C-53/23 – Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ (Associations de magistrats)

C-53/23 – Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ (Associations de magistrats)

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2024:104

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTHONY COLLINS

vom 1. Februar 2024(1)

Rechtssache C53/23

Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“,

Asociaţia „Mişcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“

gegen

Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României

(Vorabentscheidungsersuchen der Curtea de Apel Piteşti [Berufungsgericht Piteşti, Rumänien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsstaatlichkeit – Unabhängigkeit der Justiz – Art. 2 EUV – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Art. 12 und 47 der Charta – Verfügung zur Benennung von Staatsanwälten für die Ermittlung von mutmaßlichen Straftaten und Korruptionsvorwürfen und die Einleitung entsprechender Verfahren gegen Richter und Staatsanwälte – Klage von Verbänden von Richtern und Staatsanwälten auf teilweise Nichtigerklärung der Verfügung – Klagebefugnis von Verbänden – Subjektives Recht oder berechtigtes privates Interesse als Klagevoraussetzung nach nationalem Recht“

 Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft einen neuartigen Gesichtspunkt des Unionsrechts. Können Berufsverbände von Richtern und Staatsanwälten, die mit dem Ziel gegründet wurden, ein unabhängiges, unparteiisches und effizientes Justizwesen zu fördern(2), ihre Klagebefugnis zur Förderung dieser Ziele vor einem nationalen Gericht auf Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV im Licht der Art. 12 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) stützen?

 Rechtlicher Rahmen – nationale Gesetzgebung

2.        Art. 8 Abs. 11 der Legea nr. 554/2004 a contenciosului administrativ (Gesetz Nr. 554/2004 über das verwaltungsgerichtliche Verfahren) vom 2. Dezember 2004(3) bestimmt:

„Natürliche und juristische Personen des Privatrechts können Ansprüche zur Wahrung eines berechtigten öffentlichen Interesses nur insoweit hilfsweise geltend machen, als sich die Beeinträchtigung des berechtigten öffentlichen Interesses logisch aus der Verletzung eines subjektiven Rechts oder eines berechtigten privaten Interesses ergibt.“

3.        Im März 2022 trat die Legea nr. 49/2022 privind desființarea Secției pentru investigarea infracțiunilor din justiție, precum și pentru modificarea Legii nr. 135/2010 privind Codul de procedură penală (Gesetz Nr. 49/2022 über die Abschaffung der Abteilung für die Untersuchung von Straftaten innerhalb der Justiz und zur Änderung des Gesetzes Nr. 135/2010 über die Strafprozessordnung) in Kraft(4). Mit diesem Gesetz wurde die Secția pentru investigarea infracțiunilor din justiție (Abteilung für die Untersuchung von Straftaten innerhalb der Justiz, im Folgenden: SIIJ) des Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casație și Justiție (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof, Rumänien, im Folgenden: PÎCCJ) abgeschafft. Außerdem wurde mit dem Gesetz Nr. 49/2022 die Zuständigkeit für die Untersuchung und Verfolgung für von Richtern und Staatsanwälten mutmaßlich begangene Straftaten, darunter Korruption, auf die Abteilung für Straf- und Kriminalverfolgung des PÎCCJ oder auf die Staatsanwaltschaften bei den Berufungsgerichten übertragen, je nachdem, in welcher Instanz die betreffenden Richter und Staatsanwälte tätig sind.

4.        Gemäß Art. 3 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 49/2022 benennt der Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Procurorul General al României (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof – Generalstaatsanwalt von Rumänien, im Folgenden: Beklagter) auf Vorschlag des Plenums des Consiliul Superior al Magistraturii (Oberster Justizrat, Rumänien, im Folgenden: Oberster Justizrat) Staatsanwälte zur Einleitung von Strafverfahren in Bezug auf diese Straftaten. Der Justizminister ist Mitglied des Obersten Justizrats. Der Beklagte erließ die Verfügung Nr. 108/2022 vom 3. Juni 2022 zur Benennung mehrerer Staatsanwälte für die Einleitung von Strafverfahren gemäß dem Gesetz Nr. 49/2022 (im Folgenden: angefochtene Verfügung). Die Verfügung erfolgte auf Vorschlag des Plenums des Obersten Justizrats(5).

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

5.        Die Klägerinnen sind juristische Personen des Privatrechts, die keinen Erwerbszweck verfolgen, nicht staatlich und unpolitisch sind. Ihre Tätigkeit hat nach ihren Satzungen u. a. zum Ziel, zu einem unabhängigen, unparteiischen und effizienten Justizwesen beizutragen und Projekte zur Stärkung, Modernisierung und Reform des Justizwesens auszuarbeiten, zu unterstützen, zu koordinieren und durchzuführen.

6.        Mit am 5. August 2022 bei der Curtea de Apel Pitești (Berufungsgericht Pitești, Rumänien) erhobener Klage beantragten die Klägerinnen die teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Verfügung. Sie rügten die Benennung mehrerer Staatsanwälte u. a. am PÎCCJ, die für die Untersuchung und Verfolgung von Straftaten zuständig sind, die von Richtern und Staatsanwälten begangen worden sein sollen. Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass das Gesetz Nr. 49/2022, die Rechtsgrundlage für die angefochtene Verfügung, gegen Art. 2, Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie gegen Anhang IX der Akte über die Beitrittsbedingungen(6) und gegen die Entscheidung 2006/928/EG der Kommission(7) in der Auslegung durch den Gerichtshof in seinem Urteil Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“(8) verstoße.

7.        Die Klägerinnen machen geltend, die Untersuchung und Verfolgung von Korruptionsvorwürfen gegen Richter und Staatsanwälte müsse wegen ihrer besonderen Art durch spezialisierte Staatsanwälte erfolgen, die Experten auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung seien und über angemessene Ressourcen verfügten, um diese Aufgabe ordnungsgemäß wahrzunehmen. Die Klägerinnen wenden sich gegen die Beteiligung des Plenums des Obersten Justizrats an dem Verfahren, das zur Benennung der mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben betrauten Personen führt. Das Verfahren sei ferner nicht geeignet, die Benennung von Staatsanwälten aufgrund ihrer Qualifikation und ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten. Schließlich müsse die Direcția Națională Anticorupție (Nationale Antikorruptionsdirektion, Rumänien, im Folgenden: DNA) – die auf die Bekämpfung von Korruptionsdelikten in Rumänien spezialisiert und vom PÎCCJ strukturell unabhängig sei(9) – mit der Untersuchung und Verfolgung solcher Straftaten betraut werden.

8.        Der Beklagte hält die Klage für unzulässig, da den Klägerinnen die Klagebefugnis (locus standi) für einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Verfügung fehle. Mit der Klage werde ein berechtigtes öffentliches Interesse geltend gemacht, aber kein subjektives Recht oder berechtigtes privates Interesse, wie es nach dem nationalen Recht dafür erforderlich sei. Die angefochtene Verfügung betreffe weder die Klägerinnen noch deren Ziele, sondern die damit bestellten Staatsanwälte; die Klägerinnen hätten daher weder ein subjektives Recht noch ein berechtigtes privates Interesse, die Gültigkeit der Verfügung in Frage zu stellen, und könnten sich daher auch nicht auf ein berechtigtes öffentliches Interesse berufen.

9.        Die Klägerinnen begründen ihre Klagebefugnis damit, dass ihre Tätigkeit in erster Linie darauf abziele, die Stellung der Richter und Staatsanwälte zu verteidigen, die für diese beiden Berufe charakteristischen Rechte und Werte zu fördern und die „Unabhängigkeit der Justiz in einem Rechtsstaat zu verteidigen“. Die Einleitung von Gerichtsverfahren zur Verfolgung dieser Ziele sei in der Satzung der Vereinigung „Forum der Richter Rumäniens“ vorgesehen.

10.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 554/2004 jede Person das Recht habe, beim zuständigen Gericht die Nichtigerklärung eines Verwaltungsakts einer Behörde, der sie in ihren berechtigten Interessen beeinträchtige, zu beantragen. Nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 554/2004 könne das berechtigte Interesse privater oder öffentlicher Natur sein. Art. 8 Abs. 11 des Gesetzes Nr. 554/2004 bestimme im Wesentlichen, dass natürliche und juristische Personen des Privatrechts nur dann ein öffentliches Interesse geltend machen könnten, wenn dieses Interesse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem zu ihren Gunsten bestehenden subjektiven Recht oder berechtigten privaten Interesse stehe. Es weist darauf hin, dass rumänische Gerichte 2016 und 2017 die Klagebefugnis der Klägerinnen bei Klagen, die auf die Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit und den Schutz der Stellung des Berufs des Richters oder Staatsanwalts abzielten, anerkannt hätten(10).

11.      In ihrem Urteil Nr. 8 hat die Înalta Curte de Casație şi Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) ausgeführt(11):

„Zum Zweck der einheitlichen Auslegung und Anwendung von Art. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, r und s sowie Art. 8 Abs. 11 und 12 des Gesetzes Nr. 554/2004 in der geänderten und ergänzten Fassung wird Folgendes festgestellt:

Im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle von Verwaltungsakten auf Antrag von Vereinigungen als betroffenen gesellschaftlichen Einrichtungen kann das berechtigte öffentliche Interesse nur hilfsweise zu einem berechtigten privaten Interesse geltend gemacht werden, wobei sich Letzteres aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem der Rechtmäßigkeitskontrolle unterworfenen Verwaltungsakt und dem unmittelbaren Zweck sowie den satzungsmäßigen Zielen der Vereinigung ergeben muss.“

12.      Im Anschluss an dieses Urteil entschied die Înalta Curte de Casație şi Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof), dass Berufsverbände der Richter und Staatsanwälte keine Klagebefugnis hätten, um Klagen auf Nichtigerklärung von Entscheidungen des Obersten Justizrats u. a. über die Ernennung von Richtern, stellvertretenden Richtern und des Chefinspektors der Inspecţia Judiciară (Justizinspektion, Rumänien) zu erheben(12). Die Kläger in derartigen Verfahren machten ein berechtigtes öffentliches und kein berechtigtes privates Interesse geltend.

13.      Auf der Grundlage der Rüge der Klägerinnen, dass mit der angefochtenen Verfügung eine Rechtsvorschrift umgesetzt werde, die die Korruptionsbekämpfung untergrabe und damit gegen die Verpflichtungen Rumäniens gegenüber der Europäischen Union verstoße, sieht das vorlegende Gericht bei einer weiten Auslegung des Begriffs des berechtigten privaten Interesses, wie er im Urteil Nr. 8 definiert worden sei, einen möglichen hinreichenden Zusammenhang zwischen den in der Satzung der Klägerinnen genannten Zielen und der angefochtenen Verfügung, so dass die Klägerinnen das für ihre Klage erforderliche berechtigte private Interesse besäßen. Bei einer engen Auslegung des Urteils Nr. 8 hätten die Klägerinnen jedoch nur ein berechtigtes öffentliches Interesse und dann keine Klagebefugnis für dieses Verfahren.

14.      Unter Hinweis auf die von den Klägerinnen geltend gemachte Verletzung des Unionsrechts ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die Klägerinnen effektiven Rechtsschutz in einem vom Unionsrecht erfassten Bereich begehrten. Es möchte wissen, ob eine enge Auslegung des Begriffs des berechtigten privaten Interesses, die die Klagebefugnis der betreffenden Verbände wie der Klägerinnen einschränken würde, gegen Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit den Art. 12 und 47 der Charta verstoße. Das vorlegende Gericht möchte auch geklärt wissen, ob es nicht gegen Art. 2, Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Anhang IX der Akte über die Beitrittsbedingungen und die VZÜ-Entscheidung verstoße, dass die Befugnis zur Untersuchung von Korruptionsdelikten von Richtern und Staatsanwälten nach der Abschaffung der SIIJ nicht auf die DNA übergegangen sei.

15.      Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Pitești (Berufungsgericht Pitești) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit den Art. 12 und 47 der Charta dem entgegen, dass Klagen, die Berufsverbände der Angehörigen des Justizwesens erheben, um die Unabhängigkeit der Richter und die Rechtsstaatlichkeit zu fördern und zu schützen sowie die Stellung des Berufsstands zu wahren, durch die Einführung der Voraussetzung eingeschränkt werden, dass ein berechtigtes privates Interesse vorliegen muss, das auf der Grundlage einer verbindlichen Entscheidung der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof), gefolgt von einer nationalen Praxis in ähnlichen Fällen wie dem, in dem das vorliegende Ersuchen ergeht, dadurch übermäßig eingeschränkt worden ist, dass in Fällen, in denen die Berufsverbände der Angehörigen des Justizwesens einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in den durch das Unionsrecht geregelten Bereichen im Einklang mit dem Zweck und den allgemeinen satzungsmäßigen Zielen anstreben, ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Verwaltungsakt, der der Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Gerichte unterliegt, und dem unmittelbaren Zweck sowie den allgemeinen satzungsmäßigen Zielen der Verbände verlangt wird?

2.      Stehen – abhängig von der Antwort auf die erste Frage – Art. 2, Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Anhang IX der Akte über die Beitrittsbedingungen und die VZÜ-Entscheidung einer nationalen Regelung entgegen, die die Zuständigkeit der DNA dadurch einschränkt, dass sie die ausschließliche Zuständigkeit für die Untersuchung von Korruptionsdelikten (im weiteren Sinne), die von Richtern und Staatsanwälten begangen werden, bestimmten Staatsanwälten der Staatsanwaltschaft bei der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof) bzw. der Staatsanwaltschaften bei den Berufungsgerichten überträgt, die (vom Generalstaatsanwalt von Rumänien auf Vorschlag des Plenums des Obersten Justizrats) speziell benannt werden und auch für andere Kategorien von Straftaten zuständig sind, die von Richtern und Staatsanwälten begangen werden?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

16.      Die Vereinigung „Forum der Richter Rumäniens“, der Beklagte, Rumänien und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

17.      Ich werde zunächst auf die Einwände gegen die Zuständigkeit des Gerichtshofs und die Zulässigkeit der Vorlagefragen eingehen, bevor ich dem Gerichtshof, wie von ihm gewünscht, einen Vorschlag für die Beantwortung der ersten Frage mache.

 Würdigung

 Zuständigkeit des Gerichtshofs und Zulässigkeit der ersten Frage

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

18.      Der Beklagte ist der Ansicht, es bestehe keine Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über die Vorlagefragen, da die Klägerinnen sich nicht auf ein durch das Unionsrecht geschütztes Recht beriefen. Sowohl das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht als auch die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen bezögen sich ausschließlich auf die Auslegung des nationalen Rechts und seien hypothetischer Natur(13). Die Klage vor dem vorlegenden Gericht sei nichts anderes als ein „Pilotverfahren“ oder ein „Vehikel“, um auf diese Weise zu einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV zu kommen.

19.      Rumänien macht geltend, dass die erste Frage unzulässig sei, da das vorlegende Gericht den Sachverhalt in der ihm vorliegenden Rechtssache nicht klar dargelegt und insbesondere nicht angegeben habe, wie und auf welcher Grundlage das Recht der Klägerinnen auf Zugang zu einem Gericht eingeschränkt werde. Es sei unklar, ob diese angebliche Einschränkung auf dem Gesetz Nr. 554/2004, dem Urteil Nr. 8 oder auf einer engen Auslegung dieses Urteils beruhe. Da das vorlegende Gericht selbst einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der angefochtenen Verfügung und den Zielen der Klägerinnen als gegeben ansehe, sei die Klage der Klägerinnen nach nationalem Recht zulässig, so dass eine Antwort auf die erste Frage keinem sinnvollen Zweck diene(14).

 Analyse

20.      Aus der Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerinnen im Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass die Klage vor dem vorlegenden Gericht entgegen der Darstellung des Beklagten auf Unionsrecht gestützt wird. Die Klägerinnen stützen sich auf Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV im Licht der Art. 12 und 47 der Charta, Anhang IX der Akte über die Beitrittsbedingungen und die VZÜ-Entscheidung und begehren deren Auslegung. Die Gründe, die das vorlegende Gericht zu seinem Vorabentscheidungsersuchen veranlassen, und die Fragen, die es dem Gerichtshof stellt, spiegeln die Bedeutung des Unionsrechts für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits wider. Die dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen enthalten auch nichts, was darauf schließen ließe, dass der Rechtsstreit im Ausgangsverfahren in irgendeiner Weise konstruiert oder hypothetisch ist(15).

21.      Soweit der Beklagte der Ansicht ist, dass die Klägerinnen kein vom Unionsrecht geschütztes Recht geltend machten, betrifft dies die inhaltliche Prüfung der ersten Frage des vorlegenden Gerichts zur Klagebefugnis. Ein solches Vorbringen kann schon von seinem Wesen her nicht dazu führen, dass die Fragen als unzulässig anzusehen wären(16). Entgegen dem Vorbringen Rumäniens bin ich der Auffassung, dass das vorlegende Gericht den Sachverhalt des bei ihm anhängigen Rechtsstreits, der es zu einem Vorabentscheidungsersuchen veranlasst hat, im Einzelnen dargelegt hat und es damit den Anforderungen des Art. 94 Buchst. a der Verfahrensordnung des Gerichtshofs in vollem Umfang entspricht.

22.      Was die Ansicht Rumäniens anbelangt, eine Beantwortung der ersten Frage durch den Gerichtshof diene keinem sinnvollen Zweck, so trifft es zu, dass das vorlegende Gericht die Klagebefugnis der Klägerinnen in der vorliegenden Rechtssache für gegeben ansieht und dass auch andere rumänische Gerichte in Verfahren zur Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit ihre Klagebefugnis anerkannt haben(17). Das vorlegende Gericht betont aber, dass es auch Fälle gebe, in denen das Urteil Nr. 8 so eng ausgelegt worden sei, dass die Klagebefugnis der Klägerinnen nicht anerkannt worden sei(18). Insoweit genügt es, darauf hinzuweisen, dass sich der Beklagte vor dem vorlegenden Gericht für sein Vorbringen, dass die Klägerinnen keine Klagebefugnis besäßen, auf das Urteil Nr. 8 beruft.

23.      Ich schlage daher vor, dass der Gerichtshof die verschiedenen Einwände gegen seine Zuständigkeit und gegen die Zulässigkeit der ersten Frage der Curtea de Apel Pitești (Berufungsgericht Pitești) zurückweist.

 Zur Beantwortung der Frage

24.      Die erste Frage betrifft das Verhältnis zwischen dem Recht auf effektiven Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten nach dem Unionsrecht einerseits und den nationalen Vorschriften über die Klagebefugnis andererseits. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV im Licht der Art. 12 und 47 der Charta nationalen Vorschriften über die Klagebefugnis entgegenstehen, nach denen Verbände von Richtern ein berechtigtes privates Interesse(19) an Klagen auf Nichtigerklärung von Handlungen nachweisen müssen, die sie als unvereinbar mit der Unabhängigkeit der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit ansehen(20).

25.      Weder nach dem Vorabentscheidungsersuchen noch nach den Erklärungen der Parteien ist klar, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Klägerinnen nach innerstaatlichem Recht die Klagebefugnis für ihre Anfechtungsklage vor den rumänischen Gerichten haben. Die Vereinigung „Forum der Richter Rumäniens“ und Rumänien machen geltend, dass die Klägerinnen nach rumänischem Recht zur Klage vor dem vorlegenden Gericht befugt seien. Im Einklang mit dem Urteil Nr. 8 hätten die Klägerinnen ein berechtigtes privates Interesse an der vorliegenden Klage auf gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Verfügung, da ein Zusammenhang zwischen dieser Klage und den in der Satzung der Klägerinnen niedergelegten Zielen bestehe. Der Beklagte wendet ein, dass Verbände nach rumänischer Rechtsprechung zusätzlich den Nachweis dafür erbringen müssten, dass der angefochtene Rechtsakt ihre Rechtsstellung als juristische Person, ihr Vermögen, ihre Tätigkeitsbedingungen oder die Verwirklichung ihrer Ziele beeinträchtige.

26.      Die Klägerinnen haben vor den rumänischen Gerichten mehrere Klagen mit dem Ziel der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit eingereicht, von denen einige Gegenstand von Vorabentscheidungsersuchen gewesen sind(21). Es ist unklar, warum der Beklagte im vorliegenden Fall die Klagebefugnis der Klägerinnen nach nationalem Recht in Frage stellt, nachdem ihre Klagebefugnis für derartige Klagen vor rumänischen Gerichten anerkannt worden ist. Die Vereinigung „Forum der Richter Rumäniens“ weist zudem darauf hin, dass der Gerichtshof keine Einwände gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens erhoben habe, das zum Urteil Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ geführt habe.

27.      Es genügt die Feststellung, dass der Gerichtshof die Zulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens grundsätzlich nicht verneinen kann, wenn dieses Ersuchen als mit Art. 94 seiner Verfahrensordnung in Einklang stehend anzusehen ist. Bei von einem nationalen Gericht vorgelegten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts gilt die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, den sachlichen und rechtlichen Rahmen einschließlich der Zulässigkeit der bei ihm anhängigen Klage nach innerstaatlichem Recht zu bestimmen(22).

 Der effektive gerichtliche Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte und die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten

28.      Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit ist einer der gemeinsamen Werte, die in Art. 2 EUV verankert sind. Konkreter Ausdruck dieses Wertes ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, Rechtsbehelfe zu schaffen, die einen wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleisten. Der effektive gerichtliche Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, wie er in den Art. 6 und 13 EMRK verankert ist und in Art. 47 der Charta bekräftigt wird. Die letztgenannte Bestimmung ist daher bei der Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV zu berücksichtigen(23). Nach Art. 47 der Charta hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte verletzt werden, Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird(24).

29.      Es ist Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, das einen wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die zur Überprüfung der Gültigkeit einer nationalen Bestimmung zuständigen Gerichte und/oder Stellen zu bestimmen und die Rechtsbehelfe und Verfahren vorzusehen, die es ermöglichen, diese Gültigkeit zu bestreiten sowie, im Fall der Begründetheit des Rechtsbehelfs, die betreffende Bestimmung für nichtig zu erklären und gegebenenfalls die Wirkungen der betreffenden Entscheidungen zu bestimmen(25).

30.      Die Mitgliedstaaten müssen zwar einen wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleisten, mangels einer einschlägigen unionsrechtlichen Regelung schreibt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten aber nicht vor, ein spezifisches System von Rechtsbehelfen oder Verfahrensmodalitäten für Klagen einzurichten, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen(26), sofern die zu diesem Zweck verfügbaren Rechtsbehelfe und Verfahren den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität genügen. Die detaillierten Verfahrensvorschriften für Klagen zur Wahrung der Rechte des Einzelnen nach dem Unionsrecht dürfen daher nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für vergleichbare innerstaatliche Klagen geltenden Vorschriften (Grundsatz der Äquivalenz) und dürfen die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität). Diese Anforderungen beruhen auch auf dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankert ist(27).

31.      Im Hinblick darauf, dass das Gesetz Nr. 554/2004 und das Urteil Nr. 8, vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht, gleichermaßen für innerstaatliche Klagen und für auf das Unionsrecht gestützte Klagen vor den rumänischen Gerichten gelten, geht es im vorliegenden Fall allein um den Grundsatz der Effektivität. Es ist gefestigte Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten das in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und in Art. 47 der Charta verbürgte Recht auf effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, tatsächlich wahren müssen(28). Dieses Erfordernis spiegelt die in Art. 5 EUV niedergelegten Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten(29) und das Recht auf effektiven Rechtsschutz(30) wider und bringt sie miteinander in Einklang.

 Das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz muss sich auf ein durch das Unionsrecht verliehenes Recht beziehen

32.      Im Urteil Inuit(31) hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass weder der AEUV noch Art. 19 EUV die Schaffung zusätzlicher Rechtsbehelfe zu den nach nationalem Recht bestehenden Rechtsbehelfen verlangen, um die Einhaltung des Unionsrechts vor den nationalen Gerichten zu gewährleisten. Etwas anderes gilt nur, wenn es nach dem System der betreffenden nationalen Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf gibt, mit dem wenigstens inzident die Wahrung der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte(32). In solchen Fällen haben sich die nationalen Gerichte für eine Klage, die von dem Betroffenen erhoben wird, um die ihm durch das Unionsrecht garantierten Rechte zu verteidigen, für zuständig zu erklären(33).

33.      In seinem Beschluss Internationale Fruchtimport Gesellschaft Weichert/Kommission(34) hat der Gerichtshof festgestellt, dass das „Recht auf ein Gericht“ nicht absolut ist und z. B. Vorschriften über Fristen für die Erhebung von Klagen unterliegt. Diese Vorschriften dürfen jedoch den Zugang eines Rechtsuchenden nicht in einer Weise oder so weit einschränken, dass der Wesensgehalt des Rechts, das er geltend machen will, angetastet wird. Diese Vorschriften müssen ein legitimes Ziel verfolgen, und die eingesetzten Mittel müssen in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen(35). Zur Klagebefugnis vor den nationalen Gerichten hat der Gerichtshof Folgendes festgestellt: „So ist es zwar grundsätzlich Sache des nationalen Rechts, die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen zu bestimmen, doch verlangt das Unionsrecht über die Einhaltung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität hinaus, dass die nationalen Rechtsvorschriften das … Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht beeinträchtigen“(36).

34.      Das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 47 der Charta besteht nicht im luftleeren Raum; es muss sich auf ein vom Unionsrecht verliehenes Recht oder auf eine vom Unionsrecht gewährleistete Freiheit beziehen. Jede Person kann sich auf Art. 47 der Charta berufen, um vor einem nationalen Gericht einen Rechtsakt anzufechten, den ein Mitgliedstaat bei der Durchführung des Rechts der Union erlassen hat und der die betreffende Person beschwert(37). In diesem Zusammenhang verfügen die Mitgliedstaaten über einen beträchtlichen Spielraum sowohl hinsichtlich der Bestimmung dessen, was eine Verletzung eines Rechts oder einer Freiheit darstellt, als auch hinsichtlich der Festlegung insbesondere der Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen und der Stellen, bei denen diese einzulegen sind(38).

35.      In ihrer Klage vor dem vorlegenden Gericht machen die Klägerinnen drei Argumente geltend, um ihre Klagebefugnis nach dem Unionsrecht zu begründen. Erstens berufen sie sich in entsprechender Anwendung auf die Klagebefugnis, die das Sekundärrecht der Union Umwelt- und anderen Verbänden gewährt. Zweitens machen sie geltend, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Klage zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Justiz nach nationalem Recht gegeben sein müsse. Drittens machen die Klägerinnen geltend, ihre Klagebefugnis beruhe auf Art. 12 der Charta.

36.      In bestimmten Fällen verleiht das Sekundärrecht der Union Verbänden ausdrücklich das Recht, vor nationalen Gerichten zu klagen, um die mit den betreffenden Rechtsvorschriften verfolgten Ziele zu fördern. In Umweltangelegenheiten gewährt Art. 9 Abs. 2 des Aarhus-Übereinkommens Umweltorganisationen Zugang zu einem Verfahren zur Überprüfung bestimmter Handlungen oder Unterlassungen(39). In solchen Fällen wird davon ausgegangen, dass diese Organisationen ein ausreichendes Interesse haben oder Träger von Rechten sind, die verletzt werden können, so dass sie diese Klagen erheben können. Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens sieht die Möglichkeit vor, dass die Mitgliedstaaten Gesetze erlassen, die eine breitere oder sogar uneingeschränkte Klagebefugnis für bestimmte Arten von Umweltklagen vorsehen, verpflichtet jedoch nicht zum Erlass solcher Vorschriften(40).

37.      Nach Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG(41) müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verbände, die gemäß den im einzelstaatlichen Recht festgelegten Kriterien ein rechtmäßiges Interesse daran haben, für die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu sorgen, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung und mit deren Einwilligung an den in dieser Richtlinie zur Durchsetzung der Ansprüche vorgesehenen Gerichts- und/oder Verwaltungsverfahren beteiligen können. Nach dieser Bestimmung sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, Verbänden eine Klagebefugnis zur Durchsetzung von Verpflichtungen einzuräumen, wenn sich kein Geschädigter feststellen lässt. Die Mitgliedstaaten können jedoch Vorschriften einführen oder beibehalten, die für den Schutz des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger sind als die Bestimmungen der Richtlinie 2000/78. Ein Mitgliedstaat kann daher Verbänden das Recht einräumen, ein Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen aus der Richtlinie 2000/78 einzuleiten, auch wenn sie nicht im Namen einer bestimmten beschwerten Person handeln(42).

38.      Es gibt kein sekundäres Unionsrecht, das den Verbänden von Richtern und Staatsanwälten eine Klagebefugnis bei den nationalen Gerichten zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit im öffentlichen Interesse einräumt. Das Unionsrecht schreibt den Mitgliedstaaten weder vor noch verbietet es ihnen, eine Klagebefugnis einzuführen, die es solchen Verbänden ermöglicht, im öffentlichen Interesse zu klagen oder eine Popularklage im Interesse der Rechtsstaatlichkeit und/oder der richterlichen Unabhängigkeit zu erheben(43). Mangels entsprechender unionsrechtlicher Bestimmungen(44) sind solche Verbände grundsätzlich auf die nationalen Vorschriften über die Klagebefugnis und das sich daraus ergebende Recht auf die Erhebung solcher Klagen angewiesen.

39.      Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass sie im Hinblick auf das Urteil A. B. die Klagebefugnis besitzen, die Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz durch das von ihnen vor dem vorlegenden Gericht eingeleitete Verfahren geltend zu machen. In dem Urteil A. B. hat der Gerichtshof u. a. festgestellt, dass Art. 19 Abs. 1 EUV Änderungen des nationalen Rechts entgegensteht, die den nationalen Gerichten die Zuständigkeit entziehen, über Klagen von erfolglosen Kandidaten für Richterstellen zu entscheiden, wenn diese Änderungen geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der ernannten Richter aufkommen zu lassen(45).

40.      Anders als der Sachverhalt, der dem Urteil A. B. zugrunde lag, betrifft das beim vorlegenden Gericht anhängige Verfahren die Benennung von Staatsanwälten, die mit strafrechtlichen Ermittlungen und der Strafverfolgung in Bezug auf Richter betraut sind, und nicht die Ernennung von Richtern. Die Garantien für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die das Unionsrecht bei Richtern verlangt, stehen nationalen Regelungen entgegen, die die Entscheidungen der Richter unmittelbar oder mittelbar beeinflussen können und damit bewirken, dass die Richter „den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, dass die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss“(46). Entscheidungen, mit denen der Einleitung von Strafverfahren gegen Richter zugestimmt wird, müssen daher von einer Einrichtung erlassen oder überprüft werden, die ihrerseits die Garantien eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes, einschließlich der Garantie der Unabhängigkeit, erfüllt. Die bloße Aussicht für Richter, Gefahr zu laufen, dass die Zustimmung zu einem gegen sie einzuleitenden Strafverfahren bei einer Einrichtung beantragt und erlangt wird, deren Unabhängigkeit nicht gewährleistet ist, kann ihre eigene Unabhängigkeit beeinträchtigen(47).

41.      In den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass den erfolglosen Bewerbern für die Stelle eines Staatsanwalts u. a. in der Abteilung für Straf- und Kriminalverfolgung des PÎCCJ kein berechtigtes privates Interesse und damit keine Klagebefugnis nach nationalem Recht zustehen würde, um die angefochtene Verfügung und das Gesetz Nr. 49/2022, auf dem diese Verfügung beruht, anzufechten. Von noch größerer Bedeutung ist aber wohl, dass das Urteil A. B. zwar bestätigt, dass in bestimmten (begrenzten) Fällen abgelehnte Bewerber um ein Richteramt, deren Interessen beeinträchtigt wurden, nach dem Unionsrecht das Recht haben, vor den nationalen Gerichten Klage zu erheben, um die Rechtsstaatlichkeit und die richterliche Unabhängigkeit zu wahren, dieses Recht aber nicht Verbänden von Richtern oder Staatsanwälten wie den Klägerinnen zuerkannt wird.

42.      In Bezug auf Art. 12 der Charta und die Vereinigungsfreiheit hat der Gerichtshof in der Rechtssache Kommission/Ungarn (Transparenz von Vereinigungen)(48) festgestellt, dass Verbände in der Lage sein müssen, ihre Tätigkeiten auszuüben und ohne ungerechtfertigte staatliche Eingriffe zu arbeiten. Aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen geht nicht hervor, dass für die Klägerinnen oder einen anderen Verband andere oder strengere Regeln für die Klagebefugnis gelten als für andere natürliche oder juristische Personen. Wie in Nr. 33 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, ist das Recht auf Zugang zu einem Gericht nicht absolut. Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht spricht nichts dafür, dass die rumänischen Vorschriften über die Klagebefugnis den Wesensgehalt des Rechts der Klägerinnen auf ein Gericht beeinträchtigen, dass das mit der nationalen Regelung verfolgte Ziel rechtswidrig ist oder dass die zur Verfolgung dieses Ziels eingesetzten Mittel unverhältnismäßig sind. Dass die Satzung der Vereinigung „Forum der Richter Rumäniens“ zur Verfolgung ihrer Ziele die Einleitung bestimmter Gerichtsverfahren vorsieht, ändert nichts an dieser Beurteilung. Die Tätigkeit eines Verbands muss grundsätzlich im Einklang mit dem geltenden Recht, einschließlich der Vorschriften über die Klagebefugnis, ausgeübt werden.

 Ergebnis

43.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Vorlagefrage der Curtea de Apel Pitești (Berufungsgericht Pitești, Rumänien) wie folgt zu beantworten:

Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV, ausgelegt im Licht der Art. 12 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Anhang IX der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, sowie die Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung stehen nationalen Vorschriften über die Klagebefugnis nicht entgegen, nach denen Verbände von Richtern und Staatsanwälten bei einer Klage auf Nichtigerklärung von als mit der Unabhängigkeit der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar angesehenen Handlungen ein berechtigtes privates Interesse im Sinne des nationalen Rechts nachweisen müssen.


















































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