C-397/23 – Jobcenter Arbeitplus Bielefeld

C-397/23 – Jobcenter Arbeitplus Bielefeld

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:96

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 13. Februar 2025(1)

Rechtssache C397/23

FL

gegen

Jobcenter Arbeitplus Bielefeld,

Beigeladene:

Stadt Bielefeld

(Vorabentscheidungsersuchen des Sozialgerichts Detmold [Deutschland])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit – Unionsbürger, der als Arbeitsuchender über ein Aufenthaltsrecht verfügt – Art. 18 AEUV – Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 24 – Grundsatz der Gleichbehandlung – Ausnahmeregelung im Bereich der Sozialhilfe – Umfang – Gewährung einer nationalen Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Ausübung der Personensorge für ein minderjähriges Kind – Unterscheidung je nach der Staatsangehörigkeit des Kindes “

I.      Einleitung

1.        Das Vorabentscheidungsersuchen des Sozialgerichts Detmold (Deutschland) ergeht in einem Rechtsstreit zwischen FL und dem Jobcenter Arbeitplus Bielefeld (Deutschland)(2), das FL die Gewährung von Leistungen der sozialen Grundsicherung nach den deutschen Rechtsvorschriften verweigert hat. Soweit  diese Entscheidung mit dem Titel begründet wird, aufgrund dessen FL sich rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhält, wendet FL, um die Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können, sich dagegen, dass ihm ein in diesen Vorschriften vorgesehenes Aufenthaltsrecht, das auf der Ausübung der Personensorge für sein Kind beruht, nur deshalb nicht gewährt werden kann, weil das Kind kein Deutscher ist.

2.        Anders als bei früheren Vorlagen im Bereich der von einem „mobilen“ Unionsbürger(3) beanspruchten Sozialhilfeleistungen geht es bei der dem Gerichtshof vorgelegten neuen Frage um eine Ungleichbehandlung bei den Voraussetzungen für die Gewährung eines nationalen Aufenthaltsrechts, nicht aber um dessen finanzielle Folgen im Vergleich zu Inländern.

3.        Der Gerichtshof soll sich nämlich zur Unionsrechtskonformität einer Regelung über ein nationales Aufenthaltsrecht äußern, das für einen „mobilen“ Unionsbürger deshalb nicht gilt, weil sein Kind nicht die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats besitzt, wobei die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Rechts in die Zuständigkeit dieses Staates fallen.

4.        Die Umstände des Ausgangsverfahrens geben dem Gerichtshof somit Gelegenheit, den Anwendungsbereich des die Gleichbehandlung betreffenden Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG(4) im Hinblick auf seine jüngste Rechtsprechung zur Situation „mobiler“ Unionsbürger zu präzisieren, denen ein Aufenthaltsrecht auf der Grundlage einer nationalen Regelung zusteht, die sie davon befreit, den in dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen in Bezug auf Existenzmittel genügen zu müssen(5).

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

5.        Art. 18 Abs. 1 AEUV sieht vor:

„Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“

6.        Art. 14 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt in den Abs. 2 und 4:

„(2)      Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen.

(4)      Abweichend von den Absätzen 1 und 2 und unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels VI darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn

b)      die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.“

7.        In Art. 24 („Gleichbehandlung“) dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. …

(2)      Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b) einen Anspruch auf Sozialhilfe … zu gewähren.“

8.        Art. 37 („Günstigere innerstaatliche Rechtsvorschriften“) der Richtlinie lautet:

„Diese Richtlinie lässt Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die für die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Personen günstiger sind, unberührt.“

B.      Deutsches Recht

1.      Aufenthalt

9.        § 28 („Familiennachzug zu Deutschen“) des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet(6) vom 30. Juli 2004(7) (im Folgenden: AufenthG) sieht in Abs. 1 vor:

„Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.      Ehegatten eines Deutschen,

2.      minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,

3.      Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge

zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. …“

10.      § 11 Abs. 14 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern(8) vom 30. Juli 2004(9) (im Folgenden: FreizügG/EU) bestimmt:

„Das [AufenthG] findet auch dann Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als dieses Gesetz. …“

2.      Sozialleistungen

11.      § 7 („Leistungsberechtigte“) des Sozialgesetzbuchs (Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende(10))(11) (im Folgenden: SGB II) bestimmt in Abs. 1:

„Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.      das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,

2.      erwerbsfähig sind,

3.      hilfebedürftig sind und

4.      ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Ausgenommen sind

1.      Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des [FreizügG/EU] freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2.      Ausländerinnen und Ausländer,

a)      die kein Aufenthaltsrecht haben,

b)      deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt …

und ihre Familienangehörigen,

… Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben …“

3.      Sozialhilfe

12.      § 23 („Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer“) des Sozialgesetzbuchs (Zwölftes Buch – Sozialhilfe)(12) (im Folgenden: SGB XII) sieht vor:

„(1)      Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(3)      Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1.      sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des [FreizügG/EU] freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2.      sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,

4.      sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.

… Abweichend von Satz 1 Nummer 2 und 3 erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten …“

III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefrage

13.      Der Kläger des Ausgangsverfahrens, FL, ein polnischer Staatsbürger, reiste am 30. Mai 2020 gemeinsam mit seiner „nichtehelichen Lebensgefährtin“(13), die ebenfalls die polnische Staatsangehörigkeit hat, aus den Niederlanden nach Deutschland ein. Die Lebensgefährtin hatte sich kurzzeitig in den Niederlanden aufgehalten; sie wohnte aber seit dem 30. August 2015 in Deutschland, wohin sie aus Polen eingereist war.

14.      Ihr gemeinsames Kind wurde am 27. November 2020 in Deutschland geboren; es besitzt ebenfalls die polnische Staatsangehörigkeit.

15.      FL, seine Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind beantragten beim Jobcenter Bielefeld Leistungen der sozialen Grundsicherung nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 3. und 21. Dezember 2020 gab dieses dem Antrag der Lebensgefährtin von FL für die Zeit ab dem 30. Mai 2020 und hinsichtlich des Kindes für die Zeit ab dem Tag seiner Geburt statt. Hingegen wurde der Antrag von FL mit Bescheid vom 21. April 2021 für den Zeitraum vom 30. Mai 2020 bis zum 28. Februar 2021 mit der Begründung abgelehnt, ihm stehe ein Aufenthaltsrecht nur zum Zweck der Arbeitsuche zu; es sei kein anderes Aufenthaltsrecht gegeben, aus dem er einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II herleiten könnte.

16.      Mit Bescheid vom 19. Juli 2021 wies das Jobcenter Bielefeld den Widerspruch von FL im Wesentlichen aus den gleichen Gründen als unbegründet zurück. Insbesondere befand das Jobcenter Bielefeld, dass FL kein Aufenthaltsrecht geltend machen könne, und zwar weder

–        nach nationalem Recht als Familienangehöriger oder nahestehende Person seiner daueraufenthaltsberechtigten Lebensgefährtin,

–        noch wegen Ausübung der Personensorge für sein minderjähriges Kind(14), da dieses nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitze,

–        noch aufgrund des Urteils vom 6. Oktober 2020, Jobcenter Krefeld(15), und der Verordnung (EU) Nr. 492/2011(16), weil das Kind von FL nicht schulpflichtig sei.

17.      Nach Ansicht des Jobcenters Bielefeld ist § 28 AufenthG auch nicht im Hinblick auf Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004(17) unionsrechtlich dahin auszulegen, dass dem ledigen Vater eines nicht schulpflichtigen Unionsbürgers ein Aufenthaltsrecht zustehen müsse.

18.      Im Übrigen werde allein dadurch, dass der ledige Vater keinerlei Leistungen der sozialen Grundsicherung nach dem SGB II erhalte, das Recht seiner Lebensgefährtin auf Freizügigkeit und Aufenthalt nicht tatsächlich unmöglich gemacht.

19.      Gegen diesen Bescheid erhob FL am 12. August 2021 beim vorlegenden Gericht Klage. Er ist im Wesentlichen der Ansicht, dass sich ein Aufenthaltsrecht aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland(18) und Art. 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(19) ergebe. Eine Beschränkung des Rechts auf Familiennachzug zur Personensorge auf „Deutsche“ sei unionsrechtswidrig. Dies stelle eine unangemessene Benachteiligung und eine Beschränkung der Freizügigkeit dar(20).

20.      Das Jobcenter Bielefeld und das Amt für soziale Leistungen (Sozialamt) der Stadt Bielefeld (Deutschland) als Beigeladener entgegneten, ein Aufenthaltsrecht könne nicht aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG folgen, da dieser seinem Wortlaut nach nur auf „Deutsche“ und nicht auf „Unionsbürger“ anwendbar sei. Dem nationalen Einwanderungs- und Aufenthaltsrecht sei immanent, dass eine Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „Ausländern“ stattfinde. Diese Regelung verstoße nicht gegen Unionsrecht.

21.      Das vorlegende Gericht führt aus, in der obergerichtlichen Rechtsprechung sei umstritten, ob es eine Diskriminierung darstelle, wenn einem Unionsbürger, dem das Sorgerecht für ein minderjähriges im Bundesgebiet wohnhaftes freizügigkeitsberechtigtes Kind mit Staatsbürgerschaft eines anderen Mitgliedstaats zustehe, keine Aufenthaltserlaubnis gewährt werde.

22.      Das vorlegende Gericht fügt hinzu, das Bundesverfassungsgericht (Deutschland) habe in einem Beschluss vom 4. Oktober 2019(21) erwähnt, dass es in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte und in der Literatur umstritten sei, ob § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in der bis zum 23. November 2020 geltenden Fassung(22) in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV dem Elternteil, dem das Sorgerecht für einen wegen der Begleitung des anderen Elternteils gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürger zustehe, ein Aufenthaltsrecht vermitteln könne.

23.      Mangels einer einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidung hält es das vorlegende Gericht für geboten, sich an den Gerichtshof zu wenden, damit er über die Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 18, Art. 20 und Art. 21 Abs. 2 AEUV sowie Art. 33 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(23), mit der Verordnung (EG) Nr. 987/2009(24) und mit der Richtlinie 2004/38, befinden könne.

24.      Unter diesen Umständen hat das Sozialgericht Detmold beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist das Unionsrecht dahin gehend auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach eine Aufenthaltserlaubnis im Rahmen der Personensorge lediglich dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen inländischen Kindes zu erteilen ist, wenn dieses seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, was zur Folge hat, dass Unionsbürger eines Mitgliedstaats einen solchen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Ausübung der Personensorge bei einem minderjährigen Unionsbürger mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats als der des Inlandsstaats nicht haben?

25.      Die Europäische Kommission hat schriftliche Erklärungen eingereicht und ebenso wie die deutsche Regierung an der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2024 teilgenommen, in der beide auch auf die vom Gerichtshof zur mündlichen Beantwortung gestellten Fragen geantwortet haben.

IV.    Würdigung

26.      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es mit dem Unionsrecht und – in Anbetracht der Begründung seiner Vorlage – insbesondere mit Art. 18 AEUV und Art. 33 Abs. 1 der Charta sowie mit der Richtlinie 2004/38 vereinbar ist, wenn die nationale Regelung eines Mitgliedstaats es ausschließt, dass einem „mobilen“ Unionsbürger, der Elternteil eines minderjährigen ledigen Kindes ist, das nicht die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats besitzt, in dem es seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge erteilt wird.

27.      Diese nationale Regelung, die es einem Mitgliedstaat erlaubt, günstigere aufenthaltsrechtliche Bestimmungen zu erlassen, als sie im Unionsrecht vorgesehen sind(25), fällt unter Art. 37 der Richtlinie 2004/38.

28.      Sie erleichtert die Familienzusammenführung zur Ausübung der Personensorge für ein deutsches Kind durch seinen ausländischen Elternteil(26). Mangels eines Vorbehalts für Kinder, die ebenfalls Unionsbürger sind, bewirkt diese Regelung eine nach dem Unionsrecht verbotene Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz gehört dabei zu den tragenden Grundsätzen des Unionsrechts(27).

29.      Denn nach ständiger Rechtsprechung, die im Urteil CG in den Rn. 62, 63 und 65(28) aufgegriffen wird,

–        verleiht Art. 20 Abs. 1 AEUV jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, den Status eines Unionsbürgers. Dieser ist dazu bestimmt, der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, im sachlichen Anwendungsbereich des AEU‑Vertrags unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen.

–        Deshalb kann sich jeder Unionsbürger in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 18 AEUV berufen. Zu diesen Situationen gehören diejenigen, die die Ausübung der durch Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a AEUV und Art. 21 AEUV verliehenen Freiheit betreffen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten(29).

–        Art. 18 Abs. 1 AEUV soll eigenständig nur bei unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen zur Anwendung kommen, für die der AEU‑Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht. Außerdem sehen Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 21 AEUV mit ähnlichen Formulierungen vor, dass das Recht der Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen besteht.

30.      Im Urteil CG hat der Gerichtshof in Rn. 66 auch entschieden, dass „das Diskriminierungsverbot für Unionsbürger, die von ihrer Freiheit Gebrauch machen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in Art. 24 der Richtlinie 2004/38 eine konkrete Ausprägung erfahren [hat]“.

31.      Hierzu hat der Gerichtshof in Rn. 67 dieses Urteils im Wesentlichen ausgeführt, dass „mobile“ Unionsbürger(30) in den Geltungsbereich der Richtlinie 2004/38 fallen und ihnen die durch diese gewährten Rechte zustehen, und entschieden, dass für die Beurteilung der Frage, ob solche Bürger aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert werden, nicht Art. 18 Abs. 1 AEUV, sondern Art. 24 dieser Richtlinie maßgeblich ist.

32.      Ich stelle fest, dass es im Rahmen dieses Teils der Begründung des Urteils CG keine Rolle spielt, ob das Aufenthaltsrecht in nationalen Bestimmungen vorgesehen ist, die günstiger sind als die Bestimmungen der Richtlinie 2004/38, obwohl der Betroffenen in jenem Fall ein nationales Aufenthaltsrecht zustand und Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 die Ausprägung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auf Unionsbürger beschränkt, die sich aufgrund dieser Richtlinie im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten(31).

33.      Da sich FL im vorliegenden Fall als Arbeitsuchender(32) rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhält, erscheint es also auf den ersten Blick kohärent, wie die Kommission geltend macht, auf Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 abzustellen und dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass der darin vorgesehene Grundsatz der Gleichbehandlung einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Ungleichbehandlung gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bewirkt, und zwar im Wesentlichen deshalb, weil diese Regelung die tatsächliche Ausübung des Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, beeinträchtigt.

34.      Was das Kind von FL angeht, so ist außerdem festzustellen: Die Tatsache, dass es im deutschen Hoheitsgebiet geboren wurde und vom Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, ist für die Ausübung seiner Rechte auf Freizügigkeit und Aufenthalt als Unionsbürger irrelevant(33).

35.      Jedoch bezweifle ich, dass Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 im vorliegenden Fall überhaupt anwendbar ist. Daher werde ich, nachdem ich meine Bedenken dargelegt habe, aufzeigen, welche Rechtsgrundlagen meiner Meinung nach herangezogen werden sollten.

A.      Anwendung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38

36.      Die Wahl einer solchen Grundlage, die einen Vergleich mit Inländern erfordert, beruht, wie die Kommission darlegt, auf zwei unterschiedlichen Ansatzpunkten für die fragliche Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit des Kindes, je nachdem, ob man sie aus der Perspektive des Kindes oder aus der Perspektive des ausländischen Elternteils betrachtet.

37.      Die in Rede stehende nationale Regelung bewirkt, dass das nicht deutsche Kind gegenüber einem deutschen Kind, dem die Präsenz seines ausländischen Elternteils im deutschen Hoheitsgebiet zur Ausübung der Personensorge zugutekommt, unmittelbar diskriminiert wird.

38.      Was den ausländischen Elternteil mit einem nicht deutschen Kind anbelangt, so ist davon auszugehen, dass er aufgrund der Staatsangehörigkeit seines Kindes eine unmittelbare Diskriminierung(34) erfährt, die ihn daran hindert, die Personensorge für sein Kind unter denselben Bedingungen wahrzunehmen wie ein deutscher Elternteil. Wegen ihrer Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Kindes könnte sie als Diskriminierung „wegen einer Verbindung“(35) oder als „indirekte“ Diskriminierung („par ricochet“)(36) bezeichnet werden, wobei diese Ausdrücke gleichbedeutend gebraucht werden. Damit soll eine Situation charakterisiert werden, in der die Person, die aufgrund eines Kriteriums (Behinderung oder etwas anderes wie etwa die Staatsangehörigkeit, hier: ein deutsches Kind zu sein) unmittelbar diskriminiert wird, das Kriterium zwar nicht erfüllt, dieses jedoch den Grund für die gerügte Benachteiligung darstellt. Dann wird das Recht der aufgrund des Diskriminierungskriteriums benachteiligten Person geltend gemacht, nicht aber ein eigenes Recht der betroffenen Person.

39.      Allerdings ergibt sich unabhängig davon, ob auf das Kind oder auf den Elternteil abgestellt wird, eine ernsthafte Schwierigkeit aus dem Streitgegenstand, der die Erteilung eines nationalen Aufenthaltsrechts betrifft(37).

40.      Ich erinnere daran, dass es in Art. 24 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2004/38 heißt: „Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats.“

41.      Zwar halten sich im vorliegenden Fall sowohl das Kind als auch der Elternteil aufgrund der Richtlinie 2004/38 in Deutschland auf. Außerdem betrifft die Frage des vorlegenden Gerichts in der Tat die Voraussetzungen für die Gewährung eines nationalen Aufenthaltsrechts; sie ist aber auf die Anerkennung eines Anspruchs auf Leistungen der sozialen Grundsicherung unter denselben Bedingungen, wie sie für Inländer gelten, gerichtet.

42.      In diesem Punkt ist meines Erachtens äußerste Klarheit geboten. Die im Ausgangsverfahren erörterte Gleichbehandlung bezieht sich nur auf die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und nicht auf den Zugang zu Leistungen der sozialen Grundsicherung. Sobald diese Erlaubnis erteilt ist, werden die Leistungen ohne Unterscheidung nach den jeweiligen Empfängern gewährt(38).

43.      Der in Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung mit Inländern kann aber nicht zur Gewährung eines Aufenthaltsrechts führen, und zwar weder unmittelbar für den Vater noch mittelbar für das Kind.

44.      In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Gerichtshof diesen Art. 24 in Fällen ausgelegt, in denen es um den Anspruch auf Sozialhilfeleistungen ging und eine Ungleichbehandlung im Vergleich mit den Rechten geltend gemacht wurde, die Inländern in der gleichen wirtschaftlichen Situation zustanden(39). Der Gerichtshof hat sich zu den Anwendungsvoraussetzungen des Grundsatzes der Gleichbehandlung mit Inländern in Bezug auf die Folgen eines Aufenthaltsrechts geäußert(40). Dieses Recht muss aufgrund der Richtlinie 2004/38 gewährt werden(41), wobei hinsichtlich seiner Folgen nur für bestimmte Personengruppen Ausnahmen bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen ausdrücklich vorgesehen sind(42).

45.      Im vorliegenden Fall ist der Antrag von FL in einem früheren Stadium zu verorten, dem Stadium der Gewährung eines Aufenthaltsrechts.

46.      Daher bin ich – anders als die Kommission, die sich auf Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 stützt, weil darin keine Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf das Aufenthaltsrecht vorgesehen sei – der Ansicht, dass die Gewährung eines solchen Rechts nicht aus diesem Grundsatz hergeleitet werden kann. Mit anderen Worten: Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wie sie in der fraglichen nationalen Regelung vorgesehen ist, kann keine Folge dieses Grundsatzes sein, der den Unionsbürgern wegen ihres aufgrund dieser Richtlinie gewährten Aufenthaltsrechts zugutekommt.

47.      Es kann auch mit dem Wortlaut dieser Bestimmung argumentiert werden. Sie sieht ausdrücklich einen Vergleich mit Inländern vor. Diese können jedoch für sich selbst kein Aufenthaltsrecht verlangen, da es ihnen bedingungslos zusteht(43). Der in der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Grundsatz der Gleichbehandlung ist daher im Bereich des Aufenthaltsrechts nicht anwendbar, unabhängig davon, ob es durch günstigere nationale Vorschriften geregelt ist.

48.      Wäre es aber nicht stattdessen möglich, wie von der Kommission angeregt, da der Vergleich mit Inländern „im Anwendungsbereich des Vertrags“ erfolgen muss, Art. 24 der Richtlinie 2004/38 teleologisch auszulegen(44)? Mit anderen Worten: Auch wenn die Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats im Bereich des Aufenthaltsrechts nicht unmittelbar tangiert ist, könnte sie es in anderen Bereichen sein, in denen der Vertrag anwendbar ist, sofern ausschließlich auf die Zweckbestimmung der fraglichen Regelung abgestellt wird. In diesem Sinne macht die Kommission, gestützt auf Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, aus der Sicht des Kindes geltend, die fragliche nationale Regelung beeinträchtige die praktische Wirksamkeit des dem Kind nach dieser Richtlinie im deutschen Hoheitsgebiet zustehenden Aufenthaltsrechts(45), da es nicht in gleicher Weise wie ein deutsches Kind in den Genuss eines Familienlebens kommen könne. Durch das Unionsrecht, insbesondere die Art. 7 und 24 der Charta, würden nicht nur das Familienleben und das Recht des Kindes auf Fürsorge geschützt; die praktische Wirksamkeit des Aufenthaltsrechts eines Kleinkinds verlange auch, dass dieses Kind berechtigt sei, mit der Person, die für sein Wohl sorge, zusammenzuleben und von ihr betreut zu werden(46).

49.      Diese Argumentation setzt, im Rahmen von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 betrachtet, also voraus, dass die fragliche Regelung, die ausländischen Eltern die Ausübung der Personensorge für ihre deutschen Kinder erleichtert, im Vergleich zu Inländern, die dieselben elterlichen Rechte ausüben, den vollen Genuss der Rechte ermöglicht, die mit der Wahrnehmung der Freizügigkeit und der Aufenthaltsfreiheit einhergehen, wozu auch das Recht der Eltern gehört, mit ihren Kindern ein Familienleben mit allen damit verbundenen Rechten zu führen(47).

50.      Überdies kann angeführt werden, dass die fragliche, ausländische Eltern begünstigende nationale Regelung, die eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung und die Möglichkeit, zu diesem Zweck Leistungen der sozialen Grundsicherung zu erhalten, miteinander kombiniert, dazu beiträgt, die Freizügigkeit und ein Familienleben unter normalen und würdigen Bedingungen zu gewährleisten(48).

51.      Diese Rechte, die ohne Staatsangehörigkeitserfordernis zu wahren sind, würden somit die Anwendung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zur Beurteilung der Unionsrechtskonformität der fraglichen nationalen Regelung rechtfertigen, was ein Recht auf Aufenthalt im nationalen Hoheitsgebiet zur Folge hätte.

52.      In der Tat sind diese Rechte von herausragender Bedeutung. Allerdings erhielte das in Art. 24 der Richtlinie 2004/38 konkretisierte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit mit den in Abs. 2 vorgesehenen Ausnahmen bei dieser Betrachtungsweise einen besonders weiten Anwendungsbereich, was die Gefahr mit sich brächte, dass es im Widerspruch zur Systematik der Richtlinie stünde.

53.      Insoweit zeigt die Situation von FL anschaulich, warum es wichtig ist, nicht den Weg einer extensiven Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zu beschreiten. Wie wir uns erinnern, verfügt FL im deutschen Hoheitsgebiet über ein in dieser Richtlinie vorgesehenes Aufenthaltsrecht, um Arbeit zu suchen, und kann sich deshalb auf diesen Art. 24 Abs. 1 wegen anderer Folgen als derjenigen berufen, die im Bereich der Leistung sozialer Grundsicherung vorgesehen sind, da ihm eine solche Leistung gemäß Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie nicht zusteht.

54.      Im Übrigen steht angesichts der Angaben des vorlegenden Gerichts zum Verfahren(49) fest, dass sich FL auf kein anderes – namentlich auf seine Familienverhältnisse gestütztes – Aufenthaltsrecht(50) nach der Richtlinie 2004/38 berufen kann, weshalb er keinen Anspruch auf die damit verbundenen Leistungen der sozialen Grundsicherung hat.

55.      Wollte man also zulassen, dass FL auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ein Aufenthaltsrecht erlangen kann, das es ihm ermöglicht, ein Familienleben unter denselben Bedingungen zu führen, wie sie für Inländer gelten, würde dies meines Erachtens die mit dieser Richtlinie festgelegten Grenzen im familienbezogenen und wirtschaftlichen Bereich(51) und damit das vom Unionsgesetzgeber vorgegebene Gleichgewicht insgesamt in Frage stellen.

56.      Dies rechtfertigt es außerdem, eine nationale Regelung, wonach einem Unionsbürger, dessen Situation unter diese Richtlinie fällt, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, nicht dem in Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 konkretisierten Diskriminierungsverbot zu unterwerfen.

57.      Unter diesen Umständen ist festzuhalten, dass der im Urteil CG aufgestellte Grundsatz, dem zufolge anhand von Art. 24 der Richtlinie 2004/38 und nicht anhand von Art. 18 Abs. 1 AEUV zu beurteilen ist, ob „mobile“ Unionsbürger aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert werden(52), auf Situationen beschränkt werden muss, in denen die Folgen eines nach dieser Richtlinie gewährten Aufenthaltsrechts im Vergleich zu Inländern erörtert werden, was günstigere nationale aufenthaltsrechtliche Maßnahmen ausschließt.

58.      Da eine Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ausscheidet, ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen dann Art. 18 AEUV Anwendung finden kann.

B.      Anwendung von Art. 18 AEUV

59.      Die Wahl dieser Rechtsgrundlage für das Recht auf Gleichbehandlung im Hinblick auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ergibt sich aus der Feststellung, dass die fragliche Regelung für den Elternteil eine Diskriminierung zwischen „mobilen“ Unionsbürgern aufgrund der Staatsangehörigkeit des Kindes, für das er die Personensorge ausübt, bewirkt. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Art. 18 Abs. 1 AEUV in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallende Situationen betrifft, in denen ein Angehöriger eines Mitgliedstaats nur aufgrund seiner Staatsangehörigkeit gegenüber den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats diskriminiert wird(53).

60.      Für das Kind kann die Gleichbehandlung mit einem deutschen Kind deshalb geltend gemacht werden, weil die nach der nationalen Regelung für seinen Elternteil vorgesehene Aufenthaltserlaubnis die Wirksamkeit seiner durch Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 21 AEUV verliehenen Freiheit gewährleistet, sich im deutschen Hoheitsgebiet frei zu bewegen und aufzuhalten. Dieser Anspruch kann auf Art. 18 AEUV gestützt werden, da es sich nicht um eine Folge eines aufgrund der Richtlinie 2004/38 gewährten Aufenthaltsrechts im Sinne von deren Art. 24 handelt(54).

61.      Eine solche sowohl die Situation von FL als auch die seines Kindes(55) betreffende Auslegung hat, auch wenn sich beide aufgrund der Richtlinie 2004/38 in Deutschland aufhalten, den Vorteil, dass sie an die Begründung des Urteils CG anknüpft, soweit der Gerichtshof darin festgestellt hat, dass die Mitgliedstaaten die Richtlinie 2004/38 nicht durchführen, wenn sie ein Aufenthaltsrecht aufgrund einer Regelung vorsehen, die günstiger ist als die mit dieser Richtlinie eingeführte(56).

62.      Somit hält sich eine solche Auslegung im Rahmen der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den besonderen Bestimmungen, die den in Art. 18 AEUV verankerten Grundsatz konkretisieren, und zu den aus den Art. 20 und 21 AEUV abgeleiteten Rechten.

63.      Hierzu hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, der Gesetzgeber habe ein Recht nach Art. 11 GG konkretisieren wollen, das die Einheit der Familie im deutschen Staatsgebiet wahre. In diesem Sinne hat auch die Kommission erklärt, dass das, was 1990 ursprünglich nur ein deutschen Staatsbürgern vorbehaltenes Recht entsprechend dem deutschen Grundrecht gewesen sei, sich heute zu einem Grundrecht der Union entwickelt habe. Soweit der Aufenthalt eines Elternteils im Interesse eines schutzbedürftigen deutschen Kindes gerechtfertigt sei, müsse dies heute für alle Kinder mit rechtmäßigem Aufenthalt in Deutschland gelten, wenn sie Unionsbürger seien. Es besteht also Einvernehmen darüber, dass die fragliche nationale Regelung auf einer Rechtsgrundlage beruht, die derjenigen in den Art. 20 und 21 AEUV entspricht.

64.      Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die eine Diskriminierung zwischen „mobilen“ Unionsbürgern bewirken, fallen daher mangels besonderer Bestimmungen zur Konkretisierung des Verbots einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in einem solchen Fall unter Art. 18 AEUV. Dass diese Frage einen „mobilen“ Unionsbürger betrifft, dessen Situation durch die Richtlinie 2004/38 geregelt wird, ist irrelevant.

65.      Im vorliegenden Fall verstößt die nationale Regelung dadurch gegen dieses grundlegende Verbot, dass sie den Eltern deutscher Kinder hinsichtlich der Aufenthaltserlaubnis eine Vorzugsbehandlung zuteilwerden lässt.

66.      Zudem fällt die Festlegung von Bedingungen, die günstiger sind als die einschlägigen Bedingungen des Unionsrechts, zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese ihren Verpflichtungen aus dem Unionsrecht nachkommen.

C.      Übersicht über die den Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten gesetzten Grenzen

67.      Ich verweise auf die Entscheidung des Gerichtshofs im Urteil CG zur Anwendung der Charta, wonach ein Mitgliedstaat, wenn er eine nationale aufenthaltsrechtliche Regelung vorsieht, die günstigere Anwendungsbedingungen als die Richtlinie 2004/38 enthält, die Bestimmungen des AEU-Vertrags über den Status eines Unionsbürgers durchführt, der von seiner in Art. 21 Abs. 1 AEUV verbürgten Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, Gebrauch gemacht hat. Infolgedessen hat dieser Mitgliedstaat gemäß Art. 51 Abs. 1 der Charta deren Vorschriften zu beachten(57).

68.      In der Situation, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, sind, wie von mir bereits erwähnt(58), das in Art. 7 der Charta gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie die in Art. 24 der Charta gewährleisteten Rechte des Kindes, insbesondere das Recht auf Berücksichtigung seines Wohls als eine vorrangige Erwägung bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen sowie der Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, von grundlegender Bedeutung(59).

69.      In der Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts reicht es meines Erachtens aus, eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit festzustellen, ohne dass genauer dargelegt werden müsste, welche anderen – aus der Charta abgeleiteten – Grundrechte der betreffende Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Zuständigkeit in unter das Unionsrecht fallenden Situationen zu beachten hat. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine unmittelbare Diskriminierung „wegen einer Verbindung“(60) handelt, da die Rechtfertigung der nationalen Regelung im Hinblick auf die angeführten Grundsätze, die auch im Unionsrecht verankert und geschützt sind(61), keinesfalls greift.

70.      Ich schlage dem Gerichtshof deshalb vor, seine Antwort auf die Auslegung von Art. 18 AEUV in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV zu beschränken.

V.      Ergebnis

71.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Sozialgerichts Detmold (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

Art. 18 AEUV in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV

ist dahin auszulegen, dass

er der nationalen Regelung eines Aufnahmemitgliedstaats entgegensteht, wonach eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge nur „mobilen“ Unionsbürgern erteilt wird, die Eltern eines minderjährigen ledigen Kindes sind, das die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats besitzt, in dem es seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wogegen diese Erlaubnis verweigert wird, wenn das Kind die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt.































































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