Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JEAN RICHARD DE LA TOUR
vom 12. Juni 2025(1 )
Rechtssache C ‑8/24
D. d.o.o.,
Županijsko državno odvjetništvo u Zagrebu
Strafverfahren
(Vorabentscheidungsersuchen des Visoki kazneni sud [Hohes Strafgericht, Kroatien])
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Verordnung (EU) 2018/1805 – Art. 1 Abs. 1 und 4 – Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. d – Einziehung ohne endgültige Verurteilung – Einziehungsentscheidung, die in einem Strafverfahren, das mit einem Freispruch endet, in Verbindung mit einer Straftat erlassen wird, bei der es sich nicht um diejenige handelt, in Bezug auf die dieser Freispruch ergangen ist, und an der nicht die freigesprochenen Angeklagten, sondern andere Personen beteiligt waren, gegen die keine Anklage erhoben wurde – Art. 19 Abs. 1 Buchst. h – Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung von Einziehungsentscheidungen – Ausnahmefälle, in denen aufgrund genauer und objektiver Angaben berechtigte Gründe zu der Annahme bestehen, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung unter den besonderen Umständen des Falles die offensichtliche Verletzung eines in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundrechts zur Folge hätte – Verteidigungsrechte und Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf “
I. Einleitung
1. Im Kontext der Auslegung von Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI(2 ), wonach dieser Rahmenbeschluss „nicht die Pflicht [berührt], die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 [EUV] niedergelegt sind, zu achten“, hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung eine „zweistufige Prüfung“ entwickelt, um in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls zu prüfen, ob eine echte Gefahr der Verletzung in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verbürgter Grundrechte besteht(3 ).
2. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen, das die Auslegung mehrerer Bestimmungen der Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen(4 ) sowie von Art. 47 der Charta betrifft, wirft die Frage auf, ob diese Rechtsprechung auf diese Verordnung zu übertragen ist.
3. Dieses Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, das das Županijsko državno odvjetništvo u Zagrebu (Staatsanwaltschaft der Gespanschaft Zagreb, Kroatien) (im Folgenden: Staatsanwaltschaft Zagreb) gegen die Gesellschaft D. d.o.o., die ihren Sitz in Kroatien hat, zur Anerkennung und Vollstreckung einer den kroatischen Behörden von den slowenischen Behörden übermittelten Einziehungsentscheidung betreffend Aktien der Gesellschaft L.Z. d.d. führt, die die Gesellschaft D. hält.
4. Die vorliegende Rechtssache wirft im Wesentlichen die Frage auf, inwieweit die Vollstreckungsbehörde eines Mitgliedstaats die Anerkennung und Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung, die in einem anderen Mitgliedstaat in einem Strafverfahren erlassen wurde, das mit einem Freispruch der Angeklagten geendet hat, mit der Begründung versagen kann, dass diese Entscheidung entweder nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung 2018/1805 fällt oder die Grundrechte der Person, gegen die diese Entscheidung ergangen ist, verletzt wurden.
5. Genauer gesagt stellt sich in dieser Rechtssache die Frage nach der Reichweite des in Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 genannten Grundes für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung wegen in Ausnahmefällen aufgrund genauer und objektiver Angaben bestehender berechtigter Gründe zu der Annahme, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung unter den besonderen Umständen des Falles die offensichtliche Verletzung eines in der Charta verankerten relevanten Grundrechts, insbesondere des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, des Rechts auf ein faires Verfahren oder des Rechts auf Verteidigung, zur Folge hätte.
6. In diesem Kontext ist im Rahmen der vorliegenden Rechtssache u. a. zu klären, inwieweit die zweistufige Prüfung, die der Gerichtshof im Rahmen der Auslegung von Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 entwickelt und anschließend auf den Rahmenbeschluss 2008/909/JI(5 ) ausgeweitet hat, für die Zwecke der Umsetzung einer spezifischen Bestimmung wie der in Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 vorgesehenen einschlägig ist. Konkret bedarf die Frage einer Entscheidung, ob die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung nach dieser Bestimmung den Nachweis erfordert, dass im Entscheidungsmitgliedstaat aufgrund in Bezug auf die Grundrechte bestehender systemischer oder allgemeiner Mängel eine echte Gefahr der Verletzung eines in der Charta verbürgten Grundrechts besteht.
7. Der Gerichtshof wird daher zu klären haben, ob der Prüfungsrahmen der Ausnahmen von der gegenseitigen Anerkennung und von dem gegenseitigen Vertrauen, auf denen der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beruht, für alle Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen identisch ist oder ob dieser Prüfungsrahmen je nach den Besonderheiten eines jeden dieser Instrumente variieren kann.
II. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen
8. Auf der Grundlage einer Anklage des Specializirano državno tožilstvo Republike Slovenije (Spezialisierte Staatsanwaltschaft der Republik Slowenien) vom 29. Mai 2017 führte das Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor, Slowenien) ein Strafverfahren gegen vier Personen (im Folgenden: die vier Angeklagten), die der Straftat des Missbrauchs der Stellung oder der Befugnisse verdächtigt wurden. Ihnen wurde vorgeworfen, zwischen dem 11. und dem 25. Juli 2007 der Gesellschaft I.J.S. d.d. einen rechtswidrigen Vermögensvorteil beim Kauf von Aktien der Gesellschaft L.Z verschafft zu haben.
9. Das Gericht stellte fest, dass alle konstitutiven Elemente der Straftaten der Gläubigerschädigung und der Geldwäsche in anderen Personen als den vier Angeklagten dadurch verwirklicht waren, dass im Juni 2013 von der Gesellschaft I.J.S. u. a. Aktien der Gesellschaft L.Z. ohne tatsächliche Zahlung an die Gesellschaft V.K. d.o.o. verkauft worden waren und anschließend im Juli 2013 ein Vertrag über den Verkauf dieser Aktien durch die Gesellschaft V.K. d.o.o an die Gesellschaft D. unter Zwischenschaltung eines ihrer Geschäftsführer geschlossen worden war, um die Herkunft dieser Aktien zu verschleiern.
10. Die Straftat der Gläubigerschädigung führte zu einem strafrechtlichen Vorverfahren, in dessen Rahmen die Aktien von L.Z. durch einstweilige Maßnahmen zwecks Sicherung der beantragten Einziehung sichergestellt wurden(6 ). Trotz dieser einstweiligen Maßnahmen wurden diese Aktien am 13. Oktober 2014 auf Treuhandkonten übertragen, die keine Identifizierung der tatsächlichen Eigentümer zulassen. Wegen dieser beiden Straftaten –Gläubigerschädigung und Geldwäsche – wurde jedoch keine Anklage erhoben.
11. Die Gesellschaft D. legte, vertreten durch Z. Z., einen Rechtsbehelf beim Županijski sud u Zagrebu (Gespanschaftsgericht Zagreb, Kroatien) ein, mit dem sie sich gegen die Anerkennung und Vollstreckung dieser einstweiligen Maßnahmen in Kroatien wandte. Dieser Rechtsbehelf wurde von diesem Gericht zurückgewiesen.
12. Am 27. Januar 2020 hörte das Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) Z. Z. an. Im Lauf dieser Anhörung soll dieses Gericht Z. Z. gemäß Art. 500 des Zakon o kazenskem postopku (Strafprozessordnung) (im Folgenden: ZKP) über die Möglichkeit belehrt haben, zu einer etwaigen Entscheidung über die Einziehung des Ertrags der Straftat gegenüber der Gesellschaft D. Stellung zu nehmen, Beweise vorzulegen und Fragen zu stellen. Außerdem soll es Z. Z. über die Möglichkeit einer Einziehung der Aktien der Gesellschaft L.Z. informiert haben. Z. Z. soll erklärt haben, dass er über die einstweiligen Maßnahmen zur Sicherstellung informiert sei, dass diese seiner Ansicht nach einer Rechtsgrundlage entbehrten und dass er aus diesem Grund über seinen Anwalt ein Rechtsmittelverfahren beim Županijski sud u Zagrebu (Gespanschaftsgericht Zagreb) eingeleitet habe. Er habe ferner erklärt, im Fall der Einziehung dieser Aktien Rechtsmittel einzulegen.
13. Am 22. Mai 2020 hielt das Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) die Hauptverhandlung im Beisein des Staatsanwalts, der vier Anklagten sowie ihrer Anwälte ab. In seinem Schlussplädoyer schlug der Staatsanwalt vor, der Gesellschaft D. die Aktien der Gesellschaft L.Z. als Erträge einer Straftat zu entziehen.
14. Mit Urteil vom 27. Mai 2020 sprach das Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) die vier Angeklagten frei, erließ allerdings zugleich auf der Grundlage von Art. 498a Abs. 1 Nr. 1 ZKP(7 ) eine Einziehungsentscheidung bezüglich der Aktien der Gesellschaft L.Z., die die Gesellschaft D. hält, im Zusammenhang mit der Straftat der Gläubigerschädigung und der Straftat der Geldwäsche (im Folgenden: Einziehungsentscheidung). Nachdem das gegen dieses Urteil eingelegte Rechtsmittel des Staatsanwalts durch das Višje sodišče v Mariboru (Obergericht Maribor, Slowenien),) mit Urteil vom 24. November 2021 zurückgewiesen worden war, erwuchs die Einziehungsentscheidung am 22. Dezember 2021 in Rechtskraft.
15. Am 17. Februar 2022 erließ das Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) eine Einziehungsbescheinigung im Sinne von Art. 14 der Verordnung 2018/1805, mit der die Aktien der Gesellschaft L.Z. als Ertrag einer Straftat im Sinne von Art. 2 Abs. 3 Buchst. a dieser Verordnung eingestuft und für im Sinne von Art. 2 Abs. 3 Buchst. d dieser Verordnung im Anschluss an ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Straftat ohne endgültige Verurteilung einziehbar erklärt wurden.
16. Dieses Gericht übermittelte der Staatsanwaltschaft Zagreb zwecks Anerkennung und Vollstreckung der genannten Entscheidung diese Bescheinigung nebst Übersetzung zum einen der Einleitung, des Tenors, des Teils der Begründung, der sich auf die Einziehungsentscheidung bezieht, und von Informationen über die Rechtsmittel, die in dem Urteil vom 27. Mai 2020 enthalten sind, und zum anderen der Einleitung und des Tenors des Urteils des Višje sodišče v Mariboru (Obergericht Maribor) vom 24. November 2021, mit dem das gegen diese Entscheidung eingelegte Rechtsmittel hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung zurückgewiesen worden war.
17. Mit Urteil vom 25. November 2022 erkannte der von der Staatsanwaltschaft zu diesem Zweck angerufene Županijski sud u Zagrebu (Gespanschaftsgericht Zagreb) die Einziehungsentscheidung an.
18. Der Staatsanwalt und die Gesellschaft D. legten gegen dieses Urteil beim Visoki kazneni sud (Hohes Strafgericht, Kroatien), dem vorlegenden Gericht, Rechtsmittel ein. Dieses hegt Zweifel, ob der Gegenstand, in Bezug auf den die Einziehungsentscheidung erlassen wurde, im Sinne von Art. 2 Abs. 3 der Verordnung 2018/1805 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt. Es hegt ferner Zweifel, ob die Grundrechte gewahrt wurden, die der von dieser Entscheidung betroffenen Person in dem Verfahren, in dem diese Entscheidung ergangen ist, aus der Charta erwachsen, und führt hierzu aus, dass die Missachtung dieser Rechte in Ausnahmesituationen einen Grund darstellen könne, die Einziehungsentscheidung nach Art. 19 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung nicht anzuerkennen und nicht zu vollstrecken.
19. Als Erstes stellt das vorlegende Gericht zwei Fragen zur Auslegung von Art. 2 Nr. 3 der Verordnung 2018/1805. Es fragt, ob ein Strafverfahren, das zum einen mit einem Freispruch endet und in dem zum anderen eine Einziehungsentscheidung ergeht, die auf Feststellungen, die eine andere Straftat betreffen als diejenige, in Bezug auf die das Urteil erlassen wurde und die von anderen Beteiligten als den vier Angeklagten begangen worden war, als „Verfahren im Zusammenhang mit einer Straftat“, das „ohne endgültige Verurteilung zur Einziehung [von Gegenständen]“ führen kann, angesehen werden kann.
20. Als Zweites erinnert das vorlegende Gericht daran, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen den Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen darstelle, was bedeute, dass die Versagung der Anerkennung solcher Urteile gemäß Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 nur in Ausnahmefällen möglich sei, und fragt sich, ob die Grundrechte der Gesellschaft D. bei Erlass der Einziehungsentscheidung gewahrt wurden.
21. Es weist erstens darauf hin, dass die verantwortliche Person der Gesellschaft D. in der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2020 als Zeuge befragt – was noch zu überprüfen sein wird – und über die Möglichkeit einer Einziehung der Aktien sowie die Möglichkeit, Beweise vorzulegen und im Lauf des Verfahrens Fragen zu stellen, belehrt worden sei. Dagegen sei sie nicht über das in Art. 8 der Richtlinie 2014/42/EU(8 ) niedergelegte Recht auf Rechtsbeistand während des gesamten Einziehungsverfahrens belehrt worden.
22. Zweitens hebt das vorlegende Gericht hervor, dass bei dieser mündlichen Verhandlung der Antrag auf Einziehung der Gegenstände noch nicht gestellt worden sei, da der Staatsanwalt diesen Antrag erst in seinem Schlussplädoyer im Mai 2020 gestellt habe. Das Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) habe folglich eine mündliche Verhandlung auf der Grundlage der im Jahr 2017 eingereichten Anklageschrift durchgeführt.
23. Drittens sei der Gesellschaft D. lediglich die Übersetzung von Auszügen des Urteils dieses Gerichts übersandt worden, obwohl nach Ansicht des vorlegenden Gerichts das vollständige Urteil ein wesentliches Dokument ist(9 ) und die Vorschriften im Bereich des fairen Verfahrens die Zustellung des vollständigen Urteils verlangen.
24. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) angegeben habe, der Gesellschaft D. Auszüge aus dem Urteil zugestellt zu haben, gegen das diese kein Rechtsmittel eingelegt habe. Dagegen behaupte die Gesellschaft D., sie habe diese Urteilsauszüge nicht erhalten, und biete zum Beweis hierfür die Einholung eines grafologischen Gutachtens über die Zustellungsbescheinigung an. Das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, welche Überprüfungen und welche Rücksprache mit der Entscheidungsbehörde aufgrund dieser Behauptungen erforderlich sind. In dieser Hinsicht hebt es die Bedeutung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung und von Art. 33 der Verordnung 2018/1805 hervor, der vorsieht, dass die Sachgründe für den Erlass einer Einziehungsentscheidung nicht vor einem Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats angefochten werden können.
25. Unter diesen Umständen hat der Visoki kazneni sud (Hohes Strafgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Umfasst der Begriff „Verfahren im Zusammenhang mit einer Straftat, das auch ohne endgültige Verurteilung zur Einziehung von Vermögen führen kann“ gemäß Art. 2 Abs. 3 der Verordnung 2018/1805 auch ein Strafverfahren, das mit einem Freispruch endet?
2. Umfasst der Begriff „Verfahren im Zusammenhang mit einer Straftat, das auch ohne endgültige Verurteilung zur Einziehung von Vermögen führen kann“ gemäß Art. 2 Abs. 3 der Verordnung 2018/1805 auch ein Strafverfahren, das mit einem Freispruch endet und mit einer Entscheidung über die Einziehung eines Ertrags, der rechtswidrig durch eine Straftat erlangt wurde, bei der es sich nicht um die Straftat handelt, in Bezug auf die der Freispruch ergangen ist, und an deren Begehung nicht die Angeklagten, sondern Personen beteiligt waren, gegen die keine Anklage erhoben wurde?
3. Stehen die Verordnung 2018/1805, Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung und Art. 47 der Charta der Anerkennung einer Einziehungsentscheidung entgegen, die in einem Strafverfahren erlassen wurde, in dem die betroffene Person im Sinne von Art. 2 Abs. 10 der Verordnung 2018/1805
– nicht in allen Stadien des Strafverfahrens zur Teilnahme daran geladen wurde;
– nicht auf das Recht auf Rechtsbeistand während des gesamten Verfahrens hingewiesen wurde;
– nicht den vollständigen Wortlaut des Urteils, in dem die Einziehungsentscheidung enthalten ist, in einer ihr verständlichen Sprache zugestellt bekommen hat, sondern nur Auszüge eines solchen Urteils, und gegen das in dieser Weise zugestellte Urteil kein Rechtsmittel eingelegt hat?
26. Die Staatsanwaltschaft Zagreb, die kroatische und die slowenische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft Zagreb an der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2025 teilgenommen, in der sie auf die vom Gerichtshof zur mündlichen Beantwortung gestellten Fragen geantwortet haben.
III. Würdigung
A. Zu den ersten beiden Vorlagefragen
27. Mit diesen Fragen, die meines Erachtens zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Strafverfahren, das mit einem Freispruch endet und in dem eine Einziehungsentscheidung im Zusammenhang mit einer Straftat erlassen wird, bei der es sich nicht um diejenige handelt, in Bezug auf die dieser Freispruch ergangen ist, und an der eine andere Person als die freigesprochenen Angeklagten beteiligt war, gegen die keine Anklage erhoben wurde, in den Anwendungsbereich der Verordnung 2018/1805 fällt.
28. Meiner Ansicht nach sind diese Fragen zu bejahen.
29. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung 2018/1805 dem Ziel des Aufbaus und der Erhaltung eines Raums der Sicherheit und des Rechts durch die Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen dient, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht(10 ).
30. Ausgehend von der Feststellung, dass zum einen die Sicherstellung und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten zu den wirksamsten Mitteln der Kriminalitätsbekämpfung gehören(11 ) und zum anderen der grenzüberschreitende Charakter der Kriminalität die Gewährleistung einer wirksamen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in diesem Bereich erfordert(12 ), hat der Unionsgesetzgeber betont, dass es wichtig sei, die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen durch Vorschriften zu erleichtern, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, solche Entscheidungen, wenn sie von einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen von Verfahren in Strafsachen erlassen wurden, ohne weitere Formalitäten anzuerkennen und diese Entscheidungen in ihrem Hoheitsgebiet zu vollstrecken(13 ).
31. So bestimmt Art. 1 Abs. 1 der Verordnung 2018/1805, dass diese die Vorschriften festlegt, nach denen die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen anerkennen und vollstrecken, die von anderen Mitgliedstaaten im Rahmen von Verfahren in Strafsachen erlassen wurden.
32. Dagegen gilt diese Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 4 nicht für Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen, die im Rahmen von Verfahren in Zivilsachen oder Verwaltungssachen erlassen werden(14 ). Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Einziehungsentscheidung wurde unstreitig im Rahmen eines Verfahrens in Strafsachen erlassen.
33. In dieser Hinsicht bestimmt Art. 2 Abs. 2 der Verordnung 2018/1805, dass der Ausdruck „Einziehungsentscheidung“ eine rechtskräftige Strafe oder Maßnahme bezeichnet, die von einem Gericht im Anschluss an ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Straftat verhängt wird und die zur endgültigen Entziehung von Vermögensgegenständen einer natürlichen oder juristischen Person führt. Ferner umfasst der Ausdruck „Vermögensgegenstand“ nach der Definition von Art. 2 Abs. 3 Buchst. d dieser Verordnung u. a. alle Vermögensgegenstande, hinsichtlich deren die Entscheidungsbehörde der Auffassung ist, dass sie nach dem Recht des Entscheidungsstaats im Anschluss an ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Straftat einzuziehen sind, einschließlich der Einziehung ohne endgültige Verurteilung .
34. Diese verschiedenen Bestimmungen sind im Licht des 13. Erwägungsgrundes der Verordnung 2018/1805 zu lesen, aus dem sich ergibt, dass ihr Anwendungsbereich als sehr weit anzusehen ist, da sie für alle Arten von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen gelten soll, die im Anschluss an ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Straftat ergehen. Folglich werden nach diesem Erwägungsgrund nicht nur Entscheidungen erfasst, die unter die Richtlinie 2014/42 fallen, sondern diese Verordnung gilt auch für andere Arten von Entscheidungen, die ohne rechtskräftige Verurteilung ergehen, einschließlich Ermittlungen durch die Polizei und andere Strafverfolgungsbehörden(15 ). Auch wenn das Rechtssystem eines Mitgliedstaats diese Art von Entscheidungen nicht vorsieht, muss der betreffende Mitgliedstaat vor diesem Hintergrund in der Lage sein, solche Entscheidungen, die von einem anderen Mitgliedstaat erlassen wurden, anzuerkennen und zu vollstrecken(16 ).
35. Im vorliegenden Fall stammten die eingezogenen Vermögensgegenstände nach Ansicht des Gerichts, das die Einziehungsentscheidung erlassen hat, aus den Straftaten der Gläubigerschädigung und Geldwäsche. Dies eröffnet den Anwendungsbereich der Verordnung 2018/1805 für diese Entscheidung. Der Umstand, dass wegen dieser Straftaten keine Anklage erhoben wurde und dass andere Angeklagte im Rahmen dieses Verfahrens im Zusammenhang mit einer anderen Straftat freigesprochen wurden, ist in dieser Hinsicht gleichgültig.
36. Meiner Meinung nach lässt sich aus dem Vorstehenden ableiten, dass, wie alle Beteiligten des vorliegenden Verfahrens geltend gemacht haben, Art. 1 Abs. 1 und 4 sowie Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. d der Verordnung 2018/1805 in Verbindung mit deren 13. Erwägungsgrund dahin auszulegen sind, dass diese Verordnung für eine Einziehungsentscheidung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gilt, die im Rahmen eines Verfahrens in Strafsachen erlassen wird, das mit einem Freispruch endet und im Zusammenhang mit einer Straftat steht, bei der es sich nicht um diejenige handelt, in Bezug auf die dieser Freispruch ergangen ist, und an der eine andere Person als die freigesprochenen Angeklagten beteiligt war, gegen die keine Anklage erhoben wurde.
B. Zur dritten Vorlagefrage
37. Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats die Anerkennung einer Einziehungsentscheidung aufgrund der behaupteten Verletzung bestimmter Grundrechte im Entscheidungsmitgliedstaat mit der Begründung versagen kann, , dass die Person, gegen die diese Entscheidung ergangen sei, erstens nicht in allen Stadien des Strafverfahrens zur Teilnahme daran geladen worden sei, dass sie zweitens nicht über das Recht auf Rechtsbeistand während dieses gesamten Verfahrens informiert worden sei und dass ihr drittens nicht der vollständige Wortlaut des Urteils, in dem die Einziehungsentscheidung enthalten sei, in einer ihr verständlichen Sprache zugestellt worden sei, auch wenn sie kein Rechtsmittel gegen dieses Urteil eingelegt habe(17 ).
38. Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung 2018/1805 wie die anderen Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen hinsichtlich anderer Arten von Entscheidungen die Regel aufstellt, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, eine Einziehungsentscheidung, die von einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen eines Verfahrens in Strafsachen erlassen wurde, anzuerkennen und in seinem Hoheitsgebiet zu vollstrecken.
39. Dementsprechend bestimmt Art. 18 Abs. 1 dieser Verordnung, dass die Vollstreckungsbehörde jede gemäß deren Art. 14 übermittelte Einziehungsentscheidung anerkennt und die erforderlichen Maßnahmen für deren Vollstreckung auf dieselbe Weise wie bei einer von einer Behörde des Vollstreckungsstaats erlassenen innerstaatlichen Einziehungsentscheidung trifft, es sei denn, die betreffende Vollstreckungsbehörde macht einen der in Art. 19 dieser Verordnung vorgesehenen Gründe für die Versagung der Anerkennung und der Vollstreckung oder einen der in ihrem Art. 21 vorgesehenen Aussetzungsgründe geltend. Mit den Worten des 31. Erwägungsgrundes der Verordnung 2018/1805 sollte die Anerkennung und Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung nur aus den in dieser Verordnung festgelegten Gründen abgelehnt werden können.
40. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten die Pflicht haben, die Charta zu beachten, wenn sie über ein Ersuchen um Anerkennung und Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung entscheiden, da sie dann das Recht der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführen. Die zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats sind folglich, wenn sie über ein solches Ersuchen entscheiden, zur Achtung der Grundrechte verpflichtet, die der Person, gegen die die Einziehungsentscheidung, um deren Anerkennung und Vollstreckung ersucht wird, ergangen ist, aus der Charta erwachsen(18 ).
41. Zu diesen Rechten zählen u. a. das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein faires Verfahren, das in Art. 47 der Charta verankert ist, sowie die Verteidigungsrechte, die Art. 48 Abs. 2 der Charta garantiert.
42. In diesem Sinne bestimmt Art. 1 Abs. 2 der Verordnung 2018/1805, dass diese die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 EUV niedergelegt sind, zu achten, nicht berührt(19 ).
43. Zudem sieht Art. 19 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung vor, dass die Vollstreckungsbehörde die Anerkennung oder Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung versagen kann, wenn in Ausnahmefällen aufgrund genauer und objektiver Angaben berechtigte Gründe zu der Annahme bestehen, dass die Vollstreckung dieser Entscheidung unter den besonderen Umständen des Falles die offensichtliche Verletzung eines in der Charta verankerten relevanten Grundrechts, insbesondere des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, des Rechts auf ein faires Verfahren oder des Rechts auf Verteidigung, zur Folge hätte(20 ).
44. Angesichts der vom vorlegenden Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen geäußerten Bedenken sollte diese letztgenannte Bestimmung meines Erachtens im Rahmen der Prüfung der dritten Frage vom Gerichtshof ausgelegt werden.
45. In der mündlichen Verhandlung wurden die hieran Teilnehmenden aufgefordert, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Anwendung des in Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 genannten Grundes für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde erfordert, dass sie die gleiche zweistufige Prüfung vornimmt, wie sie der Gerichtshof im Kontext der Auslegung von Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 entwickelt hat.
46. Diese Bestimmung sieht nämlich ausweislich eines Wortlauts, der demjenigen von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung 2018/1805 ähnelt, vor, dass dieser Rahmenbeschluss nicht die Pflicht berührt, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 EUV niedergelegt sind, zu achten.
47. Auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 hat der Gerichtshof entschieden, dass es der vollstreckenden Justizbehörde, wenn die Gefahr einer Verletzung der von der Charta anerkannten Grundrechte besteht, gestattet sein kann, ausnahmsweise und nach einer angemessenen Prüfung davon abzusehen, einem Europäischen Haftbefehl Folge zu leisten(21 ).
48. Hinsichtlich der Modalitäten einer solchen Prüfung ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Rahmenbeschluss 2002/584, dass die Frage, ob die Gefahr einer Verletzung der in den Art. 4, 7, 24 und 47 der Charta gewährleisteten Grundrechte besteht, im Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls grundsätzlich im Rahmen einer Prüfung in zwei getrennten Schritten zu beurteilen ist, die sich nicht überschneiden dürfen, weil sie eine Analyse auf der Grundlage verschiedener Kriterien beinhalten, und daher nacheinander vorzunehmen sind(22 ).
49. Zu diesem Zweck muss die vollstreckende Justizbehörde in einem ersten Schritt ermitteln, ob es objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben gibt, die nahelegen, dass im Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund systemischer oder allgemeiner Mängel oder aufgrund von Mängeln, die speziell eine objektiv identifizierbare Personengruppe betreffen, eine echte Gefahr der Verletzung eines dieser Grundrechte besteht (23 ).
50. In einem zweiten Schritt muss die vollstreckende Justizbehörde konkret und genau untersuchen, inwieweit sich die Mängel, die im ersten Schritt der Prüfung festgestellt wurden, auf die Person auswirken können, gegen die ein Europäischer Haftbefehl ergangen ist, und ob es in Anbetracht ihrer persönlichen Situation ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass diese Person im Fall ihrer Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat einer echten Gefahr der Verletzung dieser Grundrechte ausgesetzt wäre(24 ).
51. Das Erfordernis einer solchen zweistufigen Prüfung hat der Gerichtshof damit begründet, dass das durch den Rahmenbeschluss 2002/584 eingeführte vereinfachte und wirksame System der Übergabe von verurteilten oder verdächtigten Personen ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten voraussetzt und auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruht, der, wie sich aus dem sechsten Erwägungsgrund dieses Rahmenbeschlusses ergibt, einen „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im strafrechtlichen Bereich darstellt(25 ).
52. Insoweit verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten(26 ).
53. Bei der Durchführung des Unionsrechts können die Mitgliedstaaten somit unionsrechtlich verpflichtet sein, die Beachtung der Grundrechte durch die übrigen Mitgliedstaaten zu unterstellen, so dass sie weder die Möglichkeit haben , von einem anderen Mitgliedstaat ein höheres nationales Schutzniveau der Grundrechte als das durch das Unionsrecht gewährleistete zu verlangen, noch – von Ausnahmefällen abgesehen – prüfen können, ob dieser andere Mitgliedstaat in einem konkreten Fall die durch die Union gewährleisteten Grundrechte tatsächlich beachtet hat (27 ).
54. In diesem Zusammenhang dient die Verpflichtung, festzustellen, ob Mängel wie die in Nr. 49 der vorliegenden Schlussanträge erwähnten bestehen, bevor konkret und genau geprüft werden kann, ob die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl ergangen ist, einer echten Gefahr der Verletzung eines Grundrechts ausgesetzt ist, gerade dazu, zu verhindern, dass eine solche Prüfung nicht nur ausnahmsweise erfolgt, und beruht somit auf der sich aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens ergebenden Unterstellung, dass der Ausstellungsmitgliedstaat die Grundrechte beachtet (28 ).
55. Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass die Einhaltung dieser Verpflichtung es insbesondere ermöglicht, die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Ausstellungsmitgliedstaat und dem Vollstreckungsmitgliedstaat in Bezug auf die Wahrung der den Grundrechten innewohnenden Anforderungen sicherzustellen, die sich aus der vollen Anwendung der Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung ergibt, auf denen die Funktionsweise des Mechanismus des Europäischen Haftbefehls beruht(29 ).
56. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung erscheint die Frage berechtigt, ob der Vollstreckungsbehörde im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen die Pflicht aufzuerlegen ist, festzustellen, dass entweder systemische oder allgemeine Mängel oder Mängel, die speziell eine objektiv identifizierbare Personengruppe betreffen, vorliegen, bevor konkret und genau geprüft werden kann, ob die Person, gegen die eine Einziehungsentscheidung ergangen ist, einer echten Gefahr der Verletzung eines Grundrechts ausgesetzt ist.
57. In Beantwortung dieser Frage haben die Teilnehmer der mündlichen Verhandlung zwei gegensätzliche Thesen entwickelt. Die kroatische und die slowenische Regierung haben sich auf den Standpunkt gestellt, dass im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen eine zweistufige Prüfung vorzunehmen sei. Demgegenüber hat sich die Kommission gegen die Durchführung einer solchen Prüfung ausgesprochen.
58. Ich teile die Auffassung der Kommission.
59. Denn die zweistufige Prüfung ist das Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung, die der Sicherstellung der Wirksamkeit des durch den Rahmenbeschluss 2002/584 eingeführten Übergabemechanismus dient, wobei dem spezifischen Ziel dieses Rahmenbeschlusses Rechnung getragen(30 ) und zugleich gewährleistet wird, dass dieser Mechanismus nicht zulasten des Grundrechtsschutzes angewandt wird. Diese richterliche Rechtsfortbildung wurde auf der Grundlage einer Grundrechte-Generalklausel, die in Art. 1 Abs. 3 dieses Rahmenbeschlusses enthalten ist, vorgenommen, während dieser Rahmenbeschluss einen auf die Gefahr einer Grundrechtsverletzung im Ausstellungsmitgliedstaat gestützten Grund für die Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nicht ausdrücklich vorsieht.
60. In diesem Kontext, der sich dadurch auszeichnet, dass im Wortlaut des Rahmenbeschlusses 2002/584 die Methode und die Kriterien, anhand derer zu prüfen ist, ob die Gefahr einer Grundrechtsverletzung im Ausstellungsmitgliedstaat vorliegt, nicht konkretisiert werden, musste der Gerichtshof diese Methode und diese Kriterien selbst konkretisieren, wobei er dafür Sorge tragen musste, das Funktionieren des von diesem Rahmenbeschluss vorgesehenen Übergabemechanismus nicht zu lähmen. Seine Rechtsprechung hierzu hat der Gerichtshof nicht von Grund auf entwickelt, denn deren Kardinalpunkt hatte er bereits gesetzt, indem er in Rn. 192 seines Gutachtens 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK ) vom 18. Dezember 2014(31 ) entschieden hatte, dass ein Mitgliedstaat – von Ausnahmefällen abgesehen – nicht prüfen kann, ob ein anderer Mitgliedstaat in einem konkreten Fall die durch die Union gewährleisteten Grundrechte tatsächlich beachtet hat.
61. Dies vorausgeschickt, weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof nicht generell, d. h. im Rahmen der Anwendung aller Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen, verlangt zu haben scheint, dass die Abgrenzung der Ausnahmefälle, in denen die Achtung der Grundrechte in einem Mitgliedstaat durch einen anderen Mitgliedstaat geprüft werden kann, stets an die vorherige Feststellung geknüpft ist, dass entweder systemische oder allgemeine Mängel oder Mängel, die speziell eine objektiv identifizierbare Personengruppe betreffen, vorliegen, bevor konkret und genau geprüft werden kann, ob die Person, gegen die eine Entscheidung ergangen ist, um deren Anerkennung ersucht wird, einer echten Gefahr der Verletzung eines Grundrechts ausgesetzt ist.
62. Der Gerichtshof hat zwar die Frage bejaht, ob die im Rahmen des Rahmenbeschlusses 2002/584 erforderliche zweistufige Prüfung auf den Fall eines Antrags übertragbar ist, der nicht auf die Übergabe einer Person, gegen die auf der Grundlage dieses Rahmenbeschlusses ein Europäischer Haftbefehl erlassen wurde, an die ausstellenden Justizbehörden, sondern darauf gerichtet ist, dass im Vollstreckungsmitgliedstaat ein in einem anderen Mitgliedstaat ergangenes Urteil auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses 2008/909 anerkannt wird und eine dort verhängte strafrechtliche Sanktion vollstreckt wird, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Verhältnisse in diesem anderen Mitgliedstaat zum Zeitpunkt des Erlasses der zu vollstreckenden Entscheidung oder der diese betreffenden späteren Entscheidungen mit dem in Art. 47 Abs. 2 der Charta genannten Grundrecht auf ein faires Verfahren unvereinbar sind(32 ).
63. Um zu diesem Schluss zu gelangen, der Anlass zu gewissen in der Literatur aufgeworfenen Fragen gegeben hat(33 ), hat sich der Gerichtshof jedoch auf mehrere die Achtung der Grundrechte betreffende Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2008/909 gestützt, die auch im Rahmenbeschluss 2002/584 enthalten sind(34 ); dabei hat er das Verwandtschaftsverhältnis zwischen diesen beiden Rahmenbeschlüssen betont(35 ). Dies gilt insbesondere für Art. 3 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses 2008/909, der bestimmt, dass dieser nicht die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte und der allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Art. 6 EUV berührt. Diese Generalklausel zur Achtung der Grundrechte entspricht nämlich derjenigen in Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584(36 ).
64. Zwar ist eine solche Generalklausel zur Achtung der Grundrechte, wie oben ausgeführt, auch in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung 2018/1805 enthalten.
65. Daher könnte in Betracht gezogen werden, von der Vollstreckungsbehörde zu verlangen, dass sie im Rahmen der Anwendung dieser Verordnung eine zweistufige Prüfung vornimmt, wenn die Gefahr einer Grundrechtsverletzung im Entscheidungsmitgliedstaat behauptet wird.
66. Meiner Ansicht nach kann von diesem Erfordernis jedoch aus dem Grund nicht ohne Weiteres ausgegangen werden, dass innerhalb der Verordnung 2018/1805 insoweit ein spezifischer Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung existiert, wie derjenige, der in Art. 19 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung geregelt ist.
67. Im Unterschied zu den Rahmenbeschlüssen 2002/584 und 2008/909 hat sich der Unionsgesetzgeber nämlich nicht damit begnügt, in der Verordnung 2018/1805 eine Generalklausel zur Achtung der Grundrechte vorzusehen, sondern er hat darüber hinaus in diese Verordnung einen spezifischen Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung aufgenommen(37 ), wobei er die Methode und die Kriterien, anhand derer die Gefahr einer Grundrechtsverletzung von der Vollstreckungsbehörde zu evaluieren ist, konkretisiert hat. Folglich sind diese Methode und diese Kriterien heranzuziehen, die in einer Regelung dargestellt werden, die als lex specialis gegenüber der in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung 2018/1805 enthaltenen Generalklausel zur Achtung der Grundrechte angesehen werden kann(38 ).
68. Insoweit ist hervorzuheben, dass Art. 19 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung mit der Bezugnahme auf die Gefahr einer „offensichtlichen Verletzung“ eines Grundrechts „unter den besonderen Umständen des Falles“ unmissverständlich eine Einzelfallprüfung des Vorliegens einer solchen Gefahr verlangt. Ich merke an, dass an keiner Stelle, weder in dieser Bestimmung noch in einer anderen Bestimmung dieser Verordnung, verlangt wird, dass dieser Einzelfallprüfung zwingend die Feststellung vorausgehen muss, dass entweder systemische oder allgemeine Mängel oder Mängel, die speziell eine objektiv identifizierbare Personengruppe betreffen, vorliegen(39 ). Bei Erlass der Verordnung 2018/1805 hatte der Gerichtshof jedoch das Erfordernis einer zweistufigen Prüfung im Bereich des Europäischen Haftbefehls bereits formuliert(40 ), einschließlich der Prüfung, ob die Gefahr einer Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren, wie es in Art. 47 Abs. 2 der Charta verankert ist, vorliegt(41 ), so dass sich der Unionsgesetzgeber meines Erachtens bewusst und gewollt dafür entschieden hat, im Rahmen dieser Verordnung keine solche zweistufige Prüfung vorzuschreiben. Zwar kann die Feststellung derartiger Mängel selbstverständlich die Feststellung einer Grundrechtsverletzung unter den Umständen des konkreten Falles erleichtern, gleichwohl handelt es sich nicht um einen zwingenden Prüfungsschritt, wenn man sich an den vom Unionsgesetzgeber in Art. 19 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung verwendeten Wortlaut hält.
69. Ein anderer Schluss lässt sich meiner Ansicht nach auch nicht aus einer analogen Anwendung der Verordnung (EU) 2023/1543 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2023 über Europäische Herausgabeanordnungen und Europäische Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafverfahren und für die Vollstreckung von Freiheitsstrafen nach Strafverfahren(42 ) ziehen. Diese Verordnung enthält in ihrem Art. 12 Abs. 1 Buchst. b einen Ablehnungsgrund mit vergleichbarem Wortlaut wie Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805(43 ). Der 64. Erwägungsgrund der Verordnung 2023/1543, der Aufschluss über die Tragweite dieses Ablehnungsgrundes gibt, könnte zwar dahin verstanden werden, dass dieser Grund nur unter der Voraussetzung geltend gemacht werden kann, dass eine zweistufige Prüfung vorgenommen wurde(44 ). Ich glaube jedoch, dass der Gesetzgeber das konkrete Beispiel eines begründeten Vorschlags, der gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV angenommen wurde, angeführt hat, um hervorzuheben, dass die für die Ausführung der Anordnung zuständige Behörde eine Einzelfallprüfung durchführen muss, wenn systemische oder allgemeine Mängel in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz des Anordnungsmitgliedstaats festgestellt wurden.
70. Ferner weise ich darauf hin, dass die Prüfung anderer Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen nicht für die These spricht, dass der Vollstreckungsbehörde generell die Pflicht aufzuerlegen ist, eine zweistufige Prüfung vorzunehmen, um festzustellen, ob tatsächlich die Gefahr einer Grundrechtsverletzung vorliegt.
71. So sieht etwa der Rahmenbeschluss 2005/214/JI(45 ) in seinem Art. 20 Abs. 3 vor, dass jeder Mitgliedstaat die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen verweigern kann, wenn die in Art. 4 dieses Rahmenbeschlusses genannte Bescheinigung Anlass zu der Vermutung gibt, dass Grundrechte oder allgemeine Rechtsgrundsätze gemäß Art. 6 EUV verletzt wurden. Ich merke an, dass die Geltendmachung dieses Grundes für die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße in der Rechtsprechung des Gerichtshofs keineswegs einer zweistufigen Prüfung unterworfen ist(46 ), wobei dieser Grund, da er eine Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung darstellt, eng auszulegen ist(47 ).
72. Zudem hat der Gerichtshof bei der Berücksichtigung des in Art. 11 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen(48 ) vorgesehenen Grundes für die Versagung der Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung das Erfordernis einer zweistufigen Prüfung nicht erwähnt(49 ).
73. Ferner sollte meines Erachtens die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass die Prüfung, ob die Grundrechte gewahrt wurden, innerhalb der Verordnung 2018/1805 je nach Art des in Frage stehenden Grundrechts und der anwendbaren Klausel nach zweierlei Maßstäben erfolgt. Aus der Existenz der Generalklausel in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung 2018/1805 folgt nicht ohne Weiteres, dass eine zweistufige Prüfung vorzunehmen ist, um zu entscheiden, ob die Anerkennung und die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung wegen der behaupteten Verletzung von Grundrechten im Entscheidungsmitgliedstaat zu versagen sind.
74. Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 sieht nämlich einen spezifischen Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung im Fall der Gefahr einer offensichtlichen Verletzung von Grundrechten vor, so dass kein Anlass besteht, sich auf die Generalklausel in Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung zu stützen, um zu prüfen, ob eine solche Gefahr vorliegt. Diese Generalklausel dient in diesem Kontext einzig und allein der Erinnerung an die Pflicht der Mitgliedstaaten, die in Art. 6 EUV verankerten Grundrechte und allgemeinen Rechtsgrundsätze zu achten. Ich stelle ferner klar, dass der spezifische Versagungsgrund, der in Art. 19 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung vorgesehen ist, sich nicht auf die Grundrechte, die er erwähnt, d. h. das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Verteidigung, beschränken kann. Dass auf diese Grundrechte „insbesondere“ abgestellt wird, deutet darauf hin, dass diese Aufzählung nicht abschließend ist, so dass der in der letztgenannten Bestimmung geregelte spezifische Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung auch auf eine behauptete Verletzung anderer Grundrechte anwendbar ist.
75. Ich verstehe auch das Argument, wonach es paradox erscheinen mag, einen so strengen Test wie die zweistufige Prüfung im Bereich des Europäischen Haftbefehls anzuwenden, bei dem das Recht auf Freiheit unmittelbar betroffen ist, während im Bereich der Einziehung, bei der ein solches Recht nicht auf dem Spiel steht, kein solcher Test durchzuführen wäre.
76. Andererseits ist jedoch festzustellen, dass dieses Paradox das Ergebnis der Entscheidung des Unionsgesetzgebers ist, die Klauseln zur Achtung der Grundrechte je nachdem, auf welches Rechtsinstrument der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen sie sich beziehen, unterschiedlich zu formulieren.
77. Insoweit erinnere ich daran, dass der Rahmenbeschluss 2002/584 keinen spezifischen Grund für die Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls enthält, dessen Wortlaut identisch mit demjenigen von Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 wäre.
78. Dies vorausgeschickt, wollte der Unionsgesetzgeber jedoch damit, dass er die Möglichkeit der Vollstreckungsbehörde, sich auf den in Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 vorgesehenen Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung zu berufen, auf „Ausnahmefälle“ und eine „offensichtliche Verletzung“ eines unter dem Schutz der Charta stehenden Grundrechts beschränkt hat, der Vollstreckungsbehörde die Pflicht auferlegen, zu beachten, dass eine solche Verletzung einen besonders hohen Schweregrad aufweisen muss, was im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs in Rn. 192 seines Gutachtens 2/13 (Beitritt der Union zur EMRK ) vom 18. Dezember 2014 steht(50 ).
79. Auch wenn es letztlich Sache des vorlegenden Gerichts ist, diese Würdigung vorzunehmen, lassen die dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen eine Überschreitung dieser Schwelle im Rahmen der vorliegenden Rechtssache meines Erachtens nicht erkennen.
80. Was dies anbelangt, erinnere ich daran, dass sich das vorlegende Gericht unter mehreren Gesichtspunkten fragt, ob im Entscheidungsmitgliedstaat die Grundrechte der juristischen Person, gegen die die Einziehungsentscheidung ergangen ist, gewahrt wurden, und zwar erstens der angeblich unterbliebenen Beteiligung in allen Stadien des Strafverfahrens, in dem diese Entscheidung erlassen wurde, zweitens der angeblich unterbliebenen Belehrung über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und drittens der angeblich unterbliebenen Zustellung des vollständigen Wortlauts des Urteils, in dem die Einziehungsentscheidung enthalten ist, in einer dieser Person verständlichen Sprache, auch wenn diese Person kein Rechtsmittel gegen die Einziehungsentscheidung eingelegt hat. Demnach stehen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und die Verteidigungsrechte in Frage, auf die Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 explizit abstellt.
81. Hinsichtlich dieser Grundrechte weise ich als Erstes darauf hin, dass die Richtlinie 2014/42 und der Rahmenbeschluss 2005/214, den diese Richtlinie teilweise ersetzt hat, die Mitgliedstaaten verpflichten, gemeinsame Mindestvorschriften für die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten einzuführen, insbesondere um die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Einziehungsentscheidungen im Rahmen von Strafverfahren zu erleichtern(51 ).
82. In diesem Zusammenhang verpflichtet Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/42 die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass alle Personen, die von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen betroffen sind, zur Wahrung ihrer Rechte über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein faires Verfahren verfügen(52 ). Insbesondere müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 8 Abs. 6 dieser Richtlinie die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass jede Einziehungsentscheidung begründet wird und die Entscheidung der betroffenen Person mitgeteilt wird. Sie müssen ferner dafür sorgen, dass die Person, in Bezug auf die die Einziehung angeordnet wurde, konkret die Möglichkeit erhält, diese Entscheidung vor Gericht anzufechten. Darüber hinaus bestimmt Art. 8 Abs. 7 dieser Richtlinie, dass, unbeschadet der Richtlinie 2012/13/EU(53 ) und der Richtlinie 2013/48/EU(54 ) Personen, gegen deren Vermögen sich eine Einziehungsentscheidung richtet, zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Einziehungsverfahren ein Recht auf Rechtsbeistand in Bezug auf die Bestimmung der Tatwerkzeuge und der Erträge haben und dass die betroffenen Personen darüber unterrichtet werden, dass sie dieses Recht haben.
83. Soweit eine Einziehungsentscheidung in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/42 fällt(55 ), kann die Person, gegen die diese Entscheidung ergangen ist, folglich den Schutz der Verfahrensrechte beanspruchen, die diese Richtlinie ihr verleiht(56 ).
84. Als Zweites sollten laut dem 18. Erwägungsgrund der Verordnung 2018/1805 die in mehreren Richtlinien(57 ) verankerten Verfahrensrechte innerhalb des Geltungsbereichs dieser Richtlinien bei den unter diese Verordnung fallenden Strafverfahren für die Mitgliedstaaten gelten, die an diese Richtlinien gebunden sind.
85. Fällt eine Einziehungsentscheidung in den Anwendungsbereich einer der im 18. Erwägungsgrund dieser Richtlinie genannten Richtlinien, kann sich die Person, gegen die diese Entscheidung ergangen ist, folglich auf die Verfahrensrechte berufen, die diese Richtlinien ihr verleihen.
86. Als Drittes stellt der 18. Erwägungsgrund der Verordnung 2018/1805 klar, dass die gemäß der Charta gewährleisteten Garantien in jedem Fall für alle unter diese Verordnung fallenden Verfahren gelten sollten. Insbesondere sollten laut diesem Erwägungsgrund die in der Charta verankerten grundlegenden Garantien für Strafverfahren auf die unter diese Verordnung fallenden Verfahren in Strafsachen, die keine Strafverfahren sind, Anwendung finden.
87. Hierzu ist daran zu erinnern, dass nach dem Wortlaut von Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, und vor allem ein Recht darauf hat, dass ihre Sache in einem fairen Verfahren verhandelt wird(58 ). Der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, der in Art. 47 der Charta bekräftigt wird, besteht insoweit aus mehreren Elementen, zu denen u. a. die Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf Zugang zu den Gerichten sowie das Recht gehören, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen(59 ). Ferner ist Art. 48 Abs. 2 der Charta anzuführen, wonach jedem Angeklagten die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet wird.
88. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass es der Person, gegen die in einem Mitgliedstaat eine Einziehungsentscheidung ergangen ist, um deren Anerkennung und Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage der Verordnung 2018/1805 ersucht wird, selbst wenn ihre Situation nicht in den Anwendungsbereich der verschiedenen Richtlinien bezüglich der vorgenannten Verfahrensrechte in Strafverfahren fallen sollte, zumindest ermöglicht worden sein muss, im Entscheidungsmitgliedstaat die grundlegenden Garantien für Strafverfahren, die in der Charta verankert sind, in Anspruch zu nehmen.
89. Insbesondere ist es unerlässlich, dass der Person, gegen die eine Einziehung angeordnet wurde, ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stand, der ihr die Möglichkeit bot, die Achtung dieser grundlegenden Garantien gerichtlich überprüfen zu lassen.
90. Hierzu merke ich an, dass solche Garantien im ZKP verankert zu sein scheinen. Denn zum einen sieht Art. 500 ZKP für den Fall der Einziehung das Recht auf Anhörung sowohl im Vorverfahren als auch in der Hauptverhandlung vor, das bei juristischen Personen von deren Vertretern ausgeübt wird(60 ), sowie das Recht, Beweise vorzulegen und Fragen zu stellen(61 ). Zum anderen sieht Art. 498a Abs. 4 ZKP vor, dass der Eigentümer eingezogener Gegenstände über einen Rechtsbehelf gegen jede Einziehungsmaßnahme verfügt(62 ).
91. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass die Person, gegen die die Einziehungsentscheidung, um deren Anerkennung und Vollstreckung ersucht wird, ergangen ist, keinen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen das Urteil vom 27. Mai 2020 eingelegt hat, das diese Entscheidung enthält, obwohl ihr im Entscheidungsmitgliedstaat ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stand.
92. Unter diesen Umständen kann diese Person im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung der in Frage stehenden Einziehungsentscheidung bei dem Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats, das für die Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung zuständig ist, nicht unter Berufung auf den in Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 geregelten Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung geltend machen, dass ihre Grundrechte im Lauf des Verfahrens, in dem diese Entscheidung erlassen wurde, verletzt wurden.
93. Ein Fall, in dem die Person, gegen die eine Einziehungsentscheidung ergangen ist, die Verletzung solcher Rechte von einem Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats feststellen lassen möchte, obwohl ihr hierfür im Entscheidungsmitgliedstaat ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stand, kann meines Erachtens den nach dieser Bestimmung erforderlichen besonderen Schweregrad nicht erreichen. Mit anderen Worten kann ich keinen Hinweis darauf erkennen, dass ein „Ausnahmef[all]“ vorliegt, der sich durch das Vorliegen „genauer und objektiver Angaben“ auszeichnet, aufgrund derer „berechtigte Gründe“ zu der Annahme bestehen, dass die Vollstreckung der in Frage stehenden Einziehungsentscheidung „unter den besonderen Umständen des Falles“ die „offensichtliche Verletzung“ eines in der Charta verankerten Grundrechts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 zur Folge hätte.
94. Dies anders zu beurteilen, würde meines Erachtens der Logik widersprechen, die dem System der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten zugrunde liegt, das auf den Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung beruht(63 ), die dem Gerichtshof zufolge fundamentale Bedeutung dafür haben, dass ein Raum ohne Binnengrenzen geschaffen und aufrechterhalten werden kann(64 ).
95. Dementsprechend hat der Gerichtshof entschieden, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen impliziert, dass ein gegenseitiges Vertrauen darauf besteht, dass jeder der Mitgliedstaaten die Anwendung des in den übrigen Mitgliedstaaten geltenden Strafrechts anerkennt, auch wenn die Anwendung seines eigenen nationalen Rechts zu einem anderen Ergebnis führen würde(65 ). Dieser Grundsatz wird durch verschiede Rechtsinstrumente, die unter die justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen fallen, wie den Rahmenbeschluss 2002/584 und die Richtlinie 2014/41, umgesetzt. Das von diesen Rechtsinstrumenten vorgesehene System der justiziellen Zusammenarbeit beruht auf einer Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde; dabei ist es Sache der ausstellenden Justizbehörde, zu überprüfen, ob die für die Ausstellung der Entscheidung, um deren Anerkennung ersucht wird, erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ohne dass, wie sich aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ergibt, diese Beurteilung anschließend von der vollstreckenden Justizbehörde überprüft werden könnte(66 ).
96. Folglich soll die Vollstreckungsbehörde im Rahmen der auf den Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung beruhenden justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten nicht überprüfen, ob die Anordnungsbehörde die Voraussetzungen für den Erlass der von ihr zu vollstreckenden gerichtlichen Entscheidung erfüllt hat(67 ).
97. Wie u. a. ihr Art. 18 Abs. 1(68 ), ihr Art. 23 Abs. 1(69 ) und ihr Art. 33 Abs. 2(70 ) zeigen, beruht das von der Verordnung 2018/1805 eingeführte System der justiziellen Zusammenarbeit auch auf einer Unterscheidung zwischen der Verantwortung für die Rechtfertigung und den Erlass einer Einziehungsentscheidung, die in die Zuständigkeit der Entscheidungsbehörde fällt, und der Verantwortung für die Vollstreckung, die in die Zuständigkeit der Vollstreckungsbehörde fällt. In diesem Rahmen ist in erster Linie der Entscheidungsmitgliedstaat dafür verantwortlich, zu gewährleisten, dass eine Einziehungsentscheidung die Rechte wahrt, die der Person, gegen die sie ergangen ist, aus dem Unionsrecht erwachsen, wozu die unter dem Schutz der Charta stehenden Grundrechte gehören(71 ). Daher kann die Vollstreckungsbehörde nur ausnahmsweise gemäß Art. 19 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung von der Anerkennung und Vollstreckung der ihr übermittelten Einziehungsentscheidung absehen. Nur eine derartige Aufteilung der Zuständigkeiten ist geeignet, die Wirksamkeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu gewährleisten, um Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten sicherstellen und einziehen zu können(72 ).
98. Gemäß der in erster Linie bei ihm liegenden Verantwortung für die Gewährleistung der Grundrechte in einem Verfahren, das zum Erlass einer Einziehungsentscheidung führt, muss der Entscheidungsmitgliedstaat der Person, gegen die eine solche Entscheidung ergeht, einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz garantieren, insbesondere indem er Rechtsbehelfe zur Verfügung stellt, die die Möglichkeit einer Überprüfung eröffnen, ob diese Rechte gewahrt wurden. Wenn feststeht, dass diese Person in diesem Mitgliedstaat über einen Rechtsbehelf verfügt hat, von dem sie keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl sie auf diesem Weg eine Verletzung ihrer Grundrechte, wie der in Art. 47 der Charta verbürgten, durch ein Gericht dieses Mitgliedstaats hätte feststellen und gegebenenfalls korrigieren oder sanktionieren lassen können, besteht für die Vollstreckungsbehörde kein Anlass, die Vermutung, dass diese Grundrechte bei Erlass der gegen diese Person ergangenen Einziehungsentscheidung gewahrt wurden, in Frage zu stellen(73 ). Dieser Ansatz ist geeignet, dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gemäß zu verhindern, dass ein Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats, wenn bei ihm Behauptungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vorgebracht werden, die Anwendung der strafprozessualen Vorschriften des Entscheidungsmitgliedstaats durch ein Gericht dieses Mitgliedstaats in einem Einzelfall nachprüft.
99. Im Ergebnis erscheint es mir entscheidend zu sein, zu vermeiden, dass eine Person, die es unterlässt, von ihren Rechtsbehelfen gegen die gegen sie ergangene Einziehungsentscheidung im Entscheidungsmitgliedstaat Gebrauch zu machen, im Stadium des Verfahrens zur Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat die angeblich im Entscheidungsmitgliedstaat erfolgten Verletzungen ihrer Verfahrensrechte rügen kann.
100. In diesem Zusammenhang bietet sich, auch wenn sich die Bereiche der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen durch jeweils eigene Merkmale und Ziele auszeichnen, zur Bereicherung der Überlegungen ein Blick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Verstößen gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) des ersuchten Staats in letzterem Bereich an. Die in Art. 34 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(74 ) vorgesehene Ordre-public-Klausel ist nämlich eng auszulegen und kann nur in Ausnahmefällen Anwendung finden(75 ).
101. Insoweit ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass der Rückgriff auf diese Ordre-public-Klausel eine offensichtliche und unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Rechts des Beklagten auf ein faires Verfahren im Sinne von Art. 47 Abs. 2 der Charta voraussetzt(76 ). Was insbesondere die Frage betrifft, unter welchen Umständen der Umstand, dass eine Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts unter Verletzung von Verfahrensgarantien ergangen ist, nach Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 einen Grund darstellen kann, ihr die Anerkennung zu versagen, hat der Gerichtshof entschieden, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ordre-public-Klausel nur insoweit eingreift, als ein solcher Eingriff bedeuten würde, dass die Anerkennung der betreffenden Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat die offensichtliche Verletzung einer in der Unionsrechtsordnung und somit in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats wesentlichen Rechtsnorm zur Folge hätte(77 ). Ferner betone ich, dass dem Gerichtshof zufolge das gegenseitige Vertrauen, das die Mitgliedstaaten ihren Rechtsordnungen und ihren Gerichten wechselseitig entgegenbringen, es erlaubt, davon auszugehen, dass im Fall einer falschen Anwendung des nationalen Rechts oder des Unionsrechts das in jedem Mitgliedstaat eingerichtete Rechtsbehelfssystem, ergänzt durch das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren, den Betroffenen eine ausreichende Garantie bietet(78 ). Vor diesem Hintergrund ist die Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass sie auf dem grundlegenden Gedanken beruht, dass die Betroffenen grundsätzlich verpflichtet sind, sich aller Rechtsbehelfe zu bedienen, die nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats eröffnet sind. Die Betroffenen haben – sofern keine besonderen Umstände vorliegen, die das Einlegen der Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat übermäßig erschweren oder unmöglich machen – in diesem Mitgliedstaat von allen gegebenen Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen, um im Vorhinein zu verhindern, dass es zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kommt(79 ). Wenn das Gericht des ersuchten Mitgliedstaats prüft, ob tatsächlich ein offensichtlicher Verstoß gegen die öffentliche Ordnung vorliegt, muss es diesen zuletzt genannten Aspekt berücksichtigen(80 ).
102. Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache wird das zuständige Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats somit, um zu prüfen, ob eine offensichtliche Verletzung eines in der Charta verankerten Grundrechts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 vorliegt, zu berücksichtigen haben, ob die Gesellschaft D. die im Entscheidungsmitgliedstaat zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe nicht genutzt hat, um eine Verletzung ihrer Grundrechte, wie der in Art. 47 der Charta verbürgten, im Vorhinein zu verhindern. Falls sich die Gesellschaft D. auf besondere Umstände beruft, die geeignet waren, die Rechtsbehelfseinlegung in diesem Mitgliedstaat übermäßig zu erschweren oder unmöglich zu machen, muss das Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats diese Umstände berücksichtigen.
103. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Wahrung des Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz u. a. verlangt, dass ein tatsächlicher und wirksamer Zugang der Entscheidungen, d. h. ihre Zustellung an ihren Adressaten, gewährleistet ist(81 ).
104. Hierzu ist anzumerken, dass die Gesellschaft D. beim vorlegenden Gericht zu rügen scheint, dass ihr die Einziehungsentscheidung nicht zugestellt worden sei. Diese Gesellschaft behauptet nämlich, sie habe weder die Auszüge aus dem Urteil, das diese Entscheidung enthalte, noch eine Rechtsbehelfsbelehrung erhalten. Sie bietet zum Beweis dieser Behauptung die Einholung eines grafologischen Gutachtens über die Zustellungsbescheinigung an. Ich weise jedoch darauf hin, dass sich dem Vorabentscheidungsersuchen entnehmen lässt, dass die Einziehungsbescheinigung einen Vermerk trägt, wonach die Auszüge (die Einleitung, der Tenor, der Teil der Begründung, der sich auf die eingezogenen Taterträge bezieht, und die Rechtsbehelfsbelehrung) aus dem Urteil vom 27. Mai 2020, das die Einziehungsentscheidung enthält, samt einer Übersetzung in kroatischer Sprache der Gesellschaft D. zugestellt wurden, die diese Auszüge am 13. Oktober 2020 erhalten und dennoch keinen Rechtsbehelf gegen dieses Urteil eingelegt hat. Da eine solche Bescheinigung die gegenseitige Anerkennung von Einziehungsentscheidungen erleichtern soll und angesichts des gegenseitigen Vertrauens, das die Mitgliedstaaten einander entgegenbringen müssen(82 ), sollte sich die Vollstreckungsbehörde meiner Ansicht nach auf die in dieser Bescheinigung enthaltenen Vermerke stützen.
105. Die Feststellungen, die das zuständige slowenische Gericht als Entscheidungsbehörde in einer Einziehungsbescheinigung getroffen hat, sollte die Vollstreckungsbehörde folglich nur unberücksichtigt lassen dürfen, wenn hinreichend konkrete und objektive Anhaltspunkte vorliegen, die geeignet sind, Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit zu begründen. Falls die Behauptungen der Gesellschaft D. ihr Anlass geben, an der Zustellung der Einziehungsentscheidung oder der Ordnungsgemäßheit dieser Zustellung zu zweifeln, wird die Vollstreckungsbehörde diesbezüglich Rücksprache mit der Entscheidungsbehörde halten müssen. Zu diesem Punkt weise ich darauf hin, dass die Vollstreckungsbehörde nach Art. 19 Abs. 2 der Verordnung 2018/1805, was die in Art. 19 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung anbelangt, bevor sie beschließt, die Einziehungsentscheidung ganz oder teilweise nicht anzuerkennen oder nicht zu vollstrecken, in geeigneter Weise mit der Entscheidungsbehörde Rücksprache halten und diese gegebenenfalls um unverzügliche Übermittlung aller erforderlichen Informationen ersuchen muss.
106. Ferner stelle ich klar, dass die gegebenenfalls von der Vollstreckungsbehörde im Rahmen der Heranziehung von Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 vorzunehmenden Nachprüfungen unbeschadet der möglichen Anwendung eines anderen in Abs. 1 dieses Artikels vorgesehenen Grundes für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung erfolgen.
107. So bestimmt Art. 19 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung, dass die Vollstreckungsbehörde die Anerkennung oder Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung versagen kann, wenn die Einziehungsbescheinigung unvollständig oder offenkundig unrichtig ausgefüllt und nach der in Art. 19 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehenen Abstimmung nicht vervollständigt wurde.
108. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission darauf hingewiesen, dass sie nach Beiziehung der nationalen Akte festgestellt habe, dass bestimmte Teile des übermittelten Urteils unlesbar seien.
109. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung 2018/1805 bestimmt, dass Einziehungsentscheidungen durch eine Einziehungsbescheinigung übermittelt werden, deren Muster in Anhang II dieser Verordnung enthalten ist.
110. Gemäß Art. 14 Abs. 2 dieser Verordnung können die Mitgliedstaaten eine Erklärung abgeben, der zufolge die Entscheidungsbehörde ihnen bei der Übermittlung einer Einziehungsbescheinigung zwecks Anerkennung und Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung auch das Original der Einziehungsentscheidung oder eine beglaubigte Abschrift davon zusammen mit der Einziehungsbescheinigung übermitteln muss(83 ).
111. Insoweit weise ich darauf hin, dass die Republik Kroatien am 8. Dezember 2020 eine solche Erklärung abgegeben hat(84 ).
112. Aus meiner Sicht ist klar, dass die Übermittlung des Originals der Einziehungsentscheidung oder einer beglaubigten Abschrift voraussetzt, dass das übermittelte Dokument lesbar ist.
113. Ist dies nicht der Fall, könnte sich die Vollstreckungsbehörde veranlasst sehen, die Anerkennung und Vollstreckung der Einziehungsentscheidung, die ihr übermittelt wird, zu versagen. Insoweit erinnere ich daran, dass Art. 18 Abs. 1 der Verordnung 2018/1805 bestimmt, dass die Vollstreckungsbehörde jede gemäß Artikel 14 dieser Verordnung übermittelte Einziehungsentscheidung anerkennt.
114. Stellt sich allerdings heraus, dass die Einziehungsentscheidung, die mit der Bescheinigung übermittelt wurde, tatsächlich ganz oder teilweise unlesbar ist, und beruft sich die Vollstreckungsbehörde daher gemäß Art. 19 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2018/1805 auf die Unvollständigkeit dieser Bescheinigung, muss diese Behörde nach Art. 19 Abs. 2 dieser Verordnung Rücksprache mit der Entscheidungsbehörde halten, damit diese ihr eine lesbare Version dieser Entscheidung übermittelt.
115. Nur wenn eine solche Übermittlung unterbleibt, kann die Vollstreckungsbehörde gegebenenfalls die Anerkennung und Vollstreckung der Einziehungsentscheidung verweigern.
116. Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805 dahin auszulegen ist, dass die Anerkennung und die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung von der Vollstreckungsbehörde auf der Grundlage dieser Bestimmung nicht versagt werden dürfen, wenn der Person, gegen die diese Entscheidung, die ihr ordnungsgemäß zugestellt wurde, ergangen ist, im Entscheidungsmitgliedstaat ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stand, von dem sie keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl sie auf diesem Weg die Achtung ihrer Grundrechte, insbesondere der durch Art. 47 der Charta verbürgten, unter Berufung erstens auf die angeblich unterbliebene Beteiligung in allen Stadien des Strafverfahrens, in dem diese Entscheidung erlassen wurde, zweitens auf die angeblich unterbliebene Belehrung über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und drittens auf die angeblich unterbliebene Zustellung des vollständigen Wortlauts des Urteils, das die Einziehungsentscheidung enthält, in einer für die Person, gegen die diese Entscheidung ergangen ist, verständlichen Sprache durch ein Gericht dieses Mitgliedstaats hätte prüfen lassen können.
IV. Ergebnis
117. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Visoki kazneni sud (Hohes Strafgericht, Kroatien) wie folgt zu beantworten:
1. Art. 1 Abs. 1 und 4 sowie Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. d der Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen in Verbindung mit dem 13. Erwägungsgrund dieser Verordnung
sind dahin auszulegen, dass
diese Verordnung auf eine Einziehungsentscheidung Anwendung findet, die im Rahmen eines Verfahrens in Strafsachen, das mit einem Freispruch endet, im Zusammenhang mit einer Straftat erlassen wird, bei der es sich nicht um diejenige handelt, in Bezug auf die dieser Freispruch ergangen ist, und an der eine andere Person als die freigesprochenen Angeklagten beteiligt war, gegen die keine Anklage erhoben wurde.
2. Art. 19 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung 2018/1805
ist dahin auszulegen, dass
die Anerkennung und die Vollstreckung einer Einziehungsentscheidung von der Vollstreckungsbehörde auf der Grundlage dieser Bestimmung nicht versagt werden dürfen, wenn der Person, gegen die diese Entscheidung, die ihr ordnungsgemäß zugestellt wurde, ergangen ist, im Entscheidungsmitgliedstaat ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stand, von dem sie keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl sie auf diesem Weg die Achtung ihrer Grundrechte, insbesondere der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten, unter Berufung erstens auf die angeblich unterbliebene Beteiligung in allen Stadien des Strafverfahrens, in dem diese Entscheidung erlassen wurde, zweitens auf die angeblich unterbliebene Belehrung über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und drittens auf die angeblich unterbliebene Zustellung des vollständigen Wortlauts des Urteils, das die Einziehungsentscheidung enthält, in einer für die Person, gegen die diese Entscheidung ergangen ist, verständlichen Sprache durch ein Gericht dieses Mitgliedstaats hätte prüfen lassen können.