Frühere Regelung zur Arzneimittelpreisbindung gegenüber einer im EU-Ausland ansässigen Versandapotheke nicht anwendbar

Frühere Regelung zur Arzneimittelpreisbindung gegenüber einer im EU-Ausland ansässigen Versandapotheke nicht anwendbar

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Mitteilung der Pressestelle


Nr. 134/2025

Frühere Regelung zur Arzneimittelpreisbindung

gegenüber einer im EU-Ausland ansässigen

Versandapotheke nicht anwendbar

Urteil vom 17. Juli 2025 – I ZR 74/24

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die in § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG aF vorgesehene Arzneimittelpreisbindung gegenüber Versandapotheken, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässig sind, nicht anwendbar ist. Daher kann die seinerzeit erfolgte Gewährung von Bonusprämien bei der Ausgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke nicht als unlauter verboten werden.

Sachverhalt:

Der Kläger ist ein Verband, der die berufsständischen Interessen der in Bayern ansässigen Apotheker vertritt. Die Beklagte ist ein in den Niederlanden ansässiges Pharmaunternehmen. Sie reimportierte in den Jahren 2012 und 2013 verschreibungspflichtige Medikamente, die ihr von deutschen Pharmagroßhändlern geliefert wurden, indem sie diese nach Einreichung einer entsprechenden ärztlichen Verschreibung per Post an in Deutschland ansässige Patienten abgab. Die Beklagte warb zum einen damit, Patienten bei der Einlösung eines Rezepts einen direkt mit dem Rechnungsbetrag verrechneten Bonus in Höhe von 3 € pro Medikament, insgesamt aber höchstens 9 € pro Rezept, zu zahlen. Zum anderen warb sie damit, bei der Einlösung eines Rezepts eine Prämie in einer Höhe von bis zu 9 € zu zahlen, wenn der Patient sich bereit erklärte, durch Ausfüllen eines Formulars oder durch Beantwortung von Fragen im Rahmen eines Telefonats einen Arzneimittel-Check zu absolvieren.

Der Kläger ist der Auffassung, die Gewährung von Boni verstoße gegen die Arzneimittelpreisbindung und sei wettbewerbswidrig. Er nimmt die Beklagte auf Unterlassung sowie auf Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend angenommen, dass die von der Beklagten gewährten Boni als unmittelbarer Preisnachlass auf den eigentlichen Apothekenabgabepreis gegen § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 Arzneimittelgesetz (AMG) in der bis zum 14. Dezember 2020 geltenden Fassung und § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) verstoßen. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht einen hiermit verbundenen Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG aF sowie § 3a UWG angenommen. Denn die genannten früheren Regelungen zur Arzneimittelpreisbindung sind wegen Verstoßes gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34, 36 AEUV) unionsrechtswidrig und daher gegenüber der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Beklagten nicht anwendbar.

Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Sache „Deutsche Parkinson Vereinigung“ (EuGH, Urteil vom 19.  Oktober 2016, C-148/15, GRUR 2016, 1312) stellt die in § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG aF vorgesehene Arzneimittelpreisbindung eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art. 34 AEUV dar. Zur Rechtfertigung einer solchen Maßnahme wegen des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen (Art. 36 AEUV) ist mit Hilfe statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel objektiv zu prüfen, ob die vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich ist, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken.

Der Kläger hat es nicht vermocht, solche Daten oder andere Mittel zum Beweis seiner Behauptung vorzutragen, dass ohne die Arzneimittelpreisbindung die Aufrechterhaltung einer sicheren und flächendeckenden Arzneimittelversorgung und deshalb die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet sei. Empirische Daten zu den Auswirkungen einheitlicher Apothekenabgabepreise auf die flächendeckende, sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sind nach der durch das Berufungsgericht eingeholten Auskunft der Bundesregierung nicht erhoben worden. Die von den Parteien vorgelegten Gutachten, Studien und Modellierungen beziehen sich sämtlich nicht auf den im Streitfall maßgeblichen Zeitraum der angegriffenen Rabattaktionen aus dem Jahr 2012 und stützen auch für die Folgejahre die Annahmen des Gesetzgebers zur Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Arzneimittelpreisbindung nicht. Diese Annahmen des Gesetzgebers hat schon der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil „Deutsche Parkinson Vereinigung“ als nicht hinreichend belegt angesehen.

Auf die Frage, ob die von der Beklagten gewährten Boni – wie vom Berufungsgericht angenommen – gegen § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V verstoßen, kommt es danach nicht mehr an, weil es mangels Verstoßes gegen § 4 Nr. 11 UWG aF sowie § 3a UWG in Verbindung mit § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 AMG aF an der Wiederholungsgefahr fehlt und schon deshalb die Klage abzuweisen ist.

Vorinstanzen:

LG München I – Urteil vom 13. März 2014 – 11 HK O 12091/13

OLG München – Urteil vom 7. März 2024 – 6 U 1509/14

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 4 Nr. 11 UWG aF (gültig bis zum 9. Dezember 2015)

Unlauter handelt insbesondere, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.

§ 3a UWG (gültig seit dem 10. Dezember 2015)

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 AMG aF (gültig bis zum 14. Dezember 2020)

(1) […] Die Arzneimittelpreisverordnung, die auf Grund von Satz 1 erlassen worden ist, gilt auch für Arzneimittel, die gemäß § 73 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1a in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden.

(2) […] Ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Arzneimittel, die vom Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen sind, ist zu gewährleisten. […]

§ 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V (gültig seit dem 15. Dezember 2020)

(3) […] Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte als Sachleistungen sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren. […]

Art. 34 AEUV

Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten.

Art. 36 AEUV

Die Bestimmungen der Artikel 34 und 35 stehen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.

Karlsruhe, den 17. Juli 2025


Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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