dann vom Rat – entweder nach Billigung durch das Parlament oder nach dessen Anhörung – geschlossen werden. Die Kompetenz zum Vertragsschluss steht dem Rat jedoch vorbehaltlich der Zuständigkeiten der Kommission auf diesem Gebiet zu.(26 )
72. Der letztgenannte Vorbehalt zugunsten der Zuständigkeiten der Kommission war ursprünglich in Art. 228 Abs. 1 EWG-Vertrag(27 ) und später in Art. 300 Abs. 2 EG-Vertrag enthalten, fehlt jedoch in Art. 218 AEUV. Die Einführung von Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV hat nämlich das Regel-/Ausnahme-Verhältnis umgekehrt. Denn nunmehr bestehen die Befugnisse der Kommission in diesem Bereich vorbehaltlich anderer Regelungen der Verträge, insbesondere von Art. 218 AEUV.
73. Art. 218 Abs. 2 AEUV sieht in einer allgemeinen Vorschrift u. a. vor, dass der Rat die Unterzeichnung „genehmigt“ und die Übereinkünfte schließt. Im Begriff des Vertragsschlusses könnte die Unterzeichnung enthalten sein.
74. Allerdings ist die Genehmigung der Unterzeichnung speziell in Art. 218 Abs. 5 AEUV geregelt. Danach erlässt der Rat „einen Beschluss, mit dem die Unterzeichnung der Übereinkunft und gegebenenfalls deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten genehmigt werden“. Ferner erlässt der Rat nach Art. 218 Abs. 6 AEUV „einen Beschluss über den Abschluss der Übereinkunft“.
75. Art. 218 Abs. 5 AEUV könnte dahin zu verstehen sein, dass der Rat die Unterzeichnung durch eine von ihm autorisierte Person „genehmigen“ muss. Diese Auslegung würde dem Argument des Rates folgen, dass zwischen der von Art. 218 Abs. 2 und 5 AEUV verlangten Genehmigung der Unterzeichnung und der Benennung der dazu ermächtigten Person eine „rechtliche Einheit“ besteht.
76. Sie trüge darüber hinaus der „hybriden“ Natur des Rates Rechnung. Dieser ist im Unterschied zu den anderen Unionsorganen weder homogen noch durch eine klare und dauerhafte Hierarchie strukturiert. Vielmehr setzt er sich gemäß Art. 16 Abs. 2 EUV aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene zusammen, der befugt ist, für die Regierung des von ihm vertretenen Mitgliedstaats verbindlich zu handeln und das Stimmrecht auszuüben, aber nicht den Rat als Organ vertritt. Eine solche Vertretung erfolgt in der Regel, wie auch im vorliegenden Fall, durch den Mitgliedstaat, der turnusmäßig den Ratsvorsitz nach Art. 16 Abs. 9 EUV innehat.(28 ) Sie bedarf aber – mangels einer generellen organschaftlichen Vertretungsbefugnis – einer ausdrücklichen Entscheidung im Einzelfall.
77. Diese Auslegung schlösse zudem nicht aus, dass der Rat auch ein anderes Organ zur Unterzeichnung eines internationalen Vertrags bevollmächtigt, wenn ihm das opportun erscheint; er wäre jedoch nicht verpflichtet, dies zu tun. Wie bereits in Nr. 57 erwähnt, geschieht dies zuweilen in der Praxis.
78. Dieses Verständnis findet jedoch weder im Wortlaut noch in der Systematik der Vorschriften von Art. 218 AEUV eine ausreichende Stütze.
79. Die Abs. 2, 5 und 6 von Art. 218 AEUV unterscheiden nämlich zwischen der Zuständigkeit des Rates für den Abschluss einer Übereinkunft einerseits und seiner Genehmigung ihrer Unterzeichnung andererseits. Daher kann die Unterzeichnung als solche nicht Bestandteil der Zuständigkeit des Rates zum Abschluss internationaler Übereinkünfte sein.
80. Diese Bestimmungen lassen zudem die Frage offen, wer die Person bestimmt, die eine internationale Übereinkunft im Namen der Union unterzeichnet. Die Tatsache, dass der Rat die Unterzeichnung durch Beschluss nur „genehmigt“, deutet insofern darauf hin, dass diese weder in seine eigene Zuständigkeit fällt noch die Benennung der dazu bevollmächtigten Person durch ihn selbst zu erfolgen hat.
81. Dafür spricht auch eine Auslegung von Art. 218 Abs. 2 und 5 AEUV im Licht von Art. 218 Abs. 3 AEUV, wie sie die Kommission und der Hohe Vertreter befürworten.
82. Nach Art. 218 Abs. 3 AEUV erlässt der Rat außerhalb der GASP auf Empfehlung der Kommission einen Beschluss über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen und über die Benennung des Verhandlungsführers oder des Leiters des Verhandlungsteams der Union. Wie in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt (oben, Nr. 68), kommen diese Personen in der Regel aus den Diensten der Kommission, die die Empfehlungen für die geplante Übereinkunft vorbereitet haben. Die Kommission und der Hohe Vertreter schließen plausibel aus dem Umstand, dass der Rat nach dieser Vorschrift nur den Verhandlungsführer oder den Leiter des Verhandlungsteams (aus den Reihen der Kommission) bestimmt, dass er mangels entsprechender Regelung in Art. 218 Abs. 5 AEUV nicht befugt sein kann, auch die Person zu benennen, die zur Unterzeichnung des Vertrags bevollmächtigt ist.
83. Die überwiegenden Gründe sprechen demnach dafür, dass in diesen Fällen nur die Kommission gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV ermächtigt werden kann, in Ausübung ihrer Zuständigkeit der Vertretung der Union nach außen eine internationale Übereinkunft zu unterzeichnen oder die dazu befugte Person zu bestimmen.
84. Mangels Zuständigkeit des Rates aus Art. 218 AEUV, die zur Unterzeichnung einer internationalen Übereinkunft befugte Person zu bestimmen, fällt diese Zuständigkeit folglich in diejenige der Kommission nach Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV, die Vertretung der Union nach außen wahrzunehmen.
d) Zwischenergebnis
85. Dem ersten Klagegrund ist daher stattzugeben, ohne dass es einer Prüfung der übrigen Argumente der Kommission und des Hohen Vertreters, insbesondere in Bezug auf eine angebliche Verletzung der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV, bedarf.
2. Zweiter Klagegrund
86. Mit dem zweiten Klagegrund rügt die Kommission eine Verletzung der Pflichten zur Begründung und Veröffentlichung des streitigen Beschlusses aus Art. 296 Abs. 2 und Art. 297 AEUV (erster Teil) und der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen, hier gestützt auf Art. 13 Abs. 2 Satz 2 EUV (zweiter Teil).
87. Dieser Klagegrund ist in seinem ersten Teil offensichtlich unbegründet.
88. Zum einen ergibt sich, wie in den Nrn. 33 und 34 festgestellt, der Regelungsgehalt der Art. 1 bis 3 des streitigen Beschlusses klar aus deren Wortlaut. Zum anderen unterliegt die Genehmigung zur Unterzeichnung eines Vertrags mit einem Drittstaat, so wie es die Kommission in der Erwiderung implizit selbst anerkennt, keiner Pflicht zur Veröffentlichung.
89. Der erste Teil des zweiten Klagegrundes greift daher nicht durch.
90. Der zweite Teil dieses Klagegrundes ist jedoch begründet. Wie aus den im ersten Klagegrund dargelegten Gründen ersichtlich, hat der Rat wegen der Überschreitung seiner Zuständigkeit Art. 13 Abs. 2 Satz 2 EUV zulasten der Kommission verletzt.
91. Damit ist der Klage der Kommission stattzugeben.
92. Der hilfsweise gestellte Antrag des Rates, die Rechtswirkungen des angegriffenen Beschlusses und der streitigen Ermächtigung nach Art. 264 Abs. 2 AEUV aufrechtzuerhalten, ist dagegen zurückzuweisen.
93. Nach Art. 264 Abs. 2 AEUV kann der Gerichtshof, falls er dies für notwendig hält, diejenigen Wirkungen einer für nichtig erklärten Handlung bezeichnen, die als fortgeltend zu betrachten sind. Die Rechtsprechung hat dies aus Gründen der Rechtssicherheit insbesondere dann für erforderlich erachtet, wenn die unmittelbaren Auswirkungen der Nichtigerklärung schwerwiegende negative Folgen für die Betroffenen hätten.(29 )
94. Der Rat hat jedoch weder eventuell Betroffene identifiziert noch dargelegt, welche schwerwiegenden negativen Folgen diese im Fall einer Nichtigerklärung zu tragen hätten. Vielmehr hat er nur vage auf die Rechtssicherheit und die Glaubwürdigkeit der Union als internationaler Akteur hingewiesen.
95. Wie die Kommission vorträgt und auch der Rat zugesteht, betrifft die Nichtigerklärung des angegriffenen Beschlusses und der streitigen Ermächtigung nämlich nur das Innenverhältnis der Union. Sie hat keinen Einfluss auf die Rechtswirkungen der Unterzeichnung des Protokolls und damit auf die ordnungsgemäße Fortführung des partnerschaftlichen Fischereiabkommens mit der Gabunischen Republik. Denn der festgestellte Mangel der Vertretungsmacht des Ratsvertreters ist keine offenkundige Verletzung einer Vorschrift von grundlegender Bedeutung im Sinne von Art. 46 der beiden Wiener Übereinkommen, die die völkerrechtliche Gültigkeit des Protokolls in Frage stellen könnte. Im Übrigen würde zur Wahrung der Rechtssicherheit im Außenverhältnis eine nachträgliche Bestätigung der durch den Ratsvertreter erfolgten Unterzeichnung seitens der Union im Sinne der Art. 8 der beiden Wiener Übereinkommen genügen.
VI. Kosten
96. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
97. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Tschechische Republik, die Französische Republik, Ungarn, das Königreich der Niederlande, die Republik Portugal und der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik ihre eigenen Kosten.
VII. Ergebnis
98. Ich schlage dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:
1. Art. 2 des Beschlusses (EU) 2021/1117 des Rates vom 28. Juni 2021 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – und die vorläufige Anwendung des Protokolls zur Durchführung des partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der Gabunischen Republik und der Europäischen Gemeinschaft (2021‑2026) (ABl. 2021, L 242, S. 1) wird für nichtig erklärt.
2. Die durch den Präsidenten des Rates am 28. Juni 2021 erteilte Ermächtigung des Ständigen Vertreters der Republik Portugal und Präsidenten des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (AStV), dieses Protokoll im Namen der Union zu unterzeichnen, wird für nichtig erklärt.
3. Der Rat trägt seine eigenen Kosten und diejenigen der Kommission.
4. Die Tschechische Republik, die Französische Republik, Ungarn, das Königreich der Niederlande, die Republik Portugal und der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik tragen ihre eigenen Kosten.