URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)
13. November 2024(* )
„ Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldungen der Unionsbildmarken AESKUCARE Food Intolerance und AESKUCARE Allergy sowie der Unionswortmarke AESKUCARE – Ältere Unionswortmarke und ältere nationale Wortmarke AESCULAP – Relatives Eintragungshindernis – Beeinträchtigung der Wertschätzung – Art. 8 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2017/1001 – Anschlussklagen “
In den verbundenen Rechtssachen T‑64/23 bis T‑66/23,
Aesculap AG mit Sitz in Tuttlingen (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt K. Schmidt-Hern,
Klägerin,
gegen
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Ringelhann und T. Klee als Bevollmächtigte,
Beklagte,
andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht in den Rechtssachen T‑64/23 bis T‑66/23:
Aeneas GmbH & Co. KG mit Sitz in Wendelsheim (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwältin L. Ludwig und Rechtsanwalt I. Jung,
erlässt
DAS GERICHT (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov sowie der Richter G. De Baere (Berichterstatter) und D. Petrlík,
Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens, insbesondere der Entscheidung vom 20. März 2024, die Rechtssachen T‑64/23 bis T‑66/23 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer das Verfahren beendender Entscheidung zu verbinden,
auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2024
folgendes
Urteil
1 Mit ihren auf Art. 263 AEUV gestützten Klagen beantragt die Klägerin, die Aesculap AG, die teilweise Aufhebung der Entscheidungen der Zweiten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 12. November 2022 (Sache R 18/2022-2), vom 23. November 2022 (Sache R 20/2022-2) und vom 29. November 2022 (Sache R 21/2022-2) (im Folgenden: angefochtene Entscheidungen).
Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Die Streithelferin, die Aeneas GmbH & Co. KG, reichte beim EUIPO Anmeldungen von Unionsmarken ein:
– am 8. Februar 2018 (Rechtssache T‑65/23) für das Wortzeichen AESKUCARE;
– am 14. Juni 2018 (Rechtssache T‑66/23) für das folgende Bildzeichen:
– am 15. Juni 2018 (Rechtssache T‑64/23) für das folgende Bildzeichen:
3 Die Marken wurden für folgende Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 10, 42 und 44 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:
– Klasse 5: „Medizinische, chemische und biologische Testkits und Testreagenzien für medizinische Zwecke, soweit in Klasse 5 enthalten; Antiseren für diagnostische Zwecke; Chemische Reagenzien für medizinisch-diagnostische, medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke; Chemische Testreagenzien [medizinische oder veterinärmedizinische]; Chemische Testreagenzien [medizinische]; Diagnosepräparate für medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke; Diagnostikmittel; Diagnostikmittel für medizinische, pharmazeutische oder veterinärmedizinische Zwecke; Diagnostische Biomarker-Reagenzien für medizinische Zwecke; Diagnostische Prüfmaterialien für medizinische Zwecke; Diagnostische Reagenzien für medizinische Zwecke; Diagnostische Substanzen für medizinische Zwecke; Immunoassayreagenzien für medizinische oder medizinisch- diagnostische Zwecke; In-vitro-Diagnosepräparate für medizinische Zwecke; Indikatoren zur medizinischen Diagnose; Medizinisch-diagnostische Teststreifen; Medizinische Diagnose-Reagenzien und -Tests zur Überprüfung von Körperflüssigkeiten; Medizinisch-diagnostische Reagenzien; Präparate aus Mikroorganismen für medizinische oder tierärztliche Zwecke; Präparate zum Nachweis genetischer Veranlagungen für medizinische Zwecke; Präparate zum Nachweis von mutierten Prionengenen für medizinische Zwecke; Reagenzien für Analysen [für veterinärmedizinische Zwecke]; Reagenzien für Analysezwecke [für medizinisch-diagnostische, medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke]; Reagenzien für diagnostische Tests [für veterinärmedizinische Zwecke]; Reagenzien für die klinische Diagnostik; Reagenzien für In-vitro- Laboruntersuchungen für medizinische Zwecke; Reagenzien für In-vitro-Laborzwecke [für veterinärmedizinische Zwecke]; Reagenzien zur Blutgruppenbestimmung für medizinische Zwecke; Reagenzien zur Verwendung mit Analysegeräten für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke; Reagenzien zur Verwendung in Diagnosetests oder in Analysen für medizinische Zwecke; Reagenzien zur Verwendung mit Analysegeräten [für medizinisch diagnostische oder veterinärmedizinische Zwecke]; Reaktionsstoffe für die medizinische oder veterinärmedizinische Diagnose; Veterinärmedizinische Diagnosereagenzien; Klinisch-medizinische Reagenzien; Biologische Reagenzien für medizinische, medizinisch-diagnostische oder veterinärmedizinische Zwecke; Chemische Reagenzien für medizinische, medizinisch-diagnostische oder veterinärmedizinische Zwecke; Chemische Reagenzien für die Human- und Tiermedizin; Reagenzien für mikrobiologische Analysen für medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke; Genetische Identitätstests, bestehend aus Reagenzien für medizinische Zwecke; Reagenzien und Medien für medizinische und veterinärmedizinische Diagnosezwecke; Reagenzien für medizinische Zwecke; Reagenzien für medizinische oder veterinärmedizinische Gentests; Chemische Präparate zur Verwendung bei DNA-Analysen [medizinisch]; Chemische Präparate für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke; Blut für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke; Biologische Präparate für medizinische, medizinisch-diagnostische oder veterinärmedizinische Zwecke; Biologische Mischpräparate für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke; Blutplasma; Blutbestandteile; Blutproteinfraktionen; Enzyme für medizinische, medizinisch-diagnostische oder veterinärmedizinische Zwecke; Enzympräparate für medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke; Nebenprodukte der Getreideverarbeitung für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke; Nukleinsäuresequenzen für medizinisch-diagnostische, medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke“;
– Klasse 10: „Medizinische Apparate und Instrumente; Analysegeräte für medizinische Zwecke; Diagnosegeräte für medizinische Zwecke; Automatisierte Analysegeräte für Körperflüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch- diagnostische Zwecke]; Diagnose‑, Untersuchungs- und Überwachungsgeräte; Laserlichtzeiger für medizinische Zwecke; Laserstrahlinstrumente für medizinische Zwecke; Medizinische Geräte; Medizinische Geräte mit eingebautem Laser; Medizinische Diagnosegeräte; Medizinische und veterinärmedizinische Apparate und Instrumente; Apparate zur Durchführung diagnostischer Tests für medizinische Zwecke; Apparate zum Analysieren von Bildern [für medizinische Zwecke]; Apparate für DNA- und RNA-Untersuchungen für medizinische Zwecke; Apparate für die Analyse von Bakterien in biologischen Proben [für medizinische Zwecke]; Kapillarröhrchen für die Verteilung von Reagenzien; Becherhalter für Laborproben; Laborgeräte zur Übertragung von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Laborgeräte zum Mischen von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Laborgeräte zum Verabreichen von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Laborgeräte zur Verdünnung von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Laborgeräte für die Inkubation von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Medizinische oder immunologische Analysegeräte; Elektronische Analysegeräte für medizinische Zwecke; Fotometrische Analysegeräte für medizinische Zwecke; Automatische Analysegeräte für die medizinische Diagnostik; Medizinische Analysegeräte für die biochemische Zusammensetzung des Körpers; Analysegeräte zur Identifizierung von Bakterien für medizinische Zwecke; Physikalische Analysegeräte für medizinische Zwecke; Blutzentrifugierröhrchen [für medizinische Zwecke]; Blutfilter zur extrakorporalen Verwendung; Injektionsnadeln; Injektoren für Medikamente; Injektoren für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke; Laborgeräte zur Übertragung von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Laborgeräte zum Mischen von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Laborgeräte zum Verabreichen von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Laborgeräte zur Verdünnung von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Laborgeräte für die Inkubation von Flüssigkeiten [für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke]; Medizinische oder immunologische Analysegeräte; Elektronische Analysegeräte für medizinische Zwecke; Fotometrische Analysegeräte für medizinische Zwecke; Automatische Analysegeräte für die medizinische Diagnostik; Medizinische Analysegeräte für die biochemische Zusammensetzung des Körpers; Analysegeräte zur Identifizierung von Bakterien für medizinische Zwecke; Physikalische Analysegeräte für medizinische Zwecke; Blutzentrifugierröhrchen [für medizinische Zwecke]; Blutfilter zur extrakorporalen Verwendung; Injektionsnadeln; Injektoren für Medikamente; Injektoren für medizinische oder medizinisch-diagnostische Zwecke“;
– Klasse 42: „Dienstleistungen eines medizinischen Forschungslabors; Biologische Labordienste; Analytische Labordienstleistungen; Chemische Labordienstleistungen; Wissenschaftliche Labordienstleistungen; Dienstleistungen eines chemischen Labors; Dienstleistungen eines medizinischen Labors; Laborforschungsdienstleistungen in Bezug auf Pharmazeutika; Dienstleistungen eines chemischen und/oder biologischen Labors; Analytische Labordienstleistungen auf dem Gebiet der Bakteriologie; Labordienstleistungen in Bezug auf die Herstellung von Antikörpern; Wissenschaftliche Dienstleistungen eines veterinärmedizinischen Labors; Labordienstleistungen für analytische Tests; Dienstleistungen von chemischen Labors; Durchführung von Laboranalysen; Durchführung von Laboruntersuchungen; Beratungsdienstleistungen zu Laborversuchen; Laborforschung“;
– Klasse 44: „Dienstleistungen eines Arztes; medizinische Dienstleistungen; veterinärmedizinische Dienstleistungen; medizinische Analysen im Zusammenhang mit der Behandlung von Einzelnen; pharmazeutische Beratung; Beratungsdienste in Bezug auf medizinische Apparate und Instrumente; Zurverfügungstellen von Informationen in Bezug auf die Vermietung von medizinischen Maschinen und Apparaten; DNA-Tests für medizinische Zwecke; Medizinische Diagnostikdienstleistungen [Durchführung von Tests und Analysen]; Durchführung von medizinischen Tests im Zusammenhang mit der Diagnose und Behandlung von Krankheiten; Medizinische Dienstleistungen und Gesundheitspflege bezüglich DNS, Genetik und genetischen Tests; Pharmazeutische Beratung; Beratungen in der Pharmazie; Beratung zu medizinischen oder medizinisch-diagnostischen Instrumenten; Beratungen in Bezug auf Immunologie oder Autoimmunologie; Beratungs- und Informationsdienstleistungen zu medizinischen oder medizinisch-diagnostischen Produkten; Beratungen in Bezug auf medizinische oder medizinisch-diagnostische Dienstleistungen; Durchführen von medizinischen Analysen zur Diagnose von Krebs; Durchführen von medizinischen Analysen zur Diagnose von Autoimmunerkrankungen; Medizinische Labordienstleistungen für die Analyse von Blutproben von Patienten; Medizinische Labordienstleistungen für die Analyse von Proben von Patienten; Medizinische Analysen für die Diagnose und Behandlung von Menschen; Medizinische Analysedienstleistungen für die Diagnose und Prognose von Krebserkrankungen; Medizinische Analysedienstleistungen für die Diagnose und Prognose von Autoimmunerkrankungen; Medizinische Analysedienstleistungen in Zusammenhang mit der Behandlung von Patienten; Medizinische Analysedienstleistungen in Zusammenhang mit der Behandlung von Menschen; Durchführen von medizinischen Analysen durch ein medizinisches Labor bezüglich der Behandlung von Personen; Durchführung von RNA- und DNA-Analysen für die Diagnose und Prognose von Krebserkrankungen; Durchführung von RNA- und DNA-Analysen für die Diagnose und Prognose von Autoimmunerkrankungen.“
4 Die Klägerin legte am 6. August 2018 Widersprüche gegen die Eintragung der angemeldeten Marken für alle oben in Rn. 3 angeführten Waren und Dienstleistungen ein und stützte sich dabei auf die folgenden älteren Marken:
– die Unionswortmarke AESCULAP, angemeldet am 23. Oktober 2003 und eingetragen am 29. September 2005 unter der Nr. 3432382 u. a. für „Chirurgische, ärztliche, tierärztliche Instrumente, Apparate und Geräte; elektro-medizinische Geräte; Sterilisationsbehälter für medizinische Instrumente“ der Klasse 10 und Dienstleistungen der „Vermietung von medizinischen Geräten“ der Klasse 44;
– die deutsche Wortmarke AESCULAP, angemeldet am 6. Dezember 1921 und eingetragen am 17. Juni 1922 unter der Nr. 288011 u. a. für „Instrumente, Apparate und Geräte für Chirurgen und Medizin“ der Klasse 10.
5 Als Widerspruchsgründe wurden die Eintragungshindernisse nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b und Art. 8 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) angeführt.
6 Mit drei Entscheidungen vom 30. November 2021 gab die Widerspruchsabteilung den Widersprüchen auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 statt.
7 Am 4. Januar 2022 legte die Streithelferin gegen diese Entscheidungen der Widerspruchsabteilung beim EUIPO Beschwerden ein.
8 Mit den angefochtenen Entscheidungen hob die Zweite Beschwerdekammer zum einen in Bezug auf die Waren der Klasse 5 und die Dienstleistungen der Klassen 42 und 44 die Entscheidungen der Widerspruchsabteilung auf, wies die Widersprüche zurück, soweit sie auf Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 gestützt waren, und verwies die Sachen zur Prüfung der Widersprüche, soweit sie auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung gestützt waren, an die Widerspruchsabteilung zurück. Zum anderen wies die Beschwerdekammer hinsichtlich der Waren der Klasse 10 die Beschwerden gegen die Entscheidungen der Widerspruchsabteilung zurück und gab den Widersprüchen, soweit sie auf Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 gestützt waren, statt.
Anträge der Parteien
9 Die Klägerin beantragt,
– die angefochtenen Entscheidungen teilweise insoweit aufzuheben, als die Beschwerdekammer die Entscheidungen der Widerspruchsabteilung aufgehoben und die Widersprüche für die Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 zurückgewiesen hat;
– die Anschlussklagen abzuweisen;
– dem EUIPO die Kosten im Zusammenhang mit den Hauptklagen und der Streithelferin die Kosten für die Verfahren vor dem EUIPO sowie die Kosten im Zusammenhang mit den Anschlussklagen aufzuerlegen.
10 Das EUIPO beantragt,
– die Hauptklagen abzuweisen;
– die Anschlussklagen abzuweisen;
– im Fall der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung die Klägerin jeweils zur Tragung der Kosten im Zusammenhang mit den Hauptklagen und die Streithelferin zur Tragung der Kosten im Zusammenhang mit den Anschlussklagen zu verurteilen.
11 Die Streithelferin beantragt im Wesentlichen,
– die Hauptklagen abzuweisen;
– die angefochtenen Entscheidungen in dem Sinne teilweise aufzuheben, dass die Entscheidungen der Widerspruchsabteilung aufgehoben und die Widersprüche für die Waren der Klasse 10 zurückgewiesen werden;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
12 Die Klägerin, zur Stützung der Hauptklagen, und die Streithelferin, zur Stützung der Anschlussklagen, bringen im Wesentlichen einen einzigen Klagegrund vor, mit dem eine Verletzung von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 geltend gemacht wird.
13 Gemäß Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 ist auf Widerspruch des Inhabers einer eingetragenen älteren Marke im Sinne des Abs. 2 die angemeldete Marke auch dann von der Eintragung ausgeschlossen, wenn sie mit einer älteren Marke identisch ist oder dieser ähnlich ist, ungeachtet dessen, ob die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen werden soll, mit denen identisch oder denen ähnlich oder nicht ähnlich sind, für die eine ältere Marke eingetragen ist, wenn es sich im Falle einer älteren Unionsmarke um eine in der Union bekannte Marke und im Falle einer älteren nationalen Marke um eine in dem betreffenden Mitgliedstaat bekannte Marke handelt und die Benutzung der angemeldeten Marke die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der älteren Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde.
14 Aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 geht hervor, dass die Anwendung dieser Vorschrift von den folgenden kumulativen Voraussetzungen abhängt: erstens der Identität oder der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken, zweitens der Bekanntheit der älteren Marke, auf die der Widerspruch gestützt wird, und drittens der Gefahr, dass die Benutzung der angemeldeten Marke die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der älteren Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde (vgl. Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma, C‑564/16 P, EU:C:2018:509, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
15 Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst die Anschlussklagen zu prüfen.
Zu den Anschlussklagen
16 Die Streithelferin macht mit ihrem einzigen Klagegrund geltend, dass die Beschwerdekammer den Widersprüchen für die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 zu Unrecht stattgegeben habe. Sie erhebt vier Rügen. Diese stützt sie auf: erstens den mangelnden Nachweis der Bekanntheit der älteren Marken, zweitens die fehlende Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen, drittens das Fehlen einer gedanklichen Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken im Hinblick auf die Waren der Klasse 10 und viertens darauf, dass die Unterscheidungskraft der älteren Marken nicht beeinträchtigt werde und die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung dieser Marken nicht unlauter ausgenutzt würden.
Zur ersten Rüge: mangelnder Nachweis der Bekanntheit der älteren Marken
17 Die Streithelferin macht geltend, dass die Klägerin die Bekanntheit der älteren Marken sowohl in zeitlicher und als auch in sachlicher Hinsicht nicht nachgewiesen habe.
18 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Marke im Sinne des Unionsrechts bekannt, wenn sie einem wesentlichen Teil des Publikums, das von den durch sie erfassten Waren oder Dienstleistungen angesprochen wird, in einem wesentlichen Teil des relevanten Gebiets bekannt ist (vgl. Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma, C‑564/16 P, EU:C:2018:509, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
19 Im vorliegenden Fall geht aus den angefochtenen Entscheidungen hervor, dass der maßgebliche Zeitpunkt für den Nachweis der Bekanntheit der älteren Marken der Tag der Anmeldung der angegriffenen Marke ist, nämlich der 8. Februar 2018 für die Wortmarke AESKUCARE, der 14. Juni 2018 für die Bildmarke AESKUCARE Allergy und der 15. Juni 2018 für die Bildmarke AESKUCARE Food Intolerance.
20 Zum Nachweis der Bekanntheit der älteren Marken legte die Klägerin der Widerspruchsabteilung folgende Beweise vor: den Eintrag der Wikipedia-Enzyklopädie über die „Aesculap Werke“, datiert vom 17. Juli 2018, die Geschäftsberichte der Muttergesellschaft der Klägerin für die Jahre 2013 bis 2018, eine eidesstattliche Versicherung ihres Senior Vice President Global Marketing and Sales vom 5. Juli 2018, Pressemeldungen und fünf Online-Presseartikel aus den Jahren 2011 bis 2017, die GfK-Verkehrsbefragung zum Zeichen AESCULAP, durchgeführt im Januar und Februar 2011 (im Folgenden: Verkehrsbefragung), und die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des EUIPO vom 8. Oktober 2013 (Sache R 1775/2012-1) (im Folgenden: Entscheidung vom 8. Oktober 2013).
21 In den angefochtenen Entscheidungen ist die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die älteren Marken in Deutschland für chirurgische Instrumente oder Instrumente für Chirurgen eine durchschnittliche Bekanntheit hätten.
22 Als Erstes macht die Streithelferin geltend, die Beschwerdekammer sei in zeitlicher Hinsicht zu Recht davon ausgegangen, dass die Verkehrsbefragung, die mehr als sieben Jahre vor dem maßgeblichen Zeitpunkt durchgeführt worden sei, nur beschränkte Aussagekraft habe. Diese Verkehrsbefragung reiche nicht aus, um die Bekanntheit der älteren Marken zu belegen.
23 Die Streithelferin macht geltend, dass die Klägerin keine konkreten Angaben zum Umsatz unter der Marke AESCULAP oder zu dem sich auf diese beziehenden Marktanteil vorgelegt habe. Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen zum Umsatz und die Presseartikel nähmen auf sämtliche ihrer Tätigkeitsbereiche Bezug und beträfen nicht ausschließlich diese Marke. Der einzige relevante Nachweis für die Tätigkeit der Klägerin auf dem Markt unter der Marke AESCULAP sei die eidesstattliche Versicherung ihres Senior Vice President Global Marketing and Sales, die nur geringen Beweiswert habe und mangels Ergänzung durch andere Beweismittel nicht ausreiche. Zudem habe die Klägerin kein Beweismaterial zu den Investitionen vorgelegt, die zur Förderung dieser Marke getätigt worden seien.
24 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Vorliegen der Bekanntheit unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren des jeweiligen Falles zu beurteilen ist, also insbesondere des Marktanteils der Marke, der Intensität, der geografischen Ausdehnung und der Dauer ihrer Benutzung sowie des Umfangs der Investitionen, die das Unternehmen zu ihrer Förderung getätigt hat (vgl. Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma, C‑564/16 P, EU:C:2018:509, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
25 Da die vorstehende Aufzählung jedoch nur illustrativen Charakter hat, kann nicht verlangt werden, dass der Nachweis der Bekanntheit einer Marke sich auf alle diese Einzelheiten bezieht (vgl. Urteil vom 26. Juni 2019, Balani Balani u. a./EUIPO – Play Hawkers [HAWKERS], T‑651/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:444, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Was den Nachweis der Bekanntheit angeht, kann ein Bündel von Beweismitteln geeignet sein, die nachzuweisenden Tatsachen zu belegen, auch wenn jedes einzelne dieser Beweismittel für sich genommen nicht geeignet wäre, den Nachweis zu erbringen, dass diese Tatsachen zutreffen (vgl. Urteile vom 26. Juni 2019, HAWKERS, T‑651/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:444, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 28. April 2021, Linde Material Handling/EUIPO – Verti Aseguradora [VertiLight], T‑644/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:222, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 In den angefochtenen Entscheidungen hat die Beschwerdekammer zur Beurteilung der Bekanntheit der älteren Marken festgestellt, dass die im Januar und Februar 2011 durchgeführte Verkehrsbefragung nur eine beschränkte Aussagekraft für die Ermittlung der Verkehrsauffassung zum maßgeblichen Zeitpunkt, d. h. im Februar oder Juni 2018, habe. Aus den anderen vorgelegten Unterlagen gehe jedoch hervor, dass die Ergebnisse der Befragung noch zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich Geltung beansprucht hätten. Hierzu hat sie festgestellt, dass die Klägerin seit mehr als 100 Jahren auf dem Markt der Medizintechnik präsent sei, dass ihre Geschäftstätigkeit stabil auf hohem Niveau fortgesetzt worden sei, dass aus den Geschäftsberichten und einer eidesstattlichen Versicherung ihres Senior Vice President Global Marketing and Sales hervorgehe, dass bis 2018 in Deutschland anhaltend hohe Marktanteile nachgewiesen worden seien. Die Beschwerdekammer kam zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen eine durchschnittliche Bekanntheit der älteren Marken in Deutschland belegen könnten.
28 Aus den angefochtenen Entscheidungen geht hervor, dass sich die Beschwerdekammer für ihre Schlussfolgerung, dass die älteren Marken bekannt seien, auf ein Bündel von Beweismitteln gestützt hat.
29 Die Streithelferin kann daher nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Verkehrsbefragung in Anbetracht des Zeitpunkts, zu dem sie durchgeführt worden sei, nicht ausreiche, um die Bekanntheit der älteren Marken nachzuweisen, da die Klägerin weitere Beweismittel für die Benutzung ihrer Marke bis zum maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegt hat.
30 Insoweit kann sich die Streithelferin nicht auf das Urteil vom 16. März 2022, Laboratorios Ern/EUIPO – Nordesta (APIAL) (T‑315/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:141), stützen, da sich die Umstände dieser Rechtssache von denen des vorliegenden Falles unterscheiden. Aus Rn. 52 jenes Urteils geht nämlich hervor, dass die Klägerin in jener Rechtssache abgesehen von einer Marktstudie und der Bescheinigung einer Handelskammer, die acht Jahre vor dem maßgeblichen Zeitpunkt erstellt worden waren, keine anderen Beweismittel vorlegen konnte, die eine Fortdauer der Bekanntheit der älteren Marke zu diesem Zeitpunkt zu rechtfertigen vermochten.
31 Des Weiteren gehört zu den anderen von der Klägerin vorgelegten Beweismitteln die eidesstattliche Versicherung ihres Senior Vice President Global Marketing and Sales. Diese eidesstattliche Versicherung zeigt einen Anstieg des Umsatzes aus dem Verkauf der chirurgischen Instrumente der Marke AESCULAP in Deutschland zwischen 2011 und 2017 sowie des Marktanteils der Klägerin im Bereich chirurgischer Instrumente in Deutschland zwischen 2010 und 2017.
32 Nach der Rechtsprechung kann zwar einer Erklärung, wenn sie im Sinne von Art. 97 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung 2017/1001 von einem leitenden Mitarbeiter der betroffenen Partei erstellt wurde, nur dann ein Beweiswert zukommen, wenn sie durch andere Beweismittel gestützt wird (vgl. Urteil vom 22. Juni 2022, Puma/EUIPO – V. Fraas [FRAAS], T‑329/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:379, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
33 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin vorgelegte eidesstattliche Versicherung die anderen von der Beschwerdekammer berücksichtigten Beweismittel ergänzt, die u. a. belegen, dass die Klägerin bis 2018 noch auf dem Markt tätig war und ihr Umsatz gestiegen war. Diese eidesstattliche Versicherung ermöglicht in Verbindung mit diesen anderen Beweismitteln somit den Nachweis, dass sich der Umsatz und der Marktanteil der Marke AESCULAP in Deutschland bis zum maßgeblichen Zeitpunkt erhöht haben.
34 Daher kann die Streithelferin den Beweiswert der eidesstattlichen Versicherung nicht mit Erfolg damit in Frage stellen, dass diese Versicherung nicht durch andere Beweismittel zum Marktanteil untermauert werde.
35 Im Übrigen hat die Streithelferin als Anlage B.2 zu den Anschlussklagen ein Verzeichnis sämtlicher Marken vorgelegt, deren Inhaberin die Klägerin ist, um ihr Vorbringen zu stützen, dass sich deren Umsatzzahlen nicht nur auf die Verkäufe chirurgischer Instrumente unter der Marke AESCULAP bezögen. Das EUIPO wendet ein, dass diese Anlage, da sie im Verfahren vor dem EUIPO nicht vorgelegt worden sei, für unzulässig zu erklären sei. In der mündlichen Verhandlung hat die Streithelferin geltend gemacht, dass diese Anlage, auch wenn sie erstmals vor dem Gericht vorgelegt worden sei, dennoch zulässig sei, da sie die Markenregisterlage enthalte, die stets zu berücksichtigen sei.
36 Hierzu genügt die Feststellung, dass, selbst wenn die Anlage B.2 zulässig sein sollte, die in dieser Anlage enthaltene Liste der übrigen Marken der Klägerin nicht relevant ist, da sich oben aus Rn. 33 ergibt, dass anhand sämtlicher von der Klägerin vorgelegten Beweismittel der allein auf die Marke AESCULAP entfallende Marktanteil nachgewiesen werden konnte.
37 Was schließlich die Investitionen zur Förderung der Marke betrifft, geht aus der oben in den Rn. 24 und 25 angeführten Rechtsprechung hervor, dass es sich dabei nur um einen der maßgeblichen Faktoren für den Nachweis der Bekanntheit einer Marke handelt und dass es entgegen dem Vorbringen der Streithelferin nicht erforderlich war, hierfür einen Nachweis zu erbringen.
38 Als Zweites macht die Streithelferin geltend, dass die älteren Marken in sachlicher Hinsicht weder in Bezug auf chirurgische Instrumente noch im medizinischen Bereich bekannt seien. Die Personen, die im Rahmen der Verkehrsbefragung interviewt worden seien, stellten weder repräsentative Verkehrskreise für Waren im medizinischen Bereich noch für chirurgische Instrumente dar. Von den befragten Chirurgen seien diejenigen, die im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie tätig seien, überrepräsentiert gewesen, und anderes medizinisches Fachpublikum, das zu den maßgeblichen Verkehrskreisen gehöre, sei nicht befragt worden.
39 Erstens ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer festgestellt hat, dass die Bekanntheit der älteren Marken nur für chirurgische Instrumente und Instrumente für Chirurgen nachgewiesen worden sei.
40 Folglich ist das Vorbringen der Streithelferin, wonach zum einen die Bekanntheit „für den medizinischen Bereich“ nicht nachgewiesen worden sei und zum anderen die Verkehrsbefragung für „Waren aus dem medizinischen Bereich“ nicht repräsentativ gewesen sei, als ins Leere gehend zurückzuweisen.
41 Zweitens reicht die bloße Behauptung der Streithelferin, dass Chirurgen aus dem Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie im Rahmen der Verkehrsbefragung überrepräsentiert gewesen seien, nicht aus, um die Repräsentativität des als Stichprobe ausgewählten Kreises der Befragten, die allesamt Chirurgen waren, in Frage zu stellen.
42 Daher lässt sich anhand des Vorbringens der Streithelferin die Berücksichtigung der Verkehrsbefragung durch die Beschwerdekammer zum Nachweis der Bekanntheit der älteren Marken nicht in Frage stellen. Außerdem ist daran zu erinnern, dass die Bekanntheit der älteren Marken von der Beschwerdekammer nicht allein auf der Grundlage dieser Verkehrsbefragung, sondern anhand eines Bündels von Beweismitteln festgestellt wurde.
43 Somit kann die Streithelferin nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Klägerin die Bekanntheit der älteren Marken nicht nachgewiesen habe. Die erste Rüge ist daher zurückzuweisen.
Zur zweiten Rüge: fehlende Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen
44 Die Streithelferin macht geltend, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen unähnlich seien.
45 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Streithelferin nicht die Beurteilung der Beschwerdekammer beanstandet, wonach das Fachpublikum in Deutschland die für den Zeichenvergleich maßgeblichen Verkehrskreise darstelle.
46 In den angefochtenen Entscheidungen hat die Beschwerdekammer in Bezug auf das ältere Zeichen AESCULAP ausgeführt, dass es für das deutschsprachige Fachpublikum auf den antiken Gott der Heilkunde verweise. In Bezug auf die angemeldeten Zeichen ist sie davon ausgegangen, dass, was das Verständnis des Wortbestandteils „Aeskucare“ durch die deutschsprachigen Verkehrskreise angehe, das gebräuchliche englischsprachige Element „care“ auf „Pflege, Fürsorge“, insbesondere im Bereich der Gesundheit, hinweise und allenfalls eine geringe Kennzeichnungskraft genieße. Der Bestandteil „aesku“ werde von dem medizinischen Fachpublikum in Bezug auf medizinische Waren und Dienstleistungen als Hinweis auf Äskulap, den Gott der Heilkunde, verstanden, auch wenn diese Komponente nur einen Teil dieses Namens repräsentiere und im Deutschen keine Bedeutung habe.
47 Die Beschwerdekammer war der Auffassung, dass dem Wortbestandteil „Aeskucare“ der angemeldeten Bildzeichen AESKUCARE Food Intolerance und AESKUCARE Allergy normale Kennzeichnungskraft zukomme, da es insgesamt keine klar verständliche Bedeutung habe. Innerhalb dieses Elements und des Wortzeichens AESKUCARE verfüge der vordere Bestandteil „aesku“, auch wenn er ebenfalls kennzeichnungsschwach sei, als abgekürzte Wortform über ein stärkeres kennzeichnendes Gewicht als der Bestandteil „care“. Die übrigen Wort- und Bildbestandteile der angemeldeten Bildzeichen wiesen eine geringere Kennzeichnungskraft als der Wortbestandteil „Aeskucare“ auf. Die Beschwerdekammer kam zu dem Ergebnis, dass dem Wortbestandteil „Aeskucare“ aufgrund seiner sprachlichen Eigenprägung als Phantasiewort und seiner herausgehobenen Stellung in dem von den angemeldeten Bildzeichen hervorgerufenen Gesamteindruck das stärkste Gewicht zukomme.
48 Beim Vergleich der älteren Zeichen AESCULAP mit dem angemeldeten Wortzeichen AESKUCARE kam die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis, dass in bildlicher Hinsicht eine unterdurchschnittliche Ähnlichkeit bestehe, da sie fast gleich lang seien, in den Buchstaben „a“, „e“, „s“, „u“ und „a“ übereinstimmten und sich in ihren übrigen, gut sichtbaren Buchstaben am Ende der Zeichen unterschieden. In klanglicher Hinsicht zog sie die Schlussfolgerung, dass eine durchschnittliche Ähnlichkeit bestehe, da die ersten beiden Silben identisch und die letzte unterschiedlich sei. In begrifflicher Hinsicht gelangte sie zu dem Ergebnis, dass eine überdurchschnittliche Ähnlichkeit vorliege, da der Anfang des angemeldeten Zeichens „aesku“ von den maßgeblichen Verkehrskreisen als Hinweis auf den Gott Äskulap wahrgenommen werde und die begriffliche Übereinstimmung durch den kennzeichnungsschwachen Hinweis „care“ nur geringfügig relativiert werde.
49 Den Vergleich der älteren Zeichen AESCULAP mit den angemeldeten Bildzeichen AESKUCARE Food Intolerance und AESKUCARE Allergy hat die Beschwerdekammer in der gleichen Weise geprüft. Sie fügte zum einen hinzu, dass die übrigen Bestandteile der angemeldeten Zeichen in bildlicher Hinsicht in geringerem Maß zu berücksichtigen seien, und zum anderen, dass sie im Gesamteindruck nur eine nachrangige Bedeutung und keine wesentliche Auswirkung auf die begriffliche Ähnlichkeit hätten. Sie zog auch hier den Schluss, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen in bildlicher Hinsicht eine unterdurchschnittliche, in klanglicher Hinsicht eine durchschnittliche und in begrifflicher Hinsicht eine überdurchschnittliche Ähnlichkeit aufwiesen.
50 Die Streithelferin macht erstens geltend, dass sich die Zeichen in begrifflicher Hinsicht unterschieden. Die maßgeblichen Verkehrskreise würden das Zeichen AESCULAP, das im medizinischen Bereich als Bezeichnung eines Gottes bekannt sei, nicht in einzelne Bestandteile aufspalten. Der Begriff „Aeskucare“ sei eine zusammenhängende und vom Zeichen AESCULAP unabhängige Wortneuschöpfung, die vom Verkehr nicht in verschiedene Bestandteile aufgespalten werde, da er die Marken so wahrnehme, wie sie sich ihm darböten. Das Wort „care“ weise keinen medizinischen Bezug auf. Die angemeldeten Zeichen hätten keine Bedeutung, die maßgeblichen Verkehrskreise verstünden den Begriff „Aeskucare“ allenfalls als eine besondere Art der Sorgfalt, und der Begriff „Aesculap“ werde mit dem Gott der Heilkunde in Verbindung gebracht.
51 Es ist daran zu erinnern, dass der Durchschnittsverbraucher eine Marke zwar regelmäßig als Ganzes wahrnimmt und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achtet, er wird jedoch ein von ihm wahrgenommenes Wortzeichen in die Wortbestandteile zerlegen, die ihm eine konkrete Bedeutung vermitteln oder die ihm bekannten Wörtern ähnlich sind. Zudem wird der Verbraucher das Wortzeichen auch dann zerlegen, wenn ihm nur einer seiner Bestandteile vertraut ist (vgl. Urteil vom 21. Februar 2024, Hong Kong NetEase Interactive Entertainment/EUIPO – Medion [LifeAfter], T‑175/23, nicht veröffentlicht, EU:T:2024:109, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
52 Insoweit genügt der Hinweis, dass die Streithelferin nicht bestreitet, dass das Wort „care“ von den deutschsprachigen Verkehrskreisen so verstanden wird, dass es im Englischen „Pflege“ bedeutet. Sie kann daher nicht mit Erfolg geltend machen, dass dieses Wort angesichts der von den angemeldeten Zeichen erfassten Waren und Dienstleistungen keinen medizinischen Bezug aufweise. Dieses Argument steht außerdem im Widerspruch zur Behauptung der Streithelferin, der Begriff „Aeskucare“ werde allenfalls als eine besondere Art der Pflege verstanden.
53 Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Streithelferin nicht mit Erfolg geltend machen kann, dass der Begriff „Aeskucare“ eine zusammenhängende Wortneuschöpfung sei, die das Publikum nicht in verschiedene Bestandteile aufspalten werde, ohne zu erläutern, welche Bedeutung er haben solle. Außerdem steht dieses Argument im Widerspruch zu ihrer Behauptung, dass die angemeldeten Zeichen keine Bedeutung hätten.
54 Überdies schließt nach der oben in Rn. 51 angeführten Rechtsprechung und entgegen dem, was die Streithelferin offenbar geltend macht, die bloße Tatsache, dass ein Zeichen den Verbrauchern in einem einzigen Wort dargeboten wird, nicht aus, dass es in verschiedene Bestandteile, die für die Verbraucher eine Bedeutung hätten, aufgespalten werden könnte.
55 Die Beschwerdekammer ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass das medizinische Fachpublikum das Zeichen AESKUCARE in die beiden Bestandteile „aesku“ und „care“ aufspalten werde.
56 Darüber hinaus trägt die Streithelferin nichts vor, was sich gegen die Beurteilung der Beschwerdekammer richten würde, dass der Bestandteil „aesku“ von den maßgeblichen Verkehrskreisen in Bezug auf die von den angemeldeten Zeichen erfassten medizinischen Waren und Dienstleistungen als Bezugnahme auf Äskulap, den Gott der Heilkunde, verstanden werde.
57 Schließlich geht, da sich die Beschwerdekammer im Rahmen des begrifflichen Vergleichs auf die Bedeutung des Zeichens AESCULAP in seiner Gesamtheit gestützt hat, das Vorbringen der Streithelferin, dieses Zeichen werde nicht aufgespalten und allein auf den Begriff „aescu“ reduziert, ins Leere.
58 Daher trägt die Streithelferin nichts vor, was die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen aufgrund ihrer gemeinsamen Bezugnahme auf den griechischen Gott der Heilkunde in begrifflicher Hinsicht hochgradig ähnlich seien, in Frage stellen könnte.
59 Zweitens macht die Streithelferin zu den angemeldeten Bildzeichen AESKUCARE Food Intolerance und AESKUCARE Allergy geltend, dass ihre Bildbestandteile, die im medizinischen Bereich nicht beschreibend seien, und ihre Wortbestandteile „food intolerance“ und „allergy“ einen Unterschied zu den älteren Zeichen begründeten. Das angemeldete Wortzeichen AESKUCARE unterscheide sich hinsichtlich der Endbuchstaben von den älteren Zeichen, und die einander gegenüberstehenden Zeichen würden mit unterschiedlichen Betonungen ausgesprochen.
60 Es genügt die Feststellung, dass dieses Vorbringen nicht ausreicht, um die Beurteilungen der Beschwerdekammer in Frage zu stellen, die die Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen berücksichtigt hat, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass eine geringe Ähnlichkeit in bildlicher und eine mittlere Ähnlichkeit in klanglicher Hinsicht gegeben sei.
61 Daher ist die zweite Rüge zurückzuweisen.
Zur dritten Rüge: Fehlen einer gedanklichen Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken im Hinblick auf die Waren der Klasse 10
62 Die Streithelferin macht geltend, die maßgeblichen Verkehrskreise würden die einander gegenüberstehenden Marken gedanklich nicht miteinander in Verbindung bringen, da erstens die älteren Marken keine Kennzeichnungskraft hätten, zweitens keine Ähnlichkeit zwischen den von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 und den von den älteren Marken erfassten chirurgischen Instrumenten bestehe und drittens diese Verkehrskreise in bestimmter Weise zusammengesetzt seien.
63 Treten die in Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 genannten Beeinträchtigungen auf, sind sie die Folge eines bestimmten Grades der Ähnlichkeit zwischen der bekannten älteren und der angemeldeten Marke, aufgrund dessen die maßgeblichen Verkehrskreise einen Zusammenhang zwischen diesen Marken sehen, d. h. die beiden gedanklich miteinander verknüpfen, ohne sie jedoch zu verwechseln. Es ist daher nicht erforderlich, dass der Grad der Ähnlichkeit zwischen der bekannten älteren Marke und der angemeldeten Marke so hoch ist, dass für die maßgeblichen Verkehrskreise eine Verwechslungsgefahr besteht. Es reicht aus, dass der Grad der Ähnlichkeit zwischen der bekannten Marke und der angemeldeten Marke dazu führt, dass die maßgeblichen Verkehrskreise diese Marken gedanklich miteinander verknüpfen (vgl. Urteil vom 1. März 2018, Shoe Branding Europe/EUIPO – adidas [Position zweier paralleler Streifen auf einem Schuh], T‑629/16, EU:T:2018:108, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
64 Eine solche gedankliche Verknüpfung ist umfassend und unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des konkreten Falles zu beurteilen; als relevante Umstände gelten u. a. erstens die Art und der Grad der Nähe oder Unähnlichkeit der betreffenden Waren oder Dienstleistungen, zweitens der Grad der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken, drittens das Ausmaß der Bekanntheit der älteren Marke, viertens der Grad der der älteren Marke innewohnenden oder von ihr durch Benutzung erworbenen Unterscheidungskraft und gegebenenfalls fünftens das Bestehen einer Verwechslungsgefahr für die maßgeblichen Verkehrskreise (vgl. Urteil vom 1. März 2018, Position zweier paralleler Streifen auf einem Schuh, T‑629/16, EU:T:2018:108, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
65 Die Beschwerdekammer ist in den angefochtenen Entscheidungen zu dem Ergebnis gelangt, dass zwischen den einander gegenüberstehenden Marken für die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 eine gedankliche Verknüpfung bestehe.
66 Erstens seien die älteren Marken aufgrund intensiver Benutzung kennzeichnungsstark und genössen als durchschnittlich bekannte Marken Schutz.
67 Zweitens wiesen die einander gegenüberstehenden Zeichen in bildlicher Hinsicht eine unterdurchschnittliche, in klanglicher Hinsicht eine durchschnittliche und in begrifflicher Hinsicht eine überdurchschnittliche Ähnlichkeit auf.
68 Drittens könnten sämtliche von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen von denselben Verkehrskreisen verwendet oder bezogen werden wie die von den älteren Marken erfassten chirurgischen Instrumente oder Instrumente für Chirurgen. Insoweit könnten chirurgische Instrumente bzw. Instrumente für Chirurgen auch von Ärzten eingesetzt werden, die neben ihrer Tätigkeit im Bereich der Chirurgie das ganze Spektrum ärztlicher Aufgaben anböten, insbesondere ärztliche Beratung, Durchführung und Beauftragung von Untersuchungen, Analysen von Körpersubstanzen oder Durchführung von Therapien und der damit verbundenen Verschreibung von Medikamenten. Dieses qualitativ und quantitativ erhebliche Publikum könne sämtliche Waren und Dienstleistungen der Anmeldung entweder direkt nutzen, wesentlich die Auswahlentscheidung des Patienten vorwegnehmen oder zumindest stark beeinflussen. Eine Verknüpfung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken könne daher jedenfalls in Ansehung dieses Publikums nicht mit dem Argument verneint werden, dass die fraglichen Waren oder Dienstleistungen unterschiedliche Adressaten beträfen. Anders könnte es sich in Bezug auf Chirurgen oder Einkäufer verhalten, die in Krankenhäusern tätig seien.
69 Viertens hat die Beschwerdekammer darauf hingewiesen, dass die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 teilweise von den Begriffen „chirurgische Instrumente“ oder „Instrumente für Chirurgen“ umfasst sein könnten, die als Geräte bestimmt würden, die herkömmlich im Bereich der Chirurgie verwendet würden, oder eine begriffliche Überschneidung mit diesen aufweisen und damit identisch sein könnten. Im Übrigen wiesen die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 eine erhebliche Nähe zu chirurgischen Instrumenten auf, da es sich wie bei diesen um mechanische oder elektronische Apparate oder Instrumente handele, die dem Bereich der Medizintechnik angehörten, und da chirurgische Instrumente auch diagnostische Funktionen haben könnten.
70 Die Streithelferin macht als Erstes geltend, die maßgeblichen Verkehrskreise würden die einander gegenüberstehenden Marken nicht gedanklich in Verbindung bringen, da die älteren Marken nur über eine geringe originäre Kennzeichnungskraft verfügten. Da die älteren Marken als allgemeiner Hinweis auf die Medizin beschreibend seien, verfügten sie allenfalls über eine durch Benutzung leicht gesteigerte Kennzeichnungskraft, die auf chirurgische Instrumente beschränkt sei.
71 Bei der Beurteilung einer gedanklichen Verknüpfung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken verlangt die Rechtsprechung nicht, den Grad der originären Unterscheidungskraft einer älteren Marke und den Grad der von ihr durch Benutzung erworbenen Unterscheidungskraft zu berücksichtigen, sondern lediglich einen der beiden (vgl. Urteil vom 26. September 2018, Puma/EUIPO – Doosan Machine Tools [PUMA], T‑62/16, EU:T:2018:604, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).
72 Steht die Bekanntheit einer Marke fest, ist nach der Rechtsprechung für die Feststellung, dass die Marke Unterscheidungskraft besitzt, der Nachweis der originären Unterscheidungskraft der Marke nicht relevant. Einer älteren Marke kann nämlich nicht nur von Hause aus, sondern auch kraft Verkehrsgeltung eine besondere Kennzeichnungskraft zukommen, so dass, wenn eine Marke durch ihre Bekanntheit eine besondere Unterscheidungskraft erworben hat, das Vorbringen, die Marke besitze nur eine sehr geringe originäre Unterscheidungskraft, im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer Verknüpfung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken und folglich einer Beeinträchtigung im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 ins Leere geht (vgl. Urteil vom 1. März 2018, Position zweier paralleler Streifen auf einem Schuh, T‑629/16, EU:T:2018:108, Rn. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung).
73 Daraus ergibt sich, wie die Klägerin geltend macht, dass die Beschwerdekammer im Rahmen der Beurteilung der gedanklichen Verknüpfung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken von einer gesteigerten Unterscheidungskraft der älteren Marken aufgrund ihrer Bekanntheit ausgehen durfte, ohne ihre originäre Unterscheidungskraft zu berücksichtigen.
74 Außerdem beruht die Behauptung der Streithelferin, dass die älteren Marken allenfalls eine geringe Kennzeichnungskraft besäßen, die durch Benutzung auf chirurgische Instrumente beschränkt sei, auf der falschen Prämisse, dass die Bekanntheit der älteren Marken nicht nachgewiesen worden sei.
75 Daraus folgt, dass das Vorbringen der Streithelferin die Beurteilung der Beschwerdekammer nicht in Frage zu stellen vermag, wonach die älteren Marken als bekannte Marken kennzeichnungsstark seien.
76 Als Zweites macht die Streithelferin geltend, die Beschwerdekammer sei fälschlich davon ausgegangen, dass die von den angemeldeten Marken beanspruchten Waren der Klasse 10 und die von den älteren Marken beanspruchten chirurgischen Instrumente ähnlich seien, so dass der angesprochene Verkehr diese Marken miteinander gedanklich in Verbindung bringen könnte.
77 Die Streithelferin bringt vor, dass diese Waren keine Ähnlichkeit aufwiesen. Dass Waren derselben Klasse angehörten, reiche nicht aus, um sie als ähnlich anzusehen. Die von den angemeldeten Marken beanspruchten Waren seien spezifisch auf Laborbedarf ausgerichtet und daher chirurgischen Instrumenten nicht ähnlich. Obwohl die von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren im weiteren Sinne für den medizinischen Gebrauch bestimmt seien, hätten sie weder denselben Zweck, noch seien sie Instrumente, Geräte oder Apparate der gleichen Art, sie ergänzten sich weder, noch stünden sie miteinander im Wettbewerb und hätten nicht die gleichen Vertriebskanäle.
78 Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 „[a]uf Widerspruch des Inhabers einer eingetragenen älteren Marke im Sinne des Absatzes 2 … die angemeldete Marke auch dann von der Eintragung ausgeschlossen [ist], wenn sie mit einer älteren Marke identisch ist oder dieser ähnlich ist, ungeachtet dessen, ob die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen werden soll, mit denen identisch oder denen ähnlich oder nicht ähnlich sind, für die eine ältere Marke eingetragen ist“.
79 Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 verlangt nicht, dass die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen ähnlich sind, so dass zwischen zwei einander gegenüberstehenden Marken, die für unterschiedliche Dienstleistungen und Waren eingetragen sind, eine Verbindung bestehen könnte. Die Art der betreffenden Waren oder Dienstleistungen einschließlich des Grades ihrer Nähe oder ihrer Unähnlichkeit ist jedoch einer der Gesichtspunkte, anhand deren das Vorliegen einer gedanklichen Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken beurteilt werden kann (vgl. Urteil vom 28. April 2021, VertiLight, T‑644/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:222, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
80 In den angefochtenen Entscheidungen ist die Beschwerdekammer davon ausgegangen, dass zwischen den von den älteren Marken erfassten chirurgischen Instrumenten und den von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 ein hinreichender Grad an Nähe bestehe, um eine gedankliche Verbindung im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 herzustellen. Entgegen dem Vorbringen der Streithelferin ist sie hingegen nicht zu dem Ergebnis gelangt, dass zwischen ihnen eine Ähnlichkeit bestehe.
81 Zunächst geht oben aus Rn. 69 hervor, dass sich die Beschwerdekammer auf die Art und den Zweck dieser Waren gestützt hat und nicht, wie die Streithelferin geltend macht, allein auf die Tatsache, dass sie zur selben Klasse gehören.
82 Sodann hat sich die Beschwerdekammer nicht auf die Feststellung beschränkt, dass die von den älteren Marken erfassten chirurgischen Instrumente und die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 für den medizinischen Gebrauch bestimmt seien, sondern sie hat festgestellt, dass sie denselben Zweck verfolgen könnten, nämlich die Erstellung von Diagnosen.
83 Insoweit bestreitet die Streithelferin aber zum einen nicht die Feststellungen der Beschwerdekammer, wonach chirurgische Instrumente bzw. Instrumente für Chirurgen, die man „Operationsbesteck“ nenne, auch verschiedene medizinische Instrumente oder Diagnostikinstrumente umfassten und eine diagnostische Funktion haben könnten. Zum anderen weist sie darauf hin, dass die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 für Labore bestimmt seien und eine diagnostische Funktion hätten.
84 Entgegen dem Vorbringen der Streithelferin genügt schließlich die Feststellung, dass die von den älteren Marken erfassten Waren und die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 mechanische oder elektronische Instrumente oder Apparate sind, um sie als gleichartig anzusehen.
85 Daraus ergibt sich, dass die Beschwerdekammer, nachdem sie festgestellt hat, dass die von den älteren Marken erfassten chirurgischen Instrumente und die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 denselben Zweck hätten und von derselben Art seien, zu Recht davon ausgegangen ist, dass sie einen hinreichenden Grad an Nähe aufwiesen, um eine gedankliche Verbindung im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 herzustellen.
86 Insoweit vermag das Vorbringen der Streithelferin, diese Waren seien nicht ähnlich, weil sie sich nicht ergänzten, miteinander nicht im Wettbewerb stünden oder nicht dieselben Vertriebskanäle hätten, dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen.
87 Als Drittes macht die Streithelferin geltend, dass sich die von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren an gänzlich verschiedene Fachverkehrskreise richteten. Die Beschwerdekammer habe die Bekanntheit der älteren Marken im Hinblick auf Chirurgen beurteilt, aber auch darauf hingewiesen, dass die von diesen Marken angesprochenen Verkehrskreise aus Ärzten bestünden. Nach Ansicht der Streithelferin handelt es sich bei dem von den angemeldeten Marken angesprochenen Publikum ausschließlich um spezialisierte Labordiagnostiker und nicht um medizinisches Personal oder Tierärzte.
88 Wie oben in Rn. 68 ausgeführt, war die Beschwerdekammer der Ansicht, dass die von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren von denselben Verkehrskreisen, insbesondere von Ärzten, die neben ihrer Tätigkeit im Bereich der Chirurgie auch andere medizinische Tätigkeiten ausübten, wie etwa die Durchführung von Untersuchungen oder die Analyse von Körpersubstanzen, verwendet oder bezogen werden könnten.
89 Es genügt die Feststellung, dass die Streithelferin nicht bestreitet, dass Ärzte Diagnostiktätigkeiten durchführen können, die die Verwendung der von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 umfassen.
90 Außerdem lässt die weite Definition der Waren der Klasse 10 in der Anmeldung nicht die Annahme zu, dass sich diese auf Waren beschränkten, die allein in Labors verwendet würden.
91 Die Streithelferin hat somit nicht nachgewiesen, dass die von den einander gegenüberstehenden Marken angesprochenen Verkehrskreise verschieden seien.
92 Nach alledem ist das Vorbringen der Streithelferin nicht geeignet, die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer in Frage zu stellen, dass die maßgeblichen Verkehrskreise eine gedankliche Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken für die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 herstellen würden.
93 Folglich ist die dritte Rüge zurückzuweisen.
Zur vierten Rüge: keine Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft der älteren Marken und keine unlautere Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung dieser Marken
94 Die Streithelferin macht geltend, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die Tatbestandsmerkmale des Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 im vorliegenden Fall erfüllt seien. Die Klägerin habe weder eine Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft der älteren Marken noch eine unlautere Ausnutzung der Wertschätzung oder der Unterscheidungskraft dieser Marken nachgewiesen.
95 In den angefochtenen Entscheidungen hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass es in Bezug auf die von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 ausreichende Anhaltspunkte gebe, die eine unlautere Ausnutzung der älteren Marken durch die angemeldeten Marken besorgen ließen. Angesichts der Bekanntheit der älteren Marken liege es nahe, dass ein Nutzer der von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 in Bezug auf die hier fraglichen Waren im Bereich der Medizintechnik an die älteren Marken denken werde und dass dies aufgrund der Aufmerksamkeit der maßgeblichen Verkehrskreise und der Reputation der älteren Marken seine Kaufentscheidung beeinflusse. Zudem könne die Gefahr einer unlauteren Ausnutzung der Unterscheidungskraft der älteren Marken nicht ausgeschlossen werden und es bestünden keine Hinweise auf das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes.
96 Als Erstes macht die Streithelferin geltend, der Nachweis, dass die Benutzung der angemeldeten Marken die Unterscheidungskraft der älteren Marken beeinträchtigen würde, sei nicht erbracht worden. Sie betont auch, dass dieses Kriterium in den angefochtenen Entscheidungen nicht thematisiert worden sei.
97 Nach der Rechtsprechung stellt die Verknüpfung der einander gegenüberstehenden Marken durch die maßgeblichen Verkehrskreise eine notwendige Voraussetzung dar, die aber als solche nicht genügt, um daraus den Schluss zu ziehen, dass eine der Beeinträchtigungen gegeben ist, vor denen Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 bekannte Marken schützt. Diese Beeinträchtigungen sind erstens die Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft der Marke, zweitens die Beeinträchtigung der Wertschätzung dieser Marke und drittens das unlautere Ausnutzen der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung dieser Marke. Sofern kein rechtfertigender Grund für die Benutzung der angemeldeten Marke gegeben ist, genügt es für die Anwendbarkeit von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001, dass eine dieser drei Arten von Beeinträchtigungen vorliegt. Daraus folgt, dass sich der Vorteil, den ein Dritter aus der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der Marke zieht, als unlauter erweisen kann, auch wenn die Benutzung des identischen oder ähnlichen Zeichens weder die Unterscheidungskraft noch die Wertschätzung der Marke oder allgemeiner den Inhaber der Marke beeinträchtigt (vgl. Urteil vom 1. März 2018, Position zweier paralleler Streifen auf einem Schuh, T‑629/16, EU:T:2018:108, Rn. 35 bis 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
98 Da sich die Beschwerdekammer ausschließlich auf das Vorliegen einer unlauteren Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der älteren Marken gestützt hat, geht das Vorbringen der Streithelferin zum Nachweis einer fehlenden Beeinträchtigung ihrer Unterscheidungskraft ins Leere.
99 Zur Stützung dieses Vorbringens hat die Streithelferin im Übrigen die Anlagen B.3 und B.4 vorgelegt, die die Verwendung des Äskulapstabs und des Wortes „Äskulap“ im pharmazeutischen Bereich betreffen.
100 Das EUIPO wendet ein, dass diese Anlagen Dokumente enthielten, die nicht im Rahmen des Verfahrens vor dem EUIPO eingereicht worden seien; sie seien daher unzulässig.
101 In der mündlichen Verhandlung hat die Streithelferin vorgetragen, dass die Anlagen B.3 und B.4 auch dann zulässig seien, wenn sie erstmals vor dem Gericht vorgelegt worden seien, da sie Argumente stützten, die eine Erweiterung von Feststellungen darstellten, die auf allgemein bekannten Tatsachen beruhten.
102 Es genügt die Feststellung, dass die Anlagen B.3 und B.4 zur Stützung von Argumenten, die eine fehlende Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft der älteren Marken nachweisen sollen und die oben in Rn. 98 als ins Leere gehend zurückgewiesen worden sind, jedenfalls nicht relevant sind.
103 Als Zweites macht die Streithelferin geltend, das Vorliegen einer unlauteren Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der älteren Marken sei nicht nachgewiesen worden.
104 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff der unlauteren Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der älteren Marke, der auch als „parasitäres Verhalten“ und „Trittbrettfahren“ bezeichnet wird, nicht mit der Beeinträchtigung der Marke, sondern mit dem Vorteil verknüpft, der mit der Benutzung der identischen oder ähnlichen angemeldeten Marke verbunden ist. Er umfasst insbesondere die Fälle, in denen aufgrund der Übertragung des Images der bekannten Marke oder der durch sie vermittelten Merkmale auf die mit der angemeldeten Marke gekennzeichneten Waren eine eindeutige Ausnutzung der Sogwirkung der bekannten Marke gegeben ist (vgl. Urteil vom 1. März 2018, Position zweier paralleler Streifen auf einem Schuh, T‑629/16, EU:T:2018:108, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
105 Versucht daher ein Dritter, sich durch die Benutzung einer Marke, die einer bekannten Marke ähnelt, in den Bereich der Sogwirkung dieser Marke zu begeben, um von ihrer Anziehungskraft, ihrem Ruf und ihrem Ansehen zu profitieren, und, ohne jede finanzielle Gegenleistung und ohne dafür eigene Anstrengungen machen zu müssen, die wirtschaftlichen Anstrengungen des Inhabers der älteren Marke zur Schaffung und Aufrechterhaltung des Images dieser Marke auszunutzen, ist der sich aus dieser Benutzung ergebende Vorteil als unlautere Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der Marke anzusehen (vgl. Urteil vom 1. März 2018, Position zweier paralleler Streifen auf einem Schuh, T‑629/16, EU:T:2018:108, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
106 Folglich kann die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung insbesondere dann bejaht werden, wenn bewiesen wird, dass die angemeldete Marke mit den positiven Eigenschaften der identischen oder ähnlichen älteren Marke gedanklich verbunden wird (vgl. Urteil vom 1. März 2018, Position zweier paralleler Streifen auf einem Schuh, T‑629/16, EU:T:2018:108, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
107 Gleichwohl ist zur Feststellung, ob in einem konkreten Fall die ohne rechtfertigenden Grund erfolgende Benutzung der angemeldeten Marke die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der älteren Marke in unlauterer Weise ausnutzen würde, eine umfassende Beurteilung vorzunehmen, die alle relevanten Umstände des konkreten Falles berücksichtigen muss. Zu diesen Umständen zählen insbesondere das Ausmaß der Bekanntheit und der Grad der Unterscheidungskraft der älteren Marke, der Grad der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken sowie die Art der betroffenen Waren und Dienstleistungen und der Grad ihrer Nähe (vgl. Urteil vom 1. März 2018, Position zweier paralleler Streifen auf einem Schuh, T‑629/16, EU:T:2018:108, Rn. 46 bis 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
108 Erstens bringt die Streithelferin vor, ihr könne nicht der Vorwurf gemacht werden, sie hätte sich vorsätzlich in die Sogwirkung der älteren Marken begeben. Sie sei bereits seit Jahrzehnten auf dem Labordiagnostikmarkt tätig und habe sich durch Innovationen in diesem Bereich mit eigenen Mitteln einen Ruf aufgebaut.
109 In der mündlichen Verhandlung hat die Streithelferin hinzugefügt, dass sie seit Jahrzehnten die Marke AESKU benutze und dass diese Marke und die älteren Marken auf dem medizinischen Markt koexistierten.
110 Nach der oben in den Rn. 104 und 105 angeführten Rechtsprechung setzt das Vorliegen einer unlauteren Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der älteren Marken voraus, dass die Streithelferin versucht, sich durch die Benutzung der angemeldeten Marken in die Sogwirkung dieser Marken zu begeben.
111 Es genügt die Feststellung, dass das Vorbringen der Streithelferin nur ihren Ruf als Unternehmen und die Benutzung einer Marke betrifft, die sich von den angemeldeten Marken unterscheidet. Dieses Vorbringen betrifft nicht die tatsächliche oder potenzielle Benutzung der für die Waren der Klasse 10 angemeldeten Marken. Es reicht somit nicht für den Nachweis aus, dass die Streithelferin mit der Benutzung der angemeldeten Marken nicht versucht habe, sich in die Sogwirkung der älteren Marken zu begeben.
112 Zweitens macht die Streithelferin geltend, dass die für den Nachweis der Ausnutzung der Wertschätzung oder der Unterscheidungskraft der älteren Marken erforderlichen Indizien nicht vorlägen. Das Vorliegen einer unlauteren Ausnutzung setze einen Imagetransfer von der älteren Marke auf die angemeldete Marke voraus, so dass das ältere Zeichen bei den durch das angemeldete Zeichen angesprochenen Verkehrskreisen bekannt sein müsse. Die durch die von den angemeldeten Marken erfassten spezifischen Labordiagnostikwaren angesprochenen Verkehrskreise würden die älteren Marken nicht kennen und sie assoziierten den Begriff „Aesculap“ mit dem Gott der Heilkunde. Das Vorliegen einer unlauteren Ausnutzung sei ausgeschlossen, weil die älteren Marken geringe Unterscheidungskraft genössen, die von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren sich unähnlich seien und die einander gegenüberstehenden Zeichen sich unähnlich seien.
113 Aus der Prüfung der zweiten und der dritten Rüge ergibt sich, dass das Vorbringen der Streithelferin zur fehlenden Unterscheidungskraft der älteren Marken, zur fehlenden Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen, zur fehlenden Ähnlichkeit zwischen den von den angemeldeten Marken erfassten Waren der Klasse 10 und den von den älteren Marken erfassten Waren sowie zu den von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten unterschiedlichen Verkehrskreisen zurückgewiesen worden ist.
114 Im Übrigen hat die Streithelferin zur Stützung ihres Vorbringens, sie genieße auf dem Labordiagnostikmarkt einen Ruf, die Anlagen B.5 bis B.8 vorgelegt, die sich auf verschiedene Innovationspreise und Unternehmenspreise, die sie erhalten hat, beziehen.
115 Das EUIPO macht geltend, dass diese Anlagen Dokumente enthielten, die nicht im Rahmen des Verfahrens vor dem EUIPO eingereicht worden seien; sie seien daher unzulässig.
116 In der mündlichen Verhandlung hat die Streithelferin vorgetragen, dass die Anlagen B.5 bis B.8, auch wenn sie erstmals vor dem Gericht eingereicht worden seien, gleichwohl zulässig seien, da sie Tatsachen beträfen, die bereits in den angefochtenen Entscheidungen erwähnt worden seien.
117 Es genügt die Feststellung, dass die Anlagen B.5 bis B.8 zur Stützung von Argumenten, die oben in Rn. 111 als ins Leere gehend zurückgewiesen worden sind, somit jedenfalls nicht relevant sind.
118 Daher ist die vierte Rüge zurückzuweisen.
119 Nach alledem sind die Anschlussklagen abzuweisen.
Zu den Hauptk lagen
120 Mit ihrem einzigen Klagegrund trägt die Klägerin vor, die Beschwerdekammer habe zu Unrecht die Widersprüche für die Waren der Klasse 5 und die Dienstleistungen der Klassen 42 und 44 zurückgewiesen. Sie erhebt im Wesentlichen vier Rügen. Diese stützt sie auf erstens die überragende Bekanntheit der älteren Marken, zweitens die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen, drittens eine gedankliche Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken im Hinblick auf die Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 und viertens eine unlautere Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der älteren Marken.
Zur ersten Rüge: „überragende“ Bekanntheit der älteren Marken
121 Die Klägerin beanstandet im Wesentlichen die Beurteilung der Beschwerdekammer, dass die älteren Marken in Deutschland für chirurgische Instrumente und Instrumente für Chirurgen lediglich durchschnittliche Bekanntheit hätten.
122 Als Erstes macht die Klägerin geltend, sie habe zur Stützung ihrer Widersprüche verschiedene Beweismittel vorgelegt, darunter die Entscheidung vom 8. Oktober 2013, mit der die „sehr große Bekanntheit“ der Marke AESCULAP für chirurgische Instrumente im Hinblick auf die Verkehrsbefragung festgestellt worden sei. Sie habe sich in ihren am 17. Dezember 2020 bei der Widerspruchsabteilung eingereichten Widerspruchsbegründungen ausdrücklich auf diese Entscheidung bezogen. Die Beschwerdekammer habe diese Entscheidung jedoch unter Verstoß gegen die sich aus dem Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma (C‑564/16 P, EU:C:2018:509), ergebende Rechtsprechung nicht berücksichtigt, nach der sie verpflichtet sei, eine Beurteilung, die von früheren Entscheidungen des EUIPO zur Bekanntheit derselben Marke wie der vor ihr geltend gemachten abweiche, ausdrücklich zu begründen.
123 Es ist darauf hinzuweisen, dass das EUIPO nach den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet ist, die Entscheidungen, die es bereits zu ähnlichen Anmeldungen erlassen hat, zu berücksichtigen und besonderes Augenmerk auf die Frage zu richten, ob im gleichen Sinne zu entscheiden ist oder nicht, wobei das Gebot rechtmäßigen Handelns zu beachten ist. Diese Verpflichtung besteht sowohl in Verfahren zu einem absoluten Eintragungshindernis als auch in solchen zu einem relativen Eintragungshindernis (Urteil vom 6. Juli 2022, ALO jewelry CZ/EUIPO – Cartier International [ALOve], T‑288/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:420, Rn. 33; vgl. auch in diesem Sinne Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma, C‑564/16 P, EU:C:2018:509, Rn. 60 bis 63).
124 Das Recht auf eine gute Verwaltung nach Art. 41 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union umfasst insbesondere die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen. Diese Verpflichtung, die sich auch aus Art. 94 der Verordnung 2017/1001 ableitet, dient dem doppelten Zweck, zum einen die Beteiligten über die Gründe für die erlassene Maßnahme zu unterrichten, damit sie ihre Rechte verteidigen können, und zum anderen dem Unionsrichter die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der betreffenden Entscheidung zu ermöglichen. Im Übrigen hat diese Verpflichtung denselben Umfang wie jene, die sich aus Art. 296 Abs. 2 AEUV ergibt, der verlangt, dass die Begründung die Überlegungen des Urhebers des Rechtsakts klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, aber nicht alle tatsächlichen oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte benennen muss, wobei die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts diesen Erfordernissen genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts, sondern auch anhand ihres Kontexts und sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet zu beurteilen ist (vgl. Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma, C‑564/16 P, EU:C:2018:509, Rn. 64 und 65 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
125 Nach alledem müssen die Dienststellen des EUIPO, wenn sich ein Widersprechender vor der Widerspruchsabteilung als Nachweis für die Bekanntheit im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 der zur Stützung seines Widerspruchs geltend gemachten älteren Marke auf frühere Entscheidungen des EUIPO zur Bekanntheit derselben Marke beruft, die bereits von ihnen erlassenen Entscheidungen berücksichtigen und besonderes Augenmerk auf die Frage richten, ob im gleichen Sinne zu entscheiden ist oder nicht. Wenn sich diese Dienststellen für eine andere Beurteilung als die in solchen früheren Entscheidungen vorgenommene entschließen, obliegt es ihnen unter Berücksichtigung des Kontexts, in dem sie ihre neue Entscheidung erlassen, wobei die Geltendmachung solcher früheren Entscheidungen Teil dieses Kontexts ist, diese Abweichung von diesen Entscheidungen ausdrücklich zu begründen (Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma, C‑564/16 P, EU:C:2018:509, Rn. 66).
126 Es steht dem Widersprechenden grundsätzlich frei, die Form des Nachweises zu wählen, dessen Vorlage beim EUIPO er für zweckdienlich erachtet. Daher spricht nichts dagegen, in einem solchen Kontext als Beweise zur Stützung der Bekanntheit einer älteren Marke frühere Entscheidungen des EUIPO, mit denen das Vorliegen einer solchen Bekanntheit im Rahmen von anderen Inter-partes -Verfahren festgestellt wurde, geltend zu machen, insbesondere wenn sie genau bezeichnet werden und ihr wesentlicher Inhalt in der Widerspruchsschrift in der Sprache des Widerspruchsverfahrens dargelegt wird (Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma, C‑564/16 P, EU:C:2018:509, Rn. 69).
127 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass zu den von der Klägerin vor der Widerspruchsabteilung vorgelegten Nachweisen für die Bekanntheit der älteren Marken die Entscheidung vom 8. Oktober 2013 gehört. In dieser Sache war für die Beurteilung der Bekanntheit der älteren Unionsmarke AESCULAP der 15. Oktober 2010 maßgeblich. Die Erste Beschwerdekammer war der Ansicht gewesen, dass die meisten der zahlreichen von der Klägerin zum Nachweis der Bekanntheit dieser Marke vorgelegten Dokumente nicht relevant seien. Sie hatte jedoch die Auffassung vertreten, dass die Bekanntheit der Unionsmarke AESCULAP nachgewiesen sei und sich hauptsächlich aus der Verkehrsbefragung ergebe, die eine sehr große Bekanntheit dieser Marke bei den maßgeblichen Fachverkehrskreisen belege.
128 Wie die Klägerin ausführt, berief sie sich in ihren Schriftsätzen, in denen sie am 17. Dezember 2020 die Gründe für den Widerspruch vor der Widerspruchsabteilung darlegte, ausdrücklich auf die Passage der Entscheidung vom 8. Oktober 2013, wonach die ältere Unionsmarke AESCULAP eine „sehr große Bekanntheit“ genieße.
129 Außerdem stellte die Widerspruchsabteilung in ihren Entscheidungen vom 30. November 2021 fest, dass die vorgelegten Beweise eine lange und intensive Benutzung der älteren Marke belegten und dass die Unterlagen zu den Umsätzen und Marktanteilen sowie die Bezugnahmen auf den Erfolg dieser Marke in den Presseartikeln Hinweise auf den hohen Bekanntheitsgrad der Marke bei den maßgeblichen Verkehrskreisen seien.
130 In den angefochtenen Entscheidungen hat die Beschwerdekammer ausgeführt, dass die Widerspruchsabteilung ohne Rechtsfehler die Verkehrsbefragung herangezogen habe, und im Hinblick darauf einmalig die Entscheidung vom 8. Oktober 2013 erwähnt.
131 Wie die Klägerin ausführt, erwähnt die Beschwerdekammer jedoch nicht, dass in der Entscheidung vom 8. Oktober 2013 die Bekanntheit der älteren Unionsmarke AESCULAP auf der Grundlage derselben Verkehrsbefragung als sehr hoch eingestuft worden war.
132 Zwar darf nicht außer Acht gelassen werden, dass zwischen der Durchführung der Verkehrsbefragung im Januar und Februar 2011 und dem für die Beurteilung der Bekanntheit der älteren Marken maßgeblichen Zeitpunkt ein Zeitraum von sieben Jahren verstrichen ist. Wie die Klägerin geltend macht, hat sie der Widerspruchsabteilung jedoch weitere Beweismittel vorgelegt, um die Ergebnisse der Verkehrsbefragung in Bezug auf die Benutzung der Marke AESCULAP seit 100 Jahren, die Umsätze und die Marktanteile zu ergänzen.
133 Hierzu hat die Beschwerdekammer in den angefochtenen Entscheidungen ausgeführt, dass die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt seit über 100 Jahren im Bereich der Medizintechnik präsent gewesen sei und dass belegt worden sei, dass die Geschäftstätigkeit stabil auf hohem Niveau fortgesetzt worden sei. Aus den als Anlage vorgelegten Geschäftsberichten und der eidesstattlichen Versicherung des Senior Vice President Global Marketing and Sales der Klägerin gehe hervor, dass bis 2018 für Deutschland anhaltend hohe Umsätze und Marktanteile dokumentiert worden seien.
134 Unter Berücksichtigung dieser Umstände hätte die Beschwerdekammer, um den oben in Rn. 125 genannten Anforderungen an die Begründung zu genügen, erläutern müssen, aus welchem Grund sie der Ansicht sei, dass die Bekanntheit der älteren Unionsmarke von „sehr hoch“ im Jahr 2010, wie dies in der Entscheidung vom 8. Oktober 2013 festgestellt worden war, auf nur „durchschnittlich“ im Jahr 2018 gesunken sei.
135 Insoweit hat das EUIPO in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die Beschwerdekammer das Urteil vom 28. Juni 2018, EUIPO/Puma (C‑564/16 P, EU:C:2018:509), weder ausdrücklich zitiert noch erläutert habe, aus welchem Grund sie von der Entscheidung vom 8. Oktober 2013 abgewichen sei. Entgegen dem Vorbringen des EUIPO kann es nicht als ausdrückliche Begründung für die unterschiedliche Beurteilung der Bekanntheit der älteren Marken gegenüber derjenigen in der Entscheidung vom 8. Oktober 2013 angesehen werden, dass in den angefochtenen Entscheidungen das Urteil des Landgerichts Mannheim (Deutschland) vom 19. August 2021 zur Bekanntheit des Wortes „Aesculap“ bloß erwähnt wird.
136 Daraus folgt, dass die Beschwerdekammer mangels jeglicher Erläuterung in den angefochtenen Entscheidungen, die eine andere Beurteilung des Ausmaßes der Bekanntheit der älteren Marken als in der Entscheidung vom 8. Oktober 2013 rechtfertigen könnte, ihre Begründungspflicht verletzt hat.
137 Als Zweites macht die Klägerin geltend, das Ergebnis der Verkehrsbefragung, wonach 88 % der Befragten geantwortet hätten, dass sich das Wort „Aesculap“ auf ein bestimmtes Unternehmen beziehe, belege einen sehr hohen Bekanntheitsgrad der älteren Marken. Die Beschwerdekammer habe von diesem Ergebnis auf der Grundlage zweier Einwände, die weder nachvollziehbar noch begründet seien und sich zum einen auf die geringe Beteiligung an der Verkehrsbefragung und zum anderen auf den Zusammenhang zwischen den befragten in der Klinik arbeitenden Chirurgen und den befragten niedergelassenen Chirurgen bezögen, einen Abschlag abgezogen.
138 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidungen des EUIPO gemäß der oben in Rn. 124 angeführten Rechtsprechung zu begründen sind.
139 Zudem stellt ein Widerspruch in der Begründung einer Entscheidung eine Verletzung der Begründungspflicht nach Art. 94 der Verordnung 2017/1001 dar, die die Gültigkeit der betreffenden Handlung beeinträchtigen kann, wenn nachgewiesen wird, dass der Adressat der Handlung infolge dieses Widerspruchs die wirklichen Gründe der Entscheidung insgesamt oder zum Teil nicht erkennen konnte und infolgedessen dem verfügenden Teil der Entscheidung ganz oder teilweise die rechtliche Grundlage fehlt (vgl. Urteil vom 28. Oktober 2009, BCS/HABM – Deere [Kombination der Farben Grün und Gelb], T‑137/08, EU:T:2009:417, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).
140 Erstens hat die Beschwerdekammer in den angefochtenen Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass von dem aus der Verkehrsbefragung resultierenden Zuordnungsgrad in Höhe von 88 % an ein bestimmtes Unternehmen ein Abschlag vorzunehmen sei. Wie die Klägerin geltend macht und das EUIPO in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, hat die Beschwerdekammer jedoch nicht erläutert, in welcher Weise sie auf der Grundlage eines nicht näher bezifferten Abschlags zu dem Schluss gelangt ist, dass ein solcher besonders hoher Zuordnungsgrad zur Feststellung einer nur „durchschnittlichen“ Bekanntheit führen würde.
141 Zweitens hat die Beschwerdekammer zum einen festgestellt, dass die Teilnehmer an der Verkehrsbefragung, d. h. Chirurgen in Krankenhäusern oder niedergelassene Chirurgen, repräsentativ ausgewählt worden seien, und dass die Beteiligung, auch wenn sie gering sei, in Anbetracht des Ergebnisses auf eine klare Tendenz, nämlich einen Zuordnungsgrad von 88 %, hinweise. Außerdem sei die Gruppe der Teilnehmer an der Verkehrsbefragung, nämlich im Wesentlichen Chirurgen, relativ homogen, so dass die Aussagen verallgemeinert werden könnten. Zum anderen hat sie die Vornahme eines Abschlags vom Ergebnis der Befragung mit der Begründung gerechtfertigt, dass bei geringerer Teilnahme eine größere Fehleranfälligkeit bestehe, und damit, dass die Umfrage vor allem Chirurgen in Kliniken und weniger niedergelassene Chirurgen betroffen habe.
142 Daraus ergibt sich, dass die Erwägungen der Beschwerdekammer zur Repräsentativität der an der Befragung Beteiligten widersprüchlich sind.
143 Einerseits war sie nämlich der Ansicht, dass die Befragung repräsentativ sei und die Ergebnisse verallgemeinert werden könnten, und andererseits, dass ein Abschlag wegen der geringen Beteiligung an der Befragung gerechtfertigt sei. Ebenso hat sie zwar darauf hingewiesen, dass die an der Verkehrsbefragung teilnehmenden Chirurgen aufgrund der Ähnlichkeit der Ausbildungen und der beruflichen Praxis eine relativ homogene Gruppe bildeten, aber einen Abschlag vom Ergebnis der Befragung mit der Begründung vorgenommen, dass sie vor allem Chirurgen in Krankenhäusern betreffe.
144 Außerdem hat die Beschwerdekammer, wie die Klägerin ausführt, nicht begründet, warum die Bekanntheit der älteren Marke AESCULAP bei Chirurgen unterschiedlich sein soll, je nachdem, ob diese niedergelassen sind oder in einer Klinik arbeiten.
145 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer nicht erläutert hat, aus welchem Grund die Repräsentativität der Teilnehmer an der Verkehrsbefragung einen Abschlag zum maßgeblichen Zeitpunkt rechtfertige, obwohl diese Repräsentativität in der Entscheidung vom 8. Oktober 2013 nicht in Frage gestellt worden war und diese Befragung die Beschwerdekammer zu der Schlussfolgerung einer sehr hohen Bekanntheit der älteren Marke AESCULAP veranlasst hatte.
146 Folglich ist, wie die Klägerin vorbringt, den Erwägungen der Beschwerdekammer zur Beurteilung der Verkehrsbefragung nicht zu entnehmen, aus welchem Grund sie vom Ergebnis dieser Umfrage einen Abschlag vorgenommen hat.
147 Als Drittes macht die Klägerin insbesondere geltend, dass die Beurteilungen der Beschwerdekammer, wonach zum einen das Wort „Aesculap“ in Deutschland als Symbol für Heilkunde bekannt sei und zum anderen das Zeichen AESCULAP nur schwache originäre Kennzeichnungskraft besitze, irrelevant seien.
148 Aus den angefochtenen Entscheidungen geht hervor, dass die Beschwerdekammer in Anbetracht der Schwächen der Verkehrsbefragung und der Umstände des vorliegenden Falles zu dem Schluss gelangt ist, dass die älteren Marken zum maßgeblichen Zeitpunkt nur eine durchschnittliche Bekanntheit genössen. Insoweit hat sie darauf hingewiesen, dass das Wort „Aesculap“ zu diesem Zeitpunkt in Deutschland als Symbol für Heilkunde und den ärztlichen und pharmazeutischen Stand hohe Bekanntheit genieße. Sie stützt sich auf ein Urteil des Landgerichts Mannheim vom 19. August 2021, in dem festgestellt werde, dass die meisten Apotheken, Ärztekammern und Kliniken den Äskulapstab in ihren Logos führten. Als gebräuchlicher Hinweis auf Heilkunde verfüge das Zeichen AESCULAP über eine schwache originäre Kennzeichnungskraft.
149 Nach der oben in Rn. 18 angeführten Rechtsprechung gelten ältere Marken als bekannt, wenn sie einem wesentlichen Teil des Publikums, das von den durch sie erfassten Waren oder Dienstleistungen angesprochen wird, bekannt sind. Im vorliegenden Fall besteht dieses Publikum, wie die Beschwerdekammer festgestellt hat, aus den Nutzern von chirurgischen Instrumenten und Instrumenten für Chirurgen, nämlich in erster Linie aus Chirurgen in Krankenhäusern und Ärzten, die in Arztpraxen operative Behandlungen von Krankheiten und Verletzungen anbieten.
150 Wie die Klägerin ausführt, hat die Beschwerdekammer mit ihrer Behauptung, dass das Wort „Aesculap“ in Deutschland als Symbol für die Heilkunde eine große Bekanntheit genieße, offenbar nicht die Ergebnisse der Verkehrsbefragung berücksichtigt, wonach nur 2,9 % der maßgeblichen Verkehrskreise der Ansicht sind, dass das Zeichen AESCULAP auf den Gott der Heilkunde Bezug nehme, gegenüber 88 %, denen zufolge es auf ein bestimmtes Unternehmen hinweist.
151 Außerdem hat die Beschwerdekammer auf das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 19. August 2021 zur Verwendung des Äskulapstabs und des Wortes „Aesculap“ im medizinischen Sektor in Deutschland verwiesen, ohne jedoch anzugeben, wie sich dieses Urteil auf den Bekanntheitsgrad der älteren Marken bei den maßgeblichen Verkehrskreisen auswirke.
152 Folglich lässt sich den Erwägungen der Beschwerdekammer nicht entnehmen, aus welchem Grund die von ihr berücksichtigten Umstände des vorliegenden Falles relevante Faktoren für die Beurteilung des Ausmaßes der Bekanntheit der älteren Marken darstellen sollen.
153 Nach alledem hat die Beschwerdekammer gegen ihre Begründungspflicht verstoßen, indem sie zum einen die von der Beurteilung in der Entscheidung vom 8. Oktober 2013 abweichende Beurteilung des Ausmaßes der Bekanntheit der älteren Marken nicht ausdrücklich gerechtfertigt hat, und zum anderen dadurch, dass die Erwägungen, mit denen sie ihre Schlussfolgerung begründet, dass die Bekanntheit der älteren Marken nur durchschnittlich sei, Widersprüche und Unzulänglichkeiten aufweisen.
154 Somit ist der ersten Rüge stattzugeben, ohne dass es erforderlich wäre, über die Frage einer durchschnittlichen oder hohen Bekanntheit der älteren Marken zu entscheiden.
155 Daher braucht nicht über die vom EUIPO bestrittene Zulässigkeit der Anlage A.5 zur Klageschrift entschieden zu werden, die ein Dokument mit dem Titel „Basics of surveys for legal evidence“ enthält, das einem Webinar des Instituts für Demoskopie Allensbach beim EUIPO im März 2021 entnommen wurde, in dem es um die geeignete Größe des Stichprobenumfangs ging und das die Klägerin zur Stützung ihres Vorbringens, dass die Beschwerdekammer bei der Beurteilung der Verkehrsbefragung Fehler begangen habe, vorgelegt hat.
Zur dritten Rüge: gedankliche Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken im Hinblick auf die Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44
156 Die Klägerin macht geltend, die Beschwerdekammer habe einen Beurteilungsfehler begangen, indem sie festgestellt habe, dass zwischen den einander gegenüberstehenden Marken für die von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 keine gedankliche Verbindung bestehe.
157 Was die Beurteilung des Vorliegens einer gedanklichen Verknüpfung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken betrifft, hat die Beschwerdekammer, wie oben in den Rn. 66 bis 68 ausgeführt, in den angefochtenen Entscheidungen erstens festgestellt, dass die älteren Marken kennzeichnungsstark seien, zweitens, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen eine unterdurchschnittliche Ähnlichkeit in bildlicher Hinsicht, eine durchschnittliche Ähnlichkeit in klanglicher Hinsicht und eine überdurchschnittliche Ähnlichkeit in begrifflicher Hinsicht aufwiesen, und drittens, dass alle von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen von denselben Verkehrskreisen genutzt oder bezogen werden könnten, die auch die von den älteren Marken erfassten chirurgischen Instrumente oder Instrumente für Chirurgen verwendeten.
158 Viertens hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass es angesichts des gehörigen Abstands zwischen den von den älteren Marken erfassten Waren und den von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 keine hinreichenden Beweise dafür gebe, dass die maßgeblichen Verkehrskreise eine gedankliche Verbindung zwischen den angemeldeten Marken und den älteren Marken herstellten. Dabei hat sie darauf hingewiesen, dass die von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 dem weiten Feld der Medizin zugeordnet werden könnten und dass sie im Rahmen einer Behandlung räumlich oder sogar funktionsbedingt mit chirurgischen Instrumenten in Berührung kommen könnten, dass aber zwischen ihnen kein echtes Ergänzungsverhältnis bestehe. Bei den Waren der Klasse 5 handele es sich um branchenverschiedene Produkte chemisch-pharmazeutischer Natur, und bei den Dienstleistungen der Klassen 42 und 44 handele es sich um personengebundene und wesensverschiedene medizinische Dienstleistungen.
159 Zudem sei einzubeziehen, dass die Strahlkraft der älteren Marken mit zunehmendem Abstand der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen geringer werde und diese Strahlkraft zum maßgeblichen Zeitpunkt durch ein Verständnis des Zeichens AESCULAP beim Fachpublikum in Deutschland überlagert werde, bei dem nicht mehr die älteren Marken in Erinnerung gerufen würden, sondern eine Bezugnahme auf den Gott Äskulap als Symbol der Heilkunde im Vordergrund stehe. Die Klägerin könne nicht in Anspruch nehmen, dass das Wort „Aesculap“ aufgrund seiner durchschnittlichen Bekanntheit für chirurgische Instrumente umfassend im Bereich der Medizin, der Pharmazie oder der ärztlichen Dienstleistungen mit den älteren Marken identifiziert werde.
160 Als Erstes wendet sich die Klägerin im Wesentlichen gegen die Feststellung der Beschwerdekammer, dass zwischen den von den älteren Marken erfassten Waren und den von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 ein gehöriger Abstand bestehe.
161 Nach der Rechtsprechung können, selbst wenn die Verkehrskreise, die von den Waren und Dienstleistungen angesprochen werden, für die die einander gegenüberstehenden Marken jeweils eingetragen sind, dieselben sind oder sich in bestimmtem Umfang überschneiden, diese Waren oder Dienstleistungen so unähnlich sein, dass die jüngere Marke den maßgeblichen Verkehrskreisen die ältere Marke nicht in Erinnerung zu rufen vermag. Daher ist die Art der Waren oder Dienstleistungen, für die die einander gegenüberstehenden Marken jeweils eingetragen worden sind, bei der Beurteilung einer gedanklichen Verknüpfung zwischen diesen Marken zu berücksichtigen (Urteil vom 27. November 2008, Intel Corporation, C‑252/07, EU:C:2008:655, Rn. 49 und 50; vgl. auch Urteil vom 10. März 2021, Puma/EUIPO – CAMäleon [PUMA-System], T‑71/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:121, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).
162 Aus Art. 94 der Verordnung 2017/1001 und der oben in Rn. 124 angeführten Rechtsprechung ergibt sich, dass die Entscheidungen des EUIPO mit Gründen zu versehen sind und dass diese Pflicht verlangt, dass die Begründung die Überlegungen des Urhebers des Rechtsakts klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss.
163 Die Klägerin macht erstens geltend, dass die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, wonach zwischen den von den älteren Marken erfassten Waren und den von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 ein gehöriger Abstand bestehe, im Widerspruch zu deren Behauptung stehe, dass diese Waren und Dienstleistungen räumlich in der Arztpraxis des Arztes und funktionsbedingt bei der Behandlung ein und desselben Patienten zusammentreffen könnten. Der Umstand, dass ein Arzt die von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren bei der Behandlung desselben Patienten benutze, reiche für das Bestehen einer gedanklichen Verbindung aus.
164 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer in den angefochtenen Entscheidungen festgestellt hat, dass die von den einander gegenüberstehenden Marken angesprochenen Verkehrskreise dieselben seien. Insoweit war sie, wie oben in Rn. 68 ausgeführt, der Ansicht, dass Ärzte, die neben ihrer Tätigkeit im Bereich der Chirurgie andere medizinische Aufgaben wie die Durchführung von Untersuchungen und die Analyse von Körpersubstanzen wahrnähmen, alle von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen unmittelbar nutzen könnten.
165 Es ist auch daran zu erinnern, dass die Beschwerdekammer ausgeführt hat, chirurgische Instrumente bzw. Instrumente für Chirurgen, die man „Operationsbesteck“ nenne, umfassten auch verschiedene medizinische Instrumente oder Diagnostikinstrumente und könnten eine diagnostische Funktion haben.
166 Außerdem hat die Beschwerdekammer mit ihrer Feststellung, dass die von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 räumlich oder sogar funktionsbedingt mit den von den älteren Marken erfassten chirurgischen Instrumenten oder Instrumenten für Chirurgen zusammentreffen könnten, eingeräumt, dass diese Waren und Dienstleistungen von Ärzten bei ein und derselben medizinischen Behandlung, wie der Durchführung von Untersuchungen zu diagnostischen Zwecken , gleichzeitig verwendet werden könnten.
167 Alle diese Beurteilungen der Beschwerdekammer stehen im Widerspruch zu ihrer Schlussfolgerung, dass zwischen den von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 und den von den älteren Marken erfassten Waren ein gehöriger Abstand bestehe. Diese Beurteilungen ermöglichen es nicht, die Überlegungen nachzuvollziehen, die die Beschwerdekammer zu dieser Schlussfolgerung veranlasst haben.
168 Zweitens macht die Klägerin geltend, dass es eines Ergänzungsverhältnisses zur Feststellung einer gedanklichen Verbindung im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 nicht bedürfe. Im Übrigen bestehe ein Ergänzungsverhältnis zwischen den chirurgischen Instrumenten der Klasse 10 und den diagnostischen Testkits in Klasse 5. Das EUIPO habe in seiner Spruchpraxis sogar eingeräumt, dass sie ähnlich seien.
169 Nach der Rechtsprechung zum Vorliegen einer Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001, die von der Beschwerdekammer angeführt wird, ergänzen Waren oder Dienstleistungen einander, wenn zwischen ihnen ein enger Zusammenhang in dem Sinne besteht, dass die eine Ware oder Dienstleistung für die Verwendung der anderen unentbehrlich oder wichtig ist, so dass die Verbraucher denken könnten, die Verantwortung für die Herstellung dieser Waren oder die Erbringung dieser Dienstleistungen liege bei demselben Unternehmen (Urteil vom 29. Januar 2020, Aldi/EUIPO – Titlbach [ALTISPORT], T‑697/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:14, Rn. 57).
170 Zwar kann, wie das EUIPO in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, die Komplementarität zwischen Waren und Dienstleistungen ein Umstand sein, der berücksichtigt werden kann, um das Bestehen einer Nähe zwischen ihnen festzustellen, damit ein Zusammenhang hergestellt werden kann. Die fehlende Komplementarität reicht jedoch nicht aus, um das Bestehen eines solchen Zusammenhangs auszuschließen, da sich der für die Anwendung von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 geforderte Grad der Nähe aus anderen Kriterien ergeben kann.
171 Somit ist die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, wonach zwischen den von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 und den von den älteren Marken erfassten Waren ein gehöriger Abstand bestehe, widersprüchlich und nicht hinreichend begründet.
172 Als Zweites macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer habe das Vorliegen einer gedanklichen Verbindung nicht mit der Annahme in Frage stellen dürfen, dass den maßgeblichen Fachkreisen die Bedeutung von Äskulap als Symbol der Heilkunde bekannt sei, was im Widerspruch zum Ergebnis der Verkehrsbefragung stehe. Sie weist auch darauf hin, dass entgegen den Ausführungen der Beschwerdekammer die Bekanntheit der älteren Marken nicht nur durchschnittlich sei, und trägt vor, dass selbst in diesem Fall in Anbetracht des engen Zusammenhangs zwischen den in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen die Schlussfolgerung zu ziehen sei, dass eine gedankliche Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken vorliege.
173 Mit diesem Vorbringen wendet sich die Klägerin gegen die oben in Rn. 159 angeführte Beurteilung der Beschwerdekammer.
174 Diese Beurteilung der Beschwerdekammer beruht auf zwei Prämissen, nämlich zum einen, dass zwischen den von den angemeldeten Marken erfassten Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 und den von den älteren Marken erfassten Waren ein gehöriger Abstand bestehe, und zum anderen, dass die älteren Marken nur durchschnittlich bekannt seien.
175 Es genügt jedoch der Hinweis, dass sich oben aus Rn. 171, bzw. aus der Prüfung der ersten Rüge ergibt, dass diese beiden Prämissen nicht hinreichend begründet sind.
176 Somit ergibt sich aus alledem, dass die Beschwerdekammer ihre Begründungspflicht verletzt hat, als sie eine gedankliche Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken verneint hat.
177 Daraus folgt, dass das Gericht nicht in der Lage ist, die Stichhaltigkeit der oben in Rn. 159 erwähnten Beurteilung der Beschwerdekammer zum Fehlen einer gedanklichen Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Marken zu beurteilen.
178 Folglich ist der dritten Rüge stattzugeben.
179 Da der ersten und der dritten Rüge stattgegeben worden ist, ist den Hauptklagen stattzugeben und sind die angefochtenen Entscheidungen insoweit aufzuheben, als die Beschwerdekammer die Entscheidungen der Widerspruchsabteilung aufgehoben und die Widersprüche zurückgewiesen hat, soweit sie auf Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001 für die Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 gestützt waren, ohne dass die übrigen Rügen der Klägerin geprüft zu werden brauchen.
Kosten
180 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
181 Da das EUIPO im Hinblick auf die Hauptklagen unterlegen ist und die Klägerin keinen Kostenantrag gegen die Streithelferin gestellt hat, sind dem EUIPO entsprechend dem Antrag der Klägerin seine eigenen Kosten sowie die Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Die Streithelferin, die mit ihren Anträgen unterlegen ist, trägt ihre eigenen Kosten.
182 Da die Streithelferin im Hinblick auf die Anschlussklagen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Klägerin und des EUIPO ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Klägerin und des EUIPO aufzuerlegen.
183 Die Klägerin hat zudem beantragt, der Streithelferin die ihr in den Verfahren vor dem EUIPO entstandenen Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 190 Abs. 2 der Verfahrensordnung gelten die Aufwendungen der Parteien, die für das Verfahren vor der Beschwerdekammer notwendig waren, als erstattungsfähige Kosten. Dies gilt jedoch nicht für die Aufwendungen für das Verfahren vor der Widerspruchsabteilung. Folglich kann dem Antrag der Klägerin, die mit ihrem Vorbringen unterlegene Streithelferin zur Tragung der Kosten der Verwaltungsverfahren vor dem EUIPO zu verurteilen, nur hinsichtlich der notwendigen Aufwendungen der Klägerin für die Verfahren vor der Beschwerdekammer stattgegeben werden.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Achte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidungen der Zweiten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 12. November 2022 (Sache R 18/2022-2), vom 23. November 2022 (Sache R 20/2022-2) und vom 29. November 2022 (Sache R 21/2022-2) werden aufgehoben, soweit mit ihnen die Entscheidungen der Widerspruchsabteilung vom 30. November 2021 aufgehoben und die Widersprüche für die Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 42 und 44 im Sinne des Abkommens von Nizza vom 15. Juni 1957 über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken in revidierter und geänderter Fassung zurückgewiesen worden sind.
2. Die Anschlussklagen werden abgewiesen.
3. Im Hinblick auf die Hauptklagen trägt das EUIPO seine eigenen Kosten sowie die Kosten der Aesculap AG, die Aeneas GmbH & Co. KG trägt ihre eigenen Kosten.
4. Im Hinblick auf die Anschlussklagen trägt Aeneas ihre eigenen Kosten sowie die Kosten von Aesculap und des EUIPO.
5. Aeneas trägt die notwendigen Aufwendungen von Aesculap für die Verfahren vor der Beschwerdekammer in den Sachen R 18/2022-2, R 20/2022-2 und R 21/2022-2.
Kornezov
De Baere
Petrlík
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. November 2024.
Der Kanzler
Der Präsident
V. Di Bucci
M. van der Woude