Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)
18. Dezember 2025(* )
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Industriepolitik – Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft – Richtlinie (EU) 2015/1535 – Begriff der technischen Vorschrift – Nationale Regelung, die vorschreibt, den Quellcode einer in der Datenbank der Finanzverwaltung registrierten Software einer Stelle zur Verfügung zu stellen, die die Konformität mit den steuerlich-technischen Anforderungen bewertet – Art. 34 AEUV – Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit “
In der Rechtssache C‑353/24
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Administratīvā rajona tiesa, Rīgas tiesu nams (Bezirksverwaltungsgericht, Abteilung Riga, Lettland) mit Entscheidung vom 13. Mai 2024, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Mai 2024, in dem Verfahren
SIA „EUROPARK LATVIA“,
SKIDATA GmbH
gegen
Valsts ieņēmumu dienests,
Beteiligte:
SIA „19 points“,
SIA „Ernst & Young Baltic“,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Schalin sowie der Richter M. Gavalec (Berichterstatter) und Z. Csehi,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der SIA „EUROPARK LATVIA“, vertreten durch S. Petrovičs, Advokāts,
– der SKIDATA GmbH, vertreten durch R. Gasūns, Jurists,
– der lettischen Regierung, vertreten durch J. Davidoviča und K. Pommere als Bevollmächtigte,
– der tschechischen Regierung, vertreten durch A. Edelmannová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Escobar Gomez, L. Malferrari und I. Naglis als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Nr. 11 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 1998, L 204, S. 37) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 316, S. 12) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34) sowie von Art. 34 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SIA „EUROPARK LATVIA“ (im Folgenden: Europark) und der SKIDATA GmbH (im Folgenden: Skidata) auf der einen Seite und dem Valsts ieņēmumu dienests (nationale Finanzverwaltung, Lettland) auf der anderen Seite wegen einer Entscheidung des Letztgenannten, von Skidata hergestellte Geräte für automatische Zahlungen aus seiner Datenbank auszuschließen.
Rechtlicher Rahmen
Recht der Europäischen Union
Richtlinie 98/34
3 Art. 1 der Richtlinie 98/34 bestimmte:
„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
1. ‚Erzeugnis‘[:] Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, und landwirtschaftliche Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte;
…
3. ‚technische Spezifikation‘[:] Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.
…
4. ‚sonstige Vorschrift‘[:] eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können;
5. ‚Vorschrift betreffend Dienste‘: eine allgemein gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Nummer 2 genannten Dienste und über deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter Ausschluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielen.
…
11. ‚Technische Vorschrift‘: Technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder [de facto ] für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehaltlich der in Artikel 10 genannten Bestimmungen – die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden.
Technische [De-facto ]-Vorschriften sind insbesondere:
– die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats, in denen entweder auf technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder auf Vorschriften betreffend Dienste oder auf Berufskodizes oder Verhaltenskodizes, die ihrerseits einen Verweis auf technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder auf Vorschriften betreffend Dienste enthalten, verwiesen wird und deren Einhaltung eine Konformität mit den durch die genannten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegten Bestimmungen vermuten lässt;
– die freiwilligen Vereinbarungen, bei denen der Staat Vertragspartei ist und die im öffentlichen Interesse die Einhaltung von technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder von Vorschriften betreffend Dienste mit Ausnahme der Vergabevorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen bezwecken;
– die technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder die Vorschriften betreffend Dienste, die mit steuerlichen oder finanziellen Maßnahmen verbunden sind, die auf den Verbrauch der Erzeugnisse oder die Inanspruchnahme der Dienste Einfluss haben, indem sie die Einhaltung dieser technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste fördern; dies gilt nicht für technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, die die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit betreffen.
Dies betrifft die technischen Vorschriften, die von den durch die Mitgliedstaaten benannten Behörden festgelegt werden und in einer von der Kommission vor dem 5. August 1999 im Rahmen des Ausschusses nach Artikel 5 zu erstellenden Liste aufgeführt sind.
Änderungen dieser Liste werden nach demselben Verfahren vorgenommen;
12. ‚Entwurf einer technischen Vorschrift‘: Wortlaut einer technischen Spezifikation oder einer sonstigen Vorschrift oder einer Vorschrift betreffend Dienste einschließlich Verwaltungsvorschriften, der ausgearbeitet worden ist, um diese als technische Vorschrift festzuschreiben oder letztlich festschreiben zu lassen, und der sich im Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind.
…“
4 Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie sah vor:
„Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.“
Richtlinie (EU) 2015/1535
5 Durch die Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 2015, L 241, S. 1) wurde die Richtlinie 98/34 mit Wirkung vom 7. Oktober 2015 aufgehoben und ersetzt.
6 Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2015/1535 bestimmt:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
a) ‚Erzeugnis‘ Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, und landwirtschaftliche Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte;
…
c) ‚technische Spezifikation‘ eine Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.
…
d) ‚sonstige Vorschrift‘ eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können;
e) ‚Vorschrift betreffend Dienste‘ eine allgemein gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Buchstabe b genannten Dienste und über deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter Ausschluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielen.
…
f) ‚technische Vorschrift‘ technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder [de facto ] für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehaltlich der in Artikel 7 genannten Bestimmungen – die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden.
Technische [De-facto ]-Vorschriften sind insbesondere:
i) die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats, in denen entweder auf technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder auf Vorschriften betreffend Dienste oder auf Berufskodizes oder Verhaltenskodizes, die ihrerseits einen Verweis auf technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder auf Vorschriften betreffend Dienste enthalten, verwiesen wird und deren Einhaltung eine Konformität mit den durch die genannten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegten Bestimmungen vermuten lässt;
ii) die freiwilligen Vereinbarungen, bei denen der Staat Vertragspartei ist und die im öffentlichen Interesse die Einhaltung von technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder von Vorschriften betreffend Dienste mit Ausnahme der Vergabevorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen bezwecken;
iii) die technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder die Vorschriften betreffend Dienste, die mit steuerlichen oder finanziellen Maßnahmen verbunden sind, die auf den Verbrauch der Erzeugnisse oder die Inanspruchnahme der Dienste Einfluss haben, indem sie die Einhaltung dieser technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste fördern; dies gilt nicht für technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, die die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit betreffen.
Dies betrifft die technischen Vorschriften, die von den durch die Mitgliedstaaten benannten Behörden festgelegt werden und in einer von der Kommission ausgearbeiteten und gegebenenfalls aktualisierten Liste im Rahmen des Ausschusses nach Artikel 2 aufgeführt sind.
Änderungen dieser Liste werden nach demselben Verfahren vorgenommen;
g) ‚Entwurf einer technischen Vorschrift‘ den Wortlaut einer technischen Spezifikation oder einer sonstigen Vorschrift oder einer Vorschrift betreffend Dienste einschließlich Verwaltungsvorschriften, der ausgearbeitet worden ist, um diese als technische Vorschrift festzuschreiben oder letztlich festschreiben zu lassen, und der sich im Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind.
…“
7 Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Vorbehaltlich des Artikels 7 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.“
Lettisches Recht
Gesetz über Steuern und Abgaben
8 Art. 281 Abs. 41 des Likums Par nodokļiem un nodevām (Gesetz über Steuern und Abgaben) bestimmt:
„Steuerzahler können elektronische Geräte und Vorrichtungen verwenden, die den technischen Anforderungen an elektronische Registriergeräte und ‑vorrichtungen für Steuern und andere Zahlungsvorgänge entsprechen und eine Konformitätsbewertung durchlaufen haben. Die Wartung der elektronischen Geräte und Vorrichtungen kann von einem Wartungsdienstleister durchgeführt werden, bei dem eine Konformitätsbewertung gemäß den Rechtsvorschriften durchgeführt wurde.“
Nutzungsverordnung
9 Art. 1214 Nr. 4 der Ministru kabineta noteikumi Nr. 96 „Nodokļu un citu maksājumu reģistrēšanas elektronisko ierīču un iekārtu lietošanas kārtība“ (Verordnung Nr. 96 des Ministerkabinetts über die Modalitäten der Nutzung elektronischer Geräte und Vorrichtungen zur Registrierung von Steuern und anderen Zahlungsvorgängen) vom 11. Februar 2014 (im Folgenden: Nutzungsverordnung) bestimmt:
„Zur Durchführung der Konformitätsbewertung von Modellen von Registrierkassen, hybriden Registrierkassen, Kassensystemen, speziellen Geräten und Vorrichtungen, deren Änderungen sowie der Versionen ihrer Software stellt der Wartungsdienstleister der technischen Dokumentationsstelle die technische Dokumentation des Herstellers in dessen Landessprache zusammen mit einer beglaubigten Übersetzung in die Landessprache zur Verfügung. Die technische Dokumentation muss enthalten: den Quellcode (von einem Programmierer geschriebene, für den Menschen lesbare Computeranweisungen) und den Objektcode (eine für einen Computer verständliche Abfolge von Symbolen, um ein von einem Programmierer erstelltes Programm auszuführen) der registrierten Software sowie des steuerlichen Speichermoduls.“
10 Art. 1215 der Nutzungsverordnung sieht vor:
„Innerhalb von sechs Monaten nach Erhalt der in Art. 1214 dieser Verordnung genannten Dokumente übersendet die Konformitätsbewertungsstelle dem Wartungsdienstleister eine Konformitätserklärung für das Modell der Registrierkasse, der hybriden Registrierkasse, des Kassensystems bzw. des speziellen Geräts oder der speziellen Vorrichtung, ihrer Änderungen oder Versionen im Hinblick auf die technischen Anforderungen an elektronische Registriergeräte und ‑vorrichtungen für Steuern und andere Zahlungsvorgänge … oder sie teilt ihm mit, dass eine solche Konformitätserklärung nicht ausgestellt wird.“
11 Art. 1294 Nr. 6 der Nutzungsverordnung lautet:
„Wird ein Modell oder die Änderung einer Registrierkasse, hybriden Registrierkasse, eines Kassensystems, spezieller Geräte und Vorrichtungen, die/das von einem Wartungsdienstleister gewartet wird/werden, in die einheitliche Datenbank der Finanzverwaltung (Register) eingetragen, muss dieser Wartungsdienstleister, sei es der Hersteller der Vorrichtung bzw. des Geräts oder ein vom Hersteller bevollmächtigter Vertreter, der Finanzverwaltung auf Anforderung binnen 24 Stunden den Quellcode der registrierten Software übermitteln.“
12 Art. 12917 Abs. 1 Nr. 1.2.2 der Nutzungsverordnung sieht vor:
„Die Finanzverwaltung schließt aus der einheitlichen Datenbank (Register) Folgendes aus: für einen Nutzer registrierte Registrierkassen, hybride Registrierkassen, Kassensysteme und spezielle Geräte und Vorrichtungen[, wenn] die in den Rechtsvorschriften über technische Anforderungen an elektronische Geräte und Vorrichtungen zur Erfassung von Steuern und anderen Zahlungsvorgängen aufgestellten Bedingungen nicht erfüllt sind. Die Finanzverwaltung unterrichtet den Nutzer innerhalb von 15 Arbeitstagen über den Ausschluss aus der einheitlichen Datenbank (Register).“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
13 Europark ist eine lettische Handelsgesellschaft, die Parkplatzdienstleistungen erbringt. Skidata ist eine österreichische Handelsgesellschaft, die in Österreich Geräte für automatische Zahlungen herstellt und diese in 25 Mitgliedstaaten, darunter Lettland, exportiert.
14 Am 30. Juni und am 27. November 2015 erwarb Europark von Skidata acht Geräte für automatische Zahlungen, die zwischen dem 8. Oktober und dem 30. Dezember 2015 von der nationalen Finanzverwaltung als solche in ihrer Datenbank registriert wurden.
15 Mit Schreiben vom 16. Mai 2022 teilte die SIA „Ernst & Young Baltic“, die mit der Kontrolle der Konformität von Kassen und automatischen Geräten mit den steuerlich-technischen Anforderungen betraute Stelle, der nationalen Finanzverwaltung mit, dass sie die Ausstellung einer Konformitätserklärung für diese acht Geräte mit der Begründung verweigert habe, dass die SIA „19 points“, der Wartungsdienstleister, ihr nicht die in Art. 1214 Nr. 4 der Nutzungsverordnung vorgesehenen Daten, nämlich den Quellcode und den Objektcode der registrierten Software dieser Geräte, übermittelt habe.
16 Folglich schloss die nationale Finanzverwaltung sie mit Entscheidung vom 2. September 2022 aus ihrer Datenbank aus.
17 Europark und Skidata erhoben daraufhin bei der Administratīvā rajona tiesa, Rīgas tiesu nams (Bezirksverwaltungsgericht, Abteilung Riga, Lettland), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Aufhebung dieser Entscheidung. Sie machen geltend, dass die Nutzungsverordnung die Übermittlung des Quellcodes und des Objektcodes der registrierten Software vorschreibe und eine technische Anforderung darstelle, die der Kommission gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 2015/1535 hätte notifiziert werden müssen.
18 Des Weiteren weisen sie darauf hin, dass Europark als Erwerberin eines Nutzungsrechts an einer Software den Quellcode der Software ohne Zustimmung des Herstellers Skidata rechtlich nicht auf eigene Initiative erlangen und verbreiten dürfe, da dieser Code dem Hersteller gehöre und unter das Geschäftsgeheimnis falle. Die Verpflichtung zur Übermittlung des Quellcodes würde somit das Recht des Herstellers auf geistiges Eigentum unverhältnismäßig beeinträchtigen.
19 In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht erstens darauf hin, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Geräte für automatische Zahlungen „Erzeugnisse“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 98/34 seien. Es möchte daher wissen, ob die Verpflichtung, den Quellcode der registrierten Software dieser Geräte zur Verfügung zu stellen, unter den Begriff „technische Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie fällt, der vier Kategorien von Maßnahmen unterscheidet. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, möchte dieses Gericht wissen, welcher Kategorie eine solche Verpflichtung zuzuordnen wäre.
20 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte diese Verpflichtung unter drei dieser Kategorien fallen und somit entweder als „technische Spezifikation“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 98/34, als „sonstige Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 4 dieser Richtlinie oder als Vorschriften, „mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses … verboten werden“, im Sinne von Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie eingestuft werden.
21 Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verpflichtung, den Quellcode der registrierten Software einer Konformitätsbewertungsstelle zur Verfügung zu stellen, als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV angesehen werden kann.
22 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wird mit dieser Verpflichtung ein legitimes Ziel verfolgt, da sie es der nationalen Finanzverwaltung ermöglicht, die Richtigkeit der Aufzeichnungen zu überprüfen und jegliche Nichtaufzeichnung oder Nichtzahlung von Steuern zu verhindern. Allerdings hat dieses Gericht Zweifel, ob eine solche Verpflichtung zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Skidata stelle nämlich in anderen Mitgliedstaaten für die Durchführung der in Rede stehenden Kontrollen eine Anwendungsprogrammierschnittstelle für automatische Geräte wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden bereit, die es der die Konformität mit den steuerlichen Anforderungen kontrollierenden Stelle ermögliche, alle erforderlichen Informationen über die Zahlungen zu erhalten. Außerdem habe sich Skidata auch bereit erklärt, den Teil des Quellcodes, der die Aufzeichnung der Zahlungen und Steuern betreffe, für die Zwecke der Konformitätsbewertung zur Verfügung zu stellen. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bewertungsstelle habe diesem Vorschlag jedoch nicht zugestimmt und verlange weiterhin die Übermittlung des vollständigen Quellcodes.
23 Insoweit ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung vorgesehene Verpflichtung zwar das Inverkehrbringen von Geräten für automatische Zahlungen auf dem lettischen Markt nicht verbiete, dem Hersteller dieser Geräte aber eine Doppelbelastung auferlege, da diese Geräte sowohl den Vorschriften des Herstellungslandes als auch denen des Landes des Inverkehrbringens entsprechen müssten. Daher könne eine solche Verpflichtung die Einfuhr dieser Geräte erschweren und verteuern, so dass interessierte Wirtschaftsteilnehmer durch sie davon abgehalten werden könnten, diese Geräte in Lettland in Verkehr zu bringen.
24 Vor diesem Hintergrund hat die Administratīvā rajona tiesa, Rīgas tiesu nams (Bezirksverwaltungsgericht, Abteilung Riga) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen, dass eine Rechtsvorschrift, nach der ein Wartungsdienstleister verpflichtet ist, der Konformitätsbewertungsstelle den Quellcode einer registrierten Software zur Verfügung zu stellen, unter den Begriff der „technischen Vorschriften“, deren Entwürfe gemäß Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie der Kommission übermittelt werden müssen, fällt?
2. Ist Art. 34 AEUV dahin auszulegen, dass die Anforderung, einer Konformitätsbewertungsstelle den Quellcode einer registrierten Software zur Verfügung zu stellen, als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung angesehen werden kann?
3. Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Kann diese Maßnahme im Hinblick auf eine wirksame steuerliche Kontrolle als verhältnismäßig angesehen werden?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
25 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 98/34, wie sich aus den Art. 10 und 11 der Richtlinie 2015/1535 ergibt, mit Wirkung vom 7. Oktober 2015, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 2015/1535, aufgehoben wurde. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Europark einige der in Rede stehenden Geräte für automatische Zahlungen am 30. Juni 2015 erwarb, während die übrigen nach dem 7. Oktober 2015 erworben wurden. Die acht in Rede stehenden Geräte wurden in der Datenbank der nationalen Finanzverwaltung registriert und sodann nach diesem Datum aus dieser ausgeschlossen. Daraus folgt, dass sowohl die Bestimmungen der Richtlinie 98/34 als auch die der Richtlinie 2015/1535 in zeitlicher Hinsicht auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar sind.
26 Da jedoch die für das Ausgangsverfahren relevanten Bestimmungen dieser Richtlinien vergleichbar formuliert sind, ist es angebracht, sich auf die Bestimmungen der Richtlinie 2015/1535 zu beschränken.
27 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof mit seiner ersten Frage um eine Auslegung von Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 im Licht von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie ersucht, wonach die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer „technischen Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie zu übermitteln haben. Insoweit ist, wie dies auch das vorlegende Gericht getan hat, darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur vorherigen Übermittlung eines solchen Entwurfs nicht nachkommt, nach ständiger Rechtsprechung dazu führt, dass die betreffende „technische Vorschrift“ Einzelnen nicht entgegengehalten werden kann (Urteil vom 3. Dezember 2020, Star Taxi App, C‑62/19, EU:C:2020:980, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage wissen möchte, ob Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2015/1535 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die den mit der Wartung von Geräten für automatische Zahlungen betrauten Dienstleister verpflichtet, der Stelle, die die Konformität dieser Geräte kontrolliert, den Quellcode der registrierten Software dieser Geräte zur Verfügung zu stellen, eine „technische Vorschrift“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, die Einzelnen nur entgegengehalten werden kann, wenn der entsprechende Entwurf der Vorschrift zuvor der Kommission gemäß Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2015/1535 übermittelt wurde.
29 Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2015/1535 vier Kategorien von Maßnahmen unterscheidet, die als „technische Vorschriften“ im Sinne dieser Richtlinie angesehen werden können, nämlich erstens die „technische Spezifikation“, zweitens die „sonstige Vorschrift“, drittens die „Vorschrift betreffend Dienste“ und viertens „die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses … verboten werden“. Die ersten drei Kategorien von Maßnahmen sind in Art. 1 Abs. 1 Buchst. c bis e der Richtlinie definiert.
30 Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist daher zu prüfen, ob die Verpflichtung, einer Konformitätsbewertungsstelle den Quellcode der registrierten Software in Geräten für automatische Zahlungen zur Verfügung zu stellen, wie die in der Nutzungsverordnung vorgesehene Verpflichtung, in eine dieser vier Kategorien technischer Vorschriften fällt.
31 Als Erstes ist klarzustellen, dass sich die Fragen des vorlegenden Gerichts nicht auf die Dienste der Informationsgesellschaft beziehen, d. h. auf Dienstleistungen, die elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbracht werden, sondern auf bestimmte Erzeugnisse und deren Nutzung, im vorliegenden Fall auf Geräte für automatische Zahlungen. Daher ist nicht zu prüfen, ob eine solche Verpflichtung in die Kategorie der „Vorschrift betreffend Dienste“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2015/1535 fällt.
32 Als Zweites ist zu prüfen, ob diese Verpflichtung in die Kategorie der „Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses … verboten werden“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2015/1535 fallen kann.
33 Im vorliegenden Fall führt die Nicht-Zurverfügungstellung des Quellcodes der registrierten Software von Geräten für automatische Zahlungen an die Konformitätsbewertungsstelle zwar dazu, dass diese Geräte nicht für die Aufzeichnung von Vorgängen und Zahlungen verwendet werden können, doch verbietet die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Nutzungsverordnung nicht die Herstellung, die Einfuhr, das Inverkehrbringen oder die Verwendung solcher Geräte.
34 Folglich kann die in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Nutzungsverordnung vorgesehene Verpflichtung, den Quellcode der registrierten Software zur Verfügung zu stellen, nicht in die Kategorie der „Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses … verboten werden“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2015/1535 fallen.
35 Als Drittes ist bezüglich der Frage, ob diese Verpflichtung unter den Begriff „technische Spezifikation“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2015/1535 fällt, darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff auf Spezifikationen verweist, die in einem Schriftstück enthalten sind, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Konformitätsbewertungsverfahren für das Erzeugnis.
36 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt der Begriff „technische Spezifikation“ voraus, dass sich die nationale Maßnahme auf das Erzeugnis oder seine Verpackung als solche bezieht und daher eines der vorgeschriebenen Merkmale für ein Erzeugnis festlegt (Urteil vom 24. November 2022, Belplant, C‑658/21, EU:C:2022:925, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass eine nationale Regelung, die das Inverkehrbringen eines Erzeugnisses von einer vorherigen Genehmigung abhängig macht, als „technische Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2015/1535 einzustufen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital, C‑390/99, EU:C:2002:34, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Im Ausgangsverfahren bezieht sich die dem Wartungsdienstleister durch Art. 1214 Nr. 4 der Nutzungsverordnung auferlegte Verpflichtung, der mit der Kontrolle der Konformität der betreffenden Erzeugnisse betrauten Stelle die technische Dokumentation betreffend diese Erzeugnisse zur Verfügung zu stellen, die den Quellcode und den Objektcode der registrierten Software enthalten muss, auf die Erzeugnisse als solche. Insbesondere heißt es in der nationalen Regelung, dass der Quellcode die von einem Programmierer geschriebenen, für den Menschen lesbare Computeranweisungen darstellt, und dass der Objektcode eine für einen Computer verständliche Abfolge von Symbolen, um ein von einem Programmierer erstelltes Programm auszuführen, darstellt. Außerdem stellt diese Regelung klar, dass diese Dokumentation in der Landessprache des Herstellers zusammen mit einer beglaubigten Übersetzung in die Landessprache zur Verfügung zu stellen ist. Somit ist festzustellen, dass sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung auf das Erzeugnis als solches bezieht und die Wartungsdienstleister verpflichtet, die technische Dokumentation zur Verfügung zu stellen, die u. a. den Quellcode und den Objektcode der registrierten Software enthält, die als für alle Verkaufsautomaten erforderliche und spezifische Merkmale anzusehen sind, weil sie nicht für Erzeugnisse verlangt werden können, die nicht über den Quellcode und den Objektcode der registrierten Software verfügen.
39 Darüber hinaus ist die Verpflichtung zur Übermittlung des Quellcodes und des Objektcodes der registrierten Software eine Vorschrift, die für Geräte für automatische Zahlungen im Rahmen des Verfahrens zur Bewertung ihrer Konformität mit den steuerlichen Anforderungen gilt. Insofern müssen diese Codes bei der Konformitätskontrolle durch die Konformitätsbewertungsstelle überprüft werden. Erfolgt keine Übermittlung, können die Geräte für automatische Zahlungen nicht die für ihre Registrierung in der einheitlichen Datenbank der nationalen Finanzverwaltung erforderliche Konformitätserklärung erhalten, was grundsätzlich ihrem Inverkehrbringen in Lettland entgegensteht. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Regeln und Vorschriften für das Konformitätsbewertungsverfahren in der Nutzungsverordnung festgelegt sind, die der Kommission nicht gemäß Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2015/1535 notifiziert wurde.
40 Folglich fällt eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die den mit der Wartung von Geräten für automatische Zahlungen betrauten Dienstleister verpflichtet, der Stelle, die die Konformität dieser Geräte kontrolliert, die technische Dokumentation zur Verfügung zu stellen, die u. a. den Quellcode der registrierten Software enthält, unter den Begriff „technische Spezifikation“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2015/1535 und stellt somit eine „technische Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. f dieser Richtlinie dar.
41 Als Viertes schließlich ist zu prüfen, ob die Verpflichtung zum Zurverfügungstellen des Quellcodes der registrierten Software als „technische Vorschrift“ eingestuft werden kann, weil sie in die Kategorie der „sonstigen Vorschriften“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2015/1535 fällt. Nach dieser Bestimmung umfasst dieser Begriff jede Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können.
42 Da die Verpflichtung, wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils festgestellt, unter den Begriff „technische Spezifikation“ fällt, kann sie nicht als „sonstige Vorschrift“ eingestuft werden. Nach der in der vorstehenden Randnummer angeführten Definition dieses Begriffs fallen nämlich „technische Spezifikationen“ nicht darunter.
43 Aus Gründen der Vollständigkeit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass die betreffenden nationalen Maßnahmen, um als „sonstige Vorschrift“ eingestuft werden zu können, „Vorschriften“ darstellen müssen, die die Zusammensetzung, die Art oder die Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses wesentlich beeinflussen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2023, Vapo Atlantic, C‑604/21, EU:C:2023:175, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
44 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die mit der Wartung von Geräten für automatische Zahlungen betrauten Dienstleister verpflichtet, der Stelle, die die Konformität dieser Geräte kontrolliert, den Quellcode und den Objektcode ihrer registrierten Software zur Verfügung zu stellen, um eine für die Registrierung dieser Geräte in der einheitlichen Datenbank der nationalen Finanzverwaltung erforderliche Konformitätserklärung zu erhalten, die Vermarktung dieser Geräte beeinträchtigen kann. Die Nichtbeachtung dieser Verpflichtung kann nämlich die Vermarktung der Geräte für automatische Zahlungen wesentlich beeinflussen, da für die Wirtschaftsteilnehmer kein Anreiz besteht, sie zu erwerben, und diese Geräte in Wirklichkeit nicht bestimmungsgemäß verwendet werden können. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, die Verpflichtung, den Quellcode und den Objektcode der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden registrierten Software zur Verfügung zu stellen, nicht den Schutz der Verbraucher oder der Umwelt bezweckt, sondern es dem Staat ermöglicht, die Einhaltung der Erklärungspflichten zu überwachen und die Kontrolle der Zahlung der Steuern zu gewährleisten.
45 Somit kann eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht als „sonstige Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2015/1535 angesehen werden.
46 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2015/1535 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die den mit der Wartung von Geräten für automatische Zahlungen betrauten Dienstleister verpflichtet, der Stelle, die die Konformität dieser Geräte kontrolliert, den Quellcode der registrierten Software dieser Geräte zur Verfügung zu stellen, eine „technische Vorschrift“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, die Einzelnen nur entgegengehalten werden kann, wenn der entsprechende Entwurf der Vorschrift zuvor der Kommission gemäß Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie übermittelt wurde.
Zur zweiten und zur dritten Frage
47 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage brauchen die zweite und die dritte Frage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
48 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft
ist dahin auszulegen, dass
eine nationale Regelung, die den mit der Wartung von Geräten für automatische Zahlungen betrauten Dienstleister verpflichtet, der Stelle, die die Konformität dieser Geräte kontrolliert, den Quellcode der registrierten Software dieser Geräte zur Verfügung zu stellen, eine „technische Vorschrift“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, die Einzelnen nur entgegengehalten werden kann, wenn der entsprechende Entwurf der Vorschrift zuvor der Europäischen Kommission gemäß Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie übermittelt wurde.
Unterschriften