C-219/22 – QS (Révocation du sursis)

C-219/22 – QS (Révocation du sursis)

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2023:322

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 20. April 2023(1)

Rechtssache C219/22

Strafverfahren

gegen

QS,

Beteiligte:

Rayonna prokuratura Burgas, TO Nesebar

(Vorabentscheidungsersuchen des Rayonen sad Nesebar [Rayongericht Nesebar, Bulgarien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Rahmenbeschluss 2008/675/JI – Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Verurteilungen – Änderung der Modalitäten der Vollstreckung einer früheren Verurteilung – Verurteilung unter Aussetzung der Vollstreckung – Neue Straftat, die während des Zeitraums der Aussetzung begangen wird – Widerruf der Aussetzung und wirksame Vollstreckung der Freiheitsstrafe“

I.      Einleitung

1.        Das vorliegende, vom Rayonen sad Nesebar (Rayongericht Nesebar, Bulgarien) nach Art. 267 AEUV vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren(2). Dieses Ersuchen ist im Zusammenhang mit einem Antrag eingereicht worden, den der Staatsanwalt der Rayonna prokuratura Nesebar (Rayonstaatsanwaltschaft Nesebar, Bulgarien) beim vorlegenden Gericht gestellt hatte, um zu erreichen, dass dieses Gericht die zuvor von einem rumänischen Gericht gegen einen rumänischen Staatsangehörigen, QS, ausgesprochene Verurteilung wirksam vollstreckt.

2.        Die vorliegende Rechtssache wirft bedeutsame Rechtsfragen in Bezug auf die Grenzen auf, die der Unionsgesetzgeber dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung setzt, auf dem der Rahmenbeschluss 2008/675 beruht und der es dem Gericht eines Mitgliedstaats u. a. ermöglicht, in anderen Mitgliedstaaten ergangene rechtskräftige Entscheidungen in Strafsachen bei der Festlegung der Art der Strafen und der Vollstreckungsmodalitäten, die Anwendung finden können, zu berücksichtigen. Konkret wird sich der Gerichtshof zu der Frage äußern müssen, welche Rolle dem traditionellen Grundsatz der „Territorialität“ des Strafrechts als Ausdruck der staatlichen Souveränität im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts der Union zukommt. Zwar enthält der Rahmenbeschluss 2008/675 Bestimmungen zur Lösung von Konflikten zwischen diesen beiden Grundsätzen, doch stößt ihre Anwendung aufgrund von Auslegungszweifeln auf Hindernisse. Eine Stellungnahme des Gerichtshofs zu diesen besonders sensiblen Fragen erscheint unerlässlich, da eine gute Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden hiervon abhängt.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Rahmenbeschluss 2008/675

3.        Art. 1 („Gegenstand“) Abs. 1 dieses Rahmenbeschlusses bestimmt:

„In diesem Rahmenbeschluss wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen in einem Mitgliedstaat in einem Strafverfahren gegen eine Person frühere Verurteilungen, die gegen dieselbe Person wegen einer anderen Tat in einem anderen Mitgliedstaat ergangen sind, berücksichtigt werden.“

4.        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) des Rahmenbeschlusses 2008/675 sieht vor:

„Für die Zwecke dieses Rahmenbeschlusses gilt folgende Begriffsbestimmung:

Eine ‚Verurteilung‘ ist jede rechtskräftige Entscheidung eines Strafgerichts, mit der eine Person einer Straftat schuldig gesprochen worden ist.“

5.        Art. 3 („Berücksichtigung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Verurteilung in einem neuen Strafverfahren“) des Rahmenbeschlusses 2008/675 lautet:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts in einem Strafverfahren gegen eine Person frühere, in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen derselben Person wegen einer anderen Tat, zu denen im Rahmen geltender Rechtsinstrumente über die Rechtshilfe oder den Austausch von Informationen aus Strafregistern Auskünfte eingeholt wurden, in dem Maße berücksichtigt werden wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen und dass sie mit gleichwertigen Rechtswirkungen versehen werden wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen.

(2)      Absatz 1 findet auf das Stadium vor dem Strafverfahren, im Strafverfahren selbst und bei der Strafvollstreckung Anwendung, insbesondere im Hinblick auf die anwendbaren Verfahrensvorschriften einschließlich der Vorschriften über die Untersuchungshaft, die rechtliche Einordnung des Tatbestands, Art und Umfang der Strafe sowie die Vollstreckungsvorschriften.

(3)      Die Berücksichtigung früherer, in einem anderen Mitgliedstaat ergangener Verurteilungen nach Absatz 1 hat nicht die Wirkung, dass frühere Verurteilungen oder Entscheidungen zu ihrer Vollstreckung durch den Mitgliedstaat, in dem das neue Verfahren geführt wird, abgeändert, aufgehoben oder überprüft werden.

(4)      In Übereinstimmung mit Absatz 3 findet Absatz 1 keine Anwendung, soweit die Berücksichtigung der früheren Verurteilung für den Fall, dass es sich dabei um eine in dem Mitgliedstaat, in dem das neue Verfahren geführt wird, ergangene Verurteilung gehandelt hätte, nach dessen innerstaatlichem Recht die Wirkung gehabt hätte, dass die frühere Verurteilung oder eine Entscheidung zu ihrer Vollstreckung abgeändert, aufgehoben oder überprüft worden wäre.

(5)      Wurde die Straftat, die Gegenstand des neuen Verfahrens ist, begangen, bevor die frühere Verurteilung erfolgte oder vollständig vollstreckt wurde, so haben die Absätze 1 und 2 nicht die Wirkung, dass die Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Vorschriften über die Verhängung von Strafen anwenden müssen, wenn die Anwendung dieser Vorschriften auf im Ausland ergangene Verurteilungen das Gericht darin einschränken würde, in einem neuen Verfahren eine Strafe zu verhängen.

Die Mitgliedstaaten stellen jedoch sicher, dass ihre Gerichte frühere in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen in solchen Fällen auf andere Weise berücksichtigen können.“

2.      Rahmenbeschluss 2008/947/JI

6.        Art. 1 („Ziele und Anwendungsbereich“) des Rahmenbeschlusses 2008/947/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen(3) sieht vor:

„(1)      Ziel dieses Rahmenbeschlusses ist die Erleichterung der Resozialisierung einer verurteilten Person, die Verbesserung des Opferschutzes und des Schutzes der Allgemeinheit sowie die Erleichterung der Anwendung angemessener Bewährungsmaßnahmen und alternativer Sanktionen auf Straftäter, die nicht im Urteilsstaat leben. …

(3)      Der Rahmenbeschluss gilt nicht für

a)      die Vollstreckung eines Urteils in Strafsachen, durch das eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird und das in den Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI[(4)] fällt;

…“

7.        Art. 5 („Kriterien für die Übermittlung eines Urteils und gegebenenfalls einer Bewährungsentscheidung“) des Rahmenbeschlusses 2008/947 bestimmt:

„(1)      Die zuständige Behörde des Ausstellungsstaats kann ein Urteil und gegebenenfalls eine Bewährungsentscheidung an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats übermitteln, in dem die verurteilte Person ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern diese in den betreffenden Mitgliedstaat zurückgekehrt ist oder zurückzukehren beabsichtigt.

(2)      Die zuständige Behörde des Ausstellungsstaats kann auf Antrag der verurteilten Person das Urteil und gegebenenfalls die Bewährungsentscheidung an eine zuständige Behörde in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat übermitteln, in dem die verurteilte Person ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern letztgenannte Behörde der Übermittlung zugestimmt hat.“

8.        In Art. 14 („Zuständigkeit für alle Folgeentscheidungen und maßgebliches Recht“) Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/947 heißt es:

„Die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats ist für alle Folgeentscheidungen im Zusammenhang mit einer Bewährungsstrafe, einer bedingten Entlassung, einer bedingten Verurteilung und einer alternativen Sanktion zuständig, insbesondere wenn die verurteilte Person eine Bewährungsmaßnahme oder alternative Sanktion nicht einhält oder eine neue Straftat begeht.

Zu solchen Folgeentscheidungen gehören insbesondere

b)      der Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung des Urteils oder der Widerruf der Entscheidung über eine bedingte Entlassung; …“

B.      Bulgarisches Recht

9.        Art. 8 Abs. 2 des Nakazatelen kodeks (Strafgesetzbuch) bestimmt:

„Eine in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgesprochene und rechtskräftig gewordene Verurteilung wegen einer Tat, die eine strafbare Handlung im Sinne des bulgarischen Strafgesetzbuchs ist, wird in jedem Strafverfahren berücksichtigt, das in der Republik Bulgarien gegen dieselbe Person geführt wird.“

10.      Art. 68 Abs. 1 dieses Strafgesetzbuchs lautet:

„Begeht die verurteilte Person vor Ablauf der vom Gericht festgelegten Bewährungszeit ein weiteres vorsätzliches Offizialdelikt, für das eine Freiheitsstrafe verhängt wird, muss sie, auch wenn die Freiheitsstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit verhängt wird, die zur Bewährung ausgesetzte Strafe ebenfalls verbüßen“

11.      § 343b Abs. 1 dieses Strafgesetzbuchs lautet:

„Wer mit einer ordnungsgemäß nachgewiesenen Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,2 Promille ein Kraftfahrzeug führt, wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis drei Jahren und einer Geldstrafe zwischen zweihundert und tausend [bulgarischen Leva (BGN)] bestraft.“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

12.      QS ist rumänischer Staatsangehöriger und wohnt in Rumänien.

13.      Mit Urteil vom 3. April 2019, das durch ein rechtskräftiges Urteil der Curtea de Appel Cluji (Berufungsgericht Cluj [Klausenburg], Rumänien) vom 24. Juni 2019 bestätigt wurde, wurde QS wegen der Straftat des Fahrens unter Alkoholeinfluss (im Folgenden: erste Straftat) zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, wobei die Bewährungszeit auf zwei Jahre, d. h. bis zum 24. Juni 2021, festgesetzt wurde (im Folgenden: erste Verurteilung).

14.      Am 1. September 2020 beging QS während der Bewährungszeit im bulgarischen Hoheitsgebiet die in Art. 343b Abs. 1 des bulgarischen Strafgesetzbuchs genannte Straftat des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss (im Folgenden: zweite Straftat):

15.      Mit Beschluss des Rayonen sad Nesebar (Rayongericht Nesebar), der am 9. März 2022 rechtskräftig wurde, wurde QS zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten und einer Geldstrafe in Höhe von 150 BGN (ca. 77 Euro) verurteilt, und ihm wurde die Fahrerlaubnis für einen Zeitraum von zwölf Monaten entzogen (im Folgenden: zweite Verurteilung).

16.      Am 23. März 2022 stellte der Staatsanwalt bei der Rayonna prokuratura Burgas (Rayonstaatsanwaltschaft Burgas, Bulgarien) bei diesem Gericht, bei dem es sich um das vorlegende Gericht handelt, gemäß Art. 68 Abs. 1 des bulgarischen Strafgesetzbuchs einen Antrag auf Vollstreckung der ersten Verurteilung, der damit begründet wurde, dass die zweite Straftat während der in dieser Verurteilung festgesetzten Bewährungszeit begangen worden sei.

17.      In diesem Zusammenhang äußert das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich der Auslegung von Art. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675.

18.      Hierzu führt dieses Gericht aus, dass Art. 8 Abs. 2 des bulgarischen Strafgesetzbuchs die in diesem Rahmenbeschluss und insbesondere in dessen Art. 3 Abs. 1 niedergelegten Grundsätze umgesetzt habe, indem er bestimme, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene, rechtskräftige Verurteilung wegen einer Handlung, die nach diesem Gesetzbuch eine Straftat darstelle, in jedem gegen dieselbe Person in Bulgarien geführten Strafverfahren berücksichtigt werde.

19.      Dies sei bei der ersten Verurteilung der Fall, da QS in Rumänien rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden sei und es aufgrund der mittels der Instrumente der Rechtshilfe gewonnenen Informationen feststehe, dass die Tathandlung der ersten Straftat und die Tathandlung der zweiten Straftat gleichwertig seien.

20.      Das vorlegende Gericht stellt außerdem fest, dass im vorliegenden Fall alle in Art. 68 Abs. 1 des bulgarischen Strafgesetzbuchs vorgesehenen Voraussetzungen für die Vollstreckung dieser Verurteilung erfüllt seien. Denn QS habe vor Ablauf der in dieser Verurteilung festgesetzten Bewährungszeit ein anderes vorsätzliches Offizialdelikt begangen, für das er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.

21.      Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass es gemäß Art. 8 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 68 Abs. 1 des bulgarischen Strafgesetzbuchs verpflichtet sei, die erste Verurteilung zu berücksichtigen und zu vollstrecken. Es stelle sich jedoch die Frage, ob Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 einer solchen Berücksichtigung entgegenstehe.

22.      In diesem Zusammenhang stellt das vorlegende Gericht fest, dass diese Bestimmung nach der Auslegung des Gerichtshofs vorsehe, dass eine Entscheidung über die Vollstreckung einer früheren Verurteilung nicht erneut geprüft werde. Es ist jedoch der Ansicht, dass sich der vorliegende Fall von demjenigen unterscheide, der dem Urteil Beshkov(5) zugrunde gelegen habe, in dem der Gerichtshof die Bestimmung dahin ausgelegt habe, dass sie es verbiete, bei der Verhängung einer Gesamtstrafe die in einem anderen Mitgliedstaat festgelegten Modalitäten der Vollstreckung dieser Strafe zu ändern.

23.      Im vorliegenden Fall würden die Modalitäten der Vollstreckung der ersten Verurteilung nämlich nicht vom vorlegenden Gericht nach eigenem Ermessen überprüft oder geändert, sondern würden sich aus einer zwingenden Norm wie Art. 68 Abs. 1 des bulgarischen Strafgesetzbuchs ergeben, die das vorlegende Gericht dazu verpflichte, die Vollstreckung der zur Bewährung ausgesetzten Strafe vorzunehmen, wenn, wie im vorliegenden Fall, alle hierfür vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien.

24.      Unter diesen Umständen hat der Rayonen sad Nesebar (Rayongericht Nesebar) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der, die sich aus Art. 68 Abs. 1 des bulgarischen Strafgesetzbuchs in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 des bulgarischen Strafgesetzbuchs ergibt, entgegensteht, die vorsieht, dass das nationale Gericht, dem ein Antrag auf Vollstreckung der mit einer früheren Verurteilung durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats verhängten Strafe vorliegt, zu diesem Zweck im Zuge der Anordnung der tatsächlichen Vollstreckung die Einzelheiten der Vollstreckung der letzten Strafe abändern kann?

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof

25.      Die Vorlageentscheidung vom 25. März 2022 ist am 28. März 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

26.      QS und die Europäische Kommission haben innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union festgelegten Frist schriftliche Erklärungen eingereicht.

27.      In der Generalversammlung vom 24. Januar 2023 hat der Gerichtshof beschlossen, keine mündliche Verhandlung abzuhalten.

V.      Rechtliche Würdigung

A.      Vorbemerkungen

1.      Zur Notwendigkeit, innerhalb des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts der Europäischen Union die Vorstrafen eines Straftäters zu berücksichtigen

28.      In einem auf gegenseitigem Vertrauen basierenden Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat die Union Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die Bürger vor Straftaten geschützt sind, dass gleichzeitig aber auch ihre Grundrechte geachtet werden, wenn sie in ein Strafverfahren verwickelt sind – sei es als Opfer oder als Angeklagter. Die Schaffung eines solchen integrierten Rechtsraums erfordert, dass Verurteilungen, die in einem Mitgliedstaat gegen Personen ergangen sind, in einem anderen Mitgliedstaat berücksichtigt werden, um künftige Straftaten zu verhindern. Ebenso sollte, sofern ein faires Verfahren gewährleistet ist, bei weiteren Straftaten, die von demselben Täter begangen werden, dieser verhaltensbezogene Aspekt im Rahmen eines neuen Strafverfahrens berücksichtigt werden(6).

29.      Denn im Interesse einer effektiven Strafjustiz in der Union ist es erforderlich, dass alle Mitgliedstaaten über Regeln verfügen, um in allen Phasen des Strafverfahrens zu berücksichtigen, ob es sich bei einer Person um einen Ersttäter handelt oder ob diese Person bereits in einem anderen Mitgliedstaat verurteilt worden ist. Die Vorstrafen des Straftäters bewerten zu können, ist für den ordnungsgemäßen Ablauf eines neuen Strafverfahrens von entscheidender Bedeutung, insbesondere um fundierte Entscheidungen im Hinblick auf Untersuchungshaft oder Freilassung gegen Kaution treffen zu können und um zum Zeitpunkt der Verurteilung über alle verfügbaren Informationen zu verfügen. Vor diesem Hintergrund wurde der Rahmenbeschluss 2008/675 erlassen. Dieses Instrument verpflichtet die Justizbehörden eines Mitgliedstaats, rechtskräftige Entscheidungen in Strafsachen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind(7).

2.      Zu den im Rahmenbeschluss 2008/675 vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

30.      Der Rahmenbeschluss 2008/675 sieht einige Ausnahmen von dieser Verpflichtung vor, die im Wesentlichen dazu dienen, die Souveränität der Mitgliedstaaten im Bereich der Strafrechtspflege zu erhalten, indem sie untersagen, dass andere Mitgliedstaaten bestimmte Entscheidungen an ihrer Stelle treffen(8). Diese Ausnahmen sorgen somit für eine Koordinierung der Zuständigkeit der verschiedenen Rechtsprechungsorgane und gewährleisten eine gewisse Kohärenz in der Strafrechtspflege innerhalb der Union.

31.      Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen stellt das vorlegende Gericht die Frage nach der Tragweite einer dieser Ausnahmen, nämlich der in Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 genannten, wonach „[d]ie Berücksichtigung früherer, in einem anderen Mitgliedstaat ergangener Verurteilungen … nicht die Wirkung [hat], dass frühere Verurteilungen oder Entscheidungen zu ihrer Vollstreckung durch den Mitgliedstaat, in dem das neue Verfahren geführt wird, abgeändert, aufgehoben oder überprüft werden“. Nach Ansicht dieses Gerichts könnte sich die ihm nach bulgarischem Recht auferlegte Verpflichtung, im Rahmen eines neuen Strafverfahrens gegen eine in einem anderen Mitgliedstaat vorbestrafte Person die Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe, die in einer früheren Verurteilung in einem anderen Mitgliedstaat verhängt worden sei, zu widerrufen und die wirksame Vollstreckung dieser Strafe in seinem Hoheitsgebiet anzuordnen, als Verstoß gegen das erweisen, was in der vorgenannten Bestimmung vorgesehen sei. Die Antwort des Gerichtshofs sollte den Herausforderungen, vor die sich das vorlegende Gericht gestellt sieht, Rechnung tragen und hinreichend präzise sein, um den Rechtsstreit entscheiden zu können.

32.      Bevor diese Frage geprüft wird, muss jedoch auf die Frage eingegangen werden, ob der in der vorstehenden Nummer beschriebene Sachverhalt, auf den sich die bulgarische Regelung bezieht, in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 fällt, d. h. der Bestimmung, die den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung anzuwenden. Nach dieser Bestimmung wäre das vorlegende Gericht a priori verpflichtet, die erste Verurteilung von QS in Rumänien zu berücksichtigen. Eine solche Rechtsfolge wäre nur dann ausgeschlossen, wenn die in Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 genannte Ausnahme Anwendung finden würde.

33.      Die Analyse der Vorlagefrage wird im Wesentlichen dem in den vorangegangenen Nummern beschriebenen Schema folgen. Dementsprechend werde ich in einem ersten Schritt prüfen, ob der Rahmenbeschluss 2008/675 auf den vorliegenden Fall anwendbar ist(9). In einem zweiten Schritt werde ich erläutern, welche Tragweite die in diesem Rahmenbeschluss festgelegte Verpflichtung zur Berücksichtigung früherer Verurteilungen hat(10). Schließlich werde ich in einem dritten Schritt die Grundsätze, auf denen diese Verpflichtung beruht, auf den vorliegenden Fall anwenden(11). Wie ich im Einzelnen ausführen werde, wird die Analyse zeigen, dass die in Rede stehende bulgarische Regelung, so wie sie vom vorlegenden Gericht ausgelegt wird, nicht mit dem in Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses genannten Grundsatz der Nichteinmischung vereinbar ist.

34.      Es ist klarzustellen, dass, wenn von der fraglichen „bulgarischen Regelung“ die Rede ist, damit die Auslegung gemeint ist, die sich aus einer kombinierten Lektüre von zwei nationalen Bestimmungen ergibt, nämlich von Art. 8 Abs. 2 und Art. 68 Abs. 1 des bulgarischen Strafgesetzbuchs, die dem vorlegenden Gericht nach dessen eigenen Angaben die in Nr. 31 der vorliegenden Schlussanträge genannte Verpflichtung auferlegen. Auch wenn sich, wie die Kommission in ihren Erklärungen bemerkt, eine solche Auslegung nicht ohne Weiteres aus einer Lektüre der in Rede stehenden Bestimmungen ergibt(12), ist der Gerichtshof bei der Auslegung von Bestimmungen der nationalen Rechtsordnung grundsätzlich verpflichtet, sich auf die Beurteilungen zu stützen, die sich aus der Vorlageentscheidung ergeben(13). Die Vorlagefrage ist daher auf der Grundlage der Auslegung des bulgarischen Rechts, wie sie vom vorlegenden Gericht dargelegt wird, zu prüfen.

B.      Zur Anwendbarkeit des Rahmenbeschlusses 2008/675

35.      Zunächst ist festzustellen, dass nach Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 der Gegenstand des Rahmenbeschlusses darin besteht, „[festzulegen], unter welchen Voraussetzungen in einem Mitgliedstaat in einem Strafverfahren gegen eine Person frühere Verurteilungen, die gegen dieselbe Person wegen einer anderen Tat in einem anderen Mitgliedstaat ergangen sind, berücksichtigt werden“(14). Wie aus dem zweiten Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses hervorgeht, soll der Rahmenbeschluss eine Bewertung der strafrechtlichen Vergangenheit des Täters ermöglichen.

36.      Daraus folgt, dass der Rahmenbeschluss 2008/675 auf Situationen anwendbar ist, in denen gegen eine Person, die zuvor in einem anderen Mitgliedstaat verurteilt worden ist, ein „neue[s] Strafverfahren“ eingeleitet wird, wie es im Titel des Rahmenbeschlusses und in dessen Art. 3 heißt. Wie aus Art. 3 Abs. 2 und dem siebten Erwägungsgrund des genannten Rahmenbeschlusses hervorgeht, ist der Begriff „neues Strafverfahren“ in einem weiten Sinn zu verstehen und umfasst die Phase vor dem Strafverfahren, das Strafverfahren selbst und die Phase der Vollstreckung der Verurteilung.

37.      Da das in Bulgarien gegen QS eingeleitete Verfahren auf die strafrechtliche Verfolgung der am 1. September 2020 in diesem Land begangenen Straftat des Fahrens unter Alkoholeinfluss gerichtet ist, scheint mir im vorliegenden Fall diese Straftat als „neue[s] Strafverfahren“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 anzusehen zu sein. Die bulgarischen Justizbehörden sind deshalb grundsätzlich verpflichtet, die in Rumänien ergangene frühere Verurteilung gemäß dem in Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 verankerten Grundsatz der Gleichwertigkeit zu berücksichtigen.

38.      Die Berücksichtigung der früheren Verurteilung, die ebenfalls wegen Trunkenheit im Straßenverkehr erfolgte, kann sich sowohl im Strafverfahren selbst, insbesondere bei der Bestimmung der Art und der Höhe der für die neue Straftat verhängten Strafe, als auch in der Phase der Vollstreckung der Verurteilung bei der Bestimmung der Modalitäten ihrer Vollstreckung auswirken. Wie ich in den vorliegenden Schlussanträgen ausgeführt habe(15), fragt sich das vorlegende Gericht nämlich gerade, ob es möglich ist, in Bulgarien die wirksame Vollstreckung der in Rumänien ergangenen Verurteilung anzuordnen. In diesem Sinne ist die Vorlagefrage zu verstehen.

39.      In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, wonach der Rahmenbeschluss 2008/675 „nicht nur auf Verfahren anwendbar [ist], die mit der Bestimmung und der Feststellung einer möglichen Schuld des Beschuldigten zusammenhängen“(16), sondern auch auf „ein nationales Verfahren …, das die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe – für die Zwecke der Vollstreckung – betrifft, die die durch das innerstaatliche Gericht gegen eine Person verhängte Strafe sowie die im Rahmen einer früheren Verurteilung durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats gegen dieselbe Person wegen einer anderen Tat verhängte Strafe berücksichtigt“(17). Unter diesen Umständen handelt es sich um ein nationales Verfahren zur Strafvollstreckung, bei dem die Strafe, die bei einer zuvor in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Verurteilung verhängt worden ist, berücksichtigt werden muss.

40.      In der in der Vorlageentscheidung beschriebenen Situation betrifft das innerstaatliche Verfahren (in Bulgarien) die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat (in Rumänien) verhängten und zur Bewährung ausgesetzten Verurteilung. Das innerstaatliche Verfahren wurde jedoch nur aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer neuen Straftat, die in Bulgarien während einer Bewährungszeit begangen wurde, eingeleitet. Nach der in Rede stehenden bulgarischen Regelung, auf die in der Vorlageentscheidung verwiesen wird, muss das bulgarische Gericht, das berufen ist, die Verständigung zwischen dem Beschuldigten und dem Staatsanwalt über die begangene Straftat zu genehmigen, auch über die Vollstreckung der zuvor verhängten, zur Bewährung ausgesetzten Strafe entscheiden.

41.      Unter diesen Umständen scheint mir, dass das in einem Mitgliedstaat eingeleitete Verfahren zum Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe, die bei einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen früheren Verurteilung verhängt worden ist, weil die betreffende Person wegen einer neuen Straftat verurteilt worden ist, die während der in dieser früheren Verurteilung vorgesehenen Bewährungszeit begangen worden ist, unter den Begriff „neues Strafverfahren“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 fällt. Folglich ist dieser Rahmenbeschluss grundsätzlich auf den vorliegenden Fall anwendbar.

C.      Zur Tragweite der durch den Rahmenbeschluss 2008/675 begründeten Verpflichtung zur Berücksichtigung früherer Verurteilungen

42.      Im Folgenden ist die Tragweite der durch diesen Rahmenbeschluss begründeten Verpflichtung zur Berücksichtigung früherer Verurteilungen zu untersuchen und die Frage zu erörtern, ob es Ausnahmen gibt, die unter solchen Umständen wie denen des vorliegenden Falls Anwendung finden können.

43.      Insoweit ist erstens der zweite Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2008/675 zu nennen, aus dem hervorgeht, dass der Rahmenbeschluss den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen umsetzen soll, und der vorsieht, dass „das Gericht eines Mitgliedstaats die in den anderen Mitgliedstaaten ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen in Strafsachen heranziehen können muss, um die strafrechtliche Vergangenheit eines Täters bewerten, eine Rückfälligkeit berücksichtigen und die Art der Strafen und die Einzelheiten des Strafvollzugs entsprechend festlegen zu können“. Nach dem dritten Erwägungsgrund ist es Zweck des Rahmenbeschlusses, „eine Mindestverpflichtung für die Mitgliedstaaten bezüglich der Berücksichtigung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Verurteilungen festzulegen“(18), und zwar auf der Grundlage des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof diese Verpflichtung so verstanden hat, dass früher ergangene Verurteilungen „so wie ergangen berücksichtigt werden [müssen]“(19).

44.      Zweitens muss der Grundsatz der Gleichwertigkeit erwähnt werden, der in Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 niedergelegt ist und auf den in den Erwägungsgründen 5 und 6 des Rahmenbeschlusses Bezug genommen wird. Nach diesem Grundsatz „[sollte] eine in einem anderen Mitgliedstaat nach innerstaatlichem Recht ergangene Verurteilung mit gleichwertigen tatsächlichen bzw. verfahrens- oder materiellrechtlichen Wirkungen versehen werden … wie denjenigen, die das innerstaatliche Recht den im Inland ergangenen Verurteilungen zuerkennt“(20). In diesem fünften Erwägungsgrund wird klargestellt, dass „[e]ine Harmonisierung der in den verschiedenen Rechtsordnungen für frühere Verurteilungen vorgesehenen Rechtswirkungen durch diesen Rahmenbeschluss … nicht beabsichtigt [ist]“, sondern nur verlangt, dass in anderen Mitgliedstaaten ergangene frühere Verurteilungen so berücksichtigt werden, als wären sie von den Justizbehörden des Mitgliedstaats, der für ein neues Strafverfahren zuständig ist, ausgesprochen worden.

45.      Drittens ist die Aufmerksamkeit auf den in Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 verankerten Grundsatz der Nichteinmischung zu lenken, der meines Erachtens in der vorliegenden Rechtssache von besonderer Relevanz ist. Dieser Grundsatz besagt, dass „[d]ie Berücksichtigung früherer, in einem anderen Mitgliedstaat ergangener Verurteilungen … nicht die Wirkung [hat], dass frühere Verurteilungen oder Entscheidungen zu ihrer Vollstreckung durch den Mitgliedstaat, in dem das neue Verfahren geführt wird, abgeändert, aufgehoben oder überprüft werden“(21). Dieser Grundsatz wird in Art. 3 Abs. 4 dieses Rahmenbeschlusses näher erläutert, wonach der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung „keine Anwendung [findet], soweit die Berücksichtigung der früheren Verurteilung für den Fall, dass es sich dabei um eine in dem Mitgliedstaat, in dem das neue Verfahren geführt wird, ergangene Verurteilung gehandelt hätte, nach dessen innerstaatlichem Recht die Wirkung gehabt hätte, dass die frühere Verurteilung oder eine Entscheidung zu ihrer Vollstreckung abgeändert, aufgehoben oder überprüft worden wäre“(22).

46.      Die Abs. 3 und 4 ergänzen einander und müssen daher gemeinsam gelesen werden, um die Tragweite des Grundsatzes der Nichteinmischung zu bestimmen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Art. 3 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses 2008/675 in die Prüfung der Vorlagefrage einzubeziehen. Die Tatsache, dass das vorlegende Gericht ihn nicht ausdrücklich erwähnt hat, steht dem nicht entgegen, da es Sache des Gerichtshofs ist, dem vorlegenden Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache nützlich sein können, unabhängig davon, ob es in der Formulierung seiner Fragen darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Vorlagefrage im Licht sämtlicher Bestimmungen der Verträge und des abgeleiteten Rechts, die von Bedeutung für das betreffende Problem sein können, geprüft werden muss(23).

47.      Ebenso darf die Bedeutung der Erwägungsgründe für die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2008/675 nicht unterschätzt werden. Denn den Erwägungsgründen von Rechtsakten der Union kommt für sich genommen zwar keine rechtliche Bedeutung zu, da sie eher deskriptiver und nicht normativer Natur sind, ihnen wird in der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Zwecke der Auslegung jedoch eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung beigemessen(24). Die Erwägungsgründe stellen in der Tat wertvolle Elemente für die Auslegung der genannten Rechtsakte dar, da sie ein besseres Verständnis der Absicht des Unionsgesetzgebers ermöglichen(25). In diesem Zusammenhang ist der 14. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2008/675 zu erwähnen, da er den in Art. 3 Abs. 3 und 4 dieses Rahmenbeschlusses verwendeten Begriff „Abänderung eines Urteils oder seiner Vollstreckung“(26) erläutert.

48.      Ebenfalls relevant für die Beurteilung der Tragweite des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in diesem speziellen Bereich des Unionsrechts scheint mir der sechste Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2008/675 zu sein, aus dem hervorgeht, dass dieser Rahmenbeschluss „nicht [bezweckt], dass in einem Mitgliedstaat gerichtliche Entscheidungen vollstreckt werden, die in anderen Mitgliedstaaten ergangen sind“(27). Diese Klarstellung ist vom Standpunkt des Grundsatzes der Nichteinmischung, der dem Rahmenbeschluss zugrunde liegt, logisch, da es sonst jedem Mitgliedstaat freistehen würde, nach Belieben in die Vollstreckungsentscheidungen der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats einzugreifen, was ebenfalls der Kohärenz der gerichtlichen Entscheidungen in einem integrierten Rechtsraum abträglich wäre.

49.      Die oben genannten Bestimmungen zeigen im Licht der sie konkretisierenden Erwägungsgründe, dass der Grundsatz der Nichteinmischung dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gewisse Grenzen setzt, die durch den oben genannten Begriff der „Abänderung“ bestimmt werden. Der 14. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2008/675 gibt hierzu insoweit einigen Aufschluss, als dort klargestellt wird, dass die Verhängung einer Gesamtstrafe für mehrere Straftaten eine „Abänderung“ und damit eine nach diesem Rahmenbeschluss verbotene „Einmischung“ darstellt, wenn die erste Verurteilung noch nicht vollstreckt oder nicht einem anderen Mitgliedstaat zum Zweck ihrer Vollstreckung „übertragen“ worden ist(28).

50.      Was speziell die in diesem Erwägungsgrund genannte Möglichkeit betrifft, eine Verurteilung zum Zweck der Vollstreckung einem anderen Mitgliedstaat zu „übertragen“, ist zu betonen, dass es sich hierbei in jedem Fall um eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Territorialität des Strafrechts handelt. Diese Einschätzung entspricht der Analyse von Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑2/19, A. P. (Bewährungsmaßnahmen)(29). Der in Art. 3 Abs. 3 und 4 des Rahmenbeschlusses 2008/675 verankerte Grundsatz der Nichteinmischung gewährleistet, dass das Recht des Urteilsmitgliedstaats, die von seinen Gerichten ausgesprochenen Verurteilungen in seinem Hoheitsgebiet und nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts zu vollstrecken, geachtet wird.

51.      Konkret kann von dem allgemeinen Grundsatz abgewichen werden, wenn der Mitgliedstaat, der die frühere Verurteilung ausgesprochen hat, das Urteil, in dem eine Bewährungsstrafe verhängt wird (und gegebenenfalls die Bewährungsentscheidung), gemäß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2008/947 an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dem das neue Strafverfahren geführt wird, zum Zweck der Überwachung der Bewährungsmaßnahmen in dem letztgenannten Mitgliedstaat übermittelt hat. Wenn der letztgenannte Mitgliedstaat die im erstgenannten Mitgliedstaat ergangene Verurteilung anerkennt, kann er nach Art. 14 dieses Rahmenbeschlusses die Verantwortung für jede weitere Entscheidung übernehmen und insbesondere die Aussetzung der Vollstreckung des Urteils widerrufen, wenn die verurteilte Person eine neue Straftat begeht. Gemäß Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/947 ist das Ziel dieses Mechanismus „die Erleichterung der Resozialisierung einer verurteilten Person, die Verbesserung des Opferschutzes und des Schutzes der Allgemeinheit sowie die Erleichterung der Anwendung angemessener Bewährungsmaßnahmen und alternativer Sanktionen auf Straftäter, die nicht im Urteilsstaat leben.“

52.      Trotz dieser vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Möglichkeit darf nicht vergessen werden, dass die Möglichkeit, hiervon Gebrauch zu machen, letztlich auf einer freiwilligen und souveränen Entscheidung des Mitgliedstaats beruht, der die betreffende Verurteilung ausgesprochen hat. Es liegt daher auf der Hand, dass die Möglichkeit, eine Übertragung der Vollstreckung einer Verurteilung auf einen anderen Mitgliedstaat vorzunehmen, lediglich die Regel bestätigt, nach der jeder Mitgliedstaat für die Vollstreckung der von seinen Gerichten in seinem Hoheitsgebiet erlassenen Verurteilungen nach Maßgabe der in seinem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Modalitäten zuständig ist.

53.      Im Urteil Beshkov hat der Gerichtshof die im Rahmenbeschluss 2008/675 vorgesehene Aufteilung der Zuständigkeiten für die Strafrechtspflege zwischen den Mitgliedstaaten anerkannt und festgestellt, dass Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses „jede Überprüfung dieser Verurteilungen [ausschließt], die daher so wie ergangen berücksichtigt werden müssen“(30). Anschließend hat der Gerichtshof befunden, dass dieser Rahmenbeschluss es einem Mitgliedstaat verwehrt, bei der Berücksichtigung früherer Verurteilungen „die Einzelheiten der Vollstreckung“ der in einem anderen Mitgliedstaat verhängten Strafe „[abzuändern]“(31).

54.      In den vorangegangenen Nummern habe ich die Ausnahmen von der Verpflichtung zur Berücksichtigung früherer Verurteilungen ermittelt, die meiner Ansicht nach im vorliegenden Fall eine Rolle spielen könnten. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Ausnahmen nicht dazu führen, dass die betreffenden Fälle aus dem Anwendungsbereich dieses Rahmenbeschlusses herausfallen, sondern vielmehr Ausnahmen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung vorsehen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

D.      Anwendung der dem Rahmenbeschluss 2008/675 zugrunde liegenden Grundsätze auf den vorliegenden Fall

55.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen komme ich zu dem Schluss, dass ein Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung einer bei der ersten Verurteilung verhängten Strafe, um die tatsächliche Vollstreckung dieser Strafe im bulgarischen Hoheitsgebiet anzuordnen, eine Änderung der Modalitäten der Vollstreckung und damit eine „Einmischung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 darstellt. Denn sie hat zur Folge, dass eine Entscheidung, die die Vollstreckung einer früheren Verurteilung betrifft, abgeändert wird. Es ist zu beachten, dass ein solcher Widerruf darüber hinaus unter Art. 3 Abs. 4 dieses Rahmenbeschlusses fällt, da, wenn die erste Verurteilung in Bulgarien und nicht in Rumänien ausgesprochen worden wäre, ihre Berücksichtigung nach den einschlägigen bulgarischen Rechtsvorschriften zur Folge gehabt hätte, dass eine Änderung der Modalitäten ihrer Vollstreckung angeordnet worden wäre, da das nationale Gericht die wirksame Vollstreckung der ursprünglich zur Bewährung ausgesetzten Strafe angeordnet hätte.

56.      Wie ich in den vorliegenden Schlussanträgen in Erinnerung gerufen habe(32), geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Änderung der Modalitäten der Vollstreckung der Verurteilung, insbesondere beim Widerruf der Aussetzung einer Strafe, die bei einer früheren Verurteilung in einem anderen Mitgliedstaat verhängt worden ist, und bei der Umwandlung einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe in eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung, eine „Einmischung“ in die Vollstreckung der früheren Verurteilung darstellt. Die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden Grundsätze scheinen mir auf den vorliegenden Fall uneingeschränkt anwendbar zu sein.

57.      Der vom vorlegenden Gericht in seiner Vorlageentscheidung angeführte Umstand, dass der Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung aufgrund einer zwingenden Vorschrift, die dem nationalen Gericht kein Ermessen einräume, und eigentlich nicht aufgrund der Überprüfung einer früheren Verurteilung angeordnet werden müsse, scheint mir insoweit unerheblich zu sein. Es ist daran zu erinnern, dass nach Art. 5 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675 die Adressaten der durch diesen Rahmenbeschluss auferlegten Verpflichtungen die Mitgliedstaaten sind. Daraus ergibt sich für die verschiedenen staatlichen Gewalten die Pflicht, die Einhaltung dieser Verpflichtungen gemäß ihren jeweiligen Zuständigkeiten, wie sie in ihrer innerstaatlichen Verfassungsordnung vorgesehen sind, sicherzustellen. Diese Verantwortung obliegt sowohl der Judikative als auch der Legislative. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass es keine Rolle spielt, ob den nationalen Gerichten nach dem Gesetz ein Ermessen zusteht oder ob der nationale Gesetzgeber sie verpflichtet, in einer bestimmten Art und Weise zu verfahren. Es liegt somit eine „Einmischung“ in die Vollstreckung der ersten Verurteilung vor.

58.      An diesem Punkt der Analyse ist hervorzuheben, dass der 14. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2008/675 dieser Feststellung nicht entgegensteht, da keiner der beiden dort genannten Fälle, die eine „Abänderung“ und damit eine verbotene „Einmischung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und 4 dieses Rahmenbeschlusses ausschließen(33), vorliegt; dies werde ich im Folgenden erläutern.

59.      Erstens ist zu beachten, dass die Vorlageentscheidung keinen Hinweis darauf enthält, dass die erste Verurteilung bereits vollständig vollstreckt worden ist. Gemäß den Informationen des vorlegenden Gerichts beging QS die Straftat, die Gegenstand der zweiten Verurteilung ist, „während der Bewährungszeit“, die in der ersten Verurteilung festgesetzt worden war(34). Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Umstände der vorliegenden Rechtssache von denen unterscheiden, die dem Urteil Beshkov zugrunde liegen, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass „die [im ersten Urteil] festgesetzte Probezeit … beendet war, und [das Gericht] daher den gegen [die betreffende Person] verhängten bedingt nachgesehenen Strafteil endgültig nachgesehen hat“, so dass nach Ansicht des Gerichtshofs „die gesamte Strafe als vollständig vollstreckt angesehen werden [musste]“(35). Aus diesen Gründen bin ich der Ansicht, dass für die Zwecke des vorliegenden Falls von der Annahme auszugehen ist, dass die erste Verurteilung noch nicht vollständig vollstreckt worden ist.

60.      Zweitens ist zu beachten, dass nichts in der Vorlageentscheidung darauf hindeutet, dass die rumänischen Justizbehörden die Vollstreckung der ersten Verurteilung in Bulgarien genehmigt hätten. Im Gegenteil, die Tatsache, dass das vorlegende Gericht gerade nach der Tragweite und der Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 im vorliegenden Fall fragt, insbesondere in Anbetracht der angeblich klaren, keinen Ermessensspielraum lassenden Verpflichtung, die ihm die bulgarische Regelung auferlege, nämlich die Aussetzung der Vollstreckung einer Bewährungsstrafe, die in einer früheren Verurteilung in einem anderen Mitgliedstaat verhängt worden sei, zu widerrufen und die wirksame Vollstreckung dieser Strafe im eigenen Hoheitsgebiet anzuordnen, lässt vielmehr die Annahme zu, dass die bulgarischen Justizbehörden auf eigene Initiative gehandelt haben, ohne dass zwischen diesen Mitgliedstaaten eine Übertragung der Vollstreckung der ersten Verurteilung vereinbart worden wäre.

E.      Überlegungen zu einer etwaigen Übertragung der Vollstreckung der strafrechtlichen Verurteilung

61.      Im Übrigen bezweifle ich, dass eine solche Vereinbarung unter den Umständen des Ausgangsverfahrens zustande kommen könnte, da eine Übertragung der Vollstreckung an Bulgarien dem mit dem Rahmenbeschluss 2008/947 verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde, das u. a. in „der Erleichterung der Resozialisierung einer verurteilten Person“ sowie in der „Erleichterung der Anwendung angemessener Bewährungsmaßnahmen und alternativer Sanktionen auf Straftäter, die nicht im Urteilsmitgliedstaat leben“(36), liegt. Die Behörden des Mitgliedstaats, in dem die verurteilte Person wohnt, sind in der Regel besser in der Lage, die Einhaltung der rechtlichen Verpflichtung, während einer Bewährungszeit keine weitere Straftat zu begehen, zu überwachen und die Konsequenzen aus einem etwaigen Verstoß hiergegen zu ziehen(37). Aus diesem Grund sieht Art. 5 Abs. 1 und 2 des Rahmenbeschlusses 2008/947 vor, dass die Übermittlung eines Urteils entweder auf Initiative der zuständigen Behörden des Ausstellungsstaats erfolgt, wenn die verurteilte Person in den Mitgliedstaat, in dem sie ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zurückgekehrt ist oder zurückkehren möchte, oder auf Antrag der verurteilten Person.

62.      In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass die Resozialisierung und die erfolgreiche Wiedereingliederung der verurteilten Person in die Gesellschaft ein Ziel darstellen, das auch in anderen Rechtsakten der Union verfolgt wird(38), wie z. B. im Rahmenbeschluss 2008/909. Wie aus dessen neuntem Erwägungsgrund hervorgeht, soll die Vollstreckung der Verurteilung im Vollstreckungsstaat „die Resozialisierung der verurteilten Person begünstigen (39). Um sich davon zu überzeugen, dass die Vollstreckung der Verurteilung im Vollstreckungsstaat zur Erreichung des oben genannten Ziels beiträgt, sollte die zuständige Behörde des Ausstellungsstaats, d. h. des Mitgliedstaats, in dem das Urteil in Strafsachen ergangen ist, laut diesem Erwägungsgrund ferner „Aspekten wie beispielsweise der Bindung der verurteilten Person an den Vollstreckungsstaat Rechnung tragen und berücksichtigen, ob sie diesen als den Ort familiärer, sprachlicher, kultureller, sozialer, wirtschaftlicher oder sonstiger Verbindungen zum Vollstreckungsstaat ansieht“(40). Darüber hinaus sei daran erinnert, dass Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑582/15, van Vemde, diesen neunten Erwägungsgrund dahin auslegt hat, dass „sämtliche Maßnahmen in Bezug auf die Strafvollstreckung und deren Gestaltung von den Justizbehörden individuell zu treffen sind, um unter Wahrung der Interessen der Gesellschaft und der Opferrechte neben der Verhütung von Wiederholungstaten die soziale Eingliederung oder Wiedereingliederung der verurteilten Person zu erleichtern“(41).

63.      Im vorliegenden Fall ist die verurteilte Person jedoch ein rumänischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Rumänien, so dass die zuständigen rumänischen Behörden auf den ersten Blick keinen Grund hatten, die erste Verurteilung zum Zweck der Überprüfung der Bewährungsmaßnahmen an die bulgarischen Behörden zu übertragen, und diese Person wahrscheinlich auch kein Interesse daran hatte, eine solche Übertragung zu beantragen. Die spätere Übertragung dieser Verurteilung an die bulgarischen Behörden zum Zweck ihrer wirksamen Vollstreckung, nachdem in Bulgarien während der Bewährungszeit eine weitere Straftat begangen worden war, sowie der daraus nach bulgarischem Recht resultierende Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung würden zudem nicht zur Resozialisierung dieser Person beitragen. Diese Überlegungen bestärken mich in meiner Überzeugung, dass das Ziel des Rahmenbeschlusses 2008/947 konterkariert würde, wenn QS seine Strafe im Ausland verbüßen müsste.

64.      Dies vorausgeschickt, ist darauf hinzuweisen, dass zwar gewisse Hindernisse für die Vollstreckung der ersten, in Rumänien ausgesprochenen Verurteilung bestehen, es den zuständigen bulgarischen Behörden jedoch freisteht, die zweite Verurteilung an die zuständigen rumänischen Behörden gemäß dem Rahmenbeschluss 2008/909 zum Zweck der Vollstreckung dieser zweiten Verurteilung in Rumänien zu übertragen, sofern QS zustimmt und die im letztgenannten Rahmenbeschluss festgelegten Bedingungen erfüllt sind. Es wäre gegebenenfalls Aufgabe der rumänischen Gerichte, die Auswirkungen der zweiten Verurteilung auf die Modalitäten der Vollstreckung der ersten Verurteilung zu beurteilen. Im Interesse einer geordneten Rechtspflege scheint es mir angebracht, dass der Gerichtshof das vorlegende Gericht auf eine solche durch den Rahmenbeschluss 2008/909 eröffnete Möglichkeit aufmerksam macht.

65.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen gelange ich zu dem Ergebnis, dass Art. 3 Abs. 3 und 4 des Rahmenbeschlusses 2008/675 der Anwendung nationaler Bestimmungen entgegensteht, die zur Folge hätten, dass ein nationales Gericht eines Mitgliedstaats im Rahmen eines neuen Strafverfahrens, das gegen eine zuvor in einem anderen Mitgliedstaat verurteilte Person geführt wird, verpflichtet würde, die Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe, die im Rahmen einer früheren, in dem anderen Mitgliedstaat ergangenen Verurteilung verhängt wurde, zu widerrufen und die wirksame Vollstreckung dieser Strafe im Hoheitsgebiet seines Mitgliedstaats anzuordnen.

VI.    Ergebnis

66.      Im Licht aller vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Rayonen sad Nesebar (Rayongericht Nesebar, Bulgarien) wie folgt zu antworten:

Art. 3 Abs. 3 und 4 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren

ist dahin auszulegen, dass

er der Anwendung nationaler Bestimmungen entgegensteht, die zur Folge hätten, dass ein nationales Gericht eines Mitgliedstaats im Rahmen eines neuen Strafverfahrens, das gegen eine zuvor in einem anderen Mitgliedstaat verurteilte Person geführt wird, verpflichtet würde, die Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe, die im Rahmen einer früheren, in dem anderen Mitgliedstaat ergangenen Verurteilung verhängt wurde, zu widerrufen und die wirksame Vollstreckung dieser Strafe im Hoheitsgebiet seines Mitgliedstaats anzuordnen.











































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