T-771/21 – Bategu Gummitechnologie/ Kommission

T-771/21 – Bategu Gummitechnologie/ Kommission

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:T:2023:291

BESCHLUSS DES GERICHTS (Siebte Kammer)

22. Mai 2023(*)

„Außervertragliche Haftung – Wettbewerb – Beschluss, mit dem eine Beschwerde zurückgewiesen wird – Materieller Schaden – Tatsächlicher und sicherer Schaden – Klage, der offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt“

In der Rechtssache T‑771/21,

Bategu Gummitechnologie GmbH mit Sitz in Wien (Österreich), vertreten durch Rechtsanwalt G. Maderbacher,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch J. Szczodrowski und A. Keidel als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin K. Kowalik-Bańczyk, des Richters I. Dimitrakopoulos (Berichterstatter) und der Richterin B. Ricziová,

Kanzler: T. Henze, geschäftsführender Kanzler,

folgenden

Beschluss

1        Mit ihrer Klage gemäß Art. 268 AEUV beantragt die Klägerin, die Bategu Gummitechnologie GmbH, den Ersatz materieller Schäden, die ihr aufgrund des rechtswidrigen Vorgehens der Europäischen Kommission im Zuge des Verfahrens „AT.40492 – Brandschutz für Drehgestelle“ betreffend eine Beschwerde nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) (im Folgenden: Beschwerde) entstanden sein sollen.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Die Klägerin stellt u. a. Schwingungskomponenten aus Metall und Gummi für den Einsatz in Drehgestellen von Schienenfahrzeugen her.

 Norm EN 45545-2:2013

3        Am 7. Dezember 2012 verabschiedete das Europäische Komitee für Normung (CEN) die Europäische Norm EN 45545‑2:2013 „Bahnanwendungen – Brandschutz in Schienenfahrzeugen“ (im Folgenden: Norm EN 45545‑2:2013). Diese Norm legt im Wesentlichen Anforderungen an das Brandverhalten von Materialien und Komponenten fest, die bei der Herstellung von Schienenfahrzeugen verwendet werden. Sie enthält bestimmte Anforderungen an flexible Metall- und Gummikomponenten für den Einsatz in Drehgestellen (im Folgenden: M1‑Komponenten).

4        Gemäß Tabelle 2 in Abschnitt 4.4 der Norm EN 45545‑2:2013 müssen M1‑Komponenten grundsätzlich die Anforderung „R9“ dieser Norm (im Folgenden: „Anforderung R9“) erfüllen. Nach dieser Tabelle gilt diese Anforderung auch für andere Arten von Komponenten.

5        Abschnitt 4.7 („Aufgrund ihrer funktionellen Notwendigkeit zuzulassende Komponenten“) der Norm EN 45545‑2:2013 sieht eine Ausnahme von den Anforderungen der Tabelle 2 in Abschnitt 4.4 dieser Norm vor, nach der die Hersteller – wenn nachgewiesen werden kann, dass eine dieser Anforderungen mit für ihren Einsatzzweck geeigneten Werkstoffen nicht realisiert werden kann – vorhandene handelsübliche Komponenten so lange verwenden können, bis geeignete Komponenten entwickelt wurden. Gemäß Abschnitt 4.7 dieser Norm setzt die Anwendung dieser Ausnahme voraus, dass die grundlegenden Anforderungen in Abschnitt 4.1 der Norm erfüllt werden, was durch eine Bewertung bestätigt werden muss.

6        Die Verordnung (EU) Nr. 1302/2014 der Kommission vom 18. November 2014 über eine technische Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „Fahrzeuge – Lokomotiven und Personenwagen“ des Eisenbahnsystems in der Europäischen Union (ABI. 2014, L 356, S. 228) enthält im Anhang die technische Spezifikation für die Interoperabilität (TSI) des Teilsystems „Fahrzeuge – Lokomotiven und Personenwagen“. Abschnitt 4.2.10 („Brandschutz und Evakuierung“) der TSI sieht u. a. vor, dass „[d]ie zur Konstruktion der Fahrzeuge zu verwendenden Werkstoffe … den Anforderungen der in Anlage J‑1 Ziffer 58 genannten … Spezifikation … entsprechen“ müssen (vgl. Abschnitt 4.2.10.2.1 der TSI). Anlage J‑1 Ziff. 58 („Maßnahmen zur Brandverhütung – Werkstoffanforderungen“) verweist auf die Norm EN 45545‑2:2013.

 Die Beschwerde

7        Am 12. Dezember 2016 reichte die Klägerin bei der Kommission die Beschwerde ein.

8        Im Verwaltungsverfahren machte sie im Wesentlichen geltend, dass fünf Hersteller von Schienenfahrzeugen und Originalhersteller (Original Equipment Manufacturer, im Folgenden: OEM) im Zusammenhang mit der Anwendung der Norm EN 45545‑2:2013 gegen die Art. 101 und 102 AEUV verstoßen hätten.

9        In der Beschwerde führte sie u. a. aus, dass sie eine technische Lösung für die M1‑Komponenten entwickelt habe, die die Anforderung R9 erfülle, und dass sie das einzige Unternehmen sei, das diese Komponenten gemäß dieser Anforderung herstellen könne. Die einzige Möglichkeit für die OEM, die Norm EN 45545‑2:2013 zu erfüllen, sei gewesen, die von ihr hergestellten Drehgestellkomponenten zu erwerben. Zur Umgehung der Anforderungen dieser Norm hätten sich die OEM unter Verstoß gegen Art. 101 AEUV dahin abgestimmt, sich zu Unrecht auf Abschnitt 4.7 der Norm zu berufen und gegenüber ihren Kunden und den zuständigen Zulassungsbehörden zu behaupten, dass keine geeigneten, der Anforderung R9 entsprechenden M1‑Komponenten existierten. Die OEM hätten irreführende Leitlinien ausgearbeitet und verwendet, damit die in diesem Abschnitt der Norm vorgesehene Ausnahme Anwendung finde.

10      Schließlich hätten die OEM ihre kollektive marktbeherrschende Stellung missbraucht, um die der Norm EN 45545‑2:2013 entsprechenden Produkte der Klägerin zu boykottieren, wodurch sie die technische Entwicklung einschränkten und damit gegen Art. 102 AEUV verstießen.

11      Im Anschluss an die Beschwerde führte die Kommission eine Untersuchung durch.

12      Mit Schreiben vom 17. Dezember 2020 teilte die Kommission der Klägerin gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101] und [102] EG‑Vertrag durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) mit, dass keine ausreichenden Gründe bestünden, der Beschwerde nachzugehen.

13      Mit Schreiben vom 11. Februar 2021 übermittelte die Klägerin der Kommission ihre Stellungnahme auf das oben in Rn. 12 genannte Schreiben.

14      Mit Beschluss vom 15. Februar 2023 wies die Kommission die Beschwerde zurück.

 Anträge der Parteien

15      Die Klägerin beantragt,

–        die Union zur Zahlung von 70 695 720,35 Euro zu verurteilen;

–        die Union zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

16      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Nach Art. 126 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn eine Klage offensichtlich unzulässig ist oder ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt, durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.

18      Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht aufgrund der Aktenlage für ausreichend informiert und beschließt, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden, auch wenn die Klägerin die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 8. November 2021, Satabank/EZB, T‑494/20, nicht veröffentlicht, EU: T:2021:797, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Klage zunächst geltend, dass die Kommission verschiedene qualifizierte Verstöße gegen das Unionsrecht begangen habe, indem sie keine Schritte unternommen habe, die geeignet wären, eine unionsrechtskonforme Zulassungspraxis der zuständigen Behörden sicherzustellen oder die Zuwiderhandlungen der OEM gegen das Eisenbahnrecht und das Wettbewerbsrecht abzustellen.

20      Sodann macht die Klägerin geltend, im Rahmen ihrer Herstellung von Drehgestellkomponenten sei ihr ein Schaden in Höhe von insgesamt mindestens 70 695 720,35 Euro entstanden. Dieser Schaden setze sich aus vier Schadensposten zusammen, und zwar erstens Kosten der Entwicklung und Prüfung von brandgeschützten Elastomerwerkstoffen und Drehgestellkomponenten in Höhe von 97 818,87 Euro, zweitens Kosten für die Wahrung des Patentschutzes für diese Werkstoffe und Komponenten in Höhe von 314 842,52 Euro, drittens Kosten für die rechtliche Beratung und Vertretung in Höhe von 1 283 058,96 Euro und viertens entgangener Gewinn in Höhe von mindestens 69 Mio. Euro.

21      Schließlich ist die Klägerin der Ansicht, dass ein ausreichend unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Kommission und dem ihr entstandenen Schaden vorliege.

22      Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

 Zu den Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der Union

23      Nach Art. 340 Abs. 2 AEUV ersetzt die Union „[i]m Bereich der außervertraglichen Haftung … den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“.

24      Nach ständiger Rechtsprechung ergibt sich aus Art. 340 Abs. 2 AEUV, dass die außervertragliche Haftung der Union und der Anspruch auf Schadensersatz davon abhängen, dass eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich die Rechtswidrigkeit des den Organen vorgeworfenen Verhaltens, das tatsächliche Vorliegen eines Schadens und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem Verhalten und dem geltend gemachten Schaden (vgl. Urteil vom 9. September 2008, FIAMM u. a./Rat und Kommission, C‑120/06 P und C‑121/06 P, EU:C:2008:476, Rn. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Diese drei Voraussetzungen sind kumulativ. Das Fehlen einer von ihnen genügt daher für eine Abweisung der Schadensersatzklage, ohne dass die übrigen Voraussetzungen dieser Haftung geprüft zu werden bräuchten (vgl. Urteile vom 16. Dezember 2015, Chart/EAD, T‑138/14, EU:T:2015:981, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 16. Dezember 2020, Bilbaína de Alquitranes/Kommission, T‑645/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:629, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Außerdem ist der Unionsrichter nicht gehalten, diese Voraussetzungen in einer bestimmten Reihenfolge zu prüfen (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2018, Europäische Union/Kendrion, C‑150/17 P, EU:C:2018:1014, Rn. 118 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzung des tatsächlichen Vorliegens eines Schadens offensichtlich erfüllt ist.

 Tatsächliches Vorliegen und Sicherheit der geltend gemachten materiellen Schäden

28      Nach ständiger Rechtsprechung kann gemäß der Voraussetzung des tatsächlichen Vorliegens eines Schadens die Haftung der Union nur ausgelöst werden, wenn der Klägerin ein tatsächlicher und sicherer Schaden entstanden ist (vgl. Urteil vom 21. Februar 2008, Kommission/Girardot, C‑348/06 P, EU:C:2008:107, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zudem ist es Sache der Klägerin, schlüssige Beweise für das Vorliegen und den Umfang dieses Schadens zu erbringen (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2015, Chart/EAD, T‑138/14, EU:T:2015:981, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Dagegen begründet ein rein hypothetischer und unbestimmter Schaden kein Recht auf Schadensersatz (vgl. Urteil vom 28. April 2010, BST/Kommission, T‑452/05, EU:T:2010:167, Rn. 165 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob die Klägerin vor dem Gericht Beweise für das Vorliegen und den Umfang der vier geltend gemachten Schadensposten vorgelegt hat.

 Zum ersten Schadensposten

31      Die Klägerin macht geltend, ihr seien Kosten in Höhe von 97 818,87 Euro für die Entwicklung von brandgeschützten Elastomerwerkstoffen und Drehgestellkomponenten, die der Anforderung R9 entsprächen, sowie für die Durchführung verschiedener Prüfungen dieser Werkstoffe und Komponenten entstanden. Sie hätte die Entwicklung dieser Werkstoffe und Komponenten nicht angestoßen, hätte es keine unionsrechtliche Anforderung in Bezug auf die M1‑Komponenten gegeben. In Anlage A.33 zur Klageschrift legt sie 22 vom 15. April 2011 bis zum 29. September 2021 datierende und von zwei verschiedenen Unternehmen ausgestellte Rechnungen vor, die technische Prüfungen an ihren Produkten betreffen und denen eine eidesstättige Erklärung ihres Geschäftsführers beigefügt ist, in der es heißt, dass die „hiermit vorgelegten obigen Rechnungen ausschließlich Leistungen im Zusammenhang mit EN 45545-Prüfungen der von [ihr] entwickelten [Werkstoffe] betreffen“ und dass „die in den angeführten Rechnungen aufgeführten Beträge auch zu entsprechenden Zahlungen [ihrerseits] geführt haben“.

32      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin in der Klageschrift selbst allgemein und vage auf Kosten der „Entwicklung und … Prüfung ihres Werkstoffs“ verweist, ohne dies insbesondere hinsichtlich der Relevanz dieses Werkstoffs weiter zu erläutern. Sie bezieht sich nämlich weder auf die M1‑Komponenten noch auf die Anforderung R9.

33      Sodann ist zu der Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin in Anlage A.33 zur Klageschrift festzustellen, dass diese Erklärung vage ist und sich allgemein auf „EN 45545-Prüfungen der von [ihr] entwickelten [Werkstoffe]“ und nicht speziell auf die M1‑Komponenten oder die Anforderung R9 bezieht.

34      Darüber hinaus hängt nach ständiger Rechtsprechung die Glaubhaftigkeit und damit der Beweiswert eines Schriftstücks von seiner Herkunft, den Umständen seiner Entstehung, seinem Adressaten und davon ab, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und glaubhaft wirkt. Zudem kann einer eidesstattlichen Erklärung und erst recht einer Erklärung nur dann ein Beweiswert zugeschrieben werden, wenn sie durch weitere Beweismittel bestätigt wird, und es ist auch zu berücksichtigen, dass die in Rede stehende Erklärung von einer Person oder von einem Unternehmen stammt, die bzw. das ein unmittelbares Interesse an dieser Rechtssache haben könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2018, Vakakis kai Synergates/Kommission, T‑292/15, EU:T:2018:103, Rn. 136 und 137 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall wurde die eidesstättige Erklärung vom Geschäftsführer der Klägerin erstellt und kann daher nicht die gleiche Zuverlässigkeit und Glaubhaftigkeit aufweisen wie die Erklärung eines Dritten oder einer vom Unternehmen unabhängigen Person (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. April 2016, Henkell & Co. Sektkellerei/EUIPO – Ciacci Piccolomini d’Aragona di Bianchini [PICCOLOMINI], T‑20/15, EU:T:2016:218, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Schließlich enthalten die Rechnungen vom 15. April 2011, 8. Oktober 2012, 21. Mai, 4. Juni, 28. August und 14. Oktober 2013, 6. Juni 2014, 31. März und 29. August 2016, 26. Januar, 16. Februar, 29. November und 12. Dezember 2017, 26. Juni und 13. November 2018, 23. Januar, 20. März, 11. und 25. April 2019 und 29. September 2021, die in Anlage A.33 zur Klageschrift enthalten sind, keine Bezugnahme auf die M1‑Komponenten oder die Anforderung R9. In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass alle diese Rechnungen sehr knappe Beschreibungen der erbrachten Dienstleistungen enthalten.

36      Lediglich eine Rechnung in Anlage A.33 zur Klageschrift, datiert auf den 27. Februar 2019, trägt den Vermerk „Auftragsinhalt: EN 45545‑2 (R9‑20 min)“ und könnte somit als auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Anforderung R9 Bezug nehmend angesehen werden. Sie enthält jedoch nur eine sehr knappe Beschreibung der erbrachten Dienstleistungen und keine näheren Angaben zur Art des geprüften Werkstoffs oder Produkts. Da die genannte Anforderung, wie oben in Rn. 4 ausgeführt, für mehrere Arten von Komponenten gelten kann, ist diese Rechnung daher nicht geeignet, die Durchführung von Prüfungen für M1‑Komponenten nachzuweisen. Im Übrigen bezieht sie sich auf der Klägerin im Lauf des Jahres 2019 erbrachte Dienstleistungen, während die Klägerin mit der vorliegenden Klage geltend macht, dieser Anforderung entsprechende Komponenten 2011 entwickelt und seit 2011 angeboten zu haben sowie die Beschwerde 2016 eingereicht zu haben.

37      Nach alledem und in Anbetracht dessen, dass die Beweise, auf die sich die Klägerin stützt, keine genauen Bezugnahmen auf die M1‑Komponenten oder die Anforderung R9 enthalten, hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass es sich bei dem ersten Schadensposten um einen tatsächlichen und sicheren Schaden handelt.

 Zum zweiten Schadensposten

38      Die Klägerin macht geltend, ihr seien Kosten in Höhe von 314 842,52 Euro für die Erlangung und Wahrung von Patentschutz für ihre Erfindung entstanden. Hierzu legt sie in Anlage A.34 zur Klageschrift 137 Kostennoten einer Anwaltskanzlei aus der Zeit vom 14. Juni 2012 bis zum 21. September 2021 vor, denen eine eidesstättige Erklärung ihres Geschäftsführers beigefügt ist, in der es heißt, dass „die hiermit vorgelegten Rechnungen ausschließlich Leistungen im Zusammenhang mit der Wahrung [ihrer] Rechte … an von ihr entwickelten Werkstoffen betreffen, die die Anforderungen der EN 45545‑2:2013 erfüllen“, und dass „die in den angeführten Rechnungen aufgeführten Beträge auch zu entsprechenden Zahlungen [ihrerseits] geführt haben“.

39      Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin im vorliegenden Verfahren keinen Beweis dafür erbracht hat, dass ihr Werkstoff oder die von ihr hergestellten Drehgestellkomponenten patentiert sind. Insbesondere hat sie kein Patent vorgelegt.

40      Sodann ist zu den Kostennoten in Anlage A.34 zur Klageschrift festzustellen, dass sie nur knappe Beschreibungen enthalten, die die Klägerin in der Klageschrift nicht erläutert hat. Vor allem geht aus ihnen auch nicht klar hervor, dass sie sich auf juristische Dienstleistungen beziehen, die der Anforderung R9 entsprechende M1‑Komponenten betreffen.

41      Was schließlich die Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin am Anfang der Anlage A.34 zur Klageschrift betrifft, so ist diese vage und bezieht sich allgemein auf „Leistungen im Zusammenhang mit der Wahrung [ihrer] Rechte an von [ihr] entwickelten Werkstoffen …, die die Anforderungen der EN 45545‑2:2013 erfüllen“, nicht aber speziell auf der Anforderung R9 entsprechende M1‑Komponenten und erst recht nicht auf spezifische Patente für solche Komponenten. Jedenfalls hat diese Erklärung aus denselben Gründen, wie sie oben in Rn. 34 dargelegt sind, einen begrenzten Beweiswert.

42      Nach alledem hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass es sich bei dem zweiten Schadensposten um einen tatsächlichen und sicheren Schaden handelt.

 Zum dritten Schadensposten

43      Die Klägerin macht geltend, dass ihr im Zusammenhang mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche vor nationalen Behörden und Gerichten Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1 283 058,96 Euro entstanden seien. Hierzu legt sie in Anlage A.35 zur Klageschrift 162 Kostennoten einer Vielzahl verschiedener Anwaltskanzleien aus der Zeit vom 22. Oktober 2014 bis zum 29. Oktober 2021 vor, denen eine eidesstättige Erklärung ihres Geschäftsführers beigefügt ist, in der es heißt, dass „die hiermit vorgelegten Rechnungen ausschließlich Leistungen im Zusammenhang mit der Wahrung [ihrer Rechte] an von ihr entwickelten Werkstoffen betreffen, die die Anforderungen der EN 45545‑2:2013 erfüllen“, und dass „die in den angeführten Rechnungen aufgeführten Beträge auch zu entsprechenden Zahlungen [ihrerseits] geführt haben“.

44      Zunächst ist festzustellen, dass die Klageschrift selbst keine näheren Angaben zur Art der geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten enthält.

45      Sodann sind die Kostennoten in Anlage A.35 zur Klageschrift, wie sie von der Klägerin in ihrer Erwiderung korrigiert worden ist, sehr knapp gehalten, und die meisten von ihnen enthalten keine genaue Beschreibung der erbrachten Dienstleistungen. Nur einige von ihnen beziehen sich auf die Norm EN 45545‑2:2013, enthalten jedoch keinen spezifischen Hinweis auf die M1‑Komponenten, die Anforderung R9 oder auf Verfahren im Zusammenhang mit diesen Komponenten oder dieser Anforderung. Darüber hinaus bezieht sich ein Teil davon auf verschiedene Arten von Rechtsberatung, wie z. B. Rechtsberatung im Medienrecht, deren Einschlägigkeit in keiner Weise dargetan wurde.

46      Auch die Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin in Anlage A.35 zur Klageschrift ist vage und bezieht sich allgemein auf „Leistungen im Zusammenhang mit der Wahrung [ihrer] Rechte an von ihr entwickelten Werkstoffen …, die die Anforderungen der EN 45545‑2:2013 erfüllen“, nicht aber speziell auf M1‑Komponenten, auf die Anforderung R9 oder auf spezifische rechtliche Verfahren im Zusammenhang mit Komponenten, die dieser Anforderung entsprechen. Jedenfalls hat diese Erklärung aus denselben Gründen, wie sie oben in Rn. 34 dargelegt sind, einen begrenzten Beweiswert.

47      Schließlich hat die Klägerin mit ihrer Erwiderung eine neue Übersichtstabelle zu Belegen über Rechtsverfolgungskosten vorgelegt (Anlage C.8 zur Erwiderung). In dieser Tabelle sind jedoch lediglich juristische Leistungen aufgeführt, die mit der Norm EN 45545‑2:2013 in Zusammenhang stehen sollen, ohne dass jemals angegeben würde, ob sich diese Leistungen speziell auf Rechte bezogen, die der Anforderung R9 entsprechende M1‑Komponenten betreffen. Statt Erläuterungen und Beweise für die Einschlägigkeit dieser juristischen Leistungen zu liefern, verweist die Klägerin in der Erwiderung lediglich erneut auf die eidesstättige Erklärung ihres Geschäftsführers.

48      Somit ist festzustellen, dass die Klägerin die Relevanz der geltend gemachten Kosten für die rechtliche Beratung und Vertretung nicht nachgewiesen hat.

49      Nach alledem hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass es sich bei dem dritten Schadensposten um einen tatsächlichen und sicheren Schaden handelt.

 Zum vierten Schadensposten

50      Die Klägerin macht entgangenen Gewinn geltend, der sich daraus ergebe, dass sie ohne die Zuwiderhandlungen der OEM gegen das Eisenbahnrecht und das Wettbewerbsrecht ihren Werkstoff und ihre Drehgestellkomponenten an die OEM hätte verkaufen oder zumindest Patentlizenzen für die Nutzung hätte erteilen können. Der daraus resultierende Schaden belaufe sich auf insgesamt mindestens 69 Mio. Euro für die fünf vergangenen Jahre, „bei einem jedenfalls angemessenen Lizenzentgelt von 5 % pro Jahr“.

51      Als Erstes ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin, wie oben in Rn. 39 ausgeführt, im vorliegenden Verfahren keinen Beweis dafür erbracht hat, dass ihr Werkstoff und ihre Komponenten patentiert sind und ganz allgemein ein Recht des geistigen Eigentums, das Gegenstand einer Lizenz und eines Lizenzentgelts sein kann, besteht.

52      Darüber hinaus hat die Klägerin keinen Beweis für ihre Behauptung vorgelegt, dass sie den einzigen Werkstoff und die einzigen M1‑Komponenten auf dem Markt herstelle, die der Anforderung R9 entsprächen, so dass die OEM, um die Norm EN 45545‑2:2013 zu erfüllen, keine andere Möglichkeit gehabt hätten, als ihren Werkstoff und ihre Drehgestellkomponenten zu kaufen.

53      Unter diesen Umständen hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die OEM, wenn die Kommission ihrer Beschwerde stattgegeben hätte, zwangsläufig ihren Werkstoff und ihre Drehgestellkomponenten gekauft hätten. Daher sind der Verkauf dieser Produkte und die Erteilung entsprechender Patentlizenzen nicht sicher und bleiben rein hypothetisch und unbestimmt. Daraus folgt, dass nicht nachgewiesen ist, dass es sich bei dem behaupteten entgangenen Gewinn um einen tatsächlichen und sicheren Schaden handelt.

54      Als Zweites ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin vorgeschlagene Bezifferung des Schadens auf willkürlichen und nicht belegten Faktoren und Berechnungen beruht. Die Klägerin bezieht sich nämlich auf einen „Mindestverkaufspreis für M1‑Komponenten“ und auf ein „übliche[s] Instandhaltungsintervall der Fahrzeuge“, ohne hierfür irgendeinen Beweis vorzulegen. Auch ihre Berechnungen zur Gesamtzahl der Dreh- bzw. Fahrgestelle in der Union werden nicht weiter belegt. Somit ist unabhängig von der Frage, ob die von der Klägerin vorgeschlagene Berechnungsmethode einschlägig ist, festzustellen, dass die Klägerin für keine der oben genannten Tatsachenbehauptungen, auf die sie ihre Berechnung stützt, Beweise oder Beweisangebote vorlegt.

55      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Bezifferung und Schätzung eines entgangenen Gewinns zwar bestimmte Besonderheiten aufweisen können, dies die Klägerin aber nicht von jeder Beweispflicht in Bezug auf den behaupteten Schaden freistellt. Denn auch für diese Art von Vermögensschaden muss sie sowohl das Bestehen des Schadens als auch die Angaben, auf die sich dessen Bewertung stützt, nachweisen, da diese nicht einfach nach billigem Ermessen vorgenommen werden kann (Urteil vom 16. Juli 2009, SELEX Sistemi Integrati/Kommission, C‑481/07 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:461, Rn. 37).

56      Auch wenn der Wert eines entgangenen Gewinns zwangsläufig eine hypothetische Angabe ist, die geschätzt werden muss, ändert dies somit nichts daran, dass die Angaben, auf denen diese Schätzung beruht, von der Partei, die sich darauf beruft, bewiesen werden können und im Rahmen des Möglichen auch bewiesen werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. April 2010, BST/Kommission, T‑452/05, EU:T:2010:167, Rn. 168 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Statt Beweise vorzulegen, um ihre Berechnungen zu untermauern, beschränkt sich die Klägerin jedoch darauf, das Gericht aufzufordern, ein Sachverständigengutachten gemäß Art. 91 Buchst. e der Verfahrensordnung einzuholen. Folglich ist der Antrag der Klägerin, das Gericht möge ein Sachverständigengutachten einholen, zurückzuweisen.

58      Nach alledem ist festzustellen, dass nicht nachgewiesen ist, dass es sich bei dem vierten Schadensposten um einen tatsächlichen und sicheren Schaden handelt.

59      Aus alledem folgt, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass es sich bei den von ihr geltend gemachten materiellen Schäden um tatsächliche und sichere Schäden handelt, so dass die Voraussetzung des tatsächlichen Vorliegens eines Schadens offensichtlich nicht erfüllt und damit ihr Schadensersatzantrag insgesamt zurückzuweisen ist.

60      Folglich ist die Klage abzuweisen, da ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt.

 Kosten

61      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Bategu Gummitechnologie GmbH trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.

Luxemburg, den 22. Mai 2023

Der geschäftsführende Kanzler

 

Die Kammerpräsidentin

T. Henze

 

K. Kowalik-Bańczyk



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