BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS
26. Mai 2021(* )
„Vorläufiger Rechtsschutz – Öffentliche Bau‑, Liefer- und Dienstleistungsaufträge – Beschaffung von Galileo-Übergangssatelliten – Ablehnung des Angebots eines Bieters – Antrag auf einstweilige Anordnung – Fumus boni iuris – Dringlichkeit – Interessenabwägung“
In der Rechtssache T‑54/21 R,
OHB System AG mit Sitz in Bremen (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte W. Würfel und F. Hausmann,
Antragstellerin,
gegen
Europäische Kommission , vertreten durch G. Wilms, J. Estrada de Solà, L. Mantl und L. André als Bevollmächtigte,
Antragsgegnerin,
wegen eines Antrags nach Art. 278 AEUV auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidungen der im Namen und im Auftrag der Kommission handelnden Europäischen Weltraumorganisation (ESA) vom 19. und 22. Januar 2021, den öffentlichen Auftrag 2018/S 091-206089 nicht an die Antragstellerin zu vergeben, sondern an zwei andere Bieter, sowie darauf, der Kommission aufzugeben, Zugang zu den Vergabeunterlagen zu gewähren,
erlässt
DER PRÄSIDENT DES GERICHTS
folgenden
Beschluss
Vorgeschichte des Rechtsstreits, Verfahren und Anträge der Parteien
1 Die Antragstellerin, die OHB System AG, ist eine Gesellschaft deutschen Rechts, deren Gesellschaftszweck in der Entwicklung und Umsetzung innovativer Raumfahrtsysteme und ‑projekte sowie dem Angebot spezifischer Luft‑, Raumfahrt- und Telematikprodukte besteht.
2 Am 15. Mai 2018 veröffentlichte die Europäische Weltraumorganisation (ESA) im Namen und im Auftrag der Europäischen Kommission im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (2018/S 091-206089) und auf der Website emits.esa.int eine Aufforderung zur Einreichung eines Teilnahmeantrags.
3 Das Verfahren zur Vergabe des Auftrags wurde in Form eines wettbewerblichen Dialogs eingeleitet, da die Kommission bereits ihren Bedarf ermittelt und festgelegt hatte, nicht aber die genauen zu seiner Deckung am besten geeigneten Mittel; es wurde nach den Bestimmungen der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 (ABl. 2018, L 193, S. 1, im Folgenden: Haushaltsordnung) sowie der Verordnung (EU) Nr. 1285/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 876/2002 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 683/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 1) abgewickelt.
4 Gegenstand der Ausschreibung war die Beschaffung von Galileo-Übergangssatelliten mit weiterentwickelten Spezifikationen, um die Kontinuität der Galileo-Konstellation von 2025-2026 sicherzustellen und den Übergang von der ersten Generation der Galileo-Satelliten zur zweiten Generation einzuleiten.
5 Nachdem die Antragstellerin einen Antrag auf Teilnahme an der Ausschreibung gestellt hatte, teilte ihr die ESA am 25. Juli 2018 mit, dass ihr Antrag alle Anforderungen erfülle.
6 Am 11. Oktober 2020 legte die Antragstellerin im Anschluss an ihre Teilnahme an den ersten beiden Verfahrensabschnitten ihr bestes und endgültiges Angebot vor.
7 Mit Schreiben vom 23. Dezember 2020 forderte die Antragstellerin die Kommission auf, das Vergabeverfahren auszusetzen, weil einer der Bieter im Dezember 2019 ein Mitglied ihres Führungspersonals (im Folgenden: früherer Mitarbeiter) eingestellt habe, das maßgebend an der Erstellung ihres Angebots mitgewirkt habe, und weil sie vermute, dass dieser frühere Mitarbeiter rechtswidrig sensible Informationen der Antragstellerin erhalten habe, die geeignet seien, dem betreffenden Bieter beim Gewährungsverfahren unzulässige Vorteile zu verschaffen, was nach Art. 136 Abs. 1 Buchst. c Ziff. v, Abs. 4 und Abs. 5 sowie Art. 167 der Haushaltsordnung einen Ausschlussgrund darstelle.
8 Mit Schreiben vom 19. Januar 2021 teilte die im Namen und im Auftrag der Kommission handelnde ESA der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste Angebot sei (im Folgenden: Entscheidung vom 19. Januar 2021).
9 Mit Schreiben vom 20. Januar 2021 teilte die Kommission der Antragstellerin unter Bezugnahme auf deren Schreiben vom 23. Dezember 2020 u. a. mit, dass sie nach Würdigung der begrenzten tatsächlichen Angaben in den Ausführungen der Antragstellerin zu ihrem früheren Mitarbeiter der Ansicht sei, dass es keinen hinreichenden Grund für eine Aussetzung des Vergabeverfahrens gebe; was die von der Antragstellerin geforderten Ermittlungen angehe, werde sie das laufende nationale Gerichtsverfahren abwarten und gegebenenfalls später ergänzende Maßnahmen ergreifen.
10 Mit Schreiben vom 22. Januar 2021 übermittelte die ESA der Antragstellerin die detaillierten Ergebnisse der Evaluierung ihres besten und endgültigen Angebots sowie Informationen über die Einreihung der beiden erfolgreichen Bieter (im Folgenden: Entscheidung vom 22. Januar 2021).
11 Mit Schreiben vom 28. Januar 2021 focht die Antragstellerin die Entscheidung über die Zuschlagserteilung an und forderte die Kommission und die ESA u. a. auf, den betreffenden Bieter vom Vergabeverfahren auszuschließen.
12 Mit Schreiben vom 29. Januar 2021 richtete die ESA ein Auskunftsersuchen an den Bieter.
13 Mit Klageschrift, die am 29. Januar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin Klage erhoben, die u. a. auf die Nichtigerklärung der Entscheidungen vom 19. und 22. Januar 2021 (im Folgenden zusammen: angefochtene Entscheidungen) gerichtet ist.
14 Mit gesondertem Schriftsatz, der am gleichen Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eingereicht; er geht im Wesentlichen dahin,
– gemäß Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts den Vollzug der angefochtenen Entscheidungen vor Eingang der Stellungnahme der Gegenpartei bis zum Erlass des Beschlusses, der das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abschließt, auszusetzen;
– den Vollzug der angefochtenen Entscheidungen bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache auszusetzen;
– alle zum Schutz des status quo erforderlichen einstweiligen Anordnungen zu treffen;
– der Kommission aufzugeben, Zugang zu den Vergabeunterlagen zu gewähren;
– die Entscheidung über die Kosten vorzubehalten.
15 Mit Beschluss vom 31. Januar 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, nicht veröffentlicht), der auf der Grundlage von Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung ergangen ist, hat der Präsident des Gerichts den Vollzug der Entscheidung vom 19. Januar 2021 ausgesetzt, bis der das vorliegende Verfahren der einstweiligen Anordnung beendende Beschluss ergeht.
16 Mit Schriftsatz, der am 5. Februar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission gemäß Art. 159 der Verfahrensordnung beantragt, den Beschluss vom 31. Januar 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, nicht veröffentlicht), abzuändern; ihre Anträge gehen im Wesentlichen dahin,
– den betreffenden Beschluss aufzuheben;
– hilfsweise, den persönlichen Geltungsbereich dieses Beschlusses zu präzisieren;
– die Entscheidung über die Kosten vorzubehalten.
17 Am 12. Februar 2021 hat die Antragstellerin ihre Stellungnahme zu dem in Rn. 16 genannten Antrag eingereicht.
18 In ihrer Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, die am 16. Februar 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt die Kommission,
– den Antrag auf einstweilige Anordnung und den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs als unbegründet zurückzuweisen;
– den Beschluss vom 31. Januar 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, nicht veröffentlicht), aufzuheben;
– hilfsweise, den persönlichen Geltungsbereich dieses Beschlusses zu präzisieren;
– den Antrag auf unverzügliche Einsicht in die Vergabeakte zurückzuweisen;
– die Entscheidung über die Kosten vorzubehalten.
19 Am 19. Februar 2021 hat die Antragstellerin ihre Stellungnahme zur Stellungnahme der Kommission eingereicht.
20 Mit Beschluss vom 26. Februar 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, nicht veröffentlicht), der auf der Grundlage von Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung erlassen wurde, hat der Präsident des Gerichts den persönlichen Geltungsbereich des Beschlusses vom 31. Januar 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, nicht veröffentlicht), präzisiert.
21 Am 5. März 2021 hat die Kommission zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 19. Februar 2021 Stellung genommen.
22 Am 12. März 2021 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme nach Art. 88 Abs. 1 der Verfahrensordnung gestellt, der dahin geht, der Kommission aufzugeben, die Dokumentation für die von ihr behauptete intensive Sachprüfung bezüglich der von der Antragstellerin vorgebrachten Bedenken hinsichtlich einer angeblichen Wettbewerbsverletzung durch einen der Bieter vorzulegen.
23 Am 22. März 2021 hat die Kommission zu diesem Antrag auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme Stellung genommen.
24 Mit Schriftsatz, der am 5. Mai 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Airbus Defence and Space GmbH (im Folgenden: Airbus) einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe zur Unterstützung der Anträge der Kommission gestellt.
25 Am 19. Mai 2021 haben die Hauptparteien ihre Stellungnahmen zu diesem Antrag eingereicht.
Rechtliche Würdigung
26 Nach den Art. 278 und 279 AEUV in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, gemäß Art. 156 der Verfahrensordnung die Vollziehung einer vor dem Gericht angefochtenen Handlung aussetzen oder die sonstigen erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen. Nach Art. 278 AEUV haben Klagen jedoch grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, da für die Handlungen der Unionsorgane eine Vermutung der Rechtmäßigkeit gilt. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann daher nur in Ausnahmefällen die Aussetzung der Vollziehung einer vor dem Gericht angefochtenen Handlung anordnen oder sonstige einstweilige Anordnungen treffen (Beschluss vom 19. Juli 2016, Belgien/Kommission, T‑131/16 R, EU:T:2016:427, Rn. 12).
27 Nach Art. 156 Abs. 4 Satz 1 der Verfahrensordnung müssen Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz „den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, sowie die den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dem ersten Anschein nach rechtfertigenden Sach- und Rechtsgründe anführen“.
28 Somit kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter die Vollziehung aussetzen und sonstige einstweilige Anordnungen erlassen, wenn dargetan ist, dass die einstweiligen Anordnungen dem ersten Anschein nach in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gerechtfertigt sind (fumus boni iuris ) und dass sie in dem Sinne dringlich sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, sie vor der Entscheidung zur Hauptsache zu erlassen und wirksam werden zu lassen. Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass Anträge auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen sind, sofern eine von ihnen fehlt. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor (vgl. Beschluss vom 2. März 2016, Evonik Degussa/Kommission, C‑162/15 P‑R, EU:C:2016:142, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter über ein weites Ermessen und kann nach Maßgabe der Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge ihrer Prüfung frei bestimmen, da keine Rechtsvorschrift ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorgibt (vgl. Beschluss vom 19. Juli 2012, Akhras/Rat, C‑110/12 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2012:507, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 In Anbetracht des Akteninhalts kommt der Präsident des Gerichts zu dem Ergebnis, dass er über alle für die Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erforderlichen Informationen verfügt, ohne dass eine vorherige mündliche Anhörung der Parteien angebracht wäre.
31 Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist zunächst zu prüfen, ob die Antragstellerin ausreichende Beweise für das Vorliegen des fumus boni iuris beibringt, in dem Sinne, dass sie unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Kommission prima facie den Eindruck erwecken, dass die angefochtenen Entscheidungen rechtswidrig seien. Sofern diese Voraussetzung erfüllt ist, kann dies auch im Rahmen der Schlüsse berücksichtigt werden, die am Ende der Prüfung der Dringlichkeit zu ziehen sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 23. Februar 2001, Österreich/Rat, C‑445/00 R, EU:C:2001:123, Rn. 100 und 110).
Zum fumus boni iuris
32 Die Voraussetzung des Vorliegens eines fumus boni iuris ist erfüllt, wenn im Stadium des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes eine bedeutsame rechtliche Kontroverse besteht, deren Lösung sich nicht sogleich aufdrängt, so dass die Klage dem ersten Anschein nach nicht einer ernsthaften Grundlage entbehrt. Da der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes darin besteht, die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung sicherzustellen, um Lücken in dem durch die Unionsgerichte gewährleisteten Rechtsschutz zu vermeiden, muss sich der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nämlich darauf beschränken, die Begründetheit der im Rahmen des Hauptsacheverfahrens geltend gemachten Klagegründe prima facie zu beurteilen, um festzustellen, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Klage Erfolg haben wird (vgl. Beschlüsse vom 19. Dezember 2013, Kommission/Deutschland, C‑426/13 P[R], EU:C:2013:848, Rn. 41, und vom 8. April 2014, Kommission/ANKO, C‑78/14 P‑R, EU:C:2014:239, Rn. 15).
33 Im vorliegenden Fall stützt die Antragstellerin ihren Antrag im Wesentlichen auf vier Gründe.
Zum ersten Antragsgrund
34 Mit dem ersten Antragsgrund wird ein Verstoß gegen Art. 136 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 und Abs. 4 Buchst. a der Haushaltsordnung sowie gegen den durch Art. 160 Abs. 1 der Haushaltsordnung garantierten Grundsatz der Gleichbehandlung geltend gemacht. Dieser Antragsgrund gliedert sich in zwei Teile.
35 Im Rahmen des ersten Teils macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, einer der Bieter hätte zwingend von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen werden müssen. Es habe mutmaßlich eine Absprache oder zumindest ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen diesem Bieter und dem von ihm im Dezember 2019 eingestellten und mit einer Leitungsfunktion betrauten früheren Mitarbeiter der Antragstellerin darüber gegeben, dass der frühere Mitarbeiter dem Bieter seine Kenntnisse über den Inhalt und die Grundlagen des Angebots der Antragstellerin zur Verfügung stelle. Für einen Ausschluss des betreffenden Bieters sei es nicht erforderlich, dass eine rechtskräftige Gerichts- oder eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung gegen den früheren Mitarbeiter im Sinne von Art. 136 Abs. 1 Buchst. c der Haushaltsordnung vorliege. In Ermangelung einer rechtskräftigen Gerichts- oder einer bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung sei für die Zwecke des Ausschlusses gemäß Art. 136 Abs. 2 der Haushaltsordnung eine vorläufige rechtliche Bewertung zugrunde zu legen. Außerdem müsse der fragliche Bieter auch nach Art. 136 Abs. 4 Buchst. a der Haushaltsordnung ausgeschlossen werden, da der frühere Mitarbeiter der Antragstellerin bei ihm eine Leitungsfunktion innehabe.
36 Im Rahmen des zweiten Teils dieses Antragsgrundes trägt die Antragstellerin vor, unabhängig von den in Art. 136 der Haushaltsordnung vorgesehenen Ausschlussgründen hätte der fragliche Bieter vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden müssen, weil die mutmaßliche Nutzung der Kenntnisse ihres früheren Mitarbeiters von den Inhalten und Grundlagen ihres Angebots gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, konkret gegen den Grundsatz des geheimen Wettbewerbs, im Sinne der Rechtsprechung verstoße. Zudem müsse der öffentliche Auftraggeber, wenn er über Anhaltspunkte verfüge, die Zweifel an der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der von bestimmten Bietern eingereichten Angebote aufkommen ließen, nach der Rechtsprechung prüfen, ob deren Angebote tatsächlich eigenständig und unabhängig seien, wobei er gegebenenfalls zusätzliche Informationen von diesen Bietern anfordern müsse. Die Kommission habe somit gegen den durch Art. 160 der Haushaltsordnung garantierten Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, da sie ihrer Pflicht zur Aufklärung des kollusiven und wettbewerbswidrigen Verhaltens des fraglichen Bieters und des früheren Mitarbeiters der Antragstellerin nicht nachgekommen sei.
37 Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. Sie führt aus, Art. 136 Abs. 1 der Haushaltsordnung sehe für alle im vorliegenden Fall relevanten Ausschlusskriterien vor, dass sie durch eine rechtskräftige Gerichts- oder eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung festgestellt worden sein müssten. Das Verfahren aufgrund der Strafanzeige der Antragstellerin gegen ihren früheren Mitarbeiter wegen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen sei aber von der zuständigen Staatsanwaltschaft am 18. Dezember 2020 eingestellt worden. Außerdem gehöre der von einem der Bieter eingestellte frühere Mitarbeiter der Antragstellerin nicht zu den in Art. 136 Abs. 4 der Haushaltsordnung genannten Personengruppen. Überdies hätten nach Änderungen des Zeitplans und der Bedingungen für die Aktivierung von Marktoptionen im Sommer 2020 alle Bewerber ihre Preisstrategie fundamental anpassen müssen. Somit sei es sehr unwahrscheinlich, dass der frühere Mitarbeiter der Antragstellerin in diesem Stadium über relevante Informationen hinsichtlich des Angebots der Antragstellerin habe verfügen können. Schließlich habe die von der Antragstellerin angeführte Rechtsprechung zum Erfordernis geheimen Wettbewerbs als Grundprinzip des Vergaberechts Sachverhalte betroffen, die sich ganz erheblich von dem des vorliegenden Falles unterschieden.
38 Zum ersten Teil des ersten Antragsgrundes ist zunächst festzustellen, dass es in Art. 136 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii und v der Haushaltsordnung heißt: „Der zuständige Anweisungsbefugte schließt eine in Artikel 135 Absatz 2 genannte Person oder Stelle von der Teilnahme an Gewährungsverfahren nach dieser Verordnung … aus, wenn … durch eine rechtskräftige Gerichts- oder eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung festgestellt wurde, dass die Person oder Stelle im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat …; dazu zählen insbesondere … ii) Absprachen mit anderen Personen oder Stellen mit dem Ziel einer Wettbewerbsverzerrung [oder] v) [der] Versuch, vertrauliche Informationen über das Verfahren zu erhalten, durch die unzulässige Vorteile beim Gewährungsverfahren erlangt werden könnten …“
39 Im vorliegenden Fall steht fest, dass es während der Laufzeit des fraglichen Vergabeverfahrens in Bezug auf den Bieter, der den früheren Mitarbeiter der Antragstellerin eingestellt hatte, keine rechtskräftige Gerichts- oder bestandskräftige Verwaltungsentscheidung im Sinne von Art. 136 Abs. 1 Buchst. c der Haushaltsordnung gab.
40 In Art. 136 Abs. 2 Unterabs. 1 der Haushaltsordnung heißt es jedoch weiter: „In Ermangelung einer rechtskräftigen Gerichts- bzw. bestandskräftige[n] Verwaltungsentscheidung in den Fällen nach Absatz 1 [Buchstabe] c … legt der zuständige Anweisungsbefugte bei entsprechendem Verhalten einer in Artikel 135 Absatz 2 genannten Person oder Stelle eine vorläufige rechtliche Bewertung für deren Ausschluss zugrunde, wobei er sich auf die festgestellten Sachverhalte oder sonstigen Erkenntnisse aus der Empfehlung des in Artikel 143 genannten Gremiums stützt.“
41 Art. 135 Abs. 1 Unterabs. 1 der Haushaltsordnung bestimmt nämlich: „Zum Schutz der finanziellen Interessen der Union errichtet die Kommission ein Früherkennungs- und Ausschlusssystem und unterhält es.“ Nach Art. 135 Abs. 1 Unterabs. 2 der Haushaltsordnung soll dieses System u. a. „a) die frühzeitige Erkennung von in Absatz 2 aufgeführten Personen oder Stellen, die ein Risiko für die finanziellen Interessen der Union darstellen“, und „b) den Ausschluss von in Absatz 2 aufgeführten Personen oder Stellen, auf die eine der in Artikel 136 Absatz 1 genannten Ausschlusssituationen zutrifft“, erleichtern.
42 Zur Befassung des in Art. 143 der Haushaltsordnung genannten Gremiums geht aus ihrem Art. 142 Abs. 2 Buchst. b und c hervor, dass sich das „Früherkennungs- und Ausschlusssystem … auf die in Artikel 136 Absatz 2 Unterabsatz 4 genannten Sachverhalte und Erkenntnisse und auf die Übermittlung von Informationen an die Kommission insbesondere … durch einen Anweisungsbefugten der Kommission, eines von der Kommission eingerichteten Europäischen Amtes oder einer Exekutivagentur [oder] durch ein Unionsorgan, ein Europäisches Amt [oder] eine Agentur“ stützt.
43 Im vorliegenden Fall teilte die Antragstellerin der Kommission in ihrem Schreiben vom 23. Dezember 2020 mit, dass es „Indizien“ dafür gebe, dass ihr früherer Mitarbeiter rechtswidrig sensible Informationen der Antragstellerin erhalten habe, die geeignet seien, dem betreffenden Bieter beim Gewährungsverfahren unzulässige Vorteile zu verschaffen.
44 Wie die Kommission hervorhebt, enthielt dieses Schreiben mithin nur unbewiesene Behauptungen, so dass die von der Antragstellerin übermittelten Informationen weder für den Nachweis ausreichten, dass das Verhalten des betreffenden Bieters ein Risiko für die finanziellen Interessen der Union darstellen konnte, noch dafür, diesen Bieter aufgrund einer vorläufigen rechtlichen Bewertung seines Verhaltens vom Vergabeverfahren auszuschließen.
45 Dem ersten Anschein nach war die Kommission unter den konkreten Umständen der vorliegenden Rechtssache somit nicht verpflichtet, das in Art. 143 der Haushaltsordnung genannte Gremium anzurufen, so dass ihr kein Verstoß gegen Art. 136 Abs. 2 Unterabs. 1 der Haushaltsordnung angelastet werden kann.
46 Schließlich schließt der zuständige Anweisungsbefugte nach Art. 136 Abs. 4 Buchst. a der Haushaltsordnung eine in Art. 135 Abs. 2 genannte Person oder Stelle aus, wenn „sich eine natürliche oder juristische Person, die Mitglied des Verwaltungs‑, Leitungs- oder Aufsichtsorgans einer in Artikel 135 Absatz 2 genannten Person oder Stelle ist oder bezüglich dieser Person oder Stelle Vertretungs‑, Beschluss- oder Kontrollbefugnisse hat, in einer oder mehreren der in Absatz 1 Buchstaben c bis h [des Artikels 136] genannten Situationen befindet“.
47 Hierzu ist festzustellen, dass der frühere Mitarbeiter der Antragstellerin, selbst wenn er als Mitglied des Leitungsorgans des fraglichen Bieters anzusehen sein sollte, nicht unter Art. 136 Abs. 1 Buchst. c bis h der Haushaltsordnung fällt; dies gilt insbesondere für Art. 136 Abs. 1 Buchst. c Ziff. v, da nicht durch eine rechtskräftige Gerichts- oder eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung festgestellt wurde, dass er rechtswidrig sensible Informationen der Antragstellerin erhalten hatte, die geeignet waren, dem betreffenden Bieter beim Gewährungsverfahren unzulässige Vorteile zu verschaffen.
48 Zum zweiten Teil des ersten Antragsgrundes, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, insbesondere den Grundsatz des geheimen Wettbewerbs, gerügt wird, ist zunächst festzustellen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der darauf abzielt, die Entwicklung eines lauteren und tatsächlichen Wettbewerbs zwischen den an einem Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen zu erleichtern, verlangt, dass alle Bieter bei der Ausarbeitung ihrer Angebote über die gleichen Chancen verfügen, und somit impliziert, dass die Angebote für alle Bewerber denselben Bedingungen unterliegen (vgl. Urteil vom 9. September 2009, Brink’s Security Luxembourg/Kommission, T‑437/05, EU:T:2009:318, Rn. 114 und die dort angeführte Rechtsprechung).
49 Der Grundsatz der Gleichbehandlung bedeutet, dass die Bieter sowohl dann, wenn sie ihre Angebote erstellen, als auch dann, wenn ihre Angebote vom öffentlichen Auftraggeber evaluiert werden, gleich behandelt werden müssen (Urteil vom 17. Februar 2011, Kommission/Zypern, C‑251/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:84, Rn. 39).
50 Demzufolge muss die Kommission insbesondere in jedem Abschnitt des Verfahrens für die Wahrung der Gleichbehandlung und damit der Chancengleichheit aller Bieter sorgen (Urteil vom 29. April 2004, Kommission/CAS Succhi di Frutta, C‑496/99 P, EU:C:2004:236, Rn. 108; vgl. auch Urteil vom 11. Juni 2014, Communicaid Group/Kommission, T‑4/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:437, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).
51 Kann eine Person, sei es auch unbeabsichtigt, die Bedingungen für einen öffentlichen Auftrag in einem für sie günstigen Sinne beeinflussen, obschon sie selbst Bieterin für diesen Auftrag ist, so kann sie sich in einer Lage befinden, die unter Umständen auf einen Interessenkonflikt hinausläuft. Eine solche Situation ist geeignet, den Wettbewerb zwischen den Bietern zu verfälschen, und ist dadurch gekennzeichnet, dass keine Gleichheit der Bieter mehr besteht (vgl. Urteil vom 28. Februar 2018, Vakakis kai Synergates/Kommission, T‑292/15, EU:T:2018:103, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).
52 Es obliegt dem öffentlichen Auftraggeber, das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr, dass es zu Praktiken kommt, die geeignet sind, die Transparenz zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zwischen den Bietern zu verfälschen, zu beurteilen und zu prüfen und einem vom Ausschluss von dem Verfahren bedrohten Bieter die Möglichkeit zu geben, den Nachweis zu erbringen, dass in seinem Fall keine tatsächliche Gefahr des Eintritts eines solchen Interessenkonflikts besteht (vgl. Urteil vom 28. Februar 2018, Vakakis kai Synergates/Kommission, T‑292/15, EU:T:2018:103, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).
53 Da der öffentliche Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und ohne Diskriminierung behandeln und in transparenter Weise vorgehen muss, kommt ihm eine aktive Rolle bei der Anwendung und Beachtung dieser Grundsätze zu. Er hat insbesondere in jedem Fall zu prüfen, ob mögliche Interessenkonflikte bestehen, und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu verhindern, aufzudecken und zu beheben (vgl. Urteil vom 28. Februar 2018, Vakakis kai Synergates/Kommission, T‑292/15, EU:T:2018:103, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung), gegebenenfalls auch dadurch, dass die Parteien ersucht werden, bestimmte Informationen und Beweise vorzulegen (vgl. Urteil vom 17. Mai 2018, Specializuotas transportas, C‑531/16, EU:C:2018:324, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
54 Wenn eine Verwaltung eine Untersuchung durchzuführen hat, muss sie dies nämlich mit größtmöglicher Sorgfalt tun, um bestehende Zweifel zu zerstreuen und den Sachverhalt aufzuklären (vgl. Urteil vom 28. Februar 2018, Vakakis kai Synergates/Kommission, T‑292/15, EU:T:2018:103, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).
55 Die Rüge eines Verstoßes gegen den durch Art. 160 der Haushaltsordnung garantierten Grundsatz der Gleichbehandlung ist im Licht all dieser Gesichtspunkte zu prüfen.
56 Zu dem Vorbringen der Antragstellerin, die Kommission sei ihrer Pflicht zur Aufklärung des kollusiven und wettbewerbswidrigen Verhaltens des fraglichen Bieters und des früheren Mitarbeiters der Antragstellerin nicht nachgekommen, ist darauf hinzuweisen, dass es nach der oben in den Rn. 50 und 54 angeführten Rechtsprechung im vorliegenden Fall Sache des öffentlichen Auftraggebers war, aufgrund der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht sorgfältig, umsichtig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte zu prüfen, um die Gefahr zu bestätigen oder auszuschließen, dass keine Gleichheit der Bieter mehr besteht.
57 Insoweit geht aus den Akten hervor (siehe oben, Rn. 9), dass die Kommission im Anschluss an die Ausführungen im Schreiben der Antragstellerin vom 23. Dezember 2020 in ihrem Schreiben vom 20. Januar 2021 nach Würdigung der tatsächlichen Angaben der Antragstellerin zum Verhalten ihres früheren Mitarbeiters und eines Bieters die Ansicht vertrat, dass es keinen hinreichenden Grund für eine Aussetzung des Vergabeverfahrens gebe. In Bezug auf die von der Antragstellerin geforderten Ermittlungen führte die Kommission u. a. aus, sie werde sich auf das Ergebnis des laufenden nationalen Gerichtsverfahrens stützen und gegebenenfalls später ergänzende Maßnahmen ergreifen.
58 Aus den Schriftsätzen der Kommission geht jedoch hervor, dass die ESA mit Schreiben vom 29. Januar 2021, dem Tag, an dem die Klage gegen die angefochtenen Entscheidungen erhoben worden ist, an den betreffenden Bieter ein Auskunftsersuchen richtete. In seiner Antwort vom 1. Februar 2021 räumte der Bieter ein, dass im Rahmen der Vorbereitung seines besten und endgültigen Angebots für das fragliche Vergabeverfahren der frühere Mitarbeiter der Antragstellerin zwar nicht zu dem für die Vorbereitung dieses Angebots und die Preisstrategie in diesem Verfahren verantwortlichen Team gehört habe, aber damit betraut worden sei, dafür zu sorgen, dass das Referat „Spacecraft Equipment“ des Bieters, für das er verantwortlich gewesen sei, den bestmöglichen Beitrag zum Gesamtprogramm liefere. Er räumte ferner ein, dass dieses Referat etwa 20 % zum Gesamtprogramm beigetragen habe.
59 Somit beschränkte sich die Kommission, als die Antragstellerin sie auf der Grundlage der Ausführungen in ihrem Schreiben vom 23. Dezember 2020 aufforderte, eine Untersuchung durchzuführen, mit der sich zweifelsfrei feststellen lässt, ob ihr früherer Mitarbeiter rechtswidrig vertrauliche Informationen der Antragstellerin an den betreffenden Bieter weitergegeben hatte, die geeignet waren, diesem Bieter im Rahmen des Vergabeverfahrens einen unzulässigen Vorteil zu verschaffen, offenbar zunächst auf die Angabe, dass sie sich auf das Ergebnis des laufenden nationalen Gerichtsverfahrens stützen werde, ohne von Amts wegen zu ermitteln, ob es möglicherweise eine Regelwidrigkeit gegeben hatte.
60 In einem zweiten Schritt richtete die ESA jedoch am 29. Januar 2021 ein Auskunftsersuchen an diesen Bieter, das von ihm knapp und vage beantwortet wurde. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese späte und unvollständige Prüfung nicht ausreichte, um den Umfang der Mitwirkung des früheren Mitarbeiters der Antragstellerin an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens im Rahmen seiner neuen Aufgaben im Dienst dieses Bieters zu beurteilen und damit dem Sorgfaltserfordernis zu genügen, das den öffentlichen Auftraggeber in Bezug auf die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung trifft.
61 Ohne der Entscheidung des Gerichts über die Klage vorzugreifen, ist aus dem Vorstehenden zu schließen, dass der zweite Teil des ersten Antragsgrundes dem ersten Anschein nach nicht einer ernsthaften Grundlage entbehrt. Er bedarf daher einer eingehenderen Prüfung, die nicht von dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter vorgenommen werden kann, sondern im Rahmen des Verfahrens zur Hauptsache erfolgen muss.
Zum zweiten Antragsgrund
62 Mit dem zweiten Antragsgrund rügt die Antragstellerin einen Verstoß gegen die Bestimmungen über ungewöhnlich niedrige Angebote in den Nrn. 23.1 und 23.2 von Anhang I der Haushaltsordnung, da der Preis in dem von einem der Bieter eingereichten Angebot erheblich niedriger sei als derjenige in den anderen eingereichten Angeboten.
63 Die Kommission hält dem entgegen, das Unionsrecht sehe eine eingehende Prüfung der Frage, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig sei, nur vor, wenn die angebotenen Preise unter den Marktpreisen lägen. Der Preisunterschied sei aber für sich genommen kein ausschlaggebender Faktor. Der entscheidende Faktor dafür, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig erscheine, hänge damit zusammen, ob der von einem Bieter angebotene Preis es ihm ermögliche, den Auftrag gemäß den Verdingungsunterlagen auszuführen. Da der Evaluierungsausschuss keinen Anhaltspunkt gefunden habe, der auf den ersten Blick Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich des Vorliegens eines ungewöhnlich niedrigen Angebots gegeben habe, sei eine eingehendere Prüfung nach den einschlägigen Bestimmungen der Haushaltsordnung nicht erforderlich gewesen. Abgesehen vom Preisunterschied, der in diesem spezifischen Marktsegment nicht ungewöhnlich sei, habe die Antragstellerin keinen objektiven Beweis dafür vorgelegt, dass der vom fraglichen Bieter angebotene Preis ungewöhnlich niedrig sei.
64 Hinsichtlich der Auslegung der Bestimmungen über ungewöhnlich niedrige Angebote in den Nrn. 23.1 und 23.2 von Anhang I der Haushaltsordnung ist darauf hinzuweisen, dass ein öffentlicher Auftraggeber bei der Beurteilung der Gesichtspunkte, die bei einer Entscheidung über die Vergabe eines ausgeschriebenen Auftrags zu berücksichtigen sind, über ein weites Ermessen verfügt. Überdies ist es dem System der Auftragsvergabe auf der Grundlage des wirtschaftlich günstigsten Angebots immanent, dass sich die Bieter bemühen, möglichst wettbewerbsfähige Preise anzubieten, sofern diese nicht ungewöhnlich niedrig sind. Somit besteht eines der Ziele des Systems der Vergabe öffentlicher Aufträge gerade darin, bestmögliche Konditionen zu bestmöglichen Preisen zu erzielen (Urteil vom 26. März 2019, Clestra Hauserman/Parlament, T‑725/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:190, Rn. 58 und 59). Die in der Haushaltsordnung vorgesehenen Mechanismen für ungewöhnlich niedrige Angebote kommen folglich nur dann zum Einsatz, wenn die Kommission mit einer Anomalie konfrontiert wird (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 15. September 2016, European Dynamics Luxembourg und Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑698/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:476, Rn. 66).
65 Nach Nr. 23.1 von Anhang I der Haushaltsordnung verlangt der öffentliche Auftraggeber, wenn die bei einem bestimmten Vertrag im Angebot vorgeschlagenen Preise oder Kosten ungewöhnlich niedrig zu sein scheinen, schriftlich Aufklärung über die wesentlichen Bestandteile der Preise oder Kosten, die er für relevant hält, und gibt dem Bieter Gelegenheit zur Stellungnahme.
66 Daraus folgt, dass der öffentliche Auftraggeber in zwei Schritten prüft, ob ungewöhnlich niedrige Angebote vorliegen (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juli 2017, European Dynamics Luxembourg u. a./Eisenbahnagentur der Europäischen Union, T‑392/15, EU:T:2017:462, Rn. 87).
67 In einem ersten Schritt muss der öffentliche Auftraggeber prüfen, ob die eingereichten Angebote ungewöhnlich niedrig zu sein „scheinen“ (vgl. Nr. 23.1 von Anhang I der Haushaltsordnung). Die Verwendung des Verbs „scheinen“ in der Haushaltsordnung bedeutet, dass der öffentliche Auftraggeber eine Prima-facie -Prüfung der Frage vornimmt, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig ist. Die Haushaltsordnung schreibt daher dem öffentlichen Auftraggeber nicht vor, von Amts wegen die Einzelpositionen jedes Angebots eingehend zu prüfen, um festzustellen, ob es nicht ungewöhnlich niedrig ist. Somit muss der öffentliche Auftraggeber im ersten Schritt nur feststellen, ob die eingereichten Angebote einen Hinweis enthalten, der den Verdacht erwecken kann, dass sie ungewöhnlich niedrig sein könnten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der in einem eingereichten Angebot genannte Preis erheblich niedriger ist als derjenige in den anderen eingereichten Angeboten oder als der übliche Marktpreis. Enthalten die eingereichten Angebote keinen solchen Hinweis und erscheinen sie daher nicht ungewöhnlich niedrig, kann der öffentliche Auftraggeber die Evaluierung dieses Angebots und das Vergabeverfahren fortsetzen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 4. Juli 2017, European Dynamics Luxembourg u. a./Eisenbahnagentur der Europäischen Union, T‑392/15, EU:T:2017:462, Rn. 88).
68 In diesem Rahmen ist mithin die Prüfung, ob die von den Bietern angegebenen Preise ein ungewöhnlich niedriges Angebot darstellen, erforderlich, wenn insoweit zuvor Zweifel an der Verlässlichkeit des Angebots entstehen. Einer solchen spezifischen Prüfung bedarf es hingegen nicht, wenn bei einer vorherigen ersten Prüfung der Angebote keine derartigen Zweifel aufgetaucht sind (vgl. entsprechend Urteil vom 15. September 2016, European Dynamics Luxembourg und Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑698/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:476, Rn. 62).
69 Liegen hingegen Hinweise vor, die den Verdacht erwecken können, dass ein Angebot ungewöhnlich niedrig sein könnte, hat der öffentliche Auftraggeber in einem zweiten Schritt die Einzelpositionen des Angebots zu prüfen, um sich zu vergewissern, dass es nicht ungewöhnlich niedrig ist (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juli 2017, European Dynamics Luxembourg u. a./Eisenbahnagentur der Europäischen Union, T‑392/15, EU:T:2017:462, Rn. 89).
70 Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gericht zur Verfügung stehenden Akten hervor, dass der Evaluierungsausschuss eine Prima-facie -Prüfung der Bestandteile des vom betreffenden Bieter angebotenen Preises vornahm und feststellte, dass dieser Preis den Verdingungsunterlagen entsprach. Auf der Grundlage aller ihm zur Verfügung stehenden Informationen fand der Evaluierungsausschuss keinen Anhaltspunkt, der auf den ersten Blick Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich des Vorliegens eines ungewöhnlich niedrigen Angebots gab.
71 Was speziell das Vorbringen der Antragstellerin betrifft, dass der im Angebot dieses Bieters enthaltene Preis erheblich niedriger sei als derjenige in den übrigen eingereichten Angeboten, war der Evaluierungsausschuss der Ansicht, dass der fragliche Preisunterschied mit verschiedenen Faktoren zusammenhängen könnte, etwa mit verschiedenen Reifegraden der Projekte.
72 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Evaluierungsausschuss eine Prima-facie -Prüfung der Frage vornahm, ob das Angebot des betreffenden Bieters ungewöhnlich niedrig war, und dass er im Rahmen seiner vorläufigen Prüfung keinen Anhaltspunkt fand, der auf den ersten Blick Anlass zu ernsthaften Bedenken in dieser Hinsicht gab.
73 Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beruft sich die Antragstellerin lediglich auf den von ihr als erheblich eingestuften Unterschied zwischen den Preisen der eingereichten Angebote, ohne weitere Gesichtspunkte zu nennen, die der Evaluierungsausschuss hätte prüfen müssen oder die darauf hindeuten, dass er seiner Aufgabe nicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre.
74 Nach alledem entbehrt der zweite Antragsgrund dem ersten Anschein nach einer ernsthaften Grundlage.
Zum dritten Antragsgrund
75 Mit ihrem dritten Antragsgrund, mit dem ein Verstoß gegen die in Art. 160 Abs. 1 der Haushaltsordnung vorgesehenen Grundsätze der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung im Bereich öffentlicher Aufträge gerügt wird, macht die Antragstellerin geltend, die Bewertung ihres Angebots durch die Kommission beruhe hinsichtlich der Kriterien 1 bis 5 auf unzutreffenden Sachverhaltsannahmen sowie auf sachwidrigen und willkürlichen Erwägungen zu angeblichen Schwachpunkten in ihrem Angebot.
76 Die Kommission macht geltend, zum einen seien die Grundsätze der Gleichheit, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung im Bereich der öffentlichen Aufträge bei der Evaluierung der Angebote strikt beachtet worden, und zum anderen habe die Antragstellerin nicht nachgewiesen, dass bei der Evaluierung ein offensichtlicher Beurteilungsfehler begangen worden sei, der die Nichtigerklärung des Zuschlags rechtfertigen würde.
77 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der öffentliche Auftraggeber nach ständiger Rechtsprechung während des gesamten Vergabeverfahrens, auch bei der Festlegung und Bewertung der Auswahlkriterien, über ein weites Ermessen verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Februar 2021, Sophia Group/Parlament, T‑578/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:77, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insbesondere müssen, um feststellen zu können, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Sachverhaltswürdigung einen Fehler begangen hat, der so offensichtlich ist, dass er die Nichtigerklärung der Entscheidung über die Ablehnung eines Angebots zu rechtfertigen vermag, die vom Kläger beigebrachten Beweise ausreichen, um die Würdigung in der fraglichen Entscheidung als nicht plausibel erscheinen zu lassen. Mit anderen Worten ist der auf einen offensichtlichen Fehler gestützte Antragsgrund zurückzuweisen, wenn die beanstandete Beurteilung trotz der vom Kläger vorgetragenen Umstände zutreffend oder annehmbar erscheint (vgl. Urteil vom 7. Juni 2017, Blaž Jamnik et Blaž/Parlament, T‑726/15, EU:T:2017:376, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
78 Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Antragstellerin bei ihren Einwänden gegen die von der ESA in ihrem Schreiben vom 22. Januar 2021 mitgeteilte Beurteilung des Evaluierungsausschusses darauf, mehrere der vom Ausschuss in ihrem Angebot in Bezug auf die Erfahrung der am Projekt beteiligten Personen oder auf bestimmte technische Aspekte ermittelten Schwachpunkte in Abrede zu stellen. Selbst wenn dieses tatsächliche Vorbringen zutreffen sollte – was der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht klären kann –, bleibt die Antragstellerin den Nachweis dafür schuldig, inwiefern die behaupteten Fehler so umfangreich und gewichtig sein sollen, dass sie der Beurteilung des Evaluierungsausschusses die Plausibilität nehmen. Vom Unionsrichter kann nämlich insbesondere bei einer Entscheidung im Rahmen eines Eilverfahrens nicht verlangt werden, dass er die vom Ausschuss vorgenommene Analyse der Angebote durch seine eigene ersetzt.
79 Nach alledem entbehrt der dritte Rechtsmittelgrund dem ersten Anschein nach einer ernsthaften Grundlage.
Zum vierten Antragsgrund
80 Mit ihrem vierten Antragsgrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1285/2013 gerügt wird, macht die Antragstellerin geltend, die Kommission habe ihre Pflicht verletzt, die Angebote selbst zu prüfen und in Bezug auf die Auftragsvergabe eine eigenständige Auswahlentscheidung zu treffen; die mit der ESA gemäß Art. 15 dieser Verordnung geschlossene Übertragungsvereinbarung erlaube es nicht, die Zuständigkeit der Kommission für die Letztentscheidung darüber einem Evaluierungsausschuss zu übertragen, der eine rein vorbereitende Funktion habe.
81 Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen und trägt vor, die Angebote seien von einem Evaluierungsausschuss bewertet worden, dem erfahrene Mitarbeiter der ESA, der Agentur für das europäische globale Satellitennavigationssystem und der Kommission angehört hätten. Außerdem habe der Ausschuss angesichts der Komplexität der Aufgabe eine Gruppe von etwa 70 Experten, darunter Vertreter der Kommission, als Berater, entsprechend ihren Kompetenzen, zu bestimmten Aspekten der Ausschreibung benannt. Die Kommission sei somit schon in diesem rein vorbereitenden Verfahrensstadium eng eingebunden gewesen. Obwohl das Ergebnis der Evaluierung der Angebote nicht bereits die Auftragsvergabe sei, sondern nur ein an den Anweisungsbefugten gerichteter Vorschlag, eine Vergabeentscheidung zu treffen, sei Letzterer entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin weder nach den allgemeinen Vergaberegeln der Union noch nach der mit der ESA geschlossenen Übertragungsvereinbarung zu einer eigenen Prüfung der Angebote verpflichtet. Eine solche Prüfung würde eine unnötige Duplizierung der Arbeit des Evaluierungsausschusses bedeuten, was unverhältnismäßig und in der Praxis schwer durchführbar wäre. Gleichwohl habe die Kommission vor der Vergabe des fraglichen Auftrags neben dem Evaluierungsbericht alle von der ESA eingereichten Unterlagen im Einzelnen geprüft. Die Antragstellerin liefere im Übrigen keinen Beleg zur Untermauerung ihres Standpunkts, dass der Evaluierungsbericht nicht ausreichend geprüft worden sei.
82 Insoweit genügt die Feststellung, dass das Vorbringen der Antragstellerin, die Kommission habe das Angebot und den Evaluierungsbericht des Evaluierungsausschusses nicht selbst geprüft, durch keinen Beweis untermauert wird. Sie verweist lediglich auf das Schreiben vom 19. Januar 2021, mit dem die ESA ihr im Namen und im Auftrag der Kommission mitgeteilt habe, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne. Der Umstand, dass die ESA ihrem Schreiben einen Auszug aus der vorbereitenden Beurteilung des Evaluierungsausschusses beifügte, beweist auf den ersten Blick keineswegs, dass die Kommission es unterlassen hätte, die Angebote und den Evaluierungsbericht des Evaluierungsausschusses selbst zu prüfen.
83 Nach alledem entbehrt der vierte Antragsgrund dem ersten Anschein nach einer ernsthaften Grundlage.
84 Somit ist das Vorliegen eines fumus boni iuris insofern zu bejahen, als der zweite Teil des ersten Antragsgrundes dem ersten Anschein nach nicht einer ernsthaften Grundlage entbehrt.
Zur Dringlichkeit
85 In Bezug auf die Beurteilung der Dringlichkeit der beantragten einstweiligen Anordnungen ist darauf hinzuweisen, dass der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes darin besteht, die volle Wirksamkeit der künftigen endgültigen Entscheidung zu gewährleisten, um eine Lücke in dem vom Unionsrichter gewährten Rechtsschutz zu vermeiden (Beschluss vom 14. Januar 2016, AGC Glass Europe u. a./Kommission, C‑517/15 P‑R, EU:C:2016:21, Rn. 27).
86 Um diesen Zweck zu erreichen, ist die Dringlichkeit im Allgemeinen danach zu beurteilen, ob eine einstweilige Anordnung erforderlich ist, um den Eintritt eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens bei der Partei, die vorläufigen Rechtsschutz beantragt, zu verhindern. Diese Partei hat nachzuweisen, dass sie den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne dass ihr ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstünde (vgl. Beschluss vom 14. Januar 2016, AGC Glass Europe u. a./Kommission, C‑517/15 P‑R, EU:C:2016:21, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
87 Im Fall von Rechtsstreitigkeiten über die Vergabe öffentlicher Aufträge sind jedoch bei der Beurteilung der Dringlichkeit die Besonderheiten dieser Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen.
88 Angesichts der zwingenden Erfordernisse, die sich aus dem effektiven Schutz ergeben, der im Bereich des öffentlichen Auftragswesens sichergestellt werden muss, kann nämlich nach der Rechtsprechung, wenn der abgelehnte Bieter das Vorliegen eines besonders ernsten fumus boni iuris zu beweisen vermag, von ihm nicht der Nachweis verlangt werden, dass die Zurückweisung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ihm einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen würde, da sonst ein unverhältnismäßiger und ungerechtfertigter Eingriff in den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz vorläge, den er gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union genießt (Beschluss vom 23. April 2015, Kommission/Vanbreda Risk & Benefits, C‑35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 41).
89 Diese Abmilderung der für die Beurteilung der Dringlichkeit geltenden Voraussetzungen, die auf dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beruht, ist jedoch nur während der vorvertraglichen Phase anzuwenden, sofern die in Art. 175 der Haushaltsordnung geregelte Stillhaltefrist eingehalten wird. Sie ist nicht mehr gerechtfertigt, wenn der öffentliche Auftraggeber nach Ablauf dieser Frist und vor der Einreichung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz den Vertrag mit dem Auftragnehmer geschlossen hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 23. April 2015, Kommission/Vanbreda Risk & Benefits, C‑35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 38 und 42).
90 Überdies befreit diese Abmilderung den Antragsteller nicht davon, den Nachweis für die Schwere des Schadens zu erbringen, der ihm im Fall der Zurückweisung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz entstehen würde (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 22. März 2018, Wall Street Systems UK/EZB, C‑576/17 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2018:208, Rn. 26).
91 Die Abmilderung der für die Beurteilung der Dringlichkeit im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geltenden Voraussetzungen ergibt sich nämlich daraus, dass das Erfordernis, den Eintritt eines nicht wiedergutzumachenden Schadens nachzuweisen, es einem abgelehnten Bieter praktisch unmöglich macht, eine Aussetzung des Vollzugs einer Entscheidung über die Vergabe eines Auftrags zu erreichen, und zwar deshalb, weil der ihm möglicherweise entstehende Schaden finanzieller Art und daher nicht irreparabel ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 23. April 2015, Kommission/Vanbreda Risk & Benefits, C‑35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 30). Um den Erfordernissen des im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleistenden effektiven vorläufigen Rechtsschutzes gerecht zu werden, ist es daher für erforderlich erachtet worden, dem abgelehnten Bieter die Möglichkeit zu geben, die Dringlichkeit auf andere Weise nachzuweisen als dadurch, dass unter allen Umständen die unmittelbar bevorstehende Gefahr des Eintritts eines nicht wiedergutzumachenden Schadens dargetan wird. In einem solchen Fall genügt, sofern ein hinreichend ernster fumus boni iuris vorliegt, zur Erfüllung der Voraussetzung der Dringlichkeit der bloße Nachweis, dass ohne eine Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung ein schwerer Schaden entstünde (vgl. Beschluss vom 21. April 2017, Post Telecom/EIB, T‑158/17 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:281, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).
92 Überdies ist hervorzuheben, dass sich der Verlust der Chance, einen öffentlichen Auftrag zu erhalten und auszuführen, zwangsläufig aus der Ablehnung eines im Rahmen eines Vergabeverfahrens abgegebenen Angebots ergibt und als solcher, unabhängig von einer konkreten Würdigung der Schwere der im Einzelfall behaupteten spezifischen Beeinträchtigung, nicht als schwerer Schaden angesehen werden kann. Folglich würde der Verlust der Chance, den fraglichen Auftrag zu erhalten und auszuführen, einen schweren Schaden darstellen, wenn die Antragstellerin in rechtlich hinreichender Weise nachgewiesen hätte, dass sie aus der Vergabe und der Ausführung des Auftrags im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens hinreichend bedeutende Vorteile hätte ziehen können (vgl. Beschluss vom 21. April 2017, Post Telecom/EIB, T‑158/17 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:281, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
93 Im vorliegenden Fall wurden die angefochtenen Entscheidungen der Antragstellerin am 19. und 22. Januar 2021 mitgeteilt, und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurde am 29. Januar 2021 gestellt, so dass die Antragstellerin ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vor Ablauf der in Art. 175 Abs. 3 der Haushaltsordnung und in Nr. 35.1 ihres Anhangs I vorgesehenen Stillhaltefrist, d. h. während der vorvertraglichen Phase, gestellt hat.
94 Folglich ist die erste Voraussetzung für eine Abmilderung der Anforderungen an die Dringlichkeit im Bereich öffentlicher Aufträge im vorliegenden Fall erfüllt.
95 Damit ist zu prüfen, ob die Antragstellerin in rechtlich hinreichender Weise dargetan hat, dass ihr durch den Vollzug der angefochtenen Entscheidungen ein schwerer Schaden entstehen würde.
96 Hierzu trägt die Antragstellerin erstens vor, durch den Vollzug der angefochtenen Entscheidungen würde ihr eine reale Chance genommen, einen Umsatz von etwa 819 Mio. Euro zu erzielen, wodurch ihr ein Gewinn von 21 925 876 Euro entginge. Zweitens müsste sie die Hälfte ihrer Mitarbeiter entlassen und ihnen Abfindungen in Höhe von etwa 7,2 Mio. Euro zahlen. Drittens würden ihre Anteile am Markt für Navigationssatelliten durch den Vollzug der Entscheidung über die Vergabe des fraglichen Auftrags gravierend und irreversibel beeinträchtigt. Während ihr Marktanteil bei den Galileo-Satelliten der ersten Generation und damit am gesamten zugänglichen Markt für Navigationssatelliten der letzten zehn Jahre derzeit 100 % betrage, würde er sich nämlich im Fall des Vollzugs der angefochtenen Entscheidungen zumindest für die nächsten zehn Jahre auf null reduzieren. Viertens hätten die angefochtenen Entscheidungen auch negative Auswirkungen auf ihre Reputation, da sie Gefahr laufe, ihre Kompetenz im Bereich der Navigationssatelliten zu verlieren. Sie sei gegenwärtig die Hauptauftragnehmerin bei der ersten Generation von Galileo-Satelliten, und ihr drohe eine deutliche Benachteiligung im Rahmen der Beschaffung weiterer Galileo-Satelliten der zweiten Generation, da die anderen Bieter die einmaligen Entwicklungs‑, Test- und Herstellungskosten nicht mehr tragen müssten. Daher wäre die Einreichung eines Angebots durch sie aus wirtschaftlicher Sicht voraussichtlich aussichtslos.
97 Die Kommission trägt vor, die Antragstellerin habe nicht dargetan, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall erfüllt sei. Die Ausführungen der Antragstellerin zu ihrem finanziellen Schaden stünden im Widerspruch zu Äußerungen ihres Vorstandsvorsitzenden in einem Interview vom 21. Januar 2021, wonach das Galileo‑Programm nur etwa 10 % des Jahresumsatzes der Antragstellerin in Höhe von 1 Mrd. Euro ausmache. Das Argument der Antragstellerin, ein Satellitenhersteller könne nur schwer einen bestehenden Hersteller ablösen, sei unzutreffend. In diesem spezifischen Segment seien recht hohe Preisunterschiede zwischen den verschiedenen Angeboten nicht ungewöhnlich. So habe die Antragstellerin selbst im Rahmen des Galileo‑Programms im Jahr 2009 für den Bau von Satelliten der ersten Galileo-Generation ein erheblich niedrigeres Angebot vorgelegt als ihr Konkurrent.
98 Zur Schwere des geltend gemachten finanziellen Schadens ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung ein objektiv beträchtlicher oder selbst ein nicht unerheblicher finanzieller Schaden als schwer angesehen werden kann, ohne dass es erforderlich wäre, systematisch auf den Umsatz des Unternehmens abzustellen, das ihn zu erleiden befürchtet (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 7. März 2013, EDF/Kommission, C‑551/12 P[R], EU:C:2013:157, Rn. 32 und 33).
99 Unter den Umständen des vorliegenden Falles liegt es in Anbetracht der von der Antragstellerin vorgelegten Zahlen auf der Hand, dass der Wert des streitigen Auftrags sowohl in Bezug auf den fraglichen Sektor als auch in Bezug auf den öffentlichen Auftraggeber und die Antragstellerin beträchtlich ist.
100 Außerdem kann, ohne dass es erforderlich wäre, den von der Antragstellerin angeführten Schaden in Verhältnis zu ihrem Umsatz zu setzen, nicht geltend gemacht werden, dass ein so großer Schaden wie der von ihr angeführte – Gewinneinbußen in Höhe von 21 925 876 Euro und Abfindungen für Mitarbeiter, die entlassen werden müssten, in Höhe von 7,2 Mio. Euro – nicht objektiv beträchtlich wäre.
101 Da zumindest dieser von der Antragstellerin angeführte Schaden als schwer angesehen werden kann, ist die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall erfüllt.
Zur Interessenabwägung
102 Nach der Rechtsprechung müssen im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes die Risiken jeder der möglichen Lösungen gegeneinander abgewogen werden. Konkret bedeutet dies, dass namentlich zu prüfen ist, ob das Interesse der Partei, die die einstweiligen Anordnungen begehrt, an der Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Handlung schwerer wiegt als das Interesse an deren sofortiger Anwendung. Zu dieser Prüfung gehört, ob eine Nichtigerklärung der Handlung im Verfahren zur Hauptsache die Umkehrung der Lage ermöglichen würde, die durch ihren sofortigen Vollzug entstünde, und inwieweit umgekehrt die Aussetzung des Vollzugs geeignet wäre, die Erreichung der mit der angefochtenen Handlung verfolgten Ziele zu behindern, falls die Klage abgewiesen würde (vgl. Beschluss vom 1. März 2017, EMA/MSD Animal Health Innovation und Intervet international, C‑512/16 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2017:149, Rn. 127 und die dort angeführte Rechtsprechung).
103 Im vorliegenden Fall macht die Antragstellerin zu ihrem Interesse zunächst geltend, der mit der unmittelbar bevorstehenden Vergabe des fraglichen Auftrags und der anschließenden Vertragserfüllung verbundene endgültige Verlust der Chance, den Auftrag zu erhalten, wiege schwerer als das Interesse der Kommission, den Zuschlag vor Abschluss des Gerichtsverfahrens zu erteilen. Würde die Zuschlagserteilung nicht ausgesetzt, würde die rückwirkende Nichtigerklärung einer Vergabeentscheidung dem abgelehnten Bieter nämlich keinen Vorteil mehr verschaffen, so dass die Chance, den Auftrag zu erhalten, unwiederbringlich verloren wäre. In einem solchen Fall hätte dieser Bieter nur Anspruch auf Schadensersatz wegen des Verlusts einer Chance, da ihm durch die Entscheidung, sein Angebot abzulehnen, in der Praxis die Möglichkeit, den Zuschlag für den betreffenden Auftrag zu erhalten, endgültig genommen würde, selbst wenn die Entscheidung rückwirkend für nichtig erklärt werden sollte.
104 Sodann macht die Antragstellerin geltend, wenn sie den fraglichen Auftrag nicht erhalte, würde ihr ein Gewinn in Höhe von etwa 22 Mio. Euro entgehen, hätte sie erhebliche Auslastungsprobleme und müsste sie sich von einer Vielzahl von Mitarbeitern trennen und ihnen Abfindungen in Höhe von insgesamt 7,2 Mio. Euro zahlen.
105 Schließlich führt sie aus, es bestehe ein allgemeines Interesse daran, einen Verstoß gegen das Unionsrecht aufgrund seines offensichtlichen und schweren Charakters unverzüglich zu beenden.
106 Die Kommission trägt zu ihrem Interesse vor, bei der Abwägung seien nicht nur die Interessen der Parteien des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes zu berücksichtigen, sondern auch alle von den beantragten einstweiligen Anordnungen betroffenen Interessen. Es sei nämlich zu berücksichtigen, dass eine Aussetzung des streitigen Vergabeverfahrens erhebliche technische und finanzielle Folgen für das Weltraumprogramm der Union hätte.
107 Zunächst bestehe kein Spielraum hinsichtlich der geplanten Liefertermine, und jede Verzögerung bei der Vertragsunterzeichnung und damit beim Beginn der Entwicklung von Satelliten der zweiten Generation hätte Auswirkungen auf den erreichbaren Termin für den Start der Satelliten.
108 Sodann würden die finanziellen Folgen einer Verzögerung bei der Unterzeichnung der Verträge für die erfolgreichen Bewerber und/oder die Kommission auf etwa 3 bis 5 Mio. Euro pro Monat und nicht unterzeichneten Vertrag geschätzt. Außerdem müsste die Kommission, falls die im Rahmen des streitigen Verfahrens beschafften Satelliten nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden könnten, von der Antragstellerin mindestens zwei weitere Satelliten der ersten Generation erwerben, was einem Transaktionsvolumen von etwa 100 Mio. Euro entspräche. Dies würde zu einer ineffizienten Verwendung von Unionsmitteln und zu Verzögerungen bei der Systementwicklung führen, die die Wettbewerbsfähigkeit der Union beeinträchtigen würden. Überdies müsste die Kommission, falls die Antragstellerin obsiege, für den Erwerb von Satelliten der zweiten Generation die Differenz zwischen dem Angebot des letztlich erfolgreichen Bewerbers und dem der Antragstellerin in Höhe von 115 Mio. Euro zusätzlich aufwenden.
109 Schließlich würde die Verzögerung eines derart bedeutsamen Projekts die Reputation der Union als öffentlicher Auftraggeber erheblich schädigen.
110 Somit liege es auf der Hand, dass die technischen, finanziellen und politischen Risiken für das Galileo‑Programm und das Risiko für die Reputation der Union größeres Gewicht hätten als das Interesse der Antragstellerin an der Vermeidung eines rein finanziellen Schadens. Während sich die von der Antragstellerin erwarteten Gewinneinbußen auf etwa 22 Mio. Euro beliefen, habe die Union allein in der Zeit von 2014 bis 2020 über 7 Mrd. Euro in die europäischen Satellitennavigationsprogramme investiert, und das Gesamtvolumen der vom streitigen Vergabeverfahren erfassten Satelliten betrage etwa 1,47 Mrd. Euro.
111 Erstens ist in Bezug auf das mit dem endgültigen Verlust der Chance, den fraglichen Auftrag zu erhalten, verbundene Risiko darauf hinzuweisen, dass es im Fall des Obsiegens der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren möglich wäre, den mit dem Verlust dieser Chance verbundenen Schaden zu bewerten, so dass der ihr insoweit tatsächlich entstehende individuelle Schaden in vollem Umfang ersetzt werden könnte.
112 Sollten die von der Antragstellerin beantragten einstweiligen Anordnungen hingegen erlassen werden, wäre es der Kommission nicht möglich, mit einem der Zuschlagsempfänger einen Vertrag zu schließen, was erhebliche technische und finanzielle Folgen für das Weltraumprogramm der Union hätte. Am raschen Abschluss dieses Vertrags besteht daher ein wichtiges allgemeines Interesse.
113 Zweitens ist, was das finanzielle Interesse der Antragstellerin angeht, der Kommission beizupflichten, dass die von der Antragstellerin erwarteten Gewinneinbußen und die ihren Mitarbeitern zu zahlenden Abfindungen zwar etwa 30 Mio. Euro betragen würden, doch muss dieser Betrag in Verhältnis zum Volumen der europäischen Satellitennavigationsprogramme gesetzt werden, das beträchtlich ist, da die Union dafür allein in der Zeit von 2014 bis 2020 über 7 Mrd. Euro investiert hat und da das Gesamtvolumen der vom streitigen Vergabeverfahren erfassten Satelliten etwa 1,47 Mrd. Euro beträgt.
114 Drittens steht in Bezug auf das allgemeine Interesse in Form des Erfordernisses, einen Verstoß gegen das Unionsrecht aufgrund seines hinreichend offensichtlichen und schweren Charakters unverzüglich zu beenden, fest, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nur kumulativ, sondern auch miteinander verflochten sind, so dass ein Tätigwerden des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters unter den Umständen des vorliegenden Falles im Hinblick auf die Analyse der abzuwägenden Interessen nur gerechtfertigt wäre, wenn ein sehr starker fumus boni iuris vorläge, der zur Feststellung eines hinreichend offensichtlichen und schweren Verstoßes gegen das Unionsrecht führen würde. Würde eine solche Feststellung getroffen, müsste die Interessenabwägung zugunsten der von den Auswirkungen eines solchen Verstoßes betroffenen Partei ausfallen (Beschluss vom 4. Dezember 2014, Vanbreda Risk & Benefits/Kommission, T‑199/14 R, EU:T:2014:1024, Rn. 194 [nicht veröffentlicht]).
115 Aus der Prüfung der den fumus boni iuris betreffenden Voraussetzung geht hervor, dass er sich auf den Zweifel daran bezieht, ob der öffentliche Auftraggeber in hinreichendem Maß seiner Verpflichtung nachgekommen ist, zu prüfen, ob die Bieter ihre Angebote unter gleichen Bedingungen vorlegen konnten. Insoweit ist jedoch nicht nur darauf hinzuweisen, dass das Verfahren wegen der Strafanzeige, die von der Antragstellerin bei der deutschen Staatsanwaltschaft gestellt worden war, eingestellt wurde, sondern auch, dass die im Namen und im Auftrag der Kommission handelnde ESA an den betreffenden Bieter ein Auskunftsersuchen richtete, um etwaige Regelwidrigkeiten zu prüfen. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass der im vorliegenden Fall festgestellte fumus boni iuris besonders stark ist und dazu führen kann, dass die Interessenabwägung zugunsten des Erlasses einstweiliger Anordnungen ausfällt.
116 Im Ergebnis spricht daher in Anbetracht dieser Gesichtspunkte die Abwägung der bestehenden Interessen gegen den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnungen.
117 Folglich ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen, ohne dass über das Begehren der Antragstellerin, der Kommission aufzugeben, Zugang zu den Vergabeunterlagen zu gewähren, oder über ihren Antrag auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme entschieden zu werden braucht.
118 Da der vorliegende Beschluss das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendet, sind der auf der Grundlage von Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung erlassene Beschluss vom 31. Januar 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, nicht veröffentlicht), mit dem der Präsident des Gerichts den Vollzug der Entscheidung vom 19. Januar 2021 ausgesetzt hat, bis der das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendende Beschluss ergeht, sowie der ebenfalls auf der Grundlage von Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung erlassene Beschluss vom 26. Februar 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, nicht veröffentlicht), mit dem der persönliche Geltungsbereich des Beschlusses vom 31. Januar 2021, OHB System/Kommission (T‑54/21 R, nicht veröffentlicht), beschränkt wurde, aufzuheben.
119 Gemäß Art. 158 Abs. 5 der Verfahrensordnung ist die Entscheidung über die Kosten vorzubehalten.
Zum Streithilfeantrag
120 Da mit dem vorliegenden Beschluss der Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen wird, entspricht es nicht der Verfahrensökonomie, über den Antrag von Airbus auf Zulassung zur Streithilfe zur Unterstützung der Anträge der Kommission zu entscheiden.
121 Unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache trägt Airbus ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat
DER PRÄSIDENT DES GERICHTS
beschlossen:
1. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.
2. Die Beschlüsse vom 31. Januar 2021, OHB System/Kommission (T ‑54/21 R), und vom 26. Februar 2021, OHB System/Kommission (T ‑54/21 R), werden aufgehoben.
3. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten, mit Ausnahme der Entscheidung über die Kosten, die der Airbus Defence and Space GmbH entstanden sind. Diese trägt die ihr im Rahmen ihres Streithilfeantrags entstandenen Kosten.
Luxemburg, den 26. Mai 2021
Der Kanzler
Der Präsident
E. Coulon
M. Van der Woude