T-368/24 – EO/ Parlament

T-368/24 – EO/ Parlament

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:T:2025:583

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

11. Juni 2025(*)

„ Öffentlicher Dienst – Bedienstete auf Zeit – Vertrag auf unbestimmte Dauer – Art. 2 Buchst. c BBSB – Kündigung des Vertrags – Art. 47 Buchst. c Ziff. i BBSB – Zerstörung des Vertrauensverhältnisses – Begründungspflicht – Art. 3 des Anhangs IX des Statuts – Ermessens- oder Verfahrensmissbrauch – Unschuldsvermutung – Anspruch auf rechtliches Gehör – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Fürsorgepflicht – Haftung – Materieller und immaterieller Schaden “

In der Rechtssache T‑368/24,

EO, vertreten durch L. Levi und P. Baudoux, Rechtsanwältinnen,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch S. Seyr, I. Lázaro Betancor und K. Zejdová als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Svenningsen (Berichterstatter) sowie des Richters C. Mac Eochaidh und der Richterin M. Stancu,

Kanzler: A. Marghelis, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 4. März 2025

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klage nach Art. 270 AEUV begehrt der Kläger, EO, zum einen die Aufhebung der Entscheidung vom 15. September 2023, mit der das Europäische Parlament seinen Vertrag als Bediensteter auf Zeit gekündigt hat (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), und zum anderen den Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens, der ihm aufgrund dieser Entscheidung entstanden sein soll.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Der Kläger ist ein ehemaliger Bediensteter auf Zeit im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union (im Folgenden: BBSB) der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (im Folgenden: S&D-Fraktion).

3        In seiner Funktion als politischer Berater der S&D-Fraktion war er u. a. an der Ausarbeitung der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. November 2022 zur Menschenrechtslage im Zusammenhang mit der FIFA-Weltmeisterschaft in Katar (ABl. 2023, C 167, S. 99, im Folgenden: Entschließung vom 24. November 2022) beteiligt.

4        In den Tagen nach der Annahme der Entschließung vom 24. November 2022 erhielt der Kläger von einem akkreditierten parlamentarischen Assistenten eines Abgeordneten der S&D-Fraktion eine Einladung zum Besuch eines Spiels der Fußballweltmeisterschaft in Katar. Diese Zuwendung bestand aus zwei Eintrittskarten für das Viertelfinalspiel zwischen der argentinischen und der niederländischen Mannschaft sowie der Übernahme der Reise- und Unterbringungskosten für zwei Personen.

5        Vom 8. bis 11. Dezember 2022 reiste der Kläger mit seiner Lebensgefährtin nach Katar.

6        Am 9. Dezember 2022 leiteten die belgischen Behörden Ermittlungen wegen möglicher illegaler Lobbying-Aktivitäten seitens Katars ein. Sie durchsuchten u. a. die Büros des Parlaments und nahmen mehrere Personen fest, darunter den oben in Rn. 4 genannten akkreditierten parlamentarischen Assistenten.

7        Am 16. Dezember 2022 setzte der Kläger seinen Referatsleiter über seinen Aufenthalt in Katar in Kenntnis. Gemeinsam informierten sie den Generalsekretär der S&D-Fraktion.

8        Nach Anhörung des Klägers enthob ihn die Vorsitzende der S&D-Fraktion als zum Abschluss von Dienstverträgen ermächtigte Stelle (im Folgenden: Einstellungsbehörde) am 20. Dezember 2022 auf unbestimmte Zeit seines Dienstes und behielt gemäß den Art. 23 und 24 des Anhangs IX des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) seine Bezüge ein.

9        Am selben Tag veröffentlichte der Vorstand der S&D-Fraktion eine Pressemitteilung mit dem Titel „Null Toleranz gegenüber Korruption“, in der es heißt, dass er „uneingeschränkt hinter der Beurlaubung eines Mitglieds des Personals der S&D nach schwerwiegendem Fehlverhalten im Zusammenhang mit den laufenden strafrechtlichen Ermittlungen [steht]“ (im Folgenden: Pressemitteilung vom 20. Dezember 2022).

10      Am 4. Januar 2023 informierte die Einstellungsbehörde den Kläger über die Einleitung einer Verwaltungsuntersuchung im Hinblick auf eine ihm möglicherweise zur Last fallende Verletzung seiner Pflichten nach Art. 11 des Statuts.

11      Am 30. Januar 2023 wurde der Bericht über die Verwaltungsuntersuchung an die Einstellungsbehörde und den Generalsekretär der S&D-Fraktion mit der Empfehlung weitergeleitet, den Kläger gemäß Art. 3 des Anhangs IX des Statuts zu einer Anhörung einzuladen.

12      Am 6. März 2023 wurde der Kläger von der Einstellungsbehörde in Anwesenheit des Generalsekretärs der S&D-Fraktion, eines Mitglieds des Juristischen Dienstes des Parlaments und der Bediensteten, die den Bericht über die Verwaltungsuntersuchung verfasst hatten, gemäß Art. 3 des Anhangs IX angehört.

13      Am 31. Mai 2023 setzte die Einstellungsbehörde den Kläger über ihre Absicht in Kenntnis, seinen Vertrag nach Art. 47 Buchst. c Ziff. i BBSB zu kündigen und ihn für die Dauer der zehnmonatigen Kündigungsfrist seines Dienstes zu entheben, weil das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der S&D-Fraktion zerstört sei. Sie lud ihn zu einem für den 7. Juni 2023 angesetzten Gespräch ein, um ihn vor dem Erlass einer Entscheidung anzuhören. Falls er nicht an diesem Gespräch teilnehmen wolle, könne er seine Stellungnahme schriftlich einreichen.

14      Am 2. Juni 2023 beantragte die Anwältin des Klägers die Verschiebung dieses Gesprächs mit der Begründung, dass sie zum vorgeschlagenen Termin nicht verfügbar sei. Sie ersuchte die Einstellungsbehörde außerdem, ihr alle Dokumente zu übermitteln, auf die sich die Absicht stütze, den Vertrag mit dem Kläger zu kündigen.

15      Am 15. Juni 2023 wurde der Kläger zu einem für den 29. Juni 2023 angesetzten Gespräch eingeladen. Am darauffolgenden Tag antwortete die Anwältin des Klägers, dass sie an diesem Tag nicht verfügbar sei. Sie bat um eine Verschiebung des Gesprächs und wiederholte ihren Antrag auf Zugang zu den Dokumenten, auf die sich die Absicht der Einstellungsbehörde stütze, den Vertrag mit dem Kläger zu kündigen.

16      Am 10. Juli 2023 stellte die Einstellungsbehörde die Gründe für ihre Absicht dar, den Vertrag mit dem Kläger zu kündigen, und lud diesen zu einem für den 18. Juli 2023 angesetzten Gespräch ein. Sollte er zu diesem Zeitpunkt nicht verfügbar sein, könne er seine schriftliche Stellungnahme spätestens bis zum 24. Juli 2023 einreichen.

17      Am 13. Juli 2023 antwortete die Anwältin des Klägers, dass sie am 18. Juli 2023 nicht verfügbar sei. Verbunden mit dem Hinweis, dass der Kläger spätestens bis zum 24. Juli 2023 seine schriftliche Stellungnahme einreichen werde, schlug sie vor, das Gespräch auf die Zeit nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub zu verschieben, und wiederholte erneut ihren Antrag auf Zugang zu den Dokumenten, auf die sich die Absicht der Einstellungsbehörde stütze, den Vertrag des Klägers zu kündigen.

18      Am 20. Juli 2023 reichte der Kläger seine schriftliche Stellungnahme zu der Absicht der Einstellungsbehörde ein, seinen Vertrag zu kündigen.

19      Am 7. September 2023 hob die Einstellungsbehörde die zeitweilige Dienstenthebung des Klägers auf und teilte ihm mit, dass eine Entscheidung nach Art. 3 des Anhangs IX des Statuts aufgrund laufender strafrechtlicher Ermittlungen, der Gesamtkomplexität der Situation und ihrer Verpflichtung, alle relevanten Umstände des Falls zu berücksichtigen, noch nicht getroffen worden sei.

20      Am 15. September 2023 erließ die Einstellungsbehörde wegen der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen der S&D-Fraktion und dem Kläger gemäß Art. 47 Buchst. c Ziff. i BBSB die angefochtene Entscheidung.

21      Am 8. Dezember 2023 legte der Kläger gemäß Art. 90 Abs. 2 des Statuts eine Beschwerde gegen die angefochtene Entscheidung ein.

22      Am 15. März 2024 teilte die Einstellungsbehörde in einem Schreiben mit dem Betreff „Fortgang der Verwaltungsuntersuchung und der Anhörung vom März 2023“ und „Absicht, eine Ermahnung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b des Anhangs IX des Statuts auszusprechen“ dem Kläger mit, dass sie nun beschlossen habe, den Erlass einer Entscheidung nach Art. 3 des Anhangs IX des Statuts auszusetzen, und dass eine endgültige Entscheidung erst getroffen werde, nachdem die Entscheidung des angerufenen nationalen Gerichts rechtskräftig geworden sei, um die Tatsachenfeststellungen, zu denen die belgischen Behörden gelangen würden, zu berücksichtigen.

23      Da die Beschwerde vom 8. Dezember 2023 nicht innerhalb der in Art. 90 Abs. 2 des Statuts vorgesehenen Frist von vier Monaten beantwortet wurde, galt sie mit dem 8. April 2024 zunächst als stillschweigend zurückgewiesen. Mit Entscheidung vom 17. April 2024 wies der Vorstand der S&D-Fraktion die Beschwerde innerhalb der in Art. 91 Abs. 3 zweiter Gedankenstrich des Statuts genannten Frist von drei Monaten aber ausdrücklich zurück.

 Anträge der Parteien

24      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung und, soweit erforderlich, die ausdrückliche Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde aufzuheben;

–        das Parlament zum Ersatz des erlittenen materiellen und immateriellen Schadens zu verurteilen;

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen, auch wenn die Klage abgewiesen werden sollte.

25      Das Parlament beantragt,

–        die Aufhebungsanträge als unbegründet zurückzuweisen;

–        den Schadensersatzantrag als teilweise unzulässig und jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zu den Aufhebungsanträgen

26      Da die ausdrückliche Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde keinen eigenständigen Inhalt hat, weil sie nur die angefochtene Entscheidung bestätigt, ist festzustellen, dass der vorliegende Antrag allein auf die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gerichtet ist, deren Rechtmäßigkeit unter Berücksichtigung der in der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde enthaltenen Begründung zu prüfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Januar 1989, Vainker/Parlament, 293/87, EU:C:1989:8, Rn. 8, und vom 6. Juli 2022, MZ/Kommission, T‑631/20, EU:T:2022:426, Rn. 21).

 Zum fünften Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen die Begründungspflicht gerügt wird

27      Der Kläger macht geltend, die angefochtene Entscheidung enthalte keine Begründung, da die Einstellungsbehörde weder die Gründe für ihre Entscheidung, den mit dem Kläger geschlossenen Vertrag zu dem gewählten Zeitpunkt zu kündigen, noch die Gründe, weshalb sie keine weniger belastende Sanktion erlassen habe, erläutert habe. Außerdem habe sie ihre Entscheidung, den Zugang zu allen zum Erlass der angefochtenen Entscheidung verwendeten Dokumenten zu verweigern, nicht begründet.

28      Das Parlament tritt diesem Vorbringen entgegen.

29      Wenn der Vertrag mit einem Bediensteten auf Zeit wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses gekündigt wird, muss die Einstellungsbehörde die tatsächlichen Umstände darlegen, die erkennen lassen oder rechtfertigen, dass das Vertrauensverhältnis zerstört ist, damit der Betroffene beurteilen kann, ob die Kündigung seines Vertrags begründet ist, und das Gericht seine Rechtmäßigkeitskontrolle ausüben kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, WN/Parlament, T‑431/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:781, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Im vorliegenden Fall geht aus der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Einstellungsbehörde den Vertrag mit dem Kläger ordentlich kündigte, nachdem sie festgestellt hatte, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und der S&D-Fraktion insgesamt irreparabel zerstört worden sei. Die Einstellungsbehörde ist der Ansicht, die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses folge aus dem Verhalten des Klägers, der die oben in Rn. 4 genannte Zuwendung angenommen habe und nach Katar gereist sei, ein Verhalten, das im Kontext der Ermittlungen der belgischen Behörden zu möglichen unzulässigen Lobbying-Aktivitäten Katars dem Ruf dieser Fraktion geschadet habe.

31      In der ausdrücklichen Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde fügte der Vorstand der S&D-Fraktion hinzu, dass die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses ihren Grund auch darin habe, dass der Kläger seine Vorgesetzten verspätet über seine Reise nach Katar informiert habe, nämlich erst eine Woche nach der Veröffentlichung von Presseartikeln über die Ermittlungen der belgischen Behörden und der Verhaftung des akkreditierten parlamentarischen Assistenten, der ihm die Eintrittskarten für das Fußballspiel angeboten und seine Reise- und Unterbringungskosten übernommen habe.

32      Damit hat die Einstellungsbehörde rechtlich hinreichend die tatsächlichen Umstände dargelegt, die die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses rechtfertigten, derentwegen der Vertrag mit dem Kläger gekündigt wurde. Somit genügt die Begründung der angefochtenen Entscheidung, damit der Kläger die Rechtfertigungsgründe erkennen kann, die von der Einstellungsbehörde dafür angeführt wurden, dass sie zum betreffenden Zeitpunkt den Vertrag mit ihm kündigte und keine weniger belastende Maßnahme erließ.

33      Diese Schlussfolgerung wird nicht durch das Vorbringen entkräftet, dass die Einstellungsbehörde ihre Weigerung, Zugang zu den Dokumenten zu gewähren, auf die sie sich beim Erlass der angefochtenen Entscheidung gestützt habe, nicht begründet habe.

34      Die Verpflichtung zur Begründung einer Entscheidung über die Kündigung eines unbefristeten Vertrags erfordert nämlich lediglich, dass die Einstellungsbehörde die Gründe angibt, die diese Entscheidung rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2009, ETF/Landgren, T‑404/06 P, EU:T:2009:313, Rn. 156), was sie im vorliegenden Fall auch getan hat. Unterstellt man als erwiesen, dass die Einstellungsbehörde ihre Weigerung, Zugang zu allen relevanten Dokumenten zu gewähren, nicht begründet hat, ist dieser Umstand daher für die Beurteilung, ob die Begründung der angefochtenen Entscheidung genügte, unerheblich.

35      Der fünfte Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen die Begründungspflicht geltend gemacht wird, ist daher zurückzuweisen.

 Zum ersten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 3 des Anhangs IX des Statuts und ein Ermessens- oder Verfahrensmissbrauch gerügt werden

36      Der Kläger trägt vor, die Einstellungsbehörde habe gegen Art. 3 des Anhangs IX des Statuts verstoßen und folglich durch den Erlass der angefochtenen Entscheidung einen Ermessens- oder Verfahrensmissbrauch begangen. In diesem Zusammenhang macht er geltend, Art. 3 des Anhangs IX des Statuts würde seine praktische Wirksamkeit verlieren, wenn die Verwaltung zur Kündigung des mit ihm geschlossenen Vertrags ohne eine Weiterverfolgung der gegen ihn eingeleiteten Verwaltungsuntersuchung und der in diesem Artikel vorgesehenen Anhörung vor der Einstellungsbehörde berechtigt sei. Ohne eine Entscheidung der Einstellungsbehörde nach diesem Artikel käme die angefochtene Entscheidung daher einer verschleierten Disziplinarstrafe gleich.

37      Das Parlament tritt diesem Vorbringen entgegen.

38      Im vorliegenden Fall hat sich die Einstellungsbehörde dafür entschieden, den Vertrag des Klägers gemäß Art. 47 Buchst. c Ziff. i BBSB ordentlich zu kündigen, und nicht für die Anwendung von Art. 49 BBSB, der vorsieht, dass nach Abschluss des Disziplinarverfahrens gemäß Anhang IX des Statuts das Beschäftigungsverhältnis aus disziplinarischen Gründen fristlos gekündigt werden kann, wenn der Bedienstete seine Pflichten gröblich verletzt hat. Im Übrigen hat die Einstellungsbehörde dem Kläger in der angefochtenen Entscheidung keine Verletzung seiner Pflichten aus Art. 11 des Statuts vorgeworfen.

39      In diesem Rahmen kann das Vorbringen des Klägers zur Stützung des ersten Klagegrundes nur Erfolg haben, wenn die Einstellungsbehörde verpflichtet gewesen wäre, eine Entscheidung nach Art. 3 des Anhangs IX des Statuts zu erlassen, bevor sie die Möglichkeit der Kündigung seines Vertrags unter den in Art. 47 BBSB vorgesehenen Bedingungen prüfte.

40      Die Unionsgerichte haben wiederholt entschieden, dass die Einstellungsbehörde selbst im Fall eines Dienstvergehens, das die Entlassung eines Bediensteten auf Zeit aus disziplinarischen Gründen rechtfertigen kann, durch nichts verpflichtet ist, ein Disziplinarverfahren gegen den Betroffenen einzuleiten, statt von der Möglichkeit der einseitigen Beendigung des Vertrags nach Art. 47 Buchst. c Ziff. i BBSB Gebrauch zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Juli 2011, Longinidis/Cedefop, T‑283/08 P, EU:T:2011:338, Rn. 100, und vom 8. Mai 2024, UF/Kommission, T‑24/23, EU:T:2024:293, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Zwar ist die Einstellungsbehörde nach Erhalt des Berichts über eine nach Art. 2 des Anhangs IX des Statuts eingeleitete Untersuchung verpflichtet, eine der drei in Art. 3 dieses Anhangs beschriebenen Optionen wahrzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2024, DD/FRA, C‑587/21 P, EU:C:2024:1017, Rn. 40). Im vorliegenden Fall geht aus den oben in den Rn. 19 und 22 genannten Schreiben der Einstellungsbehörde vom 7. September 2023 und 15. März 2024 hervor, dass sie beabsichtigt, dem Untersuchungsbericht gemäß Art. 3 des Anhangs IX des Statuts Folge zu leisten, wenn die Tatsachenfeststellungen der belgischen Behörden endgültig geworden sind.

42      Das Vorliegen einer nach Art. 3 des Anhangs IX des Statuts zu treffenden Entscheidung hindert die Einstellungsbehörde jedoch nicht, den unbefristeten Vertrag des Betroffenen gemäß Art. 47 Buchst. c Ziff. i BBSB ordentlich zu kündigen, wenn sie feststellt, dass die ihr zur Kenntnis gebrachten Umstände auf eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses schließen lassen, die einer Fortsetzung des Dienstverhältnisses entgegensteht, und zwar unabhängig davon, ob diese Umstände auch eine Verletzung der statutarischen Pflichten durch den Betroffenen zeigen können.

43      Der Umstand, dass der Vertrag mit dem Kläger auf der Grundlage von Art. 47 Buchst. c Ziff. i BBSB gekündigt wurde, stellt daher keinen Verstoß gegen Art. 3 des Anhangs IX des Statuts dar.

44      Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die dem Gericht vorliegende Akte keine objektiven, relevanten und übereinstimmenden Hinweise enthält, die belegen könnten, dass die angefochtene Entscheidung mit dem ausschließlichen oder zumindest ausschlaggebenden Ziel getroffen wurde, andere als die angegebenen Zwecke zu erreichen, so dass kein Ermessens- oder Verfahrensmissbrauch festgestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Januar 2023, NS/Parlament, T‑805/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:22, Rn. 119 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Entgegen dem Vorbringen des Klägers nimmt diese Schlussfolgerung Art. 3 des Anhangs IX des Statuts nicht seine praktische Wirksamkeit.

46      Die Kündigung des Vertrags mit dem Betroffenen hindert die Einstellungsbehörde nämlich nicht, eine Wahl zwischen den drei in Art. 3 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Optionen zu treffen, was sie spätestens dann tun muss, wenn die Tatsachenfeststellungen der belgischen Behörden endgültig geworden sind.

47      Wenn die Einstellungsbehörde der Auffassung ist, dass die dem Kläger zur Last gelegten Handlungen so schwerwiegend sind, dass sie die Einleitung eines Disziplinarverfahrens mit oder ohne Anhörung des Disziplinarrats gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c des Anhangs IX des Statuts rechtfertigen, hat die Kündigung seines Vertrags vor der möglichen Einleitung eines Disziplinarverfahrens allenfalls zur Folge, dass die Wahl der Sanktion, die die Einstellungsbehörde gegebenenfalls gegen ihn verhängen kann, eingeschränkt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. April 2017, OU/Kommission, T‑569/16, EU:T:2017:285, Rn. 35).

48      In Anbetracht dieser Erwägungen ist der erste Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 3 des Anhangs IX des Statuts und ein Ermessens- oder Verfahrensmissbrauch geltend gemacht werden, zurückzuweisen.

 Zum vierten Klagegrund, mit dem eine Verletzung der Verteidigungsrechte gerügt wird

49      Das Vorbringen des Klägers besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen, mit denen er dem Parlament zum einen vorwirft, die für ihn geltende Unschuldsvermutung missachtet zu haben, und zum anderen, ihn vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht angehört zu haben.

–       Zum ersten Teil des vierten Klagegrundes, mit dem eine Verletzung des Rechts auf Achtung der Unschuldsvermutung gerügt wird

50      Der Kläger macht geltend, durch die Kündigung seines Vertrags, die Pressemitteilung vom 20. Dezember 2022 und die Entfernung seines Profils aus dem im Internet veröffentlichten Organigramm der S&D-Fraktion werde die für ihn geltende Unschuldsvermutung missachtet.

51      Das Parlament tritt diesem Vorbringen entgegen.

52      Was zunächst die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung der Pressemitteilung vom 20. Dezember 2022 und die Entfernung des Profils des Klägers aus dem Organigramm auf der Website der S&D-Fraktion betrifft, genügt die Feststellung, dass diese Handlungen nicht die Vorbereitung der Kündigung seines Vertrags betreffen und als solche daher nicht mit dem Gegenstand der vorliegenden Klage in Zusammenhang stehen. Selbst wenn diese Handlungen rechtswidrig wären, könnte dies daher nicht zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen.

53      Dieses Vorbringen geht folglich ins Leere.

54      Was die Frage anbelangt, ob in der angefochtenen Entscheidung die zugunsten des Klägers geltende Unschuldsvermutung nicht beachtet wurde, ist darauf hinzuweisen, dass sich eine Beeinträchtigung der Unschuldsvermutung aus Erklärungen oder Entscheidungen von Trägern öffentlicher Gewalt ergeben kann, die das Gefühl vermitteln, dass sich der Betreffende einer Straftat schuldig gemacht habe, die die Öffentlichkeit dazu verleiten, ihn für schuldig zu halten, oder die der strafrechtlichen Würdigung des Sachverhalts vorgreifen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2021, DI/BCE, T‑514/19, EU:T:2021:332, Rn. 117 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie der Kläger in der Klageschrift ausführt, hat die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Wortwahl der Träger öffentlicher Gewalt hervorgehoben. Es ist insoweit wichtig, den wirklichen Sinn der fraglichen Erklärungen und nicht ihre wörtliche Bedeutung sowie die besonderen Umstände, unter denen sie abgegeben wurden, zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 30. November 2022, KN/Parlament, T‑401/21, EU:T:2022:736, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Im vorliegenden Fall liegen der Kündigung des Vertrags mit dem Kläger unstreitige Tatsachen zugrunde, die er selbst der Einstellungsbehörde mitgeteilt hat. Außerdem beschränkt sich die angefochtene Entscheidung auf die Feststellung, dass das für die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unerlässliche Vertrauensverhältnis weggefallen ist, ohne sich zu der gesonderten Frage zu äußern, ob der Kläger gegen seine Verpflichtungen aus Art. 11 des Statuts verstoßen hat. Daher greift diese Entscheidung dem Ergebnis eines etwaigen Disziplinarverfahrens nicht vor und verstößt als solche nicht gegen sein Recht auf Achtung der Unschuldsvermutung.

56      Ferner ist zu prüfen, ob die Formulierungen, mit denen die Einstellungsbehörde die Kündigung des Vertrags mit dem Kläger gerechtfertigt hat, das Gefühl vermitteln, dass er sich einer Straftat schuldig gemacht habe, die Öffentlichkeit dazu verleiten, ihn für schuldig zu halten, oder der strafrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts vorgreifen.

57      Auf die Frage in der mündlichen Verhandlung, welche der in der angefochtenen Entscheidung verwendeten Formulierungen seiner Ansicht nach die für ihn geltende Unschuldsvermutung beeinträchtigten, hat sich der Kläger darauf beschränkt, sich auf einen Absatz der angefochtenen Entscheidung zu berufen, der die Pressemitteilung vom 20. Dezember 2022 erwähnt, und auf die in dieser Pressemitteilung verwendeten Formulierung zu verweisen, wonach ein Bediensteter der S&D-Fraktion „nach schwerwiegendem Fehlverhalten im Zusammenhang mit den laufenden strafrechtlichen Ermittlungen“ beurlaubt worden sei.

58      In dieser Passage der angefochtenen Entscheidung begnügt sich die Einstellungsbehörde damit, die Pressemitteilung vom 20. Dezember 2022 im Rahmen ihrer Zusammenfassung des Vorbringens des Klägers in seiner oben in Rn. 18 genannten schriftlichen Stellungnahme vom 20. Juli 2023 zu erwähnen. Die vom Vorstand der S&D-Fraktion in dieser Pressemitteilung verwendeten Formulierungen hat die Einstellungsbehörde nicht übernommen.

59      Diese Passage der angefochtenen Entscheidung lässt daher keine Missachtung der für den Kläger geltenden Unschuldsvermutung erkennen.

60      Folglich ist der erste Teil des vierten Klagegrundes, mit dem eine Verletzung des Rechts auf Achtung der Unschuldsvermutung geltend gemacht wird, zurückzuweisen.

–       Zum zweiten Teil des vierten Klagegrundes, mit dem die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt wird

61      Der Kläger trägt vor, die Einstellungsbehörde habe erstens seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie es trotz seiner wiederholten Aufforderungen abgelehnt habe, ihm die relevanten Dokumente, auf die sich die angefochtene Entscheidung stütze, zu übermitteln. Zweitens habe die Einstellungsbehörde ihm das Recht verweigert, in einem Gespräch angehört zu werden. Drittens habe er nicht genügend Zeit gehabt, seine schriftliche Stellungnahme vorzubereiten, da er nur zwischen dem 11. und 17. Juli 2023 Zugang zu seinen E‑Mails gehabt habe und am 14. Juli 2023 den ganzen Tag über ein Problem beim Zugang zu den Mails gehabt habe.

62      Das Parlament tritt diesem Vorbringen entgegen.

63      Erstens kann dem Vorbringen des Klägers, mit dem dieser die Weigerung der Einstellungsbehörde, ihm alle zur Stützung der angefochtenen Entscheidung verwendeten Dokumente zu übermitteln, geltend mache, nicht gefolgt werden.

64      Die Einstellungsbehörde hat nämlich zunächst den Kläger in dem Schreiben vom 31. Mai 2023 davon in Kenntnis gesetzt, dass ihre Absicht, den Vertrag mit ihm zu kündigen, auf den Informationen beruhe, die er selbst am 16. Dezember 2022 an die S&D-Fraktion weitergegeben habe. Danach hat die Einstellungsbehörde in dem Schreiben vom 10. Juli 2023 auf den Antrag des Klägers auf Zugang zu allen relevanten Dokumenten geantwortet und ihm bestätigt, dass ihre Absicht, ihm zu kündigen, auf den Tatsachen beruhe, die dem Generalsekretär der S&D-Fraktion am 16. Dezember 2022 zur Kenntnis gebracht worden seien. Um die Schädigung des Rufs der S&D-Fraktion zu belegen, hat die Einstellungsbehörde diesem Schreiben schließlich Artikel aus der italienischen Presse beigefügt, in denen der Kläger namentlich als eine der Personen genannt wird, die in die Aktivitäten verwickelt seien, die Gegenstand der Ermittlungen der belgischen Behörden seien.

65      In der angefochtenen Entscheidung hat die Einstellungsbehörde bestätigt, dass die Kündigung des Vertrags mit dem Kläger ausschließlich darauf beruhe, dass es angesichts der von ihm nicht bestrittenen Tatsachen und der Schädigung des Rufs der S&D-Fraktion unmöglich sei, ein Verhältnis des gegenseitigen Vertrauens aufrechtzuerhalten.

66      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der Kläger über alle relevanten Informationen verfügte, um zur Absicht der Einstellungsbehörde, seinen Vertrag zu kündigen, sachgerecht Stellung nehmen zu können.

67      Zweitens kann der Umstand, dass der Kläger vor Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht mündlich gehört wurde, keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör begründen.

68      Nach der Rechtsprechung kann dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Rahmen eines von der Einstellungsbehörde eingeleiteten schriftlichen und/oder mündlichen Austauschs, dessen Nachweis dieser Behörde obliegt, Rechnung getragen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. November 2023, MG/BEI, C‑173/22 P, EU:C:2023:932, Rn. 32, und vom 3. Juni 2015, BP/FRA, T‑658/13 P, EU:T:2015:356, Rn. 54).

69      Im vorliegenden Fall bot die Einstellungsbehörde dem Kläger an, eine schriftliche Stellungnahme einzureichen, falls er nicht an einem mündlichen Gespräch teilnehmen könne, woraufhin dieser am 20. Juli 2023 seine schriftliche Stellungnahme zum Entwurf der angefochtenen Entscheidung einreichte. Folglich kann er der Einstellungsbehörde nicht vorwerfen, sie habe diese Entscheidung ohne seine vorherige Anhörung erlassen.

70      Diese Schlussfolgerung wird nicht durch Art. 19 Abs. 2 der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu den Auswahl- und Ausleseverfahren, der Einstellung und der Einstufung von Beamten und sonstigen Bediensteten des Parlaments entkräftet, der verlangt, dass die Einstellungsbehörde den Betroffenen zu einem Gespräch einlädt, bevor sie seinen Vertrag kündigt.

71      Denn die Einstellungsbehörde hat den Kläger tatsächlich dreimal zu einem Gespräch vor seiner Kündigung eingeladen, und zwar am 31. Mai, 15. Juni und 10. Juli 2023, Einladungen, die dieser mit Hinweis auf die fehlende Verfügbarkeit seiner Anwältin ablehnte.

72      Daher kann das Fehlen eines mündlichen Austauschs aus Gründen, die nicht von der Verwaltung zu verantworten sind, nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen.

73      Drittens verfügte der Kläger entgegen seinem Vorbringen über eine ausreichende Frist, um vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung sachgerecht Stellung zu nehmen.

74      Der Kläger wurde nämlich zwischen dem 31. Mai 2023, als die Einstellungsbehörde ihm ihre Absicht mitteilte, seinen Vertrag zu kündigen, und dem 15. September 2023, als die angefochtene Entscheidung erlassen wurde, im Rahmen eines von der Einstellungsbehörde eingeleiteten schriftlichen Austauschs angehört, und er verfügte in diesem Zeitraum über eine ausreichende Frist, um zum Entwurf der Kündigungsentscheidung Stellung zu nehmen und seine Verteidigung vorzubereiten. Diese Frist erscheint zumal deshalb als ausreichend, weil die tatsächlichen Umstände, die der Kündigung des Vertrags zugrunde lagen, dem Kläger genau bekannt waren, da er sie selbst seinen Vorgesetzten zur Kenntnis gebracht hatte.

75      Der Umstand, dass er nur zwischen dem 11. und dem 17. Juli 2023 Zugang zu seinen E‑Mails sowie am 14. Juli 2023 den ganzen Tag über Zugangsprobleme hatte, ist nicht geeignet, diese Feststellung zu entkräften.

76      Denn der Zeitraum von sechs Tagen, in dem der Kläger Zugang zu seinen E‑Mails hatte, lässt sich nicht als ein kurzer Zeitraum einstufen. Darüber hinaus macht der Kläger nicht geltend, dass er eine Verlängerung seines Zugangs beantragt hätte und dass das Parlament den Antrag abgelehnt hätte.

77      Jedenfalls war es Sache des Klägers, darzulegen, welche Argumente und Umstände er hätte geltend machen können, wenn ihm eine längere Frist zur Verfügung gestanden hätte, und gegebenenfalls darzutun, dass diese Argumente und Umstände in seinem Fall zu einem anderen Ergebnis hätten führen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2019, PT/BEI, T‑573/16, EU:T:2019:481, Rn. 269, nicht veröffentlicht, und die dort angeführte Rechtsprechung), was er nicht getan hat.

78      Der zweite Teil des vierten Klagegrundes, mit dem eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird, ist daher zurückzuweisen. Folglich ist der vierte Klagegrund, mit dem eine Verletzung der Verteidigungsrechte gerügt wird, insgesamt zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund, mit dem das Vorliegen offensichtlicher Beurteilungsfehler gerügt wird

79      Der Kläger macht geltend, die angefochtene Entscheidung beruhe auf offensichtlich fehlerhaften Gründen. Die Einstellungsbehörde sei unzutreffend davon ausgegangen, er habe eine Zuwendung von einer Quelle außerhalb des Parlaments angenommen, da diese Zuwendung von seinem Kollegen stamme und er nach vernünftiger Betrachtung nicht habe wissen können, dass dieser möglicherweise korrupt sei. Somit könne der Umstand, dass er zwei Eintrittskarten für ein Fußballspiel erhalten habe, von der Öffentlichkeit nicht als Interessenkonflikt oder Mangel an Unabhängigkeit wahrgenommen werden. Ferner gebe es keinen Grund zu der Annahme, dass die von seinem Kollegen angebotene Reise nach Katar als Gegenleistung für seine Arbeit im Parlament gedacht gewesen sei, insbesondere angesichts der Tatsache, dass er nicht die Möglichkeiten gehabt habe, den Entscheidungsprozess des Parlaments zu beeinflussen. Im Gegenteil habe er, als er den Entschließungsantrag zur Menschenrechtslage in Katar im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft verfasst habe, in diesem Kontext mehrere kritische Anmerkungen gemacht. Schließlich bestehe ein Widerspruch zwischen der angefochtenen Entscheidung, die sich nach Ansicht der Einstellungsbehörde auf feststehende Tatsachen stütze, die eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses belegten, und der Entscheidung, den Erlass einer Entscheidung nach Art. 3 des Anhangs IX des Statuts mit der Begründung auszusetzen, dass der Sachverhalt noch nicht hinreichend nachgewiesen sei.

80      Das Parlament tritt diesem Vorbringen entgegen.

81      Nach der Rechtsprechung beruht das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses nicht auf objektiven Gesichtspunkten und entzieht sich naturgemäß der gerichtlichen Kontrolle, da das Gericht seine Beurteilung nicht an die Stelle derjenigen der Verwaltung setzen kann. Da ein Organ jedoch verpflichtet ist, die Gründe für den Vertrauensverlust durch Bezugnahme auf einen konkreten Sachverhalt zu erläutern, muss das Unionsgericht prüfen, ob diese Gründe auf einem zutreffenden Sachverhalt beruhen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Oktober 2022, EG/Ausschuss der Regionen, C‑539/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:840, Rn. 110, und vom 8. Mai 2024, UF/Kommission, T‑24/23, EU:T:2024:293, Rn. 58).

82      Im vorliegenden Fall bestreitet der Kläger nicht, dass der Sachverhalt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht, zutreffend ist.

83      Insoweit steht fest, dass der Kläger einige Tage nach der Annahme der Entschließung vom 24. November 2022 von einem Kollegen eine Zuwendung annahm, die aus zwei Eintrittskarten für ein Spiel der Fußballweltmeisterschaft bestand, und dass er mit seiner Partnerin vom 8. bis 11. Dezember 2022 nach Katar reiste, um dieses Fußballspiel zu besuchen. Die Reise- und Unterbringungskosten wurden von diesem Kollegen übernommen. Ebenso ist unstreitig, dass der Kläger seine Vorgesetzten erst am 16. Dezember 2022 über diese Reise informierte, d. h. eine Woche, nachdem die Ermittlungen der belgischen Behörden öffentlich gemacht worden waren.

84      Im Hinblick auf die Aufgaben des Klägers in der S&D-Fraktion hat die Einstellungsbehörde keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie feststellte, dass sein Verhalten geeignet war, in der Öffentlichkeit den Eindruck eines Mangels an Unabhängigkeit gegenüber dem Einfluss von Quellen außerhalb der S&D-Fraktion zu erzeugen und damit dem Ansehen dieser Fraktion zu schaden. In einem solchen politischen Umfeld kann sich der Vertrauensverlust mit guten Gründen aus der Schädigung des Rufs der Fraktion, in der der Betreffende seine Aufgaben wahrnimmt, ergeben.

85      Darüber hinaus ist zu betonen, dass einige Presseartikel, in denen der Name des Klägers im Zusammenhang mit dem „Katargate“-Skandal erwähnt wurde, vor dem 16. Dezember 2022 veröffentlicht wurden, d. h., bevor der Kläger seine Vorgesetzten über seinen Aufenthalt in Katar und die Umstände, unter denen er in dieses Land gereist war, informierte, so dass der Vorstand der S&D-Fraktion auch insoweit keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler beging, als er feststellte, dass das Vertrauensverhältnis dadurch beeinträchtigt worden war, dass der Kläger seine Vorgesetzten erst verspätet über die fraglichen Tatsachen informiert hatte.

86      Aus diesen Umständen ist zu schließen, dass der Kläger nicht dargetan hat, dass die Einstellungsbehörde mit ihrer Feststellung einer irreparablen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat.

87      Diese Schlussfolgerung wird durch das Vorbringen des Klägers nicht entkräftet.

88      Erstens hat der Umstand, dass die Zuwendung, die der Kläger angenommen hat, nicht von einer „Person außerhalb“ des Parlaments stammen soll, keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung, in der dem Kläger kein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 des Statuts vorgeworfen wird. Außerdem konnte der Kläger, auch wenn der akkreditierte parlamentarische Assistent, der ihm die Zuwendung anbot, ein Mitglied des Personals des Parlaments ist, nach vernünftiger Betrachtung nicht davon ausgehen, dass die ihm angebotene Zuwendung vom Organ selbst in dessen Eigenschaft als Dienstgeber stammt.

89      Zweitens ist auch unerheblich, dass die von ihm angenommene Zuwendung nicht dazu bestimmt gewesen sein soll, ihn für seine Dienste zu belohnen. Die Einstellungsbehörde hat sich nämlich bei ihrer Feststellung, dass das Vertrauensverhältnis gestört sei, auch nicht auf diese Erwägung gestützt.

90      Da drittens das Verfahren zur ordentlichen Kündigung des Vertrags mit einem Bediensteten auf Zeit nicht denselben Gegenstand wie ein Disziplinarverfahren hat, ist es nicht widersprüchlich, zu dem Schluss zu gelangen, dass die Tatsachen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, hinreichend nachgewiesen sind, um eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses festzustellen, und gleichzeitig die Auffassung zu vertreten, dass der Erlass einer Entscheidung nach Art. 3 des Anhangs IX des Statuts ausgesetzt werden muss, damit die von den belgischen Behörden getroffenen Tatsachenfeststellungen berücksichtigt werden können, bevor über den Fortgang der nach Art. 2 dieses Anhangs eingeleiteten Verwaltungsuntersuchung entschieden wird.

91      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist der zweite Klagegrund, mit dem offensichtliche Beurteilungsfehler geltend gemacht werden, zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerügt wird

92      Der Kläger macht geltend, die Kündigung seines Vertrags sei eine unverhältnismäßige Maßnahme, da er nach Treu und Glauben gehandelt habe, indem er seine Vorgesetzten zügig über den Sachverhalt informiert und umfassend mit den belgischen Behörden zusammengearbeitet habe.

93      Das Parlament tritt diesem Vorbringen entgegen.

94      Insoweit genügt der Hinweis, dass die Einstellungsbehörde berechtigt ist, den mit einem Bediensteten auf Zeit geschlossenen Vertrag gemäß Art. 47 Buchst. c Ziff. i BBSB zu kündigen, wenn das Verhalten des Bediensteten sie zu der Auffassung veranlasst, dass das für die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unerlässliche Vertrauensverhältnis zerstört ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 2004, Parlament/Reynolds, C‑111/02 P, EU:C:2004:265, Rn. 56, und vom 21. Juni 2023, UG/Kommission, T‑571/17 RENV, EU:T:2023:351, Rn. 384 [nicht veröffentlicht]).

95      Da die Einstellungsbehörde keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler oder Ermessensmissbrauch beging, als sie feststellte, dass das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört war, konnte sie den Vertrag mit dem Kläger kündigen, ohne gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verstoßen.

96      Der dritte Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht wird, ist daher zurückzuweisen.

 Zum sechsten Klagegrund, mit dem eine Verletzung der Fürsorgepflicht gerügt wird

97      Der Kläger macht geltend, die Einstellungsbehörde habe die Auswirkungen, die die angefochtene Entscheidung auf seine Beschäftigungsaussichten, seinen Gesundheitszustand, seinen Ruf sowie seine berufliche und finanzielle Lage haben werde, nicht berücksichtigt.

98      Das Parlament tritt diesem Vorbringen entgegen.

99      Zwar ist das Interesse eines Bediensteten an seiner Weiterbeschäftigung für sich genommen nicht geeignet, die Kündigung seines Vertrags zu verhindern, doch gebietet es die Fürsorgepflicht der Einstellungsbehörde gegenüber ihren Bediensteten, das persönliche Interesse des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Oktober 2014, EMA/BU, T‑444/13 P, EU:T:2014:865, Rn. 35 und 36).

100    Aus der angefochtenen Entscheidung geht hierzu hervor, dass die Einstellungsbehörde sogar über das hinausging, was ihre Fürsorgepflicht erfordert, da sie den Vorschlag des Klägers in seinen schriftlichen Stellungnahmen, eine Alternative zur Kündigung seines Vertrags zu finden, prüfte und sich mit der Frage befasste, ob eine Umsetzung auf eine andere Stelle innerhalb der S&D-Fraktion geeignet sein könnte, das Vertrauensverhältnis wiederherzustellen.

101    Eine solche Prüfung reicht aus, um nachzuweisen, dass die Einstellungsbehörde das persönliche Interesse des Klägers an einer Weiterbeschäftigung berücksichtigt hat. Dabei hat die Einstellungsbehörde die ihr im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger obliegende Abwägung der bestehenden Interessen vorgenommen.

102    Der sechste Klagegrund, mit dem eine Verletzung der Fürsorgepflicht geltend gemacht wird, ist daher zurückzuweisen, weshalb auch die Aufhebungsanträge insgesamt zurückzuweisen sind.

 Zum Schadensersatzantrag

103    Der Kläger beantragt Ersatz des aufgrund der angefochtenen Entscheidung erlittenen materiellen und immateriellen Schadens.

104    Das Parlament tritt diesem Vorbringen entgegen.

105    Da die Prüfung der Aufhebungsanträge nicht ergeben hat, dass die Einstellungsbehörde mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung rechtswidrig gehandelt hat, fehlt es an der ersten Voraussetzung für eine Haftung des Parlaments, nämlich der Rechtswidrigkeit des ihm vorgeworfenen Verhaltens. Folglich ist der Schadensersatzantrag als unbegründet zurückzuweisen, ohne dass seine Zulässigkeit (siehe oben, Rn. 25) oder die anderen Voraussetzungen für eine Haftung des Parlaments, nämlich das Vorliegen eines Schadens und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem Schaden und der vorgeworfenen Rechtswidrigkeit, zu prüfen sind.

106    Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

 Kosten

107    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Außerdem kann das Gericht nach Art. 135 Abs. 2 der Verfahrensordnung eine obsiegende Partei zur Tragung eines Teils der Kosten oder sämtlicher Kosten verurteilen, wenn dies wegen ihres Verhaltens, auch vor Klageerhebung, gerechtfertigt erscheint; dies gilt insbesondere für Kosten, die sie der Gegenpartei nach Ansicht des Gerichts ohne angemessenen Grund oder böswillig verursacht hat.

108    Im vorliegenden Fall ist der Kläger mit seinen Anträgen unterlegen und hat nicht dargelegt, welches „Verhalten“ des Parlaments ihn zur Erhebung der vorliegenden Klage gezwungen haben soll. Daher sind ihm gemäß dem Antrag des Parlaments die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      EO trägt die Kosten.

Svenningsen

Mac Eochaidh

Stancu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. Juni 2025.

Unterschriften



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