SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JEAN RICHARD DE LA TOUR
vom 20. April 2023(1)
Rechtssache C‑246/22
BW,
Beteiligte:
Staatsanwaltschaft Köln,
Bundesamt für Güterverkehr
(Vorabentscheidungsersuchen des Amtsgerichts Köln [Deutschland])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verkehr – Kombinierter Güterverkehr – Richtlinie 92/106/EWG – Grenzüberschreitende Beförderungen auf der Straße – Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 – Beförderung von Leercontainern zur Beladung mit Gütern oder zur Entladung von Gütern als untrennbarer Teil der Beförderung von beladenen Containern – Kabotage“
I. Einleitung
1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 92/106/EWG des Rates vom 7. Dezember 1992 über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten(2) und der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs(3).
2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen BW, Geschäftsführerin eines Transportunternehmens mit Sitz in Rumänien, und dem Bundesamt für Güterverkehr (im Folgenden: BAG) wegen eines Bußgelds, das wegen der Verletzung von Kabotagevorschriften verhängt wurde, weil BW nach Auffassung des BAG bei der Beförderung von nicht von der Privilegierung des kombinierten Verkehrs erfassten Leercontainern die von Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009 vorgesehene Höchstgrenze überschritten hat.
3. In diesem Kontext wird der Gerichtshof zu klären haben, ob die Beförderung von Leercontainern zum Ort der Beladung mit Gütern oder vom Ort der Entladung von Gütern, wenn diese Beförderung unmittelbar einer im Rahmen des kombinierten Verkehrs vorgenommenen Beförderung von beladenen Containern vorangeht oder wenn diese ihr unmittelbar folgt, unter den Begriff „kombinierter Verkehr“ fällt oder ob ein solcher Vorgang den in dieser Verordnung vorgesehenen Beschränkungen für Kabotagebeförderungen zu unterwerfen ist.
4. In diesen Schlussanträgen werde ich am Ende meiner Würdigung dem Gerichtshof vorschlagen, für Recht zu erkennen, dass Art. 1 der Richtlinie 92/106 und Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009 dahin auszulegen sind, dass die Beförderung von Leercontainern zum Ort der Beladung mit Gütern oder vom Ort der Entladung von Gütern untrennbarer Teil der Beförderung der beladenen Container in der Weise ist, dass die Beförderung der Leercontainer an der Privilegierung der Beförderung von beladenen Containern teilnimmt, soweit diese im kombinierten Verkehr von den Kabotagevorschriften der Verordnung Nr. 1072/2009 ausgenommen sind.
II. Rechtsrahmen
A. Unionsrecht
1. Richtlinie 92/106
5. Die Erwägungsgründe 3, 5 und 6 der Richtlinie 92/106 lauten:
„Angesichts der zunehmenden Probleme im Zusammenhang mit der Überlastung der Straßen, dem Umweltschutz und der Sicherheit im Straßenverkehr ist es im allgemeinen Interesse notwendig, den kombinierten Verkehr als Alternative zum Straßenverkehr weiter auszubauen.
…
Die Aufhebung aller mengenmäßigen Beschränkungen sowie verschiedener im Bereich des Straßentransports noch bestehender einengender Verwaltungsvorschriften fördert eine stärkere Inanspruchnahme des kombinierten Verkehrs.
Damit der kombinierte Verkehr zu einer wirklichen Entlastung der Straßen führt, sollte diese Liberalisierung auf Straßentransporte unterhalb einer bestimmten Streckenlänge beschränkt werden.“
6. Art. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Diese Richtlinie gilt unbeschadet der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 für Beförderungen im kombinierten Verkehr[(4)].
Im Sinne dieser Richtlinie gelten als ‚kombinierter Verkehr‘ Güterbeförderungen zwischen Mitgliedstaaten, bei denen der Lastkraftwagen, der Anhänger, der Sattelanhänger mit oder ohne Zugmaschine, der Wechselaufbau oder der Container von mindestens 20 Fuß Länge die Zu- und Ablaufstrecke auf der Straße und den übrigen Teil der Strecke auf der Schiene oder auf einer Binnenwasserstraße oder auf See, sofern diese mehr als 100 km Luftlinie beträgt, zurücklegt, wobei der Straßenzu- oder ‑ablauf erfolgt:
– entweder – für die Zulaufstrecke – zwischen dem Ort, an dem die Güter geladen werden, und dem nächstgelegenen geeigneten Umschlagbahnhof bzw. – für die Ablaufstrecke – zwischen dem nächstgelegenen geeigneten Umschlagbahnhof und dem Ort, an dem die Güter entladen werden.
– oder in einem Umkreis von höchstens 150 km Luftlinie um den Binnen- oder Seehafen des Umschlags.“
7. Art. 4 dieser Richtlinie bestimmt:
„Alle in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Verkehrsunternehmer, welche die Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf und für den Zugang zum Markt für den Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten erfüllen, dürfen im Rahmen des kombinierten Verkehrs zwischen Mitgliedstaaten innerstaatliche oder grenzüberschreitende Zu- und/oder Ablaufverkehre auf der Straße durchführen, die Bestandteil des kombinierten Verkehrs sind.“
2. Verordnung Nr. 1072/2009
8. Die Erwägungsgründe 2, 13, 15 und 16 der Verordnung Nr. 1072/2009 lauten:
„(2) Zur Schaffung einer gemeinsamen Verkehrspolitik gehört unter anderem die Aufstellung gemeinsamer Regeln für den Marktzugang im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr im Gebiet der Gemeinschaft sowie die Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind. Diese Regeln müssen so gestaltet sein, dass sie zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes im Verkehr beitragen.
…
(13) Verkehrsunternehmer, die Inhaber der Gemeinschaftslizenz gemäß dieser Verordnung sind, sowie Verkehrsunternehmer, die zur Durchführung bestimmter Kategorien grenzüberschreitender Beförderungen berechtigt sind, sollten im Einklang mit dieser Verordnung zeitweilig zur innerstaatlichen Beförderung in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen werden, ohne dort über einen Unternehmenssitz oder eine Niederlassung verfügen zu müssen. …
…
(15) Unbeschadet der Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit ist die Kabotagebeförderung die Erbringung von Dienstleistungen durch einen Verkehrsunternehmer in einem Mitgliedstaat, in dem er nicht niedergelassen ist; sie sollte nicht untersagt werden, sofern sie nicht dergestalt durchgeführt wird, dass dadurch eine dauerhafte oder ununterbrochene Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat entsteht. …
(16) Diese Verordnung berührt nicht die Bestimmungen über den An- und Abtransport von Gütern über die Straße als Teil eines Transports im Rahmen des kombinierten Verkehrs, die in der [Richtlinie 92/106] festgelegt sind. Inländische Fahrten innerhalb eines Aufnahmemitgliedstaats, die nicht als Teil eines Transports im Rahmen des kombinierten Güterverkehrs nach der [Richtlinie 92/106] durchgeführt werden, fallen unter die Definition von Kabotage und sollten deshalb den Anforderungen dieser Verordnung unterliegen.“
9. Art. 1 („Anwendungsbereich“) dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Diese Verordnung gilt für den grenzüberschreitenden gewerblichen Güterkraftverkehr auf den im Gebiet der [Union] zurückgelegten Wegstrecken.
…
(4) Diese Verordnung gilt für den innerstaatlichen Güterkraftverkehr, der von einem gebietsfremden Verkehrsunternehmer gemäß Kapitel III zeitweilig durchgeführt wird.
(5) Folgende Beförderungen sowie im Zusammenhang damit durchgeführte Leerfahrten bedürfen keiner Gemeinschaftslizenz und sind von jeglichem Erfordernis einer Beförderungsgenehmigung ausgenommen:
…
d) die Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen …
…“
10. Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung sieht vor:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
…
2. ‚grenzüberschreitender Verkehr‘
a) eine beladen zurückgelegte Fahrt eines Fahrzeugs mit oder ohne Transit durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten oder ein oder mehrere Drittländer, bei der sich der Ausgangspunkt und der Bestimmungsort in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten befinden,
b) eine beladen zurückgelegte Fahrt eines Fahrzeugs von einem Mitgliedstaat in ein Drittland oder umgekehrt, mit oder ohne Transit durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten oder ein oder mehrere Drittländer,
c) eine beladen zurückgelegte Fahrt eines Fahrzeugs zwischen Drittländern mit Transit durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder
d) eine Leerfahrt in Verbindung mit Beförderungen gemäß den Buchstaben a, b und c;
3. ‚Aufnahmemitgliedstaat‘ einen Mitgliedstaat, in dem ein Verkehrsunternehmer tätig ist und der ein anderer als sein Niederlassungsmitgliedstaat ist;
4. ‚gebietsfremder Verkehrsunternehmer‘ einen Verkehrsunternehmer, der in einem Aufnahmemitgliedstaat tätig ist;
…
6. ‚Kabotage‘ gewerblichen innerstaatlichen Verkehr, der im Einklang mit dieser Verordnung zeitweilig in einem Aufnahmemitgliedstaat durchgeführt wird;
…“
11. Kapitel III („Kabotage“) dieser Verordnung enthält u. a. Art. 8, der den folgenden Wortlaut hat:
„(1) Jeder Verkehrsunternehmer, der Inhaber einer Gemeinschaftslizenz ist und dessen Fahrer, wenn er Staatsangehöriger eines Drittlandes ist, eine Fahrerbescheinigung mit sich führt, ist unter den in diesem Kapitel festgelegten Bedingungen zur Durchführung von Kabotage berechtigt.
(2) Die in Absatz 1 genannten Güterkraftverkehrsunternehmer sind berechtigt, im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung aus einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland in den Aufnahmemitgliedstaat nach Auslieferung der Güter bis zu drei Kabotagebeförderungen mit demselben Fahrzeug oder im Fall von Fahrzeugkombinationen mit dem Kraftfahrzeug desselben Fahrzeugs durchzuführen. Bei Kabotagebeförderungen erfolgt die letzte Entladung, bevor der Aufnahmemitgliedstaat verlassen wird, innerhalb von sieben Tagen nach der letzten Entladung der in den Aufnahmemitgliedstaat eingeführten Lieferung.
…“
B. Deutsches Recht
12. § 13 der Verordnung über den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr und den Kabotageverkehr(5) vom 28. Dezember 2011 sieht vor:
„Als grenzüberschreitender gewerblicher kombinierter Verkehr gelten Güterbeförderungen, bei denen
1. das Kraftfahrzeug, der Anhänger, der Fahrzeugaufbau, der Wechselbehälter oder der Container von mindestens 6 Meter Länge einen Teil der Strecke auf der Straße und einen anderen Teil der Strecke mit der Eisenbahn oder dem Binnen- oder Seeschiff (mit einer Seestrecke von mehr als 100 Kilometer Luftlinie) zurücklegt,
2. die Gesamtstrecke zum Teil im Inland und zum Teil im Ausland liegt und
3. die Beförderung auf der Straße im Inland lediglich zwischen Be- oder Entladestelle und
a) dem nächstgelegenen geeigneten Bahnhof oder
b) einem innerhalb eines Umkreises von höchstens 150 Kilometer Luftlinie gelegenen Binnen- oder Seehafen
durchgeführt wird (An- oder Abfuhr).“
13. § 15 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Ein Unternehmer, dessen Unternehmen seinen Sitz in einem Mitgliedstaat … hat, darf An- oder Abfuhren im kombinierten Verkehr im Sinne des § 13 im Inland durchführen, wenn er die Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf und für den Zugang zum Markt für den Güterkraftverkehr zwischen Mitgliedstaaten erfüllt.“
III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage
14. Im Rahmen einer am 22. Januar und 6. Februar 2020 bei der Contargo Rhein-Neckar GmbH durchgeführten Betriebskontrolle beanstandete das BAG 60 Beförderungen, die für dieses Unternehmen von einem Beförderungsunternehmen mit Sitz in Rumänien, dessen Geschäftsführerin BW ist, im Zeitraum vom 6. bis 27. Mai 2019 vorgenommen wurden.
15. Das BAG wirft BW vor, in mindestens 57 Fällen leere Container befördert zu haben, die nicht unter die Privilegierung des kombinierten Verkehrs fielen und die damit Kabotagebeförderungen darstellten. BW habe daher als Geschäftsführerin gegen die Beschränkung auf drei Kabotagebeförderungen innerhalb von sieben Tagen gemäß Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009 verstoßen.
16. BW macht geltend, der Transport der leeren Container sei Teil des Transports der beladenen Container gewesen, der unter die Privilegierung des kombinierten Verkehrs falle. Ihr Geschäftszweck bestehe darin, beladene Container an einem Binnencontainerterminal zu übernehmen und diese dann an ihre Empfänger zu befördern. Nach der Entladung der Güter würden die dann leeren Container wieder an einen Binnencontainerterminal transportiert. Schließlich erfolge nach deren Wiederbeladung eine weitere Beförderung zunächst zu einem Binnencontainerterminal und von dort zu Häfen zur Verschiffung per Seeschiff. Es sei daher richtig, die Beförderung der leeren Container nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil des gesamten Transportauftrags anzusehen und damit an der Privilegierung des kombinierten Verkehrs teilhaben zu lassen.
17. Mit Entscheidung vom 30. Oktober 2020 erließ das BAG gegen BW einen Bußgeldbescheid in Höhe von 8 625 Euro wegen der Verletzung der Vorschriften über die Kabotagebeförderung.
18. BW legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein und machte dabei geltend, dass die in Rede stehenden Beförderungen unter die für den kombinierten Verkehr vorgesehene Ausnahme fielen. Diese Beförderungen dürften nicht isoliert betrachtet werden, sondern seien Teil eines Hauptvertrags.
19. Dem hält das BAG entgegen, dass der Transport der Leercontainer vor oder nach einer Be-/Entladung von Gütern nicht an der Privilegierung des kombinierten Verkehrs teilnehme, sondern isoliert zu betrachten sei. Ein solcher Transport von leeren Containern falle unter Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009, in dem Einschränkungen für die Kabotage, insbesondere die Pflicht zur Durchführung einer grenzüberschreitenden Beförderung und die Beschränkung auf drei Kabotagebeförderungen innerhalb von sieben Tagen, vorgesehen seien.
20. Unter diesen Umständen hat das Amtsgericht Köln (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist der Transport von Leercontainern zu [der Beladung] bzw. von der [Entladung] untrennbarer Teil des Transports der beladenen Container in der Weise, dass der Transport der Leercontainer an der Privilegierung des Transports der vollen Container insoweit teilnimmt, als diese im kombinierten Verkehr von den Kabotagevorschriften ausgenommen sind?
21. Das BAG und die Europäischen Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.
IV. Würdigung
22. Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 der Richtlinie 92/106 und Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009 dahin auszulegen sind, dass die Beförderung von Leercontainern zum Ort der Beladung mit Gütern oder vom Ort der Entladung von Gütern untrennbarer Teil der Beförderung der beladenen Container in der Weise ist, dass die Beförderung der Leercontainer an der Privilegierung der Beförderung von beladenen Containern teilnimmt, soweit diese im kombinierten Verkehr von den Kabotagevorschriften dieser Verordnung ausgenommen sind.
23. Zunächst ist auf den Zusammenhang zwischen der Verordnung Nr. 1072/2009, die für Kabotagebeförderungen gewisse Beschränkungen vorsieht, und der Richtlinie 92/106, die die Bestimmungen zum kombinierten Verkehr enthält, hinzuweisen.
24. Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 sieht erstens vor, dass Kabotagebeförderungen, d. h. der gewerbliche innerstaatliche Güterkraftverkehr, der von einem gebietsfremden Verkehrsunternehmer zeitweilig in einem Aufnahmemitgliedstaat durchgeführt wird, gewissen Beschränkungen unterworfen sind. Nach dem 16. Erwägungsgrund dieser Verordnung berührt diese Verordnung jedoch nicht die Bestimmungen über den An- und Abtransport von Gütern über die Straße als Teil eines Transports im Rahmen des kombinierten Verkehrs, der in der Richtlinie 92/106 festgelegt ist. Inländische Fahrten innerhalb eines Aufnahmemitgliedstaats, die nicht als Teil eines solchen Transports durchgeführt werden, fallen dagegen unter die Definition von Kabotage und unterliegen deshalb den Anforderungen dieser Verordnung.
25. Zweitens gelten nach der Definition in Art. 1 der Richtlinie 92/106 als „kombinierter Verkehr“ Güterbeförderungen zwischen Mitgliedstaaten, bei denen der Lastkraftwagen oder der Container die Zu- und Ablaufstrecke auf der Straße und den übrigen Teil der Strecke auf der Schiene oder auf einer Binnenwasserstraße oder auf See, sofern diese mehr als 100 km Luftlinie beträgt, zurücklegt, wobei der Straßenzu- oder ‑ablauf entweder – für die Zulaufstrecke – zwischen dem Ort, an dem die Güter geladen werden, und dem nächstgelegenen geeigneten Umschlagbahnhof bzw. – für die Ablaufstrecke – zwischen dem nächstgelegenen geeigneten Umschlagbahnhof und dem Ort, an dem die Güter entladen werden, oder in einem Umkreis von höchstens 150 km Luftlinie um den Binnen- oder Seehafen des Umschlags erfolgt. Im Übrigen wird in diesem Artikel klargestellt, dass die Richtlinie unbeschadet der Verordnung Nr. 881/92 für Beförderungen im kombinierten Verkehr gilt(6).
26. In Anbetracht dessen stelle ich fest, dass zum einen diese zwei Instrumente in der Weise gelten, dass die Anwendung des einen die Anwendung des anderen nicht ausschließt, und dass zum anderen weder die Richtlinie 92/106 noch die Verordnung Nr. 1072/2009 ausdrücklich oder stillschweigend auf die Regelung verweisen, zu der die Beförderung von Leercontainern zum Beladungsort mit Gütern oder vom Entladungsort von Gütern nach oder vor der Durchführung einer Beförderung im kombinierten Verkehr gehört.
27. Die Verordnung Nr. 1072/2009 beschränkt sich nämlich in ihrem 16. Erwägungsgrund darauf, die Kabotage als inländische Fahrten zu definieren, die nicht als Teil eines Transports im Rahmen des kombinierten Güterverkehrs nach der Richtlinie 92/106 durchgeführt werden.
28. Bereits in Nr. 25 der vorliegenden Schlussanträge habe ich darauf hingewiesen, dass Art. 1 dieser Richtlinie den kombinierten Verkehr mittels einer Bezugnahme auf den Straßenzu- oder ‑ablauf definiert, wobei der Straßenzulauf sich von dem Ort, an dem die Güter geladen werden, bis zum Umschlagbahnhof und der Straßenablauf sich vom Umschlagbahnhof bis zu dem Ort, an dem die Güter entladen werden, erstreckt. Außerdem sieht Art. 4 dieser Richtlinie vor, dass Verkehrsunternehmer berechtigt sind, im Rahmen des kombinierten Verkehrs Zu- und/oder Ablaufverkehre auf der Straße durchzuführen, die Bestandteil des kombinierten Verkehrs sind. Es wird aber weder auf die Beförderung von Leercontainern vor dem Straßenzulauf oder nach dem Straßenablauf Bezug genommen noch wird die Frage beantwortet, ob eine solche Beförderung Bestandteil des kombinierten Verkehrs ist.
29. Dagegen umfasst der Begriff „grenzüberschreitender Verkehr“ nach der Definition in Art. 2 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1072/2009 bestimmte beladen zurückgelegte Fahrten eines Fahrzeugs und die mit diesen Fahrten in Verbindung stehenden Leerfahrten.
30. Insoweit trägt das BAG vor, dass, wenn in dieser Verordnung eine solche Unterscheidung zwischen beladen zurückgelegten Fahrten und Leerfahren systematisch vorgenommen werde, dagegen in der Richtlinie 92/106 keine derartige Unterscheidung enthalten sei, darin ein Hinweis zu sehen sei, dass nach dem Willen des Unionsgesetzgebers Leertransporte vor der Beladung mit Gütern und nach der Entladung von Gütern nicht von der Definition des kombinierten Verkehrs im Sinne von Art. 1 dieser Richtlinie erfasst werden sollten.
31. Ich weise jedoch erstens darauf hin, dass die Verordnung Nr. 1072/2009 und die Richtlinie 92/106, auch wenn sie aufeinander verweisen(7) und beide zu einer gemeinsamen Verkehrspolitik gehören, unterschiedliche Instrumente sind, die zu unterschiedlichen Zeiten erlassen wurden und jeweils eigene Ziele verfolgen. Die Verordnung nimmt gerade deshalb auf Leertransporte Bezug, weil sie darauf abzielt, Leerfahrten von Fahrzeugen zu reduzieren, indem Fahrten mittels einer Liberalisierung der Kabotagebeförderungen optimiert werden, soweit diese nicht in einer Weise durchgeführt werden, die zu einer andauernden und fortgesetzten Tätigkeit im betreffenden Mitgliedstaat führt. Die Bezugnahme auf Leertransporte ist daher im Rahmen des kombinierten Verkehrs nicht gleichermaßen von Bedeutung, da es bei diesem nicht darum geht, die Leerfahrten von Fahrzeugen zu optimieren, sondern darum, durch eine Förderung der Nutzung des See- oder Schienenverkehrs eine wirksame Entlastung der Straßen und eine Verringerung des Schadstoffausstoßes zu ermöglichen.
32. Zweitens folgt aus den vorbereitenden Dokumenten der Richtlinie 92/106, dass eine Unterscheidung zwischen Beförderungen beladener und Beförderungen leerer Container nicht erörtert wurde, so dass sich nicht die Feststellung treffen lässt, der Unionsgesetzgeber sei der Auffassung gewesen, Leertransporte vor der Beladung mit Gütern oder nach der Entladung von Gütern dürften nicht vom Begriff „kombinierter Verkehr“ erfasst werden.
33. Außerdem sah ein Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 92/106(8) eine neue Fassung von Art. 3 dieser Richtlinie vor, wobei klargestellt wurde, dass die „Beförderung leerer Ladeeinheiten vor und nach der Beförderung von Gütern“ zu der im Rahmen des kombinierten Verkehrs auf der Straße zurückgelegten Teilstrecke gehört(9).
34. Das Europäische Parlament hat die Hinzufügung dieser Bezugnahme auf den Leertransport gestrichen(10). Ferner hat es festgestellt, dass, wenn man es zuließe, dass Leertransporte nicht zu den Straßentransporten unterhalb einer bestimmten Streckenlänge gehörten und damit – anders als beladene Transporte – nicht unter den Begriff „kombinierter Verkehr“ fielen, dies zu einem Anstieg der Emissionen führen würde, was dem Zweck der Richtlinie 92/106 zuwiderliefe, der in der Verringerung von Emissionen durch Förderung emissionsarmer Alternativen bei den Verkehrsträgern bestehe(11).
35. Weiter hat das Parlament zur neuen Fassung von Art. 1 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/106 ausgeführt, dass die Obergrenze für die auf der Straße zurückgelegte Teilstrecke auch für die Beförderung von leeren Ladeeinheiten gelten sollte(12), was eher darauf hindeutet, dass eine solche Beförderung gerade unter den Begriff „kombinierter Verkehr“ fällt und für diesen dieselbe Obergrenze gelten sollte, da er mit der Beförderung mit Beladung untrennbar verbunden ist.
36. Der Rat der Europäischen Union hat seinerseits vorgeschlagen(13), die neue Fassung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 92/106 zu ändern und dabei den Begriff „kombinierter Verkehr“ durch den Begriff „grenzüberschreitender kombinierter Verkehr“ zu ersetzen, der sich auf die Beförderung von Containern beziehen sollte, unabhängig davon, ob diese beladen oder leer seien. Bei der Neufassung von Art. 1 Abs. 3 dieser Richtlinie hat der Rat jedoch klargestellt, dass „[d]ie Beförderung leerer Ladeeinheiten vor einer Zulaufstrecke oder nach einer Ablaufstrecke auf der Straße (z. B. von oder zu einem Containerdepot) … nicht als Teil einer Beförderung im kombinierten Verkehr [gilt]“.
37. Als Ergebnis halte ich fest, dass sich zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie 92/106 die Frage der Beförderung von Leercontainern nicht gestellt hat und dass es heute nicht so sehr darum geht, ob die Beförderung von Leercontainern vor der Beladung mit Gütern oder nach der Entladung von Gütern im Rahmen des kombinierten Verkehrs ihrem Wesen nach diesem Begriff „kombinierter Verkehr“ unterfällt, sondern vielmehr darum, ob die Leerfahrt bei der Berechnung der Obergrenze für die auf der Straße zurückgelegte Strecke zu berücksichtigen ist, und zwar in dem Bestreben, Alternativen bei den Verkehrsträgern zu fördern, die leistungsfähiger und weniger umweltschädlich sind.
38. Drittens ist festzustellen, dass auch dann, wenn die Bezugnahme auf Leertransporte in der Verordnung Nr. 1072/2009 von Bedeutung wäre, dieser Umstand meines Erachtens dafür spräche, dass jeder Leertransport, der unmittelbar mit einem beladenen Transport zusammenhängt, Teil ein und desselben Beförderungsvorgangs ist, der in Bezug auf den ihm zuzuweisenden Status als ein Ganzes anzusehen ist. Die Beförderung von Leercontainern vor der Beladung mit Gütern oder nach der Entladung von Gütern im Rahmen eines Beförderungsvorgangs im kombinierten Verkehr ist mit diesem Vorgang untrennbar verbunden, für ihn als solchen notwendig und damit dessen Bestandteil.
39. Etwas anderes gälte nur dann, wenn der Leercontainer selbst eine Ware darstellte, d. h., wenn der Container im Rahmen von Kauf oder Miete Gegenstand eines eigenständigen Handelsgeschäfts wäre. In einem solchen Fall wäre die Beförderung von Leercontainern Teil gesonderter Vorgänge, die nicht unmittelbar mit dem Vorgang einer Beförderung beladener Container zusammenhingen und daher nicht unter den Begriff „kombinierter Verkehr“ im Sinne der Richtlinie 92/106 fallen, sondern den Beschränkungen für Kabotagebeförderungen nach der Verordnung Nr. 1072/2009 unterworfen sein sollten.
40. Insoweit weise ich darauf hin, dass die Tätigkeit von BW darin besteht, beladene Container an einem Binnencontainerterminal zu übernehmen und diese dann an ihre Empfänger zu befördern. Nach der Entladung der Güter werden die nunmehr leeren Container erneut an einen Binnencontainerterminal transportiert. Schließlich erfolgt nach deren Wiederbeladung eine weitere Beförderung zunächst zu einem Binnencontainerterminal und von dort zu Häfen zur Verschiffung per Seeschiff. BW trägt vor, dass die Container während ihrer Be- oder Entladung auf dem LKW-Chassis verbleiben.
41. Deshalb ist festzustellen, dass, sofern nach der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung der Leercontainer als solcher nicht als Ware anzusehen ist, das von BW eingerichtete System es ermöglicht, den Zielen der Richtlinie 92/106 zu entsprechen, nach denen die Überlastung der Straßen verringert werden soll.
42. Ich stimme nämlich der Kommission darin zu, dass in Fällen, in denen die Beförderung eines Leercontainers, die unmittelbar vor oder unmittelbar nach der Beförderung eines beladenen Containers im Rahmen des kombinierten Verkehrs erfolgt, den Beschränkungen der Kabotagebeförderungen unterliegt, die Abholung leerer Container von nationalen Verkehrsunternehmen im Rahmen unterschiedlicher Beförderungsverträge durchgeführt werden müsste, was zu zusätzlichen finanziellen und administrativen Belastungen führen und die Beförderung, die ausschließlich auf der Straße erfolgt, zum Nachteil des kombinierten Verkehrs begünstigen dürfte. Ich füge hinzu, dass es, da die in der Verordnung Nr. 1072/2009 vorgesehene Genehmigung der Kabotagebeförderung gerade zum Ziel hat, die Leerrückfahrten von Fahrzeugen zu vermeiden, wenn diese einen Aufnahmemitgliedstaat durchqueren, dieser Liberalisierung zuwiderlaufen würde, wenn bei der Berechnung der Höchstzahl von Kabotagebeförderungen, die ein nicht ansässiges Beförderungsunternehmen in diesem Aufnahmemitgliedstaat durchführen darf, auch die Beförderung von Leercontainern berücksichtigt würde.
43. Zwar wird bei dieser Überlegung davon ausgegangen, dass ein nicht ansässiges Beförderungsunternehmen eine unbestimmte Zahl von Beförderungen im kombinierten Verkehr vornehmen könnte, da diese Beförderungen nicht den Beschränkungen durch die Verordnung Nr. 1072/2009 unterliegen.
44. Insoweit räume ich ein, dass darauf zu achten ist, dass die Beförderungsunternehmen sich nicht missbräuchlich auf die Richtlinie 92/106 berufen können, um damit die Kabotageregelungen zu umgehen.
45. Jedoch denke ich nicht, dass eine Auslegung des Begriffs „kombinierter Verkehr“, wonach die Beförderung von Leercontainern zum Ort der Beladung mit Gütern oder vom Ort der Entladung von Gütern Bestandteil einer Beförderung im kombinierten Verkehr ist, zu einer Umgehung dieser Regelungen führen kann.
46. Nach dem 22. Erwägungsgrund der Verordnung (EU) 2020/1055 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2020 zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1071/2009, (EG) Nr. 1072/2009 und (EU) Nr. 1024/2012 im Hinblick auf ihre Anpassung an die Entwicklungen im Kraftverkehrssektor(14) sollte es den Mitgliedstaaten nämlich möglich sein, von Art. 4 der Richtlinie 92/106 abzuweichen und die Kabotagebestimmungen der Verordnung Nr. 1072/2009 auf nicht ansässige Beförderungsunternehmen anzuwenden, die für den Anfangs- oder Schlussteil ihrer Beförderung im kombinierten Verkehr die Straße benutzen, um derartigen Problemen zu begegnen.
47. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 1 der Richtlinie 92/106 und Art. 8 der Verordnung Nr. 1072/2009 dahin auszulegen sind, dass die Beförderung von Leercontainern zum Ort der Beladung mit Gütern oder vom Ort der Entladung von Gütern untrennbarer Teil der Beförderung der beladenen Container in der Weise ist, dass die Beförderung der Leercontainer an der Privilegierung der Beförderung von beladenen Containern teilnimmt, soweit diese im kombinierten Verkehr von den Kabotagevorschriften dieser Verordnung ausgenommen sind.
V. Ergebnis
48. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Amtsgerichts Köln (Deutschland) wie folgt zu antworten:
Art. 1 der Richtlinie 92/106/EWG des Rates vom 7. Dezember 1992 über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs
sind dahin auszulegen, dass
die Beförderung von Leercontainern zum Ort der Beladung mit Gütern oder vom Ort der Entladung von Gütern untrennbarer Teil der Beförderung der beladenen Container in der Weise ist, dass die Beförderung der Leercontainer an der Privilegierung der Beförderung von beladenen Containern teilnimmt, soweit diese im kombinierten Verkehr von den Kabotagevorschriften dieser Verordnung ausgenommen sind.