SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MACIEJ SZPUNAR
vom 22. Februar 2024(1 )
Rechtssache C ‑135/23
Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte e. V. (GEMA)
gegen
GL
(Vorabentscheidungsersuchen des Amtsgerichts Potsdam [Deutschland])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 3 Abs. 1 – Recht der öffentlichen Wiedergabe – Begriff ‚Wiedergabehandlung‘ – Bereitstellung von Fernsehgeräten, die mit einer Zimmerantenne zum Empfang von Sendungen ausgestattet sind, in Appartements“
Einleitung
1. Im Urheberrecht der Union nimmt das Recht der öffentlichen Wiedergabe, was die Aufmerksamkeit betrifft, die ihm in der Rechtsprechung des Gerichtshofs gewidmet wird, sicherlich den Ehrenplatz ein. Zu den grundlegendsten mit diesem Rechtsinstitut verbundenen Rechtsfragen gehört die Unterscheidung zwischen einer öffentlichen Wiedergabe, die den ausschließlichen Rechten der Urheberrechtsinhaber unterliegt, und dem – nicht diesen Rechten unterliegenden – bloßen Bereitstellen von Einrichtungen, mit denen eine solche Wiedergabe bewirkt oder ermöglicht werden kann.
2. Die bei dieser Unterscheidung zu berücksichtigenden Kriterien wurden in jüngeren Urteilen des Gerichtshofs herausgearbeitet(2 ). Die vorliegende Rechtssache zeigt jedoch, dass es nach wie vor Grauzonen und Grenzfälle gibt, in denen es nicht leicht ist, mit Sicherheit zu entscheiden, welcher Seite dieser Unterscheidung die in Rede stehende Handlung zuzuordnen ist.
3. Der Gerichtshof ist daher aufgerufen, seine Rechtsprechung in diesem Bereich zu präzisieren, unter Wahrung sowohl der Kohärenz seiner Rechtsprechung als auch eines angemessenen Gleichgewichts zwischen den verschiedenen zu berücksichtigenden Interessen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
4. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(3 ) bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.“
Deutsches Recht
5. Das Recht der öffentlichen Wiedergabe ist im deutschen Recht in § 15 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Urheberrechtsgesetz – vom 9. September 1965(4 ) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: UrhG) verankert, der u. a. Folgendes vorsieht:
„…
(2) Der Urheber hat ferner das ausschließliche Recht, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben (Recht der öffentlichen Wiedergabe). Das Recht der öffentlichen Wiedergabe umfasst insbesondere
1. das Vortrags‑, Aufführungs- und Vorführungsrecht (§ 19),
2. das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a),
3. das Senderecht (§ 20),
4. das Recht der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger (§ 21),
5. das Recht der Wiedergabe von Funksendungen und von öffentlicher Zugänglichmachung (§ 22).
(3) Die Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.“
6. Nach dem Urteil Königshof des Bundesgerichtshofs (Deutschland) sind diese Bestimmungen dahin auszulegen, dass es keine öffentliche Wiedergabe darstellt, wenn der Betreiber eines Hotels die Hotelzimmer mit Fernsehgeräten ausstattet, die mit Zimmerantennen versehen sind(5 ). Als der Bundesgerichtshof sich für diese Lösung entschied, hielt er es nicht für erforderlich, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 2001/29 zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, Verfahren und Vorlagefrage
7. Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte e. V. (im Folgenden: GEMA), eine Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte im Musikbereich, erhob beim Amtsgericht Potsdam (Deutschland) gegen GL, den Betreiber eines Appartementhauses, eine urheberrechtliche Schadensersatzklage mit der Begründung, dass GL in diesen Appartements unter Verstoß gegen § 15 UrhG Fernsehgeräte mit Zimmerantennen, die den Empfang von Sendungen ermöglichten, bereitstelle.
8. Da das vorlegende Gericht Zweifel hat, ob ein solches Bereitstellen ohne „zentralen Empfang“ eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellt, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Stellt es eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2001/29 dar, wenn der Betreiber eines Appartementhauses in dem Appartementhaus Fernseher zur Verfügung stellt, die ohne einen zentralen Empfang für eine Weiterleitung der Signale Sendungen jeweils über eine Zimmerantenne empfangen?
9. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist am 7. März 2023 beim Gerichtshof eingegangen. Die GEMA, die französische und die österreichische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Der Gerichtshof hat beschlossen, ohne mündliche Verhandlung über die Rechtssache zu entscheiden.
Würdigung
10. Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Bereitstellung von Fernsehgeräten, die mit Zimmerantennen zum Empfang von Fernsehsendungen ausgestattet sind, in Appartements durch den Betreiber eines Mietappartementhauses unter das in dieser Bestimmung verankerte ausschließliche Recht der Urheber fällt, die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten.
11. Aus der umfangreichen Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Recht der öffentlichen Wiedergabe ergeben sich wichtige Anhaltspunkte für die Beantwortung dieser Frage. Daher halte ich eine kurze Übersicht über diese Rechtsprechung für geboten.
Einschlägige Rechtsprechung des Gericht s hofs
12. Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Gegenstände aus zwei Tatbestandsmerkmalen, nämlich der Wiedergabehandlung und der Öffentlichkeit, an die sich die Wiedergabe richtet(6 ).
13. Die Wiedergabehandlung kann in der Regel zwei Formen haben. Die erste besteht darin, dass das geschützte Werk oder das dieses Werk tragende Signal auf eigene Initiative des Urhebers der Wiedergabe an die Öffentlichkeit übertragen wird. Nur der Empfang dieser Übertragung unterliegt gegebenenfalls der Entscheidung von Mitgliedern der Öffentlichkeit. Dies gilt insbesondere für sogenannte „lineare“ Mediendienste wie das Fernsehen. Die zweite Form der Wiedergabe beschränkt sich auf eine öffentliche Zugänglichmachung des Werks, wobei die Mitglieder der Öffentlichkeit frei entscheiden, wann die Übertragung stattfinden soll. Dies gilt insbesondere für Wiedergabehandlungen, die über das Internet vorgenommen werden.
14. Es besteht ein wichtiger Unterschied zwischen Wiedergabehandlungen und dem bloßen Bereitstellen von Einrichtungen, die es ermöglichen, eine Wiedergabe zu bewirken oder zu empfangen. Nach dem 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 ist ihr Art. 3 nämlich dahin auszulegen, dass eine solche Bereitstellung selbst keine Wiedergabe darstellt(7 ). Dieser Erwägungsgrund spiegelt die gemeinsame Erklärung zu Art. 8 des Urheberrechtsvertrags der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) wider, der am 20. Dezember 1996 in Genf angenommen und mit dem Beschluss 2000/278/EG(8 ) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde. Er wird auch durch den 23. Erwägungsgrund der Richtlinie bestätigt, wonach das Recht der öffentlichen Wiedergabe „im weiten Sinne verstanden werden [sollte], nämlich dahin gehend, dass es jegliche Wiedergabe an die Öffentlichkeit umfasst, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist“, aber „für keine weiteren Handlungen gelten [sollte]“.
15. So hat der Gerichtshof u. a. entschieden, dass die Vermietung von Fahrzeugen, die mit einem Radioempfangsgerät ausgestattet sind, keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellt(9 ).
16. Überdies besteht bei Zweifeln hinsichtlich der Person, von der eine Wiedergabe ausgeht, das wesentliche Kriterium in der zentralen Rolle dieser Person und der Vorsätzlichkeit ihres Handelns. Sie nimmt nämlich eine Wiedergabehandlung vor, wenn sie in voller Kenntnis der Folgen ihres Verhaltens tätig wird, um ihren Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen, und zwar insbesondere dann, wenn ohne dieses Tätigwerden die Kunden nicht oder nur schwer in den Genuss des ausgestrahlten Werks kommen könnten(10 ).
17. Die Öffentlichkeit, an die sich die Wiedergabe richtet, muss eine unbestimmte, aber recht große Zahl möglicher Adressaten umfassen. Bei der Ermittlung dieser Zahl ist insbesondere zu berücksichtigen, wie viele Personen gleichzeitig Zugang zu demselben Werk haben können, aber auch, wie viele von ihnen nacheinander diesen Zugang haben können(11 ).
18. Bei einer sekundären öffentlichen Wiedergabe muss es sich um ein „neues“ Publikum handeln, d. h. um ein Publikum, an das der Rechtsinhaber nicht bereits gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe erlaubte(12 ).
19. Schließlich hat der Gerichtshof in einer mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Situation, und zwar dem Aufstellen an eine zentrale Antenne angeschlossener Fernsehgeräte in Hotelzimmern, entschieden, dass „die Verbreitung eines Signals mittels in den Hotelzimmern aufgestellter Fernsehapparate, die ein Hotel für seine Gäste vornimmt, … eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 [der Richtlinie 2001/29] dar[stellt]; dies gilt unabhängig davon, mit welcher Technik das Signal übertragen wird“(13 ).
S ch licht e Anwendung auf die vorliegende Rechtssache?
20. Auf den ersten Blick könnte sich die Antwort auf die Vorlagefrage in der vorliegenden Rechtssache aus einer schlichten Anwendung der in den vorstehenden Randnummern angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben.
21. Die Rechtsfrage, die sich im vorliegenden Fall stellt, besteht nämlich in erster Linie darin, ob das Aufstellen von Fernsehgeräten mit Zimmerantennen in Mietappartements eine Handlung der sekundären öffentlichen Wiedergabe von Fernsehsendungen oder ein bloßes Bereitstellen von Einrichtungen darstellt, die den Empfang der ursprünglichen Wiedergabe dieser Sendungen durch die Fernsehveranstalter ermöglichen.
22. Bei der Unterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien von Handlungen betrachtet der Gerichtshof das Vorliegen eines bewussten Tätigwerdens der betreffenden Person in Bezug auf den eigentlichen Inhalt der Wiedergabe als entscheidenden Gesichtspunkt, wobei dieses Tätigwerden verschiedene Formen annehmen kann(14 ). Ferner hat er ausgeführt, wenn der bloße Umstand, dass die Nutzung eines Geräts erforderlich ist, damit die Öffentlichkeit in den Genuss des Werks kommen kann, automatisch dazu führen würde, dass die Bereitstellung solcher Geräte als Wiedergabehandlung einzustufen wäre, würde jede Bereitstellung von Einrichtungen, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken sollen, entgegen dem klaren Wortlaut des 27. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/29 eine öffentliche Wiedergabe darstellen(15 ).
23. So hat der Gerichtshof weder die Vermietung mit Radioempfangsgeräten ausgestatteter Fahrzeuge(16 ) noch den Betrieb einer Sharehosting-Plattform als solchen(17 ) oder schließlich den Umstand, dass ein öffentliches Beförderungsmittel über eine Lautsprecheranlage und eine Software verfügt, die die Ausstrahlung von Hintergrundmusik ermöglichen(18 ), als Wiedergabehandlung eingestuft. Diese Handlungen wurden der bloßen Bereitstellung von Einrichtungen gleichgestellt, die es ermöglichen, eine Wiedergabe zu bewirken. Überdies hat der Gerichtshof im Urteil SGAE, in dem es um Fernsehgeräte in Hotelzimmern ging, bereits deutlich zwischen der Aufstellung der Geräte als solcher und der Verbreitung des Signals mittels dieser Geräte unterschieden(19 ).
24. Die Feststellung des Fehlens einer Wiedergabehandlung macht zudem nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Prüfung der Frage überflüssig, ob ein neues Publikum existiert(20 ).
25. Im Einklang mit der soeben angeführten Rechtsprechung könnte man somit davon ausgehen, dass es einer bloßen Bereitstellung von Einrichtungen gleichkommt und daher keine Wiedergabehandlung und infolgedessen auch keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellt, wenn der Betreiber eines Mietappartementhauses in den Appartements Fernsehgeräte mit Zimmerantennen aufstellt, mit denen ohne jedes zusätzliche Tätigwerden dieses Betreibers Fernsehsendungen empfangen werden können.
26. Ich möchte betonen, dass eine solche Lösung meines Erachtens absolut vertretbar wäre. Erstens stünde sie im Einklang mit der formalen Logik der einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs. Die Situation im vorliegenden Fall weist u. a. zahlreiche Analogien zur Situation der mit Radioempfangsgeräten ausgestatteten Mietfahrzeuge auf, um die es in der Rechtssache ging, in der das Urteil Stim und SAMI ergangen ist. In beiden Fällen wird dem Nutzer Raum vermietet, der im einen Fall zum Aufenthalt und im anderen zur Ortsveränderung bestimmt und mit Einrichtungen ausgestattet ist, die ohne jedes zusätzliche Tätigwerden den Empfang der terrestrischen Ausstrahlung des Fernsehens bzw. des Rundfunks ermöglichen. Es erscheint daher naheliegend, diese beiden Situationen unter dem Aspekt des in Art. 3 der Richtlinie 2001/29 geregelten Rechts der öffentlichen Wiedergabe ähnlich einzustufen.
27. Zweitens ist zu beachten, dass das Recht der öffentlichen Wiedergabe stark von der Technologie abhängt, die zur Vornahme der darunter fallenden Handlungen in Form der Wiedergabe von Schutzgegenständen an Personen genutzt wird, die sich nicht an dem Ort befinden, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung hat(21 ). Es ist daher nicht verwunderlich, dass die rechtlichen Qualifikationen in diesem Bereich auf dem Kriterium der genutzten Technologie basieren und andere Erwägungen wie die Perspektive des Endnutzers des Werks zweitrangig sind(22 ). Dies wäre in der vorliegenden Rechtssache bei einer Lösung der Fall, die auf das Fehlen eines zusätzlichen Tätigwerdens in Form der Weiterleitung des Fernsehsignals zu den Mietappartements abstellt.
28. Dabei scheint es sich im Übrigen um die Lösung zu handeln, die der Bundesgerichtshof in seinem oben in Nr. 6 angeführten Urteil Königshof gewählt hat. Auch die österreichische Regierung und die Kommission haben sich in ihren Erklärungen für diese Lösung ausgesprochen.
29. Ich muss jedoch gestehen, dass mir das mit dieser Lösung erzielte Ergebnis wenig überzeugend erscheint. In Fällen, in denen das Vorliegen eines Publikums in Betracht kommt, insbesondere im Fall der kurzfristigen Vermietung von Appartements(23 ), bestünde nämlich eine offensichtliche Ungleichbehandlung zwischen Mietappartements, die über Fernsehgeräte mit Zimmerantennen verfügen, und Hotelzimmern mit Fernsehgeräten, die an eine zentrale Antenne angeschlossen sind (wie in der vom Gerichtshof im Urteil SGAE geprüften Fallgestaltung). Im Übrigen kann die in der vorliegenden Rechtssache gewählte Lösung gegebenenfalls ohne Weiteres auf die Situation von Hotelzimmern übertragen werden, in denen sich Fernsehgeräte mit Zimmerantennen befinden. Die Grundlage für diese unterschiedliche Behandlung, nämlich das Fehlen einer Wiedergabehandlung des betreffenden Nutzers in Form einer Übertragung oder Weiterverbreitung – im engeren Sinne – geschützter Inhalte in einem der beiden Fälle, lässt sich meines Erachtens schwer mit der materiellen Logik vereinbaren, die der vom Gerichtshof im Urteil SGAE entwickelten Auslegung zugrunde liegt. Auch der technologische Unterschied zwischen einer zentralen Antenne und Zimmerantennen scheint mir nicht hinreichend wesentlich zu sein, um eine urheberrechtlich unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen.
30. Ich schlage daher vor, die vorliegende Rechtssache im Licht dieses Urteils zu analysieren, um eine Lösung zu finden, die es gestatten würde, die Kohärenz mit ihm zu gewährleisten, ohne die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Unterscheidung zwischen der öffentlichen Wiedergabe und der Bereitstellung von Einrichtungen, die eine solche Wiedergabe ermöglichen, in Frage zu stellen.
Analyse im Licht des Urteils SGAE
31. Wie bereits ausgeführt, hat der Gerichtshof im Urteil SGAE entschieden, dass „die Verbreitung eines Signals mittels in den Hotelzimmern aufgestellter Fernsehapparate, die ein Hotel für seine Gäste vornimmt, … eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 [der Richtlinie 2001/29] dar[stellt]; dies gilt unabhängig davon, mit welcher Technik das Signal übertragen wird“(24 ).
32. Es trifft zu, dass der Gerichtshof in diesem Urteil ausdrücklich klargestellt hat, dass das bloße Aufstellen von Fernsehgeräten in Hotelzimmern als solches keine öffentliche Wiedergabe darstellt(25 ). Er hat jedoch hinzugefügt, dass es sich um eine öffentliche Wiedergabe handelt, wenn dies den Zugang der Öffentlichkeit zu den ausgestrahlten Werken ermöglichen kann, da das Hotel durch die in den Zimmern aufgestellten Geräte das Fernsehsignal an seine Gäste verbreitet(26 ).
33. Es trifft auch zu, dass es in der Rechtssache, in der das Urteil SGAE ergangen ist, um ein ursprünglich vom Hotel empfangenes und anschließend per Kabel in die Hotelzimmer weitergeleitetes Fernsehsignal ging(27 ) und somit um eine Weiterverbreitung im engeren Sinne. Diese Weiterverbreitung scheint jedoch für den Gerichtshof nicht der entscheidende Gesichtspunkt für die Feststellung des Vorliegens einer öffentlichen Wiedergabe gewesen zu sein.
34. Um zu der im Urteil SGAE entwickelten Lösung zu gelangen, hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Gäste eines Hotels ein neues Publikum darstellen, das sich von dem Publikum unterscheidet, an das die Rechtsinhaber gedacht hatten, als sie die ursprüngliche Wiedergabe der Werke, im vorliegenden Fall der Fernsehsendung, erlaubten. Letzteres besteht nämlich nur aus den Besitzern von Fernsehgeräten, die diese Sendungen im privaten oder familiären Kreis empfangen. Personen, die eine Sendung, obwohl sie sich im Sendegebiet aufhalten, nicht ohne Tätigwerden einer Dritteinrichtung anschauen könnten, gehören hingegen nicht zum ursprünglichen Publikum. Somit sind diese Personen, sobald ihnen Zugang zu der in Rede stehenden Sendung verschafft wird, als neues Publikum anzusehen, so dass die Handlung, durch die sie den Zugang erhalten, eine öffentliche Wiedergabe darstellt, die sich von der ursprünglichen Wiedergabe unterscheidet. In dieser Rechtssache wurde das Hotel dadurch, dass es in den Hotelzimmern Fernsehgeräte aufstellte, mit denen die Sendungen angeschaut werden konnten, in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig, um seinen Gästen Zugang zu den geschützten Werken zu verschaffen(28 ).
35. Mit anderen Worten könnten die Gäste eines Hotels, die sich definitionsgemäß auf Reisen außerhalb ihres Wohnsitzes befinden, normalerweise an dem Ort, an dem sich das Hotel befindet, die Fernsehsendung nicht anschauen, es sei denn, sie brächten ihre eigenen mit einer Antenne ausgestatteten Fernsehgeräte mit, was sehr problematisch wäre. Somit nimmt das in Rede stehende Hotel dadurch, dass es in den Zimmern an eine Antenne angeschlossene Fernsehgeräte aufstellt, die für den Zugang zu dieser Sendung unerlässliche Handlung vor. Das in den Gästen eines Hotels bestehende Publikum(29 ) ist als neues Publikum und die fragliche Handlung insgesamt ist als öffentliche Wiedergabe einzustufen. Dies ist der Kern des Gedankengangs des Gerichtshofs im Urteil SGAE.
36. Überträgt man diesen Gedankengang auf die Situation, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, kann man ohne Weiteres zum selben Ergebnis gelangen. Erstens stellen nämlich die Bewohner kurzzeitig vermieteter Appartements ebenso ein Publikum dar wie die Gäste eines Hotels. Zweitens befinden sie sich ebenfalls nicht an ihrem Wohnort, so dass sie ohne Tätigwerden eines Dritten nicht in den Genuss von Fernsehsendungen kommen könnten. Ein solches Tätigwerden in Form des Aufstellens von Fernsehgeräten, mit denen diese Sendungen empfangen werden können, in Appartements ist daher drittens als Verschaffung des Zugangs zu geschützten Werken für ein neues Publikum anzusehen und als öffentliche Wiedergabe einzustufen.
37. In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden wird der Betreiber eines Appartementhauses zwar nicht in Form einer Übertragung oder Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne tätig. Man könnte daher, wie ich oben(30 ) ausgeführt habe, zu dem Ergebnis kommen, dass keine Wiedergabehandlung vorliege. Gleichwohl wird der betreffende Nutzer aber bewusst tätig, um einem neuen Publikum Zugang zu geschützten Werken zu verschaffen(31 ).
38. Wir sind also gewissermaßen mit einem Dilemma zwischen der Kohärenz des Gedankengangs, wonach ohne die Übertragung geschützter Werke keine Wiedergabehandlung vorliegt, und der Kohärenz des Ergebnisses konfrontiert, wonach jedes Tätigwerden eines Nutzers, der in voller Kenntnis der Sachlage einem neuen Publikum, das ohne sein Tätigwerden nicht in den Genuss dieser Werke kommen könnte, Zugang zu ihnen verschafft, als öffentliche Wiedergabe anzusehen ist.
39. Selbstverständlich ist der Gedankengang bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes von großer Bedeutung. Ein kohärenter und überzeugender Gedankengang rechtfertigt die herangezogene Auslegung der Bestimmungen und die angewandte Lösung des Rechtsstreits sowohl in den Augen der betroffenen Parteien als auch des breiten Publikums(32 ). Mit einem allzu formalistischen Gedankengang ist dagegen die Gefahr verbunden, dass er zu einer Lösung führt, die zwar nach der angewandten Logik kohärent, aber ungerecht oder schlicht inhaltlich falsch sein könnte. In einer solchen Situation ist es daher meines Erachtens vorzugswürdig, nicht das Ergebnis zu bevorzugen, das sich aus der formalistischen Anwendung eines bestimmten Gedankengangs ergäbe – selbst wenn ihm zuvor bereits gefolgt worden sein mag –, sondern dasjenige, das die wahren Grundlagen und Ziele der ausgelegten Norm am besten widerspiegelt, unabhängig davon, ob diese auf Rechtsvorschriften oder auf der Rechtsprechung beruht.
40. Es trifft zu, dass in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation der Betreiber eines Appartementhauses keine Übertragung des Fernsehsignals zu den Appartements vornimmt, da jedes Appartement mit einer „autonomen“ Einrichtung zum Empfang dieses Signals ausgestattet ist. Die Handlung des Betreibers beschränkt sich jedoch nicht darauf, den Mietern lediglich ein Fernsehgerät und eine Zimmerantenne zur Verfügung zu stellen, die sie in beliebiger Weise nutzen könnten. Indem der Betreiber in den Appartements Fernsehapparate mit Zimmerantennen aufstellt, die so eingestellt sind, dass das Signal der terrestrischen Fernsehsendung, die in dem Sendegebiet, in dem sich sein Gebäude befindet, verfügbar ist, empfangen werden kann, ermöglicht er den Mietern, sich in den gemieteten Wohnungen während des Mietzeitraums genau definierte Fernsehsendungen anzuschauen.
41. Unter diesem Blickwinkel ähnelt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation stark der, um die es in der Rechtssache ging, in der das Urteil SGAE ergangen ist. Im Licht der Begründung, die der vom Gerichtshof in diesem Urteil gewählten Lösung zugrunde liegt, können meines Erachtens im vorliegenden Fall technische Unterschiede wie die Zahl der verwendeten Antennen (eine Zentralantenne oder mehrere Zimmerantennen) oder die Länge des Kabels zwischen Antenne und Fernsehgerät(33 ) keine radikal andere Lösung rechtfertigen.
42. Daher kann davon ausgegangen werden, dass der Betreiber eines Appartementhauses, indem er in den Mietappartements in voller Kenntnis der mit seinem Verhalten verbundenen Folgen Fernsehgeräte mit Zimmerantennen aufstellt, eine „Wiedergabehandlung“ vornimmt, die darin besteht, den Mietern Zugang zu den in den Fernsehsendungen enthaltenen geschützten Werken zu verschaffen, die in den Appartements mit diesen Geräten empfangen werden können, und zwar im Wesentlichen in gleicher Weise wie bei Hotelzimmern mit Fernsehgeräten, die an eine zentrale Antenne angeschlossen sind.
Zum Verhältnis zur bestehenden Rechtsprechung
43. Diese Lösung steht voll und ganz im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Recht der öffentlichen Wiedergabe. Erstens hat der Gerichtshof nämlich den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ weit ausgelegt und darunter bisweilen Handlungen subsumiert, die genau genommen nicht in einer Übertragung geschützter Werke bestehen.
44. So hat der Gerichtshof, wie die GEMA zutreffend darlegt, es im Urteil Phonographic Performance (Ireland)(34 ) als öffentliche Wiedergabe eingestuft, wenn ein Hotel Tonaufnahmen, auch in physischer Form, und Abspielgeräte für Gäste bereitstellt, obwohl diese Handlung keine Übertragung umfasste und eher einer Vermietung von Tonträgern und geeigneten technischen Geräten gleichkam. Dabei stützte sich der Gerichtshof darauf, dass der fragliche Nutzer seinen Gästen die beiden Elemente zur Verfügung stellte, die sie benötigten, um in den Genuss der geschützten Werke kommen zu können(35 ), was dem Aufstellen eines Fernsehgeräts mit Zimmerantenne, um Fernsehsendungen empfangen und anschauen zu können, nicht unähnlich ist.
45. Zudem hat der Gerichtshof im Urteil Airfield und Canal Digitaal(36 ) festgestellt, dass ein Anbieter von Satelliten-Bouquets, auch wenn die Übertragung von Fernsehprogrammen über Satellit als eine einzige und unteilbare öffentliche Wiedergabe anzusehen ist, die dem Sendeunternehmen zuzurechnen ist, unter dessen Kontrolle und Verantwortung die programmtragenden Signale in die zum Satelliten führende Kommunikationskette eingegeben werden(37 ), diese Programme einem neuen Publikum zugänglich machen kann und damit eine gesonderte Handlung vornimmt, die unter das Recht der öffentlichen Wiedergabe fällt(38 ). Mithin kann eine öffentliche Wiedergabe vorliegen, ohne dass eine von der ursprünglichen Übertragung gesonderte Weiterverbreitung geschützter Werke stattfindet. Dies wurde unlängst im Urteil AKM (Bereitstellung von Satelliten-Bouquets in Österreich) bestätigt(39 ).
46. Schließlich hat der Gerichtshof in einer Reihe von Fällen das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe in Situationen bejaht, in denen der betreffende Nutzer die vor Ort befindliche Öffentlichkeit unmittelbar in den Genuss der geschützten Werke kommen ließ(40 ). Um den Inhabern der Urheberrechte im Einklang mit dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten, legt der Gerichtshof den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ daher in einer über den engen Rahmen „jegliche[r] Wiedergabe an die Öffentlichkeit …, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist“, hinausgehenden Weise aus, indem er in diesen Begriff jede Handlung einbezieht, mit der ein Nutzer bewusst tätig wird, um einem neuen Publikum Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen(41 ).
47. Zweitens stellt die von mir vorgeschlagene Lösung die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Unterscheidung zwischen öffentlicher Wiedergabe und der bloßen Bereitstellung von Einrichtungen, die eine solche Wiedergabe ermöglichen, nicht in Frage und steht auch nicht im Widerspruch zu ihr.
48. Insbesondere steht diese Lösung nicht im Widerspruch zu der des Gerichtshofs im Urteil Stim und SAMI. Dort hat der Gerichtshof entschieden, dass die Vermietung von Fahrzeugen mit einem Radioempfangsgerät keine öffentliche Wiedergabe darstellt. Der Gerichtshof hat dies damit begründet, dass die Autovermietungsgesellschaften keine Wiedergabehandlung vornahmen, sondern lediglich Einrichtungen bereitstellten, die eine Wiedergabe ermöglichten(42 ).
49. Wie ich bereits ausgeführt habe(43 ), mögen die Situation in der Rechtssache, in der das Urteil Stim und SAMI ergangen ist, und die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation auf den ersten Blick ähnlich erscheinen, so dass es gerechtfertigt wäre, sie rechtlich gleich einzustufen. Meines Erachtens unterscheiden sie sich jedoch in einem für die Einstufung einer Handlung als öffentliche Wiedergabe wesentlichen Gesichtspunkt, und zwar in dem bewussten Tätigwerden und der zentralen Rolle des betreffenden Nutzers; dies liegt hier vor und fehlt in der Rechtssache, in der das Urteil Stim und SAMI ergangen ist.
50. Wie ich nämlich festgestellt habe(44 ), wird der Vermieter eines Gebäudes, wenn er in den Appartements von sich aus und völlig unabhängig von der Errichtung der Appartements Fernsehgeräte mit Zimmerantennen aufstellt, bewusst tätig, um seinen Kunden Zugang zu Fernsehsendungen zu verschaffen, was als Wiedergabehandlung im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Recht der öffentlichen Wiedergabe angesehen werden kann.
51. Ein Autovermietungsunternehmen wird hingegen nicht in dieser Weise tätig. Seit vielen Jahren(45 ) werden nämlich Radioempfangsgeräte in der Regel serienmäßig in Kraftfahrzeuge eingebaut und in ihre Steuerungssysteme integriert, so dass Unternehmen, die diese Fahrzeuge vermieten, keinen Einfluss darauf haben, dass sich die Geräte im Fahrzeug befinden. Die Unternehmen nehmen also keine zusätzliche Handlung vor, um ihren Kunden Zugang zu Rundfunksendungen zu verschaffen, und spielen bei diesem Zugang keine zentrale Rolle. Ihre Handlung stellt sich somit als bloße Bereitstellung von Einrichtungen dar, die sich in den Kraftfahrzeugen bereits seit ihrem Bau befanden. Daher ist davon auszugehen, dass die Inhaber der Urheberrechte, als sie ihre Erlaubnis für die Rundfunkübertragung ihrer Werke erteilten, auch das Publikum berücksichtigten, das mittels Radioempfangsgeräten in Kraftfahrzeugen – einschließlich Mietwagen – in den Genuss dieser Werke kommt(46 ).
52. Es trifft zu, dass ich diesen Gesichtspunkt in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Stim und SAMI(47 ) nicht als entscheidend angesehen hatte, da sich angesichts der Tatsache, dass die Autovermietungsunternehmen in keiner Weise bei der Wiedergabe von Werken über das Radio tätig wurden, nur die – für das Urheberrecht bedeutungslose – Frage stellte, wer die Empfangsgeräte bereitgestellt hatte. Dagegen ist dieser Gesichtspunkt in der vorliegenden Rechtssache von Bedeutung, da er den Nachweis ermöglicht, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden in Rede stehenden Situationen besteht. Im Übrigen ist der Gerichtshof im Urteil Stim und SAMI nicht speziell auf diese Frage eingegangen, sondern hat allgemein entschieden, dass der Rundfunkempfang über die in den Kraftfahrzeugen eingebauten Radiogeräte „ohne weiteres Tätigwerden seitens der Autovermietung“ (48 ) erfolgte.
53. Da die Autovermietungsgesellschaften keinen Einfluss auf den Einbau von Radioempfangsgeräten in Kraftfahrzeugen haben, handeln sie – anders als der Betreiber eines Mietappartementhauses, der Fernsehgeräte in den Appartements aufstellt – auch nicht mit Gewinnerzielungsabsicht(49 ). Zwar ist die Frage, ob das Tätigwerden des betreffenden Nutzers Erwerbszwecken dient, für sich genommen nicht entscheidend für das Vorliegen einer Wiedergabehandlung, doch kann dies ein Hinweis darauf sein, dass er bewusst tätig geworden ist.
54. Darüber hinaus steht die Lösung, die ich in der vorliegenden Rechtssache vorschlage, nicht im Widerspruch zu den Feststellungen des Gerichtshofs, wonach der Einbau von Lautsprecheranlagen in öffentliche Verkehrsmittel keine Wiedergabehandlung im Sinne des Urheberrechts darstellt(50 ). Denn in einer Situation wie in den Rechtssachen, in denen das Urteil Blue Air Aviation ergangen ist, stellt der Beförderer die Lautsprecheranlage den Fahrgästen nicht zur Verfügung, sondern behält selbst die Kontrolle über ihre Nutzung und die etwaige Übertragung geschützter Werke mittels dieser Anlage, die dann gegebenenfalls als öffentliche Wiedergabe einzustufen ist(51 ). Im Ausgangsverfahren wird das Gerät, das den Empfang einer Übertragung geschützter Werke ermöglicht (das Fernsehgerät mit Antenne), hingegen Mitgliedern der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, die dann frei über deren Empfang entscheiden. Die Bereitstellung stellt daher als solche die Wiedergabehandlung dar.
55. Drittens schließlich steht die von mir vorgeschlagene Lösung im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, da sie die bei der Auslegung der Bestimmungen des Urheberrechts der Union zu beachtende Technologieneutralität hervorhebt. Diese Neutralität hat der Gerichtshof bereits im Urteil SGAE angesprochen, als er entschieden hat, dass die Verbreitung eines Fernsehsignals mittels in Hotelzimmern aufgestellter Fernsehapparate eine öffentliche Wiedergabe darstellt, „unabhängig davon, mit welcher Technik das Signal übertragen wird“(52 ). Der Grundsatz der Technologieneutralität wurde in der Folge mehrfach vom Gerichtshof erwähnt(53 ).
56. Besteht im Ausgangsverfahren der entscheidende Gesichtspunkt darin, dass der Nutzer bewusst tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu Fernsehsendungen zu verschaffen, sollte es aber nach dem Grundsatz der Technologieneutralität unerheblich sein, ob ihnen dieser Zugang über eine zentrale Antenne oder über mehrere Zimmerantennen verschafft wird(54 ).
57. Somit ist der Umstand, dass der Betreiber eines Appartementhauses den Mietern mittels Fernsehgeräten mit Zimmerantennen, die in den Appartements aufgestellt sind, Zugang zu Fernsehsendungen verschafft, als eine Wiedergabehandlung der in diesen Sendungen enthaltenen geschützten Werke anzusehen. Zu prüfen bleibt noch, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen sich diese Wiedergabe an ein neues Publikum richtet, wie es die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt.
Zum Vorliegen eines neuen Publikums
58. Im Urteil SGAE kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass sich die Öffentlichkeit aus den aufeinanderfolgenden Gästen eines Hotels insgesamt zusammensetzte(55 ). Bei diesen Gästen wird im Übrigen davon ausgegangen, dass sie ohne Tätigwerden des Hotels, durch das ihnen Zugang zu den im Fernsehen ausgestrahlten Werken verschafft wird, nicht in den Genuss dieser Werke kommen können. Sie bilden daher ein neues Publikum(56 ), was es rechtfertigt, für eine solche öffentliche Wiedergabe eine zusätzliche Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber zu verlangen(57 ).
59. Demselben Gedankengang kann in Bezug auf den Betreiber eines Appartementhauses, der den Mietern der Appartements Zugang zu Fernsehsendungen verschafft, gefolgt werden, sofern diese Mieter die Appartements – ähnlich wie Hotelgäste – während relativ kurzer Zeiträume bewohnen und rasch aufeinanderfolgen. Solche Mieter können dann als Personen angesehen werden, die die Fernsehsendung, obwohl sie sich im Sendegebiet befinden, ohne Tätigwerden des Betreibers des Appartementhauses, der ihnen Zugang dazu verschafft, indem er in den Appartements Fernsehgeräte mit Zimmerantennen aufstellt, nicht anschauen könnten. In der Praxis dürfte es sich dabei insbesondere um Appartementhotels oder um Vermietungen zu touristischen Zwecken handeln.
60. Dagegen sind Mieter mit Haupt- oder Zweitwohnsitz in den Mietappartements(58 ) als „Besitzer von Empfangsgeräten“ im Sinne von Rn. 41 des Urteils SGAE und somit als Mitglieder der Öffentlichkeit anzusehen, die von den Inhabern der Urheberrechte berücksichtigt wurden, als sie ihre Erlaubnis für die ursprüngliche Wiedergabe (hier die terrestrische Fernsehübertragung) erteilten. Diese Personen genießen die geschützten Werke dann im privaten oder familiären Kreis, und es ist unerheblich, dass ihnen das Empfangsgerät vom Eigentümer oder Betreiber des Appartements im Rahmen von dessen Vermietung zur Verfügung gestellt wurde. Eine solche Zurverfügungstellung ist als bloße Bereitstellung von Einrichtungen einzustufen und bedarf keiner zusätzlichen Erlaubnis.
61. Um zu klären, ob ein neues Publikum vorliegt, wird das angerufene Gericht somit Tatsachenfeststellungen zur Art der in Rede stehenden Vermietung treffen müssen. In der vorliegenden Rechtssache enthält das Vorabentscheidungsersuchen hierzu keine näheren Angaben.
Antwort auf die Vorlagefrage
62. Zusammenfassend räume ich zwar ein, dass sich im Ausgangsverfahren eine Lösung, die zu dem Ergebnis kommt, dass mangels einer Übertragung geschützter Werke im engeren Sinne keine öffentliche Wiedergabe vorliegt, auf der Grundlage eines rein technischen Ansatzes rechtfertigen ließe; mir erscheint eine solche Lösung jedoch im Hinblick auf die inhaltlichen Erwägungen, die der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zugrunde liegen, nicht zufriedenstellend. Die Logik dieser Rechtsprechung verlangt nämlich meines Erachtens, dass die in Rede stehende Handlung als bewusstes Tätigwerden des betreffenden Nutzers mit dem Ziel, Personen Zugang zu geschützten Werken zu verschaffen, die andernfalls nicht in den Genuss der Werke kommen könnten, und somit als Wiedergabehandlung anzusehen ist. Sie stellt eine öffentliche Wiedergabe dar, wenn die fraglichen Personen ein neues Publikum bilden.
63. Ich schlage daher vor, zu entscheiden, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Bereitstellung von Fernsehgeräten, die mit Zimmerantennen zum Empfang von Fernsehsendungen ausgestattet sind, in Appartements durch den Betreiber eines Mietappartementhauses unter das in dieser Bestimmung verankerte ausschließliche Recht der Urheber fällt, die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten, es sei denn, dass die Mieter dort ihren Haupt- oder Zweitwohnsitz begründen.
Ergebnis
64. Nach alledem schlage ich vor, auf die Vorlagefrage des Amtsgerichts Potsdam (Deutschland) wie folgt zu antworten:
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
ist dahin auszulegen, dass
die Bereitstellung von Fernsehgeräten, die mit Zimmerantennen zum Empfang von Fernsehsendungen ausgestattet sind, in Appartements durch den Betreiber eines Mietappartementhauses unter das in dieser Bestimmung verankerte ausschließliche Recht der Urheber fällt, die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten, es sei denn, dass die Mieter dort ihren Haupt- oder Zweitwohnsitz begründen.