Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)
15. Juni 2023(* )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 – Satzung der Erzeugerorganisationen – Art. 153 Abs. 1 Buchst. b – Grundsatz der Mitgliedschaft in nur einer einzigen Erzeugerorganisation – Tragweite – Art. 153 Abs. 2 Buchst. c – Demokratische Kontrolle der Erzeugerorganisation und der innerhalb dieser Organisation von den Mitgliedern, die Erzeuger sind, getroffenen Entscheidungen – Kontrolle bestimmter Mitglieder der Erzeugerorganisation durch eine Person“
In der Rechtssache C‑183/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 10. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 10. März 2022, in dem Verfahren
Saint-Louis Sucre
gegen
Premier ministre,
Ministre de l’Agriculture et de l’Alimentation,
SICA des betteraviers d’Étrépagny
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias (Berichterstatter), M. Ilešič, I. Jarukaitis und Z. Csehi,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Saint-Louis Sucre, vertreten durch J.‑P. Duhamel, F.‑C. Laprévote, A. Magraner-Oliver und F. Six, Avocats,
– der SICA des betteraviers d’Étrépagny, vertreten durch F. Molinié, Avocat,
– der französischen Regierung, vertreten durch G. Bain und J.‑L. Carré als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis und F. Le Bot als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 9. Februar 2023
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 153 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 671, berichtigt in ABl. 2016, L 130, S. 18) in der durch die Verordnung (EU) 2017/2393 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2017 (ABl. 2017, L 350, S. 15) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1308/2013).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft Saint-Louis Sucre auf der einen Seite und dem Premier ministre (Premierminister, Frankreich), dem Ministre de l’Agriculture et de l’Alimentation (Minister für Landwirtschaft und Ernährung, Frankreich) und der Société d’intérêt collectif agricole (SICA) des betteraviers d’Étrépagny (Gesellschaft der landwirtschaftlichen Interessengemeinschaft der Rübenbauern von Étrépagny, Frankreich, im Folgenden: SICA) auf der anderen Seite über deren Anerkennung als Erzeugerorganisation (im Folgenden: EO) im Zuckersektor für Zuckerrüben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung (EU) Nr. 1307/2013
3 Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 637/2008 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 608) sieht vor:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff
…
b) ,Betrieb‘ die Gesamtheit der für landwirtschaftliche Tätigkeiten genutzten und vom Betriebsinhaber verwalteten Einheiten, die sich im Gebiet desselben Mitgliedstaats befinden;
c) ,landwirtschaftliche Tätigkeit‘
i) die Erzeugung, die Zucht oder den Anbau landwirtschaftlicher Erzeugnisse, einschließlich Ernten, Melken, Zucht von Tieren sowie Haltung von Tieren für landwirtschaftliche Zwecke,
…“
Verordnung Nr. 1308/2013
4 Der 131. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1308/2013 lautet:
„Die Erzeugerorganisationen und ihre Vereinigungen können eine nützliche Rolle bei der Bündelung des Angebots, der Verbesserung der Vermarktung, der Planung und der Anpassung der Erzeugung an die Nachfrage, der Optimierung der Erzeugungskosten und der Stabilisierung der Erzeugerpreise, der Durchführung von Forschung, der Förderung bewährter Verfahren und der Leistung technischer Unterstützung, der Bewirtschaftung von Nebenerzeugnissen und von Risikomanagement‑Instrumenten, die ihren Mitgliedern zur Verfügung stehen, spielen und somit zur Stärkung der Stellung der Erzeuger in der Lebensmittelkette beitragen.“
5 Die Verordnung bestimmt in ihrem Art. 1 Abs. 1, dass mit ihr eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse errichtet wird, d. h. alle Erzeugnisse, die in Anhang I des AEU‑Vertrags aufgeführt sind, ausgenommen Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur im Sinne der Gesetzgebungsakte der Union über die gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur.
6 Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. c in Verbindung mit Anhang I Teil III der Verordnung fallen Zuckerrüben unter die gemeinsame Organisation für den Zuckersektor.
7 Nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung gelten vorbehaltlich anderslautender Bestimmungen für deren Zwecke u. a. die Begriffsbestimmungen der Verordnung Nr. 1307/2013.
8 Art. 152 („Erzeugerorganisationen“) der Verordnung Nr. 1308/2013 sieht in seinen Abs. 1 bis 1b vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten können auf Antrag [EO] anerkennen, die:
a) aus Erzeugern aus bestimmten der in Artikel 1 Absatz 2 genannten Sektoren bestehen und von diesen Erzeugern gemäß Artikel 153 Absatz 2 Buchstabe c kontrolliert werden;
b) auf Initiative der Erzeuger gebildet wurden und mindestens eine der folgenden Tätigkeiten ausführen:
i) gemeinsame Verarbeitung;
ii) gemeinsamer Vertrieb, einschließlich gemeinsamer Verkaufsplattformen oder gemeinsamer Beförderung;
iii) gemeinsame Verpackung, Kennzeichnung oder Werbung;
iv) gemeinsame Durchführung von Qualitätskontrollen;
v) gemeinsame Nutzung von Ausrüstungen und Lagereinrichtungen;
vi) gemeinsame Verwertung der bei der Erzeugung unmittelbar anfallenden Abfälle;
vii) gemeinsame Beschaffung von Betriebsmitteln;
viii) sonstige gemeinsame Dienstleistungen, mit denen eines der unter Buchstabe c genannten Ziele verfolgt wird;
c) ein spezifisches Ziel verfolgen, das mindestens eine der folgenden Zielsetzungen einschließen kann:
i) Sicherstellung einer planvollen und insbesondere in quantitativer und qualitativer Hinsicht nachfragegerechten Erzeugung;
ii) Bündelung des Angebots und Vermarktung der Erzeugung ihrer Mitglieder, auch durch Direktwerbung;
iii) Optimierung der Produktionskosten und Investitionserträge als Reaktion auf Umwelt- und Tierschutznormen und Stabilisierung der Erzeugerpreise;
…
(1a) Abweichend von Artikel 101 Absatz 1 AEUV darf eine [EO], die gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels anerkannt ist, im Namen ihrer Mitglieder für die gesamte Erzeugung oder einen Teil davon die Erzeugungsplanung übernehmen, die Produktionskosten optimieren, die Erzeugung vermarkten und Verträge über die Lieferung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aushandeln.
Die Tätigkeiten nach Unterabsatz 1 dürfen stattfinden,
a) sofern eine oder mehrere der Tätigkeiten nach [Absatz] 1 Buchstabe b Ziffern i bis vii tatsächlich ausgeübt werden und somit ein Beitrag zur Verwirklichung der Ziele gemäß Artikel 39 AEUV geleistet wird;
b) sofern die [EO] das Angebot bündelt und die Erzeugnisse ihrer Mitglieder vermarktet, unabhängig davon, ob das Eigentum an landwirtschaftlichen Erzeugnissen von den Erzeugern auf die [EO] übergeht oder nicht;
c) unabhängig davon, ob für die gesamte Erzeugung einiger oder aller ihrer Mitglieder derselbe Preis ausgehandelt wird oder nicht;
d) sofern die betreffenden Erzeuger hinsichtlich der Erzeugnisse, die unter die Tätigkeiten nach Unterabsatz 1 fallen, keiner anderen [EO] angehören;
e) sofern der Erzeuger nicht aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer Genossenschaft, die selbst nicht der betreffenden [EO] angehört, verpflichtet ist, das Erzeugnis gemäß den Bedingungen der Satzung dieser Genossenschaft oder gemäß den sich aus dieser Satzung ergebenden oder darin vorgesehenen Bestimmungen und Beschlüssen zu liefern.
Die Mitgliedstaaten können jedoch in ordnungsgemäß begründeten Ausnahmefällen, in denen die angeschlossenen Erzeuger zwei getrennte Produktionseinheiten in unterschiedlichen geografischen Gebieten besitzen, von der Bedingung gemäß Unterabsatz 2 Buchstabe d abweichen.
(1b) Für die Zwecke dieses Artikels schließen Bezugnahmen auf [EO] auch gemäß Artikel 156 Absatz 1 anerkannte Vereinigungen von [EO] ein, wenn diese Vereinigungen die in Absatz 1 des vorliegenden Artikels festgelegten Anforderungen erfüllen.“
9 Art. 153 („Satzung der Erzeugerorganisationen“) der Verordnung bestimmt:
„(1) Die einer [EO] beigetretenen Erzeuger werden durch deren Satzung insbesondere dazu verpflichtet,
a) die von der [EO] erlassenen Vorschriften hinsichtlich der Erzeugungsmeldung, der Erzeugung, der Vermarktung und des Umweltschutzes zu erfüllen;
b) nur Mitglied einer einzigen [EO] für ein bestimmtes Erzeugnis ihres Betriebs zu sein; die Mitgliedstaaten können jedoch in ordnungsgemäß begründeten Ausnahmefällen, in denen die angeschlossenen Erzeuger zwei getrennte Produktionseinheiten in unterschiedlichen geografischen Gebieten besitzen, von dieser Bedingung abweichende Regelungen vorsehen;
c) die von der [EO] zu statistischen Zwecken angeforderten Auskünfte zu erteilen.
(2) Die Satzung einer [EO] muss ferner Folgendes vorsehen:
…
c) Regeln, die es den zusammengeschlossenen Erzeugern ermöglichen, eine demokratische Kontrolle über ihre Organisation und deren Entscheidungen auszuüben;
…“
10 Art. 206 („Leitlinien der Kommission zur Anwendung der Wettbewerbsregeln im Agrarbereich“) Abs. 1 der Verordnung bestimmt:
„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, finden gemäß Artikel 42 AEUV die Artikel 101 bis 106 AEUV und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen vorbehaltlich der Artikel 207 bis 210 dieser Verordnung auf alle in Artikel 101 Absatz 1 und Artikel 102 AEUV genannten Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen bezüglich der Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und des Handels mit diesen Erzeugnissen Anwendung.“
11 Art. 209 („Ausnahmen bei den GAP-Zielen sowie den landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben und deren Vereinigungen“) Abs. 1 der Verordnung sieht vor:
„Artikel 101 Absatz 1 AEUV findet keine Anwendung auf die in Artikel 206 dieser Verordnung genannten Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen, die zur Verwirklichung der Ziele des Artikels 39 AEUV notwendig sind.
Artikel 101 Absatz 1 AEUV findet keine Anwendung auf Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben, Vereinigungen von landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben oder Vereinigungen dieser [EO] oder gemäß Artikel 152 oder Artikel 161 dieser Verordnung anerkannten [EO] oder gemäß Artikel 156 dieser Verordnung anerkannten Vereinigungen von [EO], soweit sie die Erzeugung oder den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse oder die Benutzung gemeinschaftlicher Einrichtungen für die Lagerung, Be- oder Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse betreffen, es sei denn, dass dadurch die Ziele gemäß Artikel 39 AEUV gefährdet werden.
Dieser Absatz gilt nicht für Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die zu einer Preisbindung verpflichten oder durch die der Wettbewerb ausgeschlossen wird.“
Verordnung 2017/2393
12 Im 52. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2017/2393 heißt es:
„Die [EO] und ihre Vereinigungen können eine nützliche Rolle bei der Bündelung des Angebots, der Verbesserung der Vermarktung, der Planung und der Anpassung der Erzeugung an die Nachfrage, der Optimierung der Erzeugungskosten und der Stabilisierung der Erzeugerpreise, der Durchführung von Forschung, der Förderung bewährter Verfahren und der Leistung technischer Unterstützung, der Bewirtschaftung von Nebenerzeugnissen und von Risikomanagement‑Instrumenten, die ihren Mitgliedern zur Verfügung stehen, spielen und somit zur Stärkung der Stellung der Erzeuger in der Lebensmittelkette beitragen. Ihre Tätigkeiten, einschließlich der Vertragsverhandlungen über die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse durch solche [EO] und ihre Vereinigungen bei der Bündelung des Angebots und der Vermarktung der Erzeugnisse ihrer Mitglieder, tragen deshalb zur Verwirklichung der Ziele der [Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)] nach Artikel 39 [AEUV] bei, da sie die Stellung der Landwirte in der Lebensmittelversorgungskette stärken und zu einer besseren Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette beitragen können. Die Rolle der [EO] ist durch die Reform der GAP im Jahr 2013 gestärkt worden. Abweichend von Artikel 101 AEUV sollte die Möglichkeit, Tätigkeiten wie etwa die Planung der Erzeugung, die Optimierung der Kosten, die Vermarktung der Erzeugnisse angeschlossener Erzeuger sowie das Führen von Vertragsverhandlungen auszuüben, deshalb in allen Sektoren, für die mit der Verordnung [Nr. 1308/2013] eine gemeinsame Marktorganisation errichtet wird, im Wege einer ausdrücklichen Regelung als ein Recht anerkannter [EO] verankert werden. Diese Ausnahme sollte nur für [EO] gelten, die wirklich eine auf wirtschaftliche Integration abzielende Tätigkeit ausüben, das Angebot bündeln und die Erzeugnisse ihrer Mitglieder vermarkten. Gleichwohl sollten neben der Anwendung des Artikels 102 AEUV auf solche [EO] Schutzvorkehrungen getroffen werden, um sicherzustellen, dass derartige Tätigkeiten weder den Wettbewerb ausschließen noch das Erreichen der in Artikel 39 AEUV genannten Ziele gefährden. …“
Französisches Recht
13 Nach Art. L. 551‑1 des Code rural et de la pêche maritime (Gesetzbuch für Landwirtschaft und Seefischerei) erkennt „[d]ie Verwaltungsbehörde die [EO] und die Vereinigungen von [EO] in den Sektoren, die unter die Verordnung über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse fallen, unter den darin festgelegten Bedingungen an.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
14 Mit Erlass vom 20. Dezember 2019 erkannte der Ministre de l’Agriculture et de l’Alimentation die SICA als EO im Zuckersektor für Zuckerrüben an.
15 Mit ihrer beim vorlegenden Gericht, dem Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich), erhobenen Klage hat Saint-Louis Sucre, eine Gesellschaft, die Zucker aus Zuckerrüben erzeugt, die Nichtigerklärung des Erlasses vom 20. Dezember 2019 beantragt. Saint-Louis Sucre macht insbesondere zwei Klagegründe geltend, einen Verstoß gegen Art. 153 Abs. 1 Buchst. b und einen Verstoß gegen Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013.
16 Zur Stützung des Klagegrundes, mit dem ein Verstoß gegen Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung gerügt wird, macht Saint-Louis Sucre geltend, die Confédération générale des planteurs de betteraves Eure (Generalverband der Rübenbauern von Eure, im Folgenden: CGB Eure), die Confédération générale des planteurs de betteraves Île-de-France (im Folgenden: CGB Île-de-France) und die Gesellschaft Naples Investissement, die keine Erzeuger seien, seien sowohl Mitglieder der SICA als auch Mitglieder der SICA Roye-Déshydratation, wobei Letztere zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Erlasses vom 20. Dezember 2019 ebenfalls als EO anerkannt gewesen sei. Dies hätte den Ministre de l’Agriculture et de l’Alimentation dazu veranlassen müssen, den Antrag auf Anerkennung der SICA auf der Grundlage von Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1308/2013 abzulehnen.
17 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hängt die Beurteilung dieses Klagegrundes von der Antwort auf die Frage ab, ob diese Bestimmung, wonach die Mitglieder einer EO nur Mitglied einer einzigen EO für ein bestimmtes Erzeugnis ihres Betriebs sein dürfen, dahin auszulegen ist, dass dieses Kumulierungsverbot nur für die Mitglieder gilt, die Erzeuger sind, oder dahin, dass es für alle Mitglieder einer EO gilt, einschließlich derjenigen Mitglieder, die keine Erzeuger sind.
18 Zur Stützung des Klagegrundes, mit dem ein Verstoß gegen Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 gerügt wird, macht Saint-Louis Sucre geltend, dass der Erlass vom 20. Dezember 2019 unter Verstoß gegen diese Bestimmung erlassen worden sei, da die Mitglieder der SICA, die Erzeuger seien, nicht in der Lage seien, eine demokratische Kontrolle über ihre Organisation und deren Entscheidungen auszuüben.
19 Saint-Louis Sucre macht insbesondere geltend, dass die Confédération générale des planteurs de betteraves (im Folgenden: CGB) nahezu das gesamte Kapital von Naples Investissement halte und de facto die CGB Eure und die CGB Île-de-France kontrolliere. Da Naples Investissement, die CGB Eure und die CGB Île-de-France 8,7 %, 15,1 % bzw. 7,6 % des Kapitals der SICA hielten, kontrolliere die CGB über diese drei Einrichtungen, die ihre Anordnungen auszuführen hätten, insgesamt 31,4 % dieses Kapitals. Nach Ansicht von Saint-Louis Sucre stellt dieser Umstand eine Umgehung der Satzung der SICA dar, die den Stimmenanteil jedes ihrer Mitglieder in der Generalversammlung auf 10 % begrenze, und verstößt gegen den Grundsatz der demokratischen Kontrolle der SICA durch die ihr angeschlossenen Erzeuger. Außerdem würden von den 13 Verwaltungsratsmitgliedern der SICA drei Verwaltungsratsmitglieder die CGB Eure, die CGB Île-de-France bzw. Naples Investissement vertreten; bei sechs weiteren Verwaltungsratsmitgliedern handle es sich um Erzeuger, die der CGB angeschlossen und dort mit wichtigen Aufgaben betraut seien. Der Verstoß gegen den in Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 festgelegten Grundsatz werde noch dadurch verschärft, dass der Direktor der SICA und ein Teil ihrer Mittel von der CGB gestellt würden.
20 Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass zur Entscheidung über diesen Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 geltend gemacht wird, zu klären sei, ob für die Beurteilung der Unabhängigkeit der Mitglieder der betreffenden Organisation ausschließlich zu prüfen sei, ob das Kapital einiger Mitglieder in Wirklichkeit von derselben natürlichen oder juristischen Person gehalten werde, oder ob auch andere Verbindungen zu berücksichtigen seien, wie etwa bei Mitgliedern, die keine Erzeuger seien, deren Mitgliedschaft in demselben berufsständischen Verband oder bei angeschlossenen Erzeugern die Wahrnehmung von Führungsverantwortung in einem solchen Verband. Das vorlegende Gericht ist außerdem der Auffassung, dass die Begründetheit dieses Klagegrundes auch davon abhänge, ob der Umstand, dass die der EO angeschlossenen Erzeuger die Stimmenmehrheit in der Generalversammlung auf sich vereinten, dafür ausreiche, um eine von ihnen über die EO tatsächlich ausgeübte Kontrolle zu bejahen, oder ob unter Berücksichtigung der Verteilung der Stimmen zwischen den wirklich unabhängigen Mitgliedern auch geprüft werden müsse, ob von den Mitgliedern, die keine Erzeuger seien, eines oder mehrere über einen Stimmenanteil verfüge bzw. verfügten, der sie – selbst ohne eine Mehrheit zu haben – in die Lage versetze, eine Kontrolle über die von der EO getroffenen Entscheidungen auszuüben.
21 Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist die in Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1308/2013 verankerte Regel, dass die Satzung einer EO von deren Mitgliedern verlangt, „nur Mitglied einer einzigen EO für ein bestimmtes Erzeugnis ihres Betriebs zu sein“, dahin auszulegen, dass sie nur für angeschlossene Erzeuger gilt?
2. Ist im Rahmen der Prüfung, ob der in Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 verankerte Grundsatz gewahrt wird, wonach die einer EO angeschlossenen Erzeuger eine demokratische Kontrolle über ihre Organisation und deren Entscheidungen ausüben müssen,
– bei der Beurteilung der Unabhängigkeit der Mitglieder der Organisation ausschließlich darauf abzustellen, dass bei ihnen ein und dieselbe natürliche oder juristische Person das Kapital hält, oder sind auch andere Verbindungen zu berücksichtigen, wie etwa bei Mitgliedern, die keine Erzeuger sind, die Mitgliedschaft in demselben berufsständischen Verband oder bei angeschlossenen Erzeugern die Wahrnehmung von Führungsverantwortung in einem solchen Verband;
– der Umstand, dass die der EO angeschlossenen Erzeuger die Stimmenmehrheit auf sich vereinen, dafür ausreichend, um eine von ihnen über die Organisation tatsächlich ausgeübte Kontrolle zu bejahen, oder muss unter Berücksichtigung der Verteilung der Stimmen zwischen den wirklich unabhängigen Mitgliedern geprüft werden, ob von den Mitgliedern, die keine Erzeuger sind, eines oder mehrere über einen Stimmenanteil verfügt bzw. verfügen, der sie – selbst ohne eine Mehrheit zu haben – in die Lage versetzt, eine Kontrolle über die Entscheidungen der EO auszuüben?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
22 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen ist, dass sich das Erfordernis der Mitgliedschaft in einer einzigen EO ausschließlich auf ihre Mitglieder bezieht, die Erzeuger sind, oder auf alle ihre Mitglieder, sowohl Erzeuger als auch Nichterzeuger.
23 Erstens ist festzustellen, dass Art. 152 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1308/2013 es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, EO anzuerkennen, zu deren Mitgliedern natürliche Personen oder Einrichtungen gehören, die nicht Erzeuger sind.
24 Insoweit bestimmt Art. 152 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1308/2013 zwar, dass die EO, die die Mitgliedstaaten auf Antrag anerkennen können, aus Erzeugern bestehen, die zu einem der in Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Sektoren gehören. In ihrem Kontext ist diese Bestimmung jedoch so zu verstehen, dass sie es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, EO anzuerkennen, die nicht ausschließlich aus Erzeugern bestehen.
25 Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 sieht nämlich vor, dass es die „zusammengeschlossenen Erzeuger“ einer EO sind, die die Kontrolle über die EO und deren Entscheidungen ausüben. Wenn die anerkannten EO nur aus Erzeugern bestehen dürften, wäre diese Klarstellung überflüssig, da ein allgemeiner Verweis auf die Mitglieder der EO ausreichen würde.
26 Daraus folgt, dass die Verordnung Nr. 1308/2013 es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, EO, die Nichterzeuger als Mitglieder aufnehmen, anzuerkennen, sofern es ihre zusammengeschlossenen Erzeuger sind, die gemäß Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung eine demokratische Kontrolle über ihre Organisation und deren Entscheidungen ausüben.
27 Was zweitens die in Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1308/2013 aufgestellte Regel der Mitgliedschaft in einer einzigen EO betrifft, ist festzustellen, dass sich diese Regel, wie die Generalanwältin in Nr. 44 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, zwar nach den meisten Sprachfassungen des einleitenden Teils dieses Art. 153 Abs. 1, insbesondere der spanischen, der dänischen, der deutschen, der englischen, der niederländischen, der polnischen und der portugiesischen Fassung, auf die „beigetretenen Erzeuger“ bzw. „angeschlossenen Erzeuger“ der betreffenden EO bezieht, die französische Fassung dieser Bestimmung aber nur die „Mitglieder“ („membres“) erwähnt.
28 Grundsätzlich ist jedoch allen Sprachfassungen einer Unionshandlung der gleiche Wert beizumessen; die betreffende Vorschrift muss, wenn die Sprachfassungen voneinander abweichen, anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Februar 2018, Belgien/Kommission, C‑16/16 P, EU:C:2018:79, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Was die allgemeine Systematik der Verordnung Nr. 1308/2013 betrifft, sieht ihr Art. 3 Abs. 3 u. a. vor, dass die in der Verordnung Nr. 1307/2013 aufgeführten Begriffsbestimmungen für deren Zwecke gelten.
30 Somit ist die Klarstellung in Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1308/2013, wonach das Erfordernis, nur Mitglied einer einzigen EO zu sein, „für ein bestimmtes Erzeugnis ihres Betriebs“ gilt, im Licht von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1307/2013 zu lesen, der den Begriff „Betrieb“ als die Gesamtheit der für landwirtschaftliche Tätigkeiten genutzten und vom Betriebsinhaber verwalteten Einheiten, die sich im Gebiet desselben Mitgliedstaats befinden, definiert. Darüber hinaus sieht Art. 4 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Verordnung Nr. 1307/2013 vor, dass der Begriff „landwirtschaftliche Tätigkeit“ u. a. die Erzeugung und den Anbau landwirtschaftlicher Erzeugnisse umfasst. Daraus folgt, dass sich die Klarstellung in Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1308/2013 auf die Erzeugung landwirtschaftlicher Erzeugnisse bezieht, was darauf hindeutet, dass die in dieser Bestimmung enthaltene Anforderung nur die Mitglieder der EO betrifft, die Erzeuger sind.
31 Was den Zweck der Verordnung Nr. 1308/2013 betrifft, geht aus ihrem 131. Erwägungsgrund, der sich in Art. 152 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung widerspiegelt, hervor, dass die Erzeugerorganisationen und ihre Vereinigungen eine nützliche Rolle bei der Bündelung des Angebots, der Verbesserung der Vermarktung, der Planung und der Anpassung der Erzeugung an die Nachfrage, der Optimierung der Erzeugungskosten und der Stabilisierung der Erzeugerpreise, der Durchführung von Forschung, der Förderung bewährter Verfahren und der Leistung technischer Unterstützung, der Bewirtschaftung von Nebenerzeugnissen und von Risikomanagement‑Instrumenten, die ihren Mitgliedern zur Verfügung stehen, spielen und somit zur Stärkung der Stellung der Erzeuger in der Lebensmittelkette beitragen können.
32 Insoweit soll das Erfordernis, nur Mitglied einer einzigen EO zu sein, die Effektivität wahren, mit der das Ziel, die Stellung der Erzeuger in der Lebensmittelkette zu stärken, erreicht wird. Denn wie sich aus Art. 152 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung Nr. 1308/2013 ergibt, werden die von den dort genannten EO verfolgten Ziele, die im 131. Erwägungsgrund der Verordnung als Beitrag zu einem solchen Ziel betrachtet werden, im Rahmen der Ausübung von Tätigkeiten verfolgt, die einen tatsächlich gemeinsamen Charakter haben müssen. Im Übrigen hat der Unionsgesetzgeber, wie der 52. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/2393 belegt, auch vor diesem Hintergrund der Stärkung der Stellung der Erzeuger in der Lebensmittelkette in Art. 152 Abs. 1a der Verordnung Nr. 1308/2013 ausdrücklich geregelt, dass die anerkannten EO, abweichend von Art. 101 AEUV, im Namen ihrer Mitglieder für die gesamte Erzeugung oder einen Teil davon die Erzeugungsplanung übernehmen, die Produktionskosten optimieren, die Erzeugung vermarkten und Verträge über die Lieferung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aushandeln dürfen.
33 Die Mitgliedschaft von Erzeugern in mehreren EO für ein bestimmtes Erzeugnis ihres Betriebs würde jedoch die Gefahr bergen, dass die Ausübung der in Art. 152 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1308/2013 aufgeführten Tätigkeiten fragmentiert bleibt. Dies würde grundsätzlich die effektive Verwirklichung bestimmter, in Buchst. c dieser Bestimmung genannter Ziele, die eine EO verfolgen kann, wie die planvolle und nachfragegerechte Erzeugung, die Bündelung des Angebots und die Optimierung der Kosten, gefährden und könnte letztlich der Verwirklichung des Ziels der Stärkung der Stellung der Erzeuger in der Lebensmittelkette, das u. a. die Unanwendbarkeit von Art. 101 AEUV rechtfertigte, entgegenstehen.
34 Daher können die Mitgliedstaaten nach Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1308/2013 nur dann, wenn die betreffenden angeschlossenen Erzeuger zwei getrennte Produktionseinheiten in unterschiedlichen geografischen Gebieten besitzen, in ordnungsgemäß begründeten Ausnahmefällen eine EO anerkennen, obwohl einige ihrer angeschlossenen Erzeuger auch Mitglied einer anderen EO sind.
35 Dagegen erscheint der Umstand, dass bestimmte Mitglieder einer EO, die keine Erzeuger sind, auch Mitglied einer anderen EO sind, nicht geeignet, die in Rn. 33 des vorliegenden Urteils beschriebenen Wirkungen zu entfalten. Insoweit kann die Möglichkeit, dass eine solche Mitgliedschaft die Gefahr einer wettbewerbswidrigen Koordinierung zwischen den betreffenden EO erhöht, nicht die Schlussfolgerung in Frage stellen, zu der die Auslegung führt, die sich aus der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1308/2013 über die Anerkennung der EO ergibt.
36 Denn die in Art. 152 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 genannten Aufgaben können bestimmte Formen der Koordinierung oder Abstimmung nur unter den Erzeugern ein und derselben EO oder Vereinigung von EO rechtfertigen. Folglich gehen Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die nicht innerhalb einer EO oder einer Vereinigung von EO erfolgen, sondern zwischen EO oder zwischen Vereinigungen von EO, über das hinaus, was erforderlich ist, um die genannten Aufgaben zu erfüllen. Selbst wenn also aufgrund der Mitgliedschaft von Nichterzeugern in mehr als einer EO die Gefahr einer Koordinierung zwischen diesen verschiedenen EO im Hinblick auf die Anwendung bestimmter Preise oder den Ausschluss des Wettbewerbs größer wäre, bleibt ein solches Verhalten gleichwohl nach Art. 101 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 209 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1308/2013 verboten (vgl. entsprechend Urteil vom 14. November 2017, APVE u. a., C‑671/15, EU:C:2017:860, Rn. 57 bis 59). Es ist daher Sache der nationalen Wettbewerbsbehörden und gegebenenfalls der Europäischen Kommission, ihre Befugnisse in diesem Bereich auszuüben, um derartiges Verhalten zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden.
37 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen ist, dass sich das Erfordernis der Mitgliedschaft in einer einzigen EO ausschließlich auf ihre Mitglieder bezieht, die Erzeuger sind.
Zur zweiten Frage
38 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen ist, dass für die Feststellung, ob die Satzung einer EO Vorschriften enthält, die es den ihr angeschlossenen Erzeugern ermöglichen, ihre Organisation und die von ihr getroffenen Entscheidungen demokratisch zu kontrollieren, die für die Anerkennung dieser Organisation zuständige nationale Behörde
– davon auszugehen hat, dass eine Person bestimmte Mitglieder der EO nur dann kontrolliert, wenn sie am Gesellschaftskapital dieser Mitglieder beteiligt ist, oder auch dann, wenn sie mit ihnen andere Arten von Beziehungen unterhält, wie etwa bei Mitgliedern, die keine Erzeuger sind, deren Mitgliedschaft in demselben berufsständischen Verband oder bei angeschlossenen Erzeugern die Wahrnehmung von Führungsverantwortung in einem solchen Verband;
– sich auf die Prüfung zu beschränken hat, ob die der EO angeschlossenen Erzeuger die Stimmenmehrheit in der Generalversammlung der Organisation auf sich vereinen, oder ob sie auch prüfen muss, ob aufgrund der Stimmenverteilung zwischen den Mitgliedern, die nicht von anderen Personen kontrolliert werden, ein oder mehrere Mitglieder, die keine Erzeuger sind, die Entscheidungen der EO auch ohne Mehrheit kontrollieren können.
39 Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage wissen möchte, wie Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 im Hinblick auf eine Situation auszulegen ist, in der bestimmte Mitglieder einer EO von einer anderen Person kontrolliert werden und daher nicht unabhängig sind.
40 Insoweit weist erstens der Wortlaut von Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 darauf hin, dass eine EO eine Satzung haben muss, die Regeln enthält, die es ihren zusammengeschlossenen Erzeugern ermöglichen, eine demokratische Kontrolle über ihre Organisation und deren Entscheidungen auszuüben. Folglich muss die in Rede stehende Satzung Bestimmungen enthalten, die es ausschließen, dass die Kontrolle der EO durch Mitglieder der EO ausgeübt werden kann, die keine Erzeuger sind.
41 Zweitens ist in Bezug auf den Kontext, in den sich Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 einfügt, festzustellen, dass, was die Voraussetzungen anbelangt, die die EO erfüllen müssen, damit die Mitgliedstaaten sie auf Antrag anerkennen können, in Art. 152 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung auf diese Bestimmung verwiesen wird. Insoweit verlangt Art. 152 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung zudem, dass die EO auf Initiative der Erzeuger gebildet wurden, um bestimmte Tätigkeiten auszuüben und ein spezifisches, in diesen Bestimmungen aufgeführtes Ziel zu verfolgen. Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber mit Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der genannten Verordnung durch ein Erfordernis der demokratischen Kontrolle der EO durch ihre zusammengeschlossenen Erzeuger sicherstellen wollte, dass die Tätigkeit einer EO unter Bedingungen erfolgt, die gewährleisten, dass die Kontrolle ihrer in ihr zusammengeschlossenen Erzeuger über die Entscheidungen betreffend die von der EO verfolgten Tätigkeiten und Ziele fortbesteht.
42 Drittens wird diese Auslegung durch den mit der Verordnung Nr. 1308/2013 verfolgten Zweck bestätigt. Wie in Rn. 31 des vorliegenden Urteils ausgeführt, soll die Gründung von EO die Stellung der Erzeuger in der Lebensmittelkette stärken.
43 Dieses Ziel wäre jedoch gefährdet, wenn der Entscheidungsprozess innerhalb dieser EO es erlauben würde, die Interessen anderer Personen als ihrer Mitglieder, die Erzeuger sind, zu bevorzugen. Um diesem Risiko zu begegnen, ist es erforderlich, dass für eine demokratische Kontrolle die Mitglieder, die Erzeuger sind, die Stimmenmehrheit in den Organen der EO vereinen und dass die Mitglieder, die nicht Erzeuger sind, über keine anderen Möglichkeiten verfügen, die Entscheidungen der EO zu kontrollieren (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Juni 1989, Stute Nahrungsmittelwerke, 77/88, EU:C:1989:249, Rn. 12 und 15).
44 Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass das in Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 vorgesehene Erfordernis Auswirkungen auf die Modalitäten der Mitgliedschaft dieser angeschlossenen Erzeuger selbst haben kann, doch betreffen die Fragen des vorlegenden Gerichts in Anbetracht der Umstände des Ausgangsverfahrens nur die Voraussetzungen, unter denen davon ausgegangen werden kann, dass die Mitgliedschaft eines oder mehrerer Nichterzeuger angesichts der Modalitäten und der Tragweite einer solchen Mitgliedschaft gegen dieses Erfordernis einer demokratischen Kontrolle der EO durch ihre zusammengeschlossenen Erzeuger verstößt.
45 Insoweit obliegt es, wie die Generalanwältin in den Nrn. 78 und 79 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, der nationalen Behörde, die über den Antrag auf Anerkennung einer EO zu entscheiden hat, alle Gesichtspunkte zu prüfen, die darauf hindeuten könnten, dass die in Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 sowie die gemäß dieser Bestimmung in den Rechtsakten über die Funktionsweise der EO festgelegten Bedingungen in Wirklichkeit nicht erfüllt sind.
46 In diesem Rahmen obliegt es dieser nationalen Behörde zum einen, in den Rechtsakten, die die Funktionsweise der EO regeln, wie ihrer Satzung oder ihrer Geschäftsordnung, die Bestimmungen zu ermitteln, die – gegebenenfalls in Verbindung mit den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften – gewährleisten, dass die EO und deren Entscheidungen von den zusammengeschlossenen Erzeugern auf demokratische Weise kontrolliert werden. Zum anderen muss diese nationale Behörde prüfen, ob bestimmte tatsächliche und rechtliche Umstände im Zusammenhang mit dem bei ihr gestellten Antrag auf Anerkennung zu einer Umgehung der in Rede stehenden Bestimmungen führen können.
47 So muss die zuständige nationale Behörde insbesondere die Kontrolle prüfen, die eine Person, wie ein berufsständischer Verband, über bestimmte Mitglieder der EO – Erzeuger oder Nichterzeuger – ausüben kann. Eine solche Kontrolle kann sich aus einer Beteiligung dieser Person am Gesellschaftskapital bestimmter Mitglieder der EO ergeben, aber auch aus anderen Rechtsbeziehungen wie der Mitgliedschaft bestimmter juristischer Personen, die Mitglieder der EO sind, in demselben berufsständischen Verband oder der Wahrnehmung von Führungsverantwortung innerhalb dieses Verbandes durch bestimmte natürliche Personen, die Mitglieder der EO sind.
48 Stellt die nationale Behörde fest, dass bestimmte Mitglieder einer EO von einer anderen Person kontrolliert werden können, muss sie auch prüfen, ob dieser Umstand geeignet ist, die der EO angeschlossenen Erzeuger daran zu hindern, eine demokratische Kontrolle über ihre Organisation und deren Entscheidungen auszuüben.
49 Insoweit hat sie zum einen zu prüfen, ob die Kontrolle bestimmter Mitglieder der EO, die die Organe der EO bilden, durch eine Person diese zwingen kann, die Anordnungen dieser Person in den in Rede stehenden Organen auszuführen.
50 Zum anderen ist zu prüfen, ob die so von einer Person über bestimmte Mitglieder der EO ausgeübte Kontrolle es einem oder mehreren Mitgliedern, die keine Erzeuger sind, ermöglicht, einen bestimmenden Einfluss in diesen Organen der EO auszuüben, so dass sie, obwohl sie nicht die Stimmenmehrheit auf sich vereinen, in der Lage sind, die Entscheidungen dieser EO zu kontrollieren, und diese EO nicht in demokratischer Weise durch ihre angeschlossenen Erzeuger kontrolliert werden kann.
51 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen ist, dass für die Feststellung, ob die Satzung einer EO Vorschriften enthält, die es den ihr angeschlossenen Erzeugern ermöglichen, ihre Organisation und die von ihr getroffenen Entscheidungen demokratisch zu kontrollieren, die für die Anerkennung dieser Organisation zuständige nationale Behörde
– prüfen muss, ob eine Person bestimmte Mitglieder der EO kontrolliert, wobei nicht nur zu berücksichtigen ist, ob diese Person am Gesellschaftskapital dieser Mitglieder beteiligt ist, sondern auch, ob sie mit ihnen andere Arten von Beziehungen unterhält, wie etwa bei Mitgliedern, die keine Erzeuger sind, deren Mitgliedschaft in demselben berufsständischen Verband oder bei angeschlossenen Erzeugern die Wahrnehmung von Führungsverantwortung in einem solchen Verband;
– nachdem sie festgestellt hat, dass die der EO angeschlossenen Erzeuger die Stimmenmehrheit in der Generalversammlung der Organisation auf sich vereinen, auch prüfen muss, ob aufgrund der Stimmenverteilung zwischen den Mitgliedern, die nicht von anderen Personen kontrolliert werden, ein oder mehrere Mitglieder, die keine Erzeuger sind, aufgrund eines bestimmenden Einflusses, den sie dadurch ausüben könnten, die Entscheidungen der EO auch ohne Mehrheit kontrollieren können.
Kosten
52 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 153 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates in der durch die Verordnung (EU) 2017/2393 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2017 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
sich das Erfordernis der Mitgliedschaft in einer einzigen Erzeugerorganisation ausschließlich auf ihre Mitglieder bezieht, die Erzeuger sind.
2. Art. 153 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 in der durch die Verordnung 2017/2393 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
für die Feststellung, ob die Satzung einer Erzeugerorganisation Vorschriften enthält, die es den ihr angeschlossenen Erzeugern ermöglichen, ihre Organisation und die von ihr getroffenen Entscheidungen demokratisch zu kontrollieren, die für die Anerkennung dieser Organisation zuständige nationale Behörde
– prüfen muss, ob eine Person bestimmte Mitglieder der Erzeugerorganisation kontrolliert, wobei nicht nur zu berücksichtigen ist, ob diese Person am Gesellschaftskapital dieser Mitglieder beteiligt ist, sondern auch, ob sie mit ihnen andere Arten von Beziehungen unterhält, wie etwa bei Mitgliedern, die keine Erzeuger sind, deren Mitgliedschaft in demselben berufsständischen Verband oder bei angeschlossenen Erzeugern die Wahrnehmung von Führungsverantwortung in einem solchen Verband;
– nachdem sie festgestellt hat, dass die der Erzeugerorganisation angeschlossenen Erzeuger die Stimmenmehrheit in der Generalversammlung der Organisation auf sich vereinen, auch prüfen muss, ob aufgrund der Stimmenverteilung zwischen den Mitgliedern, die nicht von anderen Personen kontrolliert werden, ein oder mehrere Mitglieder, die keine Erzeuger sind, aufgrund eines bestimmenden Einflusses, den sie dadurch ausüben könnten, die Entscheidungen der Erzeugerorganisation auch ohne Mehrheit kontrollieren können.
Unterschriften