C-782/23 – Tauritus

C-782/23 – Tauritus

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Language of document : ECLI:EU:C:2025:353

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

15. Mai 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Zollkodex der Union – Methode der Zollwertbestimmung – Art. 70 – Transaktionswert – Waren, die auf der Grundlage eines vorläufigen Kaufpreises eingeführt werden – Endpreis, der von verschiedenen Faktoren abhängt, die zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung nicht bekannt waren “

In der Rechtssache C‑782/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) mit Entscheidung vom 13. Dezember 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Dezember 2023, in dem Verfahren

„Tauritus“ UAB

gegen

Muitinės departamentas prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos,

Beteiligter:

Kauno teritorinė muitinė,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richter S. Rodin und N. Piçarra, der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin) und des Richters N. Fenger,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2024,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis, V. Kazlauskaitė-Švenčionienė und E. Kurelaitytė als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch A. Pérez-Zurita Gutiérrez und A. Torró Molés als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch M. de Lisi und B. Travard als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und F. Moro als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Januar 2025

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 70 und Art. 173 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, berichtigt in ABl. 2013, L 287, S. 90, und in ABl. 2020, L 317, S. 39, im Folgenden: Zollkodex der Union).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Tauritus“ UAB und dem Muitinės departamentas prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos (Zollabteilung beim Finanzministerium der Republik Litauen, im Folgenden: Zollabteilung) über Verzugszinsen, die die Zollabteilung von Tauritus auf einen zusätzlichen Einfuhrmehrwertsteuerbetrag verlangt.

 Rechtlicher Rahmen

3        Das Zollrecht der Europäischen Union umfasst u. a. den Zollkodex der Union, die Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (ABl. 2015, L 343, S. 1) sowie die Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24. November 2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2015, L 343, S. 558).

 Zollkodex der Union

4        Nach Art. 15 Abs. 2 Buchst. a des Zollkodex der Union ist der Beteiligte mit Abgabe einer Zollanmeldung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen in der Anmeldung verantwortlich.

5        Art. 48 („Nachträgliche Kontrolle“) des Zollkodex der Union sieht vor, dass die Zollbehörden die Richtigkeit und Vollständigkeit der u. a. in einer Zollanmeldung gemachten Angaben überprüfen und die Buchhaltung des Anmelders und andere Aufzeichnungen über die die fraglichen Waren betreffenden Arbeitsvorgänge nach Überlassung der Waren prüfen können.

6        Art. 70 („Zollwertbestimmung auf der Grundlage des Transaktionswerts“) des Zollkodex der Union bestimmt:

„(1)      Die vorrangige Grundlage für den Zollwert von Waren ist der Transaktionswert, das heißt der für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Union tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis, der erforderlichenfalls anzupassen ist.

(2)      Der tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis ist die vollständige Zahlung, die der Käufer an den Verkäufer oder der Käufer an einen Dritten zugunsten des Verkäufers für die eingeführten Waren leistet oder zu leisten hat, und schließt alle Zahlungen ein, die als Voraussetzung für den Verkauf der eingeführten Waren tatsächlich geleistet werden oder zu leisten sind.

(3)      Der Transaktionswert ist anwendbar, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

b)      der Verkauf oder der Preis unterliegt keinen Bedingungen oder Leistungen, deren Wert im Hinblick auf die zu bewertenden Waren nicht bestimmt werden kann,

…“

7        Die Art. 71 und 72 des Zollkodex der Union regeln die in dessen Art. 70 Abs. 1 genannten Anpassungen, die gegebenenfalls bei der Ermittlung des auf der Grundlage des Transaktionswerts ermittelten Zollwerts vorzunehmen sind, indem sie die Faktoren vorsehen, die gegebenenfalls entweder dem tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis hinzuzurechnen sind oder im Gegenteil nicht in den Zollwert einzurechnen sind.

8        Art. 73 („Vereinfachung“) des Zollkodex der Union sieht vor:

„Die Zollbehörden können auf Antrag bewilligen, dass die folgenden Beträge auf der Grundlage besonderer Kriterien festgelegt [werden], wenn [sie] sich zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zollanmeldung angenommen wird, nicht bestimmen [lassen]:

a)      Beträge, die gemäß Artikel 70 Absatz 2 in den Zollwert einzurechnen sind, und

b)      Beträge im Sinne der Artikel 71 und 72.“

9        Art. 74 („Nachrangige Methoden der Zollwertbestimmung“) des Zollkodex der Union sieht vor:

„(1)      Kann der Zollwert von Waren nicht nach Artikel 70 bestimmt werden, so werden die Voraussetzungen des Absatzes 2 Buchstaben a bis d nacheinander geprüft, bis der erste Buchstabe erreicht ist, nach dem der Zollwert der Waren bestimmt werden kann.

(2)      Der Zollwert nach Absatz 1 ist

a)      der Transaktionswert gleicher Waren, …

b)      der Transaktionswert ähnlicher Waren, …

c)      … der Wert auf der Grundlage des Preises je Einheit, …

d)      der errechnete Wert, …

(3)      Kann der Zollwert nicht nach Absatz 1 bestimmt werden, so erfolgt die Bestimmung auf der Grundlage von im Zollgebiet der Union verfügbaren Daten und unter Einsatz sinnvoller Hilfsmittel entsprechend den Grundsätzen und allgemeinen Bestimmungen aller folgenden Rechtsinstrumente:

a)      des Übereinkommens zur Durchführung von Artikel VII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens,

b)      des Artikels VII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens,

c)      dieses Kapitels.“

10      Art. 101 („Festsetzung des Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrags“) Abs. 1 und 2 des Zollkodex der Union sieht vor:

„(1)      Der zu entrichtende Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag wird von den Zollbehörden … festgesetzt, sobald die erforderlichen Angaben vorliegen.

(2)      Unbeschadet des Artikels 48 können die Zollbehörden den vom Anmelder bestimmten Betrag der zu entrichtenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben anerkennen.“

11      Titel V Kapitel 2 des Zollkodex der Union enthält einen Abschnitt 3 („Vereinfachte Zollanmeldungen“), der u. a. die Art. 166 und 167 umfasst. Art. 166 („Vereinfachte Zollanmeldung“) Abs. 1 sieht vor:

„Die Zollbehörden können zulassen, dass eine Person Waren aufgrund einer vereinfachten Zollanmeldung, in der auf bestimmte der … Angaben[, die zur Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, erforderlich sind,] oder der [nach diesen Vorschriften erforderlichen] Unterlagen oder der [nach den Vorschriften über dieses Zollverfahren erforderlichen] Unterlagen verzichtet werden kann, in ein Zollverfahren überführt.“

12      Art. 167 („Ergänzende Zollanmeldung“) des Zollkodex der Union bestimmt:

„(1)      Im Falle einer vereinfachten Zollanmeldung nach Artikel 166 … gibt der Anmelder bei der zuständigen Zollstelle innerhalb einer bestimmten Frist eine ergänzende Anmeldung mit den Angaben ab, die für das betreffende Zollverfahren erforderlich sind.

Im Falle einer vereinfachten Zollanmeldung nach Artikel 166 müssen die erforderlichen Unterlagen innerhalb einer bestimmten Frist im Besitz des Anmelders sein und für die Zollbehörden bereitgehalten werden.

(4)      Die in Artikel 166 genannte vereinfachte Zollanmeldung … und die ergänzende Zollanmeldung gelten zusammen als eine untrennbare Willenserklärung, die zum Zeitpunkt der Annahme der vereinfachten Zollanmeldung nach Artikel 172 … wirksam wird.“

13      Art. 172 Abs. 2 des Zollkodex der Union sieht vor:

„Sofern nichts anderes bestimmt ist, ist der Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung durch die Zollbehörden maßgebend für die Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, sowie für alle anderen Ein- oder Ausfuhrformalitäten.“

14      Art. 173 („Änderung der Zollanmeldung“) des Zollkodex der Union bestimmt:

„(1)      Dem Anmelder wird auf Antrag nach Annahme der Zollanmeldung durch die Zollbehörden gestattet, eine oder mehrere in der Zollanmeldung enthaltene Angaben zu ändern. …

(3)      Die Änderung der Zollanmeldung kann auf Antrag des Anmelders innerhalb von drei Jahren nach der Annahme der Zollanmeldung auch nach Überlassung der Waren gestattet werden, damit der Anmelder seine Pflichten aus der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren erfüllen kann.“

15      Gemäß Art. 286 Abs. 1 und 3 des Zollkodex der Union wurde mit diesem die Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex) (ABl. 2008, L 145, S. 1) aufgehoben und ersetzt.

16      Nach Art. 288 Abs. 2 des Zollkodex der Union sind sämtliche in den Rn. 4 bis 14 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen ab dem 1. Mai 2016 anwendbar.

 Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446

17      Art. 71 („Vereinfachung“) der Delegierten Verordnung 2015/2446, der Art. 73 des Zollkodex der Union betrifft, bestimmt in Abs. 1:

„Die Bewilligung nach Artikel 73 des Zollkodex [der Union] kann erteilt werden, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)      Die Anwendung des Verfahrens nach Artikel 166 des Zollkodex [der Union] würde einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand mit sich bringen.

b)      Der festgelegte Zollwert würde sich nicht erheblich vom Zollwert unterscheiden, der festzulegen wäre, wenn keine Bewilligung vorläge.“

 Durchführungsverordnung 2015/2447

18      Art. 128 („Transaktionswert“) der Durchführungsverordnung 2015/2447, der Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex der Union betrifft, bestimmt in Abs. 1:

„Der Transaktionswert der zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Union verkauften Waren wird zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung aufgrund des unmittelbar vor dem Verbringen der Waren in das Zollgebiet erfolgten Verkaufs bestimmt“.

19      Art. 130 („Preisnachlässe“) der Durchführungsverordnung 2015/2447, der Art. 70 Abs. 1 und 2 des Zollkodex der Union betrifft, bestimmt:

„(1)      Preisnachlässe werden bei der Bestimmung des Zollwerts gemäß Artikel 70 Absatz 1 des Zollkodex [der Union] berücksichtigt, wenn der Kaufvertrag zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung deren Anwendung und Höhe ausweist.

(3)      Preisnachlässe aufgrund von Vertragsänderungen nach dem Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung werden nicht berücksichtigt.“

20      Art. 133 („Bewertung von Bedingungen und Leistungen“) der Durchführungsverordnung 2015/2447, der Art. 70 Abs. 3 Buchst. b des Zollkodex der Union betrifft, bestimmt:

„Unterliegt der Verkauf oder der Preis eingeführter Waren einer Bedingung oder der Erbringung einer Leistung, deren Wert im Hinblick auf die zu bewertenden Waren bestimmt werden kann, so gilt dieser Wert als Teil des tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preises …

…“

21      Art. 144 („Schlussmethode“) der Durchführungsverordnung, der Art. 74 Abs. 3 des Zollkodex der Union betrifft, bestimmt in Abs. 1:

„Zur Ermittlung des Zollwerts gemäß Artikel 74 Absatz 3 des Zollkodex [der Union] ist eine angemessene Flexibilität bei der Anwendung des Artikels 70 und des Artikels 74 Absatz 2 des Zollkodex [der Union] geboten. Der so ermittelte Zollwert soll möglichst auf schon früher ermittelten Zollwerten beruhen.“

 Richtlinie 2006/112/EG

22      In Art. 85 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) heißt es:

„Bei der Einfuhr von Gegenständen ist die Steuerbemessungsgrundlage der Betrag, der durch die geltenden [Unionsvorschriften] als Zollwert bestimmt ist“.

23      Art. 273 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können … weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden …“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

24      Tauritus importierte im Zeitraum vom 1. Oktober 2015 bis zum 30. April 2017 Diesel- und Flugturbinenkraftstoff nach Litauen.

25      In den mit den Lieferanten geschlossenen Verträgen und den von diesen ausgestellten Pro-forma-Rechnungen war ein vorläufiger Kaufpreis für diese Waren angegeben.

26      Diese Verträge sahen vor, dass der vorläufige Kaufpreis später nach Maßgabe des Durchschnittspreises des betreffenden Kraftstoffs auf dem Markt in einem bestimmten Zeitraum und des durchschnittlichen Wechselkurses in diesem Zeitraum angepasst würde. Der Endpreis konnte über oder unter dem vorläufigen Preis liegen. Er wurde in Zusatzvereinbarungen zu den Kaufverträgen festgelegt und ermöglichte die Ausstellung endgültiger Rechnungen.

27      In den Zollanmeldungen der eingeführten Waren gab Tauritus deren vorläufigen Preis als Zollwert an und gab den Code 6 in Bezug auf die Methode zur Ermittlung dieses Wertes an, was einem Zollwert entsprach, der auf der Grundlage der im Zollgebiet der Union verfügbaren Daten nach der in Art. 74 Abs. 3 des Zollkodex der Union vorgesehenen Auffangmethode (sogenannte Schlussmethode) ermittelt worden war.

28      Nachdem Tauritus im Besitz der endgültigen Rechnungen war, stellte sie in der Regel Anträge auf Änderung des in ihren Zollanmeldungen angegebenen Warenwerts.

29      Anlässlich einer am 26. Mai 2017 vom Kauno teritorinė muitinė (Regionales Zollamt Kaunas, Litauen) (im Folgenden: regionales Zollamt) durchgeführten nachträglichen Kontrolle stellte sich jedoch heraus, dass Tauritus zwischen dem 29. September 2016 und dem 1. Februar 2017 13 Zollanmeldungen eingereicht hatte, für die sie später keine Anpassung des Zollwerts der Waren beantragt hatte, obwohl sie zwischen dem 6. Februar und dem 15. März 2017 endgültige Rechnungen für die betreffenden Waren erhalten hatte, in denen ein über dem vorläufigen Preis und damit über dem in diesen Anmeldungen angegebenen Zollwert liegender Endpreis ausgewiesen war. Daher hatte Tauritus keine zusätzliche Einfuhrumsatzsteuer für diese Waren gezahlt. Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass die Akten des Ausgangsverfahrens keinen Anhaltspunkt dafür enthielten, dass dieser Sachverhalt auf einer betrügerischen Absicht beruhe.

30      Im Anschluss an die nachträgliche Kontrolle erließ das regionale Zollamt eine Entscheidung, in deren Rahmen es die in Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex der Union vorgesehene Methode zur Ermittlung des Zollwerts auf der Grundlage des Transaktionswerts (im Folgenden: Transaktionswertmethode) anwendete und folglich den in den endgültigen Rechnungen angegebenen Endpreis als Zollwert der betreffenden Waren heranzog. Auf dieser Grundlage verlangte es von Tauritus u. a. die Zahlung der zusätzlichen Einfuhrumsatzsteuerbeträge zuzüglich Verzugszinsen für den Zeitraum zwischen dem Tag der Annahme der betreffenden Zollanmeldungen und dem 14. September 2017, dem Tag der Erstellung des Kontrollberichts.

31      Tauritus legte gegen diese Entscheidung bei der Zollabteilung und anschließend Widerspruch bei der Mokestinių ginčų komisija prie Lietuvos Respublikos Vyriausybės (Kommission für Steuerstreitigkeiten bei der Regierung der Republik Litauen) Einspruch ein; beides wurde zurückgewiesen, und auch die anschließend beim zuständigen erstinstanzlichen Verwaltungsgericht erhobene Klage wurde abgewiesen.

32      Der mit einem Rechtsmittel gegen das Urteil dieses Gerichts befasste Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) entschied mit Urteil vom 17. Juni 2020, dass das regionale Zollamt den Zollwert der Waren zu Unrecht nach der Transaktionswertmethode berechnet habe, da der Endpreis der Waren nicht als Grundlage für die Zollanmeldung habe dienen können, weil er zum Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung nicht bekannt gewesen sei. Der Rechtsstreit wurde zur erneuten Prüfung an die Zollabteilung zurückverwiesen.

33      Mit Bescheid vom 31. Dezember 2020 bestätigte die Zollabteilung die Entscheidung der regionalen Zollbehörde und stellte fest, dass Tauritus zur Zahlung von Verzugszinsen auf die zusätzliche Einfuhrumsatzsteuer für die betreffenden Waren verpflichtet sei. Sie führte u. a. aus, dass Tauritus eine Änderung des in den Zollanmeldungen angegebenen Zollwerts auf der Grundlage des Endpreises der Waren hätte beantragen müssen und dass das regionale Zollamt, da Tauritus dieser Verpflichtung vor Beginn der nachträglichen Kontrolle nicht nachgekommen sei, berechtigt gewesen sei, die betreffenden Zollanmeldungen anzupassen und Verzugszinsen ab dem Zeitpunkt ihrer Abgabe zu verlangen.

34      Nachdem die von Tauritus gegen diese Entscheidung beim zuständigen Verwaltungsgericht erster Instanz erhobene Klage abgewiesen worden war, legte Tauritus erneut ein Rechtsmittel beim Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens), dem vorlegenden Gericht, ein.

35      Dieses Gericht ist der Ansicht, dass die Praxis der litauischen Zollverwaltung eine Auslegung von Art. 70 und Art. 173 Abs. 3 des Zollkodex der Union erfordere, um es ihm zu ermöglichen, die Höhe der Einfuhrumsatzsteuerschuld und den Zeitpunkt von deren Fälligkeit zu bestimmen; diese Elemente müsse es feststellen, um über die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen entscheiden zu können, was im Ausgangsverfahren allein streitig sei.

36      Als Erstes ergibt sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts aus Art. 70 des Zollkodex der Union und aus Art. 128 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2015/2447, dass die Anwendung der Transaktionswertmethode voraussetze, dass der tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis zum Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung bekannt sei oder festgestellt werden könne. Insbesondere schließe Art. 70 Abs. 3 Buchst. b des Zollkodex der Union die Anwendung dieser Methode aus, wenn der Verkauf oder der Preis Bedingungen oder Leistungen unterliege, deren Wert im Hinblick auf die zu bewertenden Waren nicht bestimmt werden könne. Im vorliegenden Fall neigt das vorlegende Gericht zu der Annahme, dass die spätere Anpassung des vorläufigen Preises eine Bedingung für den Verkauf sei, deren Auswirkungen auf den Endpreis weder bestimmt noch bestimmbar gewesen seien. Es schließt daraus, dass es unmöglich gewesen sei, die Transaktionswertmethode anzuwenden.

37      Außerdem sei die Anwendung der Transaktionswertmethode unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens mit der in Art. 15 Abs. 2 Buchst. a des Zollkodex der Union aufgestellten Verpflichtung zur Richtigkeit unvereinbar. In einer Zollanmeldung einen Preis anzugeben, der später geändert werde, liefe nämlich darauf hinaus, einen willkürlichen oder fiktiven Zollwert zugrunde zu legen.

38      Als Zweites bezweifelt das vorlegende Gericht, dass nach Art. 173 Abs. 3 des Zollkodex der Union ein Antrag auf Änderung einer Zollanmeldung für Waren, deren Wert nach Art. 74 des Zollkodex der Union auf der Grundlage einer vorläufigen Verkaufsrechnung ermittelt worden sei, gestellt werden müsse, sobald der Endpreis dieser Waren bekannt sei.

39      Nach Art. 173 Abs. 2 des Zollkodex der Union sei der Importeur nach der Überlassung der Waren nicht mehr berechtigt, die Zollanmeldung zu ändern, vorbehaltlich der in Art. 173 Abs. 3 des Zollkodex der Union für Änderungen – damit der Anmelder seine Pflichten aus der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren erfüllen könne – vorgesehenen Ausnahme.

40      Art. 173 Abs. 3 des Zollkodex der Union enthalte aber eine eng auszulegende Ausnahme, deren Anwendbarkeit unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zweifelhaft sei, denn es handele sich nicht um einen zu ändernden Fehler oder eine zu ändernde Unrichtigkeit, wenn eine Methode zur Ermittlung des Zollwerts nicht herangezogen worden sei, die zum Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung nicht habe angewandt werden können. Die Durchführungsverordnung 2015/2447 sehe keine Möglichkeit vor, die Zollanmeldung in einem Fall zu ändern, in dem der für die betreffenden Waren tatsächlich geschuldete Preis auf Änderungen des Kaufvertrags nach Abgabe der Zollanmeldung beruhe. Vielmehr verbiete diese Durchführungsverordnung in ihrem Art. 130 Abs. 3 die Berücksichtigung von Preisnachlässen aufgrund von Vertragsänderungen nach dem Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung.

41      Unter diesen Umständen hat der Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 70 des Zollkodex der Union dahin auszulegen, dass Abs. 1 dieser Bestimmung in dem Fall keine Anwendung findet, dass im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung und aufgrund des Verkaufs, der unmittelbar vor der Überführung der Waren in das Zollgebiet der Union erfolgte, nur der vorläufig zu zahlende Preis bekannt ist, der nachträglich (d. h. nach Abgabe der Anmeldung und Überlassung der Waren zum zollrechtlich freien Verkehr) aufgrund außerhalb des Einflussbereichs der Geschäftsparteien liegender Umstände, die im Zeitpunkt der Anmeldung nicht bekannt waren, nach oben oder nach unten angepasst wird?

2.      Ist Art. 173 Abs. 3 des Zollkodex der Union dahin auszulegen, dass der Anmelder nicht verpflichtet ist, bei den Zollbehörden eine Änderung des angemeldeten Zollwerts zu beantragen, der nach Art. 74 des Zollkodex der Union bestimmt wurde, wenn der für die Waren tatsächlich zu zahlende Preis im Sinne von Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex der Union, der im Zeitpunkt der Abgabe der Anmeldung nicht bekannt war und nicht bekannt sein konnte, nach Überlassung der Waren zum zollrechtlich freien Verkehr bekannt wird?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

42      Einleitend stellt der Gerichtshof fest, dass es im Ausgangsrechtsstreit nicht um den vom regionalen Zollamt geforderten zusätzlichen Mehrwertsteuerbetrag geht, sondern um die auf diesen Betrag angewandten Verzugszinsen; offenbar werden nur diese von Tauritus bestritten. Die Fragen des vorlegenden Gerichts betreffen jedoch ausschließlich die Ermittlung des Zollwerts von Waren, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eingeführt werden, und damit die Rechtmäßigkeit der Erhebung eines zusätzlichen Mehrwertsteuerbetrags unter solchen Umständen.

43      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteile vom 21. April 1988, Pardini, 338/85, EU:C:1988:194, Rn. 8, und vom 22. Oktober 2024, Kolin Inşaat Turizm Sanayi ve Ticaret, C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 36).

44      Dagegen kann der Gerichtshof nicht über eine Vorlagefrage befinden, wenn die Auslegung einer Unionsvorschrift, um die ein nationales Gericht ersucht, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des bei ihm anhängigen Rechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteile vom 13. Juli 2000, Idéal tourisme, C‑36/99, EU:C:2000:405, Rn. 20, und vom 4. Oktober 2024, Biohemp Concept, C‑793/22, EU:C:2024:837, Rn. 27).

45      Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Insbesondere hat das vorlegende Gericht hinreichend klar die Gründe dargelegt, aus denen ihm die Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts, die es für den Erlass seines Urteils für erforderlich hält, fraglich erscheint, und es ist nicht offensichtlich, dass die erbetene Auslegung in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit steht oder dass das aufgeworfene Problem hypothetischer Natur ist.

46      Diese Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Ausgangsrechtsstreit offenbar nur die von der Zollverwaltung geforderten Zinsen betrifft, während der Mehrwertsteuerbetrag selbst nicht bestritten wird.

47      Denn zwar obliegt es nach Art. 273 der Richtlinie 2006/112 und Art. 325 Abs. 1 AEUV den Mitgliedstaaten, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, u. a. die Erhebung der gesamten in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer sicherzustellen, darunter die Erhebung von Verzugszinsen, da sie dazu beiträgt, die nicht fristgerechte Abführung von Mehrwertsteuerbeträgen zu bekämpfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2022, Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“, C‑1/21, EU:C:2022:788, Rn. 92), jedoch ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 273 der Richtlinie 2006/112, dass solche Maßnahmen dazu beitragen müssen, eine genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen.

48      Mit seinen Fragen nach der Methode, nach der die Steuerbemessungsgrundlage unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zu bestimmen ist, möchte das vorlegende Gericht u. a. gerade den Betrag der tatsächlich geschuldeten Mehrwertsteuer und den Zeitpunkt der Fälligkeit dieses Betrags bestimmen. Wie das vorlegende Gericht ausführt, handelt es sich dabei um Elemente, von denen die Rechtmäßigkeit der von Tauritus angefochtenen Erhebung von Verzugszinsen abhängt.

49      Folglich sind die Vorlagefragen zulässig.

 Zur ersten Frage

50      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 70 des Zollkodex der Union dahin auszulegen ist, dass, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem Waren in das Zollgebiet der Union eingeführt werden, nur deren vorläufiger, auf einer Pro-forma-Rechnung angegebener Preis bekannt ist und der Kaufvertrag vorsieht, dass ihr Endpreis später durch eine endgültige Rechnung auf der Grundlage bestimmter im Voraus festgelegter objektiver Faktoren festgesetzt wird, deren Wert vom Willen der Parteien unabhängig und den Parteien zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung nicht bekannt ist – wie z. B. der durchschnittliche Wechselkurs bestimmter Währungen oder der durchschnittliche Kurs bestimmter Erzeugnisse in einem bestimmten Zeitraum –, der Zollwert dieser Waren nach der in diesem Artikel vorgesehenen Transaktionswertmethode zu ermitteln ist.

51      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit der Zollwertregelung der Union ein gerechtes, einheitliches und neutrales System geschaffen werden soll, das die Anwendung willkürlicher oder fiktiver Zollwerte ausschließt. Der Zollwert muss daher den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert einer eingeführten Ware widerspiegeln und folglich alle Elemente dieser Ware, die einen wirtschaftlichen Wert haben, berücksichtigen (Urteil vom 9. Juni 2022, Baltic Master, C‑599/20, EU:C:2022:457, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Außerdem stellt nach dem Wortlaut der Art. 70 und 74 des Zollkodex der Union der Transaktionswert der Waren die „vorrangige Grundlage für den Zollwert“ dar und gehört die Heranziehung anderer Grundlagen für die Ermittlung dieses Wertes zu den „nachrangigen Methoden“, die nur anzuwenden sind, wenn „der Zollwert von Waren nicht nach Artikel 70 bestimmt werden [kann]“.

53      Wie der Generalanwalt in Nr. 36 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, stellen die Art. 70 bis 74 des Zollkodex der Union ausdrücklich eine Hierarchie unter den verschiedenen darin vorgesehenen Methoden zur Bestimmung des Zollwerts auf, so dass es einem Importeur nicht freisteht, die Methode zu wählen, die er anwenden wird.

54      Daher ist der Zollwert eingeführter Waren vorrangig nach der Transaktionswertmethode, die die am besten geeignete Methode sein dürfte, zu ermitteln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2022, Baltic Master, C‑599/20, EU:C:2022:457, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung), während die in Art. 74 des Zollkodex der Union genannten Methoden als subsidiäre Methoden anzusehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Hamamatsu Photonics Deutschland, C‑529/16, EU:C:2017:984, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies gilt insbesondere für die in Art. 74 Abs. 3 des Zollkodex der Union genannte Auffangmethode, die nur anwendbar ist, wenn der Zollwert weder anhand der Transaktionswertmethode noch anhand einer der in Abs. 2 dieses Artikels genannten subsidiären Methoden ermittelt werden kann.

55      Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Auswirkungen es möglicherweise auf die Methode zur Bestimmung des Zollwerts von Waren hat, dass zum Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung nur ein vorläufiger Preis bekannt ist und der Endpreis erst später festzusetzen ist, nämlich dann, wenn die Werte der verschiedenen Faktoren ermittelt werden, von denen die am Verkauf Beteiligten vereinbart haben, den Endpreis abhängig zu machen.

56      Gemäß Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex der Union wird der Zollwert eingeführter Waren vorbehaltlich der gegebenenfalls gemäß den Art. 71 und 72 des Zollkodex der Union vorzunehmenden Anpassungen durch deren Transaktionswert gebildet, d. h. den für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Union tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis. Aus Art. 70 Abs. 2 des Zollkodex der Union ergibt sich, dass dieser Preis alle Zahlungen einschließt, die als Voraussetzung für den Verkauf der eingeführten Waren tatsächlich geleistet werden oder zu leisten sind.

57      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die Neubewertung des in den Pro-forma-Rechnungen angegebenen vorläufigen Preises, wie sie in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträgen vorgesehen war, der Bestimmung des Endpreises der eingeführten Waren diente. Daher ist davon auszugehen, dass deren Transaktionswert in diesem Endpreis besteht. Das vorlegende Gericht äußert jedoch Zweifel an der Möglichkeit, einen solchen Transaktionswert zur Ermittlung des Zollwerts dieser Waren anzuwenden, da ihr Endpreis zum Zeitpunkt der Einfuhr der Waren in das Zollgebiet der Union nicht bekannt war.

58      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 70 Abs. 3 Buchst. b des Zollkodex der Union die Transaktionswertmethode nur angewandt werden darf, wenn der Verkauf oder der Preis keinen Bedingungen oder Leistungen unterliegt, deren Wert im Hinblick auf die zu bewertenden Waren nicht bestimmt werden kann.

59      Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Endverkaufspreis der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren in Anbetracht der vertraglichen Modalitäten zu seiner Bestimmung bereits beim Abschluss der Kaufverträge über diese Waren bestimmt werden konnte, wie der Generalanwalt in den Nrn. 43 und 44 seiner Schlussanträge ausgeführt hat.

60      Die Neubewertung des vorläufigen Preises der eingeführten Waren, wie sie in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträgen vorgesehen war, hing nämlich von objektiven, im Voraus festgelegten Faktoren ab, die außerhalb des Willens der Parteien dieser Verträge lagen. Außerdem geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die Parteien offenbar verpflichtet waren, diese Neubewertung vorzunehmen.

61      Da der Endpreis der Waren im vorliegenden Fall offenbar zum Zeitpunkt der Einfuhr der Waren in das Zollgebiet der Union bestimmbar war, reicht der bloße Umstand, dass dieser Preis zu diesem Zeitpunkt nicht bestimmt war, nicht aus, um auszuschließen, dass der Zollwert dieser Waren auf der Grundlage ihres Transaktionswerts bestimmt wird. Es ergibt sich nämlich bereits aus dem Wortlaut von Art. 70 des Zollkodex der Union, dass dieser Transaktionswert nicht nur dem für die betreffenden Waren „tatsächlich gezahlten Preis“, sondern auch dem für diese Waren „zu zahlenden Preis“ entsprechen kann.

62      Im Übrigen ergibt sich aus dem Urteil vom 19. November 2020, 5th AVENUE Products Trading (C‑775/19, EU:C:2020:948, Rn. 8, 9, 43 und 47), dass ein Betrag, der einem Prozentsatz des Jahresumsatzes des Importeurs von Waren in einem bestimmten Gebiet entspricht und dem Verkäufer zusätzlich zu dem ursprünglich in Rechnung gestellten Preis als Gegenleistung für ein Alleinvertriebsrecht geschuldet wird, in den Zollwert dieser Waren einzubeziehen ist, auch wenn dieser Betrag erst nachträglich bestimmt wird.

63      Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Art. 166 und 167 des Zollkodex der Union ein vereinfachtes Zollanmeldungsverfahren vorsehen, das es ermöglicht, eine vertragliche Neubewertung des Transaktionswerts der Waren zu berücksichtigen, die nach der Annahme der diese Waren betreffenden Zollanmeldung erfolgen muss, wie die in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträgen vorgesehene Neubewertung.

64      Nach Art. 166 Abs. 1 des Zollkodex der Union können die Zollbehörden nämlich die Überführung von Waren in ein Zollverfahren auf der Grundlage einer vereinfachten Anmeldung gestatten, bei der ein Teil der Angaben, die für die Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren erforderlich sind, zu dem die Waren angemeldet werden, oder die dafür erforderlichen Unterlagen weggelassen werden können, wobei Art. 167 des Zollkodex der Union vorsieht, dass der Anmelder innerhalb einer bestimmten Frist eine ergänzende Anmeldung mit den Angaben abzugeben hat, die für das betreffende Zollverfahren erforderlich sind, und den Zollbehörden die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen hat.

65      Im Rahmen dieses Verfahrens kann eine vereinfachte Anmeldung mit einem Zollwert vorgenommen werden, der dem auf der Pro-forma-Rechnung angegebenen vorläufigen Preis entspricht, gefolgt von einer ergänzenden Anmeldung, in der ein Zollwert ausgewiesen ist, der dem in der endgültigen Rechnung angegebenen Endpreis entspricht.

66      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 58 und 65 bis 67 seiner Schlussanträge im Kern ausgeführt hat, ermöglicht die Anwendung des in den Art. 166 und 167 des Zollkodex der Union vorgesehenen vereinfachten Zollanmeldungsverfahrens unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zum einen, einen Zollwert anzumelden, der nach der vorrangigen Transaktionswertmethode den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren widerspiegelt, d. h. den für den Erwerb der Waren tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis, und zum anderen, der in Art. 15 Abs. 2 Buchst. a des Zollkodex der Union aufgestellten Verpflichtung zur Richtigkeit und Vollständigkeit u. a. dadurch nachzukommen, dass den Zollbehörden zunächst mitgeteilt wird, dass eingeführte Waren vorläufig zu einem Wert angemeldet werden, der nicht ihrem Transaktionswert entspricht.

67      Darüber hinaus ist die in Art. 73 des Zollkodex der Union vorgesehene Vereinfachung der Zollwertermittlung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens offenbar nicht anwendbar; dies festzustellen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.

68      Zwar können die Zollbehörden nach diesem Artikel bewilligen, dass die gemäß Art. 70 Abs. 2 des Zollkodex der Union in den Zollwert einzurechnenden Beträge auf der Grundlage besonderer Kriterien bestimmt werden, wenn sie sich zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zollanmeldung angenommen wird, nicht bestimmen lassen.

69      Nach Art. 71 Abs. 1 der Delegierten Verordnung 2015/2446 unterliegt die Erteilung dieser Bewilligung jedoch zwei Bedingungen, nämlich zum einen derjenigen, dass die Anwendung des in den Art. 166 und 167 des Zollkodex der Union vorgesehenen vereinfachten Zollanmeldungsverfahrens einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand mit sich bringen würde, und zum anderen derjenigen, dass sich der auf der Grundlage dieser besonderen Kriterien festgelegte Zollwert nicht wesentlich vom Zollwert unterscheidet, der festzulegen wäre, wenn keine solche Bewilligung vorläge.

70      Unabhängig davon, dass die Anwendung einer solchen Vereinfachung eine vorherige Bewilligung erfordert, die, wie die Umstände des Ausgangsverfahrens vermuten lassen, im vorliegenden Fall nicht beantragt wurde, ist nicht ersichtlich, dass die Anwendung des vereinfachten Zollanmeldungsverfahrens für den Importeur im Ausgangsverfahren einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand mit sich gebracht hätte.

71      Folglich ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass unter solchen Umständen der Wert der eingeführten Waren auf der Grundlage der Transaktionswertmethode unter Anwendung des vereinfachten Zollanmeldungsverfahrens nach den Art. 166 und 167 des Zollkodex der Union zu bestimmen ist.

72      Diese Schlussfolgerung wird durch das Urteil vom 20. Dezember 2017, Hamamatsu Photonics Deutschland (C‑529/16, EU:C:2017:984), nicht in Frage gestellt. Wie der Generalanwalt in Nr. 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, lassen sich die Erwägungen des Gerichtshofs in jenem Urteil nämlich nicht auf die Umstände des Ausgangsverfahrens übertragen.

73      Hierzu ist zum einen festzustellen, dass die Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen ist, die Anpassung der Verrechnungspreise betraf, die zwischen Gesellschaften ein und desselben Konzerns nach Maßgabe einer nachträglichen Aufteilung der verbleibenden Gewinne zwischen den Unternehmen dieses Konzerns auf der Grundlage von Kriterien vereinbart wurden, die von der Muttergesellschaft festgelegt worden waren.

74      Grundsätzlich kann sich aber der tatsächliche wirtschaftliche Wert einer Ware, den der Zollwert widerspiegeln muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2022, Baltic Master, C‑599/20, EU:C:2022:457, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung), nicht aus einer nachträglichen Aufteilung von Gewinnen zwischen den am Verkauf Beteiligten auf der Grundlage einer Entscheidung ergeben, die einer der Beteiligten getroffen hat.

75      Zum anderen betrifft das Urteil vom 20. Dezember 2017, Hamamatsu Photonics Deutschland (C‑529/16, EU:C:2017:984), einen anderen rechtlichen Kontext als das Ausgangsverfahren, da es insbesondere die Anwendung einer Bestimmung – nämlich Art. 78 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) – über ein Verfahren zur Überprüfung der Zollanmeldung betrifft, das im Zollkodex der Union nicht enthalten ist.

76      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der vom vorlegenden Gericht angeführte Umstand, dass der Anmelder ohne betrügerische Absicht gehandelt haben soll, unerheblich ist. Art. 15 des Zollkodex der Union verpflichtet nämlich die an der Erfüllung von Zollformalitäten beteiligten Personen, in der Zollanmeldung richtige und vollständige Informationen zu erteilen, wobei die Nichtbeachtung dieser Verpflichtung eine „Zuwiderhandlung gegen die zollrechtlichen Vorschriften“ im Sinne von Art. 42 Abs. 1 des Zollkodex der Union darstellt, da sich dieser Begriff nicht nur auf betrügerische Handlungen bezieht, sondern jede Nichtbeachtung des Zollrechts der Union umfasst, unabhängig davon, ob es vorsätzlich oder fahrlässig nicht beachtet wurde oder ob der betreffende Wirtschaftsteilnehmer nicht schuldhaft gehandelt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. November 2023, J. P. Mali, C‑653/22, EU:C:2023:912, Rn. 28 und 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 70 des Zollkodex der Union dahin auszulegen ist, dass, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem Waren in das Zollgebiet der Union eingeführt werden, nur deren vorläufiger, auf einer Pro-forma-Rechnung angegebener Preis bekannt ist und der Kaufvertrag vorsieht, dass ihr Endpreis später durch eine endgültige Rechnung auf der Grundlage bestimmter im Voraus festgelegter objektiver Faktoren festgesetzt wird, deren Wert vom Willen der Parteien unabhängig und den Parteien zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung nicht bekannt ist – wie z. B. der durchschnittliche Wechselkurs bestimmter Währungen oder der durchschnittliche Kurs bestimmter Erzeugnisse in einem bestimmten Zeitraum –, der Zollwert dieser Waren nach der in diesem Artikel vorgesehenen Transaktionswertmethode zu ermitteln ist, wobei grundsätzlich das vereinfachte Zollanmeldungsverfahren nach den Art. 166 und 167 des Zollkodex der Union anzuwenden ist.

 Zur zweiten Frage

78      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 173 Abs. 3 des Zollkodex der Union dahin auszulegen ist, dass der Anmelder, wenn der Zollwert von Waren, die Gegenstand eines Verkaufs wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden waren, gemäß Art. 74 Abs. 3 des Zollkodex der Union auf der Grundlage von auf der ursprünglichen Rechnung angegebenen vorläufigen Preisen angemeldet wurde, die Gestattung einer Änderung der Zollanmeldung beantragen muss, sobald der Endpreis dieser Waren bekannt ist.

79      Da sich aus der Antwort auf die erste Frage ergibt, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens der Zollwert der Waren gemäß Art. 70 des Zollkodex der Union anzumelden ist, braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

 Kosten

80      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 70 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union

ist dahin auszulegen, dass,

wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem Waren in das Zollgebiet der Union eingeführt werden, nur deren vorläufiger, auf einer Pro-forma-Rechnung angegebener Preis bekannt ist und der Kaufvertrag vorsieht, dass ihr Endpreis später durch eine endgültige Rechnung auf der Grundlage bestimmter im Voraus festgelegter objektiver Faktoren festgesetzt wird, deren Wert vom Willen der Parteien unabhängig und den Parteien zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung nicht bekannt ist – wie z. B. der durchschnittliche Wechselkurs bestimmter Währungen oder der durchschnittliche Kurs bestimmter Erzeugnisse in einem bestimmten Zeitraum –, der Zollwert dieser Waren nach der in diesem Artikel vorgesehenen Transaktionswertmethode zu ermitteln ist, wobei grundsätzlich das vereinfachte Zollanmeldungsverfahren nach den Art. 166 und 167 des Zollkodex der Union anzuwenden ist.

Unterschriften



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