C-785/23 – Bulgarian posts

C-785/23 – Bulgarian posts

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:462

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

19. Juni 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten – Art. 132 – Öffentliche Posteinrichtungen – Richtlinie 97/67/EG – Art. 12 – Universalpostdiensteanbieter – Ausdrücke ‚Universalpostdienst‘ und ‚Dienstleistung von öffentlichem Interesse‘ “

In der Rechtssache C‑785/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 18. Dezember 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Dezember 2023, in dem Verfahren

Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalna agentsia za prihodite

gegen

„Bulgarian posts“ EAD,

Beteiligte:

Varhovna administrativna prokuratura,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Gratsias sowie der Richter E. Regan (Berichterstatter) und B. Smulders,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2025,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalna agentsia za prihodite, vertreten durch M. Bakalova und E. Pavlova,

–        der „Bulgarian posts“ EAD, vertreten durch V. D. Gerdzhikov und M. Peneva, Advokati,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Herold, M. Ilkova und J. Szczodrowski als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) und von Art. 12 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl. 1998, L 15, S. 14) in der durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 (ABl. 2008, L 52, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 97/67).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite (Direktor der Direktion „Anfechtung und Steuer- und Sozialversicherungspraxis“ der Stadt Sofia, der Zentralverwaltung der Nationalen Agentur für Einnahmen, Bulgarien, im Folgenden: Steuerverwaltung) und der „Bulgarian posts“ EAD wegen eines Steuerbescheids über einen Zuschlag zur Mehrwertsteuer, den diese Gesellschaft für den Besteuerungszeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2015 entrichten sollte.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2006/112

3        Titel IX („Steuerbefreiungen“) der Richtlinie 2006/112 enthält u. a. ein Kapitel 2 („Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“), in dem sich Art. 132 dieser Richtlinie befindet, der vorsieht:

„(1)      Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

a)      von öffentlichen Posteinrichtungen erbrachte Dienstleistungen und dazugehörende Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme von Personenbeförderungs- und Telekommunikationsdienstleistungen;

…“

 Richtlinie 97/67

4        Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/67 lautet:

„Die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen über das Universaldienstangebot berühren nicht das Recht der Betreiber von Universaldiensten, Verträge mit den Kunden individuell auszuhandeln.“

5        Art. 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1.      ‚Postdienste‘ die Dienste im Zusammenhang mit der Abholung, dem Sortieren, dem Transport und der Zustellung von Postsendungen;

1a.      ‚Postdiensteanbieter‘ Unternehmen, die einen oder mehrere Postdienste erbringen;

13.      ‚Universaldiensteanbieter‘ einen öffentlichen oder privaten Postdiensteanbieter, der in einem Mitgliedstaat die Leistungen des Universalpostdienstes ganz oder teilweise erbringt und dessen Identität der [Europäischen] Kommission gemäß Artikel 4 mitgeteilt wurde;

17.      ‚Nutzer‘ die natürliche oder juristische Person, die einen Postdienst als Absender oder Empfänger in Anspruch nimmt;

19.      ‚Grundanforderungen‘ die im allgemeinen Interesse liegenden Gründe nichtwirtschaftlicher Art, die einen Mitgliedstaat veranlassen können, für die Erbringung von Postdiensten Bedingungen vorzuschreiben. Diese Gründe sind die Vertraulichkeit der Sendungen, die Sicherheit des Netzes bei der Beförderung gefährlicher Stoffe, die Beachtung von Beschäftigungsbedingungen und Systemen der sozialen Sicherheit, die gemäß den gemeinschaftlichen und nationalen Rechtsvorschriften durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder Tarifverträge, die zwischen den nationalen Sozialpartnern ausgehandelt wurden, geschaffen wurden, sowie in begründeten Fällen der Datenschutz, der Umweltschutz und die Raumplanung. Der Datenschutz kann den Schutz personenbezogener Daten, die Vertraulichkeit übermittelter oder gespeicherter Informationen sowie den Schutz der Privatsphäre umfassen;

20.      ‚zum Einzelsendungstarif erbrachte Dienste‘ Postdienste, für die der Tarif in den allgemeinen Bedingungen des/der Universaldiensteanbieter(s) für einzelne Postsendungen festgelegt wird.“

6        In Art. 3 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Nutzern ein Universaldienst zur Verfügung steht, der ständig flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bietet.

(3)      Die Mitgliedstaaten unternehmen Schritte, um zu gewährleisten, dass der Universaldienst an mindestens fünf Arbeitstagen pro Woche gewährleistet ist, sofern keine besonderen Umstände oder außergewöhnlichen geografischen Gegebenheiten vorliegen, und dass dieser Dienst mindestens Folgendes umfasst:

–        eine Abholung;

–        eine Hauszustellung an jede natürliche oder juristische Person oder, ausnahmsweise, unter von der nationalen Regulierungsbehörde zu beurteilenden Bedingungen, eine Zustellung an geeignete Einrichtungen.

Jede Ausnahme oder Abweichung, die von einer nationalen Regulierungsbehörde gemäß diesem Absatz gewährt wird, ist der Kommission und allen nationalen Regulierungsbehörden mitzuteilen.

(4)      Jeder Mitgliedstaat erlässt die erforderlichen Maßnahmen, damit der Universaldienst mindestens folgendes Angebot umfasst:

–        Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg;

–        Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postpaketen bis 10 kg;

–        die Dienste für Einschreib- und Wertsendungen.

(5)      Die nationalen Regulierungsbehörden können die Gewichtsobergrenze für Postpakete, die unter den Universaldienst fallen, auf einen Wert anheben, der 20 kg nicht übersteigt, und Sonderregelungen für die Hauszustellung von solchen Postpaketen vorsehen.

Ungeachtet der in einem Mitgliedstaat geltenden Gewichtsobergrenzen für Postpakete, die unter den Universaldienst fallen, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Postpakete aus anderen Mitgliedstaaten, deren Gewicht höchstens 20 kg beträgt, in ihrem Hoheitsgebiet zugestellt werden.

(6)      Für die Mindest- und Höchstabmessungen der betreffenden Postsendungen gelten die in den vom Weltpostverein angenommenen einschlägigen Bestimmungen festgelegten Werte.

(7)      Der in diesem Artikel definierte Universaldienst umfasst sowohl Inlandsleistungen als auch grenzüberschreitende Leistungen.“

7        In Art. 5 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich dieser Richtlinie heißt es:

„Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass bei der Bereitstellung des Universaldienstes folgende Anforderungen erfüllt sind:

–        gleiche Leistungen für die Nutzer, soweit vergleichbare Voraussetzungen gegeben sind“.

8        Art. 12 der Richtlinie 97/67 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten unternehmen Schritte, um zu gewährleisten, dass die Tarife für die einzelnen Universaldienstleistungen folgenden Grundsätzen entsprechen:

–        Die Preise müssen erschwinglich sein und es ungeachtet der geografischen Lage und unter Berücksichtigung der landesspezifischen Bedingungen ermöglichen, dass alle Nutzer Zugang zu den angebotenen Diensten haben. Die Mitgliedstaaten können kostenlose Postdienstleistungen für Blinde und Sehbehinderte aufrechterhalten oder einführen;

–        die Preise müssen kostenorientiert sein und Anreize zur Erbringung einer effizienten Universaldienstleistung geben. In Fällen, in denen es aus Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich ist, können die Mitgliedstaaten beschließen, dass in ihrem Hoheitsgebiet und/oder grenzüberschreitend für Dienste, die zu einem Einzelsendungstarif angeboten werden, sowie für andere Postsendungen ein Einheitstarif angewandt wird;

–        die Anwendung eines Einheitstarifs schließt nicht das Recht des (der) Universaldiensteanbieter(s) aus, mit Nutzern individuelle Preisvereinbarungen zu treffen;

–        die Tarife müssen transparent und nichtdiskriminierend sein;

–        wenden Anbieter von Universaldienstleistungen Sondertarife an, beispielsweise für Dienste für Geschäftskunden, Massenversender oder Konsolidierer verschiedener Nutzer, so gelten die Grundsätze der Transparenz und Nichtdiskriminierung sowohl für die Tarife als auch für die entsprechenden Bedingungen. Die Tarife gelten, ebenso wie die entsprechenden Bedingungen, sowohl zwischen verschiedenen Dritten als auch zwischen Dritten und Universaldiensteanbietern, die gleichwertige Dienste anbieten. Alle derartigen Tarife werden auch allen anderen Nutzern gewährt, insbesondere Privatkunden und kleinen und mittleren Unternehmen, die Sendungen unter vergleichbaren Bedingungen einliefern.“

 Bulgarisches Recht

 ZDDS

9        Art. 49 Nr. 2 des Zakon za danak varhu dobavenata stoynost (Mehrwertsteuergesetz) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZDDS) sieht vor, dass die Erbringung von Universalpostdiensten unter den im Zakon za poshtenskite uslugi (Gesetz über die Postdienste) (im Folgenden: ZPU) vorgesehenen Bedingungen und Modalitäten eine steuerbefreite Dienstleistung ist.

 Durchführungsverordnung zum Mehrwertsteuergesetz

10      Art. 43 Abs. 2 des Pravilnik za prilagane na Zakona za danak varhu dobavenata stoynost (Durchführungsverordnung zum Mehrwertsteuergesetz) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

„Universalpostdienst im Sinne von Art. 49 Nr. 2 des [ZDDS] ist der Universalpostdienst im Sinne von Kapitel 4 Abschnitt I [ZPU].“

 ZPU

11      In der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung von Art. 15 ZPU heißt es:

„(1)      Die [Komisia za regulirane na saobshteniata (Regulierungskommission für das Kommunikationswesen, im Folgenden: Regulierungskommission)] regelt die Erbringung von Postdiensten nach Maßgabe dieses Gesetzes und

7.      legt Normen für die Qualität des Universalpostdienstes und die Effizienz der Dienste im Einklang mit den geltenden bulgarischen und europäischen Normen fest und trägt auf dessen Kosten dafür Sorge, dass ihre Umsetzung jährlich von einer unabhängigen Organisation bewertet wird;

20.      vereinbart Preise für die Bereitstellung des Zugangs zum Netz des Postbetreibers, der Verpflichtungen des Universalpostdienstes unterliegt;

21.      stellt auf begründeten schriftlichen Antrag des Ministers für Verkehr, Informationstechnologien und Kommunikationswesen die Informationen zur Verfügung, die für die Durchführung der staatlichen Politik im Bereich der Postdienste erforderlich sind.

…“

12      Art. 21 Abs. 1 dieses Gesetzes lautet in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung:

„Die Postbetreiber stellen sicher, dass die Nutzer gleichen Zugang zu Zugangspunkten für die Nutzung von Postdiensten haben, und legen verpflichtend die allgemeinen Vertragsbedingungen für den Verbrauchervertrag fest. Die Unterzeichnung individueller Verbraucherverträge ist nicht erforderlich.“

13      Die auf das Ausgangsverfahren anwendbare Fassung von Art. 24 dieses Gesetzes bestimmt:

„Der Universalpostdienst wird von einem Postbetreiber bereitgestellt, der gesetzlich verpflichtet ist, diesen Dienst im gesamten Hoheitsgebiet des Landes über ein von ihm organisiertes und verwaltetes Postnetz zu erbringen.“

14      Die auf das Ausgangsverfahren anwendbare Fassung von Art. 32 dieses Gesetzes sieht vor:

„Universalpostdienst ist ein Dienst, der kontinuierlich während bestimmter Öffnungszeiten erbracht wird und dessen Qualität den in Art. 15 Abs. 1 Nr. 7 genannten Normen zu erschwinglichen Preisen entspricht, wobei jeder Nutzer im Hoheitsgebiet des Landes ihn unabhängig von seinem geografischen Standort nutzen kann.“

15      In Art. 33 Abs. 1 dieses Gesetzes in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung heißt es:

„Der Universalpostdienst wird an jedem Werktag, mindestens fünf Tage in der Woche, gewährleistet …“

16      Die auf das Ausgangsverfahren anwendbare Fassung von Art. 34 Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt:

„Der Universalpostdienst umfasst folgende Arten von Postdiensten:

1.      Entgegennahme, Transport und Zustellung nationaler und internationaler Postsendungen wie folgt:

a)      Briefsendungen bis 2 kg;

b)      Kleinpakete bis 2 kg;

d)      Drucksachen, bis zu 5 kg;

e)      Sendungen für Blinde und Sehbehinderte bis 7 kg;

2.      Entgegennahme, Transport und Zustellung nationaler und internationaler Postpakete bis zu 20 kg;

4.      die zusätzlichen Dienstleistungen ‚Einschreiben‘ und ‚Wertsendung‘.“

17      Die auf das Ausgangsverfahren anwendbare Fassung von Art. 36 Abs. 1 und 2 dieses Gesetzes lautet:

„(1)      Die in Art. 34 genannten Postsendungen und Postpakete werden zugestellt: in den Briefkästen der Empfänger, die an der Zieladresse angebracht sind; in den Poststellen; in anderen Einheiten des Postnetzes; an Orten oder Einrichtungen, die zwischen Postbetreibern und Nutzern vereinbart wurden.

(2)      Die Bedingungen für die Zustellung der in Abs. 1 genannten Postsendungen und Postpakete werden in den von der [Regulierungskommission] festgelegten allgemeinen Vorschriften festgelegt.“

18      In der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung von Art. 38 dieses Gesetzes heißt es:

„Nicht zum Universaldienst gehörende Postdienste umfassen:

1.      Entgegennahme, Transport und Zustellung von Werbedrucksachen;

2.      hybride Postdienste;

3.      Eilkurierdienste;

4.      Postanweisungen“.

19      Die auf das Ausgangsverfahren anwendbare Fassung von Art. 66 ZPU sieht vor:

„(1)      Die Preise je nach Art der unter den Universalpostdienst fallenden Dienste werden nach den in einer Verordnung des Ministerrates festgelegten Regeln gebildet und angewandt. Der Verordnungsentwurf wird von der [Regulierungskommission] ausgearbeitet.

(2)      Bei den in Abs. 1 genannten Vorschriften sind folgende Grundsätze zu beachten:

1.      gleiche Preise für gleiche Leistungen im gesamten Inland;

2.      Gleichbehandlung der Nutzer;

3.      erschwingliche Preise;

4.      Berücksichtigung der Kosten der Erbringung der Dienstleistungen;

5.      Bezug zur Qualität der Dienstleistung;

6.      Gewährleistung eines wirtschaftlich gerechtfertigten Gewinns im Einklang mit der beschlossenen Investitionspolitik;

7.      Schaffung von Bedingungen zur Förderung des Verbrauchs;

8.      Berücksichtigung des Preisniveaus auf internationalen Märkten, soweit die nationalen Gegebenheiten dies zulassen;

9.      Publizität der Preise.

(3)      In der in Abs. 1 genannten Verordnung werden die Bedingungen und das Verfahren festgelegt, unter denen ein Postbetreiber, der zur Erbringung des Universalpostdiensts verpflichtet ist, unter Beachtung der Grundsätze der Publizität und der Gleichbehandlung Preise je nach Art der Dienste des Universalpostdiensts aushandeln kann, mit Ausnahme der nach den Vorschriften gebildeten Preise.“

 Zusatzbestimmungen zum ZPU

20      Die Dopalnitelni razporedbi kam ZPU (Zusatzbestimmungen zum ZPU) in ihrer auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung sehen vor:

„§ 1      Im Sinne des vorliegenden Gesetzes versteht man unter:

1.      ‚Entgegennahme von Postsendungen‘ die Tätigkeit der Postbetreiber, die darin besteht, von den Absendern an Zugangspunkten abgegebene Postsendungen entgegenzunehmen.

4.      ‚Zugangspunkt‘ eine feste oder mobile Poststelle, eine Postagentur oder einen externen Postschalter, bei dem die Absender Postsendungen und Postanweisungen abgeben und bei denen der Betreiber Postsendungen und Postanweisungen entgegennimmt, sowie Briefkästen und sonstige öffentlich genutzte Vorrichtungen, die an für Absender zugänglichen Stellen angebracht sind.

18.      ‚Eilkurierdienst‘ einen Postdienst, der gegenüber dem Universalpostdienst einen Mehrwert aufweist. Der Eilkurierdienst gewährleistet neben einer größeren Schnelligkeit und Zuverlässigkeit der Entgegennahme, des Transports und der eigenhändigen Übergabe der Sendungen an den Empfänger die Bereitstellung aller oder eines Teils der folgenden zusätzlichen Dienste:

a)      Abholung an der Adresse des Absenders;

b)      Zustellung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt;

c)      Möglichkeit der Änderung des Bestimmungsortes und des Empfängers während der Beförderung;

d)      Bestätigung der Aushändigung der Sendung an den Absender;

e)      Kontrolle und Nachverfolgung der Sendungen;

f)      personalisierte Dienstleistungen für Nutzer und Erbringung von (fakultativen) ‚Wunsch‘-Dienstleistungen in der geforderten Weise und zu dem geforderten Zeitpunkt (‚auf Anfrage‘ und ‚vertraglich vereinbart‘).

28.      ‚Feste Poststelle‘ einen wesentlichen Bestandteil der Postnetze in einem abgetrennten Raum, in dem alle Dienste des Universalpostdiensts, die nicht zum Universaldienst gehörenden Postdienste und andere Geschäftstätigkeiten von den Bediensteten des Postbetreibers an technologisch vernetzten Arbeitsplätzen erbracht werden.

29.      ‚Mobile Poststelle‘ einen Teil der Postnetze, der in einem Raum in speziellen Verkehrsmitteln organisiert ist, wo Bedienstete alle Postdienste im Rahmen des Universalpostdiensts an mehreren Orten auf einer bestimmten Strecke nach einem festgelegten Fahrplan erbringen.

30.      ‚Postagentur‘ einen Arbeitsplatz an einem Ort ohne feste Poststelle, der in einem abgetrennten Raum organisiert ist, wo ein Bediensteter eines bestimmten Postbetreibers bestimmte Postdienste erbringt.

31.      ‚Externer Postschalter‘ einen Arbeitsplatz, der eingerichtet wird, um Postdienste in einem Raum zu erbringen, in dem auch andere Arten öffentlicher Dienste angeboten werden. Das Recht zur Erbringung von Postdiensten wird auf der Grundlage eines Vertrags mit einem bestimmten Postbetreiber gewährt.

…“

 Verordnung zur Festlegung der Regeln für die Preisbildung und Anwendung der Preise für den Universalpostdienst

21      Abschnitt II („Regelung für die Preisbildung je nach Art des Universalpostdiensts“) der Naredba za opredelyane na pravila za obrazuvane i prilagane na tsentata na universalnata poshtenska usluga (Verordnung zur Festlegung der Regeln für die Preisbildung und Anwendung der Preise für den Universalpostdienst) enthält in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung einen Art. 4, dessen Abs. 1 bestimmt:

„Die Preise je nach Art des Universalpostdiensts werden auf der Grundlage der Kosten für die Erbringung der Dienstleistungen festgelegt, die sich aus der Anwendung des Kostenzurechnungssystems unter Beachtung der Verträge des Weltpostvereins ergeben.“

22      Die auf das Ausgangsverfahren anwendbare Fassung von Art. 14 ZPU bestimmt:

„(1)      Ein Betreiber, der der Universaldienstverpflichtung unterliegt, kann mit Nutzern andere als die nach Abschnitt II festgelegten Preise aushandeln.

(2)      Die in Abs. 1 genannten Preise sind öffentlich, dürfen nicht unter den Kosten für die Erbringung jeder einzelnen Art von Dienst liegen und werden unter Anwendung von Preisrabatten je nach Art des Universalpostdiensts nach Maßgabe der von den Nutzern erfüllten und von dem Betreiber, der einer Universaldienstverpflichtung unterliegt, im Voraus festgelegten Bedingungen ermittelt.

(3)      Der Betreiber, der einer Universaldienstverpflichtung unterliegt, veröffentlicht die in Abs. 1 genannten Preise und die Bedingungen für ihre Anwendung gemäß Abs. 2 unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Nutzer beim Abschluss von Verträgen über ihre Anwendung.

(4)      Ein Betreiber, der zur Erbringung des Universalpostdiensts verpflichtet ist, übermittelt der [Regulierungskommission] Buchführungsdaten über die Einnahmen, Ausgaben und die Anzahl der Sendungen, die sich aus der Erfüllung der in Abs. 3 genannten Verträge ergeben. Die Daten werden je nach Art des Universalpostdiensts zusammen mit dem Antrag auf Entschädigung für die unverhältnismäßige finanzielle Belastung, die sich aus der Erbringung des Universalpostdiensts nach Art. 29a Abs. 1 [ZPU] ergibt, bereitgestellt.

(5)      Der Betreiber, der einer Universalpostdienstverpflichtung unterliegt, legt der [Regulierungskommission] beglaubigte Kopien der in Abs. 3 genannten Verträge sowie deren Änderungen und Ergänzungen innerhalb von 14 Tagen nach ihrem Abschluss zur Information vor.“

 Normen für die Qualität des Universalpostdiensts und die Effizienz der Dienste

23      Die Normativi za kachestvo na universalnata poshtenska usluga i efikasnostta na obsluzhvane (Normen für die Qualität des Universalpostdiensts und die Effizienz der Dienste) in ihrer auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung wurden mit der Entscheidung Nr. 655 der Regulierungskommission vom 14. Juli 2011, veröffentlicht im DV (bulgarischen Staatsblatt) Nr. 64 vom 19. August 2011, erlassen.

24      Art. 8 („Qualitätsnormen für die Regelmäßigkeit der Abholung von Postsendungen und Postpaketen“) dieser Normen in ihrer auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung lautet:

„Ort

Wochentage

Anzahl der Abholungen pro Tag

Sofia

Montag bis Freitag

2

Sofia

Samstag und Sonntag

1

mit RSTS

Montag bis Samstag

1

ohne RSTS

Montag bis Freitag

1

[Hinweis: RSTS – Umschlag- und Sortierzentrum.]“

25      Art. 9 („Qualitätsnormen für die Regelmäßigkeit der Zustellungen von Postsendungen und Postpaketen“) dieser Normen in ihrer auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung lautet:

„Ort

Wochentage

Anzahl der Zustellungen/Tag

Sofia

Montag bis Samstag

2

mit RSTS

Montag bis Samstag

1

ohne RSTS

Montag bis Freitag

1“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

26      Bulgarian posts ist eine Gesellschaft bulgarischen Rechts, die Inhaberin einer Einzelgenehmigung für die Erbringung des Universalpostdiensts im gesamten bulgarischen Hoheitsgebiet ist.

27      Als Anbieterin des Universalpostdiensts ist diese Gesellschaft mehrwertsteuerpflichtig und bewirkt in Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit Umsätze, die zum Vorsteuerabzug berechtigen.

28      Bei einer Steuerprüfung wurde festgestellt, dass Bulgarian posts für einen vom vorlegenden Gericht nicht näher präzisierten Zeitraum die Erbringung bestimmter Dienstleistungen im Rahmen des im Sinne des ZDDS von der Mehrwertsteuer befreiten Universalpostdiensts erklärt hatte.

29      Nach Ansicht der Dienststelle, die die Steuerprüfung durchgeführt hat, konnten die betreffenden Dienstleistungen jedoch nicht als zum Universalpostdienst gehörend angesehen werden. Einige davon entsprächen nicht der Definition dieses Dienstes im ZPU in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung. Andere Dienstleistungen seien in Verträgen vorgesehen, die Klauseln enthielten, die darauf abzielten, zum einen den besonderen Bedürfnissen der betroffenen Kunden wie dem Ort der Abholung der Sendungen, dem Ort der Zustellung, der Häufigkeit der Abholung und den Öffnungszeiten Rechnung zu tragen, und zum anderen darauf, ihnen niedrigere als die von der Regulierungskommission genehmigten Preise in Rechnung zu stellen.

30      Infolgedessen erließ die Dienststelle, die die Steuerprüfung durchführte, am 3. August 2021 einen Steuerprüfungsbescheid, mit dem Bulgarian posts ein zusätzlicher Mehrwertsteuerbetrag zuzüglich Zinsen auferlegt wurde.

31      Bulgarian posts erhob gegen diesen Bescheid Klage beim Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia-Stadt, Bulgarien), welches der Klage stattgab und den Bescheid aufhob.

32      Nach Ansicht dieses Gerichts ist der Umstand, dass die Sendungen außerhalb der Zugangspunkte nach besonderen Modalitäten und insbesondere zu einem Preis abgeholt würden, der unter dem von der Regulierungskommission genehmigten Preis liege, kein Gesichtspunkt, anhand dessen sich das Wesen der in Rede stehenden Postdienste bestimmen lasse. Dagegen könne aus dem Umstand, dass ein großer Teil dieser Dienstleistungen für Einrichtungen des öffentlichen Rechts erbracht würde, um ihnen die Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Auftrags zu ermöglichen, der Schluss gezogen werden, dass diese Leistungen nicht dazu bestimmt seien, die besonderen Bedürfnisse dieser Einrichtungen zu erfüllen, und dass sie daher in den Genuss der in Art. 49 Nr. 2 ZDDS vorgesehenen Steuerbefreiungsregelung kommen konnten.

33      Die Steuerverwaltung legte gegen das erstinstanzliche Urteil Kassationsbeschwerde beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, ein. Letzteres ist der Ansicht, dass zwar einige Urteile des Gerichtshofs zur Bereitstellung des Universalpostdiensts relevante Gesichtspunkte für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits enthielten, dass sich die in diesen Urteilen in Rede stehenden Umstände jedoch von denen in diesem Rechtsstreit unterschieden, so dass sie es nicht ermöglichten, alle Fragen zu beantworten, die sich ihm stellten.

34      Insbesondere weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die von Bulgarian posts erbrachte Dienstleistung nicht mit der identisch sei, um die es im Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis (C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860), gegangen sei, das die nach spezifischen Bestimmungen des deutschen Rechts erfolgende amtliche Zustellung von Schriftstücken betreffe, die von Gerichten und Verwaltungsbehörden stammten. Daher stelle sich die Frage, inwieweit die in diesem Urteil gefundene Lösung für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits relevant sei, da die von Bulgarian posts geschlossenen Einzelverträge nicht ausschließlich mit Einrichtungen des öffentlichen Rechts geschlossen würden und nicht die Zustellung gerichtlicher und administrativer Schriftstücke zum Gegenstand hätten.

35      Das vorlegende Gericht weist allerdings darauf hin, dass sich aus dem Urteil vom 23. April 2009, TNT Post UK (C‑357/07, EU:C:2009:248), ergebe, dass die Mehrwertsteuerbefreiung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1), deren Wortlaut wortgleich in Art. 132 der Richtlinie 2006/112 übernommen worden sei, nicht auf alle von Universalpostdiensteanbietern erbrachten Dienstleistungen, die nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen seien, unabhängig von ihrem Wesen anwendbar sei. In diesem Urteil werde klargestellt, dass die von einem solchen Anbieter erbrachten Leistungen, deren Bedingungen individuell ausgehandelt worden seien, nicht von der Steuer befreit werden könnten, wenn diese Leistungen ihrem Wesen nach den besonderen Bedürfnissen der betreffenden Nutzer entsprächen.

36      In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, ob davon ausgegangen werden kann, dass die in der bei ihm anhängigen Rechtssache in Rede stehenden Postdienste den besonderen Bedürfnissen der betreffenden Nutzer entsprechen, und ob sich daraus ableitet, dass sie nicht befreit werden können, weil die für den Bezug dieser Leistungen individuell geschlossenen Verträge eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen vorsehen:

–        die Preise für die Leistungen sind niedriger als die von der Regulierungskommission für die Erbringung des Universalpostdiensts genehmigten, und es wurde nicht nachgewiesen, dass sie die Kosten ihrer Erbringung decken;

–        die Preise der Leistungen werden durch Gewährung eines Rabattes gebildet, der nicht nach den öffentlich zugänglichen Bedingungen für die Gewährung solcher Rabatte festgelegt wird;

–        die Abholung und die Zustellung der Postsendungen erfolgen an der Adresse des Kunden;

–        die Häufigkeit der Abholung der Postsendungen liegt über der vorgesehenen Untergrenze, unter die die Häufigkeit der Abholung und Zustellung gemäß Art. 33 Abs. 2 ZPU in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung nicht fallen darf, und ist höher als in den Normen für die Qualität des Universalpostdiensts und die Effizienz der Dienste vorgesehen;

–        eine zusätzliche Abholung ist auf Wunsch des Kunden auch außerhalb des zuvor vereinbarten Zeitpunkts vorgesehen;

–        in einem Teil der individuell geschlossenen Verträge wurde vereinbart, dass der Empfang der Postsendungen für die betroffenen Städte auch nach den Öffnungszeiten der Poststellen erfolgen sollte.

37      Unter diesen Umständen hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Leistungen, die der Lizenznehmer für die Erbringung des Universalpostdiensts im Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien aufgrund von Individualverträgen mit Nutzern von Postdiensten erbringt, als Dienstleistungen anzusehen, die im Sinne des Art. 132 des Titels IX Kapitel 2 der Richtlinie 2006/112 von einer „öffentlichen Posteinrichtung“ erbracht werden und „dem Gemeinwohl dienen“, wenn diese Individualverträge vorsehen, dass die Leistung eine bzw. alle der nachstehenden Bedingungen erfüllen muss, nämlich: Abholung der Sendungen außerhalb der Zugangspunkte (die Abholung und Zustellung erfolgen an der Anschrift des Auftraggebers); die Abholung und Zustellung erfolgen zu einer mit den Auftraggebern vorab vereinbarten Zeit; die Häufigkeit der Abholung und Zustellung geht über die in den gesetzlich festgelegten Normen für die Qualität des Universalpostdiensts und die Effizienz der Dienste geregelte Häufigkeit hinaus, wobei auch zusätzliche Abholungen auf Anfrage des Auftraggebers über die ausdrücklich im Vertrag vereinbarte Häufigkeit hinaus außerhalb der Öffnungszeiten der Postfilialen vorgesehen sind; Erbringung der Dienstleistung zu einem niedrigeren Preis als dem von der Regulierungskommission genehmigten oder mit höheren Rabatten als den von der Regulierungskommission genehmigten?

2.      Folgt aus Art. 12 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67, dass die von einer Person, die Lizenznehmer des Universalpostdiensts ist, erbrachten Leistungen nicht die Eigenschaft eines Universalpostdiensts im Sinne dieser Richtlinie aufweisen, wenn sie entsprechend einem Individualvertrag zu einem niedrigeren Preis als dem für die entsprechende Art des Universalpostdiensts genehmigten erbracht werden und nicht nachgewiesen wurde, dass der so vereinbarte Preis die Kosten der Erbringung deckt?

3.      Wird der in Art. 12 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 verankerte Grundsatz der Transparenz und Nichtdiskriminierung verletzt, wenn eine Person, die Lizenznehmer für die Erbringung des Universalpostdiensts ist, Individualverträge zur Erbringung des Universalpostdiensts schließt, in denen sie andere, im Vergleich zu den veröffentlichten und allgemein zugänglichen Bedingungen günstigere Bedingungen für die Leistungserbringung vorsieht?

4.      Wenn die dritte Frage bejaht wird, stellt dies einen Grund dar, die Umsätze nicht als steuerbefreit im Sinne von Art. 132 der Richtlinie 2006/112 zu behandeln?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

38      Bulgarian posts macht im Wesentlichen geltend, die Vorlagefragen seien unzulässig, da sie zum einen auf einer falschen Prämisse beruhten, nämlich dass der Inhalt der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge über die Erbringung von Postdiensten und der Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von der Steuerverwaltung und im gerichtlichen Verfahren geprüft worden seien. Zum anderen sei, da wie in der Rechtssache, in der das Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis (C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860), ergangen sei, eine beträchtliche Zahl dieser Verträge mit Justiz- und Verwaltungsbehörden geschlossen worden sei, die vom Gerichtshof in diesem Urteil vorgenommene Auslegung übertragbar, so dass eine neuerliche Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 nicht erforderlich sei.

39      Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in dem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist. Ebenso hat nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 24. November 2022, Varhoven administrativen sad [Aufhebung der angefochtenen Vorschrift], C‑289/21, EU:C:2022:920, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Erstens hat der Gerichtshof, dem lediglich die Aufgabe zukommt, über die Auslegung oder die Gültigkeit eines Rechtstexts der Union zu entscheiden, also weder die Korrektheit des von diesem Gericht dargestellten tatsächlichen Rahmens zu prüfen noch über die Begründetheit des Vorbringens einzelner Beteiligter zu entscheiden, mit dem bestritten wird, dass der durch das vorlegende Gericht in seinem Ersuchen beschriebene Sachverhalt zutrifft (Urteil vom 29. Juli 2024, Banco BPN/BIC Português u. a., C‑298/22, EU:C:2024:638, Rn. 31).

41      Folglich braucht über die Erklärungen von Bulgarian posts zu der Prämisse, auf der die dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen beruhen sollen, nicht entschieden zu werden.

42      Zweitens verleiht Art. 267 AEUV nach ständiger Rechtsprechung den nationalen Gerichten insoweit ein unbeschränktes Recht zur Befassung des Gerichtshofs, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen nach der Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts aufwirft. Folglich kann das Vorliegen einer gefestigten Rechtsprechung zu einer unionsrechtlichen Frage zwar den Gerichtshof zum Erlass eines Beschlusses nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung veranlassen, vermag jedoch die Zulässigkeit einer Vorlage in Fällen, in denen ein nationales Gericht im Rahmen dieses Ermessens beschließt, den Gerichtshof nach Art. 267 AEUV anzurufen, in keiner Weise einzuschränken (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. November 2014, Mascolo u. a., C‑22/13, C‑61/13 bis C‑63/13 und C‑418/13, EU:C:2014:2401, Rn. 48 und 49 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 1. Februar 2017, Tolley, C‑430/15, EU:C:2017:74, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Postdienste abweichend von dem in Rn. 59 des vom vorlegenden Gericht angeführten Urteils vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis (C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860), angeführten Umstand nicht ausschließlich in förmlichen Zustellungen von Schriftstücken bestehen, die auf Rechnung von Gerichten und Verwaltungsbehörden erfolgen.

44      Daher sind die vorliegenden Vorlagefragen zulässig.

 Zur Beantwortung der Vorlagefragen

45      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich das Gericht in der Formulierung der ersten Frage zwar auf „Individual-“Verträge bezieht, aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten aber hervorgeht, dass es damit auf das tatsächliche Vorliegen gesonderter Verträge zwischen Bulgarian posts und jedem der betroffenen Kunden Bezug nimmt, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass sich solche Verträge auf Leistungen beziehen können, die unter eine rechtliche Sonderregelung fallen, oder dass sich daraus ergibt, dass diese Verträge das Ergebnis individueller Verhandlungen sind oder auf Verpflichtungen Bezug nehmen, die für das von ihnen begründete Vertragsverhältnis spezifisch sind.

46      Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen vier Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 im Licht von Art. 12 zweiter und vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass Postdienstleistungen, die ein Inhaber einer Einzelgenehmigung für die Erbringung des Universalpostdiensts gemäß gesonderten Verträgen erbringt, unter die darin vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung fallen, wenn eine oder sämtliche der folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

–        die Abholung und die Zustellung der Postsendungen erfolgen an der Anschrift des Kunden oder zu mit ihm vorab vereinbarten Zeitpunkten;

–        die Leistungen werden erbracht, ohne dass nachgewiesen wurde, dass der so vereinbarte Preis die Kosten der Erbringung deckt;

–        die Leistungen werden unter anderen Bedingungen erbracht als den von der in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Regulierung des Universalpostdiensts benannten nationalen Behörde genehmigten oder unter anderen Bedingungen als den in Normen für den Universalpostdienst vorgesehenen.

47      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 „von öffentlichen Posteinrichtungen erbrachte Dienstleistungen und dazugehörende Lieferungen von Gegenständen“ von der Mehrwertsteuer befreien.

48      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung des Sinnes und der Bedeutung dieser Vorschrift nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen, und zwar nach Maßgabe des Wortlauts der genannten Vorschrift, ihres systematischen Zusammenhangs und der Ziele der Regelung, zu der sie gehört (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Oktober 2022, M2Beauté Cosmetics, C‑616/20, EU:C:2022:781, Rn. 40, und vom 24. Oktober 2024, Kwantum Nederland und Kwantum België, C‑227/23, EU:C:2024:914, Rn. 56).

49      Was den Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 betrifft, so verdeutlicht zum einen die Syntax des Satzes, aus dem diese Bestimmung besteht, dass der Ausdruck „öffentliche Posteinrichtungen“ die Organe bezeichnet, die die von der Steuer zu befreienden Dienstleistungen erbringen. Damit die in Rede stehenden Leistungen vom Wortlaut dieser Bestimmung gedeckt sind, müssen sie also von einem Anbieter erbracht werden, der als „öffentliche Posteinrichtung“ im organisatorischen Sinne dieses Begriffs angesehen werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 23. April 2009, TNT Post UK, C‑357/07, EU:C:2009:248, Rn. 27).

50      Zum anderen bedeutet die Verwendung dieser Worte, dass diese Organe anders als die anderen Wirtschaftsteilnehmer einer rechtlichen Sonderregelung unterliegen, die spezifische Verpflichtungen umfasst. Der Unterschied zwischen „öffentlichen Posteinrichtungen“ und anderen Anbietern beruht nämlich nicht auf der Art der erbrachten Dienstleistungen, sondern darauf, dass für die Anbieter, die den gesamten Universalpostdienst oder einen Teil davon gewährleisten, eine besondere rechtliche Grundlage gilt, die besondere Verpflichtungen umfasst (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. April 2015, Kommission/Schweden, C‑114/14, EU:C:2015:249, Rn. 33, und vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis, C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860, Rn. 55).

51      In Bezug auf den Kontext, in den Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 eingebettet ist, und die mit dieser Bestimmung verfolgten Ziele lässt sich aus dem Umstand, dass diese Bestimmung zu Kapitel 2 („Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“) des Titels IX dieser Richtlinie gehört, ableiten, dass die in Art. 132 vorgesehenen Steuerbefreiungen nur Tätigkeiten im Gemeinwohlinteresse fördern sollen, wie die von den öffentlichen Posteinrichtungen erbrachten Dienstleistungen im Sinne dieser Bestimmung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis, C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860, Rn. 46).

52      Dieser allgemeine Zweck mündet im Postbereich in den spezifischeren Zweck ein, postalische Dienstleistungen, die den Grundbedürfnissen der Bevölkerung entsprechen, zu ermäßigten Kosten anzubieten. Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts stimmt dieser Zweck im Kern mit dem von der Richtlinie 97/67 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Union verfolgten Zweck überein, nämlich einen Universalpostdienst anzubieten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis, C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860, Rn. 49).

53      Daher können in der Praxis nur Anbieter, seien es nun öffentliche oder private, die sich verpflichtet haben, in einem Mitgliedstaat den Universalpostdienst, wie er in Art. 3 der Richtlinie 97/67 definiert ist, zur Gänze oder zum Teil zu gewährleisten, Anspruch auf die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Steuerbefreiung erheben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis, C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860, Rn. 50).

54      Aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass alle von öffentlichen Posteinrichtungen erbrachten Dienstleistungen, die nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen sind, unabhängig von ihrem Wesen von der Steuer befreit sind (vgl. entsprechend Urteil vom 23. April 2009, TNT Post UK, C‑357/07, EU:C:2009:248, Rn. 43).

55      Da der Wortlaut dieser Steuerbefreiung nämlich sowohl eng als auch im Einklang mit dem mit dieser Bestimmung verfolgten Zweck auszulegen ist, kann die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Steuerbefreiung nur für Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, die den Grundbedürfnissen der Bevölkerung entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2009, TNT Post UK, C‑357/07, EU:C:2009:248, Rn. 44).

56      Insbesondere ergibt sich aus der Natur dieses Zwecks, dass diese Befreiung nicht für spezifische, von den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse trennbare Dienstleistungen gelten kann, zu denen Dienstleistungen gehören, die besonderen Bedürfnissen der betreffenden Nutzer entsprechen (Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis, C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860, Rn. 47). Somit ist es, damit die in Rede stehenden Postdienste vom Wortlaut dieser Bestimmung erfasst werden, auch erforderlich, dass sie unter den Begriff „öffentliche Posteinrichtungen“ in der materiellen Bedeutung fallen, die Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 diesem Ausdruck verleiht.

57      Daher können Dienstleistungen öffentlicher Posteinrichtungen, deren Bedingungen einzelvertraglich ausgehandelt worden sind, nicht als nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 von der Mehrwertsteuer befreit gelten. Schon aufgrund ihrer Natur entsprechen solche Leistungen nämlich den besonderen Bedürfnissen der betreffenden Nutzer, was dem mit dem Universalpostdienst verfolgten Ziel zuwiderläuft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis, C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860, Rn. 48).

58      Allerdings ist es für die Inanspruchnahme der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung nicht erforderlich, dass die in Rede stehenden Leistungen in der nationalen Regelung förmlich als Teil des Universalpostdiensts ausgewiesen wurden, sofern dies möglich ist. Die Einstufung eines bestimmten Umsatzes nach nationalem Recht kann nämlich nicht bewirken, dass er mit Mehrwertsteuer belegt wird, obwohl er nach dem Unionsrecht von der Mehrwertsteuer befreit ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis, C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860, Rn. 66).

59      Folglich kann eine Erbringung von Postdiensten durch einen Anbieter, der sich verpflichtet hat, in einem Mitgliedstaat den Universalpostdienst zur Gänze oder zum Teil zu gewährleisten, nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 von der Mehrwertsteuer befreit werden, sofern sie aufgrund der ihr eigenen Merkmale jedenfalls Teil dieses Universalpostdiensts sein kann.

60      Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 97/67 definiert den Universalpostdienst als ein Angebot von ständig flächendeckend postalischen Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer.

61      Da sich Art. 3 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 97/67 jedoch darauf beschränkt, eine Liste von Diensten aufzustellen, die mindestens zum Universalpostdienst gehören müssen, und die Mitgliedstaaten folglich den Umfang dieses Dienstes auf weitere Dienstleistungen ausdehnen können, allerdings mit Ausnahme gemäß Art. 3 Abs. 5 dieser Richtlinie von Postpaketen mit einem Gewicht von über 20 kg, ist nur die Definition des Begriffs des „Universalpostdiensts“ in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie als maßgeblich für die Feststellung anzusehen, ob eine Dienstleistung unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Steuerbefreiung fallen kann.

62      Da insbesondere der zweite und der vierte Gedankenstrich von Art. 12 der Richtlinie 97/67, auf die sich das vorlegende Gericht in seinen Fragen 2 und 3 bezieht, nicht die Merkmale des Begriffs „Universalpostdienst“ festlegen, sondern Tarifgrundsätze festlegen, deren Einhaltung die Mitgliedstaaten den Anbietern vorschreiben müssen, die sich verpflichtet haben, diesen Dienst ganz oder teilweise sicherzustellen, kann der Umstand, dass ein Anbieter diese Grundsätze nicht beachtet, nicht bewirken, dass für die betreffenden Leistungen die Inanspruchnahme der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Befreiung versagt wird.

63      Zu den vom vorlegenden Gericht in seinen Fragen angesprochenen Fallgestaltungen ist zunächst festzustellen, dass es von der Prämisse ausgeht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Postdienste von einem Anbieter erbracht werden, der Inhaber einer Einzelgenehmigung für die Erbringung des Universalpostdiensts ist.

64      Sodann ist festzustellen, dass der Umstand, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Postdienste im Einklang mit gesonderten Verträgen erbracht werden, für sich genommen nicht ausschließt, dass solche Leistungen unter den Begriff „Universal[-post‑]dienst“ fallen, wie er in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 97/67 definiert ist. Wie bereits in Rn. 45 des vorliegenden Urteils ausgeführt, lässt nämlich das Bestehen gesonderter Verträge, die der Anbieter mit jedem seiner Kunden geschlossen hat, weder die Annahme zu, dass diese Leistungen keiner rechtlichen Sonderregelung unterliegen können, noch impliziert es, dass die in diesen Verträgen vereinbarten gegenseitigen Verpflichtungen das Ergebnis einer individuellen Aushandlung sind, da die Formalisierung solcher Verträge zum Zweck haben kann, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der betreffende Kunde das betreffende Angebot von fraglichen Postdiensten angenommen hat, und diesen Kunden an die wichtigen Aspekte dieser Regelung zu erinnern.

65      Da die Mitgliedstaaten, wie in Rn. 61 des vorliegenden Urteils festgestellt, andere als die in Art. 3 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 97/67 genannten, mindestens vorzusehenden Leistungen in den Universalpostdienst einbeziehen können, können sie somit vorsehen, dass die Abholung und Zustellung von Postsendungen an der Anschrift des Kunden oder zu im Voraus mit dem Kunden vereinbarten Zeitpunkten erfolgt, sofern es sich bei solchen Bedingungen für die Erbringung der Postdienste um diejenigen handelt, die für den Universalpostdienst vorgesehen sind, was im Ausgangsverfahren vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

66      Was den vom vorlegenden Gericht angeführten Umstand betrifft, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Postdienste erbracht werden, ohne dass nachgewiesen wäre, dass der zwischen den Parteien vereinbarte Preis ihre Kosten deckt, verlangt Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 97/67 zwar als Voraussetzung für die Einbeziehung von Postdiensten in den Universalpostdienst, dass diese Leistungen zu tragbaren Preisen angeboten werden. Ob sie zu tragbaren Preisen angeboten werden, hängt jedoch nicht davon ab, ob der für eine solche Leistung verlangte Preis deren Kosten deckt, sondern davon, ob natürliche oder juristische Personen, die über begrenzte Mittel verfügen, sich diese in Anbetracht des im betreffenden Mitgliedstaat herrschenden Lebensstandards leisten können. Folglich kann dieser Umstand für sich genommen nicht rechtfertigen, dass eine Erbringung von Postdiensten, die aufgrund der ihr eigenen Merkmale als Teil des Universalpostdiensts anzusehen ist, von Letzterem ausgeschlossen wird.

67      Wenn hingegen eine Erbringung von Postdiensten nicht aus der Durchführung einer rechtlichen Sonderregelung ergibt, der die Anbieter unterliegen, die den Universalpostdienst zur Gänze oder zum Teil sicherstellen, wenn sie eine solche Leistung erbringen, sondern zu anderen, günstigeren Bedingungen als denjenigen erfolgt, die von der in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Regulierung derartiger Leistungen benannten nationalen Behörde genehmigt wurden, oder als sie in Normen für diese Leistungen vorgesehen sind, wie z. B. die Möglichkeit einer Abholung von Sendungen an anderen Orten, zu anderen Zeitpunkten, in einer anderen Häufigkeit oder zu einem anderen Preis als von dieser Behörde genehmigt oder in diesen Normen vorgesehen, ist diese Leistung als von der Mehrwertsteuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 ausgeschlossen anzusehen.

68      Aus jedem dieser Umstände lässt sich nämlich ableiten, dass eine solche Leistung entgegen den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 97/67 nicht „für alle Nutzer“ erbracht wird, sondern den besonderen Bedürfnissen der betreffenden Nutzer Rechnung tragen soll.

69      Auch wenn der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/67 es den Betreibern des Universalpostdiensts erlaubt, Verträge mit Kunden individuell auszuhandeln, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 5 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich dieser Richtlinie ausdrücklich vorsieht, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorgen tragen müssen, dass den Nutzern, soweit vergleichbare Voraussetzungen gegeben sind, gleiche Leistungen des Universalpostdiensts angeboten werden, so dass dieser 15. Erwägungsgrund so zu verstehen ist, dass er sich auf das Recht der Betreiber dieses Dienstes bezieht, individuelle Verträge mit ihren Kunden außerhalb dieses Dienstes auszuhandeln, und sich somit auf Leistungen bezieht, die nicht unter diesen Dienst fallen.

70      Sodann bedeutet das in Art. 12 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 vorgesehene Recht des Universalpostdiensteanbieters, individuelle Preisvereinbarungen mit den Nutzern zu treffen, nicht, dass Leistungen, deren Erbringungsbedingungen, einschließlich der Tarifbedingungen, ausgehandelt werden und die folglich nicht mit denen identisch sind, die jedem Nutzer unter vergleichbaren Voraussetzungen angeboten werden, als unter diesen Dienst fallend anzusehen sind. Der Abschluss individueller Preisvereinbarungen kann nämlich u. a. dann erforderlich sein, wenn in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die von der nationalen Behörde, die in dem betreffenden Mitgliedstaat zur Regulierung des Postdiensts benannt worden ist, genehmigt wurden oder in Normen für diesen Dienst vorgesehen sind und somit der Allgemeinheit angeboten werden, Mengenrabatte angeboten werden, damit sich die Nutzer des Dienstes verpflichten, eine bestimmte Menge von Postsendungen gegen einen günstigen Tarif zu vergeben, ohne dass dies zwangsläufig bedeutet, dass diese Menge und/oder dieser Rabatt nur zugunsten bestimmter Nutzer ausgehandelt worden wären.

71      Schließlich ist entgegen dem Vorbringen von Bulgarian posts hervorzuheben, dass die in Rn. 70 des vorliegenden Urteils entwickelte Auslegung auch dann gilt, wenn bestimmte Postdienste im Auftrag öffentlicher Einrichtungen erbracht werden.

72      Zwar hat der Gerichtshof im Urteil vom 16. Oktober 2019, Winterhoff und Eisenbeis (C‑4/18 und C‑5/18, EU:C:2019:860, Rn. 59 bis 61), entschieden, dass eine Postleistung, die in der Zustellung gerichtlicher und administrativer Schriftstücke besteht und in Erfüllung von Aufträgen erfolgt, die von öffentlichen Stellen im Rahmen ihrer Tätigkeit erteilt wurden, die nicht der Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse dient, sondern der Gewährleistung einer geordneten Rechtspflege, es ist jedoch davon auszugehen, dass sie im Auftrag aller von der Möglichkeit der Zustellung solcher Schriftstücke bzw. Rechtsakte betroffenen Personen erfolgt ist, einschließlich ihrer Empfänger, und somit als im Sinne von Art. 2 Nr. 17 der Richtlinie 97/67 gegenüber allen Nutzern eines solchen Diensteangebots erbracht anzusehen ist. Ausgehend von diesen Erwägungen hat der Gerichtshof entschieden, dass die genannten Zustellungsleistungen als „für alle Nutzer“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie erbracht angesehen werden und damit als von „öffentlichen Posteinrichtungen“ erbrachte Dienstleistungen im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 von der Mehrwertsteuer befreit werden können.

73      Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Erbringung von Postdiensten zu anderen, günstigeren Bedingungen als denjenigen, die in den allgemeinen Geschäftsbedingungen angeboten werden, die von der in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Regulierung des Postdiensts benannten nationalen Behörde genehmigt wurden oder in Normen für diesen Dienst vorgesehen sind, allein deshalb in den Genuss einer solchen Befreiung kommen kann, weil sie auf Anfrage einer öffentlichen Stelle erfolgt. Es ist gegebenenfalls Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob davon ausgegangen werden kann, dass eine solche Leistung die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 97/67 vorgesehene Voraussetzung erfüllt, dass der Universalpostdienst „für alle Nutzer“ erbracht wird.

74      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 im Licht von Art. 12 zweiter und vierter Gedankenstrich der Richtlinie 97/67 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass Postdienste, die gemäß gesonderten Verträgen von einem Inhaber einer Einzelgenehmigung für die Erbringung des Universalpostdiensts erbracht werden, in den Genuss der in Art. 132 vorgesehenen Mehrwertsteuerbefreiung kommen, wenn solche Leistungen, die den besonderen Bedürfnissen der betroffenen Personen dienen sollen, ohne dass sie allen Nutzern angeboten werden, zu anderen, günstigeren Bedingungen erbracht werden als denjenigen, die von der in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Regulierung des Universalpostdiensts benannten nationalen Behörde genehmigt wurden oder in Normen für diesen Dienst vorgesehen sind.

 Kosten

75      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 132 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist im Licht von Art. 12 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität in der durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 geänderten Fassung

dahin auszulegen, dass

er dem entgegensteht, dass Postdienste, die gemäß gesonderten Verträgen von einem Inhaber einer Einzelgenehmigung für die Erbringung des Universalpostdiensts erbracht werden, in den Genuss der in diesem Art. 132 vorgesehenen Mehrwertsteuerbefreiung kommen, wenn solche Leistungen, die den besonderen Bedürfnissen der betroffenen Personen dienen sollen, ohne dass sie allen Nutzern angeboten werden, zu anderen, günstigeren Bedingungen erbracht werden als denjenigen, die von der in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Regulierung des Universalpostdiensts benannten nationalen Behörde genehmigt wurden oder in Normen für diesen Dienst vorgesehen sind.

Unterschriften



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