Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)
2. Oktober 2024(* )
„ Wettbewerb – Kartelle – Markt für Metallverpackungen – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wird – Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden – Einleitung des Prüfverfahrens durch die Kommission auf Ersuchen einer nationalen Wettbewerbsbehörde – Frist für die Umverteilung – Begründungspflicht – Berechtigtes Vertrauen – Subsidiaritätsprinzip – Verteidigungsrechte – Verhältnismäßigkeit – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Widerklage auf Neufestsetzung der Höhe der Geldbuße im Anschluss an ein Vergleichsverfahren “
In der Rechtssache T‑587/22,
Crown Holdings, Inc. mit Sitz in Yardley, Pennsylvania (Vereinigte Staaten),
Crown Cork & Seal Deutschland Holdings GmbH mit Sitz in Seesen (Deutschland),
vertreten durch Rechtsanwälte A. Burnside, C. Graf York von Wartenburg, A. Kidane und Rechtsanwältin D. Strohl,
Klägerinnen,
gegen
Europäische Kommission, vertreten durch B. Ernst, A. Keidel und L. Wildpanner als Bevollmächtigte,
Beklagte,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
erlässt
DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin A. Marcoulli, des Richters J. Schwarcz, der Richterin V. Tomljenović sowie der Richter R. Norkus (Berichterstatter) und W. Valasidis,
Kanzler: I. Kurme, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2024
folgendes
Urteil (1 )
1 Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragen die Klägerinnen, die Crown Holdings, Inc. und die Crown Cork & Seal Deutschland Holdings GmbH, den Beschluss C(2022) 4761 final der Kommission vom 12. Juli 2022 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV (Sache AT. 40522 – Metallverpackungen) (im Folgenden: angefochtener Beschluss) insoweit für nichtig zu erklären, als er sie betrifft. Die Europäische Kommission beantragt im Wege der Widerklage, die gegen die Klägerinnen verhängte Geldbuße zu erhöhen.
I. Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Die Klägerinnen sind Unternehmen, die im Bereich der Metallverpackungen, einschließlich Metalldosen und Metallverschlüsse, tätig sind.
3 Im März 2015 leitete das Bundeskartellamt (Deutschland) eine Untersuchung gegen mehrere Unternehmen in diesem Bereich, u. a. auch gegen die Klägerinnen, ein.
4 Auf ein Ersuchen des Bundeskartellamts, im vorliegenden Fall ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, erließ die Kommission am 19. April 2018 den Beschluss C(2018) 2466 final betreffend die Einleitung eines Verfahrens in der Sache AT. 40522 – Pandora (im Folgenden: Einleitungsbeschluss).
5 Am 25. April 2018 ging bei der Kommission ein Antrag der Klägerinnen auf Anwendung der Kronzeugenregelung ein.
6 Am 23. März 2021 forderte die Kommission die Klägerinnen und die andere von der Zuwiderhandlung betroffene Gruppe auf, an Vergleichsgesprächen teilzunehmen.
7 Mit Beschluss vom 1. Oktober 2021 wurde das Verfahren für alle Gebiete des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) mit Ausnahme Deutschlands eingestellt.
8 Die Klägerinnen stellten einen förmlichen Vergleichsantrag, in dem sie zum einen ihre Haftbarkeit für die Zuwiderhandlung anerkannten und zum anderen den Höchstbetrag der erwarteten Geldbuße angaben, dem sie im Rahmen eines Vergleichsverfahrens zustimmen würden.
9 Am 19. Mai 2022 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Klägerinnen, die in ihrer Antwort bestätigten, dass der Sachverhalt und die rechtliche Würdigung der Zuwiderhandlung, wie sie von der Kommission festgestellt worden seien, den Inhalt ihrer Vergleichsausführungen widergäben und dass sie an der Anwendung des Vergleichsverfahrens festhielten.
10 Am 12. Juli 2022 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss. Sie war u. a. der Ansicht, dass die Klägerinnen an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV beteiligt gewesen seien, die sich auf den Bereich Metallverpackungen in Deutschland bezogen und vom 11. März 2011 bis zum 18. September 2014 gedauert habe, und verhängte gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 7 670 000 Euro.
11 Dieser Betrag berücksichtigt eine den Klägerinnen auf der Grundlage der Bekanntmachung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17) gewährte Ermäßigung der Geldbuße von 50 %, und eine Ermäßigung von 10 % auf der Grundlage der Mitteilung der Kommission über die Durchführung von Vergleichsverfahren bei dem Erlass von Entscheidungen nach Artikel 7 und Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates in Kartellfällen (ABl. 2008, C 167, S. 1, im Folgenden: Mitteilung über Vergleichsverfahren).
[nicht wiedergegeben ]
III. Rechtliche Würdigung
A. Zur Nichtigkeitsklage
15 Einleitend ist erstens daran zu erinnern, dass die Kommission nach Art. 105 Abs. 1 AEUV die Aufgabe hat, auf die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zu achten.
16 So ist die Kommission aufgerufen, die Wettbewerbspolitik der Europäischen Union im Einklang mit der Rechtsprechung festzulegen und durchzuführen (vgl. Urteil vom 16. Oktober 2013, Vivendi/Kommission, T‑432/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:538, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
17 Im Einklang mit diesen Grundsätzen wurde der Kommission durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) unabhängig davon, wie sie von dem Fall Kenntnis erlangt, d. h. insbesondere davon, ob sie mit einer Beschwerde befasst oder von sich aus tätig wird, die Befugnis übertragen, nach Maßgabe der Prioritäten, die sie im Rahmen der Wettbewerbspolitik der Union festlegt, zu entscheiden, ob Verhaltensweisen Gegenstand einer Strafverfolgung, einer Entscheidung zur Feststellung einer Zuwiderhandlung und einer Abhilfemaßnahme, einschließlich einer Geldbuße, sein müssen. Dies gilt auch für den Fall, dass sich die Kommission – wie vorliegend – auf Antrag einer nationalen Wettbewerbsbehörde mit dem Fall befasst hat.
18 Zweitens beendet die Verordnung Nr. 1/2003 die frühere zentralisierte Regelung und organisiert gemäß dem Subsidiaritätsprinzip einen weiteren Zusammenschluss der nationalen Wettbewerbsbehörden, indem sie ihnen zu diesem Zweck die Befugnis zur Durchführung des Wettbewerbsrechts der Union einräumt. Der Aufbau der Verordnung beruht auf einer engen, auf eine Weiterentwicklung angelegten Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den in einem Netz organisierten Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten (Urteil vom 16. Juni 2015, FSL u. a./Kommission, T‑655/11, EU:T:2015:383, Rn. 75).
19 Drittens ergibt sich aus Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003, dass die Kommission im Rahmen der Ermittlung und Feststellung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union eine vorrangige Rolle behält, die nicht durch die parallele Zuständigkeit, über die die nationalen Wettbewerbsbehörden nach dieser Verordnung verfügen, beeinträchtigt wird (Urteil vom 13. Juli 2011, ThyssenKrupp Liften Ascenseurs/Kommission, T‑144/07, T‑147/07 bis T‑150/07 und T‑154/07, EU:T:2011:364, Rn. 76).
20 Leitet die Kommission nämlich nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 ein Verfahren gegen eines oder mehrere Unternehmen aufgrund einer mutmaßlichen Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV ein, verlieren die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit zur Verfolgung dieser Unternehmen wegen derselben mutmaßlich wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen auf dem- oder denselben Produktmärkten und dem- oder denselben geografischen Märkten in dem- oder denselben Zeiträumen (Urteile vom 25. Februar 2021, Slovak Telekom, C‑857/19, EU:C:2021:139, Rn. 30, und vom 20. April 2023, Amazon.com u. a./Kommission, C‑815/21 P, EU:C:2023:308, Rn. 27). Vorbehaltlich einer bloßen Konsultation der betreffenden Wettbewerbsbehörde behält die Kommission die Möglichkeit, ein Verfahren zum Erlass eines Beschlusses einzuleiten, selbst wenn eine nationale Behörde bereits in dem Fall tätig ist (Urteil vom 8. März 2007, France Télécom/Kommission, T‑339/04, EU:T:2007:80, Rn. 80).
21 Viertens ist daran zu erinnern, dass gemäß Ziff. 4 der Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden (ABl. 2004, C 101, S. 43, im Folgenden: Bekanntmachung über die Zusammenarbeit) Konsultationen und Informationsaustausch innerhalb des Netzes eine Angelegenheit zwischen den Wettbewerbsbehörden sind und dass diese Bekanntmachung gemäß Ziff. 31 für Unternehmen, die an einer Zuwiderhandlung beteiligt oder davon betroffen sind, keinerlei Rechte dahin begründet, dass sich eine bestimmte Behörde mit einem Fall zu befassen hat. Im Allgemeinen begründet weder die Verordnung Nr. 1/2003 noch diese Bekanntmachung Rechte oder Erwartungen für ein Unternehmen dahin, dass sein Fall von einer bestimmten Wettbewerbsbehörde behandelt wird (vgl. Urteil vom 17. Dezember 2014, Si.mobil/Kommission, T‑201/11, EU:T:2014:1096, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung und Beschluss vom 14. Oktober 2021, Amazon.com u. a./Kommission, T‑19/21, EU:T:2021:730, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
22 Nach Ziff. 5 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit liegt es im vollen Ermessen jedes Netzmitglieds zu entscheiden, ob in einem bestimmten Fall Ermittlungen eingeleitet werden sollen oder nicht, und Ziff. 55 dieser Bekanntmachung sieht im Einklang mit Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 vor, dass die Kommission einer in einer Sache bereits tätigen nationalen Wettbewerbsbehörde die Gründe erläutert, aus denen sie beschließt, die Sache zu übernehmen.
23 Hinsichtlich der Umverteilung von Fällen zwischen Wettbewerbsbehörden sieht Ziff. 18 vor, dass „[wenn] sich die Frage der Umverteilung eines Falles [stellt], … diese rasch gelöst werden [sollte], im Regelfall innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Unterrichtung des Netzes nach Artikel 11 der [Verordnung Nr. 1/2003]“ und dass „[sich] die Wettbewerbsbehörden … um eine Einigung über die Frage einer möglichen Umverteilung und [gegebenenfalls] über Modalitäten eines parallelen Vorgehens [bemühen]“.
24 Ziff. 19 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit bestimmt:
„… die Wettbewerbsbehörde(n), die bei Ablauf des Fallverteilungszeitraums mit dem Fall befasst ist/sind, [soll/sollen] diesen auch bis zum Abschluss des Verfahrens weiter durchführen. Die Umverteilung eines Falls nach Ablauf der Verteilungsfrist von zwei Monaten soll nur erfolgen, wenn sich der bekannte Sachverhalt im Verlauf des Verfahrens wesentlich ändert.“
25 Schließlich zielt Ziff. 54 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit insbesondere auf die Situation, in der die Kommission ein Verfahren auf der Grundlage von Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 einleitet, nachdem „eine oder mehrere nationale Wettbewerbsbehörden das Netz darüber informiert haben, dass sie eine bestimmte Rechtssache bearbeiten“. Diese Ziffer weist darauf hin, dass, „während der anfänglichen Fallverteilungsphase“, d. h. während eines oben in Ziff. 18 derselben Bekanntmachung erwähnten Richtzeitraums von zwei Monaten, die Kommission auf der Grundlage der genannten Bestimmung ein Verfahren einleiten kann, nachdem sie die betroffenen Behörden konsultiert hat. Außerdem wird klargestellt, dass die Kommission „nach der Fallverteilungsphase“ diese Bestimmung nur in bestimmten Fällen anwendet, nämlich wenn Netzmitglieder im selben Fall den Erlass widersprüchlicher Entscheidungen beabsichtigen (Ziff. 54 Buchst. a); wenn diese den Erlass einer Entscheidung beabsichtigen, die offensichtlich in Widerspruch zur gesicherten Rechtsprechung steht (Ziff. 54 Buchst. b); wenn ein oder mehrere Netzmitglieder Verfahren in dem Fall unangemessen in die Länge ziehen (Ziff. 54 Buchst. c); zur Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik, insbesondere dann, wenn in mehreren Mitgliedstaaten ein ähnliches Wettbewerbsproblem auftritt, oder um eine effektive Durchsetzung sicherzustellen (Ziff. 54 Buchst. d); oder sogar, wenn die betroffenen nationalen Wettbewerbsbehörden keine Einwände erheben (Ziff. 54 Buchst. e).
26 Auf der Grundlage dieser Elemente sind die Klagegründe der Klägerinnen zu prüfen.
27 Im vorliegenden Fall betonen die Klägerinnen, dass sie den von ihnen im Rahmen des Vergleichsverfahrens akzeptierten Inhalt des angefochtenen Beschlusses nicht bestreiten. Sie stellen klar, dass die Klageschrift nur die Verfahrensfehler betreffe, die zu der erneuten Zuweisung der Sache an die Kommission und letztlich zum Erlass dieses Beschlusses geführt hätten.
28 Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf sechs Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund wird ein Verstoß gegen die in der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit festgelegten Grundsätze gerügt. Der zweite Klagegrund wird auf einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und die unzureichende Begründung des angefochtenen Beschlusses gestützt. Der dritte Klagegrund stützt sich auf einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip. Der vierte Klagegrund stützt sich auf die Verletzung der Verteidigungsrechte. Der fünfte Klagegrund beruht auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der sechste Klagegrund betrifft einen Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung.
29 Der erste und der zweite Klagegrund sind zusammen zu prüfen, dann die anderen in der Reihenfolge, in der sie vorgebracht wurden.
1. Zum ersten und zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit und den Grundsatz des Vertrauensschutzes sowie Verletzung der Begründungspflicht
30 Die Klägerinnen tragen im Wesentlichen vor, dass erstens die Kommission an die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit gebunden sei, die ein berechtigtes Vertrauen schaffe, und zweitens, dass die Kommission ihre Entscheidung, von der in dieser Bekanntmachung vorgesehenen ursprünglichen Umverteilungsfrist abzuweichen, nicht begründet habe.
a) Zum Vorbringen, dass die Kommission an die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit, die berechtigtes Vertrauen schaffe , gebunden sei
31 Das Vorbringen der Klägerinnen gliedert sich im Wesentlichen in drei Teile. Der erste Teil betrifft die Frage, ob die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit für die Kommission verbindlich ist. Der zweite ist darauf gerichtet, festzustellen, ob die Ziff. 18 und 19 dieser Bekanntmachung ein berechtigtes Vertrauen hinsichtlich der Umverteilung der Rechtssache innerhalb von zwei Monaten geschaffen haben, und der dritte betrifft die Frage, ob es im vorliegenden Fall Gründe dafür gab, von dieser Frist abzuweichen.
1) Zum ersten Teil, wonach die Kommission an die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit gebunden sei
32 Die Klägerinnen tragen vor, aus der Rechtsprechung ergebe sich, dass die Kommission dadurch, dass sie Verhaltensregeln wie in der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit erlasse, ihren Beurteilungsspielraum selbst beschränke und nicht davon abweichen könne, ohne sich gegebenenfalls einer Sanktionierung wegen Verletzung allgemeiner Rechtsgrundsätze, darunter auch des Schutzes des berechtigten Vertrauens, auszusetzen.
33 Die Kommission und die Bundesrepublik Deutschland treten dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen
34 Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Reihe C des Amtsblatts der Europäischen Union im Gegensatz zu der Reihe L dieses Amtsblatts keine rechtlich verbindlichen Rechtsakte, sondern nur die Union betreffende Informationen, Empfehlungen und Stellungnahmen veröffentlicht werden sollen (Urteile vom 12. Mai 2011, Polska Telefonia Cyfrowa, C‑410/09, EU:C:2011:294, Rn. 35, und vom 13. Dezember 2012, Expedia, C‑226/11, EU:C:2012:795, Rn. 30). Die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit, die im Rahmen des europäischen Wettbewerbsnetzes erlassen wurde, wurde im Jahr 2004 in der Reihe C dieses Amtsblatts veröffentlicht (Urteil vom 20. Januar 2016, DHL Express [Italy] und DHL Global Forwarding [Italy], C‑428/14, EU:C:2016:27, Rn. 34).
35 Jedoch ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die Kommission, wenn sie Verhaltensnormen erlässt und durch ihre Veröffentlichung ankündigt, dass sie sie von nun an auf die von diesen erfassten Fälle anwenden werde, selbst die Ausübung ihres Ermessens beschränkt und nicht von diesen Normen abweichen darf, ohne dass dies gegebenenfalls wegen eines Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze, wie die der Gleichbehandlung oder des Vertrauensschutzes, geahndet würde (Urteil vom 16. Februar 2017, H&R ChemPharm/Commission, C‑95/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:125, Rn. 57).
36 Wie die Klägerinnen ausführen, hat das Gericht vor Kurzem darauf hingewiesen, dass diese Rechtsprechung auf die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit anwendbar ist, in der sich die Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens bei der Behandlung von Beschwerden selbst beschränkt hat, indem sie Orientierungshilfen festlegt, die unter anderem klären sollen, unter welchen Voraussetzungen davon ausgegangen werden kann, dass entweder die Kommission, eine einzelne Wettbewerbsbehörde oder mehrere nationale Wettbewerbsbehörden besser in der Lage sind, eine Beschwerde zu prüfen (Urteil vom 9. Februar 2022, Sped-Pro/Kommission, T‑791/19, EU:T:2022:67, Rn. 40).
37 Die Kommission ist jedoch der Ansicht, dass sich die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit von anderen Bekanntmachungen dadurch unterscheide, dass sie sich ausschließlich mit den Beziehungen zwischen Wettbewerbsbehörden befasse. Außerdem sei das Urteil vom 9. Februar 2022, SpedPro/Kommission (T‑791/19, EU:T:2022:67), im vorliegenden Fall nicht relevant, da es sich auf die „Behandlung von Beschwerden“ nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101] und [102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) beziehe und nicht auf die Umverteilung von Fällen oder auf einen Beschluss, mit dem ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt werde. Der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, habe das Anliegen zugrunde gelegen, eine Situation zu vermeiden, in der eine Beschwerde nicht geprüft werde, während die Klägerinnen im vorliegenden Fall geltend machten, dass verhindert werden müsse, dass die Kommission anstelle des Bundeskartellamts Art. 101 AEUV anwende, allein deshalb, weil die ursprüngliche Umverteilungsfrist abgelaufen war. Das würde in der Tat dem Ziel des genannten Urteils, nämlich der effektiven Anwendung der Wettbewerbsregeln widersprechen. Außerdem betreffe die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit in ihren Ziff. 20 bis 25, 35 und 36 im Wesentlichen die Behandlung von Beschwerden, was im vorliegenden Fall nicht in Rede stehe.
38 In dieser Hinsicht ist zu bemerken, dass der Unterschied, den die Kommission zwischen der Situation macht, in der in einem Fall Ermittlungen infolge einer Beschwerde eingeleitet werden, und derjenigen, in der sie in einem Fall von Amts wegen tätig wird – und erst recht, wenn dies, wie im vorliegenden Fall, auf ein Ersuchen des Bundeskartellamts erfolgt – nicht relevant ist.
39 Zwar betrifft das Urteil vom 9. Februar 2022, SpedPro/Kommission (T‑791/19, EU:T:2022:67), die Gefahr der Verletzung der Rechte eines Beschwerdeführers im Fall der Zurückweisung einer Beschwerde.
40 In der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit werden jedoch Fälle, die aufgrund einer Beschwerde eingeleitet wurden, und Fälle, in denen eine Wettbewerbsbehörde von Amts wegen tätig wird, gemeinsam behandelt.
41 Insbesondere die Ziff. 18 und 19 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit, die Fragen der Umverteilung betreffen und auf deren Verletzung sich die Klägerinnen berufen, unterscheiden nicht danach, ob der betreffende Fall von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde untersucht wird.
42 Obwohl der Informationsaustausch innerhalb des Netzes eine Angelegenheit zwischen im öffentlichen Interesse handelnden Wettbewerbsbehörden ist und in keiner Weise die Rechte und Pflichten von Unternehmen ändert (Ziff. 4 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit), ist davon auszugehen, dass sich die Kommission dadurch, dass sie diese Bekanntmachung erlassen hat, nicht nur gegenüber den Beschwerdeführern Selbstbeschränkungen auferlegt hat, sondern auch gegenüber Unternehmen, deren Tätigkeiten Gegenstand einer Untersuchung sind.
43 Ein Verstoß der Kommission gegen die Regeln, die sie sich selbst auferlegt hat, könnte somit gemäß der oben in Rn. 35 angeführten Rechtsprechung zu einer Verletzung allgemeiner Grundsätze wie dem Grundsatz des Vertrauensschutzes führen, den die Klägerinnen im vorliegenden Fall geltend gemacht haben und der nachstehend Gegenstand des zweiten und des dritten Teils ist.
2) Zum zweiten Teil, wonach die Ziff. 18 und 19 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit ein berechtigtes Vertrauen geschaffen haben
44 Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass die Regeln über die Umverteilung von Fällen in den Ziff. 18 und 19 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit ein berechtigtes Vertrauen dahin geschaffen hätten, dass jede Umverteilung innerhalb der anfänglichen Frist von zwei Monaten stattfinde.
45 Die Kommission und die Bundesrepublik Deutschland treten dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.
46 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes nur dann festgestellt werden kann, wenn ein Unionsorgan bei einem Bürger dadurch, dass es ihm genaue Zusicherungen gibt, begründete Erwartungen geweckt hat. Unabhängig von der Form, in der sie erteilt werden, stellen genaue, unbedingte und übereinstimmende Auskünfte solche Zusicherungen dar (vgl. Urteil vom 16. September 2021, FVE Holýšov I u. a./Kommission, C‑850/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:740, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
47 Die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit enthält jedoch keine genaue Zusicherung, dass die Frist für die Umverteilung nicht länger als ein Zeitraum von zwei Monaten sein darf.
48 Da die Umverteilung gemäß Ziff. 18 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit (siehe oben, Rn. 23) „im Regelfall“ innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten erfolgen soll, ergibt sich erstens aus diesem Wortlaut, dass diese Frist nicht zwingend ist. Darüber hinaus ist diese Frage jedenfalls unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht von Belang, da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass das Bundeskartellamt und die Kommission sich nicht gemäß dem Wortlaut dieser Bestimmung „um eine Einigung über die Frage einer möglichen Umverteilung [bemühen]“ mussten, um die „Frage der Umverteilung“ zu „[lösen]“, sondern dass die Kommission das Verfahren auf Ersuchen des Bundeskartellamts eingeleitet hat.
49 Zweitens ist festzustellen, dass sich die Klägerinnen auf eine enge Auslegung von Ziff. 19 Satz 2 der oben in Rn. 24 angeführten Bekanntmachung über die Zusammenarbeit berufen. Sie sind der Ansicht, dass der Ausdruck „der bekannte Sachverhalt“ nur Tatsachen umfasse, die für die Feststellung, ob ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vorliege, relevant seien, und nicht Ereignisse, die während des späteren Verwaltungsverfahrens stattgefunden hätten und sich auf dieses auswirken könnten.
50 Nach ständiger Rechtsprechung sind jedoch bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteil vom 27. Januar 2021, De Ruiter, C‑361/19, EU:C:2021:71, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
51 Daher kann der von den Klägerinnen vorgeschlagenen Auslegung nicht gefolgt werden, da sie mit der Auslegung von Ziff. 19 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit im Hinblick auf ihren Zusammenhang nicht vereinbar ist. Aus den verschiedenen, in Ziff. 54 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit vorgesehenen Fallkonstellationen (siehe oben, Rn. 25) ergibt sich, dass verschiedene Gründe die Einleitung eines Verfahrens auf der Grundlage von Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 durch die Kommission rechtfertigen können. Da diese Fallkonstellationen über die Tatsachen hinausgehen, die für die Feststellung, ob eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln vorliegt, relevant sind, ist die Wendung „wenn sich der bekannte Sachverhalt im Verlauf des Verfahrens wesentlich ändert“ so auszulegen, dass sie jede relevante Tatsache umfasst, die im Laufe des Verfahrens zutage tritt.
52 Somit ist das Vorbringen der Klägerinnen, dass die Ziff. 18 und 19 der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit ein berechtigtes Vertrauen dahin geschaffen hätten, dass jede Umverteilung innerhalb von zwei Monaten erfolgen müsse, zurückzuweisen.
[nicht wiedergegeben ]
2. Zum d ritte n Klagegrund: Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip
73 Die Klägerinnen verweisen insbesondere auf die Rechtsprechung, nach der die Verordnung Nr. 1/2003 im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip eine umfassendere Beteiligung der nationalen Wettbewerbsbehörden vorsehe. Die Kommission müsse deshalb das ihr nach der Verordnung Nr. 1/2003 eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips ausüben. Es sei also seitens der Kommission nicht angemessen, ihr Ermessen dahin auszuüben, dass sie die Umverteilung der Sache akzeptiere, um die deutschen Vorschriften zu umgehen.
74 Die Kommission und die Bundesrepublik Deutschland treten dem Vorbringen der der Klägerinnen entgegen.
75 Nach dem Subsidiaritätsprinzip, das in Art. 5 Abs. 3 EUV verankert ist, wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.
76 Gemäß dem 34. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 geht „[i]m Einklang mit dem in Artikel 5 [Abs. 1 und 3 EUV] niedergelegten Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip … [diese] Verordnung nicht über das für die Erreichung ihres Ziels einer wirksamen Anwendung der … Wettbewerbsregeln [der Union], Erforderliche hinaus“.
77 Das Gericht hat bereits entschieden, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht die Zuständigkeiten in Frage stellt, die der Kommission im EU-Vertrag übertragen worden sind und zu denen die Anwendung der Wettbewerbsregeln gehört (Urteil vom 8. März 2007, France Télécom/Kommission, T‑339/04, EU:T:2007:80, Rn. 89).
78 Wie bereits oben in den Rn. 18 und 19 erwähnt, beendet die Verordnung Nr. 1/2003 zwar das frühere zentralisierte System und organisiert im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip einen weiteren Zusammenschluss der nationalen Wettbewerbsbehörden, doch die Kommission behält eine führende Rolle bei der Ermittlung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen.
79 Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 sieht, wie bereits oben in Rn. 20 erwähnt, vorbehaltlich einer bloßen Konsultation der betroffenen nationalen Behörde vor, dass es der Kommission weiterhin möglich ist, ein Verfahren zum Erlass eines Beschlusses einzuleiten, auch wenn die Sache bereits von einer nationalen Behörde behandelt wird.
80 Im vorliegenden Fall wurde, wie aus dem elften Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, die in Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 aufgestellte Voraussetzung vollständig erfüllt, da die Kommission das Verfahren gerade auf Ersuchen des Bundeskartellamts einleitete. Diese Einleitung hat daher die Befugnisse des betroffenen Mitgliedstaats nicht beeinträchtigt, und ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip ist zwangsläufig ausgeschlossen.
81 Der dritte Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip gerügt wird, ist somit zurückzuweisen.
[nicht wiedergegeben ]
B. Zur Widerklage der Kommission
114 Nach Ansicht der Kommission macht der zusätzliche Verwaltungsaufwand, den die Klägerinnen nach Abschluss des Vergleichs verursacht hätten, eine Neubewertung der Höhe der gegen sie verhängten Geldbuße erforderlich. Die Klägerinnen brächten nur Klagegründe vor, mit denen sie die Zuständigkeit der Kommission für die Durchführung des in Rede stehenden Verwaltungsverfahrens in Frage stellten, obwohl sie im Rahmen ihrer Vergleichsvorschläge erklärt hätten, dass sie akzeptierten, dass die Kommission eine Geldbuße gegen sie verhänge. Die Kommission ist der Ansicht, dass die Ermäßigung der Geldbuße um 10 % gemäß Rn. 32 der Mitteilung über Vergleichsverfahren nicht mehr gerechtfertigt sei, und beantragt daher, dass das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die gegen die Klägerinnen verhängte Geldbuße auf 9 588 000 Euro festsetzen solle. Hilfsweise schlägt die Kommission vor, die Tatsache zu berücksichtigen, dass das Vergleichsverfahren in diesem Fall nur in viel geringerem Maße als üblich zur Schonung der öffentlichen Mittel beigetragen habe, und argumentiert, dass dies keine volle Ermäßigung der Geldbuße um 10 % rechtfertige.
115 Die Klägerinnen treten dem Vorbringen der Kommission entgegen. Insbesondere gibt es ihrer Meinung nach keine Rechtsgrundlage, die es erlaubte, die im Rahmen des Vergleichs gewährte Ermäßigung aufzuheben.
116 Zunächst ist zu prüfen, ob das Gericht befugt ist, die im Rahmen des Vergleichs gewährte Ermäßigung aufzuheben, was einer Erhöhung der Geldbuße gleichkommen würde, danach ist die Begründetheit der Klage der Kommission zu prüfen.
1. Zuständigkeit des Gerichts
117 Es ist daran zu erinnern, dass die Rechtmäßigkeitskontrolle dadurch ergänzt wird, dass den Unionsgerichten durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 im Einklang mit Art. 261 AEUV die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung eingeräumt wird. Diese Befugnis ermächtigt die Unionsgerichte über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch ihre eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen (vgl. Urteile vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 18. Oktober 2023, Clariant und Clariant International/Kommission, T‑590/20, EU:T:2023:650, Rn. 185 und die dort angeführte Rechtsprechung).
118 Auch wenn die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung meist von den Klageparteien beantragt wird, um eine Herabsetzung der Geldbuße zu erreichen, ist nichts ersichtlich, was dem entgegenstünde, dass die Kommission die Unionsgerichte ebenfalls mit der Frage der Höhe der Geldbuße befasst und deren Erhöhung beantragt (Urteile vom 8. Oktober 2008, Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, T‑69/04, EU:T:2008:415, Rn. 244, und vom 18. Oktober 2023, Clariant und Clariant International/Kommission, T‑590/20, EU:T:2023:650, Rn. 221).
119 Diese Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung gilt auch in dem Fall, in dem, wie im vorliegenden Fall, die Klägerinnen nicht hilfsweise eine Herabsetzung der Höhe der gegen sie verhängten Geldbuße beantragen. Denn Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003, der ausdrücklich vorsieht, dass die Unionsgerichte im Rahmen von Klagen gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße festgesetzt hat, „die Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen“ können, knüpft diese Zuständigkeit nicht an einen solchen Antrag.
120 Die von den Klägerinnen gegen die Widerklage der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.
2. Zur Begründetheit der Widerklage
a) Einleitende Bemerkungen
121 Erstens hat das Gericht hinsichtlich des Vergleichsverfahrens bereits in den Rn. 58 bis 74 des Urteils vom 20. Mai 2015, Timab Industries und CFPR/Kommission (T‑456/10, EU:T:2015:296), und zuletzt in den Rn. 208 bis 216 des Urteils vom 18. Oktober 2023, Clariant und Clariant International/Kommission (T‑590/20, EU:T:2023:650), auf die wesentlichen Merkmale dieses Verfahrens hingewiesen.
122 Aus der genannten Rechtsprechung geht hervor, dass das Vergleichsverfahren der Kommission ermöglicht, Kartellfälle schneller und effizienter zu bearbeiten. Ziel dieses Verfahrens ist die Vereinfachung und Beschleunigung der Verwaltungsverfahren, damit die Kommission bei gleichbleibenden Ressourcen mehr Fälle bearbeiten kann (Urteile vom 20. Mai 2015, Timab Industries und CFPR/Kommission, T‑456/10, EU:T:2015:296, Rn. 60, und vom 18. Oktober 2023, Clariant und Clariant International/Kommission, T‑590/20, EU:T:2023:650, Rn. 209).
123 Das Vergleichsverfahren läuft im Wesentlichen folgendermaßen ab: Das Verfahren wird von der Kommission mit Zustimmung der betroffenen Unternehmen eingeleitet (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 5, 6 und 11). Sobald das Verfahren eingeleitet ist, werden die Unternehmen, gegen die ermittelt wird und die am Vergleichsverfahren teilnehmen, von der Kommission in bilateralen Gesprächen über die wesentlichen Elemente „wie die behaupteten Tatsachen, die Einstufung dieser Tatsachen, die Schwere und Dauer des behaupteten Kartells, die Zurechnung der Haftbarkeit, die ungefähre Höhe der in Betracht kommenden Geldbußen sowie die für die Erstellung der potenziellen Beschwerdepunkte herangezogenen Beweise“ in Kenntnis gesetzt (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 16). Diese Regelung ermöglicht es den Parteien, zu den von der Kommission gegen sie vorgebrachten potenziellen Beschwerdepunkten Stellung zu nehmen und in Kenntnis der Sachlage zu entscheiden, ob sie einen Vergleich eingehen wollen oder nicht (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 16).
124 Nach der Übermittlung dieser Informationen haben die betroffenen Unternehmen die Wahl, sich für das Vergleichsverfahren zu entscheiden und einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. Der Vergleichsvorschlag muss unter anderem Folgendes enthalten: ein eindeutiges Anerkenntnis der Haftbarkeit der Parteien für die Zuwiderhandlung, eine Angabe zum Höchstbetrag der Geldbuße, die nach Auffassung der Parteien von der Kommission verhängt werden wird und der die Parteien im Rahmen des Vergleichsverfahrens zustimmen würden, eine Erklärung der Parteien, dass sie nicht beabsichtigen, Akteneinsicht oder eine erneute mündliche Anhörung zu beantragen, es sei denn, die Kommission gibt ihre Vergleichsausführungen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Entscheidung nicht wieder (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 20).
125 Nach dieser Anerkennung der Haftbarkeit und den Bestätigungen der beteiligten Unternehmen leitet die Kommission die Mitteilung der Beschwerdepunkte an die beteiligten Unternehmen weiter und erlässt eine endgültige Entscheidung. Diese stützt sich im Wesentlichen auf die Tatsache, dass die Parteien ihre Haftbarkeit eindeutig anerkannt, die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht angefochten und ihre Verpflichtung zu einem Vergleich aufrechterhalten haben (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 23 bis28).
126 In ihrer endgültigen Entscheidung kann die Kommission beschließen, eine Partei für den Abschluss eines Vergleichs zu belohnen, und zwar in Höhe von bis zu 10 % des Betrags der zu verhängenden Geldbuße (Mitteilung über Vergleichsverfahren, Rn. 32).
127 Zweitens ergibt sich zwar hinsichtlich der Widerklage der Kommission aus der oben in Rn. 118 erwähnten Rechtsprechung, dass die Kommission beim Gericht die Erhöhung der Geldbuße beantragen kann, es ist aber daran zu erinnern, dass sie zu diesem Zweck das Gericht in die Lage versetzen muss, festzustellen, ob die Umstände des Falles eine solche Erhöhung rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Juli 2003, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, T‑224/00, EU:T:2003:195, Rn. 362, und vom 8. Oktober 2008, Schunk und Schunk Kohlenstoff-Technik/Kommission, T‑69/04, EU:T:2008:415, Rn. 251).
128 Insbesondere ist es Sache der Kommission, nachzuweisen, dass die Erhöhung der Geldbuße vor allem im Hinblick auf Tatsachen und Umstände, die im Laufe des Verfahrens zutage getreten sind und von denen sie keine Kenntnis hatte, als sie die Entscheidung über die Festsetzung der Geldbuße erließ, angemessen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 2011, Transcatab/Kommission, T‑39/06, EU:T:2011:562, Rn. 402, und vom 18. Oktober 2023, Clariant und Clariant International/Kommission, T‑590/20, EU:T:2023:650, Rn. 222). Es kommt tatsächlich darauf an, ob das Verhalten der Klagepartei die Kommission entgegen jeglicher Erwartung, die sie vernünftigerweise aufgrund der Zusammenarbeit der genannten Partei im Verwaltungsverfahren hegen durfte, verpflichtete, eine Verteidigung auszuarbeiten und vor Gericht vorzutragen, die darauf gerichtet war, Punkte zu bestreiten, bei denen sie zu Recht davon ausgehen durfte, dass sie von dieser Partei nicht mehr in Frage gestellt würden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2006, Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission, T‑259/02 bis T‑264/02 und T‑271/02, EU:T:2006:396, Rn. 573).
b) Prüfung der Klage der Kommission
129 Im vorliegenden Fall trägt die Kommission vor, dass die Erhöhung der Geldbuße zum einen deshalb angemessen sei, weil die Klägerinnen vor dem Gericht im vorliegenden Fall nicht ihre Zuständigkeit für die Durchführung des Verwaltungsverfahrens in Frage stellen könnten, wenn die Klägerinnen diese Zuständigkeit doch in ihrem Vergleichsantrag anerkannt hätten, und zum anderen, weil der vorliegende Fall einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit sich bringe.
130 Als Erstes ist zu prüfen, ob die Kommission rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass die Klägerinnen im Verwaltungsverfahren ihre Zuständigkeit anstelle der Zuständigkeit des Bundeskartellamts anerkannt haben.
131 Zwar hat die Kommission schon in der Klagebeantwortung geltend gemacht, dass die Klägerinnen diese Zuständigkeit im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen anerkannt hätten, sie hat jedoch erstens weder in der Klagbeantwortung noch in der Gegenerwiderung irgendwelche Beweise vorgelegt oder Beweisangebote gemacht, die die von ihr behauptete Anerkennung dieser Zuständigkeit im Vergleichsverfahren belegen könnten, obwohl die Anfechtung der Zuständigkeit den eigentlichen Gegenstand ihrer Klage bildet.
132 Erst in der mündlichen Verhandlung hat die Kommission erklärt, dass sie bereit sei, dem Gericht im Rahmen einer nach Art. 92 Abs. 3 und Art. 103 der Verfahrensordnung des Gerichts angeordneten prozessleitenden Maßnahme den von den Klägerinnen gestellten Vergleichsantrag zur Verfügung zu stellen, da dieser einen sehr „sensiblen“ und „vertraulichen“ Inhalt habe. Nach Ansicht der Kommission enthält der genannte Antrag Hinweise auf die Anerkennung dieser Zuständigkeit.
133 Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung bestimmt: „Sofern die Verspätung der Vorlage gerechtfertigt ist, können die Hauptparteien ausnahmsweise noch vor Abschluss des mündlichen Verfahrens oder vor einer Entscheidung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden, Beweise oder Beweisangebote vorlegen.“
134 Ebenso sieht Art. 88 Abs. 2 der Verfahrensordnung vor, dass, wenn ein Antrag auf Beweisaufnahme nach dem ersten Schriftsatzwechsel gestellt wird, die antragstellende Partei die Gründe darlegen muss, aus denen ihr eine frühere Antragstellung unmöglich war.
135 Darüber hinaus muss nach Art. 92 Abs. 3 der Verfahrensordnung die Partei, die eine Beweisaufnahme nach dieser Bestimmung beantragt, nachweisen, dass für diese Beweiserhebung ein Beweisbeschluss erforderlich ist.
136 Jedoch ist unabhängig von der Frage, ob das Vorgehen der Kommission als Beweisangebot nach Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung oder als Antrag auf Beweisaufnahme nach Art. 92 Abs. 3 der Verfahrensordnung anzusehen ist, festzustellen, dass sie keine stichhaltige Begründung für die Verspätung ihres Vorgehens gegeben hat.
137 Die Kommission hat sich nämlich in der mündlichen Verhandlung darauf beschränkt, auf Rn. 222 des oben in Rn. 128 angeführten Urteils vom 18. Oktober 2023, Clariant und Clariant International/Kommission (T‑590/20, EU:T:2023:650), zu verweisen und festzustellen, dass sie im vorliegenden Fall, als sie den angefochtenen Beschluss erlassen habe, nicht gewusst habe, dass die Klägerinnen ihre Zuständigkeit in Abrede stellten.
138 Zum einen vermag aber die Erklärung der Kommission nicht die Tatsache in Frage zu stellen, dass sie auf die Klage der Klägerinnen hin ab dem Zeitpunkt der Klagebeantwortung in der Lage war, alle Beweise, Beweisangebote oder Anträge auf Beweisaufnahme zur Stützung ihres Vorbringens vorzulegen bzw. zu stellen, die sich im Wesentlichen auf die implizite Anerkennung ihrer Zuständigkeit durch die Klägerinnen in Bezug auf das Vergleichsverfahren bezogen.
139 Wenn man annimmt, dass die Kommission sich auf das Urteil vom 18. Oktober 2023, Clariant und Clariant International/Kommission (T‑590/20, EU:T:2023:650), berufen wollte, mit der Begründung, dass es zu einem späteren Zeitpunkt als die Klagebeantwortung vom 7. Dezember 2022 und die Gegenerwiderung vom 5. April 2023 verkündet worden sei, ist zum anderen auch festzustellen, dass, wie sich aus oben, Rn. 128, ergibt, dieses Urteil keine neuen rechtlichen Bewertungen zu den Punkten enthält, die eine Widerklage auf Erhöhung der Geldbuße rechtfertigen sollen, die das verspätete Vorgehen der Kommission rechtfertigen könnten. Der Rechtsprechung des Gerichts ließ sich nämlich bereits entnehmen, dass es Sache der Kommission ist, ihre Klage vor dem Hintergrund von Elementen, die ihr nicht bekannt waren, als sie die Herabsetzung der Geldbuße gewährte, zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2011, Transcatab/Kommission, T‑39/06, EU:T:2011:562, Rn. 402).
140 Im Übrigen ist, da sich die Kommission auf Art. 92 Abs. 3 der Verfahrensordnung berufen hat, festzustellen, dass sie auch nicht erklärt hat, warum eine Beweisaufnahme im vorliegenden Fall erforderlich gewesen wäre, und sich darauf beschränkt, ganz allgemein auf behauptete Gründe der Vertraulichkeit oder Sensibilität zu verweisen, obschon die Dokumente, deren Vorlage sie vorschlug, von den Klägerinnen selbst stammten.
141 Daher ist der in der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2024 gestellte Antrag der Kommission, dem Gericht bestimmte Beweise vorzulegen, als unzulässig zurückzuweisen.
142 Zweitens ergibt sich nach Ansicht der Kommission die Anerkennung ihrer Zuständigkeit daraus, dass die Klägerinnen im Rahmen ihres Vergleichsvorschlags erklärt hätten, sie seien damit einverstanden, dass die Kommission eine Geldbuße bis zu einer bestimmten Obergrenze gegen sie verhänge.
143 So haben die Klägerinnen nach dem 16. Erwägungsgrund Buchst. a des angefochtenen Beschlusses klar und eindeutig ihre Haftbarkeit, die wesentlichen Fakten, deren rechtliche Einordnung einschließlich ihrer Rolle und der Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung eingeräumt. Nach dem 16. Erwägungsgrund Buchst. b des angefochtenen Beschlusses machten sie auch eine Angabe zu der maximalen Höhe der Geldbuße, die sie erwarteten und der sie im Rahmen eines Vergleichsverfahrens zustimmen würden.
144 Aus der Anerkennung dieser Punkte kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Klägerinnen auch die Zuständigkeit der Kommission anerkannt hätten, die in der Mitteilung über Vergleichsverfahren – anders als die in Rn. 20 der Mitteilung vorgesehene ausdrückliche Anerkennung dieser Punkte – nicht vorgesehen war (siehe oben, Rn. 124).
145 Es ist daher festzustellen, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass die Klägerinnen ihre Zuständigkeit für die Durchführung des fraglichen Verwaltungsverfahrens anerkannt haben.
146 Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof unter ähnlichen Umständen wie denen, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, bereits entschieden hat, dass, wenn die Kommission am Ende des auf den Eröffnungsbeschluss folgenden Verwaltungsverfahrens einen Beschluss erlässt, der die Interessen eines Unternehmens wie der Klagepartei berührt, dieser Beschluss gemäß Art. 263 AEUV Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein kann, in deren Rahmen es dem genannten Unternehmen freisteht, alle sachdienlichen Gründe geltend zu machen. Insbesondere geht aus der genannten Bestimmung hervor, dass die Frage der Zuständigkeit des Urhebers der Handlung der Kontrolle unterliegt, die die Unionsgerichte im Rahmen einer solchen Klage ausüben. Daher ist es Sache der Unionsgerichte, zu beurteilen, ob im Laufe dieses Verwaltungsverfahrens insoweit Rechtsverstöße begangen worden sind und ob sich diese auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung auswirken können, die die Kommission am Ende dieses Verfahrens erlassen hat (Beschluss vom 29. Januar 2020, Silgan Closures und Silgan Holdings/Kommission, C‑418/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:43, Rn. 63 und 64).
147 Aus dem Vorstehenden folgt, dass entgegen dem Vorbringen der Kommission die Erhöhung der Geldbuße unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass die Klägerinnen zum ersten Mal vor dem Gericht eine Tatsache in Frage gestellt haben sollen (d. h. im vorliegenden Fall die Zuständigkeit der Kommission anstelle der des Bundeskartellamts), von der behauptet wird, sie hätten sie im Vergleichsverfahren vor der Kommission anerkannt. Im vorliegenden Fall vermochte die Kommission nämlich nicht nachzuweisen, dass die Klägerinnen im Vergleichsverfahren ihre Zuständigkeit anstelle der Zuständigkeit des Bundeskartellamts anerkannt hatten, oder auch nur, dass sie vernünftigerweise davon ausgehen konnte, dass die Klägerinnen diese Zuständigkeit nicht bestreiten würden, erst recht nicht nach Abschluss der oben in Rn. 146 genannten Rechtsstreitigkeiten, die von dem anderen von der Zuwiderhandlung betroffenen Konzern angestrengt worden waren.
148 Als Zweites ist das Hilfsvorbringen der Kommission zu prüfen, dass die Erhebung der vorliegenden Klage die verfahrensrechtlichen Gewinne, die sie aus dem Vergleichsverfahren gezogen habe, beeinträchtige.
149 Insoweit ergibt sich aus dem 16. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, dass die Klägerinnen ihre Haftbarkeit anerkannt und den Höchstbetrag der Geldbuße angegeben haben, der sie zustimmen würden (siehe oben, Rn. 143), und bestätigt haben, dass sie über die Beschwerdepunkte hinreichend unterrichtet worden seien und hinreichend Gelegenheit gehabt hätten, um der Kommission ihren Standpunkt mitzuteilen (16. Erwägungsgrund Buchst. c). Desgleichen haben sie darauf hingewiesen, dass sie nicht beabsichtigten, Akteneinsicht oder eine erneute mündliche Anhörung zu beantragen (16. Erwägungsgrund Buchst. d), und sie waren damit einverstanden, die Mitteilung der Beschwerdepunkte und die endgültige Entscheidung in englischer Sprache zu erhalten (16. Erwägungsgrund Buchst. e).
150 Die Kommission hat somit entgegen ihrem Vorbringen von verfahrensrechtlichen Gewinnen profitiert, die unabhängig von der Erhebung der vorliegenden Klage erhalten bleiben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2023, Clariant und Clariant International/Kommission, T‑590/20, EU:T:2023:650, Rn. 237). Die Mobilisierung der Ressourcen der Kommission zum Zweck der Verteidigung des angefochtenen Beschlusses vor dem Gericht ist jedem Gerichtsverfahren inhärent und stellt diese verfahrensrechtlichen Gewinne nicht in Frage, da die Klägerinnen im vorliegenden Fall nicht auf die oben in Rn. 149 genannten Punkte zurückkommen wollen, die sie im Rahmen des Vergleichsverfahrens anerkannt haben, sondern lediglich bestreiten, dass die Kommission anstelle des Bundeskartellamts zuständig sei.
151 Nach alledem kann unter den besonderen Umständen der vorliegenden Rechtssache die von der Kommission beantragte Erhöhung der Geldbuße weder durch den behaupteten Verlust verfahrensrechtlicher Gewinne noch durch einen durch die Einreichung der vorliegenden Klage verursachten angeblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand gerechtfertigt werden.
152 Die Widerklage der Kommission ist einschließlich des Hilfsantrags abzuweisen.
[nicht wiedergegeben ]
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Widerklage der Europäischen Kommission wird abgewiesen.
3. Die Crown Holdings, Inc. und die Crown Cork & Seal Deutschland Holdings GmbH tragen ihre eigenen Kosten sowie 90 % der Kosten der Kommission.
4. Die Kommission trägt 10 % ihrer eigenen Kosten.
5. Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.
Marcoulli
Schwarcz
Tomljenović
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Oktober 2024.
Unterschriften