Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)
19. Juni 2025(* )
„ Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 49 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Art. 56 AEUV – Freier Dienstleistungsverkehr – Richtlinie 2000/31/EG – Elektronischer Geschäftsverkehr – Art. 8 Abs. 1 – Dienst der kommerziellen Kommunikation, der von Angehörigen eines reglementierten Berufs erbracht wird – Nationale Rechtsvorschriften, die Werbung für Apotheken und Apothekenverkaufsstellen sowie für ihre Tätigkeiten verbieten – Beschränkung – Rechtfertigung – Schutz der öffentlichen Gesundheit “
In der Rechtssache C‑200/24
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 13. März 2024,
Europäische Kommission, vertreten durch U. Małecka und M. Mataija als Bevollmächtigte,
Klägerin,
gegen
Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna und D. Lutostańska als Bevollmächtigte,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Jääskinen, des Richters A. Arabadjiev und der Richterin R. Frendo (Berichterstatterin),
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. 2000, L 178, S. 1) sowie aus den Art. 49 und 56 AEUV verstoßen hat, dass sie Art. 94a Abs. 1 der Ustawa – Prawo farmaceutyczne (Arzneimittelgesetz) vom 6. September 2001 (Dz. U. Nr. 126, Position 1381) erlassen hat.
I. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
1. AEU-Vertrag
2 Art. 49 AEUV bestimmt:
„Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind … verboten. …
… [D]ie Niederlassungsfreiheit [umfasst] die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften …“
3 Art. 56 AEUV sieht vor:
„Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind … verboten.
…“
2. Richtlinie 98/34 und Richtlinie (EU) 2015/1535
4 Die Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. 1998, L 204, S. 37) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 316, S. 12) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34) wurde durch die am 7. Oktober 2015 in Kraft getretene Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 (ABl. 2015, L 241, S. 1) aufgehoben.
5 Art. 1 Abs. 1 Buchst. b Unterabs. 1 der Richtlinie 2015/1535 sieht vor:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
…
b) ‚Dienst‘ eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.“
6 Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2015/1535 bestimmt:
„Verweisungen auf die … Richtlinie [98/34] gelten als Verweisungen auf die vorliegende Richtlinie und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang IV zu lesen.“
7 Aus dieser Tabelle ergibt sich, dass Art. 1 Abs. 1 Buchst. b Unterabs. 1 der Richtlinie 2015/1535 Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/34 entspricht.
3. Richtlinie 2000/31
8 Art. 2 der Richtlinie 2000/31 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) ‚Dienste der Informationsgesellschaft‘ Dienste im Sinne von [Art. 1 Abs. 1 Buchst. b Unterabs. 1 der Richtlinie 2015/1535];
…
f) ‚kommerzielle Kommunikation‘ alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt; die folgenden Angaben stellen als solche keine Form der kommerziellen Kommunikation dar:
– Angaben, die direkten Zugang zur Tätigkeit des Unternehmens bzw. der Organisation oder Person ermöglichen, wie insbesondere ein Domain-Name oder eine Adresse der elektronischen Post;
– Angaben in Bezug auf Waren und Dienstleistungen oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens, einer Organisation oder Person, die unabhängig und insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung gemacht werden;
…“
9 Art. 8 der Richtlinie 2000/31 sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verwendung kommerzieller Kommunikationen, die Bestandteil eines von einem Angehörigen eines reglementierten Berufs angebotenen Dienstes der Informationsgesellschaft sind oder einen solchen Dienst darstellen, gestattet ist, soweit die berufsrechtlichen Regeln, insbesondere zur Wahrung von Unabhängigkeit, Würde und Ehre des Berufs, des Berufsgeheimnisses und eines lauteren Verhaltens gegenüber Kunden und Berufskollegen, eingehalten werden.
(2) Unbeschadet der Autonomie von Berufsvereinigungen und ‑organisationen ermutigen die Mitgliedstaaten und die Kommission die Berufsvereinigungen und ‑organisationen dazu, Verhaltenskodizes auf Gemeinschaftsebene aufzustellen, um zu bestimmen, welche Arten von Informationen im Einklang mit den in Absatz 1 genannten Regeln zum Zwecke der kommerziellen Kommunikation erteilt werden können.
…“
4. Richtlinie 2001/83 /EG
10 Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) bestimmt:
„Die Arzneimittelwerbung
– muss einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt;
– darf nicht irreführend sein.“
5. Richtlinie 2006/123 /EG
11 Der 100. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36) lautet:
„Es ist erforderlich absolute Verbote kommerzieller Kommunikation für reglementierte Berufe zu beseitigen, wobei nicht Verbote gemeint sind, die sich auf den Inhalt der kommerziellen Kommunikation beziehen, sondern solche, die diese allgemein und für ganze Berufsgruppen in einer oder mehreren Formen untersagen, beispielsweise ein Verbot von Werbung in einem bestimmten Medium oder in einer Reihe von Medien. Hinsichtlich des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation ist es erforderlich, die Angehörigen der reglementierten Berufe aufzufordern, im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht gemeinschaftsweite Verhaltenskodizes zu erarbeiten.“
12 In Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie 2006/123 heißt es:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
…
12. ‚kommerzielle Kommunikation‘ alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbildes eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt. Folgende Angaben stellen als solche keine Form der kommerziellen Kommunikation dar:
a) Angaben, die direkten Zugang zur Tätigkeit des Unternehmens, der Organisation oder der Person ermöglichen, wie insbesondere ein Domain-Name oder eine E‑Mail-Adresse,
b) Angaben in Bezug auf Waren und Dienstleistungen oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens, einer Organisation oder einer Person, die unabhängig und insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung zusammengestellt werden.“
13 Art. 24 der Richtlinie 2006/123 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten heben sämtliche absoluten Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe auf.
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die kommerzielle Kommunikation durch Angehörige reglementierter Berufe die Anforderungen der berufsrechtlichen Regeln erfüllt, die im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht je nach Beruf insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen. Berufsrechtliche Regeln über die kommerzielle Kommunikation müssen nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sein.“
B. Polnisches Recht
14 Das Arzneimittelgesetz wurde durch die Ustawa o refundacji leków, środków spożywczych specjalnego przeznaczenia żywieniowego oraz wyrobów medycznych (Gesetz über die Kostenerstattung für Arzneimittel, Lebensmittel für eine besondere Ernährung und Medizinprodukte) vom 12. Mai 2011 (Dz. U. Nr. 122, Position 696) (im Folgenden: geändertes Arzneimittelgesetz) geändert.
15 Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes sieht vor:
„Werbung für Apotheken und Apothekenverkaufsstellen und ihre Tätigkeiten ist verboten. Informationen über den Standort und die Öffnungszeiten von Apotheken oder Apothekenverkaufsstellen stellen keine Werbung dar.“
16 Art. 129b Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes lautet:
„Mit einer Geldbuße von bis zu 50 000 [polnischen Zloty (PLN) (etwa 12 000 Euro)] wird bestraft, wer unter Verstoß gegen Art. 94a für eine Apotheke, eine Apothekenverkaufsstelle oder eine parapharmazeutische Verkaufsstelle und für ihre Tätigkeiten wirbt.“
II. Vorgerichtliches Verfahren
17 Die Änderungen des Arzneimittelgesetzes traten am 1. Januar 2012 in Kraft. Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes verbietet Werbung für Apotheken, Apothekenverkaufsstellen und ihre Tätigkeiten. Diese Bestimmung stellt klar, dass Kommunikationen über Öffnungszeiten und Standorte von Apotheken und Apothekenverkaufsstellen keine Werbung darstellen. Das in Rede stehende Verbot ist mit einer Geldbuße von bis zu 50 000 PLN (etwa 12 000 Euro) bewehrt.
18 Am 25. Januar 2019 richtete die Kommission ein Aufforderungsschreiben an die Republik Polen, in dem sie vorbrachte, diese Bestimmung verstoße gegen Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31, der die Verwendung kommerzieller Kommunikationen betreffe, die Bestandteil eines von einem Angehörigen eines reglementierten Berufs angebotenen Dienstes der Informationsgesellschaft seien, sowie gegen Art. 49 AEUV, der die Niederlassungsfreiheit betreffe, und Art. 56 AEUV, der den freien Dienstleistungsverkehr betreffe.
19 Die Republik Polen erwiderte mit Schreiben vom 25. März 2019 zunächst, dass die sich aus Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes ergebende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nur Mitteilungen erfasse, deren ausdrückliches Ziel darin bestehe, den Absatz von in Apotheken angebotenen Produkten zu steigern. Sodann werde mit dieser Bestimmung das allgemeine Ziel verfolgt, ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten. Schließlich verstoße diese Bestimmung nicht gegen die Richtlinie 2000/31, da ein sehr großer Teil der von Apothekern erbrachten pharmazeutischen Dienstleistungen nicht zu den Tätigkeiten der Apotheken oder Apothekenverkaufsstellen gehöre und daher nicht unter das in Rede stehende Verbot falle.
20 Da die Antwort der Republik Polen die Kommission nicht zufriedenstellte, richtete diese am 3. Juli 2020 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Polen, in der sie sie aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihren Verpflichtungen binnen drei Monaten nach Erhalt der Stellungnahme nachzukommen. Die Kommission hielt in der Stellungnahme an ihrem Standpunkt aus dem Aufforderungsschreiben fest und führte darin aus, dass die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden und die Rechtsprechung der Gerichte der Republik Polen die beträchtliche Tragweite des Verbots nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes belegten.
21 Die Republik Polen antwortete auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 1. Oktober 2020 und legte die Umstände im Zusammenhang mit dem Erlass dieser Bestimmung dar, die durch negative Ereignisse auf dem polnischen Arzneimittelmarkt gekennzeichnet seien. Zudem sei sie bereit, eine Änderung des Wortlauts der Bestimmung in Betracht zu ziehen.
22 Nach erfolglosem Schriftwechsel hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.
III. Zur Klage
23 Die Kommission stützt ihre Klage auf drei Rügen, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31, zweitens einen Verstoß gegen Art. 49 AEUV und drittens einen Verstoß gegen Art. 56 AEUV geltend macht.
A. Zur ersten Rüge: Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31
1. Vorbringen der Parteien
24 Zunächst führt die Kommission unter Berufung auf das Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght (C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 42), aus, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 es den Angehörigen eines reglementierten Berufs ermöglichen solle, zur Bewerbung ihrer Tätigkeiten Dienste der Informationsgesellschaft in Anspruch zu nehmen. Der Gerichtshof habe in den Rn. 43 und 44 des genannten Urteils festgestellt, dass für kommerzielle Kommunikationen im Sinne von Art. 2 Buchst. f dieser Richtlinie die für den betreffenden Beruf geltenden berufsrechtlichen Regeln einzuhalten seien, die jedoch nicht zu einem allgemeinen und ausnahmslosen Verbot jeglicher Form der Online-Werbung führen dürften.
25 Vorliegend falle Werbung für Apotheken, Apothekenverkaufsstellen und ihre Tätigkeiten, die u. a. über eine von einer Person, die einen reglementierten Beruf ausübe, eingerichtete Website erfolge, unter Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31.
26 Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes verbiete jedoch jegliche Form der kommerziellen Kommunikation, auch auf elektronischem Wege, u. a. über Websites, die von einem Apotheker erstellt würden, der in einer Apotheke oder einer Apothekenverkaufsstelle tätig sei. Somit verstoße diese Bestimmung gegen Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31.
27 Daher hält die Kommission das Vorbringen der Republik Polen in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme für unbegründet.
28 Was als Erstes deren Vorbringen betrifft, zwischen Apothekern als Berufsgruppe und den nicht auf Apotheken und Apothekenverkaufsstellen beschränkten Einrichtungen, in denen sie arbeiteten, müsse unterschieden werden, argumentiert die Kommission, dass sehr viele Apotheker in Apotheken oder Apothekenverkaufsstellen arbeiteten.
29 Insoweit weist die Kommission darauf hin, dass nach einem Bericht des Główny Urząd Statystyczny (Statistisches Hauptamt, Polen) im Jahr 2021 37 300 Personen zur Ausübung des Apothekerberufs in Polen berechtigt gewesen seien und 26 000 von ihnen, d. h. etwa 69,7 %, in einer Apotheke oder einer Apothekenverkaufsstelle tätig gewesen seien.
30 Da Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 alle Angehörigen eines reglementierten Berufs erfasse, könne das nationale Recht nicht allein deshalb als mit dieser Bestimmung vereinbar angesehen werden, weil einige Angehörige des betreffenden reglementierten Berufs ihre eigene Werbung betreiben könnten.
31 Als Zweites argumentiert die Kommission in Bezug auf das Vorbringen der Republik Polen, das Werbeverbot gelte nur für den Betrieb von Apotheken und Apothekenverkaufsstellen, nicht aber für die von Apothekern erbrachten Dienstleistungen, dass eine solche Unterscheidung künstlich sei. Nach polnischem Recht müssten die Apotheken nämlich von Apothekern gehalten und betrieben oder zumindest von Apothekern geleitet werden.
32 Der Begriff „kommerzielle Kommunikation“ im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2000/31 umfasse Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren oder Dienstleistungen diene, die von Angehörigen eines reglementierten Berufs oder von einem Unternehmen oder einer Organisation, in dem bzw. in der sie einen reglementierten Beruf ausübten, geliefert bzw. erbracht würden.
33 Um die Einhaltung von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie sicherzustellen, seien die Mitgliedstaaten daher grundsätzlich verpflichtet, alle derartigen kommerziellen Kommunikationen zu gestatten. So müssten Apotheker nicht nur für sich selbst und für die von ihnen angebotenen Dienstleistungen werben können, sondern auch für die Apotheken, die sie betrieben oder bei denen sie angestellt seien.
34 Was als Drittes und Letztes das Vorbringen der Republik Polen betrifft, das geänderte Arzneimittelgesetz erlaube Apotheken und Apothekenverkaufsstellen insbesondere den Fernabsatz nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, ist die Kommission der Auffassung, dass dies eine andere Frage sei als die Fragen, die im vorliegenden Fall relevant seien. Die Möglichkeit, diese Arzneimittel insbesondere durch den Betrieb einer Website im Fernabsatz zu verkaufen, sei nämlich von der Möglichkeit zu unterscheiden, für eine Apotheke und die von ihr angebotenen Dienstleistungen zu werben, zu denen insbesondere der Verkauf solcher Arzneimittel im Fernabsatz gehören könne. Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes verbiete es indessen den Apotheken, ihre Fernabsatzdienstleistungen zu bewerben, wie mehrere Entscheidungen der polnischen Behörden bestätigten.
35 Selbst wenn man davon ausgehe, dass diese Bestimmung die kommerzielle Kommunikation in Bezug auf online verkaufte Produkte nicht verbiete, führe sie gleichwohl zu einem allgemeinen und ausnahmslosen Verbot der Werbung, das gegen Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 verstoße. In diesem Fall wären demnach zwar bestimmte kommerzielle Kommunikationen zulässig. Andere kommerzielle Kommunikationen seien hingegen verboten.
36 In diesem Zusammenhang führt die Kommission mehrere Entscheidungen polnischer Verwaltungsbehörden und Gerichte an, aus denen hervorgehe, dass die Kommunikationen, die als Verstoß gegen Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes angesehen würden, auch Informationen über die von den Apotheken erbrachten Dienstleistungen und über die Preise der Produkte beträfen, und zwar auch über das Internet.
37 Das Verbot kommerzieller Kommunikationen, die sich auf die letztgenannten Informationen bezögen, gelte allgemein und ausnahmslos, da deren individuelle Beurteilung nicht erforderlich sei. Selbst wenn das Verbot nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes auf bestimmte Tätigkeiten der Apotheker nicht anwendbar sein sollte, stelle es doch ein absolutes Verbot im Sinne des Urteils vom 5. April 2011, Société fiduciaire nationale d’expertise comptable (C‑119/09, EU:C:2011:208, Rn. 29), dar; dieses Urteil beziehe sich auf Art. 24 der Richtlinie 2006/123 und sei entsprechend heranzuziehen.
38 Die Republik Polen hält dem entgegen, dass Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes zwar Werbung für Apotheken, Apothekenverkaufsstellen und ihre Tätigkeiten verbiete, nicht aber Werbung für pharmazeutische Dienstleistungen. Das in dieser Bestimmung aufgestellte Verbot richte sich somit an die Betreiber von Apotheken, bei denen es sich nicht ausschließlich um Apotheker handele, wie auch an alle, die werben könnten, wie die Presse und Werbeagenturen.
39 In diesem Zusammenhang legt die Republik Polen zum einen mehrere Daten des Statistischen Hauptamtes und des Rejestr Aptek (Apothekenregister, Polen) vor, die sich auf die Zahl der aktiven Apotheken und auf die Zahl der Lizenzen beziehen, die Apothekern oder Apothekergesellschaften erteilt wurden. Sie leitet aus diesen Daten ab, dass die Ausübung des Apothekerberufs und der Betrieb einer Apotheke nicht als gleichbedeutend angesehen werden könnten.
40 Zum anderen weist die Republik Polen darauf hin, dass nach den Daten der Naczelna Izba Aptekarska (Oberste Apothekerkammer, Polen) am 31. Dezember 2022 knapp ein Drittel der Apotheker außerhalb von Apotheken oder Apothekenverkaufsstellen beschäftigt gewesen seien. Apotheker könnten u. a. an Universitäten und wissenschaftlichen Instituten sowie in Krankenhäusern, Kliniken, Einrichtungen, die mit der Kontrolle und Überwachung der Herstellung und Vermarktung von Arzneimitteln betraut seien, Einrichtungen zur Registrierung von Arzneimitteln und Nichtregierungsorganisationen beschäftigt werden.
41 Daraus folge, dass Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes nicht für alle Aspekte der Tätigkeit des Apothekers als reglementierter Beruf gelte, sondern nur für die Tätigkeit einer Apotheke oder einer Apothekenverkaufsstelle, die nicht notwendigerweise von einem Apotheker ausgeübt werden müsse. Somit gelte das sich aus dieser Bestimmung ergebende Verbot nicht ausnahmslos und betreffe nur eine der möglichen Formen der Ausübung des Apothekerberufs.
42 Im Übrigen macht die Republik Polen geltend, dass die Rechtsprechung zu Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 im vorliegenden Fall für die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 irrelevant sei.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
43 In Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 ist der Grundsatz festgelegt, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Verwendung kommerzieller Kommunikationen, die Bestandteil eines von einem Angehörigen eines reglementierten Berufs angebotenen Dienstes der Informationsgesellschaft sind oder einen solchen Dienst darstellen, gestattet ist.
44 Art. 8 Abs. 1 soll es Angehörigen eines reglementierten Berufs ermöglichen, Dienste der Informationsgesellschaft zu nutzen, um ihre Tätigkeiten zu bewerben (Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 42).
45 Aus Art. 8 Abs. 1 ergibt sich zwar, dass kommerzielle Kommunikationen nur unter der Bedingung erlaubt werden dürfen, dass die berufsrechtlichen Regeln, insbesondere zur Wahrung von Unabhängigkeit, Würde und Ehre des betreffenden reglementierten Berufs, des Berufsgeheimnisses und eines lauteren Verhaltens sowohl gegenüber Kunden als auch gegenüber Berufskollegen, eingehalten werden. Art. 8 Abs. 1 würde jedoch seine praktische Wirksamkeit genommen und das vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel würde gefährdet, wenn berufsrechtliche Regeln jegliche Form der Online-Werbung zur Bewerbung der Tätigkeit einer Person, die einen reglementierten Beruf ausübt, allgemein und ausnahmslos verbieten könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 43 und 44).
46 Diese Auslegung wird durch Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2000/31 bestätigt, der vorsieht, dass die Mitgliedstaaten und die Kommission zur Ausarbeitung von Verhaltenskodizes ermutigen, die diese Art von Werbung nicht verbieten, sondern vielmehr klären sollen, welche Arten von Informationen im Einklang mit diesen berufsrechtlichen Regeln zum Zweck der kommerziellen Kommunikation erteilt werden können (Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 45).
47 Folglich können berufsrechtliche Regeln zwar Inhalt und Form der in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 genannten kommerziellen Kommunikationen wirksam eingrenzen, sie dürfen aber kein allgemeines und ausnahmsloses Verbot dieser Art von Kommunikationen enthalten (Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 46).
48 Im vorliegenden Fall ist als Erstes unstreitig, dass der Beruf des Apothekers in Polen ein reglementierter Beruf ist.
49 Als Zweites trägt die Republik Polen vor, nicht alle Apotheker arbeiteten in einer Apotheke, da das Studium, das sie absolviert hätten, ihnen Zugang zu anderen Tätigkeiten verschaffe. Sie bestreitet jedoch nicht, dass, wie die Kommission ausführt, nach einem Bericht des Statistischen Hauptamtes im Jahr 2021 37 300 Personen zur Ausübung des Apothekerberufs in Polen berechtigt waren und 26 000 von ihnen, d. h. 69,7 %, in einer Apotheke oder einer Apothekenverkaufsstelle tätig waren.
50 Außerdem stehen diese Daten im Einklang mit den von der Republik Polen angeführten Daten der Obersten Apothekerkammer, wonach am 31. Dezember 2022 knapp ein Drittel der Apotheker außerhalb von Apotheken und Apothekenverkaufsstellen beschäftigt war.
51 Hierzu genügt der Hinweis, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 alle Angehörigen eines reglementierten Berufs erfasst und das nationale Recht daher nicht allein deshalb als mit dieser Bestimmung vereinbar angesehen werden kann, weil einige Angehörige des betreffenden reglementierten Berufs nicht unter das im nationalen Recht vorgesehene Werbeverbot fallen.
52 Wäre dies der Fall, könnten die Mitgliedstaaten diese Bestimmung nämlich durch Verbote umgehen, die eine marginale Reihe von Tätigkeiten der Angehörigen eines reglementierten Berufs aussparen würden.
53 Als Drittes und Letztes ist, soweit die Republik Polen im Wesentlichen vorträgt, Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes verbiete es den Apotheken weder, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im Fernabsatz zu verkaufen, noch, Informationen über die Preise und die Art und Weise ihrer Lieferung zu übermitteln, festzustellen, dass es den Apotheken dennoch nicht gestattet ist, für ihre Fernabsatzdienstleistung zu werben.
54 Außerdem stellt die Republik Polen nicht in Frage, dass das Verbot aus dieser Bestimmung in mehreren polnischen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen, die die Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme erwähnt hat, auf die Verbreitung von Informationen über die von Apotheken erbrachten Dienstleistungen und die Preise der angebotenen Produkte, auch über das Internet, angewandt wurde. Vielmehr erkennt sie in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme an, dass die „unglückliche Formulierung [dieser Bestimmung] die Arzneimittelregulierungsbehörden und die Gerichte wiederholt zu der Auffassung veranlasst [hat], dass jede andere Handlung als die Übermittlung von Informationen über den Standort und die Öffnungszeiten einer Apotheke oder einer Apothekenverkaufsstelle Werbung darstelle“.
55 Selbst wenn das Verbot nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes nicht für alle Tätigkeiten gelten sollte, die von in einer Apotheke tätigen Apothekern ausgeübt werden können, sondern nur für einen Teil davon, wäre dieses Verbot jedenfalls nichtsdestoweniger allgemein und ausnahmslos und verstieße daher gegen Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31.
56 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich aus der Rechtsprechung in Bezug auf Art. 24 der Richtlinie 2006/123 ergibt, dass jedes für die Angehörigen eines reglementierten Berufs geltende Verbot, auf kommerzielle Kommunikation zurückzugreifen, gegen diese Bestimmung verstößt, selbst wenn sich das in Rede stehende Verbot nur auf bestimmte Formen der kommerziellen Kommunikation und nicht auf all diese Formen bezieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. April 2011, Société fiduciaire nationale d’expertise comptable, C‑119/09, EU:C:2011:208, Rn. 29).
57 Die Republik Polen trägt vor, die Rechtsprechung zu Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 könne nicht entsprechend auf Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 übertragen werden.
58 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 kommerzielle Kommunikationen vorbehaltlich der Einhaltung bestimmter berufsrechtlicher Regeln zulässig sind.
59 Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 sieht die Aufhebung aller absoluten Verbote kommerzieller Kommunikationen für reglementierte Berufe vor, und Abs. 2 sieht vor, dass diese Kommunikationen die Anforderungen bestimmter berufsrechtlicher Regeln erfüllen müssen.
60 Die Gestattung kommerzieller Kommunikationen vorbehaltlich der Einhaltung bestimmter berufsrechtlicher Regeln oder die Aufhebung absoluter Verbote kommerzieller Kommunikationen vorbehaltlich der Einhaltung ähnlicher Regeln führt zu einem vergleichbaren Ergebnis, zumal kommerzielle Kommunikationen in den beiden betreffenden Richtlinien gleich definiert sind, wie sich aus den Rn. 8 und 12 des vorliegenden Urteils ergibt.
61 Sodann ist der von der Republik Polen vorgetragene Umstand unerheblich, dass die Richtlinie 2000/31 keinen Erwägungsgrund enthalte, der mit dem 100. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 vergleichbar sei, auf den sich der Gerichtshof in dem oben in Rn. 56 angeführten Urteil gestützt habe. Mit diesem 100. Erwägungsgrund soll nämlich nur die Bedeutung des Ausdrucks „absolute Verbote“ kommerzieller Kommunikationen klargestellt werden, der in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 nicht enthalten ist, da diese Bestimmung die Gestattung kommerzieller Kommunikationen und nicht die Aufhebung der Verbote dieser Kommunikationen zum Gegenstand hat.
62 Schließlich ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass beide Richtlinien die in Art. 56 AEUV verankerte Dienstleistungsfreiheit konkretisieren (Urteil vom 30. Mai 2024, Airbnb Ireland und Amazon Services Europe, C‑662/22 und C‑667/22, EU:C:2024:432, Rn. 46 und 47).
63 Somit ist das Vorbringen der Republik Polen zur entsprechenden Heranziehung der Rechtsprechung zu Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 im Rahmen von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 zurückzuweisen.
64 Demnach ist der ersten Rüge stattzugeben.
B. Zur zweiten und zur dritten Rüge: Verstoß gegen die Art. 49 und 56 AEUV
65 Nach der Rechtsprechung ist eine nationale Maßnahme in einem harmonisierten Bereich anhand der Bestimmungen der Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand der Bestimmungen des Primärrechts zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 2004, Kommission/Deutschland, C‑463/01, EU:C:2004:797, Rn. 36, vom 30. April 2009, Lidl Magyarország, C‑132/08, EU:C:2009:281, Rn. 42, und vom 30. Mai 2024, Airbnb Ireland und Amazon Services Europe, C‑662/22 und C‑667/22, EU:C:2024:432, Rn. 86).
66 Da das Verbot nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes nicht nur kommerzielle Kommunikationen betrifft, die als Teil eines Dienstes der Informationsgesellschaft unter die Harmonisierung gemäß der Richtlinie 2000/31 fallen, sondern auch jegliche Form der Werbung, sind auch die zweite und die dritte Rüge der Kommission zu prüfen, die sich auf den Vorwurf von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs beziehen, die in Art. 49 bzw. Art. 56 AEUV verankert sind. Diese Rügen können zusammen geprüft werden.
1. Zum Vorliegen von Beschränkungen
a) Vorbringen der Parteien
67 Im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit macht die Kommission geltend, dass das Verbot, das sich aus Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes ergebe, Personen, die in Polen ansässig seien, aber auch in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Personen, die in Polen eine Apotheke oder eine Apothekenverkaufsstelle eröffnen wollten, die Möglichkeit nehme, ihre gegenwärtigen und potenziellen Kunden über ihre Tätigkeit zu informieren. Dies sei für die zweite Personengruppe, für die der Marktzugang erschwert werde, besonders nachteilig.
68 Zum freien Dienstleistungsverkehr trägt die Kommission vor, dieses Verbot erschwere den in Polen niedergelassenen Apothekern die Erbringung von Dienstleistungen an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Empfänger, und es erschwere in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Apothekern die Erbringung von Dienstleistungen in Polen. Außerdem beschränke dieses Verbot die Möglichkeit für in Polen ansässige Kunden, die Dienste von Apothekern aus anderen Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen, und die Möglichkeit für in Polen niedergelassene Apotheker, Werbedienstleistungen in Anspruch zu nehmen.
69 Die Republik Polen habe im Vorverfahren nicht bestritten, dass das streitige Verbot zu Beschränkungen sowohl der Niederlassungsfreiheit als auch des freien Dienstleistungsverkehrs führe. Sie habe lediglich daran festgehalten, dass diese Beschränkungen durch die Notwendigkeit, die öffentliche Gesundheit zu schützen, gerechtfertigt seien.
70 Vor dem Gerichtshof hat die Republik Polen nichts vorgetragen, was das Vorliegen von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs in Frage stellt, sondern weiter geltend gemacht, dass diese Beschränkungen durch den zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien, der im Schutz der öffentlichen Gesundheit begründet sei.
b) Würdigung durch den Gerichtshof
71 Nach ständiger Rechtsprechung sind alle Maßnahmen, die die Ausübung der von den Art. 49 und 56 AEUV garantierten Freiheiten untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen, als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und/oder des freien Dienstleistungsverkehrs zu verstehen (Urteil vom 8. Juni 2023, Fastweb u. a. [Zeitrahmen für die Abrechnung], C‑468/20, EU:C:2023:447, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).
72 Der Begriff „Beschränkung“ umfasst die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen, die, obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind, den Marktzugang von Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Urteil vom 8. Juni 2023, Fastweb u. a. [Zeitrahmen für die Abrechnung], C‑468/20, EU:C:2023:447, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).
73 Als Erstes sind nationale Rechtsvorschriften, die jegliche Werbung für eine bestimmte Tätigkeit allgemein und ausnahmslos verbieten, geeignet, für die diese Tätigkeit ausübenden Personen die Möglichkeit einzuschränken, sich bei ihren potenziellen Kunden bekannt zu machen und die Dienstleistungen, die sie ihnen anbieten möchten, zu bewerben. Daher sind solche nationalen Rechtsvorschriften als eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit anzusehen (Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 63 und 64).
74 Dies ist vorliegend bei Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes der Fall, wie sich aus der Art und Weise ergibt, in der diese Bestimmung in den in Rn. 54 des vorliegenden Urteils erwähnten polnischen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen angewandt wurde, auf die sich die Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gestützt hat und die, wie in dieser Randnummer ausgeführt, von der Republik Polen nicht in Frage gestellt werden. Somit steht die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im vorliegenden Fall fest.
75 Als Zweites hindert diese Bestimmung jede Person, die eine Apotheke in Polen betreiben möchte, daran, potenzielle Kunden darüber zu informieren. Das in dieser Bestimmung aufgestellte Werbeverbot hat u. a. zur Folge, dass die Marktzugangsbedingungen für neue Apotheken erschwert werden.
76 Eine solche Sachlage kann jedoch die in anderen Mitgliedstaaten als der Republik Polen ansässigen Wirtschaftsteilnehmer, die zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, um sich bei den in Polen ansässigen Kunden bekannt zu machen, stärker beinträchtigen. Somit stellt das Werbeverbot ein zusätzliches Hindernis für Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten, die in Polen eine Apotheke errichten wollen, dar (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 2008, Corporación Dermoestética, C‑500/06, EU:C:2008:421, Rn. 33).
77 Folglich führt Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes auch zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.
2. Zur Rechtfertigung der Beschränkungen
a) Vorbringen der Parteien
78 Die Kommission führt aus, die Republik Polen habe im Vorverfahren vorgetragen, dass das Verbot nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes die öffentliche Gesundheit schütze, indem es zum einen die übermäßige Einnahme von Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln verringere und zum anderen die berufliche Unabhängigkeit der Apotheker wahre. Der Schutz der öffentlichen Gesundheit sei zwar ein zwingender Grund des Allgemeininteresses, der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen könne. Im vorliegenden Fall habe die Republik Polen jedoch nicht nachgewiesen, dass die sich aus diesem Verbot ergebenden Beschränkungen aus einem solchen Grund gerechtfertigt seien.
79 Die Republik Polen hält vor dem Gerichtshof an ihrem im Vorverfahren vertretenen Standpunkt fest.
1) Zur übermäßigen Einnahme von Arzneimitteln
80 Die Kommission führt aus, es müsse zwischen zwei Arten von Werbung unterschieden werden, nämlich zum einen der Werbung für Apotheken, Apothekenverkaufsstellen und ihre Tätigkeiten und zum anderen der Werbung für Arzneimittel.
81 Zur ersten Art von Werbung trägt die Kommission vor, die Republik Polen habe keinen Zusammenhang zwischen dem Werbeverbot und einer Verringerung der übermäßigen Einnahme von Arzneimitteln dargelegt.
82 Zur zweiten Art führt die Kommission aus, Werbung für Arzneimittel sei nicht verboten, sofern sie besondere Voraussetzungen beachte, wie das Verbot der Verkaufsförderung für verschreibungspflichtige Arzneimittel oder die Verpflichtung nach Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83, das Arzneimittel objektiv und nicht irreführend darzustellen und Informationen über seinen zweckmäßigen Einsatz zu liefern.
83 So könnten Maßnahmen, die diese Voraussetzungen im Rahmen der Werbung für Arzneimittel festlegten, als mit dem Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit verbunden angesehen werden, das darin bestehe, die übermäßige Einnahme von Arzneimitteln zu bekämpfen.
84 Allerdings zielten Werbetätigkeiten zwar, wie die Republik Polen vortrage, grundsätzlich darauf ab, neue Kunden zu gewinnen und Bestandskunden zu binden, doch führten diese Tätigkeiten nicht zwangsläufig dazu, dass die Kunden mehr Arzneimittel kauften. Dagegen könne Werbung für eine Apotheke zu einer Erhöhung des Marktanteils dieser Apotheke zum Nachteil anderer Apotheken und anderer Verkaufsstätten für Arzneimittel führen.
85 Darüber hinaus trägt die Kommission vor, in Polen seien bestimmte nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb von Apotheken oder Apothekenverkaufsstellen in Geschäften, Supermärkten, Kiosken oder Tankstellen erhältlich. Für Verkäufe dieser Arzneimittel in solchen Einrichtungen sei weder eine Meldung noch eine Genehmigung erforderlich, und diese Verkäufe blieben zwar zahlenmäßig hinter den in Apotheken getätigten Verkäufen zurück, seien jedoch gleichwohl nicht unerheblich, wie eine von der Republik Polen erwähnte Studie aus dem Jahr 2015 zeige. Der Verkauf von Arzneimitteln in diesen Einrichtungen könne indessen wegen möglicher übermäßiger Einnahme oder unangemessener Verwendung ein erhöhtes Gesundheitsrisiko darstellen.
86 In diesem Zusammenhang komme es nicht darauf an, dass nur bestimmte nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb von Apotheken erhältlich seien, da die Zahl dieser Arzneimittel relativ hoch sei und ihre übermäßige Einnahme zu einer schwerwiegenden Vergiftung führen könne.
87 Die Kommission schließt daraus, dass das Verbot nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes nicht geeignet sei, das erklärte Ziel der Verringerung der übermäßigen Einnahme von Arzneimitteln zu erreichen. Ganz im Gegenteil könne dieses Verbot dem genannten Ziel zuwiderlaufen, weil bestimmte Arzneimittel in Einrichtungen frei verkäuflich seien, in denen Kunden keine professionelle Beratung zur Einnahme dieser Arzneimittel erhielten.
88 In jedem Fall ist die Kommission der Ansicht, dass, selbst wenn das Verbot, das sich aus dieser Bestimmung ergebe, geeignet wäre, dieses Ziel zu erreichen, weniger restriktive Maßnahmen zum gleichen Ergebnis führen könnten.
89 Die Republik Polen wendet ein, dass die Werbekommunikationen der Apotheken darauf abzielten, potenzielle Kunden dazu anzuhalten, die Dienstleistungen der Apotheken in Anspruch zu nehmen, und den Absatz von Produkten, vor allem von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und von Nahrungsergänzungsmitteln, zu steigern. Apothekenkunden stellten aber eine Art von Verbrauchern dar, die besonders anfällig für Werbung seien und vor Techniken geschützt werden müssten, die darauf abzielten, sie zu vermehrten Käufen zu verleiten. Die Inanspruchnahme der Dienstleistungen von Apotheken dürfe daher nicht das Ergebnis von Werbung sein, sondern müsse mit den Gesundheitsbedürfnissen des Patienten zusammenhängen. Angesichts der Notwendigkeit, die Gesundheit zu schützen, müsse der Wettbewerb zwischen Apotheken nicht auf Werbung, sondern auf der höchsten Qualität der erbrachten Dienstleistungen und dem dadurch erworbenen Ruf beruhen.
90 Die Republik Polen fügt hinzu, dass das Werbeverbot für die Tätigkeiten von Apotheken und Apothekenverkaufsstellen im Zusammenhang mit der Werbung für Arzneimittel zu sehen sei. Nach Art. 87 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 2001/83 müsse die Arzneimittelwerbung einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstelle. Die Arzneimittelwerbung könne nicht von der Werbung für Apotheken und Apothekenverkaufsstellen getrennt werden. Es sei daher schwierig, sich eine Werbung für eine Apotheke vorzustellen, die dem Patienten nicht Arzneimittel oder bestimmte Dienstleistungen, die mit Arzneimitteln in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang stünden, vor Augen führe.
91 In diesem Zusammenhang führt die Republik Polen aus, dass vor der Einführung von Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes für pharmazeutische Tätigkeiten die allgemeinen nationalen Werbevorschriften gegolten hätten. Das Ergebnis sei unbefriedigend gewesen, da die Betreiber von Apotheken Vertriebstätigkeiten vorgenommen hätten, die ausschließlich auf wirtschaftliche Ziele ausgerichtet gewesen seien. Dies habe zu einer übermäßigen Einnahme insbesondere von frei verkäuflichen Arzneimitteln und von Nahrungsergänzungsmitteln geführt.
92 Die Republik Polen gibt an, es sei unmöglich, die Wirksamkeit des sich aus dieser Bestimmung ergebenden Verbots nachzuweisen, zumindest in Form von Zahlenangaben. Die übermäßige Einnahme von Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln bleibe in Polen jedoch üblich, wie statistische Daten im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten zeigten.
93 Im Übrigen weist die Republik Polen darauf hin, dass zwar andere Einrichtungen als Apotheken und Apothekenverkaufsstellen, wie Kräuterhandlungen, Fachgeschäfte für den Verkauf medizinischen Materials und Einzelhandelsgeschäfte, bestimmte Arzneimittel verkaufen dürften, diese Art des Vertriebs jedoch nur bestimmte nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel betreffe.
2) Zur beruflichen Unabhängigkeit der Apotheker
94 Die Kommission räumt ein, dass bestimmte nationale Maßnahmen, mit denen den medizinischen Berufen die Kontrolle über Entscheidungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit übertragen werde, gerechtfertigt sein könnten.
95 Ein ausnahmsloses Werbeverbot für Apotheken, Apothekenverkaufsstellen und ihre Tätigkeiten sei jedoch weder geeignet, die berufliche Unabhängigkeit der Apotheker zu gewährleisten, noch zu diesem Zweck erforderlich.
96 Das von der Republik Polen in der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme genannte Ziel von Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes, das darin bestehe, die berufliche Unabhängigkeit der Apotheker vor den Auswirkungen der Werbeentscheidungen von Inhabern zu gewährleisten, die keine Apotheker seien, könne nicht für von Apothekern betriebene Apotheken gelten.
97 Außerdem sei selbst im Fall von Apotheken, die nicht von Apothekern gehalten oder kontrolliert würden, ein ausnahmsloses Werbeverbot nicht immer geeignet, die Entscheidungsautonomie der Apotheker in Situationen zu gewährleisten, die sich auf die Gesundheit der Patienten auswirkten. Die Frage, ob für solche Apotheken geworben werden könne, sei völlig verschieden von der Frage, ob Apotheker unter Umständen dem Druck ausgesetzt seien, den die Inhaber von Apotheken, die keine Apotheker seien, auf sie ausüben könnten, damit sie im finanziellen Interesse der Apotheke Entscheidungen träfen, die für die Gesundheit der Patienten schädlich seien.
98 Jedenfalls gehe Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels der beruflichen Unabhängigkeit der Apotheker erforderlich sei. Selbst wenn nämlich eine Beschränkung der Werbung geeignet wäre, dieses Ziel zu erreichen, könne eine weniger beschränkende Maßnahme darin bestehen, Werbung für Apotheken unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen.
99 Die Republik Polen hält an ihrem Standpunkt fest, dass das sich aus dieser Bestimmung ergebende Verbot Apotheker vor dem Druck schütze, den die Inhaber von Apotheken oder Apothekenverkaufsstellen unter Umständen ausübten, um den Absatz bestimmter Produkte zu steigern.
b) Würdigung durch den Gerichtshof
100 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs nur dann zulässig, wenn sie erstens aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und zweitens verhältnismäßig ist, was bedeutet, dass sie geeignet sein muss, die Erreichung des verfolgten Ziels in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen darf, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne zum freien Dienstleistungsverkehr Urteil vom 18. Juni 2019, Österreich/Deutschland, C‑591/17, EU:C:2019:504, Rn. 139 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie zur Niederlassungsfreiheit Urteil vom 6. Oktober 2020, Kommission/Ungarn [Hochschulausbildung], C‑66/18, EU:C:2020:792, Rn. 178 und die dort angeführte Rechtsprechung).
101 Überdies obliegt dem betreffenden Mitgliedstaat der Nachweis, dass diese kumulativen Voraussetzungen erfüllt sind (Urteil vom 6. Oktober 2020, Kommission/Ungarn [Hochschulausbildung], C‑66/18, EU:C:2020:792, Rn. 179 und die dort angeführte Rechtsprechung).
102 Im vorliegenden Fall ist der Schutz der öffentlichen Gesundheit, auf den sich die Republik Polen als Rechtfertigung für die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit bzw. des freien Dienstleistungsverkehrs infolge von Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes beruft, eines der Ziele, die als zwingende Gründe des Allgemeininteresses angesehen werden können und mit denen sich eine solche Beschränkung der vom AEU-Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten rechtfertigen lässt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Mai 2009, Kommission/Italien, C‑531/06, EU:C:2009:315, Rn. 51, und vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).
103 Es ist jedoch zu prüfen, ob die Republik Polen mit ihrem Vorbringen zur übermäßigen Einnahme von Arzneimitteln sowie zur beruflichen Unabhängigkeit der Apotheker nachgewiesen hat, dass das sich aus dieser Bestimmung ergebende Verbot den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt, dessen Inhalt in Rn. 100 des vorliegenden Urteils wiedergegeben worden ist.
1) Zur übermäßigen Einnahme von Arzneimitteln
104 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass Apotheken Dienstleistungen wie Testkampagnen anbieten können, die nicht mit dem Verkauf von Arzneimitteln zusammenhängen und dennoch in den Anwendungsbereich des Verbots nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes fallen, wie sich aus den in den Rn. 54 und 74 des vorliegenden Urteils angeführten Beweismitteln ergibt, die die Kommission vorgelegt hat. Insbesondere hat die Kommission auf die Entscheidung eines polnischen Gerichts verwiesen, in der Werbung für die Durchführung von Testkampagnen als rechtswidrig angesehen wurde.
105 Insoweit steht ein solches Verbot in keinem Zusammenhang mit dem Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, das darin besteht, die übermäßige Einnahme von Arzneimitteln zu bekämpfen, so dass es nicht als gerechtfertigt angesehen werden kann.
106 Soweit das Verbot nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes Werbung für Apotheken, Apothekenverkaufsstellen und ihre Dienstleistungen betrifft, die mit dem Verkauf von Arzneimitteln zusammenhängt, ist erstens festzustellen, dass diese Werbung entgegen dem Vorbringen der Republik Polen Personen, die möglicherweise Arzneimittel kaufen, zugutekommen kann, da sie diese Personen über niedrigere Preise oder zusätzliche Dienstleistungen einer bestimmten Apotheke informieren kann. Somit können diese Personen infolge der Werbung beschließen, ihre üblichen Arzneimittel bei einer anderen Apotheke als derjenigen zu kaufen, deren Kunden sie zuvor waren, ohne dass dies zu einer Erhöhung der Menge der von ihnen gekauften Arzneimittel führt.
107 Demgegenüber besteht die Gefahr, dass das Verbot dieser Werbung die Apotheken, die seit vielen Jahren auf einem Markt präsent sind, zum Nachteil derjenigen begünstigt, die in diesen Markt eintreten und dort mehr Dienstleistungen oder Dienstleistungen von besserer Qualität anbieten wollen.
108 Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass, wie die Republik Polen im Übrigen hervorhebt, Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 vorsieht, dass die Arzneimittelwerbung einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern muss, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt, und nicht irreführend sein darf. Der Unionsgesetzgeber wollte mit dieser Bestimmung die Verkaufsförderung für Arzneimittel ermöglichen, jedoch nicht zu ihrer übermäßigen Einnahme ermutigen.
109 Drittens ist es, wie die Kommission geltend macht, die sich auf eine Studie aus dem Jahr 2015 stützt, die die Republik Polen in ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme erwähnt hat, in Polen möglich, zumindest bestimmte nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb von Apotheken zu kaufen, insbesondere in Geschäften, Supermärkten, Kiosken oder Tankstellen. Von dieser Möglichkeit wird in einem Umfang Gebrauch gemacht, der zwar im Vergleich zu den Einkäufen in Apotheken geringer, aber dennoch nicht zu vernachlässigen ist. So gab nach dieser Studie ein Drittel der Befragten an, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in einem Supermarkt zu kaufen.
110 Viertens räumt die Republik Polen ein, dass die übermäßige Einnahme von Arzneimitteln in Polen trotz des Verbots nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes weiterhin erheblich ist.
111 Zwar argumentiert die Republik Polen, dass der übermäßige Verbrauch ohne dieses Verbot noch höher gewesen wäre, es aber unmöglich sei, dies nachzuweisen. Sie hat jedoch nicht dargelegt, warum es ihr nicht möglich gewesen sein soll, Daten über die Einnahme von Arzneimitteln zu erheben, bevor diese Bestimmung in Kraft getreten ist, und sie mit den Daten für die Zeit danach zu vergleichen.
112 Daraus folgt, dass die Republik Polen nicht nach Maßgabe der in der in Rn. 100 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen nachgewiesen hat, dass die sich aus dieser Bestimmung ergebenden Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs geeignet sind, die Erreichung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit sicherzustellen, das darin besteht, die übermäßige Einnahme von Arzneimitteln zu bekämpfen.
113 Jedenfalls ist festzustellen, dass dieses Ziel mit Maßnahmen verfolgt werden kann, die weniger einschränkend sind als das Verbot nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes, wie z. B. Maßnahmen zur Regelung des Inhalts der Werbung für bestimmte von Apotheken angebotene Dienstleistungen.
114 Das sich aus dieser Bestimmung ergebende Verbot geht daher über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, das darin besteht, die übermäßige Einnahme von Arzneimitteln zu bekämpfen, erforderlich ist.
2) Zur beruflichen Unabhängigkeit der Apotheker
115 Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten, da sie befugt sind, über das Niveau des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung, das sie gewährleisten möchten, zu entscheiden, Maßnahmen treffen können, mit denen die Gefahr einer Beeinträchtigung der beruflichen Unabhängigkeit der Apotheker beseitigt oder verringert werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Dezember 2010, Kommission/Frankreich, C‑89/09, EU:C:2010:772, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).
116 In Anbetracht der Bedeutung des Vertrauensverhältnisses, das zwischen dem Apotheker und seinem Kunden, der im Prinzip ein Patient ist, herrschen muss, kann der Schutz der Unabhängigkeit des Apothekerberufs somit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses in Bezug auf die öffentliche Gesundheit darstellen (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 68).
117 Die Republik Polen macht geltend, das sich aus Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes ergebende Verbot schütze Apotheker vor dem Druck, den Inhaber von Apotheken oder Apothekenverkaufsstellen unter Umständen ausübten, um den Absatz bestimmter Produkte zu steigern.
118 Allerdings greift dieses Argument zum einen nicht durch bei Apotheken, deren Betreiber und Inhaber Apotheker sind.
119 Zum anderen ist in Bezug auf die übrigen Apotheken nicht ausgeschlossen, dass die Inhaber von Apotheken, die keine Apotheker sind, auf die von ihnen beschäftigten Apotheker Druck ausüben, damit diese im finanziellen Interesse der Apotheke Entscheidungen treffen, die für die Gesundheit der Patienten schädlich sind. Die Kommission macht jedoch zu Recht im Wesentlichen geltend, dass diese Problematik nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage steht, ob für Apotheken geworben werden darf.
120 Das Verbot jeglicher Form der Werbung für Apotheken, Apothekenverkaufsstellen und ihre Tätigkeiten ist nämlich nicht geeignet, die Apotheker vor Druck zu bewahren, den die Inhaber von Apotheken ausüben könnten, um die Art und Weise zu beeinflussen, in der die Apotheker ihre Kunden beraten. Ein solcher Druck könnte unabhängig davon bestehen, ob für diese Apotheken geworben wird oder nicht.
121 Jedenfalls geht das Verbot nach Art. 94a Abs. 1 des geänderten Arzneimittelgesetzes über das hinaus, was zum Schutz der beruflichen Unabhängigkeit der Apotheker erforderlich ist. Eine weniger einschränkende Maßnahme könnte nämlich darin bestehen, diese Werbung unter Bedingungen zuzulassen, die es ermöglichen würden, das Berufsethos der Apotheker zu wahren, indem – gegebenenfalls stark – eingegrenzt würde, welche Formen und Modalitäten diese Werbung annehmen darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2017, Vanderborght, C‑339/15, EU:C:2017:335, Rn. 74 und 75).
122 Insoweit muss zum einen, wie in Rn. 108 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Arzneimittelwerbung einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt, und darf nicht irreführend sein. Zum anderen hat die Republik Polen, soweit sich die Werbung auf Dienstleistungen, insbesondere auf Testungen, bezieht, nicht dargelegt, aus welchen Gründen diese Dienstleistungen die öffentliche Gesundheit gefährden würden.
123 Unter diesen Umständen ist auch der zweiten und der dritten Rüge stattzugeben.
124 Nach alledem ist festzustellen, dass die Republik Polen mit dem Erlass von Art. 94a Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 sowie aus den Art. 49 und 56 AEUV verstoßen hat.
Kosten
125 Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Republik Polen beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) sowie aus den Art. 49 und 56 AEUV verstoßen, dass sie Art. 94a Abs. 1 der Ustawa – Prawo farmaceutyczne (Arzneimittelgesetz) vom 6. September 2001 erlassen hat.
2. Die Republik Polen trägt die Kosten.
Unterschriften