Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
25. September 2024(* )
„ Energie – Elektrizitätsbinnenmarkt – Kapazitätsberechnungsregion – Core-Region – Erlass der Kostenteilungsmethode für das Redispatching und Countertrading durch die ACER – Begründungspflicht – Festlegung des Toleranzniveaus für legitime Ringflüsse – Art. 16 Abs. 13 der Verordnung (EU) 2019/943 “
In der Rechtssache T‑482/21,
TenneT TSO GmbH mit Sitz in Bayreuth (Deutschland),
TenneT TSO BV mit Sitz in Arnheim (Niederlande),
vertreten durch Rechtsanwälte D. Uwer, J. Meinzenbach und P. Rieger sowie Rechtsanwältinnen R. Klein und S. Westphal,
Klägerinnen,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und N. Scheffel als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
gegen
Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER), vertreten durch P. Martinet, E. Tremmel und Z. Vujasinovic als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt P. Goffinet und Rechtsanwältinnen L. Bersou und M. Shehu,
Beklagte,
erlässt
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten F. Schalin, der Richterin P. Škvařilová-Pelzl, des Richters I. Nõmm, der Richterin G. Steinfatt und des Richters D. Kukovec (Berichterstatter),
Kanzler: I. Kurme, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
auf die mündliche Verhandlung vom 12. und 13. Juni 2023
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragen die Klägerinnen, die TenneT TSO GmbH und die TenneT TSO BV, die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdeausschusses der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vom 28. Mai 2021, mit der die Entscheidung Nr. 30/2020 der ACER vom 30. November 2020 über den Vorschlag der Übertragungsnetzbetreiber (im Folgenden: ÜNB) der Belgien, die Tschechische Republik, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Luxemburg, Ungarn, die Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Slowenien und die Slowakei umfassenden Kapazitätsberechnungsregion Core (im Folgenden: Core-Region) in Bezug auf die Kostenteilungsmethode für Redispatching und Countertrading bestätigt und die Beschwerde der Klägerinnen in der Sache A‑001‑2021 (konsolidiert) zurückgewiesen wurde (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).
Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Die Klägerinnen sind zwei ÜNB, die ein Stromübertragungsnetz in einem Teil Deutschlands bzw. in den Niederlanden betreiben.
3 Gemäß Art. 74 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/1222 der Kommission vom 24. Juli 2015 zur Festlegung einer Leitlinie für die Kapazitätsvergabe und das Engpassmanagement (ABl. 2015, L 197, S. 24) schlagen die ÜNB jeder Kapazitätsberechnungsregion spätestens 16 Monate nach der Entscheidung über die Kapazitätsberechnungsregionen eine gemeinsame Kostenteilungsmethode für das Redispatching und Countertrading (im Folgenden: Kostenteilungsmethode) vor.
4 Am 17. November 2016 erließ die ACER gemäß Art. 15 der Verordnung 2015/1222 die Entscheidung Nr. 06/2016 zur Festsetzung der Kapazitätsberechnungsregionen. In Art. 1 und Anhang I dieser Entscheidung sind die Gebiete der Mitgliedstaaten innerhalb der Core-Region aufgeführt.
5 Der Vorschlag der ÜNB der Core-Region für eine Kostenteilungsmethode hätte innerhalb von 16 Monaten nach dieser Entscheidung vorgelegt werden müssen, d. h. bis zum 17. Mai 2018.
6 Gleichwohl legten die ÜNB der Core-Region innerhalb dieser oben in Rn. 5 genannten Frist keinen Vorschlag für eine Kostenteilungsmethode vor. Gemäß Art. 9 Abs. 4 der Verordnung 2015/1222 teilten diese ÜNB den nationalen Regulierungsbehörden (im Folgenden: NRB) und der ACER mit, dass sie für die Ausarbeitung eines solchen Vorschlags mehr Zeit benötigten. Die ACER unterrichtete die Europäische Kommission davon, die die ÜNB, die NRB und die ACER konsultierte, um diese ÜNB dabei zu unterstützen, diesen Vorschlag auszuarbeiten und ihn so früh wie möglich zur Genehmigung vorzulegen.
7 Am 27. März 2019 legten die ÜNB der Core-Region gemäß Art. 9 Abs. 7 Buchst. h der Verordnung 2015/1222 allen NRB dieser Region einen Vorschlag für eine Kostenteilungsmethode zusammen mit einem erläuternden Dokument vor. Diese NRB verfügten gemäß Art. 9 Abs. 10 der Verordnung über eine Frist von sechs Monaten, um über diesen Vorschlag zu entscheiden.
8 Am 26. September 2019 entschied die ACER auf Antrag der genannten NRB, die ihnen für die Genehmigung des genannten Vorschlags gesetzte Frist um sechs Monate, d. h. bis zum 27. März 2020, zu verlängern.
9 Am 27. März 2020 teilte der Vorsitzende des Regionalforums der Energieregulierungsbehörden der Core-Region im Namen aller NRB dieser Region mit, dass diese NRB nicht in der Lage seien, bis zum 27. März 2020 über den vorgelegten Vorschlag zu entscheiden, da er als weitgehend unvollständig angesehen werde, und zwar derart, dass die NRB weder in der Lage seien, ihn zu genehmigen, noch, um dessen Änderung zu ersuchen.
10 Da sich die NRB der Core-Region über den von den ÜNB vorgelegten Vorschlag für eine Kostenteilungsmethode nicht einigten, erklärte sich die ACER am 27. März 2020 dafür zuständig, über diesen Vorschlag eine Entscheidung zu erlassen, und zwar gemäß Art. 5 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 10 der Verordnung (EU) 2019/942 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ABl. 2019, L 158, S. 22) und Art. 9 Abs. 11 der Verordnung 2015/1222. Nach der letztgenannten Bestimmung war die ACER gemäß Art. 6 Abs. 12 Buchst. a der Verordnung 2019/942 verpflichtet, eine solche Entscheidung innerhalb von sechs Monaten zu erlassen.
11 Nach einer langen Phase der Zusammenarbeit, der Konsultationen und von Gesprächen zwischen der ACER sowie allen NRB und ÜNB der Core-Region über den von diesen ÜNB vorgelegten Vorschlag für eine Kostenteilungsmethode und über die Änderungen, die in mehreren Sitzungen und Abstimmungsrunden an diesem Vorschlag vorgenommen wurden, gab der Regulierungsrat der ACER, der sich aus Vertretern der NRB zusammensetzt, am 18. November 2020 gemäß Art. 22 Abs. 5 Buchst. a der Verordnung 2019/942 eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag ab.
12 Am 30. November 2020 erließ die ACER mit der Entscheidung Nr. 30/2020 („Common methodology for redispatching and countertrading cost sharing for the Core CCR in accordance with Article 74 of Commission Regulation [EU] 2015/1222 of 24 July 2015“) die in Anhang I dieser Entscheidung enthaltene Kostenteilungsmethode (im Folgenden: beanstandete Kostenteilungsmethode).
13 Am 29. Januar 2021 erhoben die Klägerinnen gemäß Art. 28 der Verordnung 2019/942 beim Beschwerdeausschuss der ACER eine Beschwerde auf Aufhebung der Entscheidung Nr. 30/2020. Weitere ÜNB und NRB der Core-Region erhoben ebenfalls Beschwerde gegen diese Entscheidung. Am 18. Februar 2021 konsolidierte der Beschwerdeausschuss der ACER all diese Beschwerden.
14 Am 28. Mai 2021 erließ der Beschwerdeausschuss die angefochtene Entscheidung, mit der er die Entscheidung Nr. 30/2020 bestätigte und die dagegen erhobenen Beschwerden in vollem Umfang zurückwies.
Anträge der Parteien
15 Die Klägerinnen beantragen,
– die angefochtene Entscheidung aufzuheben,
– der ACER die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
16 Die ACER beantragt,
– die Klage abzuweisen,
– den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
17 Die Bundesrepublik Deutschland, die dem Rechtsstreit als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnen beigetreten ist, beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Rechtliche Würdigung
18 Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf drei Gründe.
19 Der erste Klagegrund bezieht sich auf einen Rechtsfehler bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der beanstandeten Kostenteilungsmethode, der zweite auf die Rechtswidrigkeit der Methode zur Zerlegung von Stromflüssen und der dritte auf eine fehlerhafte Festlegung des Toleranzniveaus für legitime Ringflüsse (im Folgenden: Toleranzniveau).
20 Die ACER beantragt, sämtliche von den Klägerinnen geltend gemachten Klagegründe als unbegründet zurückzuweisen.
21 Das Gericht hält es für zweckmäßig, vorab die von der ACER erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Streithilfeschriftsatzes der Bundesrepublik Deutschland und seines Anhangs zu behandeln.
Zur Zulässigkeit des Streithilfeschriftsatzes der Bundesrepublik Deutschland und seines Anhangs
22 Die ACER macht geltend, der Streithilfeschriftsatz der Bundesrepublik Deutschland und sein Anhang seien für unzulässig zu erklären.
23 Der Streithilfeschriftsatz der Bundesrepublik Deutschland beschränke sich auf einige Behauptungen allgemeiner Art. Die bloße pauschale Bezugnahme auf den Anhang dieses Streithilfeschriftsatzes, der die Ausführungen enthalte, die den Streitbeitritt der Bundesrepublik Deutschland in einer anderen Rechtssache stützten, sei nicht zulässig und könne das Fehlen von Rechtsausführungen im Streithilfeschriftsatz in der vorliegenden Rechtssache nicht ausgleichen.
24 In der mündlichen Verhandlung ist die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert worden, sich zur Frage der Zulässigkeit ihres Streithilfeschriftsatzes zu äußern.
25 Nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung des Gerichts muss die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Für die Zulässigkeit einer Klage ist es nach ständiger Rechtsprechung erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf denen sie beruht, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich, aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst ergeben, damit der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, über die Klage entscheiden kann. Zwar kann der Text der Klageschrift zu speziellen Punkten durch Bezugnahmen auf bestimmte Abschnitte beigefügter Schriftstücke untermauert und ergänzt werden, doch kann eine pauschale Bezugnahme auf andere Schriftstücke, auch wenn sie der Klageschrift als Anlagen beigefügt sind, nicht das Fehlen der wesentlichen Bestandteile der Rechtsausführungen ausgleichen, die nach den oben genannten Vorschriften in der Klageschrift enthalten sein müssen. Außerdem ist es nicht Sache des Gerichts, die Klagegründe und Argumente, auf die sich die Klage möglicherweise stützen lässt, in den Anlagen zu suchen und zu bestimmen, denn die Anlagen haben eine bloße Beweis- und Hilfsfunktion (vgl. Urteil vom 1. Juni 2022, Algebris [UK] und Anchorage Capital Group/Kommission, T‑570/17, EU:T:2022:314, Rn. 299 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Die oben in Rn. 25 angeführte Rechtsprechung gilt entsprechend für Streithilfeschriftsätze (vgl. Urteil vom 14. März 2013, Fresh Del Monte Produce/Kommission, T‑587/08, EU:T:2013:129, Rn. 541 und die dort angeführte Rechtsprechung), für die Art. 145 Abs. 2 Buchst. b der Verfahrensordnung bestimmt, dass sie die vom Streithelfer geltend gemachten Gründe und Argumente enthalten müssen.
27 Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass der Streithilfeschriftsatz der Bundesrepublik Deutschland einige Bemerkungen zum ersten und zum dritten Klagegrund der Klägerinnen enthält. Außerdem ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland in diesem Schriftsatz alle Klagegründe der Klägerinnen unterstützt. Sodann ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland als Anlage zu ihrem Streithilfeschriftsatz in der vorliegenden Rechtssache den Streithilfeschriftsatz vorlegt, den sie in der Rechtssache BNetzA/ACER (T‑485/21), die ebenfalls die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zum Gegenstand hat, eingereicht hat und auf den sie pauschal verweist. Schließlich ist zu bemerken, dass die Bundesrepublik Deutschland in ihrem Streithilfeschriftsatz in der vorliegenden Rechtssache bestimmte Erwägungen zu einer angeblich diskriminierenden Behandlung großer gegenüber kleineren Gebotszonen sowie zum Verbot der Berücksichtigung entlastender Flüsse bei der Verteilung der Kosten auf die unterschiedlichen Typen von Stromflüssen und zur Priorisierung von Ringflüssen über interne Flüsse bei der Bestimmung der Ursachen von Netzüberlastungen anstellt.
28 Erstens ist das Argument der Bundesrepublik Deutschland zurückzuweisen, wonach sie als Streithelferin zugelassen worden sei.
29 Insoweit genügt die Feststellung, dass es im vorliegenden Fall nicht darum geht, die Eigenschaft der Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin in Frage zu stellen, sondern sich der Zulässigkeit ihres Streithilfeschriftsatzes zu vergewissern.
30 Zweitens geht auch das Argument der Bundesrepublik Deutschland ins Leere, wonach die Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes für den Streithelfer keine Verpflichtung, sondern eine Möglichkeit sei.
31 Da sich die Bundesrepublik Deutschland dafür entschieden hat, einen Streithilfeschriftsatz einzureichen, ist nämlich zu prüfen, ob dieser Schriftsatz den für ihn geltenden Formerfordernissen genügt, die oben in den Rn. 25 und 26 in Erinnerung gerufen worden sind.
32 Drittens ist der pauschale Verweis auf den in der Rechtssache BNetzA/ACER (T‑485/21) vorgelegten Streithilfeschriftsatz, der dem Streithilfeschriftsatz in der vorliegenden Rechtssache als Anhang beigefügt ist, im Einklang mit der oben in Rn. 25 angeführten Rechtsprechung, die entsprechend für Streithilfeschriftsätze gilt, unzulässig und kann daher nicht berücksichtigt werden, um das etwaige Fehlen der wesentlichen Bestandteile der Rechtsausführungen auszugleichen, die nach der oben in den Rn. 25 und 26 angeführten Rechtsprechung im Streithilfeschriftsatz enthalten sein müssen.
33 Viertens ist zu den Erwägungen bezüglich der angeblich diskriminierenden Behandlung größerer gegenüber kleineren Gebotszonen anzumerken, dass diese Erwägungen es – unabhängig von der Tatsache, dass die Klägerinnen einen solchen Klagegrund in der vorliegenden Rechtssache nicht vorgebracht haben – weder der ACER ermöglichen, ihre Verteidigung vorzubereiten, noch dem Gericht, sie zu prüfen.
34 Die Bundesrepublik Deutschland macht in Rn. 4 ihres Streithilfeschriftsatzes nämlich Folgendes geltend:
„Mit der getroffenen Entscheidung benachteiligt die Beklagte größere Gebotszonen (wie die deutsche und die französische) zugunsten kleinerer Zonen, bei denen schon aus physikalischen Gründen weniger Ringflüsse entstehen[]. Unter Missachtung der physikalischen und geographischen Begebenheiten sieht die Beklagte ein einheitliches Toleranzniveau legitimer Ringflüsse vor. Wie stets beim Gleichheitsgrundsatz ist dieser nicht nur verletzt, wenn Gleiches ungleich behandelt wird, sondern auch, wenn Ungleiches gleich behandelt wird. Durch die (weitestgehende) Gleichbehandlung werden die Unterschiede nivelliert, die mit Blick auf die unvermeidbaren, legitimen Ringflüsse zwischen den einzelnen einbezogenen Netzelementen und Gebotszonen bestehen.“
35 Zwar besagt der allgemeine Grundsatz der Nichtdiskriminierung bzw. Gleichbehandlung nach ständiger Rechtsprechung, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C‑127/07, EU:C:2008:728, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Im vorliegenden Fall erlaubt die bloße Behauptung einer diskriminierenden Behandlung größerer gegenüber kleineren Gebotszonen ohne den geringsten Hinweis darauf, inwieweit sich diese Gebotszonen unterscheiden sollen, oder auf das Fehlen einer Rechtfertigung für ihre angeblich gleiche Behandlung dem Gericht jedoch nicht, über einen solchen Klagegrund zu entscheiden.
37 Unter diesen Umständen ist – unabhängig von der Frage, ob ein Streithelfer andere Klagegründe vorbringen kann als die der Hauptpartei, die er unterstützt – der Schluss zu ziehen, dass der Klagegrund einer angeblich diskriminierenden Behandlung der verschiedenen Gebotszonen unzulässig ist, da es an einer ausreichenden Darlegung fehlt, die es dem Gericht ermöglicht, über ihn zu entscheiden.
38 Fünftens ist in Bezug auf die Erwägungen zum Verbot eines Ausgleichs zwischen belastenden und entlastenden Flüssen einerseits und zur fehlerhaften Benachteiligung von Ringflüssen gegenüber internen Flüssen andererseits zu bemerken, dass diese Erwägungen es – unabhängig von der Tatsache, dass die Klägerinnen einen solchen Klagegrund in der vorliegenden Rechtssache nicht vorgebracht haben – weder der ACER ermöglichen, ihre Verteidigung vorzubereiten, noch dem Gericht, sie zu prüfen.
39 Die Bundesrepublik Deutschland macht in Rn. 5 ihres Streithilfeschriftsatzes nämlich Folgendes geltend:
„Zudem verbietet die Methode die Berücksichtigung entlastender Flüsse bei der Verteilung der Kosten auf die unterschiedlichen Typen von Stromflüssen und priorisiert Ringflüsse über interne Flüsse bei der Bestimmung der Ursachen von Netzüberlastungen. Beides widerspricht dem Regelungsziel der [] Verordnung 2019/943, möglichst engpassfreie[] Gebotszonen [zu schaffen] und den grenzüberschreitenden Handel zu erhöhen.“
40 Die bloße Behauptung, dass das Verbot der Berücksichtigung entlastender Flüsse bei der Kostenverteilung und die Benachteiligung von Ringflüssen gegenüber internen Flüssen „dem Regelungsziel der [] Verordnung 2019/943 [widerspreche], möglichst engpassfreie[] Gebotszonen [zu schaffen] und den grenzüberschreitenden Handel zu erhöhen“, ohne die geringsten Rechtsausführungen zu machen, erlaubt dem Gericht jedoch nicht, über einen solchen Klagegrund zu entscheiden.
41 Unter diesen Umständen ist – unabhängig von der Frage, ob ein Streithelfer andere Klagegründe vorbringen kann als die der Hauptpartei, die er unterstützt – der Schluss zu ziehen, dass die Klagegründe, mit denen ein Verbot der Berücksichtigung entlastender Flüsse bei der Verteilung der Kosten auf die unterschiedlichen Typen von Stromflüssen und die Priorisierung von Ringflüssen über interne Flüsse bei der Bestimmung der Ursachen von Netzüberlastungen geltend gemacht werden, unzulässig sind, weil es an einer Darlegung fehlt, die es dem Gericht ermöglicht, über diese Klagegründe zu entscheiden.
42 Sechstens hingegen sind die Ausführungen der Bundesrepublik Deutschland zum ersten und zum dritten Klagegrund der Klägerinnen zwar sehr knapp gehalten, können aber, wenn sie im Licht des von den Klägerinnen angeführten Vorbringens ausgelegt werden, einer rechtlichen Würdigung durch das Gericht zugänglich sein.
43 In Anbetracht des Vorstehenden ist der Schluss zu ziehen, dass der Streithilfeschriftsatz der Bundesrepublik Deutschland nur teilweise zulässig ist, da er es dem Gericht aus den oben in den Rn. 36 und 40 dargelegten Gründen nicht ermöglicht, über das Vorbringen zu entscheiden, mit dem erstens eine diskriminierende Behandlung der verschiedenen Gebotszonen, zweitens ein angebliches Verbot des Ausgleichs zwischen belastenden und entlastenden Flüssen und drittens eine angeblich fehlerhafte Benachteiligung von Ringflüssen gegenüber internen Flüssen geltend gemacht werden.
Zum ersten Klagegrund : Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode
44 Mit dem ersten Klagegrund machen die Klägerinnen, die in diesem Sinne durch die Bundesrepublik Deutschland unterstützt werden, geltend, der Beschwerdeausschuss der ACER habe durch die Bestätigung des Anwendungsbereichs der beanstandeten Kostenteilungsmethode einen Rechtsfehler begangen.
45 Erstens sei die Einbeziehung aller Übertragungsnetzelemente mit einer Spannung von 220 Kilovolt (kV) oder mehr in den Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode unvereinbar mit Art. 16 Abs. 13 der Verordnung (EU) 2019/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. 2019, L 158, S. 54) und Art. 74 Abs. 2 der Verordnung 2015/1222, wie sich aus Wortlaut, Systematik und Zweck dieser Bestimmungen ergebe.
46 Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943, so sie Klägerinnen, ziele auf die Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen bei Engpässen „zwischen zwei Gebotszonen“ ab. Im Einklang mit den Definitionen von „Engpass“ und „kritischen Netzelementen“ in Art. 2 Nrn. 4 und 69 der Verordnung 2019/943 beziehe sich Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 lediglich auf die Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen im Zusammenhang mit kritischen Netzelementen unter Ausschluss der übrigen Netzelemente, bei denen nicht davon ausgegangen werde, dass sie die Stromhandelskapazität beeinträchtigen könnten.
47 Was den Begriff „Maßnahmen von grenzübergreifender Bedeutung“ in Art. 74 Abs. 2 der Verordnung 2015/1222 anbelange, so beziehe sich auch dieser lediglich auf Entlastungsmaßnahmen im Zusammenhang mit kritischen Netzelementen unter Ausschluss interner Entlastungsmaßnahmen. Das werde durch den zehnten Erwägungsgrund der Verordnung und die allgemeine Systematik ihres Art. 74, der sich auf das Kapazitätsvergabeverfahren beziehe, untermauert.
48 Zweitens gebe es keine Rechtsgrundlage, die eine solche Ausweitung des Anwendungsbereichs der beanstandeten Kostenteilungsmethode gestatte. Insbesondere könne dieser weite Anwendungsbereich nicht durch Erwägungen zum Verursacherprinzip oder zu den vermeintlichen Anreizen gerechtfertigt werden, die sich aus einer solchen Bestimmung des Anwendungsbereichs ergäben.
49 Drittens könne die Erstreckung des Anwendungsbereichs auf alle Übertragungsnetzelemente auch nicht durch Erwägungen zur Betriebssicherheit gerechtfertigt werden.
50 Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt im Großen und Ganzen das Vorbringen der Klägerinnen, führt aber auch Argumente an, die aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 hergeleitet werden.
51 Die ACER tritt dem Vorbringen der Klägerinnen, die durch die Bundesrepublik Deutschland unterstützt werden, entgegen.
Vorbemerkungen
52 Als Erstes ist vorab darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeausschuss in der angefochtenen Entscheidung das Vorbringen zur Rechtswidrigkeit des Anwendungsbereichs der beanstandeten Kostenteilungsmethode im Wesentlichen in den Rn. 89 bis 379 („First Consolidated Plea – Excessive scope of the RDCTCS and unlawful determination of XNEs“), in den Rn. 1078 bis 1105 („Eighth Consolidated Plea – Polluter Pays Principle“) sowie in den Rn. 1126 bis 1191 (S. 203 bis 212) („Fourteenth Consolidated Plea – ACER exceeded its competence and infringed the principle of conferral“) dieser Entscheidung zurückgewiesen hat.
53 Wie sich im Wesentlichen aus den Rn. 196 bis 210 der angefochtenen Entscheidung ergibt, beruht diese teilweise auf einer Auslegung von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 dahin, dass diese Bestimmung das Verursacherprinzip widerspiegele. Ebenso schreibe diese Bestimmung vor, die Herkunft der physikalischen Stromflüsse festzustellen, die zu zonenübergreifenden Engpässen beitrügen, ohne jedoch die Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen zu beschränken, die in Bezug auf Engpässe auf den Interkonnektoren durchgeführt würden.
54 Ebenso war der Beschwerdeausschuss, wie sich im Wesentlichen aus den Rn. 173 bis 180 der angefochtenen Entscheidung ergibt, der Auffassung, dass die beanstandete Kostenteilungsmethode mit Art. 74 Abs. 2 der Verordnung 2015/1222 vereinbar sei, da die in den Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode fallenden Maßnahmen an Netzelementen grenzübergreifende Bedeutung hätten.
55 Als Zweites erfordert die Prüfung des ersten Klagegrundes die Bestimmung der Rechtsgrundlage, des Zwecks und des Anwendungsbereichs der beanstandeten Kostenteilungsmethode, wie sie in der angefochtenen Entscheidung bestätigt wird.
56 Was erstens die Rechtsgrundlage und den Zweck der beanstandeten Kostenteilungsmethode anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass diese gemäß Art. 74 der Verordnung 2015/1222 erlassen wurde, und dass in Abs. 2 dieser Bestimmung der Erlass von Kostenteilungsverfahren für Entlastungsmaßnahmen von grenzübergreifender Bedeutung vorgesehen ist. Diese Methode hat somit zum Ziel, die durch die Aktivierung kostspieliger Entlastungsmaßnahmen, d. h. Redispatching und Countertrading, verursachten Kosten zwischen den ÜNB aufzuteilen.
57 In diesem Zusammenhang definiert Art. 2 Nr. 13 der Verordnung 2015/1222 die „Entlastungsmaßnahme“ als „jede Maßnahme, die von einem oder mehreren ÜNB manuell oder automatisch zur Wahrung der Betriebssicherheit angewendet wird“.
58 Art. 2 Nr. 26 der Verordnung 2019/943 definiert das Redispatching als eine Maßnahme, einschließlich einer Einschränkung, die von einem oder mehreren ÜNB oder Verteilernetzbetreibern durch die Veränderung des Erzeugungs- oder des Lastmusters oder von beidem aktiviert wird, um die physikalischen Lastflüsse im Stromsystem zu ändern und physikalische Engpässe zu mindern oder anderweitig für Systemsicherheit zu sorgen.
59 Art. 2 Nr. 27 der Verordnung 2019/943 definiert Countertrading als einen zonenübergreifenden Austausch zwischen zwei Gebotszonen, der von den Netzbetreibern zur Minderung physikalischer Engpässe initiiert wird.
60 Ein Engpass, der ein eine Entlastungsmaßnahme erforderndes Risiko für die Betriebssicherheit darstellt, wird in Art. 2 Nr. 4 der Verordnung 2019/943 als eine „Situation, in der nicht allen Ersuchen von Marktteilnehmern auf Handel zwischen Netzbereichen nachgekommen werden kann, weil sie erhebliche Auswirkungen auf die physikalischen Stromflüsse in Netzelementen hätten, die diese Stromflüsse nicht bewältigen können“, definiert.
61 Ein Engpass wird durch physikalische Stromflüsse verursacht. Es gibt verschiedene, durch die beanstandete Kostenteilungsmethode definierte Typen physikalischer Stromflüsse. Darunter definiert Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der beanstandeten Kostenteilungsmethode zugewiesene Stromflüsse als „physikalische Stromflüsse auf einem Netzelement, bei denen Quelle und Senke in unterschiedlichen Gebotszone liegen“. Interne Stromflüsse werden in Art. 2 Abs. 2 Buchst. o der beanstandeten Kostenteilungsmethode definiert als „physikalische Stromflüsse auf einem Netzelement, bei denen Quelle und Senke sowie das gesamte Netzelement innerhalb derselben Gebotszone liegen“. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. p der beanstandeten Kostenteilungsmethode sind Ringflüsse „physikalische Stromflüsse auf einem Netzelement, bei denen Quelle und Senke in derselben Gebotszone und das Netzelement oder sogar nur ein Teil davon in einer anderen Gebotszone liegen“.
62 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 die Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen zur Minderung von Engpässen zwischen zwei Gebotszonen auf der Grundlage des Beitrags der Stromflüsse zu diesem Engpass aufgrund von Transaktionen innerhalb einer Zone vorsieht. Art. 16 Abs. 13 bestimmt nämlich u. a.: „Bei der Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen auf die Übertragungsnetzbetreiber analysieren die Regulierungsbehörden, inwieweit die Stromflüsse aufgrund von Transaktionen innerhalb von Gebotszonen zu dem zwischen zwei Gebotszonen beobachteten Engpass beitragen, und sie ordnen die Kosten auf der Grundlage des jeweiligen Beitrags zum Engpass auf die Übertragungsnetzbetreiber der Gebotszonen, in denen diese Stromflüsse entstehen, zu, außer bei Kosten, die durch Stromflüsse bedingt sind, die aufgrund von Transaktionen innerhalb von Gebotszonen entstehen und unterhalb des Niveaus liegen, [das] ohne strukturelle Engpässe in einer Gebotszone wahrscheinlich ist.“
63 In diesem Zusammenhang wird eine Gebotszone in Art. 2 Nr. 65 der Verordnung 2019/943 definiert als „das größte geografische Gebiet, in dem Marktteilnehmer ohne Kapazitätsvergabe Energie austauschen können“. Derzeit entsprechen die Gebiete der Core-Region in den meisten Fällen den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten.
64 Zweitens ist, wie sich aus Art. 5 Abs. 1 der beanstandeten Kostenteilungsmethode ergibt, für die Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen das Netzelement zu bestimmen, auf dem jede Entlastungsmaßnahme tatsächlich durchgeführt wird.
65 Wie in den Rn. 106 bis 110 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt wird, erstreckt sich der Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode nicht nur auf zonenübergreifende Netzelemente (Interkonnektoren), sondern auch auf alle internen Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr.
66 Die beanstandete Kostenteilungsmethode sieht nämlich in Art. 3 Abs. 4 vor, dass alle „grenzüberschreitend relevanten Netzelemente“ „kostenteilungsfähig“ sind.
67 Was zum einen die grenzüberschreitend relevanten Netzelemente anbelangt, definiert die beanstandete Kostenteilungsmethode in ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. j diese Elemente als „Netzelemente, die als grenzüberschreitend relevant angesehen werden, bei denen Verletzungen der betrieblichen Sicherheit in koordinierter Weise begegnet werden muss“.
68 In diesem Zusammenhang geht aus den Rn. 106 bis 110 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass – wie im Übrigen zwischen den Parteien unstreitig ist – der Begriff der „grenzüberschreitend relevanten Netzelemente“ im gleichen Sinne zu verstehen ist wie in der Definition in Art. 5 der Methode zum koordinierten Redispatching und Countertrading in der Core-Region nach Art. 35 Abs. 1 der Verordnung 2015/1222, die mit der Entscheidung Nr. 35/2020 der ACER vom 4. Dezember 2020 über die Methode zum koordinierten Redispatching und Countertrading in der Core-Region (im Folgenden: RDCT‑Methode) erlassen wurde, und in Art. 5 der Methode zur regionalen Koordination der Betriebssicherheit in der Core‑Region nach Art. 76 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1485 der Kommission vom 2. August 2017 zur Festlegung einer Leitlinie für den Übertragungsnetzbetrieb (ABl. 2017, L 220, S. 1), die mit der Entscheidung Nr. 33/2020 der ACER vom 4. Dezember 2020 über die Methode zur regionalen Koordination der Betriebssicherheit in der Core-Region (im Folgenden: ROSC‑Methode) erlassen wurde.
69 Zum einen erfasst der Begriff der „grenzüberschreitend relevanten Netzelemente“ somit alle kritischen Netzelemente gemäß Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 der mit der Entscheidung Nr. 02/2019 der ACER vom 21. Februar 2019 – auf Vorschläge der ÜNB der Core-Region zu gemeinsamen Methoden zur Berechnung der Day-Ahead- und der Intraday-Kapazität – erlassenen Methoden zur Berechnung der Day-Ahead- und der Intraday-Kapazität (im Folgenden: CCM-Methoden), nämlich derzeit die von den ÜNB festgelegten Interkonnektoren und internen Netzelemente mit einem Energieflussverteilungsfaktor im Sinne von Art. 2 Nr. 22 der Verordnung (EU) Nr. 543/2013 der Kommission vom 14. Juni 2013 über die Übermittlung und die Veröffentlichung von Daten in Strommärkten und zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2013, L 163, S. 1) von 5 % oder mehr, und zum anderen grundsätzlich alle internen Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr.
70 Nach der Definition in Art. 2 Nr. 69 der Verordnung 2019/943 bezeichnet ein kritisches Netzelement „ein Netzelement entweder innerhalb einer Gebotszone oder zwischen Gebotszonen, das bei der [zonenübergreifenden] Kapazitätsberechnung berücksichtigt wird und die Strommenge, die [zonenübergreifend] ausgetauscht werden kann, begrenzt“.
71 Bei den kritischen Netzelementen handelt es sich also entweder um Interkonnektoren oder um interne Elemente, deren Energieflussverteilungsfaktor 5 % oder mehr beträgt. Im Sinne der beanstandeten Kostenteilungsmethode sind grenzüberschreitend relevante Netzelemente alle kritischen Netzelemente sowie interne Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr.
72 Zum anderen ist zum Begriff „Redispatching- und Countertrading-Maßnahmen von grenzübergreifender Bedeutung“ festzustellen, dass Art. 3 Abs. 1 der beanstandeten Kostenteilungsmethode klarstellt, dass er Redispatching- und Countertrading-Maßnahmen von grenzübergreifender Bedeutung erfasst, die durch die RDCT‑Methode und durch die ROSC‑Methode ermittelt werden.
73 Daraus folgt, wie dies die Parteien bestätigt haben, dass Redispatching- und Countertrading-Maßnahmen von grenzübergreifender Bedeutung im Sinne der beanstandeten Kostenteilungsmethode grundsätzlich alle Redispatching- und Countertrading-Maßnahmen sind, die auf die Minderung von Engpässen auf grenzüberschreitend relevanten Netzelementen abzielen.
Prüfung des Anwendungsbereichs
– Zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der beanstandeten Kostenteilungsmethode
74 Nach Ansicht der Klägerinnen sind die Kosten von Entlastungsmaßnahmen von der Zuordnung auszunehmen, die internen Netzelementen zugewiesen werden, die keine kritischen Netzelemente sind.
75 Insbesondere seien unkritischen Netzelementen zugewiesene Kosten deshalb auszunehmen, weil Engpässe auf diesen Elementen „interne“ Engpässe seien, die nicht unter die Definition „zonenübergreifender“ Engpässe fielen.
76 Daher ist zu prüfen, ob die Klägerinnen zu Recht geltend machen, dass die Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen auf die kritischen Netzelemente beschränkt werden müsse, wie sie sich aus den CCM-Methoden ergäben, da es sich um Elemente handele, die nach Art. 2 Nr. 69 der Verordnung 2019/943 „die Strommenge, die ausgetauscht werden kann, [begrenzen]“. Somit wäre nur eine Überlastung an diesen Elementen ein zonenübergreifender Engpass im Sinne von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943.
77 Erstens ist zu prüfen, ob nur die kritischen Netzelemente grenzübergreifende Bedeutung im Sinne von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung 2015/1222 haben.
78 Nach Art. 74 Abs. 2 der Verordnung 2015/1222 umfasst die beanstandete Kostenteilungsmethode „Kostenteilungsverfahren für Maßnahmen von grenzübergreifender Bedeutung“. Sodann bestimmt Art. 74 Abs. 4 Buchst. b dieser Verordnung, dass die beanstandete Kostenteilungsmethode festlegen muss, „welche Kosten, die durch Redispatching und Countertrading zur Sicherung der Verbindlichkeit von zonenübergreifender Kapazität angefallen sind, dafür in Betracht kommen, … auf alle ÜNB einer Kapazitätsberechnungsregion verteilt zu werden“, im vorliegenden Fall die der Core-Region.
79 Um festzustellen, ob die beanstandete Kostenteilungsmethode, wie sie durch die angefochtene Entscheidung bestätigt wurde, mit Art. 74 Abs. 2 der Verordnung 2015/1222 vereinbar ist, ist somit zu prüfen, inwieweit die Entlastungsmaßnahmen, deren Kostenteilung sie bezweckt, die Verbindlichkeit von zonenübergreifender Kapazität sichern sollen.
80 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung 2015/1222 ein Durchführungsrechtsakt zur Verordnung 2019/943 ist, wie sich aus Art. 18 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 (ABl. 2009, L 211, S. 15) ergibt, die später durch die Verordnung 2019/943 ersetzt wurde. Diese ist also eine höherrangige Rechtsnorm, die nach der Verordnung 2015/1222 erlassen wurde. Abgesehen von dem Fall, dass deren Bedeutung klar und eindeutig ist und daher keiner Auslegung bedarf, sind die Bestimmungen einer Durchführungsverordnung indessen – wenn möglich – so auszulegen, dass sie mit den Bestimmungen der Grundverordnung vereinbar sind (Urteil vom 28. Februar 2017, Canadian Solar Emea u. a./Rat, T‑162/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:124, Rn. 150). Art. 74 der Verordnung 2015/1222 ist daher im Einklang mit Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 auszulegen.
81 Insoweit ist festzustellen, dass Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 weder die Netzelemente definiert, für die die Entlastungsmaßnahmen zonenübergreifende Engpässe mindern sollen, noch die Netzelemente, für die die Kosten für Entlastungsmaßnahmen zur Minderung von zonenübergreifenden Engpässen geteilt werden müssen.
82 Auch Art. 2 Nr. 4 der Verordnung 2019/943 konkretisiert nicht näher, auf welchen Netzelementen physikalische Engpässe, einschließlich solcher im Zusammenhang mit dem zonenübergreifenden Handel, auftreten.
83 Allerdings bezieht sich Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 auf die Kosten der von den ÜNB aktivierten Entlastungsmaßnahmen zur Sicherstellung des zonenübergreifenden Handels und verlangt in der Folge, dass diese Kosten zwischen den ÜNB auf der Grundlage dessen geteilt werden, inwieweit die Stromflüsse aufgrund von Transaktionen innerhalb von Gebotszonen zu dem zwischen zwei Gebotszonen beobachteten Engpass beitragen.
84 Folglich ist nach dem Zweck von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 festzustellen, welche Engpässe in koordinierter Weise gemindert werden müssen, um den zonenübergreifenden Handel sicherzustellen, was, wie oben in den Rn. 79 und 80 ausgeführt, anschließend die Feststellung ermöglichen wird, ob die Entlastungsmaßnahmen, auf die sich die beanstandete Kostenteilungsmethode bezieht, die Verbindlichkeit von zonenübergreifender Kapazität im Sinne von Art. 74 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung 2015/1222 sichern sollen.
85 Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass zur Durchführung einer derartigen Prüfung zur Feststellung, welche Entlastungsmaßnahmen die Sicherstellung des zonenübergreifenden Handels ermöglichen und somit von der Kostenzuordnung betroffen sind, zu verdeutlichen ist, welche Rolle Entlastungsmaßnahmen im Rahmen des Verfahrens der zonenübergreifenden Kapazitätsberechnung, wie es in den CCM-Methoden vorgesehen ist, und des Verfahrens der regionalen Bewertung der Betriebssicherheit, wie es durch die ROSC‑Methode gemäß Art. 76 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1485 festgelegt ist, zukommt (im Folgenden: CROSA-Verfahren).
86 Als Erstes ist festzustellen, dass das Verfahren der zonenübergreifenden Kapazitätsberechnung zwei Tage vor der Stromlieferung beginnt und zur Bestimmung der Energiemenge verwendet wird, die im Rahmen der Betriebssicherheitsgrenzwerte zonenübergreifend gehandelt werden kann.
87 Das Kapazitätsberechnungsverfahren wird nur auf den kritischen Netzelementen durchgeführt. Zum einen können die ÜNB vor der Öffnung des Marktes die Energiemenge, die von den Teilnehmern gehandelt werden kann, begrenzen, um die Betriebssicherheitsgrenzwerte einzuhalten. Zum anderen werden bei diesem Verfahren auch Entlastungsmaßnahmen wie Redispatching und Countertrading verwendet. Diese Entlastungsmaßnahmen, die gemäß Art. 16 Abs. 4 der Verordnung 2019/943 zur Maximierung der verfügbaren zonenübergreifenden Kapazität aktiviert werden könnten, werden von den ÜNB in Betracht gezogen, aber noch nicht aktiviert.
88 Bei der Berechnung der zonenübergreifenden Kapazität werden nämlich keine Entlastungsmaßnahmen aktiviert und es entstehen keine Kosten.
89 Als Zweites ist festzustellen, dass die kostspieligen Entlastungsmaßnahmen für das Redispatching und Countertrading, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind, nur im Rahmen des CROSA-Verfahrens, das eng mit der Berechnung der zonenübergreifenden Kapazität zusammenhängt, vorkommen.
90 Nach Art. 76 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Verordnung 2017/1485, der die koordinierte Vorbereitung von Entlastungsmaßnahmen mit grenzübergreifender Bedeutung regelt, und gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Sicherheitsmethode (ROSC‑Methode) hat das CROSA-Verfahren zum Ziel, grenzübergreifend relevante Entlastungsmaßnahmen zu koordinieren, zu validieren und durchzuführen. Wie aus den Art. 5 und 9 der genannten ROSC‑Methode hervorgeht, sind Entlastungsmaßnahmen mit grenzübergreifender Bedeutung alle Entlastungsmaßnahmen, die zumindest teilweise geeignet sind, um Verstöße gegen Grenzwerte für Strom auf grenzüberschreitend relevanten Netzelementen zu beheben, d. h. grundsätzlich alle kritischen Netzelemente, die bei der Berechnung der zonenübergreifenden Kapazität berücksichtigt werden, und alle anderen Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr.
91 Ebenso gewährleistet das CROSA-Verfahren nach der Bekanntgabe der Marktergebnisse und der Vergabe grenzüberschreitender Kapazität nach dem zwölften Erwägungsgrund und Art. 5 Abs. 1 der ROSC‑Methode grundsätzlich die Betriebssicherheit aller Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr. Zu diesem Zeitpunkt verfügen die ÜNB über detaillierte Angaben zu der Energie, die in das Netz eingespeist oder aus dem Netz entnommen werden wird.
92 Das CROSA-Verfahren beginnt mit der lokalen Bewertung der Betriebssicherheit, die jeder ÜNB in seinem Netz gemäß Art. 13 und Art. 14 Abs. 1 der ROSC‑Methode durchführt, was zur Erstellung eines Einzelnetzmodells durch jeden ÜNB führt.
93 Anschließend werden gemäß Art. 18 dieser Methode die Einzelnetzmodelle den regionalen Koordinatoren zur Verfügung gestellt und von diesen im Hinblick auf die Erstellung eines gemeinsamen Netzmodells für alle Stunden des Tages zusammengeführt, das gemäß Art. 2 Nr. 2 der Verordnung 2015/1222 „einen … unionsweiten Datensatz, der die [Merkmale] des elektrischen Energiesystems … beschreibt“, umfasst.
94 Überschreitet ein Stromfluss auf einem Netzelement den maximalen Durchfluss, ist es erforderlich, Entlastungsmaßnahmen vorzubereiten und zu aktivieren, um die Betriebssicherheitsgrenzwerte einzuhalten.
95 Wie aus dem zehnten Erwägungsgrund der ROSC‑Methode hervorgeht, ist im Rahmen des CROSA-Verfahrens eine Optimierung der Entlastungsmaßnahmen vorgesehen.
96 Insbesondere bedeutet diese Optimierung innerhalb des CROSA-Verfahrens, wie sie in Art. 2 Abs. 1 Buchst. p der ROSC‑Methode beschrieben wird, dass bei jeder Iteration konkret bestimmt wird, welchem Engpass auf welchem kritischen oder unkritischen Netzelement in koordinierter Weise zu begegnen ist.
97 So wird für jede Stunde im gemeinsamen Netzmodell gemäß Art. 76 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iii der Verordnung 2017/1485 die wirksamste und wirtschaftlichste Entlastungsmaßnahme unter allen den ÜNB zur Verfügung stehenden Entlastungsmaßnahmen ermittelt, mit der alle Engpässe auf allen Interkonnektoren und sämtlichen internen Netzelementen mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr im gemeinsamen Netzmodell behoben werden können, und zwar, gemäß den Art. 20, 23 und 24 sowie Art. 27 Abs. 1 der ROSC‑Methode, ohne neue Engpässe zu schaffen.
98 Drittens ist im Licht der vorstehenden Ausführungen zu prüfen, ob, wie die Klägerinnen geltend machen, nur die durch die Entlastungsmaßnahmen auf den kritischen Netzelementen verursachten Kosten (und damit nur die Interkonnektoren oder die internen Netzelemente mit einem Energieflussverteilungsfaktor von 5 % oder mehr) in den Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode einzubeziehen sind. Zu diesem Zweck ist, wie oben in Rn. 84 ausgeführt, zu bestimmen, welche Engpässe in koordinierter Weise gemindert werden müssen, um den zonenübergreifenden Handel sicherzustellen.
99 Insoweit kann als Erstes der bloße Umstand, dass die durch Engpässe auf Netzelementen mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr verursachten Kosten in den Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode einbezogen werden, nicht gegen Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 verstoßen, da diese Bestimmung lediglich die Feststellung erfordert, welche Engpässe in koordinierter Weise gemindert werden müssen, um den zonenübergreifenden Handel sicherzustellen.
100 Als Zweites kann der ÜNB höchstens 30 % der Kapazität auf jedem kritischen Netzelement verwenden, um Engpässe auf diesem zu mindern, sofern, wie in Art. 16 Abs. 8 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung 2019/943 vorgesehen, 70 % dieser Kapazität für den zonenübergreifenden Handel gemäß Art. 16 Abs. 1 und 8 der Verordnung 2019/943 verfügbar bleiben.
101 Der Umstand, dass die Engpässe durch die Nutzung von bis zu 30 % der Kapazität einer Untergruppe von Netzelementen gemindert werden können, bedeutet jedoch nicht, dass nur die Kosten von Entlastungsmaßnahmen, die bezüglich dieser Untergruppe durchgeführt wurden, geteilt werden müssten.
102 Als Drittes wird die Verbindlichkeit der Mindestkapazität von 70 % jedes kritischen Netzelements am wirksamsten durch die Optimierung der Entlastungsmaßnahmen auf allen Netzelementen mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr gesichert. Somit werden mit dieser Optimierung der Entlastungsmaßnahmen auf allen diesen Elementen die Ziele der Verordnung 2019/943, insbesondere das Aussenden von Marktsignalen für größere Effizienz und Versorgungssicherheit gemäß Art. 1 Buchst. a der Verordnung 2019/943, erreicht.
103 Diese Optimierung trägt, wie sich aus Art. 16 Abs. 4 der Verordnung 2019/943 ergibt, dazu bei, die Kosten für Entlastungsmaßnahmen zu senken und so die Verringerung der zonenübergreifenden Kapazität zu begrenzen.
104 Als Viertes müssen, wenn die von den ÜNB auf den internen Netzelementen, die keine kritischen Netzelemente sind, aktivierten Entlastungsmaßnahmen zur optimalen Lösung gehören, die erforderlich ist, um auch Engpässe bei kritischen Netzelementen abzumildern, die Kosten für die erstgenannten Elemente zwischen den ÜNB in gleicher Weise geteilt werden wie die Kosten für die letztgenannten Elemente. Folglich würde die Nichteinbeziehung von Netzelementen mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr in den Anwendungsbereich der Kostenteilungsmethode zu einer ungerechtfertigten Begrenzung führen, insbesondere im Licht von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943, der die Zuordnung aller Kosten von Entlastungsmaßnahmen, die aktiviert werden, um zonenübergreifende Engpässe zu beheben, mit Ausnahme der Kosten für Stromflüsse, die zu dem zwischen zwei Gebotszonen beobachteten Engpass ohne Überschreiten des Toleranzniveaus beitragen, verlangt.
105 Wäre die Kostenteilung auf kritische Netzelemente beschränkt, so würde diese zufällig werden, da die mit dem Engpassmanagement verbundenen Kosten je nach dem Element, auf dem eine Entlastungsmaßnahme aktiviert würde, in unterschiedlicher Weise verteilt würden. Wie die ACER zu Recht ausführt, würde dies zu einer Diskriminierung der verschiedenen Netzelemente und damit der ÜNB, denen diese Elemente gehören, führen, die in der in Rede stehenden Regelung nicht vorgesehen ist.
106 Daher dürfen die in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 genannten Stromflüsse aufgrund von Transaktionen, die zu dem zwischen zwei Gebotszonen beobachteten Engpass beitragen, die die zonenübergreifende Kapazität auf den kritischen Netzelementen verringern, bei der Kostenzuordnung nicht anders behandelt werden, wenn sie über nicht kritische Netzelemente laufen. Die für diese beiden Gruppen von Elementen aktivierten Entlastungsmaßnahmen werden optimiert, um die mit den Engpässen verbundenen Probleme zu lösen.
107 Als Fünftes können die auf nicht kritischen Netzelementen aktivierten Entlastungsmaßnahmen teilweise Engpässe bei den kritischen Netzelementen beheben, wie die ACER in Beantwortung der Fragen des Gerichts ausführt.
108 Wenn diese Entlastungsmaßnahmen zur Behebung solcher Engpässe auf kritischen Netzelementen beitragen können, müssen daher ihre Kosten nach dem Verursacherprinzip geteilt werden. Wenn sie hingegen nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Behebung eines Engpasses auf den kritischen Netzelementen beitragen können, bedeutet dies nicht, dass die Elemente, auf denen Entlastungsmaßnahmen aktiviert sind, ihren Zusammenhang mit dem zonenübergreifenden Handel verlieren. Denn zum einen wurden diese Entlastungsmaßnahmen angesichts der anderen Engpässe und Entlastungsmaßnahmen gleichwohl im Rahmen des CROSA-Verfahrens gewählt, um auf regionaler Ebene eine optimale Lösung zu finden. Zum anderen hat dieser Engpass, soweit er durch einen grenzüberschreitenden Stromfluss, d. h. einen Ringfluss, verursacht wird, grenzübergreifende Bedeutung.
109 Darüber hinaus sollten, wie im 35. Erwägungsgrund der Verordnung 2019/943 vorgesehen, in einem offenen, von Wettbewerb geprägten Markt die ÜNB für die Kosten, die durch grenzüberschreitende Stromflüsse in ihren Netzen entstehen, von den Betreibern der Übertragungsnetze, aus denen die grenzüberschreitenden Stromflüsse stammen, und der Netze, in denen diese Stromflüsse enden, einen Ausgleich erhalten.
110 So sind die Entlastungsmaßnahmen für alle in das CROSA-Verfahren einbezogenen Netzelemente nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 für den zonenübergreifenden Handel potenziell von Bedeutung, und zwar unabhängig von ihrem Energieflussverteilungsfaktor, ein durch die CCM-Methoden übernommener Begriff, der die Zuordnung von Kosten nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 nicht bestimmen kann.
111 Wenn die ÜNB feststellen, dass ein nicht kritisches Netzelement mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr zu keiner Zeit für die Gewährleistung der regionalen Sicherheit und für die Sicherung der Verbindlichkeit der vergebenen zonenübergreifenden Kapazität von Nutzen sein kann, können sie dieses Element jedenfalls gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der ROSC‑Methode vom CROSA-Verfahren und damit von der Kostenzuordnung ausschließen.
112 Als Sechstes ist in Bezug auf den zwölften Erwägungsgrund der Verordnung 2015/1222, der eine Koordinierung zwischen grenzüberschreitenden und internen Entlastungsmaßnahmen verlangt, darauf hinzuweisen, dass alle Entlastungsmaßnahmen im Rahmen des CROSA-Verfahrens grenzübergreifende Bedeutung haben, während alle anderen Entlastungsmaßnahmen interne Entlastungsmaßnahmen sind. Somit stellt das CROSA-Verfahren die Koordinierung mit internen Entlastungsmaßnahmen sicher und sorgt auch für die Sicherheit der „internen“ Netzelemente.
113 Ohne ein koordiniertes Vorgehen durch das CROSA-Verfahren bestünde die Gefahr eines Verstoßes gegen die Betriebssicherheit, die den zonenübergreifenden Handel gefährden würde. Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass das Funktionieren der Netze eine unabdingbare Voraussetzung für die Energieversorgungssicherheit ist, da, wie im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung 2015/1222 ausgeführt, die Versorgung der Unionsbürger mit Elektrizität nur über Netze erfolgen kann.
114 Daher sind „zonenübergreifende“ Engpässe alle Engpässe, denen in der Core-Region im Rahmen des CROSA-Verfahrens aktuell in koordinierter Weise begegnet wird. Folglich muss das Verursacherprinzip für die Kosten im Zusammenhang mit diesem koordinierten Vorgehen angewandt werden.
115 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Koordinierung und Zuordnung von Kosten nicht davon abhängt, ob es zu einem bestimmten Zeitpunkt Austausch oder einen besonderen zugewiesenen Stromfluss auf einem Netzelement gibt, weil sämtliche an allen kritischen und nicht kritischen Netzelementen mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr aktivierten Entlastungsmaßnahmen potenziell dazu beitragen, den zonenübergreifenden Handel zu erleichtern, obwohl ihr konkreter Beitrag zur Erleichterung des Handels, abhängig u. a. von der Netztopologie, von Marktbedingungen und von spezifischen Erzeugungs- und Verbrauchsprogrammen, variieren kann. Folglich ist es nicht möglich, von vornherein Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr vom Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode auszunehmen.
116 Als Siebtes wurden, wie aus Rn. 167 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, und ohne dass dies von den Parteien bestritten wurde, Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr als grenzüberschreitend relevante Netzelemente angesehen, da ohne Stromhandel diese Elemente nicht strukturell überlastet seien. Zudem haben, wie aus dieser Randnummer hervorgeht, alle ÜNB der Core-Region in den Erläuterungen zur ROSC‑Methode die Auffassung vertreten, dass diese Elemente für das CROSA-Verfahren am relevantesten seien.
117 Hierzu geht aus S. 8 der Erläuterungen zur ROSC‑Methode, zu der sich die Parteien im Übrigen in der mündlichen Verhandlung äußern konnten, hervor, dass die ÜNB als die für das CROSA-Verfahren relevantesten Netzelemente die Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV und 380 kV ansahen, „da diese Elemente verwendet werden, um den Stromhandel zwischen Gebotszonen im europäischen Energiesystem zu erleichtern“.
118 In den Erläuterungen zur ROSC‑Methode erläuterten die ÜNB, dass die Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr den Stromhandel zwischen Gebotszonen im europäischen Energiesystem erleichterten. Die ÜNB legten jedoch nicht fest, welche Elemente bei der Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen berücksichtigt werden sollten.
119 Die Spannungsebene von 220 kV wurde in der Core-Region im Übrigen aufgrund ihrer besonders hohen Vermaschung gewählt, obwohl Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 der Wahl anderer Lösungen nicht entgegensteht, wie in der mündlichen Verhandlung klargestellt worden ist.
120 Ferner ist die Kostenzuordnung in diesem Zusammenhang unstreitig erforderlich, um einen integrierten europäischen Elektrizitätsbinnenmarkt zu verwirklichen.
121 Der Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode wird erst recht nicht geografisch definiert und kann nicht auf die sich an der Grenze zwischen zwei Gebotszonen befindenden Netzelemente allein oder gar auf die Interkonnektoren, die die Netze der Mitgliedstaaten verbinden, beschränkt werden. Dagegen verlangt, wie oben in Rn. 84 festgestellt, Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943, dass ermittelt wird, welche Engpässe in koordinierter Weise gemindert werden müssen, um den zonenübergreifenden Handel sicherzustellen.
122 Nach alledem machen die Klägerinnen zu Unrecht geltend, dass die angefochtene Entscheidung gegen Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 verstoße, da nur kritische Netzelemente in die Kostenzuordnung einzubeziehen seien.
123 In der Core-Region handelt es sich bei allen Engpässen, die durch die nach der ROSC‑Methode, wie sie in der Entscheidung Nr. 33/2020 festgelegt und in der angefochtenen Entscheidung bestätigt worden ist, aktivierten Entlastungsmaßnahmen gemindert werden, um „Engpässe zwischen … Zonen“ im Sinne von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943.
124 Überdies ist festzustellen, dass in der Core-Region alle nach der ROSC‑Methode, wie sie in der Entscheidung Nr. 33/2020 festgelegt ist, aktivierten Entlastungsmaßnahmen zur Sicherung der Verbindlichkeit von zonenübergreifender Kapazität gemäß Art. 74 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung 2015/1222 beitragen.
125 Folglich kann die angefochtene Entscheidung auch nicht als Verstoß gegen den im Einklang mit Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 ausgelegten Art. 74 der Verordnung 2015/1222 angesehen werden. Der Beschwerdeausschuss hat daher die Beschwerde gegen die beanstandete Kostenteilungsmethode zu Recht zurückgewiesen.
126 Das Vorbringen der Klägerinnen gegen die angefochtene Entscheidung vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen.
127 Erstens sind die ÜNB, wie die Klägerinnen vortragen, zwar rechtlich verpflichtet, die Betriebssicherheit unabhängig von einer etwaigen Kostenzuordnung zu gewährleisten. Gleichwohl ist festzustellen, dass das Engpassmanagement auf allen Elementen mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr notwendigerweise voraussetzt, dass es eine Koordinierung zwischen allen ÜNB gibt und die damit verbundenen Kosten zwischen diesen geteilt werden, um sie für all ihre zur Sicherstellung eines zonenübergreifenden Handels erforderlichen Maßnahmen zu entschädigen.
128 Was zweitens das Vorbringen der Klägerinnen betrifft, dass ein Engpass auf einem nicht kritischen Netzelement ein „rein interner“ Engpass sei, dessen Kosten nicht auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 geteilt werden könnten, ist darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Anwendung der beanstandeten Kostenteilungsmethode der einzige Fall, in dem die Kosten für die nicht kritischen Netzelemente gemäß dieser Bestimmung geteilt werden, dann vorliegt, wenn der Engpass auf diesen Elementen durch die oben in Rn. 61 beschriebenen Ringflüsse verursacht wird, die das in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 genannte Toleranzniveau überschreiten.
129 Nach dem sechsten Erwägungsgrund der beanstandeten Kostenteilungsmethode sind die das Toleranzniveau überschreitenden Ringflüsse der Hauptfaktor von einer Kostenzuordnung unterliegenden Engpässen. Dies ergibt sich aus der Feststellung, dass die durch interne Stromflüsse verursachten Engpässe vom Eigentümer des überlasteten Netzelements getragen werden, wohingegen, wie sich aus Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 ergibt, die Kosten durch Stromflüsse aufgrund von internen Transaktionen, die zu dem zwischen zwei Gebotszonen beobachteten Engpass beitragen, proportional zwischen ÜNB zu teilen sind.
130 Ein Ringfluss ist jedoch ein „grenzüberschreitender Stromfluss“ im Sinne von Art. 2 Nr. 3 der Verordnung 2019/943, d. h. „das physikalische Durchströmen einer Menge elektrischer Energie durch ein Übertragungsnetz eines Mitgliedstaats aufgrund der Auswirkungen der Tätigkeit von Erzeugern oder Kunden oder beiden außerhalb dieses Mitgliedstaats auf dessen Übertragungsnetz“, das nicht auf kritische Netzelemente beschränkt ist.
131 Folglich kann ein Engpass, der durch einen grenzüberschreitenden Stromfluss wie einen Ringfluss verursacht wird, nicht als „rein interner“ Engpass eingestuft werden, der vom Anwendungsbereich von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 ausgenommen wäre.
132 Zudem werden, wenn ein Engpass auf einem nicht kritischen Netzelement nur durch interne Stromflüsse verursacht wird, die Kosten von Entlastungsmaßnahmen zur Behandlung dieses Engpasses gemäß Art. 76 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung 2017/1485 in jedem Fall vom Eigentümer dieses Netzelements getragen. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen bleibt das Verursacherprinzip somit eine Ausnahme von der Regel, denn dieses Prinzip gilt de facto nur für Ringflüsse, die das Toleranzniveau überschreiten, während das Eigentümerprinzip für andere Stromflüsse, wie das Toleranzniveau nicht überschreitende Ringflüsse und interne Stromflüsse, gilt.
133 Überdies ist ein Engpass, der kein „zonenübergreifender“ Engpass im Sinne von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 ist, derjenige, der auf den von der regionalen Koordination der Betriebssicherheit ausgeschlossenen Netzelementen auftritt, weil die ÜNB dies so beschlossen haben oder weil es sich um Elemente handelt, die von vornherein von der Koordination der Entlastungsmaßnahmen ausgeschlossen sind, nämlich Netzelemente mit einer Spannungsebene von weniger als 220 kV.
134 Drittens ist darauf hinzuweisen, dass die einzige Ausnahme von der Regel in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943, wonach die Kosten im Zusammenhang mit Entlastungsmaßnahmen in Bezug auf Stromflüsse aufgrund von internen Transaktionen, die zu dem zwischen zwei Gebotszonen beobachteten Engpass beitragen, geteilt werden müssen, diejenige für die das Toleranzniveau nicht überschreitenden Stromflüsse ist, für die die Kosten vom Eigentümer des überlasteten Netzelements zu tragen sind.
135 Hierzu ist festzustellen, dass der Gesetzgeber entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen nicht beabsichtigte, eine Gruppe von Netzelementen von der Kostenzuordnung auszuschließen, da er in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 die Zuordnung von Kosten vorgesehen hat, die durch die koordinierte Minderung zonenübergreifender Engpässe entstehen.
136 Auch der Umstand, dass Art. 76 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung 2017/1485 die Möglichkeit vorsieht, andere Methoden zur Kostenteilung für die verschiedenen in Art. 22 dieser Verordnung genannten Entlastungsmaßnahmen einzuführen, die gegebenenfalls die gemäß Art. 74 der Verordnung 2015/1222 entwickelte gemeinsame Methode ergänzen, ist für die Auslegung von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943, bei dem es sich zudem um eine höherrangige Norm handelt, unerheblich.
137 Viertens ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, wonach der Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode, wie er durch die angefochtene Entscheidung bestätigt werde, gegen Art. 291 AEUV verstoße oder insofern keine Rechtsgrundlage habe, als die ACER den in den Rechtsvorschriften vorgesehenen Anwendungsbereich erweitert habe.
138 Insbesondere ermöglichen koordinierte Entlastungsmaßnahmen für Netzelemente mit einer Spannungsebene von 220 kV oder mehr, und zwar im Einklang mit Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943, den zonenübergreifenden Handel, tragen dazu bei, die Begrenzung zonenübergreifender Kapazität zu verhindern, und sichern die Verbindlichkeit dieser Kapazität.
139 Da der Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode mit Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vereinbar ist, kann der ACER ebenso wenig vorgeworfen werden, unter Berufung auf das Verursacherprinzip den Anwendungsbereich dieser Methode über Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 hinaus ausgeweitet zu haben.
140 Fünftens kann auch das von der Bundesrepublik Deutschland in der mündlichen Verhandlung angeführte, auf die Entstehungsgeschichte von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 gestützte Vorbringen keinen Erfolg haben, wonach der Gesetzgeber die sich aus Entlastungsmaßnahmen auf innerhalb der Zonen liegenden Elementen ergebenden Kosten von der Teilung zwischen den ÜNB habe ausnehmen wollen, als er es bei der Abfassung dieser Bestimmung ablehnte, ihren Wortlaut „zwischen zwei Gebotszonen beobachteter Engpass“ durch „zwischen und innerhalb der Gebotszonen beobachteter Engpass“ zu ersetzen.
141 Hierzu genügt unabhängig davon, ob sich die Bundesrepublik Deutschland auf Dokumente des Gesetzgebungstrilogs stützen kann, um den Willen des Gesetzgebers beim Erlass von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 zu belegen, die Feststellung, dass die etwaige Weigerung, Engpässe innerhalb einer Zone ausdrücklich einzubeziehen, nicht entscheidend für die Frage wäre, welche Elemente bei der Beurteilung von Beiträgen zu den Engpässen „zwischen zwei Zonen“ zu berücksichtigen sind.
142 Wie sich oben aus den Rn. 81 bis 84 und 135 ergibt, legt Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 nicht die Netzelemente fest, auf die die Kosten von Entlastungsmaßnahmen zur Minderung von zonenübergreifenden Engpässen aufzuteilen sind, was nicht bedeutet, dass der Gesetzgeber eine Gruppe von Netzelementen von der Kostenzuordnung ausschließen wollte.
143 Folglich ist das Vorbringen der Klägerinnen, wonach die nicht „kritischen“ internen Netzelemente auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 und Art. 74 der Verordnung 2015/1222 von der beanstandeten Kostenteilungsmethode ausgenommen werden müssten, zurückzuweisen.
– Zu den aus der Einbeziehung der nicht kritischen Netzelemente in den Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode abgeleiteten Anreizen
144 Was das Argument der Klägerinnen zu den angeblich falschen Anreizen betrifft, die durch die Einbeziehung der Netzelemente mit einer Spannung von 220 kV oder mehr in den Anwendungsbereich der beanstandeten Kostenteilungsmethode geschaffen würden, sei daran erinnert, dass die ÜNB nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 verpflichtet sind, die Kosten von Entlastungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Stromflüssen aufgrund von internen Transaktionen, die zu dem zwischen zwei Gebotszonen beobachteten Engpass ohne Überschreiten des Toleranzniveaus beitragen, zu tragen. Dies schafft für die ÜNB einen Anreiz, ihr Netz auszubauen, um solche Stromflüsse aufnehmen zu können, wenn sie das Toleranzniveau nicht überschreiten, das dem Niveau der Ringflüsse, das ohne strukturelle Engpässe in einer Gebotszone wahrscheinlich ist, entspricht.
145 Der einschlägige Rechtsrahmen sieht jedoch keine Verpflichtung der ÜNB vor, ihre Netze auszubauen, um Ringflüsse oberhalb des oben in Rn. 144 genannten Toleranzniveaus aufzunehmen. Diese Stromflüsse sind nämlich ihrem Wesen nach unvorhergesehen und unvorhersehbar, und der ÜNB, der diese Stromflüsse aufnimmt, hat auf diese keinen Einfluss.
146 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass, wie im 27. Erwägungsgrund der Verordnung 2019/943 dargelegt, die Verringerung der Auswirkungen von Ringflüssen und internen Engpässen auf den zonenübergreifenden Handel zu den Hauptzielen des europäischen Gesetzgebers bei der Schaffung dieses normativen Rahmens gehörte.
147 Desgleichen geht aus S. 59 der Folgenabschätzung der Kommission vom 30. November 2016, die im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des Legislativpakets „Energie“ (SWD[2016] 410) durchgeführt wurde, hervor, dass die Ringflüsse die zonenübergreifende Kapazität verringern und zu einem kostspieligen Redispatching außerhalb des Marktes sowie zu erheblichen Preisverzerrungen und Investitionssignalen in den benachbarten Zonen führen könnten. Dies führe zu einem erheblichen Wohlstandsverlust.
148 Zudem würde der Ausschluss der nicht kritischen Netzelemente dazu führen, dass der ÜNB, der die Ringflüsse emittierte, keinen Anreiz hätte, ausreichend in sein Netz zu investieren, da er nicht die gesamten Kosten notwendiger Entlastungsmaßnahmen tragen würde, die zur Behebung der von ihm verursachten Engpässe erforderlich wären. Denn nur der ÜNB, der sein Netz kennt und dafür verantwortlich ist, kann andere erforderliche Maßnahmen, wie die Neukonfiguration der Zone oder Investitionen in sein Netz, ergreifen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 35 Abs. 5 der Verordnung 2019/943 jeder ÜNB für sein Netz verantwortlich ist und daher seine internen Probleme nicht zulasten der benachbarten ÜNB gehen sollten.
149 Wenn ferner jeder der beiden verantwortlichen und benachbarten ÜNB einen Anreiz hätte, in sein eigenes Netz zu investieren, sei es, um die Ringflüsse aufzunehmen oder sei es, um sie zu reduzieren, würde dies bei fehlender Koordinierung zwischen ihnen zu Überinvestitionen und Fehlallokationen von Ressourcen führen, wie von der ACER in den Rn. 110 bis 115 ihrer Klagebeantwortung zutreffend ausgeführt wurde.
150 Nach alledem ist festzustellen, dass die Klägerinnen im Wesentlichen beantragen, von den Kosten befreit zu werden, die sie anderen ÜNB auf den nicht kritischen Elementen ihrer Netze mit ihren das Toleranzniveau überschreitenden Ringflüssen verursachen, selbst wenn die Entlastungsmaßnahmen auf diesen Elementen dazu beitragen, den zonenübergreifenden Handel sicherzustellen.
151 Ein solcher Ansatz würde zudem gegen den Grundsatz der Energiesolidarität in seiner Auslegung durch den Gerichtshof verstoßen.
152 Der Grundsatz der Energiesolidarität beinhaltet Rechte und Pflichten sowohl für die Union als auch für die Mitgliedstaaten, da die Union zur Solidarität gegenüber den Mitgliedstaaten verpflichtet ist und die Mitgliedstaaten zur Solidarität untereinander und gegenüber dem gemeinsamen Interesse der Union und ihren Politiken verpflichtet sind (Urteil vom 15. Juli 2021, Deutschland/Polen, C‑848/19 P, EU:C:2021:598, Rn. 49).
153 Unter diesen Umständen liefe es dem Grundsatz der Energiesolidarität zuwider, den ÜNB, die Ringflüsse emittieren, die durch andere Gebotszonen laufen, zu erlauben, sich den Kosten von Entlastungsmaßnahmen zu entziehen, die im gemeinsamen Interesse aktiviert wurden, um die zonenübergreifende Kapazität zu optimieren, wobei gleichzeitig so wirksam wie möglich die Netzsicherheit gewährleistet wird, was allen ÜNB und damit auch den Stromverbrauchern zugutekommt.
154 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.
Zum zweiten Klagegrund : Zerlegung von St romflüssen
155 Mit ihrem zweiten Klagegrund machen die Klägerinnen geltend, dass die Methode zur Zerlegung von Stromflüssen in der beanstandeten Kostenteilungsmethode, wie sie durch die angefochtene Entscheidung bestätigt werde, rechtswidrig sei.
156 Der zweite Klagegrund besteht aus zwei Teilen.
157 Mit dem ersten Teil tragen die Klägerinnen vor, die verwendete Methode zur Zerlegung von Stromflüssen, nämlich die Methode zur Färbung von Stromflüssen (Power Flow Colouring Method, im Folgenden: PFC‑Methode), sei keine geeignete Methode, mit der Folge, dass ihre Anwendung zu falschen Ergebnissen führe.
158 Mit dem zweiten Teil beanstanden die Klägerinnen insbesondere die Behandlung von HGÜ-Netzelementen.
Zum ersten Teil: Ungeeignetheit der PFC ‑Methode
159 Mit dem ersten Teil des zweiten Klagegrundes tragen die Klägerinnen vor, die PFC‑Methode sei keine geeignete Methode für die Zerlegung von Stromflüssen, da sie zu falschen Ergebnissen führe.
160 Die Klägerinnen erheben insoweit eine Vielzahl von Rügen, die in vier Gruppen zusammengefasst sind.
161 Mit der ersten Gruppe von Rügen machen die Klägerinnen geltend, die PFC‑Methode sei aufgrund ihrer Konzeption nicht geeignet, um Stromflüsse korrekt zu zerlegen.
162 Mit der zweiten Gruppe von Rügen werfen die Klägerinnen dem Beschwerdeausschuss vor, ihr Vorbringen gegen die Entscheidung Nr. 30/2020 tatsächlich nicht geprüft zu haben.
163 Mit der dritten Gruppe von Rügen machen die Klägerinnen geltend, die PFC‑Methode führe in mehrfacher Hinsicht zu unrealistischen Ergebnissen.
164 Mit der vierten Gruppe von Rügen tragen die Klägerinnen vor, die PFC‑Methode entspreche aufgrund ihrer Konzeption nicht den aufgestellten rechtlichen Kriterien.
165 Die ACER tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.
– Vorbemerkungen
166 Die Zerlegung von Stromflüssen ist ein notwendiger Schritt im Rahmen der Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen.
167 Die Bedeutung der Zerlegung von Stromflüssen ergibt sich aus der Tatsache, dass sie die notwendigen Input-Daten für die spätere Kostenzuordnung liefert. Wenn also die Zerlegung der Stromflüsse in fehlerhafter Weise durchgeführt wird, wirkt sich dies zwangsläufig auf die Ergebnisse der Kostenzuordnung aus.
168 Mit der Flusszerlegung sollen die Typen von Stromflüssen ermittelt werden, die Engpässen auf Netzelementen zugrunde liegen.
169 Nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 sind nämlich die Stromflüsse festzustellen, die zu einem Engpass zwischen Gebotszonen beitragen.
170 Die verschiedenen Stromflüsse, z. B. interne Stromflüsse oder Ringflüsse, die für die Kostenzuordnung ermittelt werden müssen, verkörpern die unterschiedlichen Herkunfts- und Zielorte der „Portionen“, die aus einem physikalischen Gesamtstrom, der allein gemessen werden kann, berechnet werden.
171 Daher besteht die Flusszerlegung aus einem Prozess, bei dem zum einen der Gesamtstrom in Portionen aufgeteilt und zum anderen der Anteil dieser Portionen berechnet wird.
172 Für diese Zerlegung von Stromflüssen stützt sich die beanstandete Kostenteilungsmethode auf die PFC‑Methode. Wie aus dem erläuternden Dokument vom 22. Februar 2019, das dem Vorschlag für die Kostenteilungsmethode vom 27. März 2019 beigefügt ist, hervorgeht, ist diese Methode mit dem Hauptziel entwickelt worden, in Übereinstimmung mit dem europäischen zonalen Marktmodell zu bleiben und gleichzeitig eine vollständige Partitionierung der Stromflüsse für jedes Netzelement des Stromsystems zu ermöglichen.
173 In diesem Kontext erheben die Klägerinnen verschiedene Rügen gegen die angefochtene Entscheidung, soweit mit dieser ihr vor dem Beschwerdeausschuss angeführtes Vorbringen zurückgewiesen worden ist.
– Zur Begründung der angefochtenen Entscheidung
174 Mit dem ersten Teil ihres zweiten Klagegrundes beanstanden die Klägerinnen die PFC‑Methode in Bezug auf Netzelemente, die Wechselstrom übertragen.
175 Mit ihren Rügen gegen die angefochtene Entscheidung kritisieren die Klägerinnen u. a., dass der Beschwerdeausschuss ihr Vorbringen gegen die für die Zerlegung der Stromflüsse verwendete PFC‑Methode nicht wirklich geprüft habe.
176 Nach der Rechtsprechung darf sich der Beschwerdeausschuss bei komplexen technischen und wirtschaftlichen Beurteilungen, die in einer Entscheidung der ACER enthalten sind, nicht auf die Kontrolle eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers beschränken, sondern muss auf der Grundlage der Fachkenntnisse seiner Mitglieder prüfen, ob die vor ihm vorgebrachten Argumente für den Nachweis geeignet sind, dass die Erwägungen, auf denen diese Entscheidung beruht, mit Fehlern behaftet sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER, T‑735/18, EU:T:2020:542, Rn. 69).
177 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses die Voraussetzungen erfüllt, die für eine vollständige Kontrolle der Entscheidungen der ACER erforderlich sind. Wenn von den Mitgliedern des Ausschusses eine Vorerfahrung im Energiesektor verlangt wird, so geschieht dies deswegen, weil sie über die notwendigen technischen Kenntnisse verfügen oder verfügen müssen, um Beschwerden einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Der Unionsgesetzgeber wollte nämlich den Beschwerdeausschuss mit der notwendigen Erfahrung ausstatten, um es ihm zu ermöglichen, selbst Beurteilungen komplexer technischer und wirtschaftlicher tatsächlicher Umstände vorzunehmen, die im Zusammenhang mit Energie stehen (Urteil vom 9. März 2023, ACER/Aquind, C‑46/21 P, EU:C:2023:182, Rn. 63 und 64).
178 Die Prüfung der Frage, ob der Beschwerdeausschuss seine Kontrolle im vorliegenden Fall mit der nach der oben in Rn. 176 angeführten Rechtsprechung erforderlichen Intensität durchgeführt hat, setzt jedoch voraus, dass das Gericht – u. a. im Hinblick auf die in der angefochtenen Entscheidung gelieferte Begründung – in der Lage ist, eine solche Prüfung vorzunehmen. In diesem Zusammenhang muss das Gericht von Amts wegen einen Klagegrund prüfen, der auf einen Mangel in der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Teils gestützt wird, der der für die Zerlegung der Stromflüsse verwendeten PFC‑Methode gewidmet ist.
179 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine fehlende oder unzureichende Begründung eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften im Sinne von Art. 263 AEUV darstellt und ein Gesichtspunkt zwingenden Rechts ist, den der Unionsrichter von Amts wegen prüfen kann und muss (vgl. Urteil vom 9. März 2023, Les Mousquetaires und ITM Entreprises/Kommission, C‑682/20 P, EU:C:2023:170, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
180 Unter Berücksichtigung des Vorstehenden sind die Parteien vom Gericht im Rahmen der prozessleitenden Maßnahme vom 5. Mai 2023 ausdrücklich aufgefordert worden, sich zu der Frage zu äußern, ob „der Teil der angefochtenen Entscheidung, der sich auf die Prüfung der Kritik der Klägerinnen an der PFC‑Methode bezieht, hinreichend begründet worden ist“.
181 Außerdem ist festzuhalten, dass der Umfang der Begründungspflicht nach ständiger Rechtsprechung von der Natur des betreffenden Rechtsakts und vom Kontext seines Erlasses abhängt. Die Begründung muss die Überlegungen des Unionsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass es zum einen den Betroffenen ermöglicht wird, ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme zu entnehmen, damit sie ihre Rechte verteidigen und prüfen können, ob die Entscheidung begründet ist, und zum anderen den Unionsgerichten, ihre Rechtmäßigkeitskontrolle auszuüben. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63, sowie vom 30. November 2011, Sniace/Kommission, T‑238/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:705, Rn. 37).
182 Insbesondere ist der Urheber des Rechtsakts nicht verpflichtet, zu allen Argumenten Stellung zu nehmen, die von den Beteiligten vor ihm geltend gemacht werden. Es genügt, wenn er die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach dem Aufbau dieses Rechtsakts wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. Urteil vom 1. Juli 2008, Chronopost und La Poste/UFEX u. a., C‑341/06 P und C‑342/06 P, EU:C:2008:375, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).
183 Ebenso ist die Frage, ob eine Begründung ausreichend ist, auch anhand des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten des Rechtsakts an Erläuterungen haben können. Ein beschwerender Rechtsakt ist folglich hinreichend begründet, wenn er in einem Kontext ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und ihm gestattet, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB, C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung).
184 Es sei noch darauf hingewiesen, dass es sich bei der Begründungspflicht um ein wesentliches Formerfordernis handelt, das von der Frage der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört. Die Begründung einer Entscheidung soll nämlich förmlich die Gründe zum Ausdruck bringen, auf denen sie beruht. Weisen die Gründe Fehler auf, so beeinträchtigen diese die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung, nicht aber deren Begründung, die, obwohl sie fehlerhafte Gründe enthält, zureichend sein kann. Daraus folgt, dass die Rügen und Argumente, die die Begründetheit des streitigen Rechtsakts in Frage stellen sollen, im Rahmen eines Rechtsmittelgrundes, mit dem eine fehlende oder unzureichende Begründung gerügt wird, unerheblich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. März 2022, Kommission/Freistaat Bayern u. a., C‑167/19 P und C‑171/19 P, EU:C:2022:176, Rn. 77, sowie vom 13. Mai 2020, Koenig & Bauer/EUIPO [we’re on it], T‑156/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:200, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
185 Da der Beschwerdeausschuss nach der oben in den Rn. 176 und 177 angeführten Rechtsprechung im vorliegenden Fall gehalten war, eine vollständige Prüfung der Entscheidung Nr. 30/2020 einschließlich der darin enthaltenen Beurteilungen komplexer technischer und wirtschaftlicher tatsächlicher Umstände im Zusammenhang mit Energie vorzunehmen, ohne sich auf die Kontrolle eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers beschränken zu können, musste die von ihm gelieferte Begründung es zum einen dem Adressaten der angefochtenen Entscheidung ermöglichen, seine Rechte zu verteidigen und zu prüfen, ob diese Entscheidung begründet war, und zum anderen den Unionsgerichten, ihre Kontrolle auszuüben.
186 Ohne eine ausreichende Begründung könnten die Klägerinnen und das Gericht nämlich nicht untersuchen, ob der Beschwerdeausschuss das vor ihm angeführte Vorbringen im Einklang mit den oben in den Rn. 176 und 177 in Erinnerung gerufenen Erfordernissen tatsächlich geprüft hat.
187 Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist der vom Gericht von Amts wegen aufgegriffene Klagegrund, der sich auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der für die Zerlegung der Stromflüsse verwendeten PFC‑Methode bezieht, zu prüfen.
188 In ihrer Beschwerde vor dem Beschwerdeausschuss haben die Klägerinnen ihre Kritik an der Entscheidung Nr. 30/2020 ausführlich dargelegt. Sie haben geltend gemacht, dass die PFC‑Methode mehrere Konzeptionsfehler aufweise und dadurch zu falschen Ergebnissen führe.
189 Insbesondere haben die Klägerinnen beanstandet, dass die PFC‑Methode die physikalischen Realitäten nicht berücksichtige. Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach dem Regelungsrahmen ein Ansatz erforderlich war, der den physikalischen Gegebenheiten entspricht. Es kann nämlich nur ein physikalischer Stromfluss zu einem Engpass führen, so dass die Kostenteilungsmethode die durch Entlastungsmaßnahmen verursachten Kosten nur den Stromflüssen zuordnen kann, die tatsächlich zu Engpässen beitragen. Die Klägerinnen machen aber geltend, ein Stromaustausch finde aufgrund des „Kirchhoffschen Gesetzes des geringsten Widerstands“ auf der kürzesten Verbindung zwischen dem Erzeugungs- und dem Verbrauchspunkt statt, und zwar unabhängig von den Gebotszonengrenzen und vom vertraglich vereinbarten Stromaustausch. Bei der PFC‑Methode werde diese wissenschaftliche Tatsache jedoch ignoriert; ein Stromaustausch zwischen einem Erzeugungs- und einem Verbrauchspunkt in unterschiedlichen Zonen sei nur dann zulässig, wenn unter Berücksichtigung des konsolidierten vertraglich vereinbarten grenzüberschreitenden Gesamtaustauschs die Gebotszone, in der sich der Erzeugungspunkt befinde, eine positive Nettoposition und die Gebotszone, in der sich der Verbrauchspunkt befinde, eine negative Nettoposition habe. Daher würden bei der PFC‑Methode je nach Nettoposition der betreffenden Gebotszonen interne Stromflüsse und Ringflüsse ermittelt, anstatt einen grenzüberschreitenden Stromfluss anzuerkennen. Folglich neige die PFC‑Methode durch die Abstraktion von „Naturgesetzen“ dazu, Ringflüsse zu ermitteln, die in Wirklichkeit nicht existierten. Schließlich sei die PFC‑Methode auch nicht durch Erwägungen im Zusammenhang mit der zonalen Konfiguration des Strommarktes in der Union gerechtfertigt.
190 Nach dem Inhaltsverzeichnis der angefochtenen Entscheidung werden die von den Klägerinnen vor dem Beschwerdeausschuss aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit der Zerlegung von Stromflüssen in den Rn. 407 bis 587 (S. 61 bis 87) der angefochtenen Entscheidung im Rahmen des „dritten konsolidierten Klagegrundes“ behandelt. Im Rahmen dieses „dritten konsolidierten Klagegrundes“ sind die Rn. 407 bis 551 (S. 61 bis 81) der angefochtenen Entscheidung den Wechselstrom-Netzelementen gewidmet, die Gegenstand des ersten Teils des vorliegenden Klagegrundes sind, während die Rn. 552 bis 587 (S. 82 bis 87) der angefochtenen Entscheidung die HGÜ-Netzelemente betreffen, die Gegenstand des zweiten Teils des vorliegenden Klagegrundes sind.
191 Dagegen beziehen sich die Rn. 588 bis 631 der angefochtenen Entscheidung gemäß deren Inhaltsverzeichnis auf den „vierten konsolidierten Klagegrund“ betreffend die Überschätzung der Ringflüsse und internen Stromflüsse aus den importierenden Gebotszonen, der, wie aus den einschlägigen Randnummern der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, nicht von den Klägerinnen in der vorliegenden Rechtssache, sondern von der Klägerin in der Rechtssache Polskie sieci elektroenergetyczne/ACER (T‑484/21) vorgebracht worden ist. Daher bleiben die Rn. 588 bis 631 der angefochtenen Entscheidung bei der Prüfung der Einhaltung der Begründungspflicht unberücksichtigt, es sei denn, dass in diesen Randnummern auf die Rn. 407 bis 551 der angefochtenen Entscheidung verwiesen wird.
192 Allerdings ist festzustellen, dass die in den Rn. 407 bis 551 der angefochtenen Entscheidung entwickelte Argumentation trotz ihrer Länge keine Begründung liefert, die den oben in den Rn. 181 bis 183 in Erinnerung gerufenen Anforderungen genügt.
193 Erstens zeugt die Tatsache, dass sich die Prüfung des „dritten konsolidierten Klagegrundes“ in der angefochtenen Entscheidung über etwa 150 Randnummern erstreckt, für sich genommen nicht von einer strengen und ausführlichen Prüfung des Vorbringens der Klägerinnen vor dem Beschwerdeausschuss. Die Länge dieses Teils der angefochtenen Entscheidung ist nämlich weitgehend auf die Art und Weise zurückzuführen, in der diese verfasst ist und die darin besteht, dass derselbe Gegenstand im Hinblick auf die verschiedenen Rechtsvorschriften bzw. die geltend gemachten tatsächlichen Umstände mehrfach behandelt wird, was zahlreiche Verweisungen und Wiederholungen mit sich bringt.
194 Zweitens ist zu bemerken, dass sich der Beschwerdeausschuss in der angefochtenen Entscheidung generell mehrfach darauf beschränkt hat, allgemeine Behauptungen aufzustellen, ohne tatsächlich auf das Vorbringen der Klägerinnen einzugehen, um sich dann in der weiteren Prüfung auf dieselben Behauptungen zu stützen. So erweckt der Beschwerdeausschuss den Anschein einer ausführlichen Argumentation, ohne jedoch wirklich auf das Vorbringen der Klägerinnen zu antworten.
195 Drittens wird – was konkret die Rüge der Klägerinnen betrifft, wonach die PFC‑Methode die Naturgesetze nicht berücksichtige und daher zur Ermittlung von Ringflüssen führe, die in Wirklichkeit nicht existierten – der Kern der Argumentation des Beschwerdeausschusses, wie von der ACER in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts behauptet, in den Rn. 421 bis 461 der angefochtenen Entscheidung dargelegt.
196 Es ist jedoch festzustellen, dass sich die Rn. 421 bis 432 (S. 65 und 66) der angefochtenen Entscheidung, die sich unter der Unterüberschrift 3.2 „Zerlegung von Stromflüssen in der [beanstandeten Kostenteilungsmethode]“ finden, in Bezug auf die Beantwortung der Rügen der Klägerinnen auf die in Rn. 424 (S. 65) enthaltene Feststellung beschränken, dass „mehrere Methoden zur Zerlegung von Stromflüssen existieren“.
197 Die Rn. 433 bis 451 (S. 66 bis 69) der angefochtenen Entscheidung, die sich unter der Unterüberschrift 3.3 „Die PFC‑Methode ignoriert den elektrischen Abstand, schafft fiktive Stromflüsse und steht damit einer vernünftigen Kostenzurechnung entgegen“ finden, beschränken sich in Bezug auf die Beantwortung der Rügen der Klägerinnen auf einige Behauptungen allgemeiner und abstrakter Art, ohne wirklich auf das Vorbringen der Klägerinnen einzugehen.
198 In Rn. 437 (S. 67) der angefochtenen Entscheidung heißt es lediglich: „Die Teile 3.1 und 3.2 zeigen, dass aus technischer Sicht … mehrere gültige Methoden zur Zerlegung von Stromflüssen nebeneinander existieren.“
199 Es ist jedoch zu bemerken, dass im Rahmen der Prüfung der „Teile 3.1 und 3.2“ der angefochtenen Entscheidung lediglich auf die Existenz mehrerer Methoden zur Zerlegung von Stromflüssen geschlossen wurde. Der Beschwerdeausschuss hat hingegen keine Schlussfolgerung hinsichtlich der „Gültigkeit“ dieser verschiedenen Methoden gezogen.
200 Aus Rn. 439 (S. 67) der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass der Beschwerdeausschuss der Ansicht gewesen ist, die Verwendung von Verteilungsschlüsseln für Produktionsschwankungen mache die PFC‑Methode oder Teile dieser Methode nicht fiktiv. Es wird hinzugefügt, dass die Verwendung von Verteilungsschlüsseln für Produktionsschwankungen ein Merkmal von Kapazitätsberechnungsmethoden sei.
201 Jedoch ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Klägerinnen im Rahmen einer anderen vor dem Beschwerdeausschuss erhobenen Rüge vorgebracht haben, Verteilungsschlüssel für Produktionsschwankungen eigneten sich gerade deshalb nicht zur Verwendung im Kontext der Zerlegung von Stromflüssen, weil sie für die Kapazitätsberechnung konzipiert seien. Zum anderen wird das Vorbringen der Klägerinnen, wonach die PFC‑Methode mit einem Konzeptionsfehler behaftet sei, da sie den elektrischen Abstand von vornherein nicht berücksichtige, mit dem Verweis auf die Verwendung von Verteilungsschlüsseln für Produktionsschwankungen nicht beantwortet.
202 In Rn. 447 (S. 68) der angefochtenen Entscheidung stellt der Beschwerdeausschuss fest, dass er „nicht davon ausgeht, dass die PFC‑Methode auf fiktiven Stromflüssen beruht“.
203 Den vorangegangenen Randnummern lässt sich jedoch nicht entnehmen, weshalb der Beschwerdeausschuss die Kritik der Klägerinnen zurückgewiesen hat, wonach die PFC‑Methode zur Ermittlung von Ringflüssen führe, die in Wirklichkeit nicht existierten.
204 In Rn. 451 (S. 69) der angefochtenen Entscheidung zieht er den Schluss, dass „die [Full Line Decomposition (FLD)]-Methode keine geeignete Methode zur Zerlegung von Stromflüssen ist“.
205 Da es um die PFC‑Methode geht, wird mit der Argumentation des Beschwerdeausschusses zu einer etwaigen Inkonsistenz der FLD-Methode mit der Aufteilung des Marktes in Gebotszonen jedoch nicht auf das Argument der Klägerinnen eingegangen, die die PFC‑Methode beanstanden.
206 Selbst wenn anerkannt würde, dass die Argumentation zur FLD-Methode als implizite Antwort auf die von den Klägerinnen gegen die PFC‑Methode vorgebrachten Rügen zu verstehen ist, lässt diese Argumentation nicht erkennen, weshalb der Beschwerdeausschuss die vor ihm erhobenen Rügen der Klägerinnen zurückgewiesen hat.
207 In Rn. 449 (S. 68) der angefochtenen Entscheidung heißt es nämlich, dass „der elektrische Abstand … nur in einem Knotenmarktmodell vollständig angewendet werden [kann]“ und dass „[b]ei Anwendbarkeit eines Knotenmarktmodells … jedoch weder … [Ringflüsse] noch … Bedarf für eine Zerlegung von Stromflüssen [existierten]“.
208 Zum einen bedeutet aber die Behauptung, dass der elektrische Abstand nicht „vollständig“ berücksichtigt werden könne, nicht, dass er nicht berücksichtigt werden müsste, um zu einer korrekten Zerlegung der Stromflüsse zu gelangen, oder dass die PFC‑Methode den elektrischen Abstand gebührend berücksichtige.
209 Zum anderen geht aus der oben in Rn. 207 wiedergegebenen Behauptung ebenso wenig hervor, dass die von den Klägerinnen beanstandete Nichtberücksichtigung des elektrischen Abstands durch die PFC‑Methode dem Zonenmodell inhärent sei, auf dem der Elektrizitätsmarkt in der Union beruht, und dass dieses Zonenmodell eine Berücksichtigung des elektrischen Abstands nicht zulasse.
210 Auch die Rn. 452 bis 462 (S. 69 und 70) der angefochtenen Entscheidung enthalten unter der Unterüberschrift 3.4 „Die PFC‑Methode verstößt gegen Art. 16 Abs. 13 [der Verordnung 2019/943 und das Verursacherprinzip]“ keine Angaben, die es erlauben, zu verstehen, weshalb die Rügen der Klägerinnen zurückgewiesen worden sind.
211 In Rn. 460 (S. 70) der angefochtenen Entscheidung zieht der Beschwerdeausschuss den Schluss, dass „die PFC‑Methode … weder willkürlich ist noch auf unrichtigen Annahmen beruht. Sie zerlegt physikalische Stromflüsse korrekt …“
212 Den vorangegangenen Randnummern lässt sich jedoch nicht entnehmen, weshalb der Beschwerdeausschuss die Kritik der Klägerinnen zurückgewiesen hat, wonach die PFC‑Methode zur Ermittlung von Ringflüssen führe, die in Wirklichkeit nicht existierten.
213 Sie beschränken sich nämlich auf bloße Behauptungen, die nicht begründet werden, und auf Verweise auf zuvor gezogene Schlussfolgerungen, die ihrerseits nicht auf einer echten Argumentation beruhten.
214 So wird in Rn. 456 (S. 69) der angefochtenen Entscheidung, was die Beantwortung der Rügen der Klägerinnen betrifft, lediglich festgestellt, dass „die PFC‑Methode, wie aus den Erläuterungen im Kontext von Teil 3.3 hervorgeht, Schichten physikalischer Stromflüsse korrekt ermittelt [und] nicht auf fiktiven Stromflüssen beruht“. Die übrigen Randnummern, die der in Rn. 460 der angefochtenen Entscheidung gezogenen Schlussfolgerung vorausgehen, enthalten hingegen keine Gesichtspunkte, mit denen speziell auf die Rügen der Klägerinnen eingegangen wird.
215 Viertens ist noch zu bemerken, dass die übrigen Randnummern der in der angefochtenen Entscheidung gewählten Begründung die Lücken der in den Rn. 421 bis 461 dieser Entscheidung entwickelten Argumentation nicht schließen. Dies gilt insbesondere für die Rn. 513 bis 551 (S. 76 bis 81) der angefochtenen Entscheidung betreffend die Verwendung von Schlüsseln für Produktionsschwankungen, in denen nicht unmittelbar auf die Rügen der Klägerinnen eingegangen wird, wonach die PFC‑Methode in Verkennung der „Naturgesetze“ zur Ermittlung von Ringflüssen führe, die in Wirklichkeit nicht existierten. Überdies hat die ACER im Laufe des vorliegenden Verfahrens und insbesondere in Beantwortung einer Frage des Gerichts auch nicht angegeben, mit welchen Elementen der angefochtenen Entscheidung sich die Lücken im Zusammenhang mit deren Begründung schließen lassen sollen.
216 Fünftens ist die Pflicht zur Begründung eines Rechtsakts nach der oben in den Rn. 181 bis 183 angeführten Rechtsprechung je nach Kontext und Adressat abgestuft.
217 Zwar ist die Angelegenheit, die Gegenstand der Rügen der Klägerinnen ist, hochgradig komplex und technisch. Außerdem verfügen die Klägerinnen, wie sie selbst behaupten, über ein hohes Maß an Fachwissen in diesem Bereich.
218 Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen jedoch während des gesamten Verfahrens, das zur angefochtenen Entscheidung geführt hat, die Argumente vorgebracht, die auch zunächst mit der Entscheidung Nr. 30/2020 und dann mit der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen worden sind. Da es an einer Begründung fehlt, die es den Klägerinnen ermöglicht hätte, die Gründe für die Zurückweisung ihrer Rügen durch den Beschwerdeausschuss zu verstehen, haben sie demnach vor dem Gericht die gleiche Kritik an der PFC‑Methode geäußert wie vor diesem Ausschuss.
219 Selbst wenn man die Natur der in der angefochtenen Entscheidung behandelten Angelegenheit und das Fachwissen der Klägerinnen berücksichtigt, zeigt sich also, dass die gelieferte Begründung nicht den oben in den Rn. 181 bis 183 in Erinnerung gerufenen Anforderungen entspricht.
220 Sechstens ist der Urheber eines Rechtsakts nach der oben in Rn. 182 angeführten Rechtsprechung nicht verpflichtet, zu allen Argumenten Stellung zu nehmen, die von den Beteiligten vor ihm geltend gemacht werden, da er sich darauf beschränken kann, die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen darzulegen, denen nach dem Aufbau dieses Rechtsakts wesentliche Bedeutung zukommt.
221 Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Zerlegung von Stromflüssen, wie oben in den Rn. 166 und 167 festgestellt worden ist, ein notwendiger und wichtiger Schritt im Rahmen der Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen ist, da sie die Inputdaten für die spätere Kostenzuordnung liefert. Außerdem bezieht sich die Kritik der Klägerinnen auf die Konzeption der PFC‑Methode selbst. Diese Kritik steht zentral in der Argumentation der Klägerinnen gegen die in der Entscheidung Nr. 30/2020 erlassene Methode zur Zerlegung von Stromflüssen und zöge, wenn sie begründet wäre, die Schlussfolgerung nach sich, dass die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden muss, da mit ihr die Entscheidung Nr. 30/2020 insoweit bestätigt worden ist.
222 Unter diesen Umständen betraf das Vorbringen der Klägerinnen wesentliche Elemente der angefochtenen Entscheidung, mit der Folge, dass der Beschwerdeausschuss darauf eingehen musste, um im Einklang mit den oben in den Rn. 181 bis 183 in Erinnerung gerufenen Anforderungen seiner Begründungspflicht nachzukommen.
223 Folglich ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der für die Zerlegung der Stromflüsse verwendeten PFC‑Methode unvollständig und unzureichend, weshalb sie es weder den Klägerinnen ermöglicht, die Gründe für die Entscheidung zu erkennen, noch dem Gericht, seine gerichtliche Kontrolle über diese auszuüben.
224 Damit verletzt die angefochtene Entscheidung wesentliche Formvorschriften im Sinne von Art. 263 AEUV, so dass sie aufzuheben ist, soweit der Beschwerdeausschuss darin die von der ACER in der Entscheidung Nr. 30/2020 gewählte Methode zur Zerlegung von Stromflüssen ohne hinreichende Begründung bestätigt hat.
Zum zweiten Teil: Behandlung von HGÜ-Netzelementen
225 Da die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist, soweit der Beschwerdeausschuss darin die von der ACER in der Entscheidung Nr. 30/2020 gewählte Methode zur Zerlegung von Stromflüssen ohne hinreichende Begründung bestätigt hat (siehe oben Rn. 224) und die Behandlung von HGÜ-Netzelementen mit derselben Methode zur Zerlegung von Stromflüssen zusammenhängt, ist es aus Gründen einer ordnungsgemäßen Rechtspflege nicht erforderlich, auch den zweiten Teil des zweiten Klagegrundes zu prüfen.
Zum dritten Klagegrund : Festlegung des Toleranzniveaus für Ringflüsse
226 Mit ihrem dritten Klagegrund machen die Klägerinnen, unterstützt durch die Bundesrepublik Deutschland, geltend, dass die Festlegung eines gemeinsamen Toleranzniveaus für Ringflüsse auf 10 %, wie sie durch die angefochtene Entscheidung bestätigt werde, rechtswidrig sei.
227 Als Erstes berufen sich die Klägerinnen auf den Umstand, dass die ACER die Tatsache verkannt habe, dass das Verursacherprinzip nur für Ringflüsse oberhalb des Toleranzniveaus gelte, so dass es ein hohes Toleranzniveau nicht rechtfertigen könne.
228 Als Zweites tragen die Klägerinnen vor, das Toleranzniveau für Ringflüsse sei nicht das Ergebnis einer „soliden technischen Analyse“.
229 Als Drittes machen die Klägerinnen geltend, die ACER sei nicht befugt, ihr „eigenes“ vorübergehendes Toleranzniveau für Ringflüsse festzulegen.
230 Als Viertes führen die Klägerinnen an, die ACER habe durch die Festlegung des Toleranzniveaus für Ringflüsse auf 10 % gegen Art. 16 Abs. 8 der Verordnung 2019/943 verstoßen.
231 Als Fünftes tragen die Klägerinnen vor, die ACER habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit falsch angewandt.
232 Als Sechstes machen die Klägerinnen geltend, das Toleranzniveau sei nicht, wie in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 gefordert, anhand von Gebotszonengrenzen festgelegt worden.
233 Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt das Vorbringen der Klägerinnen.
234 Die ACER tritt dem Vorbringen der Klägerinnen, wie es von der Bundesrepublik Deutschland unterstützt wird, entgegen.
235 Es ist unstreitig, dass Ringflüsse auch ohne strukturelle Engpässe in einem stark vermaschten Stromverbundnetz, das nach einem zonalen Modell betrieben wird, unvermeidbar sind.
236 Die Festlegung eines Toleranzniveaus für Ringflüsse zielt daher darauf ab, solche Stromflüsse von der Zuordnung von durch Redispatching und Countertrading verursachten Kosten auszuschließen.
237 Zur Festlegung des Toleranzniveaus bestimmt Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 Folgendes:
„Bei der Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen auf die [ÜNB] … ordnen [die NRB] die Kosten … zu, außer bei Kosten, die durch Stromflüsse bedingt sind, die aufgrund von Transaktionen innerhalb von Gebotszonen entstehen und unterhalb des Niveaus liegen, [das] ohne strukturelle Engpässe in einer Gebotszone wahrscheinlich ist.
Dieses Niveau wird von allen [ÜNB] in einer [Handelskapazitätsberechnungsregion] für jede einzelne Gebotszonengrenze gemeinsam analysiert und festgelegt und unterliegt der Genehmigung aller [NRB] in der Kapazitätsberechnungsregion.“
238 Erstens geht aus Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 hervor, dass das Toleranzniveau eine Simulierung des ohne strukturellen Engpass wahrscheinlichen Niveaus der Ringflüsse voraussetzt.
239 Als „strukturellen Engpass“ definiert Art. 2 Nr. 6 der Verordnung 2019/943 „einen Engpass im Übertragungsnetz, der eindeutig festgestellt werden kann, vorhersehbar ist, geografisch über längere Zeit stabil bleibt und unter normalen Bedingungen des Stromsystems häufig wiederauftritt“.
240 Zweitens geht aus Art. 16 Abs. 13 Unterabs. 2 der Verordnung 2019/943 hervor, dass der Festlegung des Toleranzniveaus eine Analyse vorausgehen muss und dass diese Analyse von den ÜNB durchgeführt werden muss.
241 Drittens geht aus derselben Bestimmung hervor, dass das Toleranzniveau „für jede einzelne Gebotszonengrenze“ zu analysieren und zu bestimmen ist.
242 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die ÜNB die erforderliche Analyse nicht durchgeführt haben.
243 Darüber hinaus ist unstreitig, dass auch die ACER diese Analyse nicht durchgeführt hat.
244 Insoweit geht aus Rn. 112 der Entscheidung Nr. 30/2020 hervor, dass die ACER mangels eines gemäß Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 von den ÜNB analysierten und festgelegten und von den NRB genehmigten Toleranzniveaus geprüft hat, ob sie in der Lage sei, diese Analyse selbst durchzuführen, und zu dem Ergebnis kam, dass dies aufgrund der Beschränkungen der Ressourcen, der verfügbaren Zeit und des erforderlichen Fachwissens nicht der Fall sei.
245 Ferner ergibt sich aus dem achten Erwägungsgrund der beanstandeten Kostenteilungsmethode und den Rn. 110 bis 114 der Entscheidung Nr. 30/2020, dass die ACER sich in einer solchen Situation für berechtigt hielt, vorläufig selbst ein Toleranzniveau festzulegen.
246 Außerdem geht aus den Rn. 115 bis 122 der Entscheidung Nr. 30/2020 hervor, dass die ACER das vorläufige Toleranzniveau für die gesamte Core-Region einheitlich auf 10 % der maximalen Kapazität jedes erfassten Netzelements festgelegt und dieses Niveau dann zu gleichen Teilen auf alle Gebotszonen verteilt hat, die Ringflüsse auf dem betreffenden Netzelement induzieren.
247 In der angefochtenen Entscheidung hat der Beschwerdeausschuss aus den in deren Rn. 909 bis 1077 (S. 137 bis 164), in deren Rn. 1210 bis 1221 (S. 187 bis 189) und in deren Rn. 1192 bis 1226 (S. 212 bis 218) dargelegten Gründen die Rüge betreffend diese Festlegung eines vorläufigen Toleranzniveaus durch die ACER als unbegründet zurückgewiesen.
248 Insoweit geht u. a. aus den Rn. 924 bis 946 (S. 140 bis 144), den Rn. 1217 bis 1221 (S. 187 bis 189) und den Rn. 1199 bis 1226 (S. 213 bis 218) der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die ACER davon ausging, das Toleranzniveau selbst festlegen zu müssen, da die Festlegung eines solchen Niveaus ihrer Auffassung nach unerlässlich war, um die Kostenteilungsmethode erlassen zu können.
249 Darüber hinaus geht aus denselben Randnummern der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Festlegung des Toleranzniveaus durch die ACER auf einer „strengen Analyse“ beruhe.
250 Aus diesen Elementen der angefochtenen Entscheidung ergibt sich auch, dass der Beschwerdeausschuss der Ansicht war, dass die ACER berechtigt oder sogar verpflichtet war, selbst ein vorläufiges Toleranzniveau festzulegen, ohne über die in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebene Analyse zu verfügen, um eine Pattsituation zu vermeiden.
251 In diesem Zusammenhang wird in der angefochtenen Entscheidung auf den vorläufigen Charakter des so von der ACER festgelegten Toleranzniveaus hingewiesen. Aus Rn. 943 (S. 143) der genannten Entscheidung geht nämlich hervor, dass die ÜNB noch jederzeit die erforderliche Analyse durchführen können und dass die NRB jederzeit das in der beanstandeten Kostenteilungsmethode festgelegte vorläufige Toleranzniveau durch ein endgültiges Toleranzniveau ersetzen können.
252 Nach alledem ist zu prüfen, ob der Beschwerdeausschuss in der angefochtenen Entscheidung rechtsfehlerfrei davon ausgehen konnte, dass die von der ACER in der beanstandeten Kostenteilungsmethode vorgenommene Festlegung des Toleranzniveaus den Anforderungen von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 entsprach. Sollte dies nicht der Fall sein, ist zu prüfen, ob sich, wie der Beschwerdeausschuss festgestellt hat, die ACER in der besonderen Situation des vorliegenden Falles gleichwohl auf eine implizite Befugnis stützen konnte, die es ihr ermöglichte, anders als in dieser Bestimmung vorgesehen ein Toleranzniveau festzulegen.
Zur Einhaltung der sich aus Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 ergebenden Anforderungen
253 Gemäß Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 wird das Toleranzniveau „für jede einzelne Gebotszonengrenze“ analysiert und festgelegt und muss dem „[Niveau] …, [das] ohne strukturelle Engpässe … wahrscheinlich ist“, entsprechen.
254 Als Erstes ist zu prüfen, ob die durch die angefochtene Entscheidung bestätigte Methode zur Festlegung des Toleranzniveaus, die die ACER in der beanstandeten Kostenteilungsmethode angewandt hat, die Anforderung erfüllt, wonach dieses Niveau „für jede einzelne Gebotszonengrenze“ analysiert und festgelegt werden muss.
255 Insoweit ergibt sich aus Art. 7 Abs. 3 und 4 der beanstandeten Kostenteilungsmethode, dass das Toleranzniveau in zwei Schritten bestimmt wird.
256 In einem ersten Schritt wird auf jedes grenzüberschreitend relevante Netzelement ein gemeinsames Toleranzniveau für die gesamte Core-Region angewandt. Dieses gemeinsame Toleranzniveau wird auf 10 % der maximalen Kapazität jedes erfassten Netzelements festgelegt.
257 In einem zweiten Schritt wird das gemeinsame Toleranzniveau für jedes erfasste Netzelement zu gleichen Teilen durch die Anzahl der Gebotszonen der Core-Region, aus denen durch dieses Netzelement fließende Ringflüsse stammen, geteilt. Schöpft eine Gebotszone nicht vollständig den ihr zugewiesenen Anteil des Toleranzniveaus aus, so wird der ungenutzte Anteil anschließend gleichmäßig zwischen den verbleibenden Gebotszonen aufgeteilt.
258 Daraus ergibt sich, dass das Toleranzniveau jedes grenzüberschreitend relevanten Netzelements 10 % seiner maximalen Kapazität entspricht, zu gleichen Teilen geteilt durch die Anzahl der Gebotszonen der Core-Region, aus denen durch dieses Netzelement fließende Ringflüsse stammen.
259 Zwar führt, wie die ACER geltend macht, eine solche Zuordnung zu einem individuellen Toleranzniveau für jede Gebotszone, so dass diese Festlegung des Toleranzniveaus eine gewisse „Individualisierung“ dieser Zone impliziert, da dieses Niveau auf der Grundlage der maximalen individuellen Kapazität jedes relevanten Netzelements und anhand der Zahl der Gebotszonen, aus denen durch diese Netzelemente fließende Ringflüsse stammen, bestimmt wird.
260 Es ist jedoch festzustellen, dass diese oben in Rn. 259 genannte „Individualisierung“ nicht die in Art. 16 Abs. 13 Unterabs. 2 der Verordnung 2019/943 durch die Wendung „für jede einzelne Gebotszonengrenze“ vorgeschriebene ist.
261 Zwischen den Parteien ist nämlich unstreitig, dass sich das Niveau von Ringflüssen abhängig von Eigenschaften der Gebotszonen, wie die Größe, der Vermaschungsgrad, der Anteil der Einspeisung erneuerbarer Energien und die Anzahl der Grenzen der jeweiligen Gebotszonen, ändert. Somit kann das Niveau der Ringflüsse von einer Gebotszone zur anderen, über eine „Grenze“ im Sinne von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 und sogar auf Elementen, die sich auf die Engpässe zwischen zwei Zonen auswirken, variieren. Aus diesem Grund verlangt Art. 16 Abs. 13 Unterabs. 2 der Verordnung 2019/943, dass das Toleranzniveau anhand der Merkmale der in Rede stehenden Gebotszonen und der verschiedenen Grenzen zwischen ihnen bestimmt wird.
262 Die von der ACER vorgenommene Festlegung des Toleranzniveaus beruht im ersten Schritt aber auf einem einheitlichen Toleranzniveau für alle Gebotszonen in der Core-Region, mit der Folge, dass die besonderen Merkmale dieser Zonen und der Grenzen zwischen ihnen in keiner Weise berücksichtigt werden.
263 Zudem berücksichtigt die im zweiten Schritt vorgenommene „Individualisierung“ auch nicht die Merkmale der verschiedenen Gebotszonen, sondern hängt allein von der Zahl der Gebotszonen ab, aus denen die durch die relevanten Netzelemente fließenden Ringflüsse stammen. Gleiches gilt für den Fall einer späteren Aufteilung des durch eine Gebotszone ungenutzten Anteils des Toleranzniveaus zwischen den anderen Gebotszonen.
264 Daraus folgt, dass das von der ACER festgelegte Toleranzniveau nicht die in Art. 16 Abs. 13 Unterabs. 2 der Verordnung 2019/943 vorgesehene Anforderung erfüllt, wonach das Toleranzniveau „für jede einzelne Gebotszonengrenze“ festzulegen ist.
265 Was als Zweites die Anforderung betrifft, dass das Toleranzniveau dem „[Niveau] …, [das] ohne strukturelle Engpässe … wahrscheinlich ist“, entsprechen muss, so ist unstreitig, dass die nach Art. 16 Abs. 13 Unterabs. 1 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebene, normalerweise erforderliche Analyse zur Festlegung des ohne strukturelle Engpässe wahrscheinlichen Niveaus der Ringflüsse im vorliegenden Fall nicht durchgeführt wurde.
266 Ohne eine solche Analyse kann das von der ACER festgelegte Toleranzniveau jedoch nicht der Anforderung entsprechen, wonach dieses Niveau dem ohne strukturelle Engpässe wahrscheinlichen Niveau der Ringflüsse entsprechen muss.
267 Insoweit geht aus den Rn. 958 (S. 145) und 1221 (S. 189) der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die ACER der Ansicht war, dass das von ihr festgelegte Toleranzniveau einer Situation ohne strukturelle Engpässe entspreche.
268 Aus Rn. 115 der Entscheidung Nr. 30/2020 und Rn. 223 der Klagebeantwortung geht nämlich hervor, dass die ACER die ÜNB hinsichtlich des wahrscheinlichen Niveaus der Ringflüsse ohne strukturelle Engpässe befragte. Während einige ÜNB zwischen 3 %, 5 % und 10 % variierende Werte angaben, antworteten andere nicht oder gaben höhere Schwellenwerte als 10 % an. Unter diesen Umständen und unter der Annahme, dass die Antworten der ÜNB durch ihre eigenen Interessen beeinflusst worden seien, legte die ACER das Toleranzniveau auf 10 % der maximalen Kapazität des betreffenden Netzelements als „Durchschnitt“ der abgegebenen Stellungnahmen fest, wie sich ebenfalls aus Rn. 115 der Entscheidung Nr. 30/2020 ergibt.
269 Daraus folgt, dass die Festlegung von 10 % der maximalen Kapazität des betreffenden Netzelements als gemeinsames Toleranzniveau für alle Gebotszonen der Core-Region als erstem Schritt bei der Festlegung des Toleranzniveaus je erfasstem Netzelement nicht auf einer Analyse des Toleranzniveaus ohne strukturelle Engpässe beruht, wie sie in Art. 16 Abs. 13 Unterabs. 1 der Verordnung 2019/943 vorgeschrieben ist, sondern das Ergebnis eines Kompromisses im Hinblick auf die von den betreffenden ÜNB vorgelegten abweichenden Stellungnahmen ist.
270 Wie nämlich die ACER in Rn. 930 (S. 141) der angefochtenen Entscheidung anerkennt, setzt die nach Art. 16 Abs. 13 Unterabs. 1 der Verordnung 2019/943 erforderliche Analyse u. a. eine Untersuchung von Netzinvestitionen und etwaigen Gebotszonenkonfigurationen voraus, um strukturelle Engpässe zu beheben. Die ACER räumt allerdings ein, eine solche Analyse nicht durchgeführt zu haben.
271 Unter diesen Umständen geht das Vorbringen der ACER, dass ihre Festlegung des Toleranzniveaus auf einer „strengen Analyse“ beruhe, ins Leere, da es sich dabei jedenfalls nicht um die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebene Analyse handelte.
272 Daraus folgt, dass das von der ACER festgelegte Toleranzniveau nicht die Anforderungen in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 erfüllt, nach denen das Toleranzniveau dem „[Niveau] …, [das] ohne strukturelle Engpässe … wahrscheinlich ist“, entsprechen muss und „für jede einzelne Gebotszonengrenze“ festgelegt werden muss.
Zu den Voraussetzungen für die Anerkennung einer impliziten Befugnis
273 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Festlegung des Toleranzniveaus, die die ACER in der beanstandeten Kostenteilungsmethode vorgenommen hat, nicht Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 entspricht.
274 Unter diesen Umständen ist die Frage, ob die ACER grundsätzlich befugt war, selbst ein Toleranzniveau auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 10 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung 2019/942 festzulegen, wie aus Rn. 924 (S. 140) der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, unerheblich. Denn mit dieser Bestimmung kann der ACER jedenfalls nicht gestattet werden, ein Toleranzniveau festzulegen, das nicht den Anforderungen von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 entspricht.
275 Es ist daher zu prüfen, ob ungeachtet dessen, dass die von der ACER vorgenommene Festlegung des Toleranzniveaus nicht den Anforderungen von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 entsprach, die ACER in der spezifischen Situation, in der sie sich befand, über eine implizite Befugnis verfügte, die sie ermächtigte, in einer anderen als der durch diese Bestimmung vorgeschriebenen Weise ein Toleranzniveau festzulegen.
276 Die ACER rechtfertigt ihre Zuständigkeit für die Festlegung eines Toleranzniveaus nämlich mit der Notwendigkeit ihres Tätigwerdens. Mangels der von den ÜNB durchzuführenden Analyse des ohne strukturelle Engpässe wahrscheinlichen Toleranzniveaus sei sie befugt gewesen, vorläufig selbst ein Toleranzniveau in der beanstandeten Kostenteilungsmethode festzulegen, um eine Pattsituation zu vermeiden.
277 Als Erstes kann es im Hinblick auf das Legalitätsprinzip grundsätzlich nicht zugelassen werden, dass eine Agentur der Union wie die ACER vom anzuwendenden Rechtsrahmen abweichen kann. Daraus folgt, dass die ACER grundsätzlich nicht von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 abweichen konnte.
278 Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass die ACER nach Art. 6 Abs. 12 Buchst. b der Verordnung 2019/942 „eine Zwischenentscheidung erlassen [kann], damit … die Betriebssicherheit sichergestellt ist“. Es ist jedoch festzustellen, dass sich die ACER im vorliegenden Fall bei der Festlegung des Toleranzniveaus nicht auf diese Bestimmung stützte. Darüber hinaus kann die Anwendung der Kostenteilungsmethode jedenfalls nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 12 Buchst. b der Verordnung 2019/942 als erforderlich angesehen werden, „damit die Versorgungssicherheit oder die Betriebssicherheit sichergestellt ist“. Diese Methode hat nämlich die Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen zum Gegenstand und dient nicht der Bestimmung der Entlastungsmaßnahmen, die aktiviert werden müssen, um die Versorgungssicherheit oder die Betriebssicherheit sicherzustellen.
279 Darüber hinaus spricht das Bestehen dieser Bestimmung und damit der Möglichkeit, unter klar umrissenen Umständen vorläufige Entscheidungen zu erlassen, gegen die Anerkennung einer impliziten Befugnis der ACER, das Toleranzniveau in der Kostenteilungsmethode – sei es auch nur vorläufig – in anderer Weise als in der in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebenen Weise festzulegen.
280 Als Drittes kann nach der Rechtsprechung die bloße Berufung auf Effizienzerwägungen nicht ausreichen, um eine Zuständigkeit einer Agentur der Union zu begründen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 2019, E‑Control/ACER, T‑332/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:761, Rn. 69). Die bloße Berufung auf Effizienzerwägungen kann daher nicht ausreichen, um einer Agentur der Union zu gestatten, vom anzuwendenden Rechtsrahmen abzuweichen.
281 Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Effizienzerwägungen, sofern diese einem tatsächlichen Bedürfnis entsprechen, um die praktische Wirksamkeit der Bestimmungen der Verträge oder der betreffenden Verordnung sicherzustellen, das Bestehen einer impliziten Entscheidungsbefugnis rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 2019, E‑Control/ACER, T‑332/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:761, Rn. 69).
282 Somit ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine implizite Befugnis der ACER nach dieser Rechtsprechung erfüllt waren.
Zur Anerkennung einer impliziten Befugnis der ACER
283 Nach der oben in Rn. 281 angeführten Rechtsprechung ist für die Prüfung, ob die ACER eine implizite Befugnis in Anspruch nehmen konnte, zu untersuchen, ob die Anerkennung einer solchen Befugnis der ACER einem tatsächlichen Bedürfnis entsprach, um die praktische Wirksamkeit der in Rede stehenden Bestimmungen sicherzustellen.
284 Insoweit ergibt sich aus den Rn. 924 bis 946 (S. 140 bis 144) und den Rn. 1206 bis 1220 (S. 214 bis 216) der angefochtenen Entscheidung, dass die ACER geltend gemacht hat, die Notwendigkeit, innerhalb der gesetzten Frist eine Kostenteilungsmethode zu erlassen, habe sie gezwungen, trotz des Fehlens der normalerweise erforderlichen Analyse das Toleranzniveau selbst festzulegen.
285 Erstens ist im Hinblick auf den Zeitplan zu dem geltend gemachten Bedürfnis festzustellen, dass die ACER zwar grundsätzlich verpflichtet war, eine Kostenteilungsmethode innerhalb der in Art. 6 Abs. 12 Buchst. a der Verordnung 2019/942 und Art. 9 Abs. 11 der Verordnung 2015/1222 vorgesehenen Frist, d. h. innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem 27. März 2020, zu erlassen.
286 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht an die Überschreitung der in Art. 6 Abs. 12 Buchst. a der Verordnung 2019/942 und Art. 9 Abs. 11 der Verordnung 2015/1222 vorgesehenen Frist von sechs Monaten keine Sanktionen knüpft. Es handelt sich deswegen nicht um eine zwingende, sondern um eine unverbindliche Frist.
287 Nach der Rechtsprechung kann jedoch bei Vorliegen einer solchen unverbindlichen Frist die Stelle der Union, für die diese Frist gilt, auch wenn sie sich um deren Einhaltung bemühen muss, insbesondere wegen der Komplexität der Aufgabe, und soweit nicht die Interessen eines Mitgliedstaats beeinträchtigt werden, möglicherweise mehr Zeit benötigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 2013, Spanien/Kommission, T‑54/11, EU:T:2013:10, Rn. 27).
288 Folglich ist der Ausgangspunkt der Argumentation der ACER fehlerhaft, da es für sie nicht zwingend war, innerhalb der gesetzten Frist, d. h. vor dem 28. September 2020, eine Kostenteilungsmethode festzulegen.
289 Ferner steht es fest, dass die Analyse des „Niveaus …, [das] ohne strukturelle Engpässe … wahrscheinlich ist“, komplex und zeitaufwändig ist.
290 Es stand der ACER daher grundsätzlich frei, den ÜNB ausreichend Zeit für die Durchführung der erforderlichen Analyse einzuräumen, ohne dass ihr vorgeworfen werden würde, die in Art. 6 Abs. 12 Buchst. a der Verordnung 2019/942 und in Art. 9 Abs. 11 der Verordnung 2015/1222 vorgesehene Frist nicht einzuhalten.
291 Dies gilt umso mehr, als die Verpflichtung zur Festlegung eines Toleranzniveaus anhand der Durchführung der in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgesehenen Analyse erst am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist.
292 Zu dem Zeitpunkt, zu dem die ÜNB der Core-Region allen NRB der Core-Region ihren Vorschlag für eine Kostenteilungsmethode zur Genehmigung vorlegten, d. h. am 27. März 2019, war die Verordnung 2019/943 indes noch nicht erlassen.
293 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass weder in der Entscheidung Nr. 30/2020 noch in der angefochtenen Entscheidung die möglichen Auswirkungen auf den Zeitplan für die Annahme der Kostenteilungsmethode in Anbetracht dessen untersucht werden, dass die Verpflichtung, ein Toleranzniveau festzulegen und damit die entsprechende Analyse durchzuführen, erst am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist.
294 Daher beruht die Annahme des Beschwerdeausschusses in der angefochtenen Entscheidung, wonach es für die ACER erforderlich gewesen sei, die beanstandete Kostenteilungsmethode angesichts der ihr hierfür eingeräumten Frist, ohne die von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebene Analyse abwarten zu können, zu erlassen, auf einem Verständnis des Regelungsrahmens, das weder der Unverbindlichkeit der von der ACER einzuhaltenden Frist noch der Änderung des geltenden rechtlichen Rahmens Rechnung trägt.
295 Daher kann die bloße Berufung auf eine unverbindliche Frist für den Erlass der Kostenteilungsmethode durch die ACER nicht ausreichen, um ein tatsächliches Bedürfnis für die Sicherstellung der praktischen Wirksamkeit der in Rede stehenden Bestimmungen nachzuweisen.
296 Zweitens hat die ACER die Notwendigkeit ihres Tätigwerdens mit der Untätigkeit der ÜNB begründet. Aus Rn. 955 (S. 145) der angefochtenen Entscheidung geht nämlich hervor, dass die ACER geltend gemacht hat, dass die ÜNB „während eines Zeitraums von fast drei Jahren“ nicht in der Lage gewesen seien, die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 erforderliche Analyse durchzuführen.
297 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung zur Festlegung des Toleranzniveaus anhand der Durchführung der in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebenen Analyse erst am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist.
298 Im Übrigen ist festzustellen, dass die ÜNB – entgegen dem Vorbringen der ACER in Rn. 926 (S. 140) der angefochtenen Entscheidung – im erläuternden Dokument vom 22. Februar 2019, das dem Vorschlag für eine Kostenteilungsmethode vom 27. März 2019 beigefügt war, es nicht für zwingend hielten, ein Toleranzniveau festzulegen, sondern dies vielmehr als eine ihnen anheimgestellte Option ansahen.
299 Selbst wenn angenommen würde, dass die Notwendigkeit der Festlegung eines Toleranzniveaus vor dem Erlass der Verordnung 2019/943 von den ÜNB anerkannt worden wäre, ändert dies nichts daran, dass Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 regelt, wie das Toleranzniveau festzulegen war, nämlich anhand einer Analyse „für jede einzelne Gebotszonengrenze“ des „Niveaus [des Ringflusses] …, [das] ohne strukturelle Engpässe … wahrscheinlich ist“.
300 Die ACER macht jedoch nicht geltend, dass vor dem Inkrafttreten der Verordnung 2019/943 festgestanden habe, dass das Toleranzniveau auf diese Weise bestimmt werden müsse.
301 Unter diesen Umständen konnte die ACER den ÜNB nicht berechtigterweise vorwerfen, „während eines Zeitraums von fast drei Jahren“ nicht in der Lage gewesen zu sein, die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 erforderliche Analyse durchzuführen.
302 Diese Schlussfolgerung wird auch nicht durch die Dokumente in Frage gestellt, die die ACER in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat, um zu belegen, dass die ÜNB und NRB der Core-Region weiterhin darüber verhandelten, wie die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 erforderliche Analyse durchzuführen sei.
303 Unabhängig von der Frage, ob diese Dokumente zulässig sind, ist festzustellen, dass die von der ACER geltend gemachten laufenden Verhandlungen im vorliegenden Fall unerheblich sind.
304 Nach der Rechtsprechung ist nämlich die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung allein im Licht der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihres Erlasses zu beurteilen (vgl. Urteil vom 27. April 2022, Roos u. a./Parlament, T‑710/21, T‑722/21 und T‑723/21, EU:T:2022:262, Rn. 211 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit können die von der ACER angeführten Umstände, die nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung liegen, zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung nicht berücksichtigt werden.
305 Drittens hat die ACER die Notwendigkeit ihres Tätigwerdens damit begründet, dass die ÜNB die ihnen von ihr gesetzte Frist nicht eingehalten hätten. Hierzu weist sie darauf hin, dass sie den ÜNB eine Frist von vier Monaten vom 18. April bis zum 20. August 2020 für die Durchführung der nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebenen Analyse gesetzt habe, und fügt hinzu, dass die ÜNB diese Frist nicht eingehalten hätten.
306 Wie sich aber aus Rn. 930 (S. 141), Rn. 954 (S. 145) und Rn. 1131 (S. 202) der angefochtenen Entscheidung ergibt, war die ACER selbst davon ausgegangen, dass die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebene Analyse komplex sei und erhebliche Zeit in Anspruch nehme.
307 Darüber hinaus weist die ACER nicht nach, dass sie während der Frist von vier Monaten, die sie den ÜNB gesetzt hatte, deren Arbeit auf die eine oder andere Weise erleichtert hätte, um die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebene Analyse durchzuführen.
308 Nach Art. 6 Abs. 11 der Verordnung 2019/942, der den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit widerspiegelt, ist die ACER jedoch verpflichtet, die NRB und die ÜNB zu konsultieren, wenn sie eine Entscheidung auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 10 dieser Verordnung vorbereitet.
309 Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und unter Berücksichtigung des klaren Willens des Unionsgesetzgebers, dafür zu sorgen, dass Entscheidungen über grenzüberschreitende Fragen, die schwierig, aber unerlässlich sind, effizienter und schneller ergehen (Urteil vom 7. September 2022, BNetzA/ACER, T‑631/19, EU:T:2022:509, Rn. 46), sollte die ACER die Ausarbeitung der nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 erforderlichen Analyse durch die ÜNB und die NRB erleichtern.
310 Unter diesen Umständen kann die ACER den ÜNB nicht berechtigterweise vorwerfen, nicht in der Lage gewesen zu sein, die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 erforderliche Analyse innerhalb der gesetzten Frist, d. h. innerhalb von vier Monaten, durchzuführen.
311 Viertens hat die ACER die Notwendigkeit, die beanstandete Kostenteilungsmethode zu erlassen, ohne die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 erforderliche Analyse abwarten zu können, noch mit zwei weiteren Erwägungen begründet.
312 Zum einen hat die ACER in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass den ÜNB nach dem Erlass der beanstandeten Kostenteilungsmethode ausreichend Zeit hätte eingeräumt werden müssen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, die für ihre ordnungsgemäße Umsetzung notwendigen Vorkehrungen zu treffen.
313 Es ist aber darauf hinzuweisen, dass nach Art. 13 Abs. 2 der beanstandeten Kostenteilungsmethode in Verbindung mit Art. 37 Abs. 2 der RDTC‑Methode eine erste Stufe der Umsetzung der erstgenannten Methode für den 4. Juni 2023 vorgesehen war, während ihre vollständige Anwendung für den 4. Juni 2025 geplant war.
314 Da die erste teilweise Umsetzung der beanstandeten Kostenteilungsmethode erst zweieinhalb Jahre nach ihrem Erlass und ihre vollständige Umsetzung viereinhalb Jahre nach ihrem Erlass erfolgen sollte, kann angesichts des sehr langen Zeitraums für die Umsetzung die bloße Berufung darauf, dass die ÜNB die für die ordnungsgemäße Umsetzung der beanstandeten Kostenteilungsmethode notwendigen Vorkehrungen treffen müssten, nicht ausreichen, um ein tatsächliches Bedürfnis für den Erlass dieser Methode, ohne die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 erforderliche Analyse abwarten zu können, zu belegen.
315 Zum anderen geht aus Rn. 946 (S. 144) der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die ACER der Ansicht ist, dass die beanstandete Kostenteilungsmethode gleichzeitig mit der RDCT‑Methode und der ROSC‑Methode habe umgesetzt werden müssen.
316 Hierzu genügt die Feststellung, dass es im vorliegenden Fall keineswegs darum geht, zu entscheiden, ob die ACER befugt war, für die Umsetzung der beanstandeten Kostenteilungsmethode, der RDCT‑Methode und der ROSC‑Methode dieselben Daten vorzusehen, sondern vielmehr darum, festzustellen, ob die ACER die beanstandete Kostenteilungsmethode anwenden durfte, ohne die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 vorgeschriebene Analyse abwarten zu können.
317 Unter diesen Umständen ist das Vorbringen, die beanstandete Kostenteilungsmethode, die RDCT‑Methode und die ROSC‑Methode hätten gleichzeitig umgesetzt werden müssen, für die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Kostenteilungsmethode zu erlassen war, unerheblich.
318 Daher konnte die ACER die Notwendigkeit ihres Tätigwerdens auch nicht mit Erwägungen im Zusammenhang mit dem Bestreben rechtfertigen, den ÜNB ausreichend Zeit einzuräumen, damit sie gleichzeitig mit zwei anderen Methoden die für die ordnungsgemäße Umsetzung der beanstandeten Kostenteilungsmethode notwendigen Vorkehrungen treffen könnten.
319 Daraus folgt, dass die ACER die Notwendigkeit, die beanstandete Kostenteilungsmethode zu erlassen, ohne die nach Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 erforderliche Analyse abwarten zu können, nicht nachgewiesen hat.
320 Folglich hat die ACER nicht nachgewiesen, dass zur Sicherstellung der praktischen Wirksamkeit der in Rede stehenden Bestimmungen ein tatsächliches Bedürfnis bestand, welches es rechtfertigen würde, ihr eine implizite Befugnis zuzuerkennen.
321 Jedenfalls ist festzustellen, dass die von der ACER vorgenommene Festlegung des Toleranzniveaus nicht geeignet ist, die praktische Wirksamkeit der in Rede stehenden Bestimmungen zu gewährleisten.
322 Diese Festlegung des Toleranzniveaus ermöglichte es der ACER zwar, die beanstandete Kostenteilungsmethode am 30. November 2020, d. h. kurz nach Ablauf der ihr hierfür gesetzten Frist, die am 27. September 2020 ablief, zu erlassen. Dies ermöglichte es jedoch nicht, die praktische Wirksamkeit der in Rede stehenden materiell-rechtlichen Bestimmungen sicherzustellen.
323 Die beanstandete Kostenteilungsmethode muss nämlich nach Art. 74 Abs. 6 Buchst. a der Verordnung 2015/1222 Anreize geben, wirksam in das Engpassmanagement zu investieren. Außerdem sollte dieses Management nach dem 34. Erwägungsgrund der Verordnung 2019/943 den ÜNB und Marktteilnehmern die richtigen wirtschaftlichen Signale geben.
324 Wie oben in Rn. 272 festgestellt, genügt das von der ACER festgelegte und durch die angefochtene Entscheidung bestätigte Toleranzniveau allerdings nicht den Anforderungen in Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943, nach denen das Toleranzniveau dem „[Niveau] …, [das] ohne strukturelle Engpässe … wahrscheinlich ist“, entsprechen und „für jede einzelne Gebotszonengrenze“ festgelegt werden muss.
325 Unter diesen Umständen kann aufgrund dieser Festlegung des Toleranzniveaus die beanstandete Kostenteilungsmethode nicht über die Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen „die richtigen wirtschaftlichen Signale“ für die Investitionen in die Netze geben.
326 Überdies ist ebenfalls festzustellen, dass die offenbar von der ACER vorgenommene Abwägung zwischen dem Interesse an der Einhaltung der gesetzten Frist und dem Interesse an der Einhaltung von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 nicht die Festlegung eines der einschlägigen Regelung nicht entsprechenden Toleranzniveaus rechtfertigt.
327 Wie oben in Rn. 286 ausgeführt, war die Frist, die der ACER für den Erlass einer Kostenteilungsmethode gesetzt war, nämlich nur unverbindlich, so dass bei einer Abwägung die Intention, diese Frist einzuhalten, keinen Vorrang vor der Einhaltung der Anforderungen von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 haben kann.
328 Dieses Ergebnis kann nicht durch das Argument der ACER in Frage gestellt werden, dass sie das Toleranzniveau nur vorläufig festgelegt habe. Der vorläufige Charakter dieser Festlegung kann nämlich in keiner Weise den Verstoß gegen den einschlägigen Regelungsrahmen durch die ACER und den Beschwerdeausschuss abschwächen.
329 Dass die Festlegung des Toleranzniveaus nur de iure vorläufig ist, lässt die Missachtung des einschlägigen Regelungsrahmens durch die ACER nicht weniger schwer wiegen.
330 Daher kann die ACER ihre Vorgehensweise, bei der Abwägung das Interesse an der Einhaltung der gesetzten Frist über das Interesse an der Einhaltung der Anforderungen von Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 zu stellen, nicht damit rechtfertigen, dass der sich daraus ergebende Eingriff in den Regelungsrahmen durch die diesem nicht entsprechende Festlegung eines Toleranzniveaus vorläufig sei. Folglich konnte sich die ACER bei ihrer Festlegung des Toleranzniveaus nicht auf eine implizite Befugnis stützen.
331 Nach alledem ist festzustellen, dass die Festlegung des Toleranzniveaus durch die ACER in der beanstandeten Kostenteilungsmethode, wie sie durch die angefochtene Entscheidung bestätigt wird, insofern gegen Art. 16 Abs. 13 der Verordnung 2019/943 verstößt, als dieses Toleranzniveau weder das Kriterium erfüllt, wonach es dem „[Niveau] …, [das] ohne strukturelle Engpässe … wahrscheinlich ist“, entsprechen muss, noch das Kriterium, wonach das Toleranzniveau „für jede einzelne Gebotszonengrenze“ zu bestimmen ist. Ferner ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass die ACER auch nicht befugt war, ein Toleranzniveau in einer anderen Weise zu bestimmen, um die ihr für den Erlass der beanstandeten Kostenteilungsmethode gesetzte Frist einzuhalten.
332 Unter diesen Umständen ist dem dritten Klagegrund stattzugeben, ohne dass die übrigen Rügen, auf die die Klägerinnen diesen stützen, geprüft zu werden brauchen.
333 Da aus der Prüfung des ersten Teils des zweiten Klagegrundes hervorgeht, dass die angefochtene Entscheidung wesentliche Formvorschriften im Sinne von Art. 263 AEUV verletzt, und da der dritte Klagegrund ein zentrales Element der beanstandeten Kostenteilungsmethode betrifft, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist, ist es dem Gericht nicht möglich, die angefochtene Entscheidung nur teilweise aufzuheben.
334 Folglich ist der Klage der Klägerinnen auf der Grundlage des ersten Teils des zweiten Klagegrundes und des dritten Klagegrundes stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben, soweit sie die Entscheidung Nr. 30/2020 bestätigt und die Beschwerde der Klägerinnen in der Sache A-001-2021 (konsolidiert) zurückweist.
Zur möglichen Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung
335 Nach Art. 264 Abs. 2 AEUV kann das Gericht, falls es dies für notwendig hält, diejenigen Wirkungen einer von ihm aufgehobenen Handlung bezeichnen, die als fortgeltend zu betrachten sind.
336 In Beantwortung prozessleitender Maßnahmen des Gerichts haben sich die Parteien dazu geäußert.
337 Im vorliegenden Fall macht die ACER geltend, dass die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und folglich der beanstandeten Kostenteilungsmethode schwerwiegende Folgen haben werde. Die ÜNB müssten sämtliche Kosten für alle auf ihren Netzelementen aktivierten Entlastungsmaßnahmen tragen, auch wenn diese Maßnahmen wegen aus anderen Gebotszonen stammenden Ringflüssen erforderlich gewesen seien. Dies hätte wahrscheinlich zur Folge, dass für die ÜNB ein Anreiz zur Beschränkung der Verbindungskapazität bestünde, was zu höheren Stromkosten führen werde.
338 Nach der Rechtsprechung können aus Gründen der Rechtssicherheit die Wirkungen einer Handlung aufrechterhalten werden, insbesondere wenn die unmittelbaren Auswirkungen ihrer Aufhebung schwerwiegende negative Folgen für die Betroffenen hätten und die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Handlung nicht wegen ihres Ziels oder ihres Inhalts in Abrede gestellt wird, sondern aus Gründen der Unzuständigkeit ihres Urhebers oder der Verletzung wesentlicher Formvorschriften (vgl. Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB, C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 175 und die dort angeführte Rechtsprechung).
339 Hierzu ist zum einen festzustellen, dass die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung insbesondere auf einer Verletzung materiellen Rechts beruht, nämlich einem Verstoß gegen Art. 16 Abs. 13 Unterabs. 2 der Verordnung 2019/943, und nicht nur auf einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften.
340 Zum anderen beruht das Vorbringen der ACER auf der Annahme, dass die beanstandete Kostenteilungsmethode bereits angewandt werde.
341 Aus den Antworten der Parteien auf die Fragen des Gerichts geht jedoch hervor, dass die beanstandete Kostenteilungsmethode, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist, nicht vor dem 4. Juni 2025 in ihrer Gesamtheit angewandt werden wird und dass diese Anwendung aufgrund von Verzögerungen sogar noch weiter hinausgeschoben werden könnte.
342 Unter diesen Umständen ist die Wirkung der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nicht zu beschränken.
Kosten
343 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
344 Da die ACER unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.
345 Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Bundesrepublik Deutschland trägt daher ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidung des Beschwerdeausschusses der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vom 28. Mai 2021 in der Sache A-011-2021 (konsolidiert) wird aufgehoben, soweit sie die Entscheidung Nr. 30/2020 der ACER vom 30. November 2020 über den Vorschlag der Stromübertragungsnetzbetreiber der Belgien, die Tschechische Republik, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Luxemburg, Ungarn, die Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Slowenien und die Slowakei umfassenden Kapazitätsberechnungsregion Core in Bezug auf die Kostenteilungsmethode für Redispatching und Countertrading bestätigt und die Beschwerde der Klägerinnen in dieser Sache zurückweist.
2. Die ACER trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der TenneT TSO GmbH und der TenneT TSO BV.
3. Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.
Schalin
Škvařilová-Pelzl
Nõmm
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. September 2024.
Unterschriften