Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 3. Juli 2025(1 )
Rechtssache C ‑796/23
Česká síť s.r.o.
gegen
Odvolací finanční ředitelství
(Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší správní soud [Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik])
„ Vorabentscheidungsersuchen – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 9 Abs. 1 – Begriff des Steuerpflichtigen – Rechtsfähigkeit – Zuordnung des Umsatzes zu einem Steuerpflichtigen – Gemeinsames Handeln mehrerer Personen als Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit – Bestimmung des Steuerschuldners “
I. Einleitung
1. Im vorliegenden Fall muss der Gerichtshof im Ergebnis „lediglich“ klären, wer der Steuerpflichtige ist, der einen Umsatz ausgeführt hat und daher auch die entsprechende Mehrwertsteuer schuldet. Hintergrund dieser klassischen Frage ist ein Zusammenwirken von vier juristischen Personen, wobei einige von ihnen wohl unter die Kleinunternehmergrenze fallen. Wenn alle Umsätze zusammengerechnet werden und von einer einzigen Gesellschaft, die aus diesen vier juristischen Personen besteht, erbracht worden wären, dann wäre diese Grenze wohl überschritten.
2. Probleme bereitet dem vorlegenden Gericht das Zusammenspiel aus Zivilrecht und Steuerrecht und die in einigen Mitgliedstaaten früher einmal und teils heute noch existierende Vorstellung eines Steuerrechts als Folgerecht des nationalen Zivilrechts. Dies kann jedenfalls insofern kaum überzeugen, als das Mehrwertsteuerrecht ein unionsrechtlich harmonisiertes Rechtsgebiet ist.
3. Gleichwohl muss das unionsrechtliche Mehrwertsteuerrecht damit umgehen, dass das jeweilige nationale Zivilrecht z. B. Gesellschaften erlaubt, die keine eigene Rechtspersönlichkeit haben (mithin keine juristischen Personen sind), dennoch aber durch ihre Gesellschafter im Rechtsverkehr wirksam als Gesellschaft handeln können. Dies ist z. B. bei einer „Gesellschaft“ nach dem tschechischen Bürgerlichen Gesetzbuch der Fall. Dabei handelt es sich um eine Vereinigung von Personen ohne eigene Rechtspersönlichkeit (ein traditionelles Institut des römischen Rechts, lateinisch: societas – im Folgenden: BGB-Gesellschaft), wie es sie in vielen Mitgliedstaaten gibt.(2 ) Ist Steuerpflichtiger nur derjenige, der auch über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, oder ist dafür die Rechtsfähigkeit ausreichend?
4. Wenn die Rechtsfähigkeit genügt, schließt sich die Frage an, in welchen Fällen die BGB-Gesellschaft und in welchen der handelnde Gesellschafter einen entsprechenden steuerpflichtigen Umsatz ausführt. Denn ein Gesellschafter kann als natürliche oder, so wie hier, als juristische Person auch selbst wirtschaftlich tätig sein. Bedeutung erlangt das für Steuerschuld und Vorsteuerabzug. Die Auswirkungen können erheblich sein, wenn – so wie hier – rückwirkend eine De-facto -BGB-Gesellschaft angenommen wird, für die nach nationalem Recht einer der Gesellschafter alle Steuern schulden soll.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
5. Den unionsrechtlichen Rahmen bildet die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(3 ) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
6. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt. …“
7. Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten, mehrere Personen als einen Steuerpflichtigen zu betrachten. Er lautet:
„Nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer (nachstehend ‚Mehrwertsteuerausschuss‘ genannt) kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
Ein Mitgliedstaat, der die in Absatz 1 vorgesehene Möglichkeit in Anspruch nimmt, kann die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen durch die Anwendung dieser Bestimmung vorzubeugen.“
8. Art. 193 der Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft die Person des Steuerschuldners und regelt:
„Die Mehrwertsteuer schuldet der Steuerpflichtige, der Gegenstände steuerpflichtig liefert oder eine Dienstleistung steuerpflichtig erbringt …“
B. Tschechisches Recht
– Zivilrecht
9. Das Gesetz Nr. 89/2012 Slg. (zákon č. 89/2012 Sb., občanský zákoník, im Folgenden: Bürgerliches Gesetzbuch) regelt in den §§ 2716 ff. die sogenannte „Gesellschaft“ (im Folgenden: BGB-Gesellschaft).
10. Nach § 2716 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsteht eine BGB-Gesellschaft, wenn sich mehrere Personen vertraglich verpflichten, sich zum gemeinsamen Zweck einer Tätigkeit oder Sache als Gesellschafter zusammenzuschließen. Die Gründung einer BGB-Gesellschaft setzt nicht voraus, dass der Vertrag schriftlich geschlossen wurde.
11. Nach § 2727 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs darf ein Gesellschafter ohne die Zustimmung der anderen Gesellschafter keine Handlungen für eigene oder fremde Rechnung vornehmen, die in Bezug auf den gemeinsamen Zweck konkurrierenden Charakter haben. Gemäß § 2727 Abs. 2 können die anderen Gesellschafter in Fällen, in denen ein Gesellschafter auf eigene Rechnung gehandelt hat, verlangen, die Handlungen des Gesellschafters als für gemeinsame Rechnung vorgenommen zu erklären.
12. Nach § 2736 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt u. a., dass die Gesellschafter für Schulden, die sich aus der gemeinsamen Tätigkeit ergeben, gegenüber Dritten gesamtschuldnerisch haften. Nach § 2737 gilt ein Gesellschafter, der in einer gemeinsamen Angelegenheit mit einem Dritten handelt, als Auftraggeber aller Gesellschafter. Falls die Gesellschafter etwas anderes vereinbaren, kann dies einem gutgläubig handelnden Dritten nicht entgegengehalten werden. Hat ein Gesellschafter in einer gemeinsamen Angelegenheit mit einem Dritten im eigenen Namen gehandelt, können die anderen Gesellschafter die sich daraus ergebenden Rechte geltend machen, der Dritte ist jedoch nur gegenüber demjenigen verpflichtet, der rechtlich mit ihm gehandelt hat. Dies ist nicht der Fall, wenn dem Dritten bekannt war, dass der Gesellschafter auf Rechnung der Gesellschaft handelte.
– Steuerrecht
13. Das Gesetz Nr. 235/2004 Slg. über die Mehrwertsteuer (zákon č. 235/2004 Sb., o dani z přidané hodnoty, im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) setzt die Mehrwertsteuerrichtlinie um, enthielt jedoch u. a. in den §§ 4a und 6a bis zum 30. Juni 2017 besondere mehrwertsteuerliche Regelungen für Steuerpflichtige, die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft nach § 2716 des Bürgerlichen Gesetzbuchs waren.
14. Mit Wirkung zum 1. Juli 2017 änderte die Novelle Nr. 170/2017 Slg. das Mehrwertsteuergesetz, und die Sonderregelung für diese BGB-Gesellschaften wurde gestrichen. Nach der Begründung der Novelle Nr. 170/2017 Slg. wird das Mehrwertsteuergesetz dadurch „mit der Mehrwertsteuerrichtlinie und den allgemeinen Grundsätzen der Mehrwertsteuer in Einklang gebracht“.
15. Nach § 5 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes ist ein Steuerpflichtiger eine Person oder eine Gruppe, die selbständig wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt. Steuerpflichtiger ist auch eine juristische Person, die nicht für unternehmerische Zwecke gegründet wurde, soweit sie wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt. Typischerweise wird ein Steuerpflichtiger zum Steuerzahler, wenn sein Umsatz nach § 6 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes in höchstens zwölf unmittelbar vorangegangenen, aufeinanderfolgenden Kalendermonaten einen bestimmten Betrag übersteigt (zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten 1 Mio. tschechische Kronen [CZK]).
16. Für die Berechnung des Umsatzes für Mehrwertsteuerzwecke nach dem 2017 gestrichenen § 4a Abs. 3 des Mehrwertsteuergesetzes galt, dass der Umsatz eines Steuerpflichtigen, der Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft ist, in deren Rahmen zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze bewirkt werden, die Umsätze umfasst, die a) von dieser Person selbständig außerhalb der BGB-Gesellschaft und b) von der gesamten BGB-Gesellschaft erzielt werden.
17. Für die Bestimmung des Steuerzahlers galt nach dem ebenfalls 2017 gestrichenen § 6a des Mehrwertsteuergesetzes, dass ein Steuerpflichtiger, der a) Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft ist, in deren Rahmen zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze bewirkt werden, ab dem Zeitpunkt Steuerzahler ist, zu dem einer der anderen Gesellschafter Steuerzahler geworden ist, es sei denn, er ist gemäß diesem Gesetz früher Steuerzahler geworden, und b) Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft wird, in deren Rahmen zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze gemeinsam mit dem Steuerzahler bewirkt werden, ab dem Zeitpunkt Steuerzahler ist, zu dem er Gesellschafter wurde. Nach § 95 des Mehrwertsteuergesetzes galt, dass, wenn ein Steuerpflichtiger, der Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft ist, zum Steuerzahler wird, er verpflichtet ist, die anderen Gesellschafter innerhalb von 15 Tagen ab dem Zeitpunkt, an dem er Steuerzahler wurde, darüber zu informieren.
18. Gemäß § 100 Abs. 4 des Mehrwertsteuergesetzes galt, dass Steuerzahler, die Gesellschafter derselben BGB-Gesellschaft sind, verpflichtet sind, für Zwecke der Mehrwertsteuer Aufzeichnungen über die Tätigkeiten, für die sie sich zusammengeschlossen haben, getrennt zu führen. Diese Aufzeichnungen werden für die BGB-Gesellschaft von einem benannten Gesellschafter geführt, der im Namen der Gesellschaft alle Pflichten und Rechte nach diesem Gesetz für die anderen Gesellschafter wahrnimmt.
19. Darüber hinaus sah § 101b Abs. 2 des Mehrwertsteuergesetzes vor, dass ein Steuerzahler, der als benannter Gesellschafter im Namen der BGB-Gesellschaft Aufzeichnungen für Mehrwertsteuerzwecke führt, verpflichtet ist, in seiner Steuererklärung die zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze und die Steuer auf seine Tätigkeit anzugeben sowie die zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze und die Steuer auf die Tätigkeit der gesamten BGB-Gesellschaft.
20. Nach § 74 Abs. 7 des Mehrwertsteuergesetzes konnte nur der benannte Gesellschafter den Vorsteuerabzug aus Umsätzen der Gesellschaft geltend machen. Die anderen Gesellschafter geben in ihrer Steuererklärung nur die abzugsfähigen Umsätze und die Steuern auf ihre eigenen Tätigkeiten an.
III. Ausgangsrechtsstreit
21. Česká síť s.r.o. (im Folgenden: Klägerin) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in der Tschechischen Republik. Im Jahr 2017 arbeitete die Klägerin mit mehreren in den USA ansässigen Unternehmen zusammen, die in der Tschechischen Republik über Zweigniederlassungen tätig waren (dies waren die juristischen Personen CESKA SIT OPTICS LLC, KDYNSKY INTERNET LLC und CESKA SIT LLC).
22. Alle juristischen Personen (die Klägerin und die drei US-amerikanischen Unternehmen bzw. ihre in der Tschechischen Republik tätigen Zweigniederlassungen) erbrachten Dienstleistungen für Endverbraucher (hauptsächlich das Bereitstellen von Internetanschlüssen). Jede der juristischen Personen wickelte die Geschäfte in eigenem Namen mit einer anderen Kundengruppe ab. So erzielte jede der juristischen Personen im Jahr 2017 eigene Umsätze für die Erbringung von Dienstleistungen (bei den Zweigniederlassungen lagen die Jahresumsätze zwischen 645 000 und 748 000 CZK).
23. Der Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Klägerin war dabei gleichzeitig Leiter der Zweigniederlassungen aller drei US-amerikanischen juristischen Personen (für die Zweigniederlassungen unterzeichnete er auch Vertragsunterlagen, und dies u. a. derart, dass er dabei einige Kontaktdaten der Klägerin, wie z. B. deren Website oder E‑Mail-Adresse, angab). Er war die einzige Person, die de facto sowohl die Klägerin als auch die Zweigniederlassungen der drei genannten juristischen Personen leitete. Die Klägerin hatte bereits in den Jahren 2009 und 2010 über 170 ihrer bestehenden Kunden unentgeltlich an die Zweigniederlassungen der US-amerikanischen Unternehmen übertragen. Sie stellte den Zweigniederlassungen die erforderliche Infrastruktur zur Verfügung und erwarb selbst die Internetanbindung (z. B. waren alle Kunden über denselben Zugangspunkt an das Internet angeschlossen). Die Zweigniederlassungen der US-Unternehmen verfügten dagegen über keine materiellen oder immateriellen Vermögenswerte und hatten keinerlei Lohnkosten.
24. Aufgrund dieser Verbindungen kamen die Steuerbehörden zu dem Schluss, dass de facto eine BGB-Gesellschaft (d. h. ein Zusammenschluss von Personen, der selbst keine eigene Rechtspersönlichkeit hat) nach § 2716 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestand.
25. Wegen der Sonderregelungen im tschechischen Mehrwertsteuergesetz für Gesellschaften nach § 2716 des Bürgerlichen Gesetzbuchs schulde die Klägerin als „benannter Gesellschafter“ die Mehrwertsteuer der gesamten Gesellschaft. Die Steuerverwaltung berechnete daher die Mehrwertsteuerschuld der Klägerin, indem sie in die Steuerbemessungsgrundlage sowohl die von der Klägerin im Jahr 2017 erbrachten steuerpflichtigen Leistungen als auch die Umsätze der Zweigniederlassungen der US-amerikanischen Unternehmen – als Gesellschafter der BGB-Gesellschaft – einbezog.
26. Im November 2020 erließ die Steuerverwaltung insgesamt zwölf Nachzahlungsbescheide. Die Klägerin legte erfolglos Berufung bei der Berufungsfinanzdirektion (der Beklagten) ein und scheiterte nachfolgend auch mit ihrer Klage vor dem Krajský soud (Regionalgericht, Tschechische Republik). Die Klägerin verteidigt sich nunmehr mit einer Kassationsbeschwerde vor dem Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik).
27. In der Kassationsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die besondere mehrwertsteuerliche Behandlung von BGB-Gesellschaften oder deren Gesellschaftern nach tschechischem Recht gegen die Mehrwertsteuerrichtlinie verstoßen habe. Die tschechische Regelung habe nämlich im Ergebnis dazu geführt, dass die Steuerverwaltung die Klägerin nicht nur auf der Grundlage ihrer eigenen Umsätze, sondern auch auf Grundlage fremder Umsätze besteuert habe. Die Beklagte hingegen widerspricht dieser Auffassung. Ihrer Ansicht nach verstieß die Sonderregelung für BGB-Gesellschaften nicht gegen das Unionsrecht. Der Gesetzgeber habe die bisherige Regelung nicht wegen einer Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht, sondern wegen Problemen bei ihrer Anwendung aufgehoben.
IV. Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof
28. Das Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV folgende zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist es mit der Richtlinie 2006/112, insbesondere mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 193, vereinbar, dass auf der Grundlage der besonderen nationalen Mehrwertsteuerregelung für „Gesellschaften“ (Zusammenschlüsse von Personen ohne eigene Rechtspersönlichkeit) ein sogenannter „benannter Gesellschafter“ für die Zahlung der Steuer für die gesamte Gesellschaft haftet, obwohl ein anderer Gesellschafter mit dem Endverbraucher über die Erbringung von Dienstleistungen verhandelt hat?
2. Hängt die Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2006/112 davon ab, ob dieser andere Gesellschafter von den Regeln für Verhandlungen in Angelegenheiten der Gesellschaft abgewichen ist und mit dem Endverbraucher im eigenen Namen verhandelt hat?
29. Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben die Klägerin, die Tschechische Republik und die Kommission schriftliche Stellungnahmen abgegeben. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung abgesehen.
V. Rechtliche Würdigung
30. Im Kern fragt das vorlegende Gericht mit seinen beiden Fragen, die zusammen beantwortet werden können, wer als Steuerpflichtiger anzusehen ist, wenn ein Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft an einen Dritten eine eigenständige Dienstleistung im eigenen Namen erbracht hat, wobei er möglicherweise gegen das „Konkurrenzverbot“ aus § 2727 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verstoßen hat. Dabei unterstellt das vorlegende Gericht das Vorliegen einer BGB-Gesellschaft nach tschechischem Recht.
31. Auf dieser Prämisse basieren die vorliegenden Schlussanträge, auch wenn sich aus der Vorlageentscheidung nicht genau ergibt, zu welchem gemeinsamen Zweck einer Tätigkeit oder Sache sich die vier beteiligten Unternehmen als Gesellschafter hier zusammengeschlossen haben sollen. Normalerweise führt nicht jede Zusammenarbeit unterschiedlicher Personen zur Bildung einer eigenen rechtsfähigen „societas“ (BGB-Gesellschaft). Letztendlich ist diese Feststellung aber vom vorlegenden Gericht zu treffen.
32. Die bei Annahme einer BGB-Gesellschaft zu klärende rechtliche Frage erfordert es, auf den Begriff des Steuerpflichtigen und die Relevanz des jeweiligen nationalen Zivilrechts für dessen Bestimmung näher einzugehen (dazu unter B.). Sollte die BGB-Gesellschaft der Steuerpflichtige sein, stellt sich die Frage, ob ein Mitgliedstaat statt der Gesellschaft nur einen der Gesellschafter (laut tschechischem Recht den benannten Gesellschafter) als Steuerpflichtigen ansehen und ihm die Umsätze der Gesellschaft „zurechnen“ kann oder ob das Mehrwertsteuerrecht verlangt, dass die Gesellschaft auch administrativ als gesonderter Steuerpflichtiger behandelt wird (dazu unter C.).
33. Da sich diese Fragen im Ausgangsverfahren offenbar nur deshalb stellen, weil einige der Gesellschafter der BGB-Gesellschaft ihrerseits unter der Kleinunternehmergrenze geblieben sind, werde ich zunächst auf die Bedingungen eingehen, unter denen missbräuchliche Gestaltungen verhindert werden können (dazu unter A.).
A. Missbräuchliches Ausnutzen der Kleinunternehmergrenzen?
34. Die sogenannte Kleinunternehmerbefreiung (Art. 287 der Mehrwertsteuerrichtlinie) bezieht sich auf den einzelnen Steuerpflichtigen und dessen Umsätze. Da sie nicht objektiv an die Art der Tätigkeit, sondern nur an das persönliche Nichterreichen einer Umsatzgrenze durch den einzelnen Steuerpflichtigen anknüpft, sieht Art. 287 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine subjektive Steuerbefreiung vor. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat(4 ) und ich an anderer Stelle ausgeführt habe,(5 ) liegt der Sinn dieser subjektiven Steuerbefreiung primär in einer Verwaltungsvereinfachung.
35. Ohne eine solche Grenze müsste die Finanzverwaltung jede Person, die eine noch so geringe wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie ausübt, ab dem ersten Euro als Steuerpflichtigen behandeln. Dies würde Verwaltungskosten nicht nur auf Seiten des Steuerpflichtigen, sondern auch auf Seiten der Finanzverwaltung auslösen, denen kein entsprechendes Steueraufkommen gegenüberstünde.(6 ) Das soll die Bagatellgrenze von Art. 287 der Mehrwertsteuerrichtlinie gerade vermeiden.(7 )
36. Dass ein Gesellschafter versucht, diese Umsatzgrenze pro Jahr nicht zu überschreiten, kann als solches noch keinen Missbrauch begründen, da in einem solchen Fall der Sinn und Zweck der subjektiven Steuerbefreiung (Entlastung von Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen) erfüllt wird.(8 ) Etwas anderes kann allenfalls gelten, sofern in der gewählten Konstruktion (Aufteilung der Umsätze auf vier beherrschte Gesellschaften) eine missbräuchliche Gestaltung(9 ) zu sehen ist. Die Begründung der Finanzverwaltung, warum hier eine De-facto -BGB-Gesellschaft vorliege, könnte in diese Richtung verstanden werden. Auch die Tschechische Republik geht in ihrer Stellungnahme von einer künstlichen Gestaltung aus. Letztlich kann dies aber nur das vorlegende Gericht beurteilen und feststellen. Der Gerichtshof kann insoweit jedoch Hinweise geben.
37. Zum einen steht fest, dass sich ein Steuerpflichtiger nicht missbräuchlich auf die in der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Rechte auf Abzug, Befreiung oder Erstattung der Mehrwertsteuer berufen kann.(10 ) Zugleich kann aber nicht jedes steueroptimierende Verhalten als „bestimmungswidrige Rechtspraxis“ gewertet werden. Vielmehr ist ein Missbrauch ausgeschlossen und der Sachverhalt so zu akzeptieren, wie er sich darstellt, „wenn nicht feststeht, dass eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung vorliegt, die allein oder zumindest im Wesentlichen zu dem Zweck erfolgt, einen Steuervorteil zu erlangen, dessen Gewährung den Zielen der Richtlinie zuwiderliefe.“(11 )
38. Wie die Entstehungsgeschichte von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie zeigt, hat der Richtliniengeber das Risiko einer missbräuchlichen Ausnutzung von Freigrenzen durch mehrere beherrschte Steuerpflichtige gesehen und den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, unter gewissen Umständen mehrere Personen zu einem Steuerpflichtigen zusammenzufassen.(12 ) Dies geht aber nur, sofern diese Personen durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind.
39. Wenn die Zusammenarbeit der drei US-Unternehmen und der Klägerin daher damit vergleichbar wäre und primär dazu diente, ganz oder teilweise unter den Umsatzgrenzen der Kleinunternehmerbefreiung zu bleiben, könnte dies möglicherweise als künstliche Gestaltung eingeordnet und damit ignoriert werden. Sofern die Klägerin als die „Drahtzieherin“ der Konstruktion (mithin als das beherrschende Unternehmen) anzusehen wäre, könnten die Umsätze dann auch ihr zugerechnet und bei ihr besteuert werden. Die Annahme einer De-facto -BGB-Gesellschaft wäre dafür dann gar nicht nötig.
B. Zur Frage, wer der Steuerpflichtige gewesen ist, der die Umsätze ausgeführt hat
40. Kann eine solche künstliche Gestaltung hingegen nicht angenommen werden, ist entscheidend, wer die entsprechenden Umsätze (Bereitstellung von Internetanschlüssen) ausgeführt hat und damit verpflichtet ist, die entsprechende Mehrwertsteuer von den Leistungsempfängern einzusammeln und abzuführen. Genau dies möchte das vorlegende Gericht mit seinen beiden Fragen, die beide zusammen geprüft werden können, herausfinden. In Betracht kommen der jeweils handelnde Gesellschafter (so die Klägerin) oder die BGB-Gesellschaft (aus Klägerin und den drei US-Unternehmen – so die Finanzverwaltung), der nach nationalem Recht keine Rechtspersönlichkeit zukommt.
41. Dafür ist zunächst zu klären, wer überhaupt ein Steuerpflichtiger im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie sein kann (dazu unter 1.). Daran schließt sich die Frage an, nach welchen Kriterien im konkreten Fall zu entscheiden ist, welcher der in Betracht kommenden Steuerpflichtigen die Mehrwertsteuer aus den Dienstleistungen (Bereitstellung von Internetanschlüssen) schuldet. Dies ist eine Frage der Zuordnung der konkreten Umsätze zu einem der in Betracht kommenden Steuerpflichtigen (dazu unter 2.).
1. Die Fähigkeit, ein Steuerpflichtiger zu sein
42. Nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist „Steuerpflichtiger“, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.(13 )
43. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verleihen die in Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie verwendeten Begriffe, insbesondere der Begriff „wer“, dem Begriff „Steuerpflichtiger“ eine weite Definition.(14 ) Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Selbständigkeit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in dem Sinne, dass alle natürlichen und juristischen Personen, sowohl öffentliche als auch private, sowie Einrichtungen ohne Rechtspersönlichkeit , die objektiv die Kriterien dieser Bestimmung erfüllen, als Mehrwertsteuerpflichtige gelten.(15 )
44. Daher – so der Gerichtshof – ist zur Feststellung der Selbständigkeit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu prüfen, ob der Betroffene seine Tätigkeiten im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt und ob er das mit der Ausübung dieser Tätigkeiten einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt.(16 ) Nicht entscheidend ist hingegen, in welcher Rechtsform diese Tätigkeiten erbracht werden (natürliche Person, juristische Person oder Personengesellschaft) und ob dieser Rechtsform durch das nationale Recht eine eigene Rechtspersönlichkeit zugesprochen wird.(17 ) Folglich ist der Umstand, dass das nationale Zivilrecht gewissen Gesellschaften eine Rechtspersönlichkeit zuerkennt, anderen aber nicht, für das Mehrwertsteuerrecht irrelevant.
45. Entscheidend ist allein, dass die betreffende Person wirtschaftlich tätig ist. Wirtschaftliche Tätigkeit setzt allerdings voraus, dass die jeweilige nationale Rechtsordnung dieser Person die Fähigkeit verleiht, im Rechtsverkehr auch selbst (wirtschaftlich) zu handeln.(18 ) Im Rechtsverkehr handeln können aber nur Akteure, die in der Lage sind, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, mithin rechtsfähig sind. Folglich ist die Rechtsfähigkeit eine zwingende Voraussetzung, um als Steuerpflichtiger im Sinne des Mehrwertsteuerrechts angesehen werden zu können. Sofern diese fehlt – dies ist häufig bei bloß dinglichen Gemeinschaften (in Deutschland betrifft dies z. B. die Bruchteilsgemeinschaft) der Fall –, kann auch keine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausgeübt werden.
46. Das bestätigt zum einen die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Vorliegen einer steuerbaren Leistung. Darin betont der Gerichtshof, dass für das Vorliegen eines steuerbaren Umsatzes eines Steuerpflichtigen ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten notwendig sei, in dessen Rahmen die Leistungen und das Entgelt ausgetauscht werden.(19 ) Ein Rechtsverhältnis kann aber nur eine Person begründen, die auch rechtsfähig ist.
47. Zum andern bestätigt dies die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Funktion eines Steuerpflichtigen im Mehrwertsteuersystem.(20 ) Hier hat der Gerichtshof entschieden, dass dem Steuerpflichtigen die Funktion eines Steuereinnehmers für Rechnung des Staates(21 ) zufällt. Steuern in einer Rechnung auszuweisen, mittels des Preises einzusammeln oder auch zu vollstrecken, ist aber nur einem rechtsfähigen Akteur möglich. Daher hat der Gerichtshof bereits einer nicht rechtsfähigen Kooperationsform (d. h. einer Gemeinschaft ohne Handlungsbefugnis bzw. einer stillen Gesellschaft) die Fähigkeit abgesprochen, ein Steuerpflichtiger zu sein.(22 )
48. Die BGB-Gesellschaft nach tschechischem Recht scheint in der Lage zu sein, Träger von eigenen Rechten und Pflichten zu sein. Wenn dem so ist, dann kommt hier jeder der Gesellschafter (als juristische Person) allein oder die von ihnen gegründete Gesellschaft als Steuerpflichtiger und als Erbringer der Dienstleistungen in Betracht.
2. Die Zuordnung der konkreten Umsätze zu einem der Steuerpflichtigen
49. Damit ist die entscheidende Frage zu beantworten, welchem der in Betracht kommenden Steuerpflichtigen im konkreten Fall die steuerpflichtigen Umsätze zuzuordnen sind. Diese Person schuldet dann die Mehrwertsteuer.
50. Als Ausgangspunkt kann auf die bereits erwähnte Rechtsprechung (dazu oben, Nrn. 43 ff.) zurückgegriffen werden. Nach dieser ist zur Feststellung der Selbständigkeit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu prüfen, ob der Betroffene seine Tätigkeiten im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt und ob er das mit der Ausübung dieser Tätigkeiten einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt.(23 ) Denn bei mehreren in Betracht kommenden Steuerpflichtigen kann letztendlich immer nur ein Steuerpflichtiger diese Kriterien erfüllen. Es ist meines Wissens konzeptionell nicht möglich, zugleich vollständig im eigenen und im fremden Namen zu handeln.
51. Diese vom Gerichtshof entwickelten Kriterien gewährleisten darüber hinaus, dass der Erwerber sein eventuell bestehendes Recht auf Vorsteuerabzug rechtssicher ausüben kann. Denn dafür benötigt er nach Art. 226 Nr. 5 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Rechnung mit dem vollständigen Namen und der vollständigen Anschrift des leistenden Steuerpflichtigen. Diese Angabe in der Rechnung kann er aber nur dann verifizieren, wenn er weiß, wer ihm gegenüber (d. h. nach außen) aufgetreten ist.(24 ) Insofern ist im vorliegenden Fall entscheidend, wer die Dienstleistungen gemäß diesen Kriterien an die jeweiligen Verbraucher erbracht hat.
52. Laut dem vorlegenden Gericht hat jeder der Gesellschafter seine Geschäfte in eigenem Namen mit einer anderen Kundengruppe abgewickelt. Dass anstelle der Gesellschafter eine Gesellschaft nach außen aufgetreten ist, ergibt sich nicht aus dem Vorabentscheidungsersuchen. Mithin folgt bereits aus diesen Umständen – wie auch die Kommission zu Recht vorträgt –, dass jeder der Gesellschafter jeweils als Steuerpflichtiger gehandelt hat.
53. Eine denkbare interne Abrede, wonach nicht allein nach außen aufgetreten werden darf, ändert an diesem Ergebnis nichts. Dies stünde bereits dem Gedanken eines einfachen und effizienten Mehrwertsteuersystems(25 ) entgegen. Solche internen Bindungen – die sich hier eventuell aus dem nationalen Zivilrecht ergeben – verhindern nicht, dass der nach außen Handelnde (hier der jeweilige Gesellschafter) selbständig aufgetreten ist. Vielmehr hat er jedenfalls zunächst allein auf eigene Rechnung und eigenes Risiko agiert und ist deshalb der Steuerpflichtige, der die daraus resultierende Mehrwertsteuer schuldet.
54. Wie der Fall zu beurteilen ist, wenn nach § 2727 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die anderen Gesellschafter verlangen, dass ein Handeln auf eigene Rechnung entgegen den internen Abreden doch als eine Handlung für die gemeinsame Rechnung zu behandeln ist, kann hier offenbleiben. Von den Gesellschaftern hat dies niemand verlangt, und der Finanzverwaltung weist das nationale Zivilrecht diese Befugnisse nicht zu.
55. Wie der Gerichtshof darüber hinaus schon entschieden hat, reicht „das Bestehen einer gewissen Zusammenarbeit“ ebenso wenig aus, um die Eigenständigkeit der handelnden Person in Frage zu stellen.(26 ) Auch die bestimmende Rolle einer Person bei der Produktion eignet sich „nicht offenkundig dazu“, die Feststellung in Zweifel zu ziehen, dass die Personen ihre Tätigkeiten dadurch selbständig ausüben, dass jede im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt.(27 ) In diesem Kontext hat der Gerichtshof auch Personen, die als solche gegenüber ihren Lieferanten, gegenüber öffentlichen Stellen und in gewissem Maße auch gegenüber ihren Kunden eigenständig aufgetreten sind, als mehrwertsteuerpflichtige eigenständige Unternehmer angesehen, und dies, obwohl sie größtenteils unter einer gemeinsamen Marke über eine von ihnen gehaltene Kapitalgesellschaft handelten.(28 ) Das gilt erst recht für den vorliegenden Fall, in dem jeder der Gesellschafter nach Angaben des vorlegenden Gerichts die Geschäfte in eigenem Namen mit einer anderen Kundengruppe abgewickelt hat.
56. Die Relevanz des Auftretens nach außen wird zudem durch die Regelungen der Einkaufs- und Verkaufskommission in der Mehrwertsteuerrichtlinie (Art. 14 Abs. 2 Buchst. c und Art. 28) verdeutlicht. Insbesondere Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie(29 ) zeigt klar, dass entscheidend das Handeln im eigenen Namen und weniger das Handeln auf eigene Rechnung ist. Denn selbst wenn im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung gehandelt wird, erbringt der Handelnde eine Lieferung oder Dienstleistung und bleibt dabei ein selbständiger Steuerpflichtiger.
3. Zwischene rgebnis
57. Somit kommt im vorliegenden Fall nicht die Gesellschaft, sondern der jeweilige Gesellschafter als der konkret die Mehrwertsteuer schuldende Steuerpflichtige in Betracht. Nur dieser allein hat laut dem Vorabentscheidungsersuchen im eigenen Namen gegenüber seinen Kunden (d. h. nach außen) gehandelt.
C. Zum administrativen Umgang mit Umsätzen einer BGB-Gesellschaft
58. Nur sofern das vorlegende Gericht zum Schluss kommt, dass hier im Außenverhältnis doch die BGB-Gesellschaft aufgetreten ist, ist diese der Steuerpflichtige. Dann wäre noch zu klären, ob das Unionsrecht einer Zurechnung der Steuerschuld der Gesellschaft zur Klägerin (als einer von vier Gesellschaftern) entgegensteht. Dies betrifft die bis Mitte 2017 im tschechischen Recht existierende Rechtsfigur des „benannten Gesellschafters“.
59. Grundsätzlich schuldet der Steuerpflichtige selbst die Mehrwertsteuer (Art. 193 der Mehrwertsteuerrichtlinie). Wie dieser im Steuerverfahren zu behandeln ist, wird allerdings durch die Mehrwertsteuerrichtlinie nicht explizit geregelt. Jedoch geht die Mehrwertsteuerrichtlinie davon aus, dass jeder Steuerpflichtige z. B. eine zusammenfassende Meldung abgeben können muss (Art. 262 der Mehrwertsteuerrichtlinie). Die Anzeige von Aufnahme, Wechsel und Beendigung der Tätigkeit ist durch den Steuerpflichtigen (Art. 213 der Mehrwertsteuerrichtlinie) ebenso abzugeben wie die Mehrwertsteuererklärung (Art. 250 der Mehrwertsteuerrichtlinie). Art. 205 der Mehrwertsteuerrichtlinie erlaubt nur in bestimmten Fällen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat. Insofern spricht viel dafür, dass die Rechtsfigur des „benannten Gesellschafters“ – wie auch die Kommission ausführt – mit der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht vereinbar war. Wahrscheinlich war dies auch der Grund für ihre Aufhebung.
60. Auf die Frage, ob aus administrativer Sicht mit dem Einverständnis zweier verbundener Steuerschuldner (Gesellschaft und Gesellschafter) die Gesellschaft einen der Gesellschafter zum Zweck der Steuerverwaltung als „benannten Gesellschafter“ bestimmen kann, der die steuerrechtlichen Pflichten der Gesellschaft erfüllt – sofern sich dadurch keine Änderungen des Steueraufkommens ergeben(30 ) –, muss hier nicht näher eingegangen werden. Im vorliegenden Fall hat nicht der Steuerschuldner (d. h. die Gesellschaft) einen Gesellschafter als „verwaltungstechnisch Verantwortlichen“ benannt, der die Pflichten wahrnimmt, sondern offenbar hat die Finanzverwaltung dies nachträglich getan. Auch scheinen die Steuerschulden von Gesellschaft und „benanntem Gesellschafter“ nicht getrennt behandelt zu werden, was sich auf das Steueraufkommen auswirken könnte, wie der Fall hier zeigt.
VI. Ergebnis
61. Im Ergebnis schlage ich daher dem Gerichtshof vor, die Fragen des Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) wie folgt zu beantworten:
Art. 9 Abs. 1 und Art. 193 der Richtlinie 2006/112/EG sind dahin gehend auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger zwar nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit, jedoch über eine eigene Rechtsfähigkeit verfügen muss. Die wirtschaftliche Tätigkeit wird „selbständig“ ausgeübt, wenn der Steuerpflichtige im eigenen Namen handelt. Dies ergibt sich aus dem Auftreten im Außenverhältnis. Ob er dabei gegen interne Abreden (wie z. B. einen Gesellschaftsvertrag) verstößt, ist für Zwecke des Mehrwertsteuerrechts irrelevant.