C-76/24 – Tradeinn Retail Services

C-76/24 – Tradeinn Retail Services

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:220

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

DEAN SPIELMANN

vom 27. März 2025(1)

Rechtssache C76/24

Tradeinn Retail Services S.L.

gegen

PH

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Nationale Marken – Richtlinie (EU) 2015/2436 – Art. 10 Abs. 3 Buchst. b – Wirkungen der Marke – Recht, Dritten zu verbieten, Waren zum Zweck des Anbietens oder Inverkehrbringens zu besitzen – Begriff ‚Besitz von Waren‘ – Besitz von Waren in einem anderen Mitgliedstaat – Territorialitätsprinzip – Elektronischer Geschäftsverkehr – Versand der Waren in den Schutzmitgliedstaat “

 Einleitung

1.        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436(2).

2.        Dieses Ersuchen des Bundesgerichtshofs (Deutschland) ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen PH, einem Inhaber deutscher Marken für Tauchzubehör, und der Tradeinn Retail Services S.L. (im Folgenden: TRS), einem in Spanien ansässigen Unternehmen. Gegenstand des Rechtsstreits ist eine Klage auf Unterlassung der Benutzung dieser Marken. Nach den Entscheidungen eines erstinstanzlichen Gerichts und eines Berufungsgerichts ist der Bundesgerichtshof letztinstanzlich zur Entscheidung berufen.

3.        Der Gerichtshof wird sich mit der Frage zu befassen haben, welche Rechte eine im Gebiet eines Mitgliedstaats geschützte nationale Marke verleiht, wenn mit dieser Marke gekennzeichnete Waren in einem anderen Mitgliedstaat von Dritten besessen werden, um sie in dem Schutzmitgliedstaat anzubieten oder dort in den Verkehr zu bringen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

4.        Art. 10 („Rechte aus der Marke“) der Richtlinie 2015/2436 bestimmt:

„(1)      Mit der Eintragung der Marke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2)      Der Inhaber einer eingetragenen Marke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der eingetragenen Marke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr, in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen, ein Zeichen zu benutzen, wenn

a)      das Zeichen mit der Marke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke eingetragen ist;

b)      das Zeichen mit der Marke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

c)      das Zeichen mit der Marke identisch oder ihr ähnlich ist, unabhängig davon, ob es für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind oder denjenigen ähnlich sind oder nicht ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, wenn diese in dem betreffenden Mitgliedstaat bekannt ist und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt.

(3)      Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,

b)      unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

e)      das Zeichen in den Geschäftspapieren und in der Werbung zu benutzen;

…“

 Deutsches Recht

5.        Mit § 14 („Ausschließliches Recht des Inhabers einer Marke, Unterlassungsanspruch, Schadensersatzanspruch“) Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen – Markengesetz vom 25. Oktober 1994 (BGBl. 1994 I S. 3082) in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (Markenrechtsmodernisierungsgesetz) vom 11. Dezember 2018 (BGBl. 2018 I S. 2357) (im Folgenden: MarkenG) soll Art. 10 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2015/2436 umgesetzt werden.

6.        Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 MarkenG ist es Dritten untersagt, ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen Verkehr in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie Schutz genießt.

7.        Gemäß § 14 Abs. 3 Nrn. 2 und 6 MarkenG ist es, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 erfüllt sind, insbesondere untersagt, unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen sowie das Zeichen in Geschäftspapieren oder in der Werbung zu benutzen.

8.        Nach § 14 Abs. 5 MarkenG kann, wer ein Zeichen entgegen den Abs. 2 bis 4 benutzt, von dem Inhaber der Marke bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht.

 Sachverhalt, Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

9.        PH ist Inhaberin von zwei u. a. für „Taucherapparate, Taucheranzüge, Taucherhandschuhe, Tauchermasken und Atemgeräte zum Tauchen“ eingetragenen deutschen Wort-Bild-Marken, die nachstehend abgebildet sind:

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10.      TRS, die in Spanien geschäftsansässig ist, bewarb über die von ihr betriebene Internetseite www.scubastore.com sowie über die Handelsplattform www.amazon.de Tauchzubehör, das sie unter Verwendung der Marken von PH anbot. Bestimmte Produktfotos zeigten derartiges Zubehör, das mit diesen Marken versehen war. So verhielt es sich auch bei einer von PH am 8. Juni 2019 im Rahmen eines Testkaufs erworbenen Trimmbleitasche, die jedoch geliefert wurde, ohne dass diese Marken auf der Ware und deren Verpackung aufgedruckt waren.

11.      Nach erfolgloser Abmahnung erhob PH beim Landgericht Nürnberg-Fürth (Deutschland) Klage mit dem Antrag, TRS zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die in Rede stehenden Marken in Deutschland für Tauchzubehör zu benutzen. Insbesondere beantragte er, TRS zu verbieten, diese Zeichen auf Tauchzubehör oder dessen Aufmachung oder Verpackung anzubringen, unter diesen Zeichen Tauchzubehör anzubieten, herzustellen, zu vertreiben oder sonst in den Verkehr zu bringen, hierfür zu werben oder dieses zu den vorgenannten Zwecken zu besitzen. Außerdem beantragte er, TRS zu verurteilen, ihm Schadensersatz zu zahlen, bestimmte Auskünfte zu erteilen und die Abmahnkosten nebst Zinsen zu erstatten.

12.      TRS erkannte den Anspruch auf Unterlassung, unter den Marken Tauchzubehör anzubieten oder hierfür zu werben, sowie den Anspruch auf Auskunftserteilung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht an.

13.      Mit Urteil vom 3. Februar 2022 verurteilte das Landgericht Nürnberg-Fürth TRS entsprechend ihrem teilweisen Anerkenntnis und sprach PH außerdem Abmahnkosten nebst Zinsen zu. Die weiter gehende Klage wurde abgewiesen.

14.      Auf die Berufung von PH erweiterte das Oberlandesgericht Nürnberg (Deutschland) die Unterlassungsverurteilung u. a. durch die Hinzufügung der Worte „sowie zu vertreiben oder zu vorgenanntem Zweck zu besitzen“ und wies die weiter gehende Berufung zurück.

15.      Mit ihrer Revision beim Bundesgerichtshof, dem vorlegenden Gericht, wendet sich TRS u. a. gegen ihre Verurteilung durch das Oberlandesgericht Nürnberg wegen des Besitzes von die Marken von PH verletzendem Taucherzubehör und beantragt, das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth wiederherzustellen.

16.      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts müssen für die Verwirklichung der Handlungsmodalität des unberechtigten Besitzes von Waren gemäß § 14 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2 MarkenG als objektives Element der Besitz der markenverletzenden Ware und als subjektives Element der vorsätzliche Besitz der Ware mit dem Ziel, sie durch irgendein Rechtsgeschäft, einschließlich des Angebots, in den Verkehr zu bringen, erfüllt sein. Da diese Regeln der Umsetzung von Art. 10 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 Buchst. b und e der Richtlinie 2015/2436 dienten, seien sie richtlinienkonform auszulegen.

17.      Die Zweifel des vorlegenden Gerichts beziehen sich auf das objektive Element. Als Erstes weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich der Schutz einer deutschen Marke aufgrund des im Immaterialgüterrecht maßgeblichen Territorialitätsprinzips auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränke und nur im Inland vorgenommene Handlungen geahndet werden könnten. In Anbetracht dieses Grundsatzes stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob es der Inhaber einer nationalen Marke gemäß Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 verbieten lassen kann, dass eine Person im Ausland markenverletzende Ware zu dem Zweck besitzt, die Ware im Schutzland anzubieten oder in den Verkehr zu bringen.

18.      Das vorlegende Gericht hält zwei Auslegungen dieser Bestimmung für möglich. So könne nach dem Territorialitätsprinzip davon ausgegangen werden, dass derjenige, der im Ausland Waren besitze, auch wenn dies zu dem Zweck von deren Angebot und deren Inverkehrbringen unter dem Zeichen im Inland geschehe, eine inländische Marke nicht verletze.

19.      Denkbar sei aber auch, es – wie das Berufungsgericht – für die Verletzung einer nationalen Marke ausreichen zu lassen, dass der Besitz der in Rede stehenden Ware im Ausland mit dem Ziel ausgeübt werde, sie unter dem Zeichen im Schutzland anzubieten oder in den Verkehr zu bringen. Zur Stützung dieser Auslegung verweist das vorlegende Gericht auf ein Urteil des Gerichtshofs(3), in dem er im Bereich des Urheberrechts entschieden habe, dass auch im Ausland vorgenommene Handlungen ein nur im Inland geschütztes Recht verletzen könnten.

20.      Als Zweites fragt sich das vorlegende Gericht, ob es für den Begriff „besitzen“ im Sinne von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 auf eine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf markenverletzende Ware ankommt oder ob die Möglichkeit ausreicht, auf denjenigen einwirken zu können, der den tatsächlichen Zugriff auf diese Ware hat.

21.      Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass der Begriff „Besitz“ im deutschen Recht eine weite Bedeutung habe und sowohl den „unmittelbaren Besitz“ als auch den „mittelbaren Besitz“ umfasse. Unter „unmittelbarer Besitz“ sei die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über eine Sache zu verstehen; er ende, wenn der Besitzer die tatsächliche Gewalt aufgebe oder verliere. Besitze jemand hingegen eine Sache aufgrund eines Verhältnisses, aufgrund dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet sei, so werde der andere als „mittelbarer Besitzer“ eingestuft. Das vorlegende Gericht führt das Beispiel eines Kaufs von Waren per Versendungskauf an, bei dem der versendende Verkäufer zum Zeitpunkt der Übergabe der Waren an den Logistikdienstleister, der die Ware vom Verkäufer zum Käufer transportiere, mittelbarer Besitzer werde, während der Spediteur- oder Frachtführer die Eigenschaft eines unmittelbaren Besitzers erlange.

22.      Zwar könnte TRS nach deutschem Recht als „mittelbarer Besitzer“ eingestuft werden; indessen hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 den Besitz Dritter erfasst. Es stützt sich insoweit auf die Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Coty Germany(4), aus denen hervorgehe, dass sich der Begriff „Besitz“ nicht in allen Sprachfassungen von Art. 9 der Verordnung (EU) 2017/1001(5) finde, da einige Fassungen Verben oder Substantive bevorzugten, die auf die „Lagerung“ von Waren abstellten, was eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf die Ware erfordere.

23.      Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass es das Unionsrecht bereits zugelassen habe, einem Händler Handlungen eines Logistikdienstleisters bzw. Frachtführers zuzurechnen, die ein nationales Schutzrecht verletzten(6).

24.      Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann es der Inhaber einer nationalen Marke gemäß Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 verbieten lassen, dass eine Person im Ausland markenverletzende Ware zu dem Zweck besitzt, die Ware im Schutzland anzubieten oder in den Verkehr zu bringen?

2.      Kommt es für den Begriff des Besitzes im Sinne von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 auf eine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf markenverletzende Ware an oder reicht die Möglichkeit aus, auf denjenigen einwirken zu können, der den tatsächlichen Zugriff auf diese Ware hat?

25.      Der Inhaber der deutschen Marken und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

 Würdigung

26.      Nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2436 erwirbt mit der Eintragung einer Marke ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr, das es diesem Inhaber nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. a gestattet, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein mit dieser Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist. Art. 10 Abs. 3 dieser Richtlinie zählt sodann mehrere Benutzungsformen auf, die der Markeninhaber verbieten kann(7), wobei es sich nicht um eine erschöpfende Aufzählung handelt. Insbesondere sieht Art. 10 Abs. 3 Buchst. b dieser Richtlinie vor, dass der Inhaber einer eingetragenen Marke es verbieten kann, mit seiner Marke versehene Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen.

27.      Zunächst weise ich darauf hin, dass der Markenschutz innerhalb der Europäischen Union durch die Koexistenz mehrerer Schutzsysteme gekennzeichnet ist. Zum einen hat der Unionsgesetzgeber mit der Richtlinie 2015/2436 den Versuch unternommen, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über Marken einander anzugleichen. Zum anderen wurde mit der Verordnung 2017/1001 ein einheitliches Markenrecht eingeführt, das auf das gesamte Hoheitsgebiet der Union Anwendung findet. Das Markenrecht der Union tritt nicht an die Stelle der Markenrechte der Mitgliedstaaten, sondern ergänzt die einzelstaatlichen Schutzsysteme. Die nationalen Marken bestehen fort, weil sie als notwendig für diejenigen Unternehmen eingestuft werden, die sich nicht für einen Schutz ihrer Marke auf Unionsebene entscheiden(8).

28.      Ich weise außerdem darauf hin, dass nach dem Territorialitätsprinzip (lex loci protectionis) die Rechtswirkungen einer Marke auf das Hoheitsgebiet des Staates beschränkt sind, für das sie Schutz genießt(9). Dieses Prinzip bedeutet, dass sich die Bedingungen des Schutzes einer Marke nach dem Recht des Staates richten, in dem dieser Schutz begehrt wird. Das nationale Recht kann im Übrigen nur die Handlungen ahnden, die im Hoheitsgebiet des betreffenden Staates vorgenommen worden sind. Daraus folgt, dass der Inhaber einer Marke diesen Schutz in der Regel nicht außerhalb dieses Gebiets geltend machen kann(10). Dieser Grundsatz gilt auch für Unionsmarken, da der auf Unionsebene erlangte Schutz es grundsätzlich nicht erlaubt, Schutz in Gebieten außerhalb der Union in Anspruch zu nehmen(11).

29.      Im vorliegenden Fall ist das Territorialitätsprinzip als solches nicht Gegenstand der Erörterungen. Dagegen stellt sich die Frage, ob besondere Situationen eintreten können, in denen im Ausland vorgenommene Handlungen als Verletzung eines nationalen Markenrechts angesehen werden, so dass sich der Inhaber dieses Rechts auf Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 berufen kann, um es verbieten zu lassen, dass mit seiner nationalen Marke versehene Waren angeboten, in den Verkehr gebracht oder zu den genannten Zwecken besessen werden. Die beiden Vorlagefragen zielen noch spezifischer darauf ab, den Umfang einer dieser Handlungen zu bestimmen, die vom Inhaber einer geschützten Marke verboten werden können, nämlich „Waren … zu den genannten Zwecken zu besitzen“.

30.      Insoweit möchte ich hinzufügen, dass der Gerichtshof bereits Gelegenheit hatte, klarzustellen, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 ergibt, dass der Begriff des „Besitzes zu den genannten Zwecken“ den Besitz zum Zweck des Anbietens oder Inverkehrbringens der Waren betrifft. Daraus folgt, dass der Besitz von Waren, die mit Zeichen versehen sind, die mit einer geschützten Marke identisch sind, nur dann als „Benutzen“ dieses Zeichens im Sinne von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie angesehen werden und es dem Inhaber dieser Marke ermöglichen kann, seine Rechte geltend zu machen und sich auf Art. 10 Abs. 3 Buchst. b dieser Richtlinie zu berufen, wenn der Wirtschaftsteilnehmer selbst den in dieser Bestimmung genannten Zweck verfolgt, der darin besteht, die Waren anzubieten oder in den Verkehr zu bringen. Der Besitz von Waren zum Zweck ihres Inverkehrbringens ist somit eine der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr vorangehende Handlung, die der Unionsgesetzgeber ausdrücklich als solche kenntlich gemacht hat und der sich der Inhaber einer Marke widersetzen kann(12).

 Zur ersten Frage: Verletzung eines nationalen Markenrechts durch Besitz außerhalb des Schutzgebiets

31.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass der Inhaber einer nationalen Marke es einem Dritten verbieten lassen kann, im Ausland markenverletzende Waren zu dem Zweck zu besitzen, die Waren im Schutzland der Marke anzubieten oder sie dort in den Verkehr zu bringen.

32.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs erlaubt es meines Erachtens, diese Frage zu bejahen.

33.      Der Gerichtshof hat nämlich in Bezug auf Verkaufsangebote oder an Verbraucher in der Union gerichtete Werbung im Internet für Waren, die mit einem Zeichen versehen sind, das mit einer in der Union eingetragenen Marke identisch oder ihr ähnlich ist, entschieden, dass es die Effektivität der Regeln zum Schutz der Markenrechte beeinträchtigen würde, wenn die Benutzung eines Zeichens, das mit einer in der Union eingetragenen Marke identisch oder ihr ähnlich ist, der Anwendung dieser Regeln nur deshalb entginge, weil der hinter diesem Angebot oder dieser Werbung stehende Dritte in einem Drittstaat ansässig ist, weil der Server der von ihm benutzten Website in einem solchen Staat angesiedelt ist oder weil sich die Ware, die Gegenstand dieses Angebots oder dieser Werbung ist, in einem Drittstaat befindet. Der Gerichtshof hat befunden, dass sich der Markeninhaber diesen Verkäufen, diesen Verkaufsangeboten oder dieser Werbung entweder nach Art. 5 der Ersten Richtlinie 89/104 oder nach Art. 9 der Verordnung Nr. 40/94 widersetzen kann(13).

34.      Der Gerichtshof hat hierzu weiter ausgeführt, dass sich nicht schon aus der bloßen Zugänglichkeit einer Website in dem durch die Marke erfassten Gebiet darauf schließen lässt, dass sich die auf ihr angezeigten Verkaufsangebote an Verbraucher in diesem Gebiet richten. Es ist Sache der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu prüfen, ob einschlägige Indizien vorliegen, die darauf schließen lassen, dass sich ein Verkaufsangebot, das auf einem Online-Marktplatz angezeigt wird, der in dem durch die Marke erfassten Gebiet zugänglich ist, an dort ansässige Verbraucher richtet, wobei u. a. zu berücksichtigen ist, dass mit dem Verkaufsangebot Angaben der geografischen Gebiete einhergehen, in die der Verkäufer bereit ist, die Ware zu liefern(14).

35.      Außerdem hat der Gerichtshof in bestimmten Rechtssachen – in denen es um Maßnahmen ging, auf die sich der Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums im Fall des Verkaufs von mit seiner Marke versehenen und aus einem Drittstaat stammenden Waren in der Union insbesondere dann berufen kann, wenn das Angebot oder der Verkauf dieser Waren erfolgt, während für die Waren das externe Versand- oder das Zolllagerverfahren gilt – im Wesentlichen festgestellt, dass geschützte Rechte des geistigen Eigentums verletzt werden können, wenn Waren aus Drittstaaten noch vor ihrer Ankunft in dem von diesem Schutz erfassten Gebiet Gegenstand einer an die Verbraucher in diesem Gebiet gerichteten geschäftlichen Handlung – wie etwa eines Verkaufs oder eines Verkaufsangebots – sind. Der Inhaber der Marke kann dem Anbieten oder dem Verkauf dieser Waren widersprechen, wenn diese Handlungen das Inverkehrbringen der Waren in der Union notwendig implizieren(15).

36.      Im Übrigen hat der Gerichtshof, wie vom vorlegenden Gericht angeführt, in einer Entscheidung zu einem Vorabentscheidungsersuchen, das im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke vorgelegt worden war, ausgeführt, dass im Ausland vorgenommene Handlungen ein nur im Inland geschütztes Recht verletzen können. So hat er im Urteil Donner festgestellt, dass ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet, ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungsstücke von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt sind, in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine das Urheberrecht verletzende Handlung vornimmt(16).

37.      Ebenso hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, in der es um die gerichtliche Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten im Fall einer behaupteten Verletzung eines Urhebervermögensrechts ging, entschieden, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem Urhebervermögensrechte gewährleistet werden, auch dann über den Vorwurf einer Verletzung dieser Rechte befinden müssen, wenn die behauptete Verletzung dieser Rechte auf Handlungen zurückzuführen ist, die in einem anderen Mitgliedstaat vorgenommen wurden, wenn die Gefahr besteht, dass sich der Schadenserfolg im Bezirk des angerufenen Gerichts verwirklicht(17).

38.      Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich insgesamt, dass das wesentliche Kriterium für die Feststellung, ob sich der Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums gegenüber im Ausland vorgenommenen Handlungen auf dieses Recht berufen kann, im Wesentlichen darin besteht, dass sich diese Handlungen, wie etwa der Verkauf, das Verkaufsangebot oder das Inverkehrbringen der betreffenden Waren, an die Verbraucher in dem Gebiet richten, in dem das in Rede stehende Recht des geistigen Eigentums Schutz genießt.

39.      Unabhängig vom spezifischen Kontext dieser Urteile sind die Erwägungen zu den Rechtsbehelfen, die dem Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums gegen eine behauptete Verletzung dieses Rechts durch im Ausland – außerhalb des Gebiets, in dem dieses Recht Schutz genießt – vorgenommene Handlungen zur Verfügung stehen, bereichsübergreifender Art und sind daher meines Erachtens auf den vorliegenden Fall übertragbar.

40.      Entsprechend muss nämlich in der vorliegenden Rechtssache verhindert werden, dass sich ein Dritter, der ein mit einer nationalen Marke identisches Zeichen ohne Zustimmung des Inhabers dieser Marke für Waren benutzt hat, die mit denjenigen identisch sind, für die diese Marke eingetragen ist, der Anwendung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 widersetzen und damit die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung beeinträchtigen kann, indem er sich auf den Ort des Besitzes der Waren beruft, wenn er beabsichtigt, sie in dem Gebiet, in dem diese Marke Schutz genießt, anzubieten oder in den Verkehr zu bringen.

41.      Da der Besitz von Waren zum Zweck ihres Anbietens oder Inverkehrbringens eine der in Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 ausdrücklich genannten Benutzungen im Sinne von Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie ist und vom Inhaber einer Marke verboten werden kann, muss sich der Inhaber einer nationalen Marke dem meines Erachtens kraft des ihm durch die Marke gewährten ausschließlichen Rechts widersetzen können.

42.      Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 ist daher dahin auszulegen, dass er den Schutz einer nationalen Marke vor dem Besitz einer markenverletzenden Ware außerhalb des Schutzgebiets dieser Marke gewährleistet, wenn dieser Besitz mit dem Ziel erfolgt, die Ware in demjenigen Land anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, in dem diese Marke Schutz genießt.

43.      Da ein relevanter Bezug zu dem nationalen Gebiet bestehen muss, in dem die Marke Schutz genießt, steht eine solche Auslegung dieser Bestimmung im Einklang mit dem Territorialitätsprinzip. Ebenso steht sie im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, der wiederholt darauf hingewiesen hat, dass das ausschließliche Recht des Markeninhabers mit dem Ziel gewährt wurde, ihm den Schutz seiner spezifischen Interessen als Inhaber dieser Marke zu ermöglichen, d. h., um sicherzustellen, dass die Marke die ihr eigenen Funktionen erfüllen kann. Die Ausübung dieses Rechts muss auf Fälle beschränkt bleiben, in denen die Benutzung des Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der Marke beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann; hierzu gehört die Hauptfunktion der Marke, die darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Ware zu garantieren, indem sie es ihm ermöglicht, diese Ware ohne Verwechslungsgefahr von denen anderer Herkunft zu unterscheiden(18).

44.      Nach alledem komme ich zu dem Ergebnis, dass Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass es der Inhaber einer nationalen Marke einem Dritten verbieten lassen kann, in einem anderen Mitgliedstaat markenverletzende Waren zu dem Zweck zu besitzen, diese Waren im Schutzland der Marke anzubieten oder sie dort in den Verkehr zu bringen.

 Zur zweiten Frage: Begriff „Besitz“

45.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass es für den Begriff des Besitzes im Sinne dieser Bestimmung auf eine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf markenverletzende Waren ankommt oder ob die Möglichkeit ausreicht, auf denjenigen einwirken zu können, der den tatsächlichen Zugriff auf diese Waren hat.

46.      In Anbetracht der Bedeutung des Begriffs „Besitz“ im deutschen Recht, wie sie sich aus Nr. 21 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, ist die Vorlagefrage so zu verstehen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob der Besitz im Sinne von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 nur als die „Erlangung der tatsächlichen Gewalt“ über Waren zu verstehen ist, so dass er endet, wenn der Besitzer nicht mehr die Möglichkeit hat, tatsächlich auf diese Waren zuzugreifen, oder ob er wie im deutschen Recht auch die Situation erfasst, in der eine Person einen Dritten im Hinblick auf diese Waren „zum Besitz berechtigt oder verpflichtet“, so dass diese Person gegenüber dem Dritten über einen maßgeblichen Einfluss bei der Entscheidung über die Bestimmung der Waren verfügt.

47.      Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihrer Bedeutung und Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss(19).

48.      Außerdem gebietet auch die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung der verschiedenen Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts, dass die fragliche Vorschrift, wenn die Fassungen voneinander abweichen, nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt wird, zu der sie gehört(20).

49.      Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 verweist für die Ermittlung seiner Bedeutung und Tragweite nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten, und eine vergleichende Untersuchung der verschiedenen Sprachfassungen dieser Bestimmung ergibt, dass sie gewisse Divergenzen aufweisen.

50.      Wie das vorlegende Gericht zutreffend ausführt, hat sich der Gerichtshof im Urteil Coty Germany mit dem Begriff „Besitz“ befasst. Insbesondere ging es um die Frage, ob die Lagerung markenrechtsverletzender Waren, ohne sie selbst zum Kauf angeboten oder in den Verkehr gebracht zu haben und ohne die Absicht zu verfolgen, diese Waren zum Kauf anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, als eine „Benutzung“ der Marke im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 9 Abs. 1 und 2 der Verordnung 2017/1001 und insbesondere als das „Besitzen“ dieser Waren zum Zweck ihres Angebots oder ihres Inverkehrbringens im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 angesehen werden konnte, der seiner Substanz nach in Art. 9 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 übernommen worden ist(21).

51.      Hierzu hat Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona zutreffend festgestellt, dass sich der Begriff „Besitz“ nicht in allen Sprachfassungen von Art. 9 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 findet. So verwenden nur die französische („détenir“) und die deutsche Fassung („besitzen“) Wörter, die mit dem Rechtsinstitut des Besitzes („possessio“) in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Andere Fassungen, wie zum Beispiel die spanische, italienische, portugiesische, englische und schwedische („almacenarlos“, „stoccaggio“, „armazená-los“, „stocking“ bzw. „lagra“), bevorzugen Verben oder Substantive, die auf die Lagerung von Waren abstellen(22).

52.      Obwohl der Gerichtshof im Urteil Coty Germany letztlich nicht entscheiden musste, was konkret unter dem Begriff „Besitz“ im Sinne von Art. 9 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 zu verstehen ist, und sich auf den kommerziellen Zweck eines Besitzes „zum Zweck des Anbietens oder Inverkehrbringens der Waren“ konzentrierte, liefern dieses Urteil und die Rechtsprechung des Gerichtshofs sachgerechte Anhaltspunkte für die Beantwortung der im vorliegenden Fall gestellten Frage.

53.      Wie in Nr. 30 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, ist der Besitz von mit einer geschützten Marke versehenen Waren nämlich eine derjenigen „Benutzungen“ der Marke im Sinne von Art. 9 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 bzw. von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436, die in Abs. 3 dieser Bestimmungen aufgeführt werden, wobei es sich um keine erschöpfende Aufzählung handelt, und die der Inhaber einer Unionsmarke oder einer nationalen Marke verbieten kann, sofern mit diesem Besitz der Zweck verfolgt wird, die Waren anzubieten oder sie in den Verkehr zu bringen.

54.      Der Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass der Ausdruck „zu benutzen“ nach seinem üblichen Sinn ein aktives Verhalten und eine unmittelbare oder mittelbare Herrschaft über die Benutzungshandlung beinhaltet. Insoweit hat er festgestellt, dass in Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/95, die ihrer Substanz nach in Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie 2015/2436 übernommen wurden und eine nicht abschließende Aufzählung von Benutzungsarten enthalten, die der Markeninhaber verbieten kann, ausschließlich aktive Handlungen Dritter genannt werden(23). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass Art. 9 der Verordnung 2008/1001 und Art. 5 der Richtlinie 2008/95 bezwecken, dem Inhaber einer Unionsmarke bzw. einer nationalen Marke ein rechtliches Instrument an die Hand zu geben, das es ihm ermöglicht, jegliche ohne seine Zustimmung erfolgende Benutzung dieser Marke durch einen Dritten zu verbieten und somit zu beenden. Indessen ist nur ein Dritter, der unmittelbar oder mittelbar die Herrschaft über die Benutzungshandlung hat, tatsächlich in der Lage, die fragliche Benutzung zu beenden und mithin dem Verbot nachzukommen(24).

55.      Der Gerichtshof hat sich daher mit verschiedenen Situationen befasst, in denen ein Dienstleistungen erbringender Dritter – ein Betreiber eines Online-Marktplatzes, ein Werbetreibender oder ein Lagerinhaber – ein einer fremden Marke entsprechendes Zeichen verwendet hatte, um festzustellen, ob davon ausgegangen werden konnte, dass dieser Dritte das Zeichen „benutzte“.

56.      So hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Betreiber von Online-Marktplätzen, die auf diesen Marktplätzen tätigen Drittanbietern Lagerdienste anbieten, ohne den Zweck zu verfolgen, die gelagerten Waren selbst anzubieten oder in Verkehr zu bringen, die auf den gelagerten Waren angebrachten Zeichen nicht „benutzen“. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass der Umstand, dass die technischen Voraussetzungen für die Benutzung eines Zeichens geschaffen werden und diese Dienstleistung vergütet wird, nicht notwendigerweise bedeutet, dass deren Erbringer dieses Zeichen selbst benutzt. Sofern keine Verbindung zwischen dem in Rede stehenden Zeichen und den von einem Dritten erbrachten Dienstleistungen hergestellt wird, erfolgt diese Benutzung durch die Kunden des Dienstleisters(25).

57.      Außerdem kann nach Auffassung des Gerichtshofs einem Werbetreibenden die Benutzung eines Zeichens nicht zugerechnet werden, wenn die Werbeanzeigen von anderen Wirtschaftsteilnehmern – wie Betreibern von Referenzierungswebsites – stammen, die sich über die ausdrücklich vom Werbenden erteilten Anweisungen, die darauf abzielen, eine solche Benutzung zu verhindern, hinwegsetzen oder mit denen der Werbende keine unmittelbare oder mittelbare Beziehung unterhält und die nicht im Auftrag und für Rechnung des Werbenden, sondern auf eigene Initiative und im eigenen Namen handeln. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436 kann somit nicht dahin ausgelegt werden, dass eine Person unabhängig von ihrem Verhalten allein deswegen als Benutzer eines mit der Marke eines Dritten identischen oder dieser ähnlichen Zeichens angesehen werden kann, weil diese Benutzung ihr möglicherweise einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft(26).

58.      Im Fall eines Lagerinhabers, der die Waren nur im Rahmen der normalen Ausübung seines Berufs für einen Dritten aufbewahrt, hat der Gerichtshof ebenfalls festgestellt, dass darin, dass dieser Dienstleister für mit der Marke eines anderen versehene Waren Lagerdienstleistungen erbringt, keine „Benutzung“ des Zeichens besteht. Vermittler wie etwa Lagerinhaber, die Dienstleistungen für ihre Kunden erbringen, haften daher nicht für deren etwaige Markenrechtsverletzungen, wenn sie die Marke weder im Rahmen ihrer eigenen kommerziellen Kommunikation noch im Rahmen ihres geschäftlichen Verkehrs benutzen. Anders verhält es sich dagegen bei einem Wirtschaftsteilnehmer, der Waren, die mit einer Marke versehen sind, deren Inhaber er nicht ist, diesem Lagerinhaber im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen aushändigt und lagern lässt. Dieser Wirtschaftsteilnehmer ist dann als „Besitzer zu den genannten Zwecken“ im Sinne von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 einzustufen. Anderenfalls könnten die in diesem Art. 10 Abs. 3 genannten Besitzhandlungen zum Zweck des Inverkehrbringens, die normalerweise ohne unmittelbaren Kontakt mit den potenziellen Verbrauchern erfolgen, nicht als „Benutzung“ im Sinne dieser Vorschrift eingestuft werden und könnten daher nicht verboten werden, obwohl sie der Unionsgesetzgeber ausdrücklich als potenziell verbotsbewehrte Handlungen identifiziert hat(27).

59.      Um festzustellen, ob ein mit einer geschützten Marke identisches oder ihr ähnliches Zeichen von einem Dritten im Sinne von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436 benutzt wird, hat der Gerichtshof somit bei den Dienstleistungserbringern je nach den von ihnen angebotenen Dienstleistungen und dem Verhalten, das sie an den Tag legen, differenziert. Eine solche Benutzung liegt ihrer Art nach nicht vor, wenn der Dritte nur eine erforderliche technische Voraussetzung für die Benutzung des Zeichens schafft oder ein passives Verhalten ohne unmittelbare oder mittelbare Herrschaft über die Benutzungshandlung zeigt(28). Umgekehrt liegt eine Benutzung im Sinne dieser Bestimmung vor, wenn der betreffende Dritte unmittelbar oder mittelbar die Herrschaft über die verbotene Benutzungshandlung hat. Es kann sich dabei um einen Verkäufer handeln, der Online-Marktplätze zu dem Zweck einsetzt, Waren, die mit einer Marke versehen sind, deren Inhaber er nicht ist, anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, oder gar um einen Wirtschaftsteilnehmer, der einem Lagerinhaber solche Waren im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen aushändigt und der die geschützte Marke im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommunikation benutzt(29).

60.      Nach alledem ist zum einen das „Besitzen“ zum Zweck des Anbietens oder Inverkehrbringens von Waren eine der in Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 ausdrücklich genannten Benutzungen, die der Inhaber einer geschützten Marke verbieten kann. Zum anderen hat der Gerichtshof bereits im Wesentlichen festgestellt, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der Waren, die mit einer Marke versehen sind, deren Inhaber er nicht ist, einem Lagerinhaber im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen aushändigt, diese Marke benutzt und die Waren im Sinne dieser Bestimmung besitzt. Ich bin daher der Ansicht, dass Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dem Inhaber einer geschützten nationalen Marke das Recht verleiht, gegen Dritte vorzugehen, die unmittelbare oder mittelbare Herrschaft in Bezug auf diesen Besitz haben.

61.      Der Besitz von Waren zu dem Zweck, sie anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, ist daher so zu verstehen, dass er jede Situation umfasst, in der der vom Inhaber der geschützten Marke in Anspruch genommene Dritte die Waren entweder selbst lagert, um sie im Schutzgebiet der Marke anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, oder sie zu diesem Zweck auf seine Rechnung von einer anderen Person lagern lässt und gegenüber dieser Person insofern über einen maßgeblichen Einfluss verfügt, als der Dritte, auch mittelbar, über die Bestimmung dieser Waren entscheiden kann.

62.      Eine solche Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 steht auch im Einklang mit dem Ziel von Art. 10 dieser Richtlinie, dem Markeninhaber ein rechtliches Instrument an die Hand zu geben, das es ihm ermöglicht, jegliche ohne seine Zustimmung erfolgende Benutzung dieser Marke durch einen Dritten zu verbieten und somit zu beenden. Wie die Kommission zu Recht ausführt, ermöglicht diese Auslegung einen effektiven Schutz für den Markeninhaber. Sonst könnte der Dritte, der über eine weitere Person mittelbar die Kontrolle ausübt, sich der Rechtsfolge des Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 entziehen, obwohl er die – wenn auch nur mittelbare – Kontrolle über die Ware zum Zweck ihres Anbietens oder Inverkehrbringens im Schutzgebiet ausübt.

63.      Daher komme ich zu dem Ergebnis, dass Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass der Besitz im Sinne dieser Bestimmung die Möglichkeit einschließt, maßgeblich auf denjenigen einwirken zu können, der den tatsächlichen Zugriff auf die Waren hat, um, auch mittelbar, über die Bestimmung dieser Waren zu entscheiden.

 Ergebnis

64.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken

ist dahingehend auszulegen, dass

–        es der Inhaber einer nationalen Marke einem Dritten verbieten lassen kann, in einem anderen Mitgliedstaat markenverletzende Waren zu dem Zweck zu besitzen, diese Waren im Schutzland der Marke anzubieten oder sie dort in den Verkehr zu bringen;

–        der Besitz im Sinne dieser Bestimmung die Möglichkeit einschließt, maßgeblich auf denjenigen einwirken zu können, der den tatsächlichen Zugriff auf diese Ware hat, um, auch mittelbar, über die Bestimmung dieser Waren zu entscheiden.

































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