C-48/24 – Vilniaus tarptautinė mokykla

C-48/24 – Vilniaus tarptautinė mokykla

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:560

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 10. Juli 2025(1)

Rechtssache C48/24

VšĮ Vilniaus tarptautinė mokykla

gegen

Valstybinė kalbos inspekcija

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas [Oberstes Verwaltungsgericht Litauens])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 49 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Beschränkung – Nationale Regelung, wonach Lehrkräfte privater Bildungseinrichtungen die Staatssprache beherrschen müssen – Rechtfertigung – Nationale Identität – Verhältnismäßigkeit – Richtlinie 2005/36/EG – Art. 53 – Für die Ausübung eines reglementierten Berufs erforderliche Sprachkenntnisse “

I.      Einführung

1.        Sprache ist nicht nur ein Mittel der Kommunikation, sondern auch ein Ausdruck von Kultur und Identität(2). Die Unionsverträge erkennen die zentrale Bedeutung von Sprache an. Insbesondere bestimmen Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 EUV und Art. 22 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dass die Union die sprachliche Vielfalt zu wahren bzw. zu achten hat. Nach Art. 4 Abs. 2 EUV achtet die Union zudem die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten, zu der nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch der Schutz ihrer Amtssprachen gehört(3).

2.        Vor diesem Hintergrund hatte der Gerichtshof bereits mehrfach das Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Amtssprachen der Mitgliedstaaten und der Achtung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten zu untersuchen(4). Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) wirft eine ähnliche Frage auf und bietet dem Gerichtshof Gelegenheit, seine einschlägige Rechtsprechung weiterzuentwickeln.

3.        Die Fragen des vorlegenden Gerichts stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Valstybinė kalbos inspekcija (Staatliches Sprachinspektorat, Litauen, im Folgenden: Aufsichtsbehörde) und dem Vilniaus tarptautinė mokykla (Vilnius International School, im Folgenden: Schule), einer privaten Bildungseinrichtung, die ihr Bildungsprogramm ausschließlich in englischer Sprache anbietet. Der Rechtsstreit betrifft die nach nationalem Recht geltende Verpflichtung des Lehr- und Verwaltungspersonals der Schule, über Kenntnisse der litauischen Sprache auf mittlerem Leistungsniveau zu verfügen. Diese Anforderung gilt für Beschäftigte in bestimmten Positionen, in denen sie mit der Öffentlichkeit kommunizieren müssen (im Folgenden: Sprachanforderung). Das vorlegende Gericht ersucht um Klärung, ob diese Sprachanforderung mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV und mit Art. 53 der Richtlinie 2005/36/EG (im Folgenden: Anerkennungsrichtlinie(5)) vereinbar ist, der die sprachlichen Anforderungen für reglementierte Berufe betrifft.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

4.        Art. 53 („Sprachkenntnisse“) der Anerkennungsrichtlinie sieht Folgendes vor:

„(1)      Berufsangehörige, deren Berufsqualifikation anerkannt wird, müssen über die Sprachkenntnisse verfügen, die für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat erforderlich sind.

(3)      Die … Überprüfungen [der Einhaltung der Verpflichtung nach Absatz 1] können vorgeschrieben werden, wenn der auszuübende Beruf Auswirkungen auf die Patientensicherheit hat. Die Überprüfungen können im Fall anderer Berufe vorgeschrieben werden, wenn erhebliche und konkrete Zweifel daran bestehen, dass der Berufsangehörige hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit, die der Berufsangehörige auszuüben beabsichtigt, über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt.

(4)      Überprüfungen der Sprachkenntnisse müssen in angemessenem Verhältnis zur auszuübenden Tätigkeit stehen. …“

B.      Anwendbares nationales Recht

5.        Gemäß Art. 14 der Lietuvos Respublikos Konstitucija (Verfassung der Republik Litauen) ist Litauisch die Staatssprache (im Folgenden: Staatssprache).

6.        Art. 6 des Lietuvos Respublikos valstybinės kalbos įstatymas (Gesetz der Republik Litauen über die Staatssprache, im Folgenden: Gesetz über die Staatssprache) sieht u. a. vor, dass „Leiter, Beamte und Angestellte von … Einrichtungen, die Dienstleistungen für die Bevölkerung erbringen, die Staatssprache nach Maßgabe der von der Regierung der Republik Litauen festgelegten Sprachleistungsstufen beherrschen [müssen]“.

7.        Nach dieser Vorschrift erließ die litauische Regierung am 24. Dezember 2003 den nutarimas Nr. 1688 (Beschluss Nr. 1688, im Folgenden: Beschluss Nr. 1688), mit dem sie die Valstybinės kalbos mokėjimo kategorijų nustatymo ir jų taikymo tvarkos aprašas (Leitlinien für das Verfahren zur Festlegung und Anwendung der Leistungsstufen für den Grad der Beherrschung der Staatssprache, im Folgenden: Leitlinien), die diesem Beschluss als Anhang beigefügt sind, genehmigte.

8.        Ziff. 6 der Leitlinien sieht drei Leistungsstufen für den Grad der Beherrschung der Staatssprache vor (die erste Stufe ist die niedrigste und die dritte Stufe die höchste). Gemäß Ziff. 6.2 der Leitlinien entspricht die zweite Leistungsstufe der mittleren Niveaustufe B1 in Bezug auf die Beherrschung des Litauischen(6). Nach Ziff. 8 der Leitlinien gilt diese zweite Leistungsstufe u. a. für Beschäftigte in den Bereichen Bildung, Kultur, Gesundheitswesen und soziale Sicherheit (mit Ausnahme von Lehrpersonal, das in der Staatssprache unterrichtet), wenn sie bei ihrer Arbeit regelmäßig mit anderen kommunizieren und/oder Standardformulare ausfüllen müssen.

III. Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefragen

9.        Die Berufungsklägerin im Ausgangsverfahren, die Schule, ist eine private Bildungseinrichtung, die seit 2004 in Litauen zugelassen und tätig ist. Sie wurde von einem litauischen Staatsangehörigen gegründet und hat gegenwärtig drei Anteilseigner: einen finnischen Staatsangehörigen (Anteil von 49,96 %), einen dänischen Staatsangehörigen (Anteil von 25,02 %) und einen US-Bürger (Anteil von 25,02 %).

10.      Die Schule verfügt über die erforderlichen Genehmigungen der staatlichen Behörden der Republik Litauen, um Bildungsprogramme in einer anderen Sprache als Litauisch anzubieten. Diese Möglichkeit besteht nach nationalem Recht(7). Insbesondere bietet die Schule das Programm Cambridge International AS/A Level sowie die Programme International Baccalaureate Primary Years und Middle Years (Grund- und Mittelstufe) an. All diese Programme werden in englischer Sprache unterrichtet (im Folgenden: englischsprachige Programme).

11.      Am 19. und 25. Mai 2022 führte die Aufsichtsbehörde eine Überprüfung durch, um zu kontrollieren, ob die Schule dem Gesetz über die Staatssprache und dem Beschluss Nr. 1688 entspricht. Dabei stellte sie fest, dass 18 Angestellte der Schule – von denen fünf Unionsbürger und die übrigen Angehörige von Drittstaaten waren – die Sprachprüfung der Leistungsstufe II hinsichtlich der Staatssprache, wie sie im Beschluss Nr. 1688 für Beschäftigte im Bildungsbereich, die bei ihrer Arbeit regelmäßig mit anderen kommunizieren oder Standardformulare ausfüllen müssen, vorgesehen ist, nicht abgelegt (bzw. die entsprechende Bescheinigung nicht vorgelegt) hatten(8).

12.      Auf der Grundlage dieser Überprüfung erließ die Aufsichtsbehörde am 26. Mai 2022 eine Anordnung, mit der verlangt wurde, dass die betreffenden 18 Angestellten – sowohl Lehrkräfte als auch Verwaltungspersonal (insbesondere die Leiterin und die stellvertretende Leiterin der Schule) – bis zum 2. Februar 2023 die entsprechende Prüfung in der Staatssprache ablegten (im Folgenden: angefochtene Anordnung). Da Einrichtungen wie etwa die Schule nach nationalem Recht(9) verpflichtet sind, die Einhaltung der jeweiligen Rechtsakte, einschließlich der Vorschriften, die die Sprachanforderung vorsehen, sicherzustellen, richtete sich die angefochtene Anordnung an die Schule und sah bei Nichtbeachtung Sanktionen vor.

13.      Die Schule erhob beim Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionalverwaltungsgericht Vilnius, Litauen) Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Anordnung. Diese Klage wurde mit Urteil vom 17. November 2022 abgewiesen. Daraufhin legte die Schule beim Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.

14.      Vor diesem Hintergrund beschloss dieses Gericht aufgrund seiner Zweifel an der Vereinbarkeit der Sprachanforderung mit Art. 49 AEUV und Art. 53 der Anerkennungsrichtlinie, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 49 AEUV dahin auszulegen, dass sein Anwendungsbereich das im nationalen Recht vorgesehene Erfordernis der Beherrschung der Staatssprache umfasst, das für das Verwaltungspersonal und die Lehrkräfte einer von einer Privatperson gegründeten Bildungseinrichtung gilt, die ein internationales Sekundarschulprogramm und internationale Abiturprogramme für die Grund- und Mittelstufe anbietet?

2.      Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 49 AEUV dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, wonach das Erfordernis der Beherrschung der Staatssprache ausnahmslos zum einen für alle Lehrkräfte gilt, die in einer von einer Privatperson gegründeten Bildungseinrichtung tätig sind, die ein internationales Sekundarschulprogramm sowie internationale Abiturprogramme für die Grund- und Mittelstufe anbietet, und zum anderen für das Verwaltungspersonal einer solchen Bildungseinrichtung, unabhängig von den Besonderheiten der Tätigkeit der betreffenden Bildungseinrichtung?

3.      Ist Art. 53 der Anerkennungsrichtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, wonach das Erfordernis der Beherrschung der Staatssprache ausnahmslos für alle Lehrkräfte gilt, die in einer von einer Privatperson gegründeten Bildungseinrichtung tätig sind, die ein internationales Sekundarschulprogramm sowie internationale Abiturprogramme für die Grund- und Mittelstufe anbietet, unabhängig von den Besonderheiten der Tätigkeit der betreffenden Bildungseinrichtung?

15.      Die litauische, die lettische und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.

IV.    Würdigung

16.      Mit seinen drei Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Sprachanforderung mit der Niederlassungsfreiheit (Fragen 1 und 2) sowie mit Art. 53 der Anerkennungsrichtlinie (Frage 3) vereinbar ist. Im Folgenden werde ich die ersten beiden Fragen zusammen prüfen (B) und mich dann der dritten Frage (C) zuwenden. Bevor ich mich jedoch inhaltlich mit den Vorlagefragen beschäftige, ist die Einrede der litauischen Regierung gegen die Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens zu prüfen (A).

A.      Zulässigkeit

17.      Die litauische Regierung macht geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig zurückzuweisen sei, da die erbetene Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehe.

18.      Insbesondere trägt sie vor, dass die Sprachanforderung nicht für Lehrkräfte(10) gelte, die in Schulen wie der in Rede stehenden beschäftigt seien, die Bildungsprogramme ausländischer Staaten oder internationaler Organisationen anböten. Das vorlegende Gericht müsse die angefochtene Anordnung daher wegen Unvereinbarkeit mit nationalem Recht für nichtig erklären; die Vorlage der Fragen sei somit für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich.

19.      Hier sei nur daran erinnert, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs allein Sache des vorlegenden Gerichts ist, das auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbare nationale Recht auszulegen. Der Gerichtshof hat im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen des nationalen Gerichts in dessen Vorlageentscheidung auszugehen. Daher muss die Prüfung eines Vorabentscheidungsersuchens in Ansehung der vom vorlegenden Gericht vorgenommenen Auslegung des nationalen Rechts erfolgen, unabhängig von einer abweichenden Auslegung dieses Rechts durch eine Regierung(11).

20.      In der vorliegenden Rechtssache hat das vorlegende Gericht auf ein entsprechendes Auskunftsersuchen des Gerichtshofs klargestellt, dass es die von der litauischen Regierung vertretene Auslegung nicht teile. Es hat vielmehr bekräftigt, dass die Sprachanforderung nach den Rechtsvorschriften, die auf den in Rede stehenden Sachverhalt anwendbar seien, sowohl für die Lehrkräfte als auch für das Verwaltungspersonal der Schule gälten und dass eine Antwort auf die Vorlagefragen für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits daher von grundlegender Bedeutung sei.

21.      Meines Erachtens ist das Vorabentscheidungsersuchen somit als zulässig anzusehen.

B.      Vereinbarkeit der Sprachanforderung mit der Niederlassungsfreiheit (Fragen 1 und 2)

22.      Mit seinen ersten beiden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der in Rede stehende Sachverhalt in den Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV, der die Niederlassungsfreiheit gewährleistet, fällt und ob diese Bestimmung daher nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die die Sprachanforderung ausnahmslos sowohl den Lehrkräften als auch dem Verwaltungspersonal einer privaten Bildungseinrichtung auferlegen, die englischsprachige Programme anbietet.

23.      Angesichts eines insofern von der niederländischen Regierung angeführten Arguments sind jedoch zunächst Vorbemerkungen geboten, die die Relevanz einer Würdigung im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit im vorliegenden Fall betreffen. Sodann werde ich die Anwendbarkeit sowie die Anwendung von Art. 49 AEUV auf den vorliegenden Sachverhalt prüfen.

1.      Vorbemerkungen

24.      Nach gefestigter Rechtsprechung prüft der Gerichtshof in Fällen, in denen eine nationale Maßnahme gleichzeitig mit mehreren Grundfreiheiten im Zusammenhang steht, die Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser Freiheiten, wenn sich herausstellt, dass unter den Umständen des Einzelfalls die anderen Freiheiten dieser ersten gegenüber völlig zweitrangig sind und ihr zugeordnet werden können. Bei der Bestimmung der vorrangigen Grundfreiheit ist auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abzustellen(12).

25.      In diesem Zusammenhang vertritt die niederländische Regierung die Auffassung, dass die Sprachanforderung nicht im Licht der Niederlassungsfreiheit zu prüfen sei, sondern vielmehr im Licht der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, da die Anforderung, die Staatssprache zu beherrschen, den Angestellten der Schule auferlegt werde.

26.      Ich teile diese Auffassung nicht. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass sich die in Rede stehende nationale Regelung – jedenfalls in ihrer Anwendung in der vorliegenden Rechtssache – in erster Linie an die Schule als Bildungseinrichtung richtet. Die angefochtene Anordnung war an die Schule gerichtet, da diese es versäumt hatte, für die Einhaltung der Sprachanforderung zu sorgen. Entsprechend tritt die Schule im Ausgangsverfahren als Klägerin und Berufungsklägerin auf. Darin besteht nämlich die Besonderheit der vorliegenden Rechtssache gegenüber früherer einschlägiger Rechtsprechung, bei der die Sprachanforderung unmittelbar Arbeitnehmern oder Selbständigen auferlegt wurde(13). Vorliegend richtet sich die Anforderung hingegen an den Arbeitgeber (die Einrichtung), auch wenn sie die Sprachkenntnisse seiner Angestellten (der Arbeitnehmer) betrifft.

27.      Zudem ist darauf hinzuweisen, dass eine Prüfung der Sprachanforderung im Licht der Freizügigkeit der Arbeitnehmer streng genommen nur in Bezug auf die wenigen Angestellten der Schule relevant ist, die Unionsbürger sind. Die Niederlassungsfreiheit könnte dagegen ungeachtet der Staatsangehörigkeit der betreffenden Angestellten zum Tragen kommen.

28.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen halte ich die Niederlassungsfreiheit für die vorrangige Grundfreiheit, auf die bei der Beurteilung der Sprachanforderung abzustellen ist. Damit bestreite ich durchaus nicht die Relevanz, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Fall der Schule hat. Im Gegenteil: Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, muss ein Arbeitgeber sich darauf verlassen können, dass seine Beschäftigten ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen können. Nur so kann dieses Recht seine volle Wirkung entfalten(14). Im vorliegenden Fall ist diese Freiheit im Vergleich zur Niederlassungsfreiheit jedoch nur von sekundärer Bedeutung(15). Wie im Zusammenhang mit der dritten Frage, die das Recht der Lehrkräfte der Schule auf Freizügigkeit berührt, näher ausgeführt, würde jedenfalls eine Bewertung aus der Perspektive der Freizügigkeit der Arbeitnehmer meines Erachtens im Wesentlichen zu dem gleichen Ergebnis führen.

29.      Nachdem dieser Punkt geklärt ist, wende ich mich nunmehr dem Inhalt der Vorlagefragen zu.

2.      Anwendbarkeit von Art. 49 AEUV

30.      Nach ständiger Rechtsprechung impliziert die Niederlassungsfreiheit einerseits die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch die betreffende (natürliche oder juristische) Person und andererseits, dass ein grenzüberschreitender Bezug besteht, also dass sich der betreffende Sachverhalt nicht auf einen einzigen Mitgliedstaat beschränkt(16). Ich werde diese beiden Punkte nacheinander im Hinblick auf die vorliegende Rechtssache untersuchen.

a)      Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit

31.      Was den ersten Punkt betrifft, so hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die entgeltliche Durchführung von Lehrveranstaltungen eine wirtschaftliche Tätigkeit ist, die unter Kapitel 2 – betreffend das Niederlassungsrecht – in Titel IV des Dritten Teils des AEU‑Vertrags fällt, wenn sie von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in stabiler und kontinuierlicher Weise(17) von einer Haupt- oder Nebenniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat aus im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt wird(18).

32.      Das vorlegende Gericht hat dennoch Zweifel daran geäußert, dass die Tätigkeit der Schule als wirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden könne, und darauf hingewiesen, dass die oben genannte Rechtsprechung des Gerichtshofs die Erteilung von Hochschulunterricht betreffe, wohingegen die Schule Unterrichtsprogramme der Primar- und Sekundarstufe anbiete.

33.      Aus meiner Sicht ist das Ausbildungsniveau der angebotenen Kurse für die Bestimmung, ob die ausgeübte Tätigkeit wirtschaftlicher Art ist, jedoch unerheblich. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs vielmehr, ob der Unterricht von einer Einrichtung, die in erster Linie privat finanziert wird (z. B. durch das von den Schülern und ihren Eltern entrichtete Schulgeld), als entgeltliche Dienstleistung erbracht wird. Umgekehrt stellt Unterricht, der von einer Einrichtung angeboten wird, die Teil eines staatlichen Bildungssystems ist und vollständig oder vorwiegend vom Staat – in Erfüllung seiner Aufgaben auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet gegenüber seinen Bürgern – finanziert wird, keine wirtschaftliche Tätigkeit dar(19).

34.      Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung, die allerdings vom vorlegenden Gericht auf ihre Richtigkeit zu überprüfen sind, handelt es sich bei der Schule um eine private und vom Staat unabhängige Bildungseinrichtung, die Einzelpersonen gegen Entgelt Kurse anbietet. Als solche ist sie als Einrichtung anzusehen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

b)      Grenzüberschreitendes Element

35.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist Art. 49 AEUV nicht auf Tätigkeiten anwendbar, die nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (rein innerstaatliche Sachverhalte) und die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt(20).

36.      Zunächst sei daran erinnert, dass Art. 49 AEUV gemäß Art. 54 AEUV auf juristische Personen anwendbar ist, vorausgesetzt dass sie (i) nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurden, (ii) einen Erwerbszweck verfolgen und (iii) ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Europäischen Union haben(21). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs dient der Ort des satzungsmäßigen Sitzes, der Hauptverwaltung oder der Hauptniederlassung der juristischen Person ebenso wie die Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen dazu, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staats zu bestimmen(22).

37.      Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts ergibt sich, dass die Schule, die in Litauen nach litauischem Recht ihren Sitz hat, im Sinne von Art. 49 AEUV als litauische juristische Person anzusehen ist. Daher handelt es sich hier auf den ersten Blick offenbar um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt (eine litauische juristische Person, die in Litauen niedergelassen ist), der im Prinzip nicht unter diesen Artikel fällt(23).

38.      Meines Erachtens kann das Element der Beteiligung an der Schule und der Kontrolle über sie jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Ich bin vielmehr der Auffassung, dass die Frage, ob die Niederlassungsfreiheit vorliegend greift, auch aus der Sicht derjenigen Unionsbürger zu untersuchen ist, die Anteile an der Schule halten.

39.      Insofern weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass eine Situation, in der ein Angehöriger eines Mitgliedstaats eine Beteiligung am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft erwirbt, die es ihm ermöglicht, einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, unter Art. 49 AEUV fällt. Entsprechend hat der Gerichtshof anerkannt, dass, auch wenn die betreffende Partei des Ausgangsverfahrens ein inländisches Unternehmen ist, im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit entscheidungserheblich sein könnte, dass ihr Hauptaktionär die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Union besitzt(24).

40.      In Anbetracht der vorliegenden Informationen ist es hier anscheinend so, dass die Unionsbürger (Staatsangehörige Finnlands und Dänemarks), die zusammen einen Anteil von 74,98 % an der Schule halten, einen solchen bestimmenden Einfluss auf deren Entscheidungen, Führung und Betrieb ausüben. Es ist somit davon auszugehen, dass sie ihr Recht auf „Gründung und Leitung [eines Unternehmens]“ (nämlich der Schule) im Sinne von Art. 49 Abs. 2 AEUV als Hauptniederlassung ausüben. Eine nationale Maßnahme, die den Betrieb der Schule betrifft, wie z. B. die Sprachanforderung, könnte sich zweifelsohne auf die Ausübung dieses Rechts auswirken. Meines Erachtens stellt eine solche Auswirkung auf die Unionsbürger, die Anteile an der Schule halten, ein relevantes grenzüberschreitendes Element dar, so dass der in Rede stehende Sachverhalt nicht als rein innerstaatlich betrachtet werden kann.

3.      Anwendung von Art. 49 AEUV

41.      Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen bleibt festzustellen, ob die Sprachanforderung eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt und, wenn ja, ob eine solche Beschränkung gerechtfertigt ist.

a)      Zum Vorliegen einer Beschränkung

42.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen, selbst wenn sie ohne Diskriminierung angewandt werden(25).

43.      In der vorliegenden Rechtssache begrenzt die Sprachanforderung eindeutig den Kreis möglicher Kandidaten, da sie – wie das vorlegende Gericht klargestellt hat – bereits bei der Einstellung und unabhängig von der Dauer des Arbeitsvertrags Kenntnisse der litauischen Sprache auf mittlerem Leistungsniveau verlangt. Nach meinem Dafürhalten erschwert diese Anforderung es daher und macht es weniger attraktiv, in Litauen eine Einrichtung, die englischsprachige Programme anbietet, zu gründen, mit Personal auszustatten und zu betreiben. Somit ist die Sprachforderung als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 AEUV anzusehen.

b)      Zur Rechtfertigung der Beschränkung

44.      Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gleichwohl zulässig, wenn sie aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig ist(26).

1)      Zum Bestehen eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses

45.      Das vorlegende Gericht hat zwar nicht ausdrücklich die Zielsetzung genannt, die von der nationalen Regelung verfolgt wird, die die Sprachanforderung auferlegt. Der Vorlageentscheidung ist jedoch (vorbehaltlich der Bestätigung durch das vorlegende Gericht) zu entnehmen, dass es sich dabei um die Förderung und den Schutz der Amtssprache Litauens handelt.

46.      Hierzu sei nur daran erinnert, dass der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung (insbesondere im Bildungsbereich) anerkannt hat, dass die Förderung und der Schutz der Amtssprache eines Mitgliedstaats als Ausdruck seiner nationalen Identität ein legitimes Ziel und ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist, der grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der im AEU‑Vertrag verankerten Grundfreiheiten, einschließlich der Niederlassungsfreiheit, zu rechtfertigen(27).

47.      Ferner ist zu berücksichtigen, dass die einschlägigen nationalen Vorschriften die Sprachanforderung insbesondere Arbeitnehmern auferlegen, die in Einrichtungen beschäftigt sind, die Dienstleistungen für die Bevölkerung (etwa in den Bereichen Bildung und Gesundheit) erbringen, sofern diese Arbeitnehmer regelmäßig mit der Öffentlichkeit kommunizieren oder Standardformulare ausfüllen müssen. Dies deutet meiner Ansicht nach darauf hin, dass es bei der Maßnahme nicht in erster Linie darum geht, ob die Arbeitnehmer selbst die Staatssprache als solche nutzen, sondern darum, sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit, mit der sie im Austausch stehen, die entsprechenden Dienstleistungen in dieser Sprache in Anspruch nehmen kann und dass die betreffenden Einrichtungen in der Lage sind, ihre Aufgaben wirksam wahrzunehmen. Dieser spezielle funktionsbezogene Grund, der die praktische Bedeutung der Nutzung der Staatssprache betont, bestärkt meiner Meinung nach die Rechtmäßigkeit des verfolgten Ziels und stützt die Rechtfertigung der Beschränkung.

2)      Zur Verhältnismäßigkeit der Beschränkung

48.      Dessen ungeachtet muss jegliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein. Das bedeutet, dass die nationale Maßnahme geeignet sein muss, die Erreichung der verfolgten Zielsetzung in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was hierzu erforderlich ist. Darüber hinaus muss die nationale Maßnahme verhältnismäßig im engeren Sinne sein, d. h., sie muss die betroffenen Interessen, namentlich die Interessen, die der Staat mit der betreffenden Maßnahme verfolgt, und die Interessen der beschwerten Menschen, in einen gerechten Ausgleich bringen(28).

49.      Es ist letztlich Sache der nationalen Gerichte, zu beurteilen, ob eine nationale Maßnahme diesen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt, da sie am besten in der Lage sind, die entsprechenden rechtlichen und tatsächlichen Aspekte abzuwägen. Dies gilt insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in denen es um die Verwendung der Amtssprache eines Mitgliedstaats als Ausdruck seiner nationalen Identität geht(29). Gleichwohl ist der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem vorlegenden Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, befugt, dem nationalen Gericht Hinweise zu geben. Zu diesem Zweck werde ich einige Erwägungen zu jedem der drei Aspekte der Verhältnismäßigkeit anstellen.

i)      Eignung

50.      Was zunächst den Aspekt der Eignung betrifft, so ist zu prüfen, ob die Sprachanforderung überhaupt dazu dienen kann, die Verwendung der Staatssprache im besonderen Kontext des Kontakts mit Behörden oder der Öffentlichkeit im Allgemeinen zu schützen und zu fördern.

51.      Meiner Auffassung nach wird dieses Kriterium im Hinblick auf das Verwaltungspersonal der Schule (insbesondere die Schulleiterin und die für das Bildungsprogramm zuständige stellvertretende Leiterin, auf die sich die angefochtene Anordnung bezieht(30)) zweifellos erfüllt. Deren Rollen erfordern notwendigerweise die Kommunikation mit Behörden sowie den Eltern derzeitiger oder künftiger Schüler. Zudem müssen sie die Einhaltung etwaiger Rechtspflichten sicherstellen.

52.      Im Hinblick auf das Lehrpersonal der Schule, dessen Aufgabe in der Erteilung von Unterricht in englischer Sprache besteht, ist eine solche Schlussfolgerung weniger naheliegend. Wie der Gerichtshof jedoch bereits festgestellt hat(31), erschöpft sich die Rolle von Lehrkräften nicht im Unterrichten. Gegebenenfalls bieten Lehrkräfte Schülern auch Orientierungshilfe und Unterstützung (wofür eine gewisse Kenntnis von deren Muttersprache vorteilhaft ist). Hinzu kommt der Umgang mit den Eltern der Schüler (die möglicherweise kein Englisch sprechen, obwohl ihre Kinder an einem englischsprachigen Programm teilnehmen). Zudem müssen Lehrkräfte, um die Sicherheit der ihnen anvertrauten Schüler zu gewährleisten, bei Notfällen gegebenenfalls mit litauischen Notfalldiensten kommunizieren. Insofern stellt die Sprachanforderung sowohl für die Lehrkräfte als auch für das Verwaltungspersonal der Schule eine geeignete Maßnahme dar, um das verfolgte Ziel zu erreichen.

53.      Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale Maßnahme nur dann als geeignet angesehen werden kann, die Erreichung eines Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es zu erreichen, und wenn sie in kohärenter und systematischer Weise durchgeführt wird(32). Die vorliegenden Informationen enthalten keinerlei Hinweis darauf, dass die betreffende Maßnahme dem Anliegen nicht gerecht wird oder dass die Sprachanforderung nicht kohärent umgesetzt wird. Aus der Akte ergibt sich vielmehr, dass die Anforderung offenbar umfassend und kohärent angewandt wird, und zwar nicht nur auf alle Schulen in Litauen, sondern allgemein auf alle Rollen, die in Einrichtungen, die Dienstleistungen für die Bevölkerung erbringen, Kommunikation mit der Öffentlichkeit (sowie das Ausfüllen von Standardformularen) erfordern.

ii)    Notwendigkeit

54.      Ich wende mich nunmehr dem Kriterium der Notwendigkeit zu. Dies erfordert die Prüfung, ob das verfolgte Ziel auch mit weniger einschränkenden Maßnahmen ebenso wirksam erreicht werden könnte. Wie ich weiter unten erläutern werde, sind sicherlich auch Alternativen denkbar, die gegenüber der weit gefassten Sprachanforderung weniger belastend sind, doch würden diese im Wesentlichen darin bestehen, Ausnahmen von der generellen Verwendung der Staatssprache einzuführen, die in der nationalen Regelung vorgesehen ist. Im Ergebnis würden diese Alternativen streng genommen nicht das gleiche Maß an Wirksamkeit bei der Erreichung des verfolgten Ziels bieten. Ich bin daher der Auffassung, dass die Sprachanforderung das „Notwendigkeitskriterium“ erfüllt.

55.      Ein Punkt, der dieses Kriterium meiner Meinung nach jedoch nicht erfüllt, ist die Art und Weise, auf die die Erfüllung der Sprachanforderung nachzuweisen ist. Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, ist eine Bescheinigung über das erfolgreiche Ablegen einer bestimmten staatlichen Prüfung der einzige akzeptable Nachweis für die Beherrschung des Litauischen auf der Niveaustufe B1. Meiner Ansicht nach könnte das angestrebte Ziel ebenso erreicht werden, wenn die Kenntnis der Staatssprache auf andere Weise nachgewiesen werden könnte. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, muss es nämlich als unverhältnismäßig angesehen werden, wenn es unmöglich ist, den Nachweis der erforderlichen Sprachkenntnisse auf andere Weise zu erbringen, wie etwa durch in anderen Mitgliedstaaten erlangte gleichwertige Qualifikationen(33).

iii) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne

56.      Was die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne betrifft, so ist zu prüfen, ob die nationale Regelung, die die Sprachanforderung auferlegt, einen gerechten Ausgleich zwischen dem Ziel, die Staatssprache zu fördern und zu schützen, und der Achtung der unionsrechtlich geschützten Rechte, die von dieser Anforderung betroffen sind, schafft.

57.      Zu diesem Punkt hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Mitgliedstaaten zwar über einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Wahl der zur Erreichung der Ziele ihrer Politik zum Schutz der Amtssprache geeigneten Maßnahmen verfügen (da eine solche Politik Ausdruck der nationalen Identität im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV ist), dieser Beurteilungsspielraum es jedoch nicht rechtfertigen kann, dass die Rechte, die der Einzelne aus den Bestimmungen der Verträge herleiten kann, in denen seine Grundfreiheiten verankert sind, in schwerwiegender Weise beeinträchtigt werden(34).

58.      Für die Erörterung dieses Punkts sei darauf hingewiesen, dass die Sprachanforderung eine Kenntnis der Staatssprache auf der mittleren Niveaustufe (B1) verlangt. Dieses Niveau geht zwar über Grundkenntnisse hinaus, entspricht jedoch nicht einem verhandlungssicheren Niveau. Wie bereits ausgeführt, gilt diese Anforderung im Übrigen nur für Angestellte, die in regelmäßigem Kontakt mit der Öffentlichkeit stehen oder Standardformulare auszufüllen haben. Wie das vorlegende Gericht betont hat, gilt diese Anforderung jedoch für solche Angestellte ohne Ausnahme.

59.      Was das Lehrpersonal der Schule betrifft, scheint mir eine derart pauschale Anforderung, die von allen Lehrkräften, die in englischer Sprache unterrichten, verlangt, die Staatssprache auf der Niveaustufe B1 zu beherrschen, keinen gerechten Ausgleich zwischen dem angestrebten Ziel und der auferlegten Belastung zu schaffen. Zunächst einmal ist der Beitrag zu dem im berechtigten öffentlichen Interesse liegenden Ziel aus meiner Sicht begrenzt, wenn es um eine private Einrichtung geht, deren Zweck eben gerade darin besteht, in englischer Sprache zu unterrichten – eine Möglichkeit, die das nationale Recht ausdrücklich einräumt und die von den Schülern (oder vielmehr ihren Eltern) bewusst gewählt wird(35). Zwar kann es im Licht der oben in Nr. 52 angestellten Erwägungen auch in solch einem Zusammenhang vertretbar sein, von Lehrkräften bestimmte Kenntnisse in der Staatssprache zu verlangen. Meiner Auffassung nach müssen diese Kenntnisse jedoch nicht unbedingt der Niveaustufe B1 entsprechen oder ohne Ausnahme auferlegt werden.

60.      Da keinerlei Ausnahmen vorgesehen sind, scheint die Sprachanforderung weit über das Ziel hinauszuschießen, denn sie verlangt – ungeachtet der Unterrichtssprache und der Dauer des Arbeitsvertrags der betreffenden Lehrkraft – bereits bei der Einstellung Kenntnisse der litauischen Sprache auf mittlerem Leistungsniveau(36). Aus meiner Sicht stellt dies ein erhebliches Hindernis für die Anwerbung entsprechend qualifizierter Kräfte dar und untergräbt damit ernsthaft die Niederlassungsfreiheit(37). Meiner Ansicht nach sind Ausnahmen von der pauschalen Anforderung denkbar, die, ohne das angestrebte Ziel zu gefährden, die Auswirkungen auf die Schule und ihre Lehrkräfte (und damit auch für ihre Schüler) abmildern. Diese könnten beispielsweise darin bestehen, ein niedrigeres Sprachniveau zu verlangen, eine stufenweise Erfüllung der Anforderungen oder eine Übergangsfrist nach der Einstellung zuzulassen, um das geforderte Niveau zu erreichen, die Anforderung an die voraussichtliche Dauer der Beschäftigung der Lehrkraft in Litauen zu knüpfen, fallweise Ausnahmen zuzulassen, wenn kein anderer qualifizierter Bewerber zur Verfügung steht(38), oder die Anforderung nur für eine bestimmte Personalquote vorzuschreiben, sofern die Einrichtung als Ganzes weiterhin in der Lage ist, ihre rechtlichen und administrativen Pflichten zu erfüllen.

61.      Was die Verwaltungskräfte anbelangt, so könnte der Ausgleich in Anbetracht der Tatsache, dass sich deren Aufgaben grundlegend von denen der Lehrkräfte unterscheiden, meines Erachtens anders ausfallen. Einerseits kann die Rolle des Verwaltungspersonals (insbesondere der Schulleiterin und der für das Bildungsprogramm zuständigen stellvertretenden Leiterin, auf die sich die angefochtene Anordnung bezieht), wie oben in Nr. 51 ausgeführt, so verstanden werden, dass sie in erster Linie die Kommunikation mit den Eltern und anderen externen Akteuren sowie die Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden zur Erfüllung rechtlicher und administrativer Pflichten erfordert. Diese beiden speziellen Positionen sind sozusagen das „Aushängeschild“ der Schule. Im Zusammenhang mit dem angestrebten Ziel erscheint es daher vertretbar und notwendig, Kenntnisse der Staatssprache auf mittlerem Leistungsniveau zu verlangen.

62.      Andererseits sind die Auswirkungen auf die Niederlassungsfreiheit nach meinem Dafürhalten nicht so gravierend wie bei den Lehrkräften. Zumindest unter dem Gesichtspunkt der Personalbeschaffung erscheint es mir nämlich schwieriger, Lehrkräfte zu finden, die qualifiziert sind, bestimmte internationale Lehrpläne in englischer Sprache zu unterrichten, und gleichzeitig über Kenntnisse der litauischen Sprache auf der Niveaustufe B1 verfügen, als geeignetes Verwaltungspersonal mit mittleren Litauischkenntnissen zu finden, dessen Aufgabe keine spezielle Lehrbefähigung und wohl auch keine ausgezeichneten Englischkenntnisse erfordert. Im Übrigen kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass die speziellen Positionen des Leiters und des stellvertretenden Leiters auf längere Dauer angelegt sind, so dass der Erwerb mittlerer Kenntnisse der Staatssprache machbar und nicht ungebührlich belastend erscheint.

63.      In Anbetracht des Vorstehenden sowie eingedenk der Tatsache, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme unter den konkreten Umständen der vorliegenden Rechtssache zu prüfen, schlage ich dem Gerichtshof vor, die ersten beiden Fragen dahin zu beantworten, dass Art. 49 AEUV einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die verlangt, dass die Lehrkräfte und das Verwaltungspersonal einer privaten Bildungseinrichtung, die englischsprachige Programme anbietet, über mittlere Kenntnisse der Staatssprache verfügen, sofern diese Regelung durch das Ziel, diese Sprache zu fördern und zu schützen, gerechtfertigt ist und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist, während sie gleichzeitig einen gerechten Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen schafft.

C.      Vereinbarkeit der Sprachanforderung mit Art. 53 der Anerkennungsrichtlinie (Frage 3)

64.      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 53 der Anerkennungsrichtlinie eine Sprachanforderung wie die in Rede stehende ausschließt, die ohne Ausnahme für alle Lehrkräfte einer privaten Bildungseinrichtung gilt, die nur englischsprachige Programme anbietet.

65.      Die Anerkennungsrichtlinie enthält Regelungen für die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen zwischen den Mitgliedstaaten und soll die Freizügigkeit selbständiger sowie (von besonderer Relevanz bei den Lehrkräften der Schule) angestellter Berufsangehöriger innerhalb der Union erleichtern. Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie gelten ihre Bestimmungen für alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die einen reglementierten Beruf in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie ihre Berufsqualifikationen erworben haben, ausüben wollen.

66.      Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, ist der Lehrberuf in Litauen ein reglementierter Beruf. Die Anerkennungsrichtlinie könnte daher in der vorliegenden Rechtssache entscheidungserheblich sein, wenn auch nur in Bezug auf die wenigen unter den 18 Angestellten der Schule, auf die sich die angefochtene Anordnung bezieht und die sowohl Lehrkräfte als auch Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats der Union sind. Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch nicht hervor, ob diese Personen ihre Berufsqualifikationen in einem anderen Mitgliedstaat (als Litauen) erworben haben(39) und daher gemäß Art. 2 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie in deren Anwendungsbereich fallen. Unter dem Vorbehalt, dass das vorlegende Gericht die Richtigkeit dieser Annahme bestätigt, gehe ich im Weiteren gleichwohl davon aus, dass der vorliegende Sachverhalt tatsächlich teilweise in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

67.      Ich weise zunächst darauf hin, dass Art. 53 der Anerkennungsrichtlinie es grundsätzlich gestattet, dass Berufsangehörigen die Anforderung auferlegt wird, über die Sprachkenntnisse zu verfügen, „die für die Ausübung ihrer [regulierten] Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat erforderlich sind“. Der Gerichtshof hat bereits ausdrücklich festgestellt, dass die Anforderung, über angemessene Kenntnisse der Staatssprache zu verfügen, in Anbetracht der Besonderheit der Stelle eines Lehrers als notwendig anzusehen ist, auch wenn dieser in einer anderen Sprache unterrichtet(40). Wie in Nr. 52 dieser Schlussanträge ausgeführt, ist die Rolle des Lehrers nämlich nicht strikt auf seinen Unterricht beschränkt, so dass er gegebenenfalls auch in einer anderen Sprache als der Unterrichtssprache kommunizieren muss. Folglich ist die Sprachanforderung grundsätzlich als nach Art. 53 der Anerkennungsrichtlinie zulässig anzusehen.

68.      Gleichwohl muss Art. 53 auf eine Weise ausgelegt werden, die mit den im AEU‑Vertrag verankerten Grundfreiheiten vereinbar ist. Wie sowohl die Kommission als auch die niederländische Regierung zutreffend hervorgehoben haben, dürfen nach Art. 53 zulässige Sprachanforderungen nicht die in Art. 45 AEUV vorgesehene Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigen.

69.      Meines Erachtens würde die Prüfung der Sprachanforderung im Licht von Art. 45 AEUV weitgehend der oben in Bezug auf Art. 49 AEUV durchgeführten Prüfung entsprechen.

70.      Im Interesse der Prozessökonomie beschränke ich mich auf den kurzen Hinweis, dass die Sprachanforderung meiner Auffassung nach als Beschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und damit wohl als eine Art mittelbarer Diskriminierung anzusehen ist. Sie gilt zwar gleichermaßen für litauische Staatsangehörige und Wanderarbeitnehmer, Letztere sind jedoch naturgemäß stärker betroffen als Erstere, da die Sprachanforderung von inländischen Arbeitnehmern leichter erfüllt werden kann. Insofern sind Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt(41). Eine solche Beschränkung könnte unter Umständen jedoch durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, wie beispielsweise den Schutz und die Förderung der Staatssprache, vorausgesetzt, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet wird. Letztlich wäre es Sache des vorlegenden Gerichts, eine konkrete Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, für die meines Erachtens die oben in den Nrn. 48 ff. dargelegten Erwägungen zur Niederlassungsfreiheit entsprechend gelten würden.

71.      In Anbetracht des Vorstehenden schlage ich dem Gerichtshof vor, die dritte Frage dahin zu beantworten, dass nach Art. 53 der Anerkennungsrichtlinie eine Anforderung wie die in Rede stehende, die verlangt, dass die Lehrkräfte einer privaten Bildungseinrichtung, die englischsprachige Programme anbietet, über mittlere Kenntnisse der Staatssprache verfügen, zulässig ist, sofern diese Regelung durch das Ziel, diese Sprache zu fördern und zu schützen, gerechtfertigt ist und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist, während sie gleichzeitig einen gerechten Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen schafft.

72.      Dessen ungeachtet und der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass Art. 53 Abs. 3 und 4 der Anerkennungsrichtlinie (bei Auslegung im Licht des 26. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2013/55/EU(42), durch die diese Bestimmungen in die Anerkennungsrichtlinie eingefügt wurden) einer systematischen Überprüfung der Sprachkenntnisse von Berufsangehörigen entgegensteht. Derartige Überprüfungen sind nur dann zulässig, wenn „erhebliche und konkrete Zweifel“ daran bestehen, dass der Berufsangehörige über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt, und sie müssen in einem angemessenen Verhältnis zur ausgeübten Tätigkeit stehen.

V.      Ergebnis

73.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 49 AEUV steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die verlangt, dass die Lehrkräfte und das Verwaltungspersonal einer privaten Bildungseinrichtung, die englischsprachige Programme anbietet, über mittlere Kenntnisse der Staatssprache verfügen, sofern diese Regelung durch das Ziel, diese Sprache zu fördern und zu schützen, gerechtfertigt ist und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist, während sie gleichzeitig einen gerechten Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen schafft.

2.      Nach Art. 53 der Anerkennungsrichtlinie ist eine Anforderung wie die in Rede stehende, die verlangt, dass die Lehrkräfte einer privaten Bildungseinrichtung, die englischsprachige Programme anbietet, über mittlere Kenntnisse der Staatssprache verfügen, zulässig, sofern diese Regelung durch das Ziel, diese Sprache zu fördern und zu schützen, gerechtfertigt ist und sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist, während sie gleichzeitig einen gerechten Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen schafft.












































Leave a Comment

Schreibe einen Kommentar