Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MACIEJ SZPUNAR
vom 10. Juli 2025 (1 )
Rechtssache C ‑797/23
Meta Platforms Ireland Limited
gegen
Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni,
Beteiligte:
Federazione Italiana Editori Giornali (FIEG),
Società italiana degli autori ed editori (SIAE),
Gedi Gruppo Editoriale SpA
(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio [Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien])
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie (EU) 2019/790 – Art. 15 – Schutz von Presseveröffentlichungen im Hinblick auf Online-Nutzungen – Nationale Rechtsvorschriften über die Zahlung eines gerechten Ausgleichs – Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft auferlegte Verpflichtungen – Einer unabhängigen Verwaltungsbehörde übertragene Befugnisse – Abwägung von Grundrechten – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 17 Abs. 2 – Grundrecht auf Schutz des geistigen Eigentums – Art. 16 – Unternehmerische Freiheit – Art. 11 – Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit “
Einleitung
1. Unter den von der digitalen Revolution und dem Aufkommen des Internets betroffenen Wirtschaftssektoren – und nur wenige bleiben davon unberührt – nimmt der Mediensektor, insbesondere der Sektor der Printmedien, eine besondere Stellung ein. In der Tat sieht sich dieser Sektor erheblichen Umwälzungen ausgesetzt. Diese Umwälzungen haben ihren Ursprung erstens in den veränderten Gewohnheiten der Nutzer, die nicht nur Printmedien durch den Online-Zugriff auf Inhalte ersetzen, sondern auch die Quellen dieser Inhalte diversifizieren, wobei ihre Auswahl im digitalen Umfeld nahezu unbegrenzt ist. Zweitens werden sie durch das Aufkommen von Presseschau-Diensten ausgelöst, die häufig von den großen Online-Plattformen angeboten werden. Diese Dienste erzeugen einen „Substitutionseffekt“, indem sie es den Nutzern ermöglichen, redaktionelle Inhalte – wenn auch nur oberflächlich – zu lesen, ohne auf die Originalquellen, d. h. die Websites von Zeitungen und Zeitschriften, zugreifen zu müssen. Drittens haben sie mit dem Konkurrenzdruck zu tun, der über die neuen, durch das Internet ermöglichten Kanäle der Informationsverbreitung, insbesondere die „sozialen Medien“, auf die traditionellen Medien ausgeübt wird.
2. Diese Umwälzungen haben zu einem drastischen Rückgang der Einnahmen der Verlagshäuser geführt, die nicht mehr in der Lage sind, die Kosten ihres traditionellen Geschäftsmodells zu tragen. Dieser Rückgang ist sowohl auf den Einbruch der Verkaufszahlen von Zeitungen und Zeitschriften in Papierform als auch auf den Verlust von Werbeeinnahmen zurückzuführen, die nun insbesondere den großen Online-Plattformen zufließen.
3. Die Folgen der Krise der traditionellen Medien sind jedoch nicht nur wirtschaftlicher Natur. Medien spielen eine grundlegende Rolle für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft: Sie sind sowohl die wichtigste Quelle zuverlässiger Informationen für die breite Öffentlichkeit als auch das wirksamste Instrument, um eine Kontrolle der politischen Akteure durch die öffentliche Meinung sicherzustellen. Ihre Schwächung und ihr Ersatz durch neue Akteure mit einer – gelinde gesagt – schwankenden Informationsqualität tragen in hohem Maß zu schwerwiegenden gesellschaftlichen und politischen Problemen bei.
4. Aus diesem Grund wurden in Drittländern(2 ), aber auch in Mitgliedstaaten, nämlich in Deutschland und Spanien, Initiativen für gesetzliche Maßnahmen zugunsten von Presseverlagen ergriffen. Diese Maßnahmen haben jedoch aufgrund von Problemen im Zusammenhang mit ihrer Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt(3 ).
5. Die Situation der Presseverlage gegenüber Online-Plattformen ist in der Tat nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Diese Plattformen schaden zwar den Interessen der Verlage, insbesondere durch den „Substitutionseffekt“ und den Wettbewerb, der von ihnen ausgeht; sie haben aber auch einen positiven „Expansionseffekt“, indem sie ein neues Publikum anziehen. Allerdings haben sich die Gewohnheiten der Nutzer so stark verändert, dass ein ganz erheblicher Teil von ihnen heute nur noch über die verschiedenen Plattformen auf redaktionelle Inhalte zugreift. Die Verlage sind daher weitgehend von diesen Plattformen abhängig, um neue Kunden zu gewinnen, was die Präsenz ihrer Inhalte auf diesen Plattformen unabdingbar macht. Umgekehrt trifft dies indes nicht zu: Die Präsenz dieser Inhalte ist für Online-Plattformen nicht unbedingt erforderlich. Die Verlage sehen sich daher gegenüber diesen Plattformen in einer schwachen Position, was Versuche, die Situation durch die Gewährung neuer Rechte des geistigen Eigentums an die Verlage zu verbessern, weitgehend wirkungslos macht. Außerdem sind nicht alle Presseverlage gleichermaßen betroffen: Während große Verlagshäuser stärker unter dem Substitutionseffekt leiden, profitieren kleinere, namentlich lokale Verlage eher vom Expansionseffekt, da sie ein Publikum erreichen, das ihnen mit traditionellen Mitteln nicht zugänglich gewesen wäre.
6. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die unionsrechtlichen Vorschriften, die Gegenstand der vorliegenden Rechtssache sind und mit denen ein neues Recht des geistigen Eigentums für Verlage eingeführt wird, sowohl während des Verfahrens, das zu ihrem Erlass geführt hat, als auch nach ihrem Inkrafttreten heftiger Kritik ausgesetzt waren(4 ). Es wurden sogar Vergleiche zu dem berühmten Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen gezogen(5 ).
7. Bei der Umsetzung der betreffenden unionsrechtlichen Vorschriften haben einige Mitgliedstaaten jedoch Maßnahmen, wie etwa die im Ausgangsverfahren streitigen italienischen Maßnahmen, ergriffen, um die Verhandlungsposition der Presseverlage zu stärken und so dem Kaiser echte Kleider überzustreifen. Die Aufgabe des Gerichtshofs besteht nun darin, die durch das Unionsrecht vorgegebenen Grenzen zu bestimmen, die diese Maßnahmen nicht überschreiten dürfen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
8. Art. 15 der Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG(6 ) bestimmt u. a.:
„(1) Die Mitgliedstaaten legen Bestimmungen fest, mit denen Presseverlage mit Sitz in einem Mitgliedstaat die in Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 2001/29/EG[(7 )] genannten Rechte für die Online-Nutzung ihrer Presseveröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft erhalten.
Die in Unterabsatz 1 vorgesehenen Rechte gelten nicht für die private oder nicht-kommerzielle Nutzung von Presseveröffentlichungen durch einzelne Nutzer.
Der nach Unterabsatz 1 gewährte Schutz gilt nicht für das Setzen von Hyperlinks.
…
(4) Die in Absatz 1 vorgesehenen Rechte erlöschen zwei Jahre nach der Veröffentlichung der Presseveröffentlichung. Die Berechnung dieser Zeitspanne erfolgt ab dem 1. Januar des auf den Tag der Veröffentlichung der Presseveröffentlichung folgenden Jahres.
…“
I talien isches Recht
9. Art. 43-bis der Legge n. 633 – Protezione del diritto d’autore e di altri diritti connessi al suo esercizio (Gesetz Nr. 633 über den Schutz des Urheberrechts und weiterer mit seiner Ausübung verbundener Rechte) vom 22. April 1941(8 ) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 633/1941) sieht u. a. vor:
„(1) Presseverlagen, ob einzeln oder in Form eines Zusammenschlusses oder Konsortiums, stehen die ausschließlichen Vervielfältigungs- und Wiedergaberechte gemäß den Artikeln 13 und 16 für die Online-Nutzung ihrer Presseveröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft …, einschließlich der Unternehmen für Medienbeobachtung und Presseschau, zu.
…
(6) Die in Absatz 1 vorgesehenen Rechte gelten nicht für die private oder nicht-kommerzielle Nutzung von Presseveröffentlichungen durch einzelne Nutzer, für das Setzen von Hyperlinks oder für die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Presseveröffentlichung.
…
(8) Für die Online-Nutzung ihrer Presseveröffentlichungen erhalten die Rechtssubjekte im Sinne von Absatz 1 von den Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft einen gerechten Ausgleich. Innerhalb von sechzig Tagen ab Inkrafttreten dieser Bestimmung erlässt die Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni [(Aufsichts- und Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen, Italien) (im Folgenden: AGCOM)] eine Regelung zur Ermittlung der Referenzkriterien für die Berechnung des in Satz 1 genannten gerechten Ausgleichs, wobei unter anderem die Zahl der Online-Abfragen des Artikels, die Tätigkeitsjahre der Verlage im Sinne von Absatz 3 und deren Marktrelevanz, die Zahl der eingesetzten Journalisten sowie die Ausgaben beider Parteien für technische und Infrastrukturinvestitionen und der wirtschaftliche Nutzen, den beide Parteien in Hinsicht auf Bekanntheitsgrad und Werbeeinnahmen aus der Veröffentlichung ziehen, berücksichtigt werden.
(9) Die Verhandlungen über den Abschluss von Verträgen zur Nutzung der Rechte nach Absatz 1 zwischen Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft, einschließlich der Unternehmen für Medienbeobachtung und Presseschau, und Verlagen im Sinne von Absatz 3 werden auch unter Berücksichtigung der in der Regelung gemäß Absatz 8 festgelegten Kriterien geführt. Während der Verhandlungen dürfen die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft die Sichtbarkeit der verlagseigenen Inhalte in den Suchergebnissen nicht einschränken. Eine ungerechtfertigte Einschränkung dieser Inhalte während der Verhandlungen kann bei der Überprüfung der Einhaltung des in Artikel 1337 des Codice civile [Zivilgesetzbuch] vorgesehenen Gebots von Treu und Glauben gewürdigt werden.
(10) Wird innerhalb von dreißig Tagen ab der Aufforderung einer der interessierten Parteien zur Aufnahme von Verhandlungen keine Vereinbarung getroffen, so kann sich jede Partei zur Festlegung des gerechten Ausgleichs an die [AGCOM] wenden und in ihrem Antrag einen wirtschaftlichen Vorschlag machen, unbeschadet des Rechts, gemäß Absatz 11 ein ordentliches Gericht anzurufen. Innerhalb von sechzig Tagen ab dem Antrag der interessierten Partei bestimmt die [AGCOM], auch wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, anhand der in der Regelung gemäß Absatz 8 festgelegten Kriterien, welcher der unterbreiteten wirtschaftlichen Vorschläge diesen Kriterien entspricht, oder setzt, falls sie keinen der Vorschläge für [den Kriterien] konform hält, von Amts wegen den Betrag des gerechten Ausgleichs fest.
(11) Falls sich die Parteien nach der Bestimmung des gerechten Ausgleichs durch die [AGCOM] nicht auf einen Vertragsabschluss einigen, kann jede der Parteien, die auf Unternehmensangelegenheiten spezialisierte Abteilung des ordentlichen Gerichts … anrufen, auch um einen Rechtsbehelf im Sinne von Artikel 9 des Gesetzes Nr. 192 vom 18. Juni 1998 einzulegen.
(12) Die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft, einschließlich der Unternehmen für Medienbeobachtung und Presseschau, sind verpflichtet, auf Anfrage der interessierten Partei, gegebenenfalls über Verwertungsgesellschaften oder unabhängige Verwertungsstellen …, sofern diese beauftragt sind, oder auf Aufforderung der [AGCOM], die erforderlichen Daten zur Festlegung des gerechten Ausgleichs zur Verfügung zu stellen. Die Erfüllung der in Satz 1 genannten Pflicht entbindet die Verlage im Sinne von Absatz 3 nicht von der Wahrung der Vertraulichkeit der zu ihrer Kenntnis gelangten geschäftlichen, betrieblichen und finanziellen Informationen. Die Erfüllung der den Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft auferlegten Informationspflicht wird von der [AGCOM] überwacht. Werden die Daten nicht innerhalb von dreißig Tagen ab der in Satz 1 genannten Anfrage bzw. Aufforderung mitgeteilt, verhängt die [AGCOM] gegen die säumige Partei eine Geldbuße in Höhe von bis zu einem Prozent des Umsatzes, der im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor Mitteilung der Beanstandung erzielt wurde. …
…
(14) Die Rechte gemäß diesem Artikel erlöschen zwei Jahre nach der Presseveröffentlichung. …“
10. Die Delibera n. 3/23/CONS (Beschluss Nr. 3/23/CONS) der AGCOM vom 19. Januar 2023, deren Anhang A das Regolamento in materia di individuazione dei criteri di riferimento per la determinazione dell’equo compenso per l’utilizzo online di pubblicazioni di carattere giornalistico di cui all’articolo 43-bis della Legge 22 aprile 1941, n. 633 (Regelung zur Ermittlung der Referenzkriterien für die Festlegung eines gerechten Ausgleichs für die Online-Nutzung von Presseveröffentlichungen gemäß Art. 43-bis des Gesetzes Nr. 633 vom 22. April 1941) enthält,
– legt die Kriterien für die Bestimmung der Höhe des gerechten Ausgleichs fest, zu denen auch die Definition einer Berechnungsgrundlage gehört; diese beruht auf den aus der Online-Nutzung von Presseveröffentlichungen des Verlags resultierenden Werbeeinnahmen der Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft, abzüglich der Einnahmen des Verlags aus der Weiterleitung des Datenverkehrs auf seine Website (Art. 4);
– setzt zur Ermittlung des gerechten Ausgleichs anhand mehrerer zusätzlicher Kriterien im Sinne von Art. 4 Abs. 2 einen Aufschlag von bis zu 70 % auf den Grundbetrag fest;
– listet die Verpflichtungen zur Bereitstellung der Daten auf, definiert die Kontrollbefugnisse der AGCOM und sieht vor, dass gegen die zuwiderhandelnde Partei eine Geldbuße in Höhe von bis zu 1 % des Umsatzes verhängt werden kann, der auf dem nationalen Markt im letzten vor der Zustellung der Beanstandung abgeschlossenen Geschäftsjahr erzielt wurde (Art. 5);
– regelt das Verfahren, nach dem die AGCOM ersucht werden kann, den Betrag des gerechten Ausgleichs festzusetzen, sowie die entsprechenden Verfahrensbestimmungen, wobei die AGCOM die Möglichkeit hat, diesen Betrag einseitig festzusetzen (Art. 8 bis 12).
Ausgangsrechtsstreit, Verfahren und Vorlagefragen
11. Die in Irland ansässige Meta Platforms Ireland Limited (im Folgenden: Meta) bietet u. a. als Betreiberin des sozialen Online-Netzwerks Facebook Dienste der Informationsgesellschaft an.
12. Mit einer Klage beim vorlegenden Gericht, dem Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien), beantragte Meta, den Beschluss Nr. 3/23/CONS sowie seine Anhänge für nichtig zu erklären.
13. Zur Begründung ihrer Klage macht Meta u. a. geltend, Art. 43-bis des Gesetzes Nr. 633/1941 und der streitige Beschluss verstießen gegen Art. 15 der Richtlinie 2019/790, der keine Vergütungsansprüche, sondern Rechte ausschließlicher Natur vorsehe. Im Übrigen verstoße diese Regelung wegen der den Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft auferlegten Verpflichtungen, wegen der erheblichen Einschränkungen der Vertragsfreiheit der Wirtschaftsteilnehmer sowie aufgrund der der AGCOM übertragenen Rolle und Befugnisse auch gegen die in Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) garantierte unternehmerische Freiheit und insbesondere gegen den Grundsatz des freien Wettbewerbs. Zudem seien die vom italienischen Gesetzgeber erlassenen Maßnahmen, die die Erbringung von Dienstleistungen in Italien durch in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Unternehmen behinderten oder zumindest deutlich weniger attraktiv machten, unverhältnismäßig und unangemessen.
14. Unter diesen Umständen hat das Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Kann Art. 15 der Richtlinie 2019/790 dahin ausgelegt werden, dass er der Einführung nationaler Vorschriften – wie der in Art. 43-bis des Gesetzes Nr. 633/1941 und der im Beschluss Nr. 3/23/CONS der AGCOM vorgesehenen – entgegensteht, soweit:
a) Vergütungsverpflichtungen (gerechter Ausgleich) zusätzlich zu den in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 festgelegten ausschließlichen Rechten zulasten der Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft (ADIG) und zugunsten der Verlage vorgesehen sind;
b) zulasten der ADIG Verpflichtungen festgelegt werden,
– mit den Verlagen Verhandlungen aufzunehmen,
– diesen Verlagen und der Regulierungsbehörde die Informationen zur Verfügung zu stellen, die für die Bestimmung eines gerechten Ausgleichs erforderlich sind,
– und die Sichtbarkeit der verlagseigenen Inhalte in den Suchergebnissen bis zum Abschluss der Verhandlungen nicht einzuschränken;
c) der Regulierungsbehörde (AGCOM)
– eine Aufsichts- und Sanktionsbefugnis,
– die Befugnis zur Festlegung der Referenzkriterien für die Bestimmung des gerechten Ausgleichs und
– im Fall einer Nichteinigung der Parteien die Befugnis zur Festsetzung des genauen Betrags des gerechten Ausgleichs verliehen werden?
2. Steht Art. 15 der Richtlinie 2019/790 nationalen Vorschriften wie den in Frage 1 genannten entgegen, die den ADIG eine Verpflichtung zur Offenlegung von Daten auferlegen, die von der nationalen Regulierungsbehörde selbst überwacht wird und deren Nichteinhaltung zur Anwendung von Verwaltungssanktionen führt?
3. Stehen die Grundsätze der unternehmerischen Freiheit im Sinne der Art. 16 und 52 der Charta, des freien Wettbewerbs im Sinne von Art. 109 AEUV und der Verhältnismäßigkeit im Sinne von Art. 52 der Charta nationalen Vorschriften wie den oben genannten entgegen, die
a) Vergütungsansprüche zusätzlich zu den ausschließlichen Rechten gemäß Art. 15 der Richtlinie 2019/790 einführen, deren Umsetzung mit der bereits erwähnten Ausgestaltung der Verpflichtung der ADIG einhergeht, Verhandlungen mit Verlagen aufzunehmen, Verlagen und/oder der nationalen Regulierungsbehörde die für die Bestimmung eines gerechten Ausgleichs erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen sowie die Sichtbarkeit der verlagseigenen Inhalte in den Suchergebnissen bis zum Abschluss dieser Verhandlungen nicht einzuschränken;
b) der Regulierungsbehörde folgende Befugnisse übertragen:
– eine Aufsichts- und Sanktionsbefugnis,
– die Befugnis zur Festlegung der Referenzkriterien für die Bestimmung des gerechten Ausgleichs,
– im Fall der Nichteinigung der Parteien die Befugnis zur Festsetzung des genauen Betrags des gerechten Ausgleichs?
15. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 21. Dezember 2023 beim Gerichtshof eingegangen. Meta, die Federazione Italiana Editori Giornali (FIEG), die italienische, die belgische, die dänische und die französische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Meta, die FIEG, die Società italiana degli autori ed editori (SIAE, italienische Gesellschaft der Autoren und Verleger), die Gedi Gruppo Editoriale SpA, die italienische, die französische und die polnische Regierung sowie die Kommission haben an der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2025 teilgenommen.
Würdigung
16. Das nationale Gericht legt in der vorliegenden Rechtssache drei Fragen zur Vorabentscheidung vor. Bei den ersten beiden Fragen, die ich zusammen prüfen werde, geht es darum, ob verschiedene Maßnahmen des italienischen Gesetzgebers, die die Art der den Presseverlagen zustehenden Vergütung, die Pflichten der Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft (im Folgenden: ADIG), die Presseveröffentlichungen nutzen, sowie die Befugnisse der AGCOM zum Gegenstand haben, mit Art. 15 der Richtlinie 2019/790 vereinbar sind. Die dritte Frage betrifft die Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit den Art. 16 und 52 der Charta sowie mit Art. 109 AEUV.
17. Als Vorbemerkung zu allen aufgeworfenen Fragen weise ich darauf hin, dass sowohl der Ausgangsrechtsstreit als auch das Vorabentscheidungsersuchen und die im vorliegenden Verfahren eingereichten Erklärungen einen tiefgreifenden Dissens zwischen den Beteiligten über die Auslegung der im Ausgangsverfahren streitigen Vorschriften des italienischen Rechts erkennen lassen. Dieser Dissens besteht zwischen Meta, deren Auslegung das vorlegende Gericht offenbar befürwortet, einerseits und der italienischen Regierung, den am Verfahren beteiligten Verlegerverbänden sowie – laut Kommission – der AGCOM andererseits. Er betrifft zum einen die Art der in diesen Vorschriften vorgesehenen Vergütung der Presseverlage und zum anderen die Bindungswirkung der den ADIG auferlegten Pflichten sowie der der AGCOM übertragenen Befugnisse. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens kann der Gerichtshof aber nur die Grenzen abstecken, innerhalb deren diese Vorschriften als unionsrechtskonform angesehen werden können, während die Auslegung des innerstaatlichen Rechts in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt. Ich werde in den vorliegenden Schlussanträgen auf diesen Grundsatz zurückkommen und das vorlegende Gericht daran erinnern, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats ihr innerstaatliches Recht so weit wie möglich im Einklang mit dem Unionsrecht auszulegen haben.
Zur ersten und zur zweiten Vorlagefrage
18. Mit seinen ersten beiden Fragen möchte das vorlegende Gericht klären lassen, ob 1. die den ADIG mutmaßlich auferlegte Pflicht zu einer angemessenen Vergütung der Presseverlage (Frage 1 a), 2. weitere den ADIG auferlegte Verpflichtungen (Frage 1 b) und 3. die Befugnisse der AGCOM im Rahmen der Verhandlungen zwischen den ADIG und Presseverlagen (Frage 1 c und Frage 2) mit Art. 15 der Richtlinie 2019/790 vereinbar sind. Meiner Prüfung dieser verschiedenen Punkte werde ich einige allgemeine Bemerkungen zu Art. 15 der Richtlinie 2019/790 vorausschicken.
Zu Art. 15 der Richtlinie 2019/790
19. Was erstens die Art der Rechte betrifft, die Presseverlagen in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 zuerkannt werden, so erwähnt dessen Abs. 1 Unterabs. 1 die „in Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie [2001/29] genannten Rechte“. Zur Erinnerung: Die letztgenannten Bestimmungen verleihen das ausschließliche Recht, jede Form der Vervielfältigung des Schutzgegenstands zu erlauben oder zu verbieten (Vervielfältigungsrecht), bzw. das ausschließliche Recht, Schutzgegenstände in einer Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind (Recht der öffentlichen Zugänglichmachung).
20. Nach Ansicht von Meta bedeutet diese Formulierung in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 mit dem Verweis auf die Bestimmungen der Richtlinie 2001/29, dass die Rechte der Presseverlage genauso zu qualifizieren seien wie die in dieser Richtlinie genannten verwandten Schutzrechte, nämlich als ausschließliche Rechte, kraft deren die Rechteinhaber die Nutzung der Schutzgegenstände durch Personen, die diese nutzen möchten, aufgrund der Vertragsfreiheit beider Parteien und ohne jeden staatlichen Eingriff verbieten oder gegen eine etwaige Vergütung erlauben könnten.
21. Ich bin aber nicht davon überzeugt, dass Art. 15 der Richtlinie 2019/790 so auszulegen ist. Wenn es nämlich nur die Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen wäre, neue dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte zugunsten von Presseverlagen einzuführen, hätte er lediglich die Listen der Rechteinhaber in Art. 2 und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29 zu erweitern und gegebenenfalls die Schutzdauer der so begründeten ausschließlichen Rechte in der Richtlinie 2006/116/EG(9 ) anzupassen brauchen. Meines Erachtens beschränkt sich das mit dem genannten Art. 15 verfolgte Ziel jedoch nicht darauf.
22. Denn die Richtlinie 2019/790 soll, wie u. a. aus ihrem dritten Erwägungsgrund hervorgeht, das Urheberrecht der Union in mehreren punktuellen Bereichen ergänzen, damit ganz bestimmte Probleme insbesondere im Zusammenhang mit der rasanten technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung im digitalen Umfeld gelöst werden können. Was speziell die Gründe für den Erlass von Art. 15 dieser Richtlinie anbelangt, so sind diese namentlich in deren Erwägungsgründen 54 und 55 dargelegt, wonach das vordringlichste Anliegen des Unionsgesetzgebers darin bestand, Abhilfe für die in der Einleitung dieser Schlussanträge erwähnten Probleme zu schaffen.
23. Zwar hat sich der Unionsgesetzgeber zu diesem Zweck dafür entschieden, Presseverlagen ausschließliche Rechte auf Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung einzuräumen, wobei diese Rechte gemäß dem 57. Erwägungsgrund der Richtlinie 2019/790 „den gleichen Umfang … wie die [jeweiligen] in der Richtlinie [2001/29] festgelegten Rechte [haben sollten]“. Die letztere Aussage wird jedoch durch den Wortlaut von Art. 15 dieser Richtlinie selbst widerlegt.
24. Während das Vervielfältigungsrecht im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2001/29 die „unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung [des Schutzgegenstands] auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise“ betrifft und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie jede Handlung umfasst, mit der der Schutzgegenstand der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich gemacht wird, dass er Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist, haben die in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 vorgesehenen Rechte der Presseverlage nämlich einen viel geringeren Umfang. So beziehen sich diese Rechte nur auf die Online-Nutzung von Presseveröffentlichungen durch ADIG. Ausdrücklich ausgenommen sind die private oder nicht-kommerzielle Nutzung dieser Veröffentlichungen durch einzelne Nutzer sowie das „Setzen von Hyperlinks“(10 ). Im Übrigen gelten die Rechte der Presseverlage nicht für die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus ihren Veröffentlichungen, wobei diese Einschränkung für andere dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte offenbar nicht gilt(11 ). Hingegen sind alle nach Art. 5 der Richtlinie 2001/29 geltenden Ausnahmen und Beschränkungen auch auf die Rechte der Presseverlage anwendbar. Schließlich ist die Schutzdauer dieser Rechte mit zwei Jahren deutlich kürzer als bei anderen verwandten Schutzrechten, die grundsätzlich fünfzig Jahre lang geschützt sind(12 ).
25. Die Rechte der Presseverlage haben daher nicht den allgemeinen Charakter von Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten, sondern bezwecken die Verwirklichung des mit Art. 15 der Richtlinie 2019/790 verfolgten Ziels. Dieses Ziel besteht aber nicht einfach darin, Presseverlagen zu ermöglichen, die Nutzung ihrer Veröffentlichungen durch die ADIG ohne finanzielle Gegenleistung zu verbieten, denn dies hätte den Verlagen potenziell mehr geschadet als den ADIG, sondern darin, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen diese Veröffentlichungen tatsächlich genutzt werden, und gleichzeitig den Verlagen zu erlauben, einen angemessenen Anteil an den Einnahmen zu erhalten, die die ADIG mit dieser Nutzung erzielen. Wenngleich diese Rechte also im Wesentlichen ausschließliche und vorbeugende Erlaubnis- bzw. Verbotsrechte bleiben, sollte den Mitgliedstaaten daher im Rahmen ihrer Konkretisierung meines Erachtens ein weiter Gestaltungsspielraum zustehen, damit sie das Ziel des Art. 15 der Richtlinie 2019/790 – mit all den mit dessen Verwirklichung verbundenen Schwierigkeiten – berücksichtigen und Maßnahmen vorsehen können, die über das hinausgehen, was normalerweise für die Durchsetzung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten insbesondere aufgrund der Richtlinie 2004/48/EG(13 ) vorgesehen wird.
26. Zweitens halte ich einige Klarstellungen zur Anwendbarkeit von Art. 15 der Richtlinie 2019/790 auf ADIG wie Meta, d. h. auf Anbieter sogenannter „Social Media“-Dienste, für angebracht. Die Debatte, die zu diesem Thema im Anschluss an eine Frage des Gerichtshofs an die Teilnehmer der mündlichen Verhandlung geführt wurde, hat nämlich meiner Meinung nach einige Missverständnisse offenbart. Obwohl das Ausgangsverfahren, wie die Kommission betont, keinen konkreten Fall der Anwendung der zur Umsetzung von Art. 15 dieser Richtlinie erlassenen italienischen Regelung, sondern die abstrakte Kontrolle ihrer Rechtmäßigkeit betrifft, dürften diese Klarstellungen zu einem besseren Verständnis der Tragweite dieses Artikels und der mit seiner Umsetzung verbundenen Probleme beitragen.
27. So entspricht der von Meta angebotene Dienst eines sozialen Netzwerks wie Facebook zwar eindeutig der Definition des Begriffs „Dienst der Informationsgesellschaft“ in Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2019/790 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/1535(14 ). Das Geschäftsmodell dieses Dienstes beruht aber auf den von Nutzern hochgeladenen Inhalten. Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2019/790 schließt allerdings vom Anwendungsbereich der Rechte von Presseverlagen den Fall aus, dass Nutzer von Diensten der Informationsgesellschaft deren Veröffentlichungen privat oder nicht kommerziell nutzen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, inwieweit davon auszugehen ist, dass die Nutzung von Presseveröffentlichungen im Rahmen eines sozialen Netzwerks von den in Art. 15 dieser Richtlinie vorgesehenen Rechten erfasst wird.
28. Die Nutzer eines sozialen Netzwerks können Presseveröffentlichungen auf ihren Accounts teilen. Geschieht dies privat (d. h. ist der Inhalt nur einem begrenzten Kreis von Empfängern zugänglich, der als privat bezeichnet werden kann) oder nicht kommerziell (d. h. ohne Bezug zu einer auf Gewinnerzielung ausgerichteten Tätigkeit des betreffenden Nutzers), fallen diese Handlungen gemäß Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2019/790 nicht unter die ausschließlichen Rechte der Presseverlage.
29. Wie mehrere Teilnehmer der mündlichen Verhandlung betont haben, ist das Facebook-Netzwerk jedoch nicht darauf beschränkt, als passiver Ort für den Austausch von Inhalten zwischen Nutzern zu dienen. Mithilfe ausgefeilter Algorithmen schlägt es den Nutzern entsprechend ihren mutmaßlichen Interessen konkrete Inhalte vor, ohne dass diese Nutzer Suchanfragen hierzu gestellt hätten oder diese Inhalte ihnen von anderen Nutzern vorgeschlagen worden wären. Facebook ist somit ein vollwertiger, eigenständiger Anbieter von Inhalten, dessen Besonderheit darin besteht, dass die Inhalte von ihm weder produziert noch gekauft werden: Sie werden von Nutzern hochgeladen, woraufhin Facebook sie Nutzern anbietet. Ein solcher Vorgang kann aus meiner Sicht nicht den Nutzern zugerechnet werden; vielmehr ist darin eine von Meta als ADIG vorgenommene Nutzung zu sehen, die somit, sofern sie Presseveröffentlichungen betrifft, unter die ausschließlichen Rechte der Verlage fällt.
30. Teilen Presseverlage ihre eigenen Veröffentlichungen hingegen selbst in einem sozialen Netzwerk wie Facebook, können sie keine Vergütung aufgrund der in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 vorgesehenen Rechte verlangen, auch nicht für die anschließende Nutzung dieser Veröffentlichungen durch das soziale Netzwerk im Rahmen der Nutzungsbedingungen für den betreffenden Dienst. Dies ergibt sich aus dem Charakter dieser Rechte als ausschließliche Rechte. Hat der Inhaber eines solchen Rechts den Schutzgegenstand nämlich selbst in einem sozialen Netzwerk oder in einem anderen Dienst der Informationsgesellschaft öffentlich zugänglich gemacht, ist davon auszugehen, dass er seine Erlaubnis zu einer Nutzung dieses Gegenstands im Einklang mit den Nutzungsbedingungen für den betreffenden Dienst erteilt hat(15 ).
Zum Anspruch auf einen gerechten Ausgleich
31. Mit seiner Frage 1 a möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 der Richtlinie 2019/790 dem entgegensteht, dass Presseverlagen ein Anspruch auf einen „gerechten Ausgleich“ zuerkannt wird, der das in diesem Artikel begründete ausschließliche Recht ergänzen oder es ersetzen würde. In der Tat macht Meta in ihrer Klage im Ausgangsverfahren und in ihren Erklärungen im vorliegenden Verfahren geltend, dass ein solcher Anspruch durch die zur Umsetzung dieses Artikels erlassene italienische Regelung eingeführt worden sei. Das vorlegende Gericht scheint diese Auffassung zu teilen. Die italienische Regierung hält diese Auslegung der in Rede stehenden nationalen Vorschriften hingegen für fehlerhaft, da der dort genannte „gerechte Ausgleich“ allein das Ergebnis der Verhandlungen sei, die von Presseverlagen mit ADIG über deren Nutzung von Presseveröffentlichungen geführt würden.
32. Der Begriff „gerechter Ausgleich“ in Art. 43-bis Abs. 8 des Gesetzes Nr. 633/1941 ist zwar nicht glücklich gewählt, da er nicht auf ein ausschließliches Recht vorbeugender Art, wie die in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 vorgesehenen Rechte, hindeutet, sondern auf einen bloßen Vergütungs- oder Ausgleichsanspruch ohne eine Möglichkeit für den Rechteinhaber, die Nutzung des Schutzgegenstands zu verbieten(16 ). Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung kann jedoch den Inhabern eines ausschließlichen Rechts vorbeugender Art – ob im Bereich des Urheberrechts oder der verwandten Schutzrechte – nicht einmal gegen eine finanzielle Gegenleistung die Befugnis entzogen werden, vorab ihre Erlaubnis zu jeder Nutzung der Schutzgegenstände zu erteilen oder zu verweigern, vorbehaltlich der Ausnahmen und Beschränkungen, die in den einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen für dieses Recht vorgesehen sind(17 ). Auch wenn die Modalitäten dieser Erlaubnis näher ausgestaltet werden können, etwa durch die kollektive Wahrnehmung von Rechten oder durch (widerlegbare) Vermutungen, gilt doch weiterhin der Grundsatz der vorherigen Einwilligung(18 ). Da die in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 vorgesehenen Rechte der Presseverlage ausschließliche Rechte vorbeugender Art sind, verstieße ihre Umwandlung in einen bloßen Anspruch auf einen gerechten Ausgleich für die Nutzung von Presseveröffentlichungen durch ADIG, ohne dass die Verlage diese Nutzung verbieten könnten, somit gegen diese Bestimmung.
33. Im Übrigen ist Art. 15 der Richtlinie 2019/790 nach meinem Dafürhalten ebenso wie andere unionsrechtliche Bestimmungen, die dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte begründen, als Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung des materiellen Gehalts der damit gewährten Rechte auszulegen(19 ). Die Mitgliedstaaten dürfen daher keinen Anspruch auf einen gerechten Ausgleich zusätzlich zu diesen Rechten vorsehen. Insbesondere dürfen die ADIG nicht zu einer solchen Ausgleichszahlung verpflichtet werden, wenn sie keine durch diese Bestimmung geschützten Presseveröffentlichungen nutzen.
34. Schließlich heißt es im 82. Erwägungsgrund der Richtlinie 2019/790, diese Richtlinie solle nicht dahin ausgelegt werden, dass die Inhaber von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten an der Vergabe von Lizenzen für die unentgeltliche Nutzung ihrer Werke oder sonstigen Schutzgegenstände gehindert wären. Vorausgesetzt, dass dies auch für die in Art. 15 dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte gilt, ist dieser Artikel dahin auszulegen, dass es Presseverlagen freisteht, Lizenzen für die Nutzung ihrer Veröffentlichungen zu gewähren, ohne einen finanziellen Ausgleich zu verlangen. Das entspricht dem Wesen eines ausschließlichen Rechts, das keinen unveräußerlichen Anspruch auf Vergütung beinhaltet.
35. Allerdings ist Art. 43-bis Abs. 8 unter Berücksichtigung sämtlicher Bestimmungen dieses Artikels sowie der hierzu erlassenen Durchführungsbestimmungen zu betrachten. Was das durch diese Regelung eingeführte System betrifft, so scheint eine vorherige Erlaubnis der Presseverlage für die Nutzung ihrer Veröffentlichungen durch die ADIG erforderlich zu sein, wobei diese Erlaubnis nach freien, wenn auch mit Unterstützung geführten Verhandlungen zwischen den Parteien zu erteilen ist. Im Übrigen scheint dieser Artikel die Verlage insbesondere nicht daran zu hindern, ihre Erlaubnis zu verweigern oder unentgeltlich zu erteilen. Die Verpflichtung der ADIG zum Abschluss eines Vertrags mit den Presseverlagen scheint an die tatsächliche Nutzung der Presseveröffentlichungen durch die ADIG oder zumindest an die Absicht einer solchen Nutzung geknüpft zu sein. Es handelt sich also nicht um eine Zahlung ohne Nutzung.
36. Aus der streitigen italienischen Regelung scheint sich somit zu ergeben, dass der Begriff „gerechter Ausgleich“ – wie von der italienischen Regierung vorgetragen – die Vergütung bezeichnet, die Presseverlage von ADIG für die Nutzung ihrer Veröffentlichungen erhalten können, die von den gemäß Art. 15 der Richtlinie 2019/790 geschützten Rechte erfasst werden. Denn der italienische Gesetzgeber ist wohl davon ausgegangen, dass diese Vergütung gerecht sein müsse.
37. Jedenfalls ist Art. 15 der Richtlinie 2019/790 dahin auszulegen, dass er innerstaatlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die Presseverlagen einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung als Gegenleistung für ihre Erlaubnis zur Nutzung ihrer Veröffentlichungen durch die ADIG einräumen, sofern diese Vorschriften weder den Verlagen die Möglichkeit nehmen, ihre Erlaubnis zu verweigern oder unentgeltlich zu erteilen, noch die ADIG zu einer Zahlung verpflichten, die in keinem Zusammenhang mit einer tatsächlichen oder beabsichtigten Nutzung der Presseveröffentlichungen steht. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wobei es die jedem Gericht eines Mitgliedstaats obliegende Pflicht zu berücksichtigen hat, sein nationales Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen.
Zu den Verpflichtungen der ADIG
38. Mit seiner Frage 1 b möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob Art. 15 der Richtlinie 2019/790 dahin auszulegen ist, dass er einer Verpflichtung der ADIG entgegensteht, mit den Verlagen Verhandlungen aufzunehmen, die für die Bestimmung eines gerechten Ausgleichs erforderlichen Informationen offenzulegen und die Sichtbarkeit der verlagseigenen Inhalte während der Verhandlungen nicht einzuschränken. Die Zweifel des vorlegenden Gerichts sind darauf zurückzuführen, dass der italienische Gesetzgeber über den normativen Gehalt dieser Bestimmung hinausgegangen ist und staatliche Eingriffsmechanismen in einem Bereich eingeführt hat, der nach Ansicht des Gerichts allein dem Willen der betroffenen Parteien in freien Verhandlungen überlassen bleiben sollte.
39. Dies erscheint mir jedoch nicht ausreichend, um auf die Unvereinbarkeit der italienischen Regelung mit Art. 15 der Richtlinie 2019/790 zu schließen.
40. Wenngleich nämlich, wie bereits erwähnt, davon auszugehen ist, dass urheberrechtliche Bestimmungen der Union, die wie Art. 15 der Richtlinie 2019/790 Schutzrechte begründen, eine Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung des materiellen Gehalts dieser Rechte darstellen(20 ), gilt dies nicht für die Ausübung dieser Rechte betreffende Maßnahmen. Denn Richtlinien sind zwar hinsichtlich des zu erreichenden Ziels für die Mitgliedstaaten verbindlich, überlassen ihnen aber die Wahl der Form und der Mittel.
41. Die Mitgliedstaaten können daher, wenn sie dies für erforderlich halten, die Ausübung der ausschließlichen Rechte so ausgestalten, dass deren Wirksamkeit gewährleistet ist. Dies gilt insbesondere für die mit Art. 15 der Richtlinie 2019/790 eingeführten Rechte, dessen Ziel es ist, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen Presseverlage eine Vergütung für die Online-Nutzung ihrer Veröffentlichungen erhalten können(21 ). Da auf dem Markt zwischen diesen Verlagen und den ADIG ein erhebliches Ungleichgewicht besteht, dürfen die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um hier Abhilfe zu schaffen, indem sie insbesondere den ADIG konkrete Verpflichtungen in Bezug auf die Modalitäten der Verhandlungen über die Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung dieser Veröffentlichungen auferlegen.
42. Solche zusätzlichen Verpflichtungen verstoßen daher nicht gegen Art. 15 der Richtlinie 2019/790, sofern sie insbesondere den Charakter der mit dieser Bestimmung begründeten Rechte als ausschließliche Rechte vorbeugender Art unberührt lassen. Die den ADIG auferlegten Verpflichtungen, die Gegenstand von Frage 1 b sind, scheinen mir nicht im Widerspruch zu dieser Voraussetzung zu stehen.
43. Somit scheint die Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen mit Presseverlagen, die sich laut Meta aus Art. 43-bis Abs. 8 bis 10 des Gesetzes Nr. 633/1941 ergibt, nur im Fall einer tatsächlichen oder beabsichtigten Nutzung von Presseveröffentlichungen durch einen ADIG zu gelten. Da Art. 15 der Richtlinie 2019/790 den Verlagen ausschließliche Rechte für solche Nutzungen einräumt, ist es naheliegend, dass die ADIG zuvor die Erlaubnis der Verlage einholen müssen, wobei die Modalitäten für deren Erteilung zwischen den Beteiligten auszuhandeln sind.
44. Diese nationale Rechtsvorschrift kann jedoch nicht im Einklang mit Art. 15 der Richtlinie 2019/790 dahin ausgelegt werden, dass ADIG verpflichtet wären, mit Presseverlagen über die Erlaubnis für Nutzungen zu verhandeln, welche die ADIG gar nicht in Betracht ziehen, oder Presseveröffentlichungen zu nutzen, wenn sie dies gar nicht wünschen.
45. Eine solche Pflicht dürfte sich insbesondere nicht daraus ergeben, dass es den ADIG verboten ist, während der betreffenden Verhandlungen Presseveröffentlichungen in den Suchergebnissen zu verbergen. Erstens kann nämlich bei Veröffentlichungen, die in Suchergebnissen sichtbar werden, angenommen werden, dass sie unter den Voraussetzungen gemäß Art. 15 der Richtlinie 2019/790 genutzt werden. Da dieses Verbot im Rahmen der Verhandlungen zwischen Anbietern und Verlagen gilt, scheinen zweitens diese Verhandlungen das Ereignis zu sein, das der Auslösung dieses Verbots vorausgeht. Es handelt sich daher nicht um eine allgemeine Verpflichtung der ADIG, Presseveröffentlichungen in einer Weise zu nutzen, die unter die mit diesem Artikel begründeten ausschließlichen Rechte fällt.
46. Dieses Verbot dürfte also nur darauf abzielen, missbräuchliches Verhalten von ADIG zu verhindern, die aufgrund ihrer marktbeherrschenden Stellung versuchen könnten, Druck auf Verlage auszuüben oder zu verheimlichen, welchen wirtschaftlichen Wert die Nutzung von Presseveröffentlichungen für sie darstellt.
47. Schließlich soll mit der Pflicht zur Offenlegung bestimmter Informationen eindeutig das insoweit bestehende Ungleichgewicht zwischen Presseverlagen und ADIG überwunden werden. Denn nur die ADIG verfügen über Informationen, anhand deren sich der wirtschaftliche Wert der Online-Nutzung von Presseveröffentlichungen beurteilen lässt. Auf einem Markt, auf dem das reine Spiel von Angebot und Nachfrage wegen der Quasi-Monopolstellung der größten ADIG und der Abhängigkeit der Verlage von diesen Anbietern nicht funktionieren kann, erscheint aber Transparenz hinsichtlich des Zugangs zu diesen Informationen unerlässlich, damit faire Verhandlungen über die Erlaubnis der Verlage zur Nutzung ihrer Veröffentlichungen gewährleistet sind.
48. Eine derartige Pflicht ist hingegen keineswegs mit dem ausschließlichen und vorbeugenden Charakter der Rechte unvereinbar, die den Presseverlagen in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 eingeräumt werden. Dass Rechtsinhaber die Nutzung ihrer Schutzgegenstände nach Belieben erlauben können und potenzielle Nutzer sich nach Belieben um eine solche Erlaubnis bemühen können, hindert den Gesetzgeber nicht daran, Maßnahmen zu ergreifen, um die Fairness der Verhandlungen, sobald die betroffenen Parteien deren Aufnahme beschließen, sicherzustellen.
49. Nach alledem ist Art. 15 der Richtlinie 2019/790 dahin auszulegen, dass er den verschiedenen Verpflichtungen, die den ADIG durch die im Ausgangsverfahren streitige italienische Regelung auferlegt werden, nicht entgegensteht, sofern die in Nr. 37 der vorliegenden Schlussanträge genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Zu den Befugnissen der AGCOM
50. Mit seinen Fragen 1 c und 2 möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob Art. 15 der Richtlinie 2019/790 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Vorschriften entgegensteht, die einer Behörde wie der AGCOM im Rahmen der Verhandlungen über die Erteilung der Erlaubnis von Presseverlagen zur Nutzung ihrer Veröffentlichungen durch ADIG bestimmte Befugnisse übertragen, nämlich eine Aufsichts- und Sanktionsbefugnis, die Befugnis zur Festlegung der Referenzkriterien für die Bestimmung der von den ADIG an die Verlage zu zahlenden Vergütung, die Befugnis zur Festsetzung der exakten Höhe einer solchen Ausgleichszahlung, falls die Parteien keine Einigung erzielen, und schließlich die Befugnis, den Verstoß eines ADIG gegen seine Pflicht zur Offenlegung von Informationen zu ahnden.
51. Wie bei der Frage nach den Verpflichtungen der ADIG bezweifelt das vorlegende Gericht, dass eine solche behördliche Eingriffsbefugnis mit dem Grundsatz der freien Verhandlungen zwischen den Parteien vereinbar ist, der sich nach seiner Ansicht aus dem ausschließlichen und vorbeugenden Charakter der den Presseverlagen in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 eingeräumten Rechte ergibt.
52. Auch eine solche Eingriffsbefugnis kann meines Erachtens nicht als Verstoß gegen diese Bestimmung gewertet werden. Denn die Mitgliedstaaten können aufgrund des ihnen bei der Umsetzung von Richtlinienbestimmungen wie Art. 15 der Richtlinie 2019/790 zustehenden weiten Gestaltungsspielraums generell staatliche Eingriffsmaßnahmen in Bezug auf die Verhandlungen über die Erteilung von Nutzungserlaubnissen vorsehen, sofern ein solcher Eingriff den Parteien nicht die Freiheit nimmt, diese Erlaubnisse zu beantragen, zu erteilen und die Voraussetzungen für ihre Erteilung festzulegen. Deshalb sind die im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Vorschriften, um mit diesem Artikel vereinbar zu sein, dahin auszulegen, dass sie der Behörde – im vorliegenden Fall der AGCOM – keine Zwangsbefugnisse in Bezug auf den Abschluss des Vertrags und dessen Inhalt verleihen, sondern lediglich Befugnisse zur Unterstützung der Parteien und gegebenenfalls zur Überwachung der Einhaltung ihrer Verpflichtungen.
53. Insbesondere scheinen mir die von der AGCOM festgelegten Kriterien für die Bestimmung der Höhe der von den ADIG zu zahlenden Vergütung sowie der Betrag, der von dieser Behörde bei fehlender Einigung zwischen den Parteien von Amts wegen festgesetzt werden kann, für die Parteien nicht bindend zu sein, denen es unbenommen bleibt, auf der Grundlage dieser Vorschläge einen Vertrag zu schließen oder nicht oder aber einen anderen Betrag für diese Vergütung festzusetzen. Ein solcher staatlicher Eingriff, der auf Maßnahmen zur Unterstützung der Parteien beschränkt ist, erscheint mir insofern gerechtfertigt, als es sich um neu entstandene Rechte handelt, deren Marktwert daher noch nicht genau feststeht, und um einen Markt, auf dem ein Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Akteuren besteht. Da es den Parteien zudem freisteht, die Modalitäten ihrer Beziehungen endgültig festzulegen, halte ich diesen Eingriff nicht für unvereinbar mit dem ausschließlichen und vorbeugenden Charakter der den Presseverlagen in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 zuerkannten Rechte.
54. Was die Kontroll- und Sanktionsbefugnisse der AGCOM in Bezug auf die Einhaltung der den ADIG obliegenden Informationspflicht angeht, so erinnere ich daran(22 ), dass diese Pflicht nach meiner Auffassung mit Art. 15 der Richtlinie 2019/790 im Einklang steht. In der Befugnis einer Behörde, die Einhaltung dieser Verpflichtung zu kontrollieren und ihre Missachtung gegebenenfalls zu ahnden, kann daher, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, kein Verstoß gegen diese Bestimmung gesehen werden.
55. Art. 15 der Richtlinie 2019/790 ist also dahin auszulegen, dass er – ebenso wie im Fall der den ADIG auferlegten Verpflichtungen – den Befugnissen der AGCOM gemäß der im Ausgangsverfahren streitigen italienischen Regelung nicht entgegensteht, wenn diese Befugnisse den betroffenen Parteien nicht die Freiheit nehmen, eine Erlaubnis für die Online-Nutzung von Presseveröffentlichungen zu beantragen und zu erteilen sowie die Höhe einer etwaigen Vergütung für diese Erlaubnis festzusetzen.
Abschließende Bemerkungen zu Art. 15 der Richtlinie 2019/790 und Beantwortung der Fragen
56. Zur Abrundung der Prüfung von Art. 15 der Richtlinie 2019/790 erscheinen mir zwei Bemerkungen angebracht.
57. Zum einen hat gemäß Art. 43-bis Abs. 11 des Gesetzes Nr. 633/1941 für den Fall, dass die Parteien auch auf der Grundlage des von der AGCOM festgesetzten Vergütungsbetrags keine Einigung erzielen, jede Partei die Möglichkeit, vor Gericht Klage zu erheben. Da das vorlegende Gericht hierzu keine Frage gestellt hat, ist der Gegenstand einer solchen Klage nicht ganz klar. Zwar betrifft diese Vorschrift einen spezifischen Rechtsbehelf des italienischen Rechts, mittels dessen sich laut der italienischen Regierung nur feststellen lässt, dass eine Partei die wirtschaftliche Abhängigkeit einer anderen Partei missbraucht hat. Es handelt sich jedoch um einen Rechtsbehelf, der „auch“ eingelegt werden kann(23 ), was darauf hindeuten könnte, dass auch Rechtsbehelfe mit anderem Gegenstand möglich sind.
58. Ich hielte es aber für problematisch, wenn eine der beteiligten Parteien, insbesondere ein ADIG, die andere Partei gerichtlich dazu zwingen könnte, einen Vertrag abzuschließen und die Nutzung von Presseveröffentlichungen zu erlauben. Eine solche Möglichkeit stünde nämlich im Widerspruch zum ausschließlichen Charakter der den Presseverlagen in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 eingeräumten Rechte. Das innerstaatliche Recht eines Mitgliedstaats muss daher, um dieser Bestimmung zu entsprechen, dergestalt ausgelegt werden, dass es eine solche Möglichkeit ausschließt.
59. Zum anderen macht Meta in ihren Erklärungen geltend, die vom italienischen Gesetzgeber zur Umsetzung von Art. 15 der Richtlinie 2019/790 ergriffenen Maßnahmen wichen so stark vom Wortlaut dieses Artikels sowie von den entsprechenden Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten ab, dass sie zu einer Zersplitterung des Binnenmarkts hinsichtlich der Rechte von Presseverlagen führten und damit das vom Unionsgesetzgeber angestrebte Harmonisierungsziel gefährdeten.
60. Meiner Ansicht nach ist dem Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten jedoch, zumindest beim derzeitigen Entwicklungsstand des Unionsrechts in diesem Bereich, eine gewisse Zersplitterung des Binnenmarkts immanent. In der Tat erfolgt die Erteilung von Lizenzen für die Nutzung von Schutzgegenständen in der Regel für einen bestimmten Mitgliedstaat und findet die kollektive Wahrnehmung dieser Rechte auf nationaler Ebene statt. Die Harmonisierung in diesem Bereich betrifft somit hauptsächlich den Gehalt der Schutzrechte(24 ), während die Modalitäten der Ausübung dieser Rechte weiterhin dem nationalen Recht unterliegen und sich daher von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden können.
61. Die in Art. 15 der Richtlinie 2019/790 geregelten Rechte der Presseverlage bilden hier keine Ausnahme. Erlaubnisse für die Nutzung von Presseveröffentlichungen müssen gemäß den im jeweiligen Mitgliedstaat geltenden Vorschriften ausgehandelt und eingeholt werden, die sich zwangsläufig von denen anderer Mitgliedstaaten unterscheiden. Dies beeinträchtigt meines Erachtens jedoch nicht das mit diesem Artikel verfolgte Harmonisierungsziel, das den Gehalt der Rechte der Verlage betrifft. Im Übrigen hat die Italienische Republik meines Wissens nicht als einziger Mitgliedstaat Vorschriften erlassen, die über die bloße Bekräftigung der ausschließlichen Rechte von Presseverlagen hinausgehen(25 ).
62. Ich schlage daher vor, auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 15 der Richtlinie 2019/790 dahin auszulegen ist, dass er innerstaatlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die
– für Presseverlage einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung als Gegenleistung für die Erlaubnis zur Nutzung ihrer Veröffentlichungen durch ADIG vorsehen,
– den ADIG, die solche Veröffentlichungen nutzen möchten, bestimmte Verpflichtungen in Bezug auf die Verhandlungen mit diesen Verlagen, die Offenlegung von Informationen und die Verhandlungsführung nach dem Gebot von Treu und Glauben auferlegen,
– einer Behörde Regelungs‑, Kontroll- und Sanktionsbefugnisse übertragen, einschließlich der Möglichkeit, Kriterien für die Bestimmung der den Verlagen zustehenden Vergütung oder die Höhe dieser Vergütung vorzuschlagen,
sofern diese Vorschriften den Verlagen nicht die Möglichkeit nehmen, eine solche Erlaubnis zu verweigern oder unentgeltlich zu erteilen, die ADIG nicht zu einer Zahlung verpflichten, die in keinem Zusammenhang mit einer tatsächlichen oder beabsichtigten Nutzung solcher Veröffentlichungen stehen, und nicht die Vertragsfreiheit der Parteien zwingend einschränken. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wobei es die jedem Gericht eines Mitgliedstaats obliegende Pflicht zu berücksichtigen hat, sein nationales Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen.
Zur dritten Vorlagefrage
63. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 16 und 52 der Charta sowie „der Grundsatz des freien Wettbewerbs im Sinne von Art. 109 AEUV“ dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Vorschriften wie den in Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge beschriebenen entgegenstehen, die zur Umsetzung von Art. 15 der Richtlinie 2019/790 erlassen wurden.
64. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 109 AEUV einen solchen Grundsatz nicht enthält, da er die Befugnisse der Organe der Union zum Erlass von Maßnahmen zur Durchführung der Art. 107 und 108 AEUV betrifft, die sich auf staatliche Beihilfen beziehen. In der Begründung seiner Entscheidung führt das vorlegende Gericht allerdings insbesondere Art. 119 AEUV als Quelle dieses Grundsatzes an. Auch Meta verweist in ihren Erklärungen auf diese Bestimmung. Art. 119 AEUV erwähnt zwar zweimal eine „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“, findet sich jedoch im einleitenden Teil von Titel VIII „Wirtschafts- und Währungspolitik“ des AEU-Vertrags und handelt davon, wie die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik koordinieren müssen. Dieser Artikel ist daher irrelevant für die Kontrolle der Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung von Harmonisierungsbestimmungen in einem Bereich wie dem Urheberrecht ergriffen wurden.
65. Da weder Art. 119 AEUV, geschweige denn Art. 109 AEUV für die Prüfung einschlägig ist, ob die im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Vorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar sind, werde ich die Prüfung der dritten Frage auf die Bestimmungen der Charta beschränken.
66. Gemäß Art. 16 der Charta wird „[d]ie unternehmerische Freiheit … nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt“(26 ). Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass die unternehmerische Freiheit – angesichts des Wortlauts dieser Bestimmung, der sich von dem der anderen grundrechtlich geschützten Freiheiten, die in Titel II der Charta verankert sind, unterscheidet und dabei dem Wortlaut einiger Bestimmungen ihres Titels IV ähnelt – im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen ist und einer Vielzahl von Eingriffen der öffentlichen Gewalt unterworfen werden kann, die im allgemeinen Interesse die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit beschränken können. Dies spiegelt sich vor allem darin wider, auf welche Weise nach Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu handhaben ist(27 ). Im Übrigen ist ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der unternehmerischen Freiheit und anderen Grundrechten, insbesondere dem Schutz des geistigen Eigentums gemäß Art. 17 Abs. 2 der Charta, sicherzustellen(28 ).
67. Zum Inhalt der unternehmerischen Freiheit hat der Gerichtshof entschieden, dass diese u. a. die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb umfasst(29 ).
68. Daher können Beschränkungen der unternehmerischen Freiheit, mit denen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, nur in Ausnahmefällen als mit dieser Freiheit unvereinbar angesehen werden, nämlich dann, wenn sie offensichtlich unverhältnismäßig sind oder diese Freiheit in ihrem Wesensgehalt beeinträchtigen(30 ).
69. So verhält es sich bei den in Rede stehenden nationalen Maßnahmen, wie sie in Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge beschrieben sind, meines Erachtens nicht, da sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen. Durch diese Maßnahmen wird das vom Unionsgesetzgeber mit Erlass der Richtlinie 2019/790 anerkannte, im Allgemeininteresse liegende Ziel verfolgt, die Stellung der Presseverlage, die wichtige Akteure in jeder demokratischen Gesellschaft sind, gegenüber den ADIG zu stärken. Da die italienische Regelung den Betroffenen nicht vorschreibt, Geschäftsbeziehungen zu verbindlich festgelegten Bedingungen aufzunehmen, vermag ich nicht zu erkennen, inwiefern sie die Freiheit, eine Wirtschaftstätigkeit auszuüben, oder die Vertragsfreiheit in ihrem Wesensgehalt antasten würde. Die verschiedenen den ADIG auferlegten Verpflichtungen sowie die der AGCOM zustehenden Befugnisse erscheinen mir angesichts der Schwierigkeiten, auf die die Presseverlage bei der Geltendmachung der ihnen für die Nutzung ihrer Online-Veröffentlichungen zustehenden Vergütungen stoßen, auch nicht offensichtlich unverhältnismäßig.
70. Was den freien Wettbewerb angeht, den Meta und das vorlegende Gericht als Bestandteil der unternehmerischen Freiheit anführen, so ist festzustellen, dass dieser insbesondere das unionsrechtlich in Art. 102 AEUV verankerte Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung umfasst. Die ADIG spielen aber gegenüber den Presseverlagen eine doppelte Rolle: Zum einen erbringen sie ihnen verschiedene Online-Kommunikationsdienste, zum anderen stehen sie mit ihnen im Wettbewerb, und zwar sowohl auf dem Markt für die Verbreitung von Informationen als auch auf dem Werbemarkt. In dieser doppelten Eigenschaft sind ADIG daher besonders geeignet, ihre potenziell marktbeherrschende Stellung auf verschiedenen Märkten, auf denen auch Presseverlage tätig sind, zu missbrauchen. Maßnahmen zur Stärkung der Verhandlungsposition der Verlage sind also nicht als Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs anzusehen, sondern vielmehr als dessen Förderung.
71. Deshalb sind Art. 16 der Charta sowie deren Art. 52 – der nur die der unternehmerischen Freiheit immanente Zulässigkeit einer Beschränkung der in der Charta garantierten Rechte bestätigt – meines Erachtens dahin auszulegen, dass sie innerstaatlichen Vorschriften wie den in Nr. 62 dieser Schlussanträge beschriebenen nicht entgegenstehen, sofern die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Ergebnis
72. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht für Latium, Italien) wie folgt zu beantworten:
Art. 15 der Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG sowie die Art. 16 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
sind dahin auszulegen, dass
sie innerstaatlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die
– für Presseverlage einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung als Gegenleistung für die Erlaubnis zur Nutzung ihrer Veröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft vorsehen,
– Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft, die solche Veröffentlichungen nutzen möchten, bestimmte Verpflichtungen in Bezug auf die Verhandlungen mit den Verlagen, die Offenlegung von Informationen und die Verhandlungsführung nach dem Gebot von Treu und Glauben auferlegen,
– einer Behörde Regelungs‑, Kontroll- und Sanktionsbefugnisse übertragen, einschließlich der Möglichkeit, Kriterien für die Bestimmung der den Verlagen zustehenden Vergütung oder die Höhe dieser Vergütung vorzuschlagen,
sofern diese Vorschriften den Presseverlagen nicht die Möglichkeit nehmen, eine solche Erlaubnis zu verweigern oder unentgeltlich zu erteilen, die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft nicht zu einer Zahlung verpflichten, die in keinem Zusammenhang mit einer tatsächlichen oder beabsichtigten Nutzung solcher Veröffentlichungen stehen, und nicht die Vertragsfreiheit der Parteien zwingend einschränken.