Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)
2. April 2025(* )
„ Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen – Einfrieren von Geldern – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Beschränkungen der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten Beschränkungen unterliegt – Belassung des Namens des Klägers auf den Listen – Begründungspflicht – Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und d des Beschlusses 2014/145/GASP – Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und d der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 – Beurteilungsfehler – Anspruch auf rechtliches Gehör – Unionsbürgerschaft – Freizügigkeit – Eigentumsrecht – Verhältnismäßigkeit “
In der Rechtssache T‑298/23,
Elena Petrovna Timchenko, wohnhaft in Moskau (Russland), vertreten durch Rechtsanwälte T. Bontinck und S. Bonifassi sowie E. Federova, J. Goffin und J. Bastien,
Klägerin,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch M.‑C. Cadilhac und V. Piessevaux als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch
Europäische Kommission, vertreten durch C. Giolito und M. Carpus Carcea als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
erlässt
DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer),
unter Mitwirkung des Richters R. Mastroianni in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der Richterin M. Brkan sowie der Richter I. Gâlea, T. Tóth (Berichterstatter) und S. L. Kalėda,
Kanzler: H. Eriksson, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juni 2024
folgendes
Urteil
1 Mit ihrer Klage beantragt die Klägerin, Frau Elena Petrovna Timchenko, zum einen auf der Grundlage von Art. 263 AEUV die Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2023/572 des Rates vom 13. März 2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2023, L 75 I, S. 134), sowie der Durchführungsverordnung (EU) 2023/571 des Rates vom 13. März 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2023, L 75 I, S. 1) (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechtsakte), und zum anderen auf der Grundlage von Art. 268 AEUV den Ersatz des immateriellen Schadens, den sie aufgrund des Erlasses dieser Rechtsakte erlitten habe.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Die Klägerin ist die Ehefrau von Herrn Gennady Nikolayevich Timchenko, einem Geschäftsmann. Beide besitzen die russische und die finnische Staatsangehörigkeit.
3 Hintergrund der vorliegenden Rechtssache sind die von der Europäischen Union erlassenen restriktiven Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen.
4 Am 17. März 2014 erließ der Rat der Europäischen Union auf der Grundlage von Art. 29 EUV den Beschluss 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 16).
5 Am selben Tag erließ der Rat auf der Grundlage von Art. 215 AEUV die Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 6).
6 Nach dem Angriff auf die Ukraine durch die Streitkräfte der Russischen Föderation erließ der Rat am 25. Februar 2022 den Beschluss (GASP) 2022/329 zur Änderung des Beschlusses 2014/145 (ABl. 2022, L 50, S. 1), um u. a. die Kriterien anzupassen, nach denen natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen den in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen unterworfen werden können.
7 Art. 2 Abs. 1 und 2 des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung sieht vor:
„(1) Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum stehen oder gehalten oder kontrolliert werden von:
a) natürlichen Personen, die für Handlungen oder politische Maßnahmen, die die territoriale Unversehrtheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine oder die Stabilität oder die Sicherheit in der Ukraine untergraben oder bedrohen, verantwortlich sind oder solche Handlungen oder politischen Maßnahmen unterstützen oder umsetzen oder die die Arbeit von internationalen Organisationen in der Ukraine behindern;
…
d) natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die russische Entscheidungsträger, die für die Annexion der Krim oder die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, materiell oder finanziell unterstützen oder von diesen profitieren;
…
und den mit ihnen verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Anhang aufgeführt sind, werden eingefroren.
(2) Den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen.“
8 Die Einzelheiten dieses Einfrierens von Geldern werden in den weiteren Absätzen dieses Artikels festgelegt.
9 Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung verwehrt natürlichen Personen, die Kriterien erfüllen, welche im Wesentlichen den in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und d dieses Beschlusses genannten entsprechen, die Einreise in oder die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten.
10 Die Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung (EU) 2022/330 des Rates vom 25. Februar 2022 (ABl. 2022, L 51, S. 1) geänderten Fassung sieht den Erlass von Maßnahmen des Einfrierens von Geldern vor und regelt die Modalitäten dieses Einfrierens im Wesentlichen wortgleich mit dem Beschluss 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung. Insbesondere Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und d dieser Verordnung übernimmt nämlich im Wesentlichen die gleichen Kriterien wie diejenigen, die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und d des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung genannt sind (im Folgenden: Kriterium a bzw. Kriterium d).
Erstmalige Aufnahme und Belassung des Namens de r Kläger in auf den Listen der restriktiven Maßnahmen bis 13 . März 2023
11 Am 8. April 2022 erließ der Rat angesichts der sehr ernsten Lage in der Ukraine den Beschluss (GASP) 2022/582 zur Änderung des Beschlusses 2014/145 (ABl. 2022, L 110, S. 55) und die Durchführungsverordnung (EU) 2022/581 zur Durchführung der Verordnung Nr. 269/2014 (ABl. 2022, L 110, S. 3).
12 Der siebte Erwägungsgrund des Beschlusses 2022/582 lautet:
„Angesichts der sehr ernsten Lage hält der Rat es für angebracht, restriktive Maßnahmen gegen führende Geschäftsleute, die in Bereichen der Wirtschaft tätig sind, die der Regierung der Russischen Föderation als wichtige Einnahmequelle dienen, und gegen Personen, die die Regierung der Russischen Föderation unterstützen oder von ihr profitieren, sowie gegen mit diesen Personen verbundene natürliche Personen, einschließlich Familienangehörigen, die von ihnen in unangemessener Weise profitieren, zu verhängen.“
13 Mit diesen Rechtsakten und auf der Grundlage des Dossiers WK 5055/22 (im Folgenden: erstes WK-Dossier) wurde der Name der Klägerin unter der Nr. 903 in die Liste im Anhang des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung und unter derselben Nummer in die Liste in Anhang I der Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/330 geänderten Fassung (im Folgenden: streitige Listen) aufgenommen, und zwar aus folgenden Gründen:
„[Frau] Elena [Petrovna] Timchenko ist die Ehefrau des Milliardärs [Herrn] Gennady [Nikolayevich] Timchenko, der in der Liste des Beschlusses [2014/145] aufgeführt ist. Sie nimmt über die Timchenko-Stiftung an seinen öffentlichen Angelegenheiten teil. Daher profitiert sie von [Herrn] Gennady [Nikolayevich] Timchenko, einem führenden Geschäftsmann, der für die Unterstützung von Handlungen oder politischen Maßnahmen verantwortlich ist, die die territoriale Unversehrtheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine untergraben, und der von russischen Entscheidungsträgern profitiert, die für die rechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind.“
14 Am 11. April 2022 wurde im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2022, C 157, S. 11) eine Mitteilung für die Personen, Organisationen und Einrichtungen, die den restriktiven Maßnahmen nach dem Beschluss 2014/145, geändert durch den Beschluss 2022/582, und nach der Verordnung Nr. 269/2014, durchgeführt durch die Durchführungsverordnung 2022/581, unterliegen, veröffentlicht.
15 Am 14. September 2022 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2022/1530 zur Änderung des Beschlusses 2014/145 (ABl. 2022, L 239, S. 149) und die Durchführungsverordnung (EU) 2022/1529 zur Durchführung der Verordnung Nr. 269/2014 (ABl. 2022, L 239, S. 1), mit denen die restriktiven Maßnahmen gegen die Klägerin aufrechterhalten wurden.
16 Gegen die Beschlüsse 2022/582 und 2022/1530 sowie die Durchführungsverordnungen 2022/581 und 2022/1529 erhob die Klägerin die unter dem Aktenzeichen T‑361/22 in das Register eingetragene Klage, die mit Urteil vom 6. September 2023, Timchenko/Rat (T‑361/22, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2023:502), abgewiesen wurde.
17 Am 22. Dezember 2022 teilte der Rat der Klägerin seine Absicht mit, ihren Namen auf den streitigen Listen zu belassen. Darüber hinaus übermittelte er ihr das Dossier WK 17719/2022 INIT (im Folgenden: WK-Dossier 1 zur fortgesetzten Listung).
18 Daraufhin richtete die Klägerin am 20. Januar 2023 ein Schreiben an den Rat, in dem sie zu dieser Absicht, ihren Namen auf den streitigen Listen zu belassen, Stellung nahm.
19 Mit Schreiben vom 6. Februar 2023 teilte der Rat der Klägerin seine Entscheidung mit, ihren Namen auf den streitigen Listen belassen zu wollen, und übermittelte ihr den Entwurf der Begründung für diese fortgesetzten Listungen sowie das Beweisdossier, auf das er sich stützte, nämlich das Dossier WK 1326/2023 INIT (im Folgenden: WK-Dossier 2 zur fortgesetzten Listung).
20 Im Anschluss an dieses Schreiben übermittelte die Klägerin dem Rat am 15. Februar 2023 ihre Stellungnahme. Am selben Tag antwortete der Rat der Klägerin und bestätigte ihr, dass er die gegen sie verhängten Maßnahmen aufrechterhalten wolle, wobei er eine Begründung anführte, die sich von den vorherigen unterschied.
21 Am 2. März 2023 übermittelte die Klägerin dem Rat ihre Stellungnahme.
Erlass der angefochtenen Rechtsakte
22 Am 13. März 2023 erließ der Rat die angefochtenen Rechtsakte und beließ den Namen der Klägerin unter der Nr. 903 aus den folgenden Gründen auf den streitigen Listen:
„[Frau] Elena [Petrovna] Timchenko ist die Ehefrau von [Herrn] Gennady [Nikolayevich] Timchenko, der ein langjähriger Bekannter des Präsidenten Wladimir Putin ist und zu dessen Vertrauten zählt.
Sie ist zusammen mit ihrem Ehemann über die Immobiliengesellschaft [SCI] Ruth und [die] Gesellschaft Maples S.A. geschäftlich tätig und hat gemeinsam mit ihrem Ehemann Immobilien erworben, wodurch deutlich wird, dass zwischen ihnen umfangreiche Vermögensverknüpfungen bestehen.
Darüber hinaus nimmt sie im Rahmen der Timchenko-Stiftung, die sie mit ihrem Ehemann gegründet hat und in der sie eine wichtige Rolle spielt und die eng mit ihrem Ehemann verbunden ist, an den öffentlichen Angelegenheiten ihres Ehemanns teil. Zudem führt diese Stiftung einen Teil ihrer Tätigkeiten in Verbindung mit der Beteiligungsgesellschaft Volga Group durch, die einen wesentlichen Beitrag zur russischen Wirtschaft und ihrer Entwicklung leistet und von [Herrn] Gennady [Nikolayevich] Timchenko, einem ihrer Anteilseigner, gegründet wurde. [Frau] Elena [Petrovna] Timchenko profitiert daher von ihrem Ehemann, insbesondere im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Stellung und finanzielle Situation. Daher ist sie mit [Herrn] Gennady [Nikolayevich] Timchenko verbunden, der im Rahmen des Beschlusses 2014/145 … in die Liste aufgenommen wurde, weil er unter anderem für die Unterstützung von Handlungen oder politischen Maßnahmen verantwortlich ist, die die territoriale Unversehrtheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine untergraben, und russische Entscheidungsträger, die für die Annexion der Halbinsel Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich sind, finanziell und materiell unterstützt und von ihnen profitiert.“
23 Am 14. März 2023 teilte der Rat der Klägerin mit, dass er die angefochtenen Rechtsakte erlassen habe, und antwortete auf ihre Schreiben vom 31. Oktober 2022 sowie vom 20. Januar, vom 15. Februar und 2. März 2023.
24 Am 23. März 2023 wies die Klägerin den Rat darauf hin, dass die französische Fassung der oben in Rn. 22 erwähnten Begründung im Gegensatz zu den anderen Sprachfassungen den Eindruck erwecke, dass sie von den russischen Entscheidungsträgern profitiere, was jedoch nicht der Fall sei.
Verfahren und Anträge der Parteien
25 Die Klägerin beantragt,
– die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären;
– den Rat zur Zahlung von 1 000 000 Euro als Ersatz für ihren immateriellen Schaden zu verurteilen;
– dem Rat die Kosten aufzuerlegen.
26 Der Rat, unterstützt durch die Europäische Kommission, beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
Zum Antrag auf Nichtigerklärung
27 Die Klägerin stützt ihre Klage auf sechs Klagegründe, mit denen sie erstens einen offensichtlichen Beurteilungsfehler, zweitens einen Verstoß gegen die Begründungspflicht, drittens eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, viertens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, fünftens eine Verletzung des in Art. 21 AEUV vorgesehenen Grundrechts auf Freizügigkeit, des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und sechstens eine Verletzung des Eigentumsrechts, des Art. 52 Abs. 1 der Charta, der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und des Rechts auf Privatsphäre rügt.
Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht
28 Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Begründungen für die angefochtenen Rechtsakte unzureichend seien und daher gegen Art. 296 Abs. 2 AEUV verstießen.
29 Hierzu führt sie speziell in Bezug auf ihre Beteiligung an der SCI Ruth und an der Maples S.A. aus, dass die im WK-Dossier 2 zur fortgesetzten Listung genannten Umstände vom Rat nicht offengelegt worden seien, so dass sie nicht in der Lage sei, die genauen Umstände nachzuvollziehen, die die Grundlage für die Überzeugung des Rates bildeten.
30 Sie betont, dass die bloße Berufung auf das Vorhandensein von Immobilien und Vermögensverknüpfungen als solches nicht ausreiche, um bereits das Vorhandensein einer Verbundenheit zu kennzeichnen. Der Rat zeige nicht auf, inwiefern sie in ihrer Eigenschaft als Gründerin und durch ihre Beteiligung an der Tätigkeit der Stiftung, die sie mit ihrem Ehemann ins Leben gerufen habe (im Folgenden: Timchenko-Stiftung), von der Verbesserung des Ansehens ihres Ehemanns in der Öffentlichkeit profitiere.
31 Schließlich macht sie geltend, dass der Rat nicht eigens begründet habe, warum er der Ansicht sei, dass ihre Gelder eingefroren werden sollten, und warum es notwendig sei, ihr die Einreise in und die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Union zu verwehren; ebenso wenig habe er begründet, warum solche Beschränkungen geeignet sein sollten, Druck auf die russischen Behörden auszuüben.
32 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
33 Nach der Rechtsprechung dient die Pflicht zur Begründung eines beschwerenden Rechtsakts, die aus dem Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte folgt, dem Zweck, zum einen den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob der Rechtsakt sachlich richtig oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der seine Anfechtung vor dem Unionsrichter zulässt, und zum anderen dem Unionsrichter die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieses Rechtsakts zu ermöglichen (vgl. Urteil vom 15. November 2023, OT/Rat, T‑193/22, EU:T:2023:716, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).
34 Die nach Art. 296 AEUV erforderliche Begründung muss der Natur des betreffenden Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen wurde, angepasst sein. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt dieses Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere von dem Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen insbesondere weder alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, noch muss auf die Erwägungen des Betroffenen bei seiner Anhörung vor Erlass des Rechtsakts im Einzelnen eingegangen werden, da die Frage, ob eine Begründung ausreichend ist, nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet. Ein beschwerender Rechtsakt ist folglich hinreichend begründet, wenn er in einem Kontext ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und ihm gestattet, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen (vgl. Urteil vom 15. November 2023, OT/Rat, T‑193/22, EU:T:2023:716, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).
35 Somit müssen die an die Genauigkeit der Begründung eines Rechtsakts zu stellenden Anforderungen den tatsächlichen Möglichkeiten sowie den technischen und zeitlichen Bedingungen angepasst werden, unter denen der Rechtsakt zu ergehen hat (vgl. Urteil vom 15. November 2023, OT/Rat, T‑193/22, EU:T:2023:716, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Nach der Rechtsprechung muss in der Begründung eines Rechtsakts des Rates, mit dem eine restriktive Maßnahme verhängt wird, nicht nur die Rechtsgrundlage dieser Maßnahme genannt werden, sondern es müssen auch die besonderen und konkreten Gründe angegeben werden, aus denen der Rat es in Ausübung seines Ermessens für angebracht hielt, den Betroffenen einer solchen Maßnahme zu unterwerfen (vgl. Urteil vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Die Verpflichtung, einen Rechtsakt zu begründen, stellt im Übrigen eine wesentliche Formvorschrift dar und ist von der Frage der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des betreffenden Rechtsakts gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 67). Die Begründung eines Rechtsakts soll nämlich förmlich die Gründe zum Ausdruck bringen, auf denen er beruht. Weisen die Gründe Fehler auf, so beeinträchtigen diese die materielle Rechtmäßigkeit dieses Rechtsakts, nicht aber dessen Begründung, die, obwohl sie fehlerhafte Gründe enthält, zureichend sein kann (vgl. Urteil vom 18. Juni 2015, Ipatau/Rat, C‑535/14 P, EU:C:2015:407, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Im vorliegenden Fall ist hervorzuheben, dass sowohl der Beschluss 2014/145 als auch die Verordnung Nr. 269/2014 auf die Rechtsgrundlage verweisen, auf der sie beruhen, d. h. auf Art. 29 EUV bzw. Art. 215 AEUV. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der allgemeine Kontext, der den Rat zum Erlass der angefochtenen Rechtsakte veranlasst hat, in den Erwägungsgründen dieser Rechtsakte dargelegt wird.
39 Darüber hinaus geht aus der Begründung der angefochtenen Rechtsakte hervor, dass diese Maßnahmen erlassen worden sind, weil der Rat der Ansicht war, dass die Klägerin über die Gesellschaften Ruth und Maples, die Timchenko-Stiftung sowie aufgrund verschiedener mit ihrem Ehemann getätigter Immobilienkäufe mit ihrem Ehemann, Herrn Timchenko, verbunden sei. Dieser Begründung zufolge unterstützt der Ehemann der Klägerin zum einen Handlungen und politische Maßnahmen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben; zum anderen leistet er materielle und finanzielle Unterstützung und profitiert von russischen Entscheidungsträgern, die solche Handlungen vornehmen und solche politischen Maßnahmen durchführen. Dies bedeutet, dass der Ehemann der Klägerin nach Ansicht des Rates die Kriterien a und d erfüllt.
40 Daraus folgt, dass die Begründung der angefochtenen Rechtsakte es der Klägerin ermöglicht, nicht nur die Rechtsgrundlage dieser Rechtsakte zu identifizieren, sondern auch die besonderen und konkreten Umstände, die den Rat dazu veranlasst haben, sie als mit ihrem Ehemann verbunden anzusehen, der seinerseits die in den Kriterien a und d aufgestellten Voraussetzungen erfüllt und aufgrund dessen in die streitigen Listen eingetragen ist.
41 Zu dem Vorbringen, dass die oben in Rn. 22 wiedergegebene Begründung nicht die Gründe spezifiziere, aus denen der Rat es für angebracht gehalten habe, die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Klägerin einzufrieren und ihre Freizügigkeit innerhalb der Union zu beschränken, ist festzustellen, dass sich aus dem vierten Erwägungsgrund des Beschlusses 2014/145 und den Erwägungsgründen 3 und 4 der Verordnung Nr. 269/2014 ergibt, dass die Union angesichts der Verschärfung der Lage in der Ukraine beschlossen hat, solche Maßnahmen u. a. gegenüber Personen zu ergreifen, die mit Personen verbunden sind, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, was ausreichend war, um es der Klägerin zu ermöglichen, die Gründe zu verstehen, aufgrund deren der Rat die Entscheidung getroffen hat, solche Beschränkungen ihr gegenüber zur Anwendung zu bringen.
42 Darüber hinaus laufen die von der Klägerin geltend gemachten Rügen, mit denen zum einen geltend gemacht wird, dass der Rat nicht dartue, wie durch die Anwendung der ihr gegenüber erlassenen Maßnahmen die Ziele erreicht werden könnten, die dieses Organ mit dem Beschluss 2014/145 und mit der Verordnung Nr. 269/2014 verfolge, und zum anderen, dass sie nicht in der Lage sei, die Überzeugung des Rates in Bezug auf die Gesellschaften Ruth und Maples nachzuvollziehen, darauf hinaus, die Rechtfertigung der streitigen Maßnahmen in Frage zu stellen, wobei es sich um eine Frage der Stichhaltigkeit der Begründung und keine Frage ihrer förmlichen Begründung handelt.
43 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der zweite Klagegrund zurückzuweisen ist.
Zum dritten Klagegrund: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
44 Mit ihrem dritten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör nicht beachtet und stattdessen vom Rat instrumentalisiert worden sei.
45 Insoweit macht die Klägerin geltend, dass der Rat die Argumente, die sie in ihren Schreiben vom 20. Januar, vom 15. Februar und vom 2. März 2023 als Antwort auf die Entwürfe zur Verlängerung der restriktiven Maßnahmen dargelegt habe, nicht berücksichtigt habe.
46 In der Erwiderung weist die Klägerin darauf hin, dass der Rat nicht nachweise, dass er ihre Stellungnahmen und ihre Anträge auf erneute Überprüfung an alle Delegationen, aus denen er sich zusammensetze, weitergeleitet habe. Sie macht geltend, dass sie, wenn diese Delegationen von diesen Stellungnahmen Kenntnis gehabt hätten, nicht von den angefochtenen Rechtsakten betroffen gewesen wäre, mit denen ihr Name auf den streitigen Listen belassen worden sei.
47 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
48 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta vorgesehene Anspruch auf rechtliches Gehör in jedem Verfahren, der untrennbar zur Wahrung der Verteidigungsrechte gehört, jeder Person die Möglichkeit garantiert, im Verwaltungsverfahren sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung erlassen wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Dezember 2014, Boudjlida, C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 34 und 36, und vom 18. Juni 2020, Kommission/RQ, C‑831/18 P, EU:C:2020:481, Rn. 65 und 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).
49 Im Rahmen eines Verfahrens, das den Erlass der Entscheidung betrifft, den Namen einer Person in eine Liste im Anhang eines Rechtsakts mit restriktiven Maßnahmen aufzunehmen oder auf dieser Liste zu belassen, erfordert die Achtung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, dass die zuständige Unionsbehörde der betroffenen Person die ihr vorliegenden, die betroffene Person belastenden Informationen, auf die sie ihre Entscheidung stützt, mitteilt, damit diese Person ihre Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen verteidigen und in Kenntnis aller Umstände entscheiden kann, ob es angebracht ist, den Unionsrichter anzurufen. Im Zusammenhang mit dieser Mitteilung muss die zuständige Unionsbehörde diese Person in die Lage versetzen, ihren Standpunkt zu den gegen sie herangezogenen Gründen in sachdienlicher Weise vorzutragen (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 111 und 112; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 12. Dezember 2006, Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran/Rat, T‑228/02, EU:T:2006:384, Rn. 93).
50 Art. 52 Abs. 1 der Charta lässt jedoch Einschränkungen der Ausübung der in ihr verankerten Rechte zu, sofern die betreffende Einschränkung den Wesensgehalt des fraglichen Grundrechts achtet sowie unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und tatsächlich den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entspricht (vgl. Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 101 und die dort angeführte Rechtsprechung).
51 Ob eine Verletzung der Verteidigungsrechte vorliegt, ist zudem anhand der besonderen Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen, insbesondere des Inhalts des betreffenden Rechtsakts, des Kontexts seines Erlasses sowie der Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Recht, vor dem Erlass von Rechtsakten, mit denen der Name einer Person oder Organisation auf einer Liste von restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen oder Organisationen belassen wird, gehört zu werden, muss gewahrt werden, wenn der Rat in dem Beschluss, mit dem ihr Name auf dieser Liste belassen wird, der Person gegenüber neue Umstände anführt, d. h. solche, die im ursprünglichen Beschluss über ihre Aufnahme in diese Liste nicht enthalten waren (vgl. Urteil vom 12. Februar 2020, Amisi Kumba/Rat, T‑163/18, EU:T:2020:57, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne und entsprechend auch Urteil vom 7. April 2016, Central Bank of Iran/Rat, C‑266/15 P, EU:C:2016:208, Rn. 33).
52 Nimmt die betroffene Person zu der Begründung Stellung, ist die zuständige Unionsbehörde verpflichtet, die Stichhaltigkeit der angeführten Gründe im Licht dieser Stellungnahme und der ihr gegebenenfalls beigefügten entlastenden Gesichtspunkte sorgfältig und unparteiisch zu prüfen (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 114).
53 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass der Akteninhalt geeignet ist, zu belegen, dass der Rat entgegen den Ausführungen der Klägerin die Schreiben der Klägerin vom 20. Januar, vom 15. Februar und vom 2. März 2023 an seine sämtlichen Delegationen weitergeleitet hat.
54 Darüber hinaus geht aus den Schreiben des Rates an die Klägerin, insbesondere dem Schreiben vom 14. März 2023, hervor, dass der Rat entgegen ihrer Behauptung die Einwände gegen die Aufrechterhaltung der Maßnahmen geprüft und beantwortet hat.
55 Des Weiteren ist festzustellen, dass die Klägerin nicht erläutert, inwiefern der Rat nicht auf ihr Vorbringen eingegangen sein soll, und es ist darauf hinzuweisen, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gleichbedeutend mit einem Anspruch der Klägerin ist, dass ihr Standpunkt sich durchsetzt (vgl. Urteil vom 14. September 2022, SŽ – Tovorni promet/Kommission, T‑575/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:551, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
56 Da somit keiner der von der Klägerin vorgetragenen Gesichtspunkte belegt, dass der Rat ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hätte, ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.
Zum ersten Klagegrund: offensichtlicher Beurteilungsfehler
57 Mit ihrem ersten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass der Rat dadurch, dass er sie als mit ihrem Ehemann verbunden angesehen habe, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, und zwar in einem Fall, in dem nach der Rechtsprechung eine eheliche Bindung allein nicht das Bestehen einer Verbundenheit zwischen zwei Ehegatten kennzeichnen könne.
58 Was erstens die Vermögensverknüpfungen der Klägerin und ihres Ehemanns betrifft, weist die Klägerin darauf hin, dass der Rat die von ihm aufgestellten Behauptungen nicht beweise, entweder da die in Rede stehenden Gesellschaften ihre Tätigkeit eingestellt hätten oder da Herr Timchenko nicht zu ihren Teilhabern zähle.
59 Was zweitens die Rolle der Klägerin in der Timchenko-Stiftung angeht, macht sie geltend, dass ihre Rolle als Mitglied im Stiftungsrat (board of trustees) impliziere, dass sie in diesem Gefüge lediglich eine Aufsichtsfunktion ausübe und nicht, wie das Gericht im Urteil vom 6. September 2023, Timchenko/Rat (T‑361/22, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2023:502), ausführe, bedeute, dass sie unmittelbar mit den operativen Tätigkeiten dieser Stiftung verbunden sei. Darüber hinaus sei die Gründung einer Stiftung für ein wohlhabendes Ehepaar nichts Ungewöhnliches. Im vorliegenden Fall – abgesehen davon, dass Herr Timchenko keine aktive Rolle in der Timchenko-Stiftung wahrnehme – stelle diese in keiner Weise ein Instrument zur Imageförderung und zur Teilnahme an seinen öffentlichen Angelegenheiten dar.
60 In der Erwiderung hält die Klägerin an ihrer Auffassung zu diesem Thema fest.
61 In diesem Zusammenhang macht sie erstens geltend, dass die Timchenko-Stiftung verpflichtet sei, mit den staatlichen Behörden in Russland zusammenzuarbeiten, um die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen zugunsten der gefährdeten Bevölkerungsgruppen, die sie zu schützen versuche, zu gewährleisten. In demselben Bestreben nach Wirksamkeit und dem Wunsch, Synergien zu schaffen, übten die Mitglieder der Stiftung auf freiwilliger Basis beratende Funktionen in öffentlichen Stellen der Russischen Föderation aus.
62 Zweitens weist sie darauf hin, dass der Rat – auch wenn er nachgewiesen hätte, dass die Timchenko-Stiftung Herrn Timchenko öffentliches Ansehen verleihe – gleichwohl nicht darlege, wie ein solches Ansehen ihm sowohl in seinem Privat- als auch in seinem Berufsleben von Nutzen sein könne.
63 Drittens bringt die Klägerin vor, dass das Gericht im Urteil vom 6. September 2023, Timchenko/Rat (T‑361/22, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2023:502), eine zu weite Auslegung des Begriffs „Verbundenheit“ vorgenommen habe, wohingegen es im Urteil vom 6. September 2023, Pumpyanskaya/Rat (T‑272/22, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2023:491), an das Vorliegen einer Verbundenheit strengere Anforderungen gestellt habe.
64 Viertens macht die Klägerin in Bezug auf die Behauptung des Rates, wonach die bedeutende Vermögensverknüpfung und die familiäre Verwaltung des Vermögens deshalb dafür kennzeichnend sein könnten, dass eine Verbundenheit vorliege, weil viele russische Milliardäre verschiedene rechtliche Konstruktionen nutzten, um restriktive Maßnahmen zu umgehen, geltend, dass die Argumentation des Rates darauf hinauslaufe, eine Vermutung der Umgehung aufzustellen. Die Aufstellung einer solchen Vermutung sei jedoch nicht möglich, da der Beschluss 2014/145 dies nicht ausdrücklich vorsehe.
65 Der Rat, unterstützt von der Kommission, tritt diesem Vorbringen entgegen.
66 Vorab ist hervorzuheben, dass davon auszugehen ist, dass mit dem ersten Klagegrund ein Beurteilungsfehler und nicht ein offensichtlicher Beurteilungsfehler gerügt wird. Denn es trifft zwar zu, dass der Rat ein gewisses Ermessen hat, um im Einzelfall festzustellen, ob die rechtlichen Kriterien, auf die die betreffenden restriktiven Maßnahmen gestützt werden, erfüllt sind, doch müssen die Unionsgerichte eine grundsätzlich umfassende Kontrolle sämtlicher Handlungen der Union gewährleisten (vgl. Urteil vom 15. November 2023, OT/Rat, T‑193/22, EU:T:2023:716, Rn. 121 und die dort angeführte Rechtsprechung).
67 Es ist auch daran zu erinnern, dass die durch Art. 47 der Charta gewährleistete Effektivität der gerichtlichen Kontrolle es insbesondere erfordert, dass sich das Unionsgericht vergewissert, dass der Beschluss, mit dem restriktive Maßnahmen erlassen oder aufrechterhalten werden und eine individuelle Betroffenheit der betroffenen Person oder Organisation begründet wird, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der tatsächlichen Umstände voraus, die in der diesem Beschluss zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diesen Beschluss zu tragen – erwiesen sind (Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 119, und vom 15. November 2023, OT/Rat, T‑193/22, EU:T:2023:716, Rn. 122).
68 Im Streitfall ist es Sache der zuständigen Unionsbehörde, die Stichhaltigkeit der gegen die betroffene Person oder Organisation angeführten Gründe nachzuweisen, und nicht Sache der betroffenen Person, den negativen Nachweis zu erbringen, dass diese Gründe nicht stichhaltig sind (Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 121, und vom 15. November 2023, OT/Rat, T‑193/22, EU:T:2023:716, Rn. 123).
69 Im Übrigen sind bei der Beurteilung der Stichhaltigkeit der Gründe die Beweise und Informationen nicht isoliert, sondern in dem Zusammenhang zu prüfen, in dem sie stehen. Denn der Rat genügt der ihm obliegenden Beweislast, wenn er vor dem Unionsgericht auf ein Bündel von Indizien hinweist, die hinreichend konkret, genau und übereinstimmend sind und die Feststellung ermöglichen, dass eine hinreichende Verbindung zwischen der Person, die einer Maßnahme des Einfrierens ihrer Gelder unterworfen ist, und dem bekämpften Regime oder ganz allgemein den bekämpften Situationen besteht (vgl. Urteil vom 15. November 2023, OT/Rat, T‑193/22, EU:T:2023:716, Rn. 124 und die dort angeführte Rechtsprechung).
70 Des Weiteren haben restriktive Maßnahmen Sicherungscharakter und sind definitionsgemäß vorläufiger Natur, so dass ihre Gültigkeit immer von der Fortdauer der tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die ihrem Erlass zugrunde gelegen haben, sowie von der Notwendigkeit abhängig ist, sie zur Erreichung des mit ihnen verbundenen Ziels aufrechtzuerhalten. Insoweit obliegt es dem Rat bei der regelmäßigen Überprüfung dieser restriktiven Maßnahmen, eine aktualisierte Bewertung der Lage vorzunehmen und eine Bilanz der Auswirkungen dieser Maßnahmen zu ziehen, um festzustellen, ob sie es ermöglicht haben, die mit der ursprünglichen Aufnahme der Namen der betreffenden Personen und Organisationen in die streitigen Listen verfolgten Ziele zu erreichen, oder ob im Hinblick auf diese Personen und Organisationen nach wie vor dieselbe Schlussfolgerung gezogen werden kann (vgl. Urteil vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).
71 Es ist dem Rat nicht verwehrt, sich zur Rechtfertigung der Belassung des Namens einer Person auf den streitigen Listen auf die gleichen Beweise zu stützen, die die erste Aufnahme, die erneute Aufnahme oder die frühere Belassung des Namens der betroffenen Person auf diesen Listen gerechtfertigt haben, sofern zum einen die Gründe für die Aufnahme unverändert sind und sich zum anderen der Kontext nicht in einer Weise weiterentwickelt hat, dass diese Beweise obsolet geworden wären. Der genannte Kontext umfasst nicht nur die Situation des Landes, gegenüber dem das System restriktiver Maßnahmen errichtet wurde, sondern auch die besondere Situation der betroffenen Person. Auch ist die Belassung auf den streitigen Listen in Anbetracht aller relevanten Umstände und insbesondere der Tatsache gerechtfertigt, dass die mit den restriktiven Maßnahmen angestrebten Ziele nicht erreicht worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2023, OT/Rat, T‑193/22, EU:T:2023:716, Rn. 169 und die dort angeführte Rechtsprechung).
72 In einem solchen Kontext kann der Rat die Belassung der Namen von betroffenen Personen auf den streitigen Listen unter Beibehaltung der Gründe beschließen, die sich auf vergangene Ereignisse beziehen und in früheren Beschlüssen über diese Personen berücksichtigt wurden, vorausgesetzt, dass diese fortgesetzte Listung in Anbetracht aller relevanten Umstände und insbesondere der Tatsache weiterhin gerechtfertigt ist, dass die mit den restriktiven Maßnahmen angestrebten Ziele nicht erreicht worden sind (vgl. entsprechend Urteil vom 8. März 2023, Mutondo/Rat, T‑94/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:120, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
73 Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass das Gericht mit Urteil vom heutigen Tag in der Rechtssache Timchenko/Rat (T‑297/23) die Klage abgewiesen hat, die Herr Timchenko u. a. gegen den Beschluss 2023/572 und die Durchführungsverordnung 2023/571 erhoben hat, aufgrund deren sein Name in Anwendung der Kriterien a und d in die streitigen Listen aufgenommen wurde.
74 Des Weiteren ist hervorzuheben, dass der Begriff „Verbundenheit“ zwar häufig in Rechtsakten des Rates über restriktive Maßnahmen verwendet wird, aber als solcher nicht definiert ist und seine Bedeutung vom jeweiligen Kontext und den jeweiligen Umständen abhängt. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, dass er sich auf natürliche oder juristische Personen bezieht, die im Allgemeinen durch gemeinsame Interessen verbunden sind, ohne dass eine Verbindung durch eine wirtschaftliche Tätigkeit erforderlich ist. Der Begriff „Verbundenheit“ in den einschlägigen Bestimmungen des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung und in der Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/330 geänderten Fassung kann daher so ausgelegt werden, dass er sich auf jede natürliche oder juristische Person oder Organisation bezieht, die eine über eine familiäre Beziehung hinausgehende Verbindung zu einer Person aufweist, die restriktiven Maßnahmen unterliegt, weil sie wie im vorliegenden Fall russische Entscheidungsträger, die für die Invasion der Ukraine verantwortlich sind, finanziell unterstützt oder von ihnen profitiert oder Handlungen oder politische Maßnahmen unterstützt, die die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (vgl. Urteil vom 6. September 2023, Timchenko/Rat, T‑361/22, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2023:502, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).
75 Was speziell die Klägerin betrifft, ist so festzustellen, dass sich der Rat, um die Belassung ihres Namens auf den streitigen Listen zu rechtfertigen, auf die Aktenstücke stützt, die im ersten WK-Dossier, im WK-Dossier 1 zur fortgesetzten Listung sowie im WK-Dossier 2 zur fortgesetzten Listung enthalten sind, und insbesondere auf die folgenden Aktenstücke:
– Aktenstück 2 des ersten WK-Dossiers: Screenshot der Seite der Timchenko-Stiftung auf der LinkedIn-Website; undatiert; Aufruf durch den Rat im März 2022;
– Aktenstück 5 des ersten WK-Dossiers: Screenshot der Website der Timchenko-Stiftung; undatiert; Aufruf durch den Rat im März 2022;
– Aktenstück 1 des WK-Dossiers 1 zur fortgesetzten Listung: Screenshot eines Artikels aus der Zeitschrift Business Insider vom März 2022; Kenntnisnahme des Rats im November 2022.
76 Sowohl das Aktenstück 1 des WK-Dossiers 1 zur fortgesetzten Listung als auch die Aktenstücke 2 und 5 des ersten WK-Dossiers heben die Beteiligung der Eheleute Timchenko an der Timchenko-Stiftung hervor. Dies zeigt das Aktenstück 5 des ersten WK-Dossiers, das belegt, dass die Eheleute sich nicht von den Aktivitäten dieser Stiftung zurückziehen, sondern persönlich daran beteiligt sind, da sie es waren, die die Entscheidung getroffen haben, sich öffentlich zu präsentieren, um den Besuchern dieser Website die Aktivitäten der Einrichtung vorzustellen.
77 Darüber hinaus haben die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass die Klägerin immer noch Mitglied des Stiftungsrats der Timchenko-Stiftung ist und dass zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte die Satzung dieser Stiftung unverändert war.
78 Dies bedeutet, dass die Klägerin aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Stiftungsrat immer noch in deren Verwaltung involviert ist, unabhängig davon, ob ihre Aufgabe darin besteht, die Tätigkeit der Stiftung zu „beaufsichtigen“. Darüber hinaus verfügen die Eheleute Timchenko als Gründer der Timchenko-Stiftung immer noch über erhebliche Befugnisse innerhalb dieser Stiftung, da sie nicht nur Informationen über ihre Aktivitäten erhalten und Zugang zu ihren Unterlagen haben können, sondern auch die Mitglieder ihres Aufsichtsrats ernennen und abberufen können, ein Organ, das in der Charta der Stiftung als „oberstes Organ“ bezeichnet wird.
79 Zu diesen Gesichtspunkten kommt die Tatsache hinzu, dass, wie aus der Anlage A. 28, die der Klageschrift beigefügt ist, hervorgeht, Herr Timchenko ebenso wie seine Ehefrau auf operativer Ebene voll in die Tätigkeit ihrer gleichnamigen Stiftung eingebunden ist, da er insbesondere anlässlich der durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Gesundheitskrise die Unternehmen der Volga Group in die Tätigkeit der Stiftung einbezogen hat, indem er ihr finanzielle und logistische Hilfestellung und Unterstützung bei der Herstellung von Kontakten zukommen ließ, was im vorliegenden Fall insbesondere durch die Herstellung von Flugverbindungen mit der Volksrepublik China zum Zweck des Kaufs und des Vertriebs verschiedener medizinischer Materialien für Rechnung dieser Stiftung erfolgte.
80 Insoweit ist es unerheblich, dass solche Handlungen im spezifischen Kontext der Covid-19-Pandemie erfolgt sind. Ein solches Vorgehen ist nämlich geeignet, zu belegen, dass Herr Timchenko auf operativer Ebene Synergien zwischen den Unternehmen seiner Gruppe und der Stiftung herstellt, um die Maßnahmen der russischen öffentlichen Einrichtungen zu ergänzen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Herr Timchenko, der einer der wichtigsten Geschäftsleute der Russischen Föderation ist, derartige Aktionen der russischen Öffentlichkeit mitteilt, was seinem Ansehen sehr zugute kommt.
81 Solche Tatsachen reichen aus, um das Bestehen einer Verbundenheit im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung und im Sinne der Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/330 geänderten Fassung innerhalb einer gemeinsamen rechtlichen Struktur zu belegen, und zwar insbesondere aufgrund dessen, dass die Eheleute Timchenko als Gründer der Timchenko-Stiftung institutionelle Funktionen innerhalb dieser Struktur ausüben und sich beide in deren Aktivität einbringen, wobei dies, was Herrn Timchenko angeht, insbesondere in Form von Geldmitteln der Volga Group, deren einziger Anteilseigner er ist, erfolgt.
82 Insoweit ist es unter Berücksichtigung der oben in Rn. 74 angeführten Rechtsprechung unerheblich, dass die Timchenko-Stiftung keinen kommerziellen Zweck verfolgt und dass die Eheleute Timchenko dort ehrenamtlich tätig sind.
83 Die Beteiligung an einer Struktur vom Umfang der Timchenko-Stiftung, die zahlreiche karitative Aktivitäten auf der Ebene der Russischen Föderation ausübt und die, um dieses Ziel zu erreichen, bereits von der Beteiligung der Unternehmen der Volga Group profitiert hat, stellt nämlich unabhängig vom Umfang des Vermögens der betreffenden Ehegatten eine Beteiligung dar, die über eine einfache familiäre Verbindung hinausgeht. Diese Einschätzung ist umso mehr gerechtfertigt, als die Stiftung dazu beiträgt, in den Augen der russischen Öffentlichkeit das Ansehen der genannten Eheleute, insbesondere von Herrn Timchenko, aufzuwerten. Dies bedeutet, dass die Timchenko-Stiftung nicht nur als ein Instrument der Wohltätigkeit, sondern auch als ein Kommunikationswerkzeug im Dienst des öffentlichen Ansehens der Eheleute Timchenko betrachtet werden kann, was eine Unternehmung darstellt, die über eine einfache familiäre Beziehung hinausgeht.
84 Was den siebten Erwägungsgrund des Beschlusses 2022/582 betrifft, so genügt es, festzustellen, dass dieser Beschluss den Begriff „Verbundenheit“ weder übernommen noch geändert hat, so dass er nicht als Grundlage für die Auslegung dieses Begriffs dienen kann.
85 Was ferner den angeblichen Widerspruch zwischen den Urteilen vom 6. September 2023, Pumpyanskaya/Rat (T‑272/22, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2023:491), und vom 6. September 2023, Timchenko/Rat (T‑252/22, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2023:496), anbelangt, so genügt es, darauf hinzuweisen, dass die Umstände, die dem ersten dieser Urteile zugrunde lagen, sich von denjenigen unterschieden, die die Situation der Eheleute Timchenko kennzeichnen, da in der Rechtssache, die diesem Urteil zugrunde lag, der Ehemann der Klägerin keine spezifische Funktion innerhalb der betreffenden Stiftung innehatte, was vorliegend nicht der Fall ist.
86 Nach alledem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.
Zum fünften Klagegrund: Verletzung des Grundrechts der Klägerin auf Freizügigkeit als Unionsbürgerin
87 Mit ihrem fünften Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die gegen sie gerichteten restriktiven Maßnahmen gegen Art. 21 AEUV sowie gegen Art. 45 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 der Charta verstießen.
88 Sie betont, dass es auf der Grundlage von Art. 29 EUV in Ermangelung einer dahin gehenden speziellen Bestimmung nicht möglich sei, den Anwendungsbereich von Art. 21 AEUV, der sich auf die Freizügigkeit eines Unionsbürgers beziehe, einzuschränken.
89 Insoweit macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass entgegen dem, was bereits im Urteil vom 5. November 2014, Mayaleh/Rat (T‑307/12 und T‑408/13, EU:T:2014:926), entschieden worden sei, restriktive Maßnahmen, die auf der Grundlage von Art. 29 EUV ergriffen würden, nicht als lex specialis und nicht als Abweichung von normativen Texten, die auf der Grundlage von Art. 21 AEUV erlassen worden seien – darunter insbesondere die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77), deren Art. 27 es ermögliche, unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Freizügigkeit nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zu beschränken –, angesehen werden könnten.
90 Die Klägerin bringt außerdem vor, dass die Analyse der Rechtsvorschriften verschiedener EU-Staaten deutlich mache, dass es eine gemeinsame Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten gebe, kraft deren die Freizügigkeit nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit und unter strenger richterlicher Kontrolle beschränkt werden dürfe.
91 Die Klägerin folgert hieraus, dass der bestehende Widerspruch zwischen der Praxis der Union und der genannten gemeinsamen Verfassungsüberlieferung bedeute, dass die angefochtenen Rechtsakte gegen Art. 21 AEUV und Art. 45 und 52 der Charta verstießen.
92 Der Rat tritt diesem Vorbringen entgegen.
93 Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin auf Befragen in der mündlichen Verhandlung angegeben und bestätigt hat, dass sie keine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen Art. 1 des Beschlusses 2014/145 erhebe, soweit diese Bestimmung vorsehe, dass die Mitgliedstaaten den Personen, die Gegenstand restriktiver Maßnahmen seien, die Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet versagen müssten. Sie ziehe hingegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen, die gegen sie verhängt worden seien, insofern in Zweifel, als sie insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachteten.
94 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Ausübung des in Art. 45 Abs. 1 der Charta verankerten Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, gemäß Art. 52 Abs. 2 der Charta im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen erfolgt. Wie aus den Erläuterungen zur Charta (ABl. 2007, C 303, S. 17) hervorgeht, ist das durch Art. 45 Abs. 1 der Charta garantierte Recht das durch Art. 20 Abs. 2 Buchst. a AEUV garantierte Recht. Die Reichweite dieses Rechts wird in Art. 21 AEUV erläutert.
95 Nach Art. 21 Abs. 1 AEUV gilt das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen. Der genannte Vorbehalt, der im zweiten Teil des Satzes von Art. 21 Abs. 1 AEUV enthalten ist und sich auf die Verträge im Plural bezieht, schließt auch den EU-Vertrag und die zu seiner Durchführung erlassenen Bestimmungen ein. Daraus folgt, dass Einschränkungen der Ausübung des in Art. 45 Abs. 1 der Charta verankerten Rechts der Unionsbürger auf Freizügigkeit und Aufenthalt durch Beschlüsse im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die auf der Grundlage von Art. 29 EUV erlassen werden, wie etwa der Beschluss 2023/572, vorgenommen werden können (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 5. November 2014, Mayaleh/Rat, T‑307/12 und T‑408/13, EU:T:2014:926, Rn. 195 und 196, und vom 4. Dezember 2015, Sarafraz/Rat, T‑273/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:939, Rn. 194 und 195).
96 Hierzu ist festzustellen, dass im Bereich der GASP der weit gefasste Art. 29 EUV dem Rat die Befugnis verleiht, Beschlüsse zu erlassen, mit denen der Standpunkt der Union zu einer bestimmten Frage geografischer oder thematischer Art unter Verfolgung der in Art. 21 Abs. 2 EUV genannten Ziele bestimmt wird, auch wenn dies eine Einschränkung der Freizügigkeit der Unionsbürger im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, zur Folge hat. Dies bedeutet, dass diese Freiheit in Anwendung der Bestimmungen dieses Artikels aus anderen als den in der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Gründen eingeschränkt werden kann.
97 Dies ist vorliegend gerade der Fall, da mit den betreffenden restriktiven Maßnahmen ein Druck auf die russischen Behörden ausgeübt werden soll, damit diese ihre Handlungen und politischen Maßnahmen, die die Ukraine destabilisieren, beenden. Denn es handelt sich hier um eines der Gemeinwohlziele, die im Rahmen der GASP verfolgt werden und auf die in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b und c EUV Bezug genommen wird, wie etwa Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundsätze des Völkerrechts zu festigen und zu fördern sowie den Frieden zu erhalten, Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit und den Schutz der Zivilbevölkerung zu stärken (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 30. November 2016, Rotenberg/Rat, T‑720/14, EU:T:2016:689, Rn. 176).
98 Um jedoch mit dem Unionsrecht vereinbar zu sein, müssen Einschränkungen der Ausübung der in Art. 45 Abs. 1 der Charta verankerten Rechte die in Art. 52 Abs. 1 der Charta genannten Voraussetzungen erfüllen, was bedeutet, dass sie gesetzlich vorgesehen sein, den Wesensgehalt dieser Rechte achten und ein von der Union als solches anerkanntes, dem Gemeinwohl dienendes Ziel verfolgen müssen sowie nicht unverhältnismäßig sein dürfen. Diese Erwägung gilt auch für die in der Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2015, Delvigne, C‑650/13, EU:C:2015:648, Rn. 46, und Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Agenzia delle dogane e dei monopoli und Ministero dell’Economia e delle Finanze, C‑452/20, EU:C:2021:855, Nr. 60). Folglich müssen die Einschränkungen der Ausübung des in Art. 45 Abs. 1 der Charta verankerten Rechts, die im Rahmen der Umsetzung der GASP vorgenommen werden, diese Voraussetzungen erfüllen.
99 Im vorliegenden Fall sind erstens die Einschränkungen des Rechts der Klägerin, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, die sich aus dem Beschluss 2023/572 ergeben, „gesetzlich vorgesehen“, da sie in einem Rechtsakt mit insbesondere allgemeiner Geltung, nämlich dem Beschluss 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung, festgelegt sind, der über eine klare Rechtsgrundlage im Unionsrecht, nämlich Art. 29 EUV, verfügt.
100 Zweitens ist bei der Frage, ob die oben in Rn. 99 genannten Einschränkungen den „Wesensgehalt“ des Rechts der Klägerin, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, beachten, auf die Art und den Umfang der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen abzustellen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 153).
101 Insoweit ist festzustellen, dass die oben in Rn. 99 genannten Einschränkungen den „Wesensgehalt“ des Rechts der Klägerin, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, beachten. Denn zunächst beachten diese Einschränkungen gemäß Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung den völkerrechtlichen Grundsatz, wonach ein Staat seinen eigenen Staatsangehörigen das Recht, in sein Hoheitsgebiet einzureisen und dort zu verweilen, nicht verweigern darf. Sodann werden die streitigen Listen gemäß Art. 6 des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung regelmäßig überprüft, um die Namen von Personen zu streichen, die die Kriterien für die Aufnahme in die Listen nicht mehr erfüllen. Schließlich stellen diese Einschränkungen dieses Recht als solches nicht in Frage, da sie bewirken, dass unter ganz bestimmten Voraussetzungen und aufgrund der individuellen Situation bestimmter Personen deren Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, vorübergehend ausgesetzt wird, und zwar nur, sofern die genannten Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 6. Oktober 2015, Delvigne, C‑650/13, EU:C:2015:648, Rn. 48).
102 Drittens soll mit den oben unter Rn. 99 genannten Beschränkungen ein Druck auf die russischen Behörden ausgeübt werden, damit diese ihre Handlungen und politischen Maßnahmen, die die Ukraine destabilisieren, beenden. Es handelt sich hier um eines der dem Gemeinwohl dienenden Ziele, die im Rahmen der GASP verfolgt werden und auf die in Art. 21 Abs. 2 Buchst. b und c EUV Bezug genommen wird, nämlich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundsätze des Völkerrechts zu festigen und zu fördern sowie den Frieden zu erhalten, Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit und den Schutz der Zivilbevölkerung zu stärken (vgl. entsprechend Urteil vom 30. November 2016, Rotenberg/Rat, T‑720/14, EU:T:2016:689, Rn. 176).
103 Viertens ist in Bezug auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darauf hinzuweisen, dass nach diesem als allgemeinem Grundsatz des Unionsrechts die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten dürfen, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. So ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen, und die verursachten Nachteile müssen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (vgl. Urteil vom 30. November 2016, Rotenberg/Rat, T‑720/14, EU:T:2016:689, Rn. 178 und die dort angeführte Rechtsprechung).
104 Was die Erforderlichkeit der oben in Rn. 99 genannten Einschränkungen betrifft, ist festzustellen, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass der Rat es in Erwägung hätte ziehen können, weniger einschneidende, aber ebenso geeignete Maßnahmen wie die vorgesehenen zu erlassen. Darüber hinaus geht die Anwendung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen mit einer Regelung für Ausnahmen nach Art. 1 Abs. 6 des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung einher, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, von den verhängten Maßnahmen abzuweichen, insbesondere wenn die Reise einer Person aus dringenden humanitären Gründen gerechtfertigt ist.
105 Darüber hinaus ist – auch wenn die sich für die Klägerin aus der Anwendung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen ergebenden negativen Folgen, wie sie von ihr beschrieben werden, eingeräumt werden – davon auszugehen, dass die oben in Rn. 99 genannten Einschränkungen angesichts der Bedeutung der mit diesen Maßnahmen verfolgten Ziele nicht offenkundig unverhältnismäßig sind (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 14. Oktober 2009, Bank Melli Iran/Rat, T‑390/08, EU:T:2009:401, Rn. 71).
106 Insoweit ist hervorzuheben, dass der Umstand, dass die Klägerin aufgrund der Beschränkung der Freizügigkeit, der sie unterliegt, die Immobilien, die sie in der Union besitzt, nicht nutzen kann, keine Beschränkung darstellt, die im Hinblick auf die Bedeutung der mit diesen Maßnahmen verfolgten Ziele unverhältnismäßig wäre (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 14. Oktober 2009, Bank Melli Iran/Rat, T‑390/08, EU:T:2009:401, Rn. 71).
107 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass entgegen dem Vorbringen der Klägerin die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten kein Recht der Unionsbürger begründen, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Staates als dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, zu bewegen. Daraus folgt, dass die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen kann, dass die genannten Verfassungsüberlieferungen geeignet wären, die Zuständigkeit des Rates zu begrenzen, im Rahmen der GASP Beschränkungen der Freizügigkeit der Bürger aus anderen Gründen als denen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu erlassen.
108 Die Einschränkungen des Rechts der Klägerin, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erfüllen somit die in den Verträgen vorgesehenen Voraussetzungen.
109 Nach alledem ist der fünfte Klagegrund zurückzuweisen.
Zum sechsten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 7 und 17 der Charta im Hinblick auf das Eigentumsrecht, das Recht auf Achtung des Privatlebens und die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten
110 Mit ihrem sechsten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die restriktiven Maßnahmen, denen sie unterliege, gegen Art. 7 und 17 der Charta verstießen, die das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Eigentumsrecht schützten.
111 Sie hebt hervor, dass die Verletzung des Eigentumsrechts dadurch verstärkt worden sei, dass der Rat mit der Verordnung (EU) 2022/1273 vom 21. Juli 2022 zur Änderung der Verordnung Nr. 269/2014 (ABl. 2022, L 194, S. 1) in die Verordnung Nr. 269/2014 einen neuen Art. 9 eingefügt habe, nach dessen Abs. 2 und 3 die Personen, deren Namen in den streitigen Listen aufgeführt seien, verpflichtet seien, Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats, die in ihrem Eigentum oder Besitz seien oder von ihnen gehalten oder kontrolliert würden, zu melden, wobei das Unterlassen einer solchen Meldung als Umgehung der restriktiven Maßnahmen angesehen werde.
112 Die Klägerin trägt vor, dass die Anwendung der Bestimmungen des Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/1273 geänderten Fassung zusammen mit den Bestimmungen des Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung (EU) 2022/880 des Rates vom 3. Juni 2022 (ABl. 2022, L 153, S. 75) geänderten Fassung geeignet sei, die Gefahr von Einziehungen ihres Eigentums und ihrer Vermögenswerte zu begründen.
113 Sie macht geltend, dass die Verletzung des Eigentumsrechts durch die restriktiven Maßnahmen einen rechtswidrigen Eingriff im Hinblick auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten darstelle.
114 Insoweit weist sie darauf hin, dass die nationalen Rechtsordnungen das Einfrieren von Eigentum und Vermögenswerten nur unter der Bedingung erlaubten, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem persönlichen Verhalten der Person und dem eingefrorenen Eigentum oder den eingefrorenen Vermögenswerten bestehe, was beispielsweise der Fall sein könne, wenn ein Vermögenswert die Begehung einer Straftat ermöglicht habe oder das Produkt einer solchen Straftat darstelle.
115 Sie macht außerdem geltend, dass die restriktiven Maßnahmen, denen sie unterliege, ihrem Ruf schadeten und folglich eine Verletzung des Rechts auf Achtung ihres Privatlebens bedeuteten. Insoweit bringt sie vor, dass sie mit den Handlungen ihres Ehemanns und in den Augen der Öffentlichkeit mit Handlungen in Verbindung gebracht worden sei, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergrüben oder bedrohten, obwohl sie mit den von der Union bekämpften Situationen nichts zu tun habe.
116 Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin keine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 269/2014 und die Bestimmungen des Beschlusses 2014/145 erhebt, die das Einfrieren des Eigentums und der Vermögenswerte von Personen, deren Namen in den streitigen Listen aufgeführt werden, und Ausnahmen in Bezug auf diese Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern vorsehen; sie bestreitet auch nicht im Wege der Einrede die Rechtmäßigkeit der Bestimmungen von Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/1273 geänderten Fassung sowie die der Bestimmungen von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/880 geänderten Fassung.
117 Wenn die Klägerin also nicht im Wege der Einrede die Rechtswidrigkeit dieser Bestimmungen geltend macht, kann das Gericht die gegen sie verhängten restriktiven Maßnahmen nicht mit der Begründung für ungültig erklären, dass die Bestimmungen, auf denen diese Maßnahmen beruhen, rechtswidrig wären.
118 Was ferner die Verletzung des Rechts auf Privatleben und des Eigentumsrechts durch die restriktiven Maßnahmen betrifft, ist festzustellen, dass es sich bei diesen Maßnahmen um Sicherungsmaßnahmen handelt, die nicht darauf abzielen, den betreffenden Personen diese Rechte, die in Art. 7 bzw. Art. 17 der Charta verankert sind, zu entziehen. Gleichwohl sind diese Maßnahmen im vorliegenden Fall unbestreitbar mit einer Einschränkung dieser Grundrechte verbunden (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 12. März 2014, Al Assad/Rat, T‑202/12, EU:T:2014:113, Rn. 115 und die dort angeführte Rechtsprechung).
119 Wie jedoch oben in Rn. 98 in Erinnerung gerufen wurde, müssen, um mit dem Unionsrecht vereinbar zu sein, die Einschränkungen der Ausübung der in der Charta verankerten Rechte die in Art. 52 Abs. 1 der Charta genannten Voraussetzungen erfüllen, d. h. diese Maßnahmen müssen gesetzlich vorgesehen sein, den Wesensgehalt dieser Rechte achten und ein von der Union als solches anerkanntes, dem Gemeinwohl dienendes Ziel verfolgen, und sie dürfen nicht unverhältnismäßig sein.
120 Im vorliegenden Fall ist indessen festzustellen, dass diese vier Bedingungen erfüllt sind.
121 Erstens ist festzustellen, dass die Einschränkungen, denen die Ausübung des Eigentumsrechts durch die Klägerin unterliegt, sowie die Beeinträchtigung ihres Rechts auf Achtung des Privatlebens „gesetzlich vorgesehen“ sind, da sie in Rechtsakten aufgeführt sind, die insbesondere eine allgemeine Geltung haben – nämlich dem Beschluss 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung und der Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/330 geänderten Fassung –, und die über eine klare Rechtsgrundlage im Unionsrecht, nämlich Art. 29 EUV bzw. Art. 215 AEUV, verfügen.
122 Zweitens sind die oben in Rn. 121 genannten Einschränkungen, da die angefochtenen Rechtsakte für sechs Monate gelten und Gegenstand einer ständigen Überwachung sind, wie in Art. 6 des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung vorgesehen, befristet und reversibel. Daher ist davon auszugehen, dass sie den Wesensgehalt des Rechts der Klägerin auf Achtung des Privat- und Familienlebens und ihres Eigentumsrechts nicht beeinträchtigen. Darüber hinaus sehen die angefochtenen Rechtsakte die Möglichkeit vor, Ausnahmen von den angewendeten restriktiven Maßnahmen zu gewähren. Insbesondere in Bezug auf das Einfrieren von Mitteln sehen Art. 2 Abs. 3 und 4 des Beschlusses 2014/145 in der durch den Beschluss 2022/329 geänderten Fassung sowie Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 269/2014 in der durch die Verordnung 2022/330 geänderten Fassung die Möglichkeit vor, zum einen die Verwendung eingefrorener Gelder zur Deckung von Grundbedürfnissen oder zur Erfüllung bestimmter Verpflichtungen zu genehmigen und zum anderen besondere Genehmigungen zu erteilen, mit denen das Einfrieren von Geldern, anderen finanziellen Vermögenswerten oder anderen wirtschaftlichen Ressourcen aufgehoben werden kann.
123 Drittens verfolgen die oben in Rn. 121 genannten Einschränkungen das oben in Rn. 102 genannte, dem Gemeinwohl dienende Ziel.
124 Viertens ist in Bezug auf die Geeignetheit dieser Einschränkungen erstens festzustellen, dass sie geeignet sind, das oben in Rn. 102 genannte, dem Gemeinwohl dienende Ziel zu erreichen, da sie zu seiner Verwirklichung beitragen. Sodann ist in Bezug auf ihre Erforderlichkeit festzustellen, dass die Klägerin keine alternativen und weniger einschneidenden Maßnahmen anführt, mit denen die verfolgten Ziele ebenso wirksam erreicht werden könnten. Schließlich handelt es sich um zeitlich begrenzte und reversible Beschränkungen, die die Möglichkeit von Ausnahmen vorsehen. Folglich ist festzustellen, dass die der Klägerin entstandenen Nachteile in Relation zur Bedeutung des mit diesen Rechtsakten verfolgten Ziels nicht unverhältnismäßig sind.
125 Im Übrigen ist die Argumentation der Klägerin, die auf das Bestehen gemeinsamer Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf das Eigentumsrecht gestützt ist, zurückzuweisen. Abgesehen davon, dass sich die Klägerin auf eine begrenzte Anzahl von Analysen des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten stützt, ist nämlich festzustellen, dass sie nicht nachgewiesen hat, dass diese nationalen Rechte die Einhaltung von Bedingungen erfordern würden, die sich wesentlich von den in Art. 52 Abs. 1 der Charta vorgesehenen unterschieden.
126 Nach alledem ist der sechste Klagegrund in vollem Umfang zurückzuweisen.
Zum vierten Klagegrund: Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
127 Mit ihrem vierten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die in Rede stehenden Maßnahmen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstießen, da sie weder geeignet noch erforderlich seien. Sie fügt hinzu, dass die vom Rat vorgenommene Auslegung des Begriffs „Verbundenheit“ insofern zu weit reiche, als sie nicht an Handlungen oder politischen Maßnahmen beteiligt sei, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergrüben oder bedrohten, und keinen Einfluss auf die Politiken ausübe, die zu solchen Handlungen führten.
128 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen aus den bereits oben in den Rn. 104, 105 und 124 genannten Gründen erforderlich und geeignet sind und nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
129 Sodann ist in Bezug auf die Rügen, die die zu weit gehende Auslegung des Begriffs „Verbundenheit“ und den fehlenden Einfluss der Klägerin auf die russischen Entscheidungsträger betreffen, festzustellen, dass der Rat, da er beurteilungsfehlerfrei davon ausgegangen ist, dass sie über die Timchenko-Stiftung mit ihrem Ehemann verbunden sei, ihr gegenüber die restriktiven Maßnahmen erlassen konnte, die gegen sie verhängt worden sind.
130 Schließlich ist in Bezug auf die restriktiven Maßnahmen, die gegen sie verhängt wurden, unabhängig davon, dass die Klägerin bestreitet, hinter den Handlungen oder politischen Maßnahmen der Führung der Russischen Föderation zu stehen oder irgendeinen persönlichen Einfluss auf sie ausüben zu können, festzustellen, dass die Beschränkungen der Freizügigkeit in den Mitgliedstaaten der Union, ebenso wie das Einfrieren von Geldern oder Ressourcen der Personen, deren Namen auf den streitigen Listen verzeichnet sind, geeignet sind, Druck nicht nur auf diese Personen, sondern auch auf das allgemeine Funktionieren der russischen Wirtschaft und letztlich zumindest indirekten Druck auf die Führung der Russischen Föderation auszuüben.
131 Daraus folgt, dass der vierte Klagegrund sowie der Antrag auf Nichtigerklärung insgesamt zurückzuweisen sind.
Zum Schadensersatzantrag
132 Zur Begründung dieses Antrags macht die Klägerin geltend, dass die angefochtenen Rechtsakte ihr einen immateriellen Schaden zugefügt hätten, für den sie eine Entschädigung verlange.
133 Der Rat beantragt, diesen Antrag zurückzuweisen.
134 Es ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die außervertragliche Haftung der Union für ein rechtswidriges Verhalten ihrer Einrichtungen im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV nur dann eintritt, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar muss das den Organen vorgeworfene Verhalten rechtswidrig sein, es muss ein Schaden entstanden sein, und zwischen dem behaupteten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Da diese drei Voraussetzungen für die außervertragliche Haftung kumulativ sind, genügt es für die Abweisung einer Schadensersatzklage, dass eine von ihnen nicht vorliegt, ohne dass es erforderlich wäre, die übrigen Voraussetzungen zu prüfen (vgl. Urteil vom 22. Juni 2022, Haswani/Rat, T‑479/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:383, Rn. 155 und die dort angeführte Rechtsprechung).
135 Was den angeblich durch den Erlass der angefochtenen Rechtsakte entstandenen Schaden angeht, ergibt sich aus den Feststellungen zu den Nichtigkeitsanträgen, dass die Belassung des Namens der Klägerin auf den streitigen Listen nicht rechtswidrig ist. Da somit eine der oben in Rn. 134 genannten Voraussetzungen fehlt, ist der Antrag auf Schadensersatz zurückzuweisen.
136 Nach alledem ist dieser Antrag zurückzuweisen und ist die Klage zur Gänze abzuweisen.
Kosten
137 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag des Rates die Kosten aufzuerlegen.
138 Darüber hinaus tragen nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Mitgliedstaaten und Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Kommission trägt folglich ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Frau Elena Petrovna Timchenko trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Rates der Europäischen Union.
3. Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. April 2025.
Unterschriften