C-106/22 – Xella Magyarország

C-106/22 – Xella Magyarország

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2023:267

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

TAMARA ĆAPETA

vom 30. März 2023(1)

Rechtssache C106/22

Xella Magyarország Építőanyagipari Kft.

gegen

Innovációs és Technológiai Miniszter,

Beteiligte:

„JANES ÉS TÁRSA“ Szállítmányozó, Kereskedelmi és Vendéglátó Kft.

(Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Törvényszék [Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zuständigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Kapitalverkehr – Verordnung (EU) Nr. 2019/452 – Überprüfung von Investitionen – Bescheid, mit dem der Erwerb einer EU-Gesellschaft durch eine andere EU-Gesellschaft wegen der ausländischen Eigentumsstruktur der zuletzt genannten Gesellschaft und der strategischen Stellung der Zielgesellschaft vorläufig untersagt wird“

I.      Einleitung

1.        Die Geschichte des vorliegenden Falles spielt im Dorf Lázi im Komitat Győr-Moson-Sopron (Ungarn), wo sich ein Steinbruch befindet, in dem Sand, Ton, Kaolin und Kies abgebaut werden. Der ungarische Minister für Innovation und Technologie (im Folgenden: Minister) untersagte vorläufig den beabsichtigten Erwerb einer ungarischen Gesellschaft, in deren Eigentum der in Rede stehende Steinbruch steht, durch die Antragstellerin, eine weitere ungarische Gesellschaft. In dem Bescheid, mit dem dieses Veto begründet wurde, legte der Minister dar, dass es den nationalen Interessen Ungarns entgegenstünde, einer Gesellschaft, die sich in mittelbarer bermudischer Eigentümerschaft befinde, die Übernahme der Kontrolle über eine im Bereich des Abbaus von Bauzuschlagstoffen tätige Gesellschaft zu gestatten.

2.        Dieser Bescheid wurde vor dem Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) angefochten. Dieses Gericht ersucht in seiner Vorlage insbesondere um Hinweise dazu, ob das ungarische Recht, das dem Minister erlaubt, sein Veto gegen das in Rede stehende Rechtsgeschäft einzulegen, mit Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV und der Verordnung (EU) 2019/452(2) (im Folgenden: Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen) vereinbar ist.

3.        Die übergeordnete Frage, die der Gerichtshof daher zu beantworten haben wird, ist die, ob das Vorliegen einer Drittstaatsbeteiligung an einem EU-Unternehmen unter bestimmten Umständen die nationale öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Mitgliedstaaten gefährden kann. Hätte man mir eine solche Frage vor 20 Jahren gestellt, hätte ich kaum Zweifel daran gehabt, dass es sich um eine Form von Protektionismus handelt, die von einer freien und offenen Marktwirtschaft nicht toleriert wird.

4.        Damals waren Begriffe wie „friend-shoring“ (ausschließlicher Handel mit befreundeten Staaten) und „outbound investment screening“ (Überprüfung von Investitionen in Drittstaaten) außerhalb nationaler Sicherheitskreise jedoch kaum bekannt und hätten überzeugte Befürworter der Globalisierung sicherlich mit Abscheu erfüllt(3). Heute hingegen sollen diese Begriffe die neuen handelspolitischen Ziele der Europäischen Union prägen(4).

5.        Die Welt hat sich verändert, wie jeder Unionsbürger gesehen und gespürt hat, sei es in Form leerer Supermarktregale oder höherer Stromrechnungen. Die russische Aggression in der Ukraine hat nämlich die Gefahren der Abhängigkeit vom guten Willen der Handelspartner von gestern schmerzlich bloßgelegt(5). Daher sollte man insbesondere dann, wenn man mit Maßnahmen konfrontiert wird, die unzweifelhaft einen Rückschritt hinsichtlich der Offenheit des Binnenmarkts der Union gegenüber dem Handel mit Drittstaaten darstellen, nicht vorschnell urteilen: Die geostrategischen Interessen von morgen können das Bekenntnis von heute zum Freihandel beeinflussen.

6.        Wie sind diese Interessen rechtlich verankert und wie ist die Rechtsetzungsbefugnis zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten aufgeteilt? Der Gerichtshof ist in der vorliegenden Rechtssache aufgerufen, diese verfassungsrechtliche Frage der Unionszuständigkeiten für Direktinvestitionen aus Drittstaaten aufzudröseln. Von besonderem Gewicht wird bei dieser Prüfung die Aufnahme des Begriffs der „ausländischen Direktinvestition“ in den Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik durch den Vertrag von Lissabon sein. Wie verträgt sich das mit dem Begriff der „Direktinvestition“, wie er in den Bestimmungen über den freien Kapitalverkehr verwendet wird? Inwieweit fallen Direktinvestitionen aus dem Ausland in die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Regelung des Handels und inwieweit bleiben sie Teil der geteilten Zuständigkeit des Binnenmarkts? Die Antwort auf diese Fragen sollte wiederum klären, in welchem Umfang den Mitgliedstaaten nach dem heutigen Vertragswerk ein Ermessen dahin eingeräumt wird, den Erwerb von Gesellschaften auf ihrem Staatsgebiet aus Erwägungen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit heraus zu überprüfen und vorläufig zu untersagen.

II.    Rechtlicher und tatsächlicher Hintergrund des vorliegenden Verfahrens und Vorlagefragen

7.        Xella Magyarország Építőanyagipari Kft. (im Folgenden: Antragstellerin) ist eine ungarische Gesellschaft, die Betonbaustoffe herstellt. Sie steht zu 100 % im Eigentum einer deutschen Gesellschaft, der Xella Baustoffe GmbH (im Folgenden: Xella Deutschland). Eigentümerin dieser deutschen Gesellschaft ist eine luxemburgische Gesellschaft, die Xella International SA (im Folgenden: Xella Luxemburg), die wiederum im Eigentum der in Bermuda registrierten LSF10 XL Investments Limited (im Folgenden: Gesellschaft in Bermuda) steht. Dem Ersuchen des vorlegenden Gerichts ist zu entnehmen, dass die Gesellschaft in Bermuda ein Tochterunternehmen von Lone Star Funds X (im Folgenden: Lone Star) ist, einer US-amerikanischen Beteiligungsgesellschaft. Gründer und Eigentümer von Lone Star ist eine natürliche Person irischer Staatsangehörigkeit.

8.        „Janes és Társa“ Szállítmányozó, Kereskedelmi és Vendéglátó Kft. (im Folgenden: Janes) ist eine ungarische Gesellschaft, die Eigentümerin eines in Ungarn belegenen Steinbruchs ist. Sie betreibt den Abbau bestimmter Bauzuschlagstoffe, nämlich Kies, Sand, Ton und Kaolin. Die Gewinnung dieser Zuschlagstoffe durch Janes macht 0,52 % der nationalen Produktion Ungarns aus. Dem vorlegenden Gericht zufolge ist die Antragstellerin die größte Kundin von Janes und kauft etwa 90 % der Gesamtproduktion von Janes. Die restlichen 10 % der durch Janes gewonnenen Baustoffe würden von lokalen Bauunternehmen gekauft.

9.        Am 29. Oktober 2020 schloss die Antragstellerin eine Vereinbarung über die Übernahme von 100 % der Anteile an Janes.

10.      Das in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende ungarische Gesetz(6) (im Folgenden: Gesetz LVIII 2020) sieht u. a. vor, dass Übernahmen „strategische[r] Gesellschaften“ durch „ausländische Investoren“ dem Minister angezeigt werden müssen. Gemäß § 276 Nr. 2 Buchst. a dieses Gesetzes umfasst der Begriff „ausländischer Investor“ nicht nur Staatsangehörige und juristische Personen aus Drittstaaten, sondern auch in Ungarn oder einem anderen Mitgliedstaat eingetragene Gesellschaften, an denen ein Drittstaatsangehöriger oder eine in einem Drittstaat ansässige juristische Person eine „Mehrheitskontrolle“ ausübt(7). Aufgrund ihrer von Anhang I Nr. 22 (Rohstoffe von kritischem Interesse) Unterpunkt 8 (Sonstiger Bergbau) der Regierungsverordnung Nr. 289/2020(8) erfassten Tätigkeiten gilt Janes offenbar als „strategische Gesellschaft“ im Sinne des Gesetzes LVIII 2020(9).

11.      Wegen ihrer indirekten ausländischen Beteiligung und der Bezeichnung von Janes als „strategische Gesellschaft“ teilte die Antragstellerin dem Minister die geplante Übernahme mit.

12.      Mit Bescheid vom 20. Juli 2021 untersagte der Minister vorläufig diese Übernahme (im Folgenden: angefochtener Bescheid). Dieser Bescheid erging auf der Grundlage von § 283 des Gesetzes LVIII 2020, das den Minister ermächtigt, zu prüfen, ob das mitgeteilte Rechtsgeschäft die nationalen Interessen, die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Ordnung Ungarns verletzt oder zu verletzen droht. Wenn der Minister der Auffassung ist, dass dies der Fall ist, muss er das Rechtsgeschäft vorläufig untersagen.

13.      In der Begründung des angefochtenen Bescheides weist der Minister darauf hin, dass die Antragstellerin ein Unternehmen sei, das sich unmittelbar in deutscher Eigentümerschaft, mittelbar aber in luxemburgischer und bermudischer Eigentümerschaft befinde. Nach Ansicht des Ministers ist eines der kennzeichnenden Probleme des ungarischen Bausektors, dass Rohstoffe für die Bauwirtschaft nicht in geeigneter Menge zur Verfügung stünden. Im Bereich der Herstellung von Bauzuschlagstoffen werde der Markt von Gesellschaften in ausländischem Eigentum dominiert. Ferner betont der Minister die strategische Bedeutung einer sicheren und berechenbaren Rohstoffgewinnung und ‑versorgung. Sollte Janes in bermudische Hände fallen, stelle dies langfristig ein Risiko im Hinblick auf die Versorgung der Bauwirtschaft mit Ausgangsstoffen dar.

14.      Die Antragstellerin wendet sich vor dem vorlegenden Gericht gegen den angefochtenen Bescheid. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass dieser zu einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit führe, die nicht nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV gerechtfertigt werden könne.

15.      Vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund hat das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof) entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV – auch unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe 4 und 6 der Verordnung 2019/452 und von Art. 4 Abs. 2 EUV – dahin auszulegen, dass er die Möglichkeit der Regelung gemäß Titel 85 und insbesondere der Regelung gemäß § 276 Nrn. 1 und 2 Buchst. a und § 283 Abs. 1 Buchst. b des Gesetzes LVIII von 2020 umfasst?

2.      Falls die erste Frage bejaht wird: Schließt der bloße Umstand, dass die Europäische Kommission im Hinblick auf die Beteiligungskette des indirekten ausländischen Investors ein Fusionskontrollverfahren durchgeführt, ihre Befugnisse ausgeübt und den Zusammenschluss genehmigt hat, die Ausübung des Ermessens nach Maßgabe des anwendbaren mitgliedstaatlichen Rechts aus?

16.      Die Antragstellerin, die italienische und die ungarische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2022 haben die ungarische Regierung und die Europäische Kommission mündliche Ausführungen gemacht.

III. Würdigung

17.      Die vorliegenden Schlussanträge sind wie folgt aufgebaut: Zunächst werde ich mein Verständnis der Gründe darlegen, weshalb das vorlegende Gericht dem Gerichtshof die erste Frage gestellt hat(10). Dementsprechend werde ich vorschlagen, diese Frage umzuformulieren (A). Sodann werde ich prüfen, inwieweit das Unionsrecht auf die Überprüfungsmechanismen der Mitgliedstaaten für ausländische Direktinvestitionen anwendbar ist (B). Die Antwort auf diese Frage ist sowohl für die Zuständigkeit des Gerichtshofs (C) als auch für die Prüfung der Vereinbarkeit des Gesetzes LVIII 2020 mit dem Unionsrecht relevant, der ich mich im letzten Teil der Schlussanträge zuwenden werde (D).

A.      Umformulierung der ersten Frage des nationalen Gerichts

18.      Das vorlegende Gericht sieht sich mit der Entscheidung über die Frage konfrontiert, ob der angefochtene Bescheid zu bestätigen oder aufzuheben ist. Seine erste Frage ist jedoch nicht so formuliert, dass dem Gerichtshof die Frage nach der Vereinbarkeit dieses Bescheides mit Unionsrecht gestellt wird. Vielmehr fragt es offenbar nur nach einem möglichen Fall, in dem dieser Bescheid als ungültig angesehen würde: Dem Fehlen der Zuständigkeit Ungarns für den Erlass des Gesetzes LVIII 2020. Dürfte Ungarn das Gesetz LVIII 2020 gar nicht erst erlassen, käme der angefochtene Bescheid automatisch mit diesem Gesetz zu Fall.

19.      Das vorlegende Gericht macht in erster Linie Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit zweier Bestimmungen des Gesetzes LVIII 2020 mit den Rechtsvorschriften der Union geltend und wirft in diesem Zusammenhang zwei voneinander getrennte Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts auf. Erstens stellt sich angesichts seines Verweises auf § 276 Nr. 2 Buchst. a dieses Gesetzes insbesondere die Frage, ob nationale Überprüfungsmechanismen für ausländische Direktinvestitionen auch Direktinvestitionen aus Drittstaaten erfassen können, die durch Gesellschaften erfolgen, die ihren Sitz in der Union haben. Zweitens wirft der Verweis auf § 283 Abs. 1 Buchst. b die Frage auf, welche Bedingungen das Unionsrecht für den Erlass individueller Überprüfungsbescheide aufstellt.

20.      Meines Erachtens wird die Antwort, die der Gerichtshof geben wird, dem vorlegenden Gericht nicht unbedingt die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten lassen (d. h. entweder die Gültigkeit dieses Gesetzes im Hinblick auf die Zuständigkeit sowie seine Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall festzustellen oder festzustellen, dass das Gesetz gegen Unionsrecht verstößt und daher nicht anwendbar ist). Vielmehr sollte die Antwort des Gerichtshofs auf die erste Frage dem vorlegenden Gericht auch als Maßstab für die Anforderungen dienen, die das Unionsrecht an das Gesetz LVIII 2020 stellt, damit Bescheide, die auf dieser Grundlage erlassen werden, materiell gültig sind. Selbst wenn die Antwort, die sich aus der vorliegenden Rechtssache ergibt, dem vorlegenden Gericht die Feststellung ermöglichen würde, dass das Gesetz LVIII 2020 bei unionsrechtskonformer Auslegung als Rechtsgrundlage für Überprüfungsbescheide des Ministers dienen kann, lässt dies daher nicht zwangsläufig den Schluss zu, dass der konkrete, hier streitige Bescheid auch gültig ist. Das vorlegende Gericht muss immer noch selbst entscheiden, ob dieser Bescheid die nach dem Unionsrecht geltenden Voraussetzungen erfüllt.

21.      Ich schlage daher vor, die erste Frage wie folgt umzuformulieren: Räumen Art. 4 Abs. 2 EUV und Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV sowie die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen einem Mitgliedstaat die Möglichkeit ein, ein Gesetz zu erlassen, mit dem EU-Unternehmen, die indirekt von einer in einem Drittstaat ansässigen Person oder einer Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat kontrolliert werden, verpflichtet werden, ihre Absicht, die Kontrolle über ein in diesem Mitgliedstaat registriertes Unternehmen zu erlangen, mitzuteilen, und das den Behörden nach erfolgter Mitteilung die Befugnis einräumt, den mitgeteilten Erwerb deshalb vorläufig zu untersagen, weil der Erwerb nationale Interessen, die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Ordnung dieses Mitgliedstaats gefährden könnte, da das Unternehmen, das erworben werden soll, Rohstoffe wie Sand, Kies, Ton oder Kaolin abbaut und den lokalen Bausektor mit solchen Stoffen versorgt, und, falls diese Frage zu bejahen ist, welche Bedingungen gelten hierfür?

B.      Inwieweit ist das Unionsrecht auf die Mechanismen zur nationalen Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen anwendbar?

22.      Das vorlegende Gericht hat Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit des Gesetzes LVIII 2020 mit dem Unionsrecht und verweist in seiner Frage auf Art. 65 Abs. 1 AEUV sowie auf die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen. Die Kommission hält ihrerseits die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen für nicht anwendbar. Sie ist der Auffassung, dass der vorliegende Rechtsstreit allein auf der Grundlage der Vertragsbestimmungen zur Niederlassungsfreiheit beizulegen sei. Es ist daher zunächst zu klären, welche der verschiedenen Elemente des primären und des abgeleiteten Unionsrechts für die Beantwortung der ersten an den Gerichtshof gerichteten Frage relevant sind.

1.      Das Zusammenspiel der Zuständigkeiten für den Binnenmarkt und für die Gemeinsame Handelspolitik

23.      Mit dem Vertrag von Lissabon wurde der Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik erweitert, indem „ausländische Direktinvestitionen“ in die in Art. 207 Abs. 1 AEUV genannten Zuständigkeiten einbezogen wurden. Im Gutachten 2/15 (Freihandelsabkommen EU-Singapur)(11) hat der Gerichtshof dieser Ergänzung erstmals Kontur verliehen. Er hat ausgeführt, dass der Begriff dahin zu verstehen ist, dass er „Investitionen natürlicher oder juristischer Personen [eines] Drittstaats in der Union und umgekehrt [umfasst], die die Möglichkeit biete[n], sich tatsächlich an der Verwaltung oder Kontrolle einer Gesellschaft zu beteiligen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt“(12). Zur Erläuterung des Begriffs der „ausländischen Direktinvestitionen“ im Sinne von Art. 207 Abs. 1 AEUV hat der Gerichtshof seine Definition zur Beschreibung des Begriffs der „Direktinvestitionen“ im Binnenmarkt übernommen. Er hat festgestellt, dass „Direktinvestitionen … in Investitionen jeder Art durch natürliche oder juristische Personen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmen, für die die Mittel zum Zweck einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind[, bestehen]. Eine Beteiligung an einem als Aktiengesellschaft gegründeten Unternehmen ist eine Direktinvestition, wenn die Aktien ihrem Inhaber die Möglichkeit geben, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft oder an deren Kontrolle zu beteiligen.“(13)

24.      Aus den zitierten Passagen dieses Gutachtens ergeben sich zwei unmittelbare Folgen: Erstens wird die Auslegung des Begriffs der Direktinvestitionen durch den Gerichtshof, die die Rechtsprechung seit Langem in Binnenmarktrechtssachen verwendet, auf den Bereich der gemeinsamen Handelspolitik übertragen(14). Zweitens nimmt der Begriff der ausländischen Direktinvestition, wie er in Art. 207 Abs. 1 AEUV niedergelegt ist, Minderheitsbeteiligungen und kurzfristige Anlagen aus diesem Anwendungsbereich aus(15).

25.      Die gemeinsame Handelspolitik gehört zu den ausschließlichen Zuständigkeiten der Union nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV. Die Einbeziehung ausländischer Direktinvestitionen in den Anwendungsbereich dieser Politik ermöglicht es der Union, auf umfassende und kohärente Weise (d. h. unter Ausschluss potenzieller Regelungen auf der Ebene der Mitgliedstaaten) eine Handelspolitik zu verfolgen, die den gesamten Lebenszyklus einer im Ausland durchgeführten Investition erfasst. Der „erweiterte“ Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik gewährleistet als solcher, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten der Union mit Drittstaaten dynamisch bleiben und sich im Gleichklang mit dem internationalen Handel entwickeln(16).

26.      Dies vorausgeschickt, bleibt mir nicht verborgen, dass diese Ergänzung zu einer gewissen Überschneidung und Spannung mit der im Binnenmarkt bestehenden geteilten Zuständigkeit geführt hat.

27.      Direktinvestitionen bilden auch einen Teil der Kapitalverkehrsfreiheit und fallen damit in den Anwendungsbereich des Binnenmarkts(17). Gleichwohl kann eine Investition, die nur Binnengrenzen der Union überschreitet, je nach Ausgestaltung der in Rede stehenden Beteiligung entweder in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 und 54 AEUV) oder in den der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV) fallen(18). Einerseits unterliegt eine Direktinvestition, d. h. eine Beteiligung an einem Unternehmen, die einem Investor die Möglichkeit verleiht, sich tatsächlich an der Verwaltung oder Kontrolle dieses Unternehmens zu beteiligen, den Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit(19). Andererseits sind kurzfristige Anlagen und Minderheitsbeteiligungen – d. h. der Erwerb von Beteiligungen allein zum Zweck der finanziellen Investition ohne jede Absicht, die Verwaltung und Kontrolle des betreffenden Unternehmens zu beeinflussen – ausschließlich im Licht der Kapitalverkehrsfreiheit zu prüfen(20).

28.      Während die Regelung von Investitionen von EU-Gesellschaften in andere EU-Gesellschaften im Binnenmarkt folglich zwischen zwei Marktfreiheiten aufgeteilt ist, unterliegen die Investitionen von in Drittstaaten ansässigen Gesellschaften allein den Regelungen über die Kapitalverkehrsfreiheit. Diese ist insofern einzigartig, als es sich um die einzige auf die Verträge gestützte Marktfreiheit handelt, die nicht nur Rechtsträgern aus der Union, sondern auch Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat Rechte gewährt.

29.      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass Investitionen aus Drittstaaten, die die Möglichkeit bieten, sich tatsächlich an der Verwaltung oder Kontrolle eines Unternehmens zu beteiligen, seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon von zwei unterschiedlichen Unionszuständigkeiten erfasst sind: einer ausschließlichen (der gemeinsamen Handelspolitik) und einer geteilten (den Binnenmarktvorschriften über die Kapitalverkehrsfreiheit). Auf jedem dieser Gebiete haben die Mitgliedstaaten einen anderen Spielraum für unilaterale Regelungen. Sie werden im Bereich einer ausschließlichen Zuständigkeit grundsätzlich daran gehindert, auch nur irgendeine unilaterale Maßnahme zu treffen (selbst wenn die Union noch nicht tätig geworden ist), während die Mitgliedstaaten im Fall der geteilten Zuständigkeit tätig werden dürfen, solange sie nicht durch auf der Ebene der Union getroffene Maßnahmen daran gehindert sind(21).

30.      Diese Überschneidung wirft die Frage nach der Grenze zwischen beiden Arten der Zuständigkeit auf und führt mich zur Anwendung der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen.

2.      Erläuterung der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen

31.      Die als Maßnahme auf dem Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik auf der Grundlage von Art. 207 Abs. 1 AEUV erlassene Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen stellt die Antwort des Unionsgesetzgebers auf eine als vor dem Hintergrund von Änderungen der globalen Wirtschaftsordnung als notwendig empfundene Politik dar(22).

32.      Ich würde die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen als eine Art Schnabeltier beschreiben, ein seltsames Geschöpf im Vergleich zu den „normalen“ nach Art. 288 AEUV erlassenen Verordnungen(23). Durch solche Rechtsetzungsakte erlässt der Unionsgesetzgeber in der Regel verbindliche Regelungen, die in allen Mitgliedstaaten unmittelbar gelten. Die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen erlegt jedoch weder verbindliche Regelungen auf noch führt sie einen gemeinsamen Überprüfungsmechanismus für ausländische Direktinvestitionen ein. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, die Mitgliedstaaten zu ermächtigen – und sie damit noch nicht einmal zu verpflichten –, Rechtsvorschriften zu erlassen, die die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen regeln(24). Zusätzlich zu dieser Ermächtigung schafft diese Verordnung auch einen Rahmen für gemeinsame Normen, die mit solchen nationalen Mechanismen (wenn sie eingerichtet werden) befolgt werden müssen, so dass die bestehenden nationalen Rechtsvorschriften nur teilweise harmonisiert werden.

33.      Eine Erklärungsmöglichkeit für diese gesetzgeberische Entscheidung besteht darin, die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen als Überbrückung der Lücke zwischen der geteilten Zuständigkeit für die Regelung (ausländischer) Direktinvestitionen unter dem Blickwinkel des Binnenmarkts und der Zuständigkeit für die Festlegung eines gemeinsamen Ansatzes für die Überprüfung „ausländischer Direktinvestitionen“ in Ausübung der ausschließlichen Zuständigkeit der Union für die gemeinsame Handelspolitik anzusehen(25).

34.      Meines Erachtens spricht vieles für dieses Argument. Tatsache ist, dass manchen Mitgliedstaaten vor dem Inkrafttreten der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen Maßnahmen zur Überprüfung des Kapitalverkehrs aus Drittländern in ihr Hoheitsgebiet zur Verfügung standen(26). Solche Mechanismen spiegelten die Bedenken dieser Mitgliedstaaten hinsichtlich der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit wider, die mit bestimmten Kapitalbewegungen aus dem Ausland verbunden sein konnten. Im Einklang mit der geteilten Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in Binnenmarktangelegenheiten wäre es völlig legitim gewesen, diese nationalen Maßnahmen auf die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV zulässigen Ausnahmeregelungen zu stützen(27). Seit der Kapitalverkehr, der vom Anwendungsbereich der „ausländischen Direktinvestitionen“ erfasst wird, mit dem Vertrag von Lissabon in die ausschließliche Zuständigkeit der gemeinsamen Handelspolitik einbezogen wurde, dürften diese nationalen Mechanismen, mit denen Kapitalbewegungen aus Drittstaaten geregelt wurden, jedoch hinfällig geworden sein.

35.      In diesem Licht gewürdigt, kann die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen dahin gehend verstanden werden, dass sie die Rechtmäßigkeit der bestehenden Überprüfungsmechanismen der Mitgliedstaaten für ausländische Direktinvestitionen wiederherstellt(28). Mit anderen Worten „delegiert“ die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen Zuständigkeiten in einem Bereich, in dem die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verloren haben, an diese zurück(29).

36.      Damit hängt die Frage zusammen, ob die Zuständigkeit für die gemeinsame Handelspolitik auch als Werkzeug zur Harmonisierung nationaler Gesetze verwendet werden kann. Wie dargelegt, enthält die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen einige Regeln, die die Überprüfungsmechanismen der Mitgliedstaaten befolgen müssen. Man könnte daher den Standpunkt vertreten, dass die Harmonisierung des nationalen Rechts, das die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen zulässt, auf die Bestimmungen über den Binnenmarkt, wie z. B. Art. 64 AEUV, gestützt werden sollte. Ich bin jedoch der Ansicht, dass der bloße Umstand, dass eine Maßnahme der Union das nationale Recht harmonisiert, diese Maßnahme nicht unbedingt vom Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik ausschließt. Eine Maßnahme der Union kann nämlich in den Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik fallen, wenn sie „speziell den [Handelsverkehr mit einem oder mehreren Drittstaaten] betrifft, weil [sie] ihn im Wesentlichen fördern, erleichtern oder regeln soll und sich direkt und sofort auf ihn auswirkt“(30). Es ist klar, dass die Harmonisierung nationaler Überprüfungsmechanismen für ausländische Direktinvestitionen solche Auswirkungen hat(31).

37.      Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen kann die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen, die nationale Überprüfungsmechanismen bewahrt und gleichzeitig einige gemeinsame Regeln einführt, als eine Art Durchführung von Art. 207 Abs. 6 AEUV verstanden werden. In dieser Bestimmung heißt es, dass die auf die Union im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik übertragenen Zuständigkeiten die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten unberührt lassen. Da Direktinvestitionen aus Drittstaaten auch weiterhin eine Binnenmarktangelegenheit (d. h. eine geteilte Zuständigkeit) bleiben, müsste die Einführung eines gemeinsamen Überprüfungsmechanismus für „ausländische“ Direktinvestitionen, der an die Stelle der Mechanismen der Mitgliedstaaten träte, im Hinblick auf die Subsidiarität gerechtfertigt sein. Das könnte die Entscheidung des Unionsgesetzgebers erklären, (zumindest vorläufig)(32)ein dezentralisiertes System der Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen zu wählen, das hinter den rechtlichen Entscheidungen der Mitgliedstaaten zurücktritt. Diese Entscheidungen müssen sich jedoch im Rahmen der Binnenmarktregeln – einschließlich derjenigen, die Ausnahmen von den Grundfreiheiten des Marktes regeln – bewegen.

3.      Findet die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen auf die vorliegende Rechtssache Anwendung?

38.      Die vorstehenden Erwägungen führen mich zu dem Schluss, dass für die Subsumtion eines nationalen Überprüfungsmechanismus „ausländischer“ Direktinvestitionen – wie dem, der mit dem Gesetz LVIII 2020 eingeführt wurde – unter die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen kein Hindernis besteht.

39.      Damit komme ich zur Auffassung der Kommission. Sie ist der Ansicht, dass die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen im vorliegenden Fall keine Anwendung finden könne, da EU-Gesellschaften keiner Überprüfung nach dieser Verordnung unterliegen könnten. Die Antragstellerin, deren vorgesehene Investition vorläufig untersagt wurde, ist eine Gesellschaft mit Sitz in der Europäischen Union. Nach Art. 54 AEUV und der einschlägigen Rechtsprechung hängt die „Staatsangehörigkeit“ einer Gesellschaft nur von deren Unternehmenssitz ab, wohingegen es unerheblich ist, welche Staatsangehörigkeit ihre Anteilseigner haben(33).

40.      Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben, dass ein „ausländischer Investor“ gemäß Art. 2 Nr. 2 der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen ein Unternehmen aus einem Drittstaat sei, das eine ausländische Direktinvestition plane oder getätigt habe. Sie betonte insbesondere die Tatsache, dass diese Definition nur natürliche und juristische Personen „aus einem Drittstaat“ erfasse. Folglich finde diese Verordnung auf Gesellschaften mit Sitz in der Europäischen Union grundsätzlich keine Anwendung. Die Antragstellerin, eine Gesellschaft mit eingetragenem Sitz in Ungarn, könne daher nicht als ein Unternehmen aus einem Drittstaat angesehen werden. Der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen sei nicht eröffnet.

41.      Meines Erachtens übersieht die Kommission in ihren Erklärungen zur Nichtanwendbarkeit der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen bequemerweise Art. 2 Nr. 1 dieser Verordnung. Diese Bestimmung definiert die ausländische Direktinvestition im Sinne dieser Verordnung. Es handelt sich um „eine durch einen ausländischen Investor getätigte Investition jeder Art zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen dem ausländischen Investor und dem Unternehmer oder Unternehmen, für den bzw. das das Kapital zur fortgesetzten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem Mitgliedstaat bereitgestellt wird, einschließlich Investitionen, die eine effektive Beteiligung an der Verwaltung oder Kontrolle eines Unternehmens ermöglichen, das eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt“(34).

42.      Der in Art. 1 Abs. 1 festgelegte Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen umfasst die Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union durch die Mitgliedstaaten. Dieser Begriff umfasst wiederum jede Art von Investition, durch die der ausländische Investor eine tatsächliche Beteiligung an einem EU-Unternehmen oder die Kontrolle über dieses Unternehmen erlangt.

43.      Es versteht sich von selbst, dass die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen nur auf ausländische Investoren zielt. Um die Kontrolle über diese Investoren zu ermöglichen, erfasst sie jedoch jede mögliche Form der Investition, durch die ein ausländischer Investor die Kontrolle über ein EU-Unternehmen erlangt. Mit anderen Worten sieht die Verordnung keinerlei Beschränkung hinsichtlich der Struktur oder des Investitionsvorgangs selbst vor. Um in den Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen zu fallen, braucht eine Investition daher nicht unbedingt direkt zu erfolgen (z. B. indem ein ausländischer Investor die Kontrolle über ein EU-Unternehmen erlangt, indem er die Anteile hieran unmittelbar erwirbt), sondern sie kann auch indirekt vorgenommen werden (z. B. indem ein ausländischer Investor die Kontrolle über ein EU-Unternehmen erlangt, indem er die Anteile hieran durch ein anderes EU-Unternehmen erwirbt). Entscheidend ist, wer letztlich die Kontrolle über das betreffende EU-Unternehmen erlangt.

44.      Die italienische Regierung schließt sich dieser Auslegung des Anwendungsbereichs der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen an. Sie verweist insoweit auch auf ein maßgebliches systematisches Argument. Bei der Aufzählung der Faktoren, die bei der Feststellung, ob eine ausländische Direktinvestition die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung voraussichtlich beeinträchtige, herangezogen werden könnten, heiße es in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung, dass berücksichtigt werden könne, „ob der ausländische Investor direkt oder indirekt von der Regierung … kontrolliert wird“. Wenn daher die indirekte Kontrolle durch einen Investor aus einem Drittstaat für die Beurteilung der Frage, ob ein Drittstaat für eine bestimmte Investition verantwortlich sei, relevant sei, müsse sie auch im Zusammenhang mit einem Investor mit Sitz in der Union, der faktisch durch einen Investor aus einem Drittstaat kontrolliert werden könne, relevant sein. Die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen erfasse daher „indirekte“ ausländische Direktinvestitionen.

45.      Meines Erachtens würde jede andere Auslegung den Zweck der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen vereiteln: Die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen zu ermöglichen, um feststellen zu können, ob die betreffende Investition die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Union oder eines Mitgliedstaats gefährdet (oder zumindest zu gefährden droht). Dies gilt sowohl für direkte Erwerbe aus dem Ausland als auch für Gestaltungen, durch die Kapital auf eine Gesellschaft mit Sitz in der Union übertragen wird, um ein bestimmtes Zielobjekt zu erwerben. Würde man dem Standpunkt der Kommission folgen und sich nur auf das formale Kriterium des Sitzes einer Gesellschaft stützen, ohne zu berücksichtigen, wer durch ein bestimmtes Rechtsgeschäft die Kontrolle über ein Investitionsobjekt erwirbt, so ginge dies meines Erachtens sowohl an der Realität des Geschäftslebens als auch am Zweck der Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen vorbei(35).

46.      Die Kommission hat sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, dass „indirekte“ ausländische Direktinvestitionen nur ausnahmsweise zur Verhinderung der Umgehung von Überprüfungsmechanismen in den Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen fallen könnten. Die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen verweise im zehnten Erwägungsgrund auf die Umgehung und verlange gemäß ihrem Art. 3 Abs. 6 von denjenigen Mitgliedstaaten, die bereits über einen Überprüfungsmechanismus verfügten, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Umgehung der Überprüfungsmechanismen und ‑beschlüsse zu verhindern. Der Begriff der „Umgehung“ umfasse „Investitionen aus der Union“ nur dann, wenn diese Investitionen erstens „über künstliche Gestaltungen“ vorgenommen würden, zweitens „die wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht widerspiegeln“ und drittens „die Überprüfungsmechanismen und ‑beschlüsse umgehen“. Das ist vorliegend ganz offensichtlich nicht der Fall.

47.      Ohne die Prüfung einer konkreten Kapitalübertragung kann die Umgehung eines Überprüfungsmechanismus aber gar nicht erst festgestellt werden, es sei denn, hierzu wird ein anderes, eigens zu diesem Zweck ausgearbeitetes Instrument eingesetzt. Mit anderen Worten muss ein Rechtsgeschäft zunächst einmal in den Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen fallen, damit festgestellt werden kann, ob es tatsächlich die nationalen Überprüfungsmechanismen oder ‑beschlüsse umgehen soll.

48.      Es würde jedenfalls das Ziel, ausländische Direktinvestitionen herauszufiltern, die das nationale Interesse oder das Unionsinteresse gefährden, vereiteln, eine Art von Rechtsgeschäften wie das vorliegend in Rede stehende vom Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen auszunehmen. Welchen Unterschied macht es denn für die Zwecke eines „Ex-ante“‑Instruments wie nationale Investitionsüberprüfungsmechanismen, ob ein Investor aus einem Drittland die Kontrolle über ein strategisches EU-Unternehmen direkt aus dem Ausland oder über ein anderes EU-Unternehmen erwirbt? In beiden Fällen erwirbt ein ausländischer Investor die Kontrolle über das betreffende EU-Unternehmen und damit die Möglichkeit, die Zukunft dieses Unternehmens zu bestimmen: sei es, das Unternehmen zu den Marktbedingungen zu führen, sei es, es seiner sämtlichen Vermögenswerte zu berauben (in unserem Fall z. B. den Steinbruch zu fluten, ihn unbrauchbar zu machen), sei es, das Unternehmen weiterzuverkaufen, oder es einfach vollständig stillzulegen. Das Kernproblem besteht darin, dass ein ausländischer Investor die Kontrolle über ein strategisches EU-Unternehmen erlangt.

49.      Meiner Meinung nach zielt die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen genau darauf ab, eine mögliche Kontrolle durch einen Drittstaat zu verhindern, wenn eine konkrete Investition als Bedrohung für die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung aufgefasst wird. Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, auch „indirekte“ ausländische Direktinvestitionen, die durch eine Gesellschaft mit Sitz in der Union getätigt werden, als vom Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen erfasst anzusehen, wenn diese Investitionen es dem ausländischen Investor ermöglichen würden, die Kontrolle über die erworbene Gesellschaft zu erlangen.

50.      Gleichwohl sollte klar sein, dass aus der Überprüfung von Direktinvestitionen aus Drittstaaten, die über ein in der Union ansässiges Unternehmen getätigt werden, nicht automatisch folgt, dass eine solche Investition ohne weitere Voraussetzungen vorläufig untersagt werden kann. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Überprüfung des Erwerbs von EU-Gesellschaften durch Investoren aus Drittstaaten für sich genommen bereits ein Hindernis für die Ausübung der vier Marktfreiheiten darstellt(36).

51.      Meines Erachtens muss der Unionsgesetzgeber in einem Bereich, in dem sich die Zuständigkeiten der Union überschneiden, den Bedenken, die sich in beiden Bereichen ergeben, angemessen berücksichtigen. Sogar als er auf der Grundlage von Art. 207 Abs. 1 AEUV als vorherrschender Rechtsgrundlage tätig wurde(37), war der Unionsgesetzgeber deshalb verpflichtet, die Rechte, die sich aus den im Vertrag vorgesehenen Regelungen über die vier Marktfreiheiten ergeben, unabhängig davon zu berücksichtigen, ob diese Regelungen Unions- oder Drittstaatsgesellschaften nutzen sollen. Auch wenn die Verordnung die Mitgliedstaaten nach Art. 207 Abs. 1 AEUV „ermächtigt“, Überprüfungsmechanismen für ausländische Direktinvestitionen einzurichten, weil solche Investitionen Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aufwerfen können, kann sich diese Verordnung mit anderen Worten nicht den Anforderungen des Art. 65 Abs. 1 AEUV entziehen. Genau in diesem Sinne ist der Verweis auf Art. 65 Abs. 1 AEUV im vierten Erwägungsgrund der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen zu verstehen(38).

52.      Die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen spiegelt nämlich die etwaigen Rechtfertigungsgründe und damit implizit auch die allgemeinen Kriterien für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung eines Rechts auf Freizügigkeit wider, die sich aus den Ausnahmeregelungen des Vertrags ergeben. Das ist insbesondere in Art. 4 dieser Verordnung erkennbar, der eine nicht abschließende Aufzählung von Faktoren enthält, die die Mitgliedstaaten bei der Feststellung, ob eine konkrete ausländische Kapitalübertragung die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung voraussichtlich beeinträchtigt, berücksichtigen müssen.

53.      Wären die Binnenmarktregeln nicht in die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen und die auf dieser Grundlage genehmigten nationalen Mechanismen eingeflossen, könnten die allen EU-Gesellschaften zur Verfügung stehenden Marktfreiheiten allein aufgrund einer ausländischen Beteiligung an solchen Gesellschaften unverhältnismäßig beschränkt werden. Zur Vermeidung einer Verletzung dieser Freiheiten sollten nationale Rechtsvorschriften wie das Gesetz LVIII 2020, dessen Erlass nach der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen zulässig ist, nicht von einer potenziellen Überprüfung anhand der im Vertrag vorgesehenen Binnenmarktregeln ausgenommen werden. Vielmehr würde ich darauf bestehen, dass jedes Rechtsgeschäft, das von einem Überprüfungsmechanismus erfasst wird, in den Genuss einer vollständigen Überprüfung im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit nach den Kriterien des Art. 65 Abs. 1 AEUV kommen muss(39).

54.      Um die vorstehenden Ausführungen zusammenzufassen, bin ich der Auffassung, dass nationale Rechtsvorschriften wie das Gesetz LVIII 2020 selbst dann in den Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen fallen, wenn sie die Überprüfung „indirekter“, durch eine EU-Gesellschaft durchgeführter ausländischer Direktinvestitionen ermöglichen.

C.      Zuständigkeit des Gerichtshofs

55.      Die Anwendbarkeit der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen löst auch die Frage der Zuständigkeit des Gerichtshofs in der vorliegenden Rechtssache.

56.      Diese Frage wurde von der Kommission aufgeworfen, nach deren Auffassung dieser Fall ausschließlich in den Bereich des Binnenmarktes fällt. Alle Elemente des vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreits könnten als innerstaatliche Angelegenheit Ungarns verstanden werden: Eine ungarische Gesellschaft beabsichtige, eine andere ungarische Gesellschaft zu erwerben, und werde auf der Grundlage eines ungarischen Gesetzes daran gehindert. Innerstaatliche Sachverhalte lägen außerhalb des Anwendungsbereichs der Binnenmarktregeln. Obwohl die Kommission diesen Einwand erhoben hat, kam sie unter Verweis darauf, dass die Antragstellerin vollständig im Eigentum von Xella Deutschland stehe, dennoch zu dem Schluss, dass der Gerichtshof zuständig sei. Das öffne die Tür, um den vorliegenden Fall nicht als innerstaatliche Angelegenheit eines einzigen Mitgliedstaats einzustufen.

57.      In der mündlichen Verhandlung haben diese Erklärungen zur Zuständigkeit eine Diskussion über die Frage ausgelöst, wann ein Sachverhalt als „innerstaatlich“ anzusehen ist und welche Aspekte berücksichtigt werden können, um ein Rechtsgeschäft zwischen zwei Gesellschaften in demselben Mitgliedstaat als „grenzüberschreitend“ einzustufen(40). Auch in Anbetracht der Möglichkeit, den Sachverhalt in der vorliegenden Rechtssache als innerstaatlich einzustufen, drehte sich die Diskussion zudem um die Relevanz des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Ullens de Schooten(41).

58.      Auch wenn ich diese Fragen spannend finde und sie durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs nur teilweise geklärt sind, werde ich der Versuchung widerstehen, sie in den vorliegenden Schlussanträgen zu erörtern. Ich glaube einfach nicht, dass sie für die Umstände des vorliegenden Falles relevant sind.

59.      Wie in den Nrn. 49 und 54 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, fällt diese Rechtssache in den Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen. Ich komme zu dem Ergebnis, dass der beabsichtigte Erwerb von Janes durch die Antragstellerin als „ausländische Direktinvestition“ im Sinne der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen eingestuft werden kann. Da sich der Rechtsstreit im Ausgangsverfahren mithin im Anwendungsbereich von Unionsrechtsvorschriften bewegt, die neben anderen Aspekten die Harmonisierung nationaler Überprüfungsmechanismen bezwecken, ist die Frage, ob der in Rede stehende Sachverhalt innerstaatlich ist, unerheblich. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs ergibt sich aus der bloßen Anwendbarkeit des abgeleiteten Unionsrechts auf den vorliegenden Rechtsstreit(42).

60.      Wie in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde, dient als zusätzliches Argument für diese Einstufung der Umstand, dass die ungarische Regierung davon ausgeht, dass das Gesetz LVIII 2020 in den Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen fällt. Wie auch die Kommission bestätigt hat, notifizierte die ungarische Regierung dieses Gesetz nämlich entsprechend ihrer Verpflichtung gemäß Art. 3 Abs. 7 dieser Verordnung der Kommission. Entsprechend dieser Notifizierung und in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 8 derselben Verordnung veröffentlichte die Kommission sodann die betreffenden ungarischen Rechtsvorschriften als Teil des Verzeichnisses der Überprüfungsmechanismen der Mitgliedstaaten. Da das Gesetz LVIII 2020 nach Auffassung des vorlegenden Gerichts auf die ihm vorliegende Rechtssache anwendbar ist, weil es als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid diene, sind die Anwendbarkeit des Unionsrechts und der Nutzen der Auslegung, um die der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren ersucht wird, offensichtlich. Die Klärung, um die ersucht wird, wird es dem vorlegenden Gericht ermöglichen, zu beurteilen, ob das Gesetz LVIII 2020 die durch das Unionsrecht gezogenen Grenzen überschreitet.

61.      Für den Fall, dass der Gerichtshof meinem Verständnis hinsichtlich der Zuständigkeit in diesem Fall gleichwohl nicht zustimmen sollte, werde ich kurz drei weitere Möglichkeiten für die Begründung der Zuständigkeit darlegen.

62.      Erstens bin ich zwar keine glühende Verfechterin dieser Rechtsprechung, doch ist es offensichtlich, dass der Gerichtshof die Zuständigkeit auf der Grundlage der potenziellen grenzüberschreitenden Auswirkungen des ungarischen Überprüfungsmechanismus begründen könnte(43). Es kann kaum bestritten werden, dass es „nicht auszuschließen“ ist, dass eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats, die im Eigentum einer Gesellschaft aus einem Drittstaat steht, Interesse am Erwerb einer „strategischen“ ungarischen Gesellschaft haben kann. Dies kann man sich in der vorliegenden Rechtssache leicht vorstellen, da dieser Erwerb genauso gut unmittelbar durch Xella Deutschland hätte ausgeführt werden können. Das in Rede stehende ungarische Gesetz hat daher eine potenziell grenzüberschreitende Wirkung.

63.      Zweitens könnte man sich auch am Urteil Felixstowe Dock and Railway Company u. a.(44) orientieren. In dieser Rechtssache konnten sich die Klägerinnen, Gesellschaften mit Sitz im Vereinigten Königreich, auf die Niederlassungsfreiheit ihrer Tochtergesellschaft in Luxemburg berufen, da sie „[aufgrund dieser Bindegliedgesellschaft aus Luxemburg] steuerlich schlechter behandelt wurden , als dies der Fall wäre, wenn sie mit der Verluste übertragenden Gesellschaft über eine im Vereinigten Königreich ansässige Bindegliedgesellschaft verbunden gewesen wären“(45). Daher könnte die Zuständigkeit sowohl für die im vorliegenden Rechtsstreit in Rede stehende(n) EU-Muttergesellschaft(en) (Xella Deutschland und Xella Luxemburg) und den letztendlichen wirtschaftlichen Eigentümer von Lone Star (den irischen Staatsangehörigen) auf der Grundlage der Niederlassungsfreiheit als auch für die Drittstaats-„Großmutter“-Gesellschaft (die Gesellschaft in Bermuda) auf der Grundlage der Kapitalverkehrsfreiheit begründet werden.

64.      Schließlich besteht sogar die Möglichkeit, eine abstrakte Zuständigkeit auf der Grundlage des in Richtung des Urteils Dzodi(46) gehenden Verweises in §  276 Nr. 3 des Gesetzes LVIII 2020 auf die Definition einer „strategischen Gesellschaft“ (der diese Definition offenbar mit Art. 4 Abs. 1 Buchst. a bis e der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in Einklang bringt) und auf § 283 Abs. 1 Buchst. b des Gesetzes LVIII 2020 zu den Grenzen der der Rechtfertigung des Ministers für den Rückgriff auf die ihm übertragenen Vetorechte (der auf Art. 52 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 AEUV verweist) zu begründen.

65.      Daraus folgt, dass der Gerichtshof unabhängig davon, aus welchem Blickwinkel die vorliegende Rechtssache betrachtet wird, für die Beantwortung der durch das vorlegende Gericht gestellten Fragen zuständig ist.

D.      Bedingungen, unter denen Mitgliedstaaten „indirekte“ ausländische Direktinvestitionen überprüfen und vorläufig untersagen können

66.      Wie in den Nrn. 50 bis 53 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, müssen alle Überprüfungsmechanismen der Mitgliedstaaten, die nach der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen zulässig sind, mit den im Vertrag vorgesehenen Freiheiten des Binnenmarkts in Einklang stehen.

67.      Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass als Beschränkung der Marktfreiheiten alle Maßnahmen anzusehen sind, die die Ausübung dieser Freiheiten unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen(47).

68.      Das bloße Vorhandensein eines Überprüfungsmechanismus macht für sich genommen Direktinvestitionen aus Drittstaaten weniger attraktiv. Der angefochtene Bescheid, mit dem der Erwerb von Janes vorläufig untersagt wird, macht die Ausübung des (auf Art. 63 Abs. 1 AEUV beruhenden) Rechts, in eine EU-Gesellschaft zu investieren, und der Niederlassungsfreiheit (nach Art. 49 und 54 AEUV) offensichtlich nicht nur weniger attraktiv, sondern vollkommen unmöglich(48).

69.      Gleichwohl sind Beschränkungen der Ausübung von Grundfreiheiten möglich, wenn sie durch legitime Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt sind und wenn sie angemessen sowie zum Schutz dieser Interessen erforderlich sind. Ob diese beiden Voraussetzungen – die zulässige Rechtfertigung und die Verhältnismäßigkeit – erfüllt sind, unterliegt der gerichtlichen Überprüfung auf der Grundlage des Unionsrechts. Nationale Gesetze wie das Gesetz LVIII 2020 und konkrete Bescheide, die hierauf gestützt werden, müssen die Bedingungen erfüllen, die das Unionsrecht für sie aufstellt. Aus diesem Grund, und weil sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs in einem Vorabentscheidungsverfahren auf eine Auslegung der durch das Unionsrecht aufgestellten Bedingungen beschränkt, wird es Aufgabe des nationalen Gerichts sein, zu prüfen, ob das Gesetz LVIII 2020, wie es vom Minister angewandt wurde, diese Voraussetzungen erfüllt.

1.      Legitimes Ziel

70.      Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen dürfen nationale Überprüfungsmechanismen den Kapitalverkehr aus zwei möglichen Gründen beschränken: zum einen zum Schutz der Sicherheit und zum anderen zum Schutz der öffentlichen Ordnung. Diese Verordnung stützt sich insoweit auf die bereits im Vertrag(49) festgelegten Rechtfertigungsgründe sowie auf die für die Union verbindlichen internationalen Übereinkommen(50). Konkret erläutert der 35. Erwägungsgrund dieser Verordnung, dass deren Durchführung durch die Union oder die Mitgliedstaaten Art. XIV Buchst. a und Art. XIVbis des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS(51)) sowie, allgemeiner, dem Unionsrecht entsprechen muss.

71.      Im vorliegenden Fall betrifft die Vorlagefrage nur die Rechtfertigungsgründe der öffentlichen Ordnung oder der Sicherheit im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV. Es sei darauf hingewiesen, dass die gleichen Gründe auch als mögliche Rechtfertigungsgründe einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 Abs. 1 AEUV in Betracht kommen. Daher wende ich mich nun der Behandlung dieser Rechtfertigungsgründe in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu.

72.      Zuallererst ist darauf hinzuweisen – und dies beantwortet meines Erachtens den Verweis des vorlegenden Gerichts auf Art. 4 Abs. 2 EUV –, dass es den Mitgliedstaaten grundsätzlich weiterhin frei steht, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern(52). Diese Belange können sich von Zeitraum zu Zeitraum und von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden(53). Das Unionsrecht reguliert diese Bestimmungen nicht.

73.      Jedoch begrenzt das Unionsrecht die nationalen politischen Entscheidungen, indem es eine enge Auslegung der Rechtfertigungsgründe verlangt, da diese Ausnahmen von der Regel, wonach Direktinvestitionen grundsätzlich liberalisiert sind, erlauben(54). Folglich können solche Rechtfertigungsgründe nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt(55), vorliegt oder auch nur wahrscheinlich(56) ist.

74.      Ein Mitgliedstaat muss daher erstens erklären können, warum das Interesse, das für die betreffende Beschränkung ursächlich ist, in seiner Gesellschaft als grundlegend angesehen wird, und zweitens, warum die beschränkte Tätigkeit eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung dieses Grundinteresses darstellt.

75.      Der ungarischen Regierung zufolge zielt das Gesetz LVIII 2020 darauf ab, zwei Grundinteressen der ungarischen Gesellschaft zu schützen. Das erste Interesse bestehe darin, spekulative Erwerbe in Bereichen zu verhindern, die, insbesondere als Folge der Covid‑19‑Pandemie, als für die ungarische Wirtschaft von strategischer Bedeutung eingestuft würden. Das zweite Interesse sei der Schutz der Versorgungssicherheit, im vorliegenden Fall in Bezug auf Sand, Kies, Ton und Kaolin, in Ungarn.

76.      Nach meiner Ansicht, die die Antragstellerin, die italienische Regierung und die Kommission teilen, kann der erste von der ungarischen Regierung geltend gemachte Rechtfertigungsgrund nicht von der die öffentliche Ordnung betreffenden Ausnahme erfasst sein. Aus der Rechtsprechung geht klar hervor, dass, abstrakt betrachtet, rein wirtschaftliche Gründe nicht als Rechtfertigung der Beeinträchtigung einer der Grundfreiheiten dienen können(57). Um es deutlich zu sagen: Ich bestreite nicht, dass eine Gesundheitskrise wie Covid‑19 unter bestimmten Umständen zu einem Anstieg spekulativer Investitionen aus dem Ausland führen kann. Solche Investitionen sind jedoch Teil des Wirtschaftslebens. Sie sind Teil der Geschäftsstrategie von Investmentfonds wie Lone Star. Der Schutz der ungarischen Volkswirtschaft vor spekulativen Investitionen kann daher für sich genommen nicht als Interesse anerkannt werden, das aus Gründen der öffentlichen Ordnung geschützt werden kann(58).

77.      Zwar hat der Gerichtshof festgestellt, dass unter bestimmten Umständen Gründe, die ansonsten nicht für eine Beschränkung von Rechtsgeschäften zwischen den Rechtsträgern des Binnenmarkts anerkannt werden können, ein Hindernis für Kapitalströme aus Drittstaaten rechtfertigen können. So hat der Gerichtshof in seinem Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation ausgeführt, dass „sich außerdem nicht ausschließen [lässt], dass ein Mitgliedstaat beweisen kann, dass eine Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern aus einem bestimmten Grund gerechtfertigt ist, auch wenn dieser Grund keine überzeugende Rechtfertigung für eine Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen Mitgliedstaaten darstellen würde“(59). In diesem und anderen, ähnlich gelagerten Fällen hat der Gerichtshof jedoch die Differenzierung zwischen zulässigen Rechtfertigungsgründen im inner- und außergemeinschaftlichen Rahmen aufgrund dessen hingenommen, dass zwischen den Mitgliedstaaten im Binnenmarkt ein hohes Maß an rechtlicher Integration (z. B. durch Steuerharmonisierung) besteht, während ein ähnliches Integrationsniveau mit dem betreffenden Drittstaat fehlt(60).

78.      Diese Rechtsprechung findet auf den vorliegenden Rechtsstreit keine Anwendung. Meines Erachtens kann ein hohes Maß an rechtlicher Integration innerhalb des Binnenmarkts die Berufung auf rein wirtschaftliche Gründe zur generellen Beschränkung spekulativer „indirekter“ Direktinvestitionen nicht rechtfertigen(61). Denn soweit spekulative Investitionen als legitime Geschäftstätigkeiten angesehen werden und im Binnenmarkt nicht gesondert geregelt sind, können sie nicht allein deshalb unter dem Deckmantel einer auf die öffentliche Ordnung gestützten Rechtfertigung verhindert werden, weil sie direkt oder indirekt aus einem Drittstaat stammen.

79.      Das zweite von der ungarischen Regierung erklärte Interesse, die Versorgungssicherheit, kann meines Erachtens entweder als Angelegenheit der öffentlichen Ordnung oder als Angelegenheit der öffentlichen Sicherheit geltend gemacht werden.

80.      Hierzu legt die ungarische Regierung im Wesentlichen dar, dass die Sicherheit der Versorgung mit Bauzuschlagstoffen für die industrielle und öffentliche Infrastruktur des Landes, auch auf lokaler Ebene, von Bedeutung sei. Die Antragstellerin, die italienische Regierung und die Kommission weisen darauf hin, dass solche Bedenken grundsätzlich und unter bestimmten Umständen einen Eingriff in die Regeln über den freien Verkehr rechtfertigen könnten. Die Antragstellerin und die Kommission betonen jedoch auch, dass dieser Rechtfertigungsgrund vorliegend nicht durchgreifen könne.

81.      Der Gerichtshof hat bislang das Erfordernis, die Sicherheit der Versorgung mit bestimmten grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen und das ordnungsgemäße Funktionieren bestimmter Netzdienste, die für das wirtschaftliche und soziale Leben eines Mitgliedstaats als notwendig erachtet werden, zu gewährleisten, als zulässige Rechtfertigung im Rahmen der die öffentliche Ordnung betreffenden Ausnahme anerkannt(62).

82.      Ich halte es daher nicht für ausgeschlossen, dass die Gewährleistung der Versorgung mit bestimmten Bauzuschlagstoffen in Krisenzeiten aus der Sicht eines Mitgliedstaats als Belang angesehen werden kann, der geeignet ist, die Beschränkung einer Grundfreiheit des Marktes aus Gründen der öffentlichen Ordnung (oder Sicherheit) zu rechtfertigen. Das verhält sich genauso mit Sand, Kies, Ton und Kaolin, obwohl die Kommission diese Zuschlagstoffe (noch) nicht in das Verzeichnis „kritischer“ Rohstoffe aufgenommen hat(63). Es gibt nämlich Studien, die die Auffassung stützen, dass diese Zuschlagstoffe rar sind und dass die Versorgung mit ihnen ein Problem darstellen könnte(64). Bemühungen, die Versorgung mit Sand, Kies, Ton und Kaolin sicherzustellen, können daher als grundlegendes Interesse der Gesellschaft angesehen werden.

83.      Der Wortlaut der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen stützt meine Auffassung. Ihr Art. 4 bestimmt ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten (und die Kommission) bei der Feststellung, ob eine ausländische Direktinvestition die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung voraussichtlich beeinträchtigt, die potenziellen Auswirkungen einer Kapitalübertragung u. a. auf die Versorgung mit kritischen Ressourcen einschließlich Rohstoffen berücksichtigen können. In gleicher Weise kann die Kommission nach Art. 8 dieser Verordnung eine Stellungnahme an den betreffenden Mitgliedstaat richten, wenn sie der Auffassung ist, dass eine ausländische Direktinvestition voraussichtlich Projekte und Programme von Unionsinteresse beeinträchtigt, die unter die Rechtsvorschriften der Union über kritische Ressourcen fallen, die für die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung wesentlich sind.

84.      Auch wenn es somit grundsätzlich möglich ist, sich auf das Erfordernis der Sicherstellung der Versorgung mit bestimmten Rohstoffen zu stützen, fällt es mir unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache schwer, nachzuvollziehen, inwiefern die ausländische Eigentümerschaft an einem Hersteller, der lediglich für 0,52 % der nationalen Sand‑, Kies‑, Ton und Kaolingewinnung verantwortlich ist, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für das Grundinteresse der Sicherheit der Lieferkette in Ungarn darstellt.

85.      Die ungarische Regierung konnte auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht überzeugend begründen, warum der Schutz von Janes vor ausländischer Eigentümerschaft ein Grundinteresse der ungarischen Gesellschaft (sei es auf lokaler oder nationaler Ebene) darstellen sollte. Es wurde auch keine Erklärung dafür gegeben, inwiefern eine solche ausländische Eigentümerschaft die Versorgung der lokalen Bauwirtschaft mit diesen Zuschlagstoffen gefährden sollte. Schließlich verkauft Janes bereits jetzt 90 % ihrer Produktion an die Antragstellerin, während nur 10 % an die lokalen Unternehmen gehen(65).

86.      Von meiner Auffassung kann mich mit Sicherheit auch nicht das Argument der ungarischen Regierung abbringen, wonach jede ausländische Eigentümerschaft an einem Steinbruch oder an einer Gesellschaft, die einen solchen Steinbruch betreibe, für sich genommen eine Gefährdung der Versorgungssicherheit darstellen könne, die daher eine Beschränkung ausländischer Direktinvestitionen in solche Zielobjekte aus Gründen der öffentlichen Sicherheit rechtfertigen würde. Meines Erachtens gibt es selbst vor dem Hintergrund unterschiedlicher rechtlicher und politischer Zusammenhänge innerhalb und außerhalb der Union keinen vernünftigen oder überzeugenden Grund, warum die Mitgliedstaaten mit einem Generalverdacht operieren sollten, wenn es um ausländische Direktinvestitionen im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften mit Drittstaatsbezug geht(66).

87.      Selbst wenn nationale Rechtsvorschriften wie das Gesetz LVIII 2020 grundsätzlich vorsehen könnten, dass die Überprüfung „indirekter“ ausländischer Direktinvestitionen durch das Erfordernis gerechtfertigt ist, die Sicherheit der Versorgung mit bestimmten Rohstoffen zu gewährleisten, kann dieser Rechtfertigungsgrund daher nur geltend gemacht werden, wenn die ausländische Eigentümerschaft an der Quelle für solche Zuschlagstoffe nachweislich eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der Versorgungssicherheit entweder für eine bestimmte Region oder für Ungarn als Ganzes darstellt.

88.      Es ist zwar Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der angefochtene Bescheid eine solche Begründung enthält, doch möchte ich darauf hinweisen, dass aus den Gerichtsakten nicht hervorgeht, dass der Minister dargelegt hat, ob und inwiefern die indirekte ausländische Eigentümerschaft an Janes eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die Sicherheit der Versorgung mit Kies, Sand, Ton und Kaolin in Ungarn (als Ganzes oder in der konkret betroffenen Region) darstellt.

89.      Das bedeutet nicht zwingend, dass das Gesetz LVIII 2020 für sich genommen gegen das Unionsrecht verstößt. Ein Verweis in diesem Gesetz auf die Bestimmungen des Vertrags, die Abweichungen von den Grundfreiheiten des Marktes regeln und die der Minister einhalten muss(67), mag ausreichen. Das kann jedoch nur der Fall sein, wenn dieser Verweis eine für die Zwecke des ungarischen Rechts hinreichend klare Verpflichtung des Ministers enthält, in jedem einzelnen Überprüfungsbescheid darzulegen, warum eine bestimmte ausländische Direktinvestition eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung des Grundinteresses Ungarns darstellt. Da der erforderliche Grad der Genauigkeit, mit der diese Verpflichtung im Wortlaut der betreffenden Norm selbst auferlegt wird, meines Erachtens von der Rechtskultur eines konkreten Mitgliedstaats abhängt, handelt es sich dabei um eine Frage, die nur das vorlegende Gericht beurteilen kann.

2.      Verhältnismäßigkeit

90.      Nationale Rechtsvorschriften, die Überprüfungsmechanismen für ausländische Direktinvestitionen regeln, sollten auch die Verpflichtung vorsehen, dass jeder Überwachungsbescheid, der durch den Minister auf der Grundlage dieser Rechtsvorschriften ergeht, für den Schutz vor einer tatsächlichen Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft dieses Mitgliedstaats angemessen und erforderlich ist.

91.      In gleicher Weise wie bei dem Erfordernis, dass der Rechtfertigungsgrund selbst mit dem Vertrag in Einklang steht (vgl. Nr. 89 der vorliegenden Schlussanträge), könnte es ausreichen, dass nationale Rechtsvorschriften lediglich auf die Bestimmungen zur Freizügigkeit verweisen, die eine vollständige Verhältnismäßigkeitsprüfung der Beschränkungen dieser Freiheiten verlangen. Wichtig ist, dass diese Rechtsvorschriften den ausführenden nationalen Behörden die Verpflichtung auferlegen, darzulegen, warum die erlassene Maßnahme (wie im vorliegenden Fall die vorläufige Untersagung des Erwerbs eines EU-Unternehmens) verhältnismäßig ist.

92.      Die Prüfung, ob eine konkrete Maßnahme verhältnismäßig ist, ist Sache des vorlegenden Gerichts. Sollte das vorlegende Gericht mit anderen Worten der Auffassung sein, dass die Versorgung mit Sand, Kies, Ton und Kaolin ein Grundinteresse der ungarischen Gesellschaft darstellt, das tatsächlich gefährdet ist, sollte es weiter prüfen, ob die vorläufige Untersagung des Erwerbs von Janes durch die Antragstellerin dieser Gefährdung entgegenwirken würde. Der angefochtene Bescheid muss also zur Beseitigung der vorgetragenen Gefährdung angemessen und erforderlich sein.

93.      Ich werde mich auf die Feststellung beschränken, dass aus den Gerichtsakten nicht klar hervorgeht, wie das Verbot einer indirekten ausländischen Eigentümerschaft an Janes zur Sicherstellung der uneingeschränkten Versorgung lokaler Bauunternehmen mit Sand, Kies, Ton und Kaolin beiträgt. Wie auch der Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung zu bedenken gegeben hat, ist eine ungarische Gesellschaft in keiner Weise daran gehindert, das gesamte aus dem Steinbruch gewonnene Material an Unternehmen im Ausland zu verkaufen. Aber selbst wenn man unterstellt, dass der Zusammenhang mit dem erklärten Ziel in irgendeiner Weise hergestellt wäre, bleibt immer noch die (gleichfalls nicht geklärte) Frage, warum nicht stattdessen eine weniger restriktive Maßnahme, wie z. B. eine lokale Verteilungsquote zu Marktbedingungen, hätte getroffen werden können.

94.      Wie bereits dargelegt, ist es jedoch letztlich Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob der Minister die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der in Rede stehenden Maßnahme hinreichend begründet hat (was ich nicht erkennen kann).

IV.    Ergebnis

95.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 4 Abs. 2 EUV und Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV sowie die Verordnung (EU) 2019/452 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2019 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union

stehen einer nationalen Regelung, die die Überprüfung einer ausländischen Direktinvestition aus einem Drittstaat in eine EU-Gesellschaft, die durch eine andere EU-Gesellschaft ausgeführt wird, erlaubt, nicht entgegen, wenn diese Investition zu einer tatsächlichen Beteiligung der Drittstaatsgesellschaft an der Verwaltung oder Kontrolle der EU-Gesellschaft führt, in die sie investiert hat.

Eine solche nationale Regelung kann vorsehen, dass die Überprüfung eines Rechtsgeschäfts durch das Erfordernis gerechtfertigt ist, die Sicherheit der Versorgung mit bestimmten Rohstoffen zu gewährleisten.

Eine solche Regelung muss vorsehen, dass in den konkreten Überprüfungsbescheiden begründet wird, warum eine konkrete ausländische Direktinvestition eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der Versorgungssicherheit darstellt und warum ein konkreter Überprüfungsbescheid zur Behebung dieser Gefährdung angemessen und erforderlich ist.





































































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