C-346/23 – Banco de Santander (Représentation des consommateurs individuels)

C-346/23 – Banco de Santander (Représentation des consommateurs individuels)

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2024:690

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 5. September 2024(1)

Rechtssache C346/23

Banco Santander SA, Rechtsnachfolgerin der Banco Banif SA

gegen

Asociación de Consumidores y Usuarios de Servicios Generales-Auge in Vertretung ihrer Mitglieder Andrea und Alberto

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Supremo [Oberster Gerichtshof, Spanien])

„Vorabentscheidungsersuchen – Märkte für Finanzinstrumente – Richtlinie 2004/39/EG – Rechtsbehelf im Interesse von Verbrauchern – Art. 52 Abs. 2 – Befugnis von Verbraucherverbänden, einzelne Verbraucher zu vertreten – Verbraucher-Anleger – Prozesskostenhilfe für Verbraucherverbände – Befreiung von der Zahlung der Kosten der Gegenseite – Gefahr einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung“

 I.      Einleitung

1.        Die vorliegende Rechtssache betrifft die Auslegung der Vorschriften über die Rechtsbehelfsbefugnis von Verbraucherverbänden im Zusammenhang mit Märkten für Finanzinstrumente gemäß Art. 52 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39/EG(2) (im Folgenden: MiFID‑I-Richtlinie). Es stellt sich insbesondere die Frage, ob es möglich ist, Beschränkungen für die Rechtsbehelfsbefugnis eines Verbraucherverbandes zu akzeptieren, der im Namen von Einzelanlegern handelt, die aufgrund der Art und des Wertes der Finanzprodukte, in die sie investiert haben, als Verbraucher eingestuft werden. Der Gerichtshof wird daher die Gelegenheit haben, die Wechselbeziehung zwischen dem Anlegerschutz, dem Verbraucherschutz und den verfügbaren Rechtsbehelfsverfahren im Interesse von Verbrauchern zu untersuchen.

 II.      Rechtlicher Rahmen

 a) Unionsrecht

 MiFIDI-Richtlinie

2.        Art. 52 („Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs“) der MiFID‑I-Richtlinie lautete:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jede Entscheidung, die im Rahmen der nach dieser Richtlinie erlassenen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften getroffen wird, ordnungsgemäß begründet wird und die Gerichte angerufen werden können. Ein Recht auf Anrufung der Gerichte besteht auch, wenn über einen Antrag auf Zulassung, der alle erforderlichen Angaben enthält, innerhalb von sechs Monaten nach Einreichung nicht entschieden wurde.

(2)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass eine oder mehrere der folgenden nach nationalem Recht bestimmten Stellen gemäß dem nationalen Recht im Interesse von Verbrauchern die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsinstanzen anrufen kann bzw. können, um dafür zu sorgen, dass die nationalen Vorschriften zur Durchführung dieser Richtlinie angewandt werden:

a)      staatliche Stellen oder ihre Vertreter;

b)      Verbraucherverbände, die ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben;

c)      Berufsverbände, die ein berechtigtes Interesse daran haben, sich für den Schutz ihrer Mitglieder einzusetzen.“

3.        Art. 53 („Außergerichtliches Verfahren für Anlegerbeschwerden“) der MiFID‑I-Richtlinie lautete:

„(1)      Die Mitgliedstaaten fördern die Einrichtung effizienter und wirksamer Beschwerde- und Schlichtungsverfahren für die außergerichtliche Beilegung von Streitfällen von Verbrauchern über die von Wertpapierfirmen erbrachten Wertpapier- und Nebendienstleistungen und greifen dabei gegebenenfalls auf bestehende Einrichtungen zurück.

…“

 Richtlinie 2014/65/EU (MiFID II)

4.        Art. 74 Abs. 2 der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. 2014, L 173, S. 349) (im Folgenden: MiFID‑II-Richtlinie) lautet:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass eine oder mehrere der folgenden nach nationalem Recht bestimmten Stellen gemäß dem nationalen Recht im Interesse von Verbrauchern ebenfalls die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsinstanzen anrufen kann bzw. können, um dafür zu sorgen, dass die Verordnung (EU) Nr. 600/2014 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2014, L 173, S. 84)] und die nationalen, zur Durchführung dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften angewandt werden:

a)      staatliche Stellen oder ihre Vertreter;

b)      Verbraucherverbände, die ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben;

c)      Berufsverbände, die ein berechtigtes Interesse daran haben, sich für den Schutz ihrer Mitglieder einzusetzen.“

 b) Spanisches Recht

5.        Art. 11 Abs. 1 der Ley de Enjuiciamiento Civil (Zivilprozessordnung) vom 7. Januar 2000 (BOE Nr. 7 vom 8. Januar 2000, S. 575, im Folgenden: LEC) bestimmt, dass rechtmäßig gegründete Verbraucher- und Nutzerverbände unbeschadet der individuellen Rechtsbehelfsbefugnis der Geschädigten befugt sind, die Rechte und Interessen ihrer Mitglieder und des Verbands sowie die allgemeinen Interessen von Verbrauchern und Nutzern gerichtlich geltend zu machen.

6.        Gemäß der Zusatzbestimmung 2 zur Ley 1/1996 de asistencia jurídica gratuita (Gesetz 1/1996 über die Prozesskostenhilfe) vom 10. Januar 1996 (BOE Nr. 11 vom 12. Januar 1996, S. 793; im Folgenden: Gesetz 1/1996) haben Verbraucherverbände Anspruch auf Prozesskostenhilfe, wenn sich die erhobenen Klagen „unmittelbar auf Produkte oder Dienstleistungen beziehen, deren Nutzung oder Verbrauch allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet ist“.

7.        Gemäß Art. 36 Abs. 2 des Gesetzes 1/1996 muss der Verband, wenn er in dem Rechtsstreit unterliegt, der Gegenseite die Verfahrenskosten auch bei einem sehr hohen Streitwert nicht erstatten, ebenso wenig wie die einzelnen Mitglieder, die der Verband vor Gericht vertritt.

8.        Nach Anhang I Abschnitt C Nr. 13 des Real Decreto 1507/2000 por el que se actualizan los catálogos de productos y servicios de uso o consumo común, ordinario y generalizado y de bienes de naturaleza duradera, a efectos de lo dispuesto, respectivamente, in los artículos 2, apartado 2, y 11, apartados 2 y 5, de la Ley General para la Defensa de los Consumidores y Usuarios y normas concordantes (Königliches Dekret 1507/2000 zur Aktualisierung der Kataloge von Produkten und Dienstleistungen der allgemeinen, gewöhnlichen und weit verbreiteten Nutzung sowie von langlebigen Gütern im Sinne von Art. 2 Abs. 2 bzw. Art. 11 Abs. 2 und 5 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz von Verbrauchern und Nutzern und entsprechende Bestimmungen) vom 1. September 2000 (BOE Nr. 219 vom 12. September 2000, S. 31349) zählen Bank- und Finanzdienstleistungen ganz allgemein zu den Produkten und Dienstleistungen, deren Nutzung allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet sei.

9.        Sowohl Art. 11 Abs. 2 der Ley Orgánica del Poder Judicial (Gerichtsverfassungsgesetz) vom 1. Juli 1985 (BOE Nr. 157 vom 2. Juli 1985, S. 20632) als auch Art. 247 Abs. 2 LEC legen in gleicher Weise fest, dass die Gerichte Anträge, Zwischenanträge und Einreden, die offensichtlich rechtsmissbräuchlich sind oder eine Gesetzesumgehung oder einen Prozessbetrug bedeuten, durch mit Gründen versehene Entscheidung zurückweisen.

 III.      Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

10.      Zwischen Mai 2007 und März 2009 unterzeichneten zwei natürliche Personen, Alberto und Andrea, bei der Banco Banif SA (jetzt Banco Santander SA) fünf Aufträge zum Kauf von fünf Finanzprodukten zu Beträgen, die jeweils zwischen 150 000 Euro und 300 000 Euro lagen und sich insgesamt auf 900 000 Euro beliefen.

11.      Die Verträge wurden unter der Geltung der MiFID‑I-Richtlinie geschlossen.

12.      Die Asociación de Consumidores y Usuarios de Servicios Generales-Auge (Vereinigung von Verbrauchern und Nutzern allgemeiner Dienstleistungen, im Folgenden: Auge) reichte in Vertretung ihrer Mitglieder Alberto und Andrea Klage gegen die Banco Banif SA ein. Sie beantragte, die vorstehend genannten Verträge über den Erwerb von Finanzprodukten aufgrund des Vorliegens von Willensmängeln für nichtig zu erklären. Sie beantragte außerdem, den Anlegern den Betrag von 481 634,14 Euro zuzüglich Gebühren, Auslagen und Zinsen zurückzuerstatten. Dieser Klage wurde in erster Instanz in Bezug auf bestimmte Kaufaufträge teilweise stattgegeben. Folglich wurde das Bankinstitut verurteilt, an die Kläger 462 515,74 Euro zurückzuerstatten, zuzüglich der seit dem Datum der für nichtig erklärten Investitionen jeweils aufgelaufenen gesetzlichen Zinsen.

13.      Das beklagte Bankinstitut legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung bei der Audiencia Provincial de Granada (Provinzgericht Granada, Spanien) ein. Dieses Gericht wies die Berufung zurück und bestätigte das erstinstanzliche Urteil mit der Begründung, die Beklagte habe das Anlegerprofil der Kunden nicht berücksichtigt und ihnen im Vorfeld des Vertragsschlusses keine klaren und vollständigen Informationen über die Risiken der vertragsgegenständlichen Produkte zur Verfügung gestellt.

14.      Das beklagte Bankinstitut legte einen außerordentlichen Rechtsbehelf wegen Verstoßes gegen verfahrensrechtliche Vorschriften sowie Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht ein. Es führt an, die Auge sei nicht befugt, im Namen ihrer Mitglieder Rechtsbehelfe einzulegen, denn bei den vertragsgegenständlichen Produkten handele es sich nicht um Produkte, die allgemein und weit verbreitet verwendet würden, sondern um spekulative Finanzprodukte von hohem wirtschaftlichen Wert, die nicht mehr in die Kategorie der allgemeinen Verbrauchsgüter fielen.

15.      Das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) hebt hervor, dass es generell die Rechtsbehelfsbefugnis von Verbraucherverbänden bejaht habe, wenn es um die Geltendmachung der Rechte ihrer Mitglieder gehe, die unter die Vorschriften der MiFID‑I-Richtlinie fielen, auch bei Rechtsstreitigkeiten, in denen die Auge Verfahrenspartei gewesen sei.

16.      In zwei konkreten Fällen habe es jedoch entschieden, dass die Auge als Verbraucherverband nicht befugt sei, die individuellen Interessen von Verbrauchern in Bezug auf Investitionen in spekulative Finanzprodukte von hohem wirtschaftlichem Wert zu verteidigen, da es sich dabei nicht um Produkte oder Dienstleistungen handele, deren Nutzung allgemein, gewöhnlich oder weit verbreitet sei. Nach spanischem Recht sei die Rechtsbehelfsbefugnis von Verbraucher- und Nutzerverbänden an die Verteidigung ihrer Rechte geknüpft, wenn sie sich unmittelbar auf Produkte oder Dienstleistungen bezögen, deren Nutzung oder Verbrauch allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet sei.

17.      In diesen Urteilen entschied das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof), dass es Finanzdienstleistungen gebe, die aufgrund ihrer Art und Umstände – unter Berücksichtigung der hohen Beträge und ihres spekulativen Charakters – nicht mehr in die Kategorie der Dienstleistungen fielen, deren Nutzung „allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet“ sei. Dies bedeute nicht, dass die hier konkret betroffenen Anleger ihre Rechte nicht selbst geltend machen könnten, sondern, dass es nicht gerechtfertigt sei, dass sie dies über einen Verbraucherverband täten, um nicht die für die Einlegung von Rechtsbehelfen erforderlichen Gerichtskosten zu zahlen und die Risiken zu vermeiden, die sich aus einer eventuellen Auferlegung der Verfahrenskosten in den Unterinstanzen und in der Kassationsinstanz ergäben.

18.      Dadurch solle in Rechtsstreitigkeiten, in denen in Anbetracht der Natur des Rechtsstreits und der Höhe des Streitwerts die Verbrauchereigenschaft abgeschwächt sei, eine betrügerische oder missbräuchliche Verwendung der speziellen Rechtsbehelfsbefugnis der Verbraucherverbände vermieden werden. Andernfalls könne das Recht auf Prozesskostenhilfe ausgenutzt werden, das diesen Verbänden gewährt werde, wenn sie die Interessen ihrer Mitglieder vor Gericht geltend machten.

19.      Schließlich habe das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) gewinnorientierten Anlegern, die nicht im Rahmen einer geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit handelten, nie die Verbrauchereigenschaft abgesprochen, selbst wenn es sich um komplexe oder hohe Investitionen gehandelt habe. Es habe jedoch die Rechtsbehelfsbefugnis eines Verbraucherverbands in konkreten Fällen in Frage gestellt, in denen es in Anbetracht der Umstände zu einem Prozessbetrug komme. Dieser Prozessbetrug bestehe darin, die Zahlung der Gerichtskosten und der Kosten der Gegenseite zu vermeiden, indem nicht persönlich, sondern über einen Verbraucherverband geklagt werde, und zwar zum Nachteil sowohl der Gegenseite als auch der Staatskasse.

20.      Unter diesen Umständen hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Dürfen die nationalen Gerichte auf der Grundlage dessen, dass Verbraucherverbände befugt sind, Anleger/Verbraucher, die Forderungen gegen eine Investmentgesellschaft wegen Nichterfüllung der dieser beim Vertrieb komplexer Finanzprodukte obliegenden Pflichten geltend machen, vor Gericht zu vertreten, diese Befugnis ausnahmsweise einschränken, wenn es sich, im Rahmen eines individuellen Anspruchs, um Anleger mit einer hohen finanziellen Leistungsfähigkeit handelt, die Geschäfte, die im Hinblick auf die Nutzung nicht als gewöhnlich und weit verbreitet angesehen werden können, tätigen und den Rechtsstreit unter dem Schutz des Verbraucherverbands führen, wodurch sie bei einem gerichtlichen Verfahren mit einem sehr hohen Streitwert von einer möglichen Befreiung von den Prozesskosten profitieren, indem sie die Zahlung von Gerichtskosten vermeiden und im Fall unbegründeter oder gar böswilliger Klagen vermeiden, dass ihnen die Kosten der Gegenseite auferlegt werden?

21.      Schriftliche Erklärungen sind von der Auge, der Banco Santander, der spanischen Regierung und der Europäischen Kommission eingereicht worden. Diese Parteien haben in der Sitzung vom 8. Mai 2024 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichtshofs beantwortet.

 IV.      Würdigung

22.      Mit seiner einzigen Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, die die Befugnis von Verbraucherverbänden, die individuellen Interessen bestimmter Kategorien von Anlegern, die den Status von Verbrauchern haben, zu vertreten, ausnahmsweise auf der Grundlage des Werts und der Art der Finanzprodukte beschränkt, in die sie investiert haben. Das vorlegende Gericht möchte auch wissen, ob es von Bedeutung ist, dass Verbraucherverbände in solchen Fällen Prozesskostenhilfe erhalten und dass die von ihnen vertretenen Personen die Zahlung von Gerichtsgebühren und der Kosten der Gegenseite vermeiden.

23.      Die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage ergibt sich aus zwei spezifischen Aspekten des spanischen Rechts. Erstens sind die Verbraucherverbände befugt, nicht nur die „allgemeinen Interessen von Verbrauchern“, sondern auch „die Rechte und Interessen ihrer Mitglieder“ zu verteidigen(3). Zweitens haben Verbraucherverbände Anspruch auf Prozesskostenhilfe, wenn sich die erhobenen Klagen „unmittelbar auf Produkte oder Dienstleistungen beziehen, deren Nutzung oder Verbrauch allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet ist“(4). In solchen Fällen muss der Verband, wenn er in dem Rechtsstreit unterliegt, der Gegenseite die Kosten nicht erstatten; ebenso wenig müssen die einzelnen Mitglieder, die der jeweilige Verband vor Gericht vertritt, die Kosten erstatten.

24.      Die Zweifel des vorlegenden Gerichts betreffen die Vereinbarkeit einer gerichtlichen Auslegung, durch die die Rechtsbehelfsbefugnis eines Verbraucherverbands eingeschränkt wird, mit Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie.

25.      Das vorlegende Gericht erklärt, dass nach seiner Rechtsprechung Anleger als Verbraucher gelten, wenn sie in einem Bereich handelten, der über ihre gewerbliche oder berufliche Tätigkeit hinausgehe („Verbraucher-Anleger“)(5). Es hat auch eingeräumt, dass Verbraucherverbände im Allgemeinen die Möglichkeit hätten, Verbraucher-Anleger zu verteidigen. Fraglich sei jedoch, ob die Rechtsbehelfsbefugnis von Verbraucherverbänden wie der Auge eingeschränkt werden könne, wenn sie im individuellen Interesse ihrer Mitglieder je nach Art und Wert der getätigten Investitionen handelten, die nicht als Produkte angesehen werden könnten, deren Nutzung oder Verbrauch allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet sei. Unter Berücksichtigung des für Verbraucherverbände geltenden Systems der Prozesskostenhilfe könne die Anerkennung der Rechtsbehelfsbefugnis von Verbraucherverbänden unter solchen Umständen zu einem Prozessbetrug führen, der darin bestünde, die Zahlung der Gerichts- und Verfahrenskosten zu vermeiden.

26.      Bevor auf die Frage des vorlegenden Gerichts eingegangen wird, ist zunächst zu bestimmen, welche Vorschrift im Ausgangsverfahren zeitlich anwendbar ist.

 a)      Vorbemerkungen zur zeitlich anwendbaren Vorschrift

27.      Die MiFID‑I-Richtlinie wurde mit Wirkung vom 3. Januar 2017 aufgehoben, als die MiFID‑II-Richtlinie in Kraft trat(6). Art. 74 Abs. 2 der MiFID‑II-Richtlinie regelt die Befugnis der dort genannten Stellen, im Interesse von Verbrauchern die Gerichte anzurufen. Der Wortlaut ist fast identisch mit Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie. Art. 74 Abs. 2 Satz 1 der MiFID‑II-Richtlinie enthält das Adverb „ebenfalls“, wodurch klargestellt wird, dass die Rechtsbehelfsbefugnis der dort aufgeführten Stellen das Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs gemäß Abs. 1 des Artikels ergänzt.

28.      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass im Ausgangsverfahren Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie anwendbar sei, da die betreffenden Finanzgeschäfte alle zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden seien, zu dem diese Richtlinie gegolten habe.

29.      In der mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof die Kommission gefragt, ob die einschlägige Bestimmung über die Rechtsbehelfsbefugnis materiell- oder verfahrensrechtlicher Art ist, um zu bestimmen, welche Richtlinie zeitlich anwendbar ist. Die Kommission war der Ansicht, dass es sich um eine verfahrensrechtliche Vorschrift handele und dass die Anwendbarkeit der MiFID‑I-Richtlinie oder der MiFID‑II-Richtlinie auf der Grundlage des Zeitpunkts der Klageerhebung zu bestimmen sei.

30.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass sie ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens Anwendung finden, während materiell-rechtliche Vorschriften gewöhnlich so ausgelegt werden, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist(7).

31.      Die Auge hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie ihre Klage im Jahr 2015 eingereicht habe. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die Klage vor 2017 eingereicht wurde.

32.      Soweit die Klage der Auge vor dem Inkrafttreten der MiFID‑II-Richtlinie erhoben wurde, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist, ist die in zeitlicher Hinsicht anwendbare Vorschrift Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie. Es erscheint daher nicht erforderlich, zu bestimmen, ob in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie und Art. 74 Abs. 2 der MiFID‑II-Richtlinie verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Vorschriften festgelegt sind.

33.      Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ist der Wortlaut von Art. 74 Abs. 2 der MiFID‑II-Richtlinie jedenfalls nahezu identisch mit dem von Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie, so dass jede Auslegung der letztgenannten Vorschrift auch für die erstgenannte gültig ist.

34.      Nach alledem beruht meine Würdigung auf der Prämisse, dass Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie in zeitlicher Hinsicht anwendbar ist.

 b)      Reichweite der Klage im „Interesse von Verbrauchern“ gemäß Art. 52 Abs. 2 der MiFIDI-Richtlinie: kollektive oder auch individuelle Interessen?

35.      Banco Santander und die spanische Regierung machen im Wesentlichen geltend, dass die im Ausgangsverfahren aufgeworfene Frage nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle und dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefrage nicht zuständig sei. Ihrer Ansicht nach regelt Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie nur das Recht der Verbraucherverbände, im kollektiven Interesse von Verbrauchern tätig zu werden, nicht aber in deren individuellem Interesse. So betreffe die aufgeworfene Frage die Auslegung des spanischen Rechts, wonach Verbraucherverbände nicht nur zur Wahrnehmung kollektiver Interessen, sondern auch zur Wahrnehmung individueller Interessen rechtsbehelfsbefugt seien.

36.      Soweit Banco Santander und die spanische Regierung die Zuständigkeit des Gerichtshofs verneinen, genügt der Hinweis, dass das vorlegende Gericht mit dieser Frage um die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts ersucht. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass zwar im Rahmen eines nach Art. 267 AEUV eingeleiteten Verfahrens die Auslegung der nationalen Vorschriften Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten und nicht des Gerichtshofs ist, und es ihm nicht zukommt, sich zur Vereinbarkeit von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts mit den Bestimmungen des Unionsrechts zu äußern; der Gerichtshof ist aber befugt, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem Gericht ermöglichen, die Vereinbarkeit solcher Vorschriften mit dem Unionsrecht zu beurteilen(8).

37.      In der vorliegenden Rechtssache erfordert die Frage des vorlegenden Gerichts die Bestimmung der Tragweite des Begriffs „Interesse von Verbrauchern“ im Rahmen einer Klage nach Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie. Diese Frage bezieht sich auf den materiellen Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Der Gerichtshof ist daher für die Beantwortung der Frage zuständig.

38.      Zur Beantwortung der Frage ist festzustellen, dass Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass eine oder mehrere der in dieser Vorschrift genannten Stellen gemäß dem nationalen Recht im Interesse von Verbrauchern die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsinstanzen anrufen kann bzw. können, um dafür zu sorgen, dass die nationalen Vorschriften zur Durchführung der Richtlinie angewandt werden. Die in dieser Vorschrift genannten Stellen sind die folgenden: a) staatliche Stellen oder ihre Vertreter, b) Verbraucherverbände, die ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, und c) Berufsverbände, die ein berechtigtes Interesse daran haben, sich für den Schutz ihrer Mitglieder einzusetzen.

39.      Aus den im Folgenden dargelegten Gründen bin ich der Auffassung, dass der in dieser Vorschrift verwendete Begriff „Interesse von Verbrauchern“ weit genug gefasst ist und es im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt, den genauen Umfang dieses Interesses, das sowohl kollektiv als auch individuell sein kann, zu bestimmen.

40.      Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass das Wort „Verbraucher“ in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie im Plural verwendet wird. Die Verwendung des Plurals weist darauf hin, dass die betreffende Maßnahme eine kollektive Dimension hat. Die Mitgliedstaaten müssen ein Verfahren vorsehen, das es einer oder mehreren der dort aufgeführten Stellen ermöglicht, eine Vielzahl von Verbrauchern und ihre Interessen im Bereich der Finanz- und Wertpapierdienstleistungen zu vertreten.

41.      Im Übrigen ist in Art. 52 Abs. 2 nicht genau festgelegt, welchen Umfang das betreffende Verbraucherinteresse hat bzw. ob die rechtsbehelfsbefugten Stellen ausschließlich die kollektiven Interessen von Verbrauchern, d. h. das allgemeine Interesse von Verbrauchern(9), oder auch die individuellen Interessen einer bestimmten Gruppe von Verbrauchern vertreten dürfen.

42.      Es ist dann Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, den genauen Umfang etwaiger Rechtsbehelfe gemäß Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie im Hinblick auf das Verbraucherinteresse zu bestimmen, das durch diese Klagen geschützt werden soll.

43.      Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie ist nämlich allgemein formuliert und stellt keine abschließende Harmonisierung der einzelstaatlichen Bestimmungen über die Rechtsbehelfe dar, die von den dort aufgeführten Stellen, einschließlich der Verbraucherverbände, eingelegt werden können.

44.      Insoweit ergibt sich aus ihrem zweiten Erwägungsgrund, dass die MiFID‑I-Richtlinie „eine Harmonisierung in dem Umfang [vornimmt], der notwendig ist, um Anlegern ein hohes Schutzniveau zu bieten“(10). Während diese Richtlinie gemäß ihrem fünften Erwägungsgrund eine „umfassende Regelung“ für bestimmte Bereiche der Finanzmärkte festlegt(11), werden die Mittel zur Durchsetzung ihrer Bestimmungen nicht abschließend harmonisiert.

45.      Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie, der zweimal auf das nationale Recht verweist. Erstens bestimmt das nationale Recht, welche der dort aufgeführten Stellen einen Rechtsbehelf einlegen können. Zweitens wird das Recht dieser Stellen, einen Rechtsbehelf einzulegen, „gemäß dem nationalen Recht“ ausgeübt. Durch den Verweis auf das nationale Recht hat der Unionsgesetzgeber es also in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt, die zur Einlegung von Rechtsbehelfen befugten Stellen zu benennen und das Modell der Durchsetzung, die Rechtsbehelfsverfahren, den Umfang der geschützten Verbraucherinteressen und die Bedingungen für die Ausübung der Rechtsbehelfsbefugnis zu bestimmen.

46.      Die in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie aufgeführten verschiedenen Kategorien von Stellen, die je nach nationalem Recht zum Schutz der Interessen von Verbrauchern im Bereich der Finanzdienstleistungen Rechtsbehelfe einlegen können, spiegeln die unterschiedlichen Ansätze und Traditionen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die primäre Zuständigkeit für die Durchsetzung von Vorschriften zum Schutz der Interessen von Verbrauchern wider. Die Unterscheidung besteht weitgehend darin, ob die Hauptverantwortung für die Durchsetzung bei den Behörden (öffentliche Durchsetzung) oder bei Verbraucherverbänden und Berufsverbänden (private Durchsetzung) oder bei einer Mischung aus beiden liegt(12). Je nachdem, welche Entscheidung die Mitgliedstaaten treffen, kann die ausschließliche oder Hauptverantwortung dafür, Rechtsbehelfe im Interesse von Verbrauchern einzulegen, um die Anwendung der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der MiFID‑I-Richtlinie sicherzustellen, bei den staatlichen Stellen oder ihren Vertretern liegen (Art. 52 Abs. 2 Buchst. a) (Modell der staatlichen Durchsetzung)(13). Die Mitgliedstaaten können auch beschließen, dass die alleinige oder vorrangige Zuständigkeit bei Verbraucherverbänden liegt, die gemäß Art. 52 Abs. 2 Buchst. b ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, und/oder bei Berufsverbänden, die gemäß Art. 52 Abs. 2 Buchst. c ein berechtigtes Interesse daran haben, sich für den Schutz ihrer Mitglieder einzusetzen (Modell der privaten Durchsetzung).

47.      Die Wahl des Durchsetzungsmodells hat Auswirkungen auf den Umfang der geschützten Verbraucherinteressen. Staatliche Stellen schützen das Allgemeininteresse. Verbraucherverbände schützen in erster Linie auch das allgemeine Verbraucherinteresse(14). Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Verbraucherverbände nach nationalem Recht zur Wahrnehmung individueller Interessen Rechtsbehelfe einlegen können(15). Die Verteidigung der individuellen Verbraucherinteressen (im Bereich der Finanz- und Wertpapierdienstleistungen) ist offensichtlich für die in Art. 52 Abs. 2 Buchst. c der MiFID‑I-Richtlinie aufgeführte Durchsetzungsoption insofern besonders relevant, als sie sich auf „Berufsverbände, die ein berechtigtes Interesse daran haben, sich für den Schutz ihrer Mitglieder einzusetzen“, bezieht(16).

48.      In einem weiteren Kontext ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der MiFID‑I-Richtlinie (im Jahr 2004) der Grad der Harmonisierung der Rechtsbehelfe zum Schutz der Verbraucherinteressen in der Europäischen Union im Allgemeinen äußerst gering war(17).

49.      In nur wenigen für den Verbraucherschutz relevanten Bereichen waren Unterlassungsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen von Verbrauchern vorgesehen, ohne die bestehenden Rechtsbehelfsverfahren zum Schutz von Verbrauchern abzuschaffen.

50.      Die wichtigste dieser Bestimmungen, die nach wie vor in Kraft ist, ist Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG(18). Der in dieser Bestimmung vorgesehene Mechanismus erlaubt es den Mitgliedstaaten, eine Kontrolle der in Musterverträgen enthaltenen missbräuchlichen Klauseln mit von Verbraucherschutzvereinigungen im öffentlichen Interesse erhobenen Unterlassungsklagen einzuführen(19).

51.      Mit der Richtlinie 98/27/EG(20) wurden die Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Unterlassungsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher angeglichen, die unter die in ihrem Anhang aufgeführten Richtlinien fallen(21). Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 98/27 sind die „Kollektivinteressen“ der Verbraucher Interessen, „bei denen es sich nicht um eine Kumulierung von Interessen durch einen Verstoß geschädigter Personen handelt“.

52.      Die Richtlinie 98/27 enthielt in ihrem Anhang keinen Verweis auf die Vorgängerrichtlinie der MiFID‑I-Richtlinie, die Richtlinie 93/22/EWG(22). Dies erscheint angebracht, da die Richtlinie 93/22 lediglich darauf abzielte, die Anforderungen an die Erstzulassung und die Tätigkeitsbedingungen von Wertpapierfirmen zu harmonisieren, und für den Schutz der im Bereich der Finanz- und Wertpapierdienstleistungen tätigen Verbraucher nicht von großer Bedeutung war(23).

53.      Nach dem Inkrafttreten der MiFID‑I-Richtlinie und trotz des Verweises auf das „Interesse von Verbrauchern“ in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie erfolgte keine Änderung des Anhangs der Richtlinie 98/27. Auch die Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen(24) nahm die MiFID‑I-Richtlinie nicht in ihren Anhang auf. Die Tatsache, dass die MiFID‑I-Richtlinie nicht im Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/22 enthalten war, lässt außerdem darauf schließen, dass die Harmonisierung der Rechtsbehelfsverfahren zum Schutz der Verbraucherinteressen im Bereich der MiFID‑I-Richtlinie gering war und blieb.

54.      Die Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher(25) führte zu einer ersten umfassenderen Harmonisierung des kollektiven Rechtsschutzes auf Ebene der Europäischen Union(26), die sowohl Unterlassungs- als auch Abhilfeentscheidungen umfasst. Diese Richtlinie definiert die „Kollektivinteressen der Verbraucher“ als „das allgemeine Interesse der Verbraucher und, insbesondere im Hinblick auf Abhilfeentscheidungen, die Interessen einer Gruppe von Verbrauchern“(27).

55.      Der Anwendungsbereich der Richtlinie 2020/1828 ist besonders weit gefasst. In vielen Bereichen, in denen die Interessen der Verbraucher betroffen sind, darunter auch bei den Finanzdienstleistungen, soll mit ihr ein hohes Verbraucherschutzniveau erreicht werden(28). Ihr Anhang bezieht sich insbesondere auf Art. 23 bis 29 der MiFID‑II-Richtlinie, die Bestimmungen enthalten, die den Anlegerschutz gewährleisten sollen.

56.      Einige Erwägungsgründe der Richtlinie 2020/1828 zeigen die Vielfalt der zum Zeitpunkt ihrer Annahme bestehenden Rechtsbehelfsverfahren zum Schutz der individuellen als auch der kollektiven Interessen der Verbraucher, auch im Bereich der Finanzdienstleistungen. Insbesondere heißt es im 13. Erwägungsgrund, dass es zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus erforderlich ist, dass „Bereiche wie … Finanzdienstleistungen … zusätzlich zum allgemeinen Verbraucherrecht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen“ und dass „es insbesondere wichtig [ist], in diesen Bereichen für eine bessere Durchsetzung des Verbraucherrechts zu sorgen“, da „eine wachsende Verbrauchernachfrage nach Finanz- und Wertpapierdienstleistungen besteht“. Im elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2020/1828 heißt es, dass die Richtlinie „bestehende nationale Verbandsklageverfahren zum Schutz der Kollektivinteressen oder der individuellen Interessen der Verbraucher nicht ersetzen“ sollte(29). Schließlich heißt es im 48. Erwägungsgrund: „Die Mitgliedstaaten sollten Vorschriften für die Koordinierung von Verbandsklagen, Einzelklagen von Verbrauchern und sonstigen Klagen zum Schutz der individuellen Interessen und der Kollektivinteressen der Verbraucher, die im Unionsrecht und im nationalen Recht festgelegt sind, einführen.“(30)

57.      Aus all dem ergibt sich, dass der Begriff „Interesse von Verbrauchern“ in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie weit zu verstehen ist und es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Klagen zum Schutz der kollektiven, aber auch der individuellen Interessen der Verbraucher vorzusehen, je nach den nationalen Traditionen, die sehr unterschiedlich sein können.

58.      So liegt es im Ermessen der Mitgliedstaaten, wenn sie beschließen, Verbraucherverbänden die Rechtsbehelfsbefugnis gemäß Art. 52 Abs. 2 Buchst. b der MiFID‑I-Richtlinie zu verleihen, die Klage auf die Verteidigung der kollektiven Interessen von Verbrauchern zu beschränken. Es liegt auch in ihrem Ermessen, wie in Spanien anzuerkennen, dass die Verbraucherverbände nicht nur die kollektiven und allgemeinen Interessen der Verbraucher, sondern auch die individuellen Interessen ihrer Mitglieder vertreten können.

59.      Wie ich im nächsten Abschnitt erläutern werde, sind dem Ermessen der Mitgliedstaaten bei der Festlegung des Umfangs einer Klage in dieser Hinsicht jedoch Grenzen gesetzt.

 c)      Grenzen des Ermessens der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Art. 52 Abs. 2 der MIFIDI-Richtlinie

60.      Nach Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine oder mehrere der darin benannten Stellen „gemäß dem nationalen Recht“ im Interesse von Verbrauchern Rechtsbehelfe einlegen können, um dafür zu sorgen, dass die nationalen Vorschriften zur Durchführung dieser Richtlinie angewandt werden. Machen die Mitgliedstaaten jedoch von dem ihnen in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie eingeräumten Ermessen Gebrauch, müssen sie sich, wie die Kommission im Wesentlichen festgestellt hat, an die in dieser Bestimmung festgelegten Grenzen halten. Genauer gesagt darf die einschlägige Regelung im nationalen Recht die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung unter Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie nicht beeinträchtigen(31).

61.      Was konkret den sachlichen Anwendungsbereich der Klage nach Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie angeht, so ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass sie die ordnungsgemäße Anwendung der nationalen Vorschriften zur Durchführung dieser Richtlinie im Interesse von Verbrauchern betrifft, ohne Anleger auszuschließen, die als Verbraucher anzusehen sind(32).

62.      Der Begriff „Verbraucher“ ist weder in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie noch in einer anderen Bestimmung der Richtlinie definiert. In Art. 4 der MiFID‑I-Richtlinie werden dagegen der Begriff „Kunde“ und die beiden Kundenkategorien (Kleinanleger und professioneller Kunde) definiert(33).

63.      Wie in der wissenschaftlichen Literatur zu Recht festgestellt wird, gibt es keine einheitliche Definition des Begriffs „Verbraucher“ im Unionsrecht(34). Jede Richtlinie definiert ihren Anwendungsbereich und enthält eine eigene Definition des „Verbrauchers“, die für den jeweiligen Rechtsakt relevant ist. In der MiFID‑I-Richtlinie wird jedoch nicht definiert, was ein „Verbraucher“ ist. Um die Einhaltung der vom Unionsgesetzgeber im Bereich der Verbraucherverträge verfolgten Ziele und die Kohärenz des Unionsrechts zu gewährleisten, muss daher insbesondere die Definition des Begriffs „Verbraucher“ in anderen Vorschriften des Unionsrechts berücksichtigt werden(35). Die Rechtsinstrumente, die zum Zeitpunkt der Annahme der MiFID‑I-Richtlinie für den Schutz von Verbraucherinteressen relevant waren(36), lassen eine Übereinstimmung bei bestimmten wesentlichen Elementen der Definition des Begriffs „Verbraucher“ erkennen(37). Der Verbraucher ist eine natürliche Person, die ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen allein zu dem Zweck handelt, ihren Eigenbedarf beim privaten Verbrauch zu decken.

64.      Dieses Verständnis des Begriffs des Verbrauchers, das auf dem Kriterium der natürlichen Person beruht, die ohne Bezug zu ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt, ist objektiver Natur(38). In Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie gibt es keinen Hinweis darauf, dass für die Einstufung eines Anlegers als „Verbraucher“ im Sinne dieser Bestimmung die finanzielle Situation dieser Person zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Anlage getätigt hat, sowie die Art und der Wert der Finanzinstrumente, in die investiert wurde, berücksichtigt werden müssen.

65.      Der Verweis auf das „Interesse von Verbrauchern“ in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie zeigt, dass Anleger, die als Verbraucher eingestuft werden können, zwei „Hüte“ tragen, nämlich den des Verbrauchers und den des Anlegers. In Art. 53 der MiFID‑I-Richtlinie wird dieser doppelte Status bestätigt. Wie der Titel dieser Bestimmung besagt, regelt sie das außergerichtliche Verfahren für Anlegerbeschwerden.  Darin heißt es, dass die Mitgliedstaaten die Einrichtung effizienter und wirksamer Beschwerde- und Schlichtungsverfahren für die außergerichtliche Beilegung von „Streitfällen von Verbrauchern über die von Wertpapierfirmen erbrachten Wertpapier- und Nebendienstleistungen“ fördern. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass es Streitfälle von Anlegern gibt, die als Streitfälle von Verbrauchern zu qualifizieren sind(39).

66.      Der doppelte Status des Verbraucher-Anlegers wird durch die MiFID‑II-Richtlinie bestätigt, die in ihren Erwägungsgründen auf das Ziel des Anleger- und Verbraucherschutzes verweist(40).

67.      Dieser doppelte Status wird auch durch die Richtlinie 2020/1828 unterstützt. Im 14. Erwägungsgrund heißt es, dass diese Richtlinie „Verstöße gegen die in Anhang I genannten Bestimmungen des Unionsrechts abdecken [sollte], soweit diese Bestimmungen dem Schutz der Interessen der Verbraucher dienen, unabhängig davon, ob diese Verbraucher darin als Verbraucher, … Kunden, Kleinanleger, Einzelinvestoren … oder anderweitig bezeichnet werden“ (Hervorhebung nur hier).

68.      Daraus ergibt sich, dass im Zusammenhang mit Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie die Begriffe „Anleger“ und „Verbraucher“ nebeneinander bestehen und einen „zusammengesetzten Begriff“(41) des „Verbraucher-Anlegers“ ergeben.

69.      Diese Koexistenz beinhaltet keinen Schwellenwert in Bezug auf finanzielle Mittel oder den Wert von Finanzinstrumenten im Hinblick auf die in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie vorgesehene Rechtsbehelfsbefugnis. Für die Zwecke dieser Vorschrift führt also das Verhalten des Verbrauchers als Anleger, insbesondere der Betrag, den er investiert hat, oder die Komplexität oder der Wert der Instrumente, nicht dazu, dass er die Verbrauchereigenschaft verliert, soweit er ohne Bezug zu seinem Beruf handelt(42).

70.      Daraus folgt, dass diese Faktoren für die Feststellung der Befugnis der dort genannten Stellen, im Interesse von Verbraucher-Anlegern Rechtsbehelfe einzulegen, nicht relevant sein können. Mit anderen Worten: Die Rechtsbehelfsbefugnis nach Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie kann nicht vom Status der Anleger als Verbraucher getrennt werden.

71.      Der Ausschluss der Befugnis dieser Stellen, insbesondere der Verbraucherverbände, für bestimmte Anleger, die den Status von Verbrauchern haben, Rechtsbehelfe einzulegen, würde diesen Status indirekt schwächen, obwohl er tatsächlich keinen Einschränkungen oder Vorbehalten unterliegt. Darüber hinaus würde ein Ausschluss dieser Befugnis die praktische Wirksamkeit von Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie untergraben, die darin besteht, eine Befugnis vorzusehen, im Interesse aller Verbraucher-Anleger Rechtsbehelfe einzulegen, ohne dass zwischen verschiedenen Stufen dieser Befugnis je nach Größe oder Art der Anlage unterschieden wird. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass das Ziel der MiFID‑I-Richtlinie nach dem zweiten und dem 31. Erwägungsgrund darin besteht, Anlegern ein hohes Schutzniveau zu bieten.

72.      Im vorliegenden Fall steht fest, dass das spanische Recht Verbraucherverbänden die Befugnis zuerkennt, die Rechte und Interessen ihrer Mitglieder sowie die allgemeinen Interessen von Verbrauchern zu vertreten. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die am Ausgangsverfahren beteiligten natürlichen Personen Verbraucher sind und dass ihre Verbrauchereigenschaft feststeht. Darüber hinaus erklärt das Gericht, dass es im Allgemeinen die Befugnis von Verbraucherverbänden anerkannt habe, ihre Mitglieder in Streitigkeiten, die unter die MiFID‑I-Richtlinie fielen, zu verteidigen. Es ist jedoch der Ansicht, dass die Rechtsbehelfsbefugnis der Verbraucherverbände eingeschränkt werden sollte, wenn sie die Interessen von Verbrauchern verträten, die in komplexe Finanzprodukte investiert hätten.

73.      Aus den oben in den Nrn. 69 bis 71 dargelegten Gründen ist jedoch eine solche gerichtliche Auslegung, die die Rechtsbehelfsbefugnis dieser Verbände auf der Grundlage des Wertes oder der Art des Finanzprodukts einschränkt, geeignet, die nützliche Wirkung von Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie zu untergraben.

74.      Daraus folgt, dass es zwar im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt, bei der Umsetzung von Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie zu entscheiden, ob Verbraucherverbände befugt sind, die kollektiven Interessen von Verbrauchern oder auch die individuellen Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten, dass diese Befugnis aber mit dem Status dieser Anleger als Verbraucher verknüpft ist. Die Art der Produkte oder die Höhe der von den betroffenen Verbraucher-Anlegern getätigten Investitionen sind in diesem Zusammenhang nicht entscheidend.

 d)      Rechtsbehelfsbefugnis und Verfahrensmissbrauch im Hinblick auf die geltende Regelung der Prozesskostenhilfe

75.      Das vorlegende Gericht hat erklärt, dass Verbraucherverbände nach spanischem Recht Anspruch auf Prozesskostenhilfe hätten, wenn sich die erhobenen Klagen „unmittelbar auf Produkte oder Dienstleistungen beziehen, deren Nutzung oder Verbrauch allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet ist“. Dies bedeutet, dass Verbraucherverbände nach dem geltenden nationalen Recht(43) nicht verpflichtet sind, die Kosten der Gegenseite zu tragen, selbst wenn sie unterliegen. Außerdem sind die Verbraucherverbände nicht verpflichtet, die mit der Klageerhebung verbundenen Gerichtskosten zu tragen.

76.      Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass in Fällen, in denen ein Verbraucherverband eine Klage erhebe, die sich nicht „unmittelbar auf Produkte oder Dienstleistungen bezieht, deren Nutzung oder Verbrauch allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet ist“, wie komplexe Finanzprodukte, die unter die MiFID‑I-Richtlinie fielen, die Gefahr einer betrügerischen oder missbräuchlichen Verwendung der Rechtsbehelfsbefugnis bestehe. Dieser Missbrauch bestehe darin, dass der Verbraucherverband die „privilegierte“ Regelung der Prozesskostenhilfe in unzulässiger Weise ausnutze.

77.      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die im nationalen Recht aufgestellten Voraussetzungen für den Anspruch eines Verbraucherverbands auf Prozesskostenhilfe auszulegen. Genauer gesagt obliegt es dem nationalen Gericht, zu entscheiden, ob komplexe Finanzprodukte von hohem Wert dahin zu betrachten sind, dass sie unter den Begriff „Produkte oder Dienstleistungen, deren Nutzung oder Verbrauch allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet ist“, fallen. Es ist auch Sache des vorlegenden Gerichts, die Folgen der Einstufung solcher Produkte in Bezug auf die Anwendbarkeit der nationalen Regelung über die Prozesskostenhilfe zu bestimmen.

78.      Zweitens muss klar unterschieden werden zwischen der Rechtsbehelfsbefugnis von Verbraucherverbänden im Rahmen der MiFID‑I-Richtlinie und der Frage der Prozesskostenhilfe oder eines möglichen Verfahrensmissbrauchs.

79.      Die von mir in diesen Schlussanträgen vertretene Auffassung, dass die Rechtsbehelfsbefugnis von Verbraucherverbänden nach Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie nicht aufgrund des Wertes oder der Art der betreffenden Finanzprodukte eingeschränkt werden darf, berührt nicht die Frage, ob die Prozesskostenhilfe für diese Verbände aufgrund eines solchen Kriteriums eingeschränkt werden darf.

80.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie (oder jede andere damals geltende Unionsregelung) keine Bestimmung über die Prozesskostenhilfe für die rechtsbehelfsbefugten Stellen enthält. Daraus folgt, dass es in Ermangelung von Unionsregelungen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für Verbraucherverbände, wenn diese im Rahmen von Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie im Interesse von Verbrauchern Rechtsbehelfe einlegen, Sache des Rechts jedes einzelnen Mitgliedstaats ist, solche Bestimmungen nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie aufzustellen, sofern diese nicht ungünstiger als die Bestimmungen sind, die ähnliche, dem nationalen Recht unterliegende Fälle regeln (Äquivalenzprinzip), und sie die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte nicht in der Praxis unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsprinzip)(44).

81.      Hinsichtlich des Äquivalenzgrundsatzes ist festzustellen, dass der Gerichtshof über keine Anhaltspunkte verfügt, die Zweifel an der Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren fraglichen Verfahrensregeln mit diesem Grundsatz hervorrufen könnten.

82.      Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht zu treffenden Feststellungen geht aus Zusatzbestimmung 2 zum Gesetz 1/1996 hervor, dass die Regel, wonach Verbraucherverbände Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn sich die erhobenen Klagen unmittelbar auf Produkte oder Dienstleistungen beziehen, deren Nutzung oder Verbrauch allgemein, gewöhnlich und weit verbreitet ist, für alle einschlägigen Klagen gilt, unabhängig davon, ob sie auf Unionsrecht oder nationales Recht gestützt sind.

83.      Hinsichtlich des Effektivitätsgrundsatzes ist zu beachten, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens(45).

84.      Darüber hinaus können sich nationale Vorschriften, die den Zugang zu Prozesskostenhilfe einschränken, auf das Recht auf Zugang zu den Gerichten und auf den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes auswirken, wie er in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist(46). Dieses Recht schließt es ein, dass Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten(47).

85.      Im vorliegenden Fall zeigt sich, vorbehaltlich der Überprüfung durch das nationale Gericht, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe für Verbraucherverbände nicht von der finanziellen Situation des Verbandes abhängt, sondern nur von der Art der von dem Rechtsstreit betroffenen Produkte oder Dienstleistungen. Außerdem zeigt sich, dass das geltende nationale Recht den Grundsatz „die unterlegene Partei zahlt die Verfahrenskosten“ (Verliererprinzip) zugunsten von Verbraucherverbänden außer Kraft setzt(48).

86.      Soweit das nationale Recht eine günstige Regelung für Verbraucherverbände vorsieht und vom „Verliererprinzip“ abweicht, scheinen die Kriterien, die das nationale Recht für die Inanspruchnahme dieser Regelung in Bezug auf die Art des Produkts aufstellt, nach der Auslegung durch die nationalen Gerichte nicht geeignet, den Grundsatz der Effektivität zu untergraben(49).

87.      Soweit in Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bekräftigt wird(50), ist im Übrigen festzustellen, dass die betreffende nationale Regelung die Gewährung von Prozesskostenhilfe für Verbraucherverbände ermöglicht, ohne den Nachweis zu verlangen, dass diese nicht über ausreichende Mittel verfügen. Unter diesen Umständen ist diese besondere Regelung der Prozesskostenhilfe offensichtlich nicht geeignet, das Recht des Verbraucherverbandes auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu beeinträchtigen.

88.      Außerdem berühren die Kriterien, die das nationale Recht aufstellt, damit Verbraucherverbände in den Genuss der besonderen Prozesskostenhilferegelung kommen, nicht – wie die spanische Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat und vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – das Recht einzelner Anleger, die den Status von Verbrauchern haben, gemäß den einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts eine Individualklage zu erheben und Prozesskostenhilfe zu beantragen, wenn sie nicht über ausreichende Mittel verfügen.

89.      Es ist auch Sache des nationalen Gerichts, die nationalen Rechtsvorschriften anzuwenden, um missbräuchliche Rechtsstreitigkeiten und unbegründete Forderungen zu sanktionieren(51).

90.      Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die bloße Tatsache, dass ein Verbraucherverband im Namen von Verbraucher-Anlegern, die über erhebliche finanzielle Mittel verfügen und in komplexe Produkte investiert haben, Klage erhebt, als solche keinen Verfahrensmissbrauch darstellt, der dem Verbraucherverband die Rechtsbehelfsbefugnis entziehen würde.

91.      Jede andere Auslegung würde im Einklang mit meiner obigen Analyse(52) die praktische Wirksamkeit von Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie untergraben.

92.      Nach alledem ist Art. 52 Abs. 2 der MiFID‑I-Richtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, die die Befugnis von Verbraucherverbänden, die individuellen Interessen bestimmter Kategorien von Anlegern, die den Status von Verbrauchern haben, zu vertreten, ausnahmsweise auf der Grundlage des Werts und der Art der Finanzprodukte beschränkt, in die sie investiert haben. Dies gilt unbeschadet der Frage, ob die Prozesskostenhilfe und die damit verbundene Befreiung von der Zahlung der Gerichtsgebühren und der Kosten der Gegenseite auf der Grundlage solcher Kriterien eingeschränkt werden kann.

 V.      Ergebnis

93.      Ich schlage dem Gerichtshof vor, die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) wie folgt zu beantworten:

Art. 52 Abs. 2 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates

ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, die die Befugnis von Verbraucherverbänden, die individuellen Interessen bestimmter Kategorien von Anlegern, die den Status von Verbrauchern haben, zu vertreten, ausnahmsweise auf der Grundlage des Werts und der Art der Finanzprodukte beschränkt, in die sie investiert haben. Dies gilt unbeschadet der Frage, ob die Prozesskostenhilfe und die damit verbundene Befreiung von der Zahlung der Gerichtsgebühren und der Kosten der Gegenseite auf der Grundlage solcher Kriterien eingeschränkt werden kann.






















































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