C-759/23 – PJ Carroll und Nicoventures Trading

C-759/23 – PJ Carroll und Nicoventures Trading

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:44

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 30. Januar 2025(1)

Rechtssache C759/23

PJ Carroll & Company Ltd,

Nicoventures Trading Ltd

gegen

The Minister for Health,

Irland,

Attorney General,

Beteiligte:

Philip Morris Ltd,

Philip Morris Products SA,

Philip Morris Manufacturing & Technology Bologna SpA

(Vorabentscheidungsersuchen des High Court [Hohes Gericht, Irland])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Binnenmarkt – Öffentliche Gesundheit – Richtlinie 2014/40/EU – Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen – Art. 7 und 12 – Gültigkeit der Delegierten Richtlinie (EU) 2022/2100 – Art. 290 Abs. 1 AEUV – Delegierte Befugnisse der Europäischen Kommission – Wesentliche Aspekte – Neuartige Tabakerzeugnisse – Erhitzte Tabakerzeugnisse – Inhaltsstoffe – Kennzeichnung “

I.      Einleitung

1.        Die vorliegende Rechtssache betrifft die Auslegung bestimmter Vorschriften der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG(2).

2.        Die Richtlinie 2014/40 soll das Funktionieren des Binnenmarkts für diese Erzeugnisse verbessern und gleichzeitig ein hohes Schutzniveau für die öffentliche Gesundheit, insbesondere für junge Menschen, gewährleisten. Zu diesem Zweck sieht die Richtlinie u. a. vor, dass erstens die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma verbieten müssen (im Folgenden: Aromaverbot) und dass zweitens alle Packungen und Außenverpackungen von Tabakerzeugnissen bestimmte gesundheitsbezogene Warnhinweise und Informationsbotschaften tragen müssen (im Folgenden: Kennzeichnungspflicht) (im Folgenden zusammen: in Rede stehende Verpflichtungen).

3.        Gleichzeitig sieht die Richtlinie bestimmte Ausnahmen von den in Rede stehenden Verpflichtungen vor, insbesondere für Tabakerzeugnisse, die hauptsächlich von älteren Verbrauchern und kleinen Bevölkerungsgruppen konsumiert werden. Die Richtlinie ermächtigt die Europäische Kommission jedoch auch, delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die in Rede stehenden Ausnahmen für eine bestimmte Erzeugniskategorie zurückzunehmen (im Folgenden: Rücknahme der Ausnahmen), wenn eine wesentliche Änderung der Umstände eintritt, d. h. ein erheblicher Anstieg entweder der Absatzmengen dieser Erzeugniskategorie oder des Niveaus der Verbreitung der Verwendung durch junge Verbraucher.

4.        Die vorliegende Rechtssache wirft die Frage auf, ob die Kommission durch die Delegierte Richtlinie (EU) 2022/2100(3) die Ausnahmen für eine neu geschaffene Erzeugniskategorie, nämlich erhitzte Tabakerzeugnisse, wirksam zurücknehmen konnte. Zur Beantwortung dieser Frage ist zu prüfen, ob die Kommission dabei die ihr vom Unionsgesetzgeber durch die Richtlinie 2014/40 übertragenen Befugnisse überschritten hat.

5.        Dies ist naturgemäß eine Frage von konstitutioneller Bedeutung, da der Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts, der ein Hauptmerkmal des organisatorischen Aufbaus der Union ist, verlangt, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt(4). Es ist daher wichtig, dass der Gerichtshof, wenn Zweifel wie die des vorlegenden Gerichts auftreten, prüfen kann, ob die Kommission bei der Ausübung der ihr nach Art. 290 AEUV übertragenen Befugnisse die Grenzen der übertragenen Befugnis, die im Hauptrechtsakt „ausdrücklich festgelegt“ sind, beachtet hat(5).

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2014/40

6.        In den Erwägungsgründen 8, 15, 19, 22 bis 24, 26, 34, 35, 51 und 52 der Richtlinie 2014/40 heißt es:

„(8)      Gemäß Artikel 114 Absatz 3 [AEUV] soll im Gesundheitsbereich bei Gesetzgebungsvorschlägen von einem hohen Schutzniveau ausgegangen werden … Tabakerzeugnisse sind keine gewöhnlichen Erzeugnisse, und angesichts der besonders schädlichen Wirkungen von Tabakerzeugnissen auf die menschliche Gesundheit sollte dem Gesundheitsschutz große Bedeutung beigemessen werden, insbesondere um die Verbreitung des Rauchens bei jungen Menschen zu senken.

(15)      Das Fehlen eines harmonisierten Ansatzes für die Regelung der Inhaltsstoffe von Tabakerzeugnissen behindert das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts und hat negative Auswirkungen auf den freien Warenverkehr in der Union. … Ohne eine Harmonisierung dürften die Behinderungen auf dem Binnenmarkt in den kommenden Jahren größer werden, wenn die Umsetzung des [Rahmenübereinkommens der Weltgesundheitsorganisation zur Eindämmung des Tabakgebrauchs, im Folgenden: FCTC] und der einschlägigen FCTC‑Leitlinien[(6)] in der Union und die Erfahrungen der Rechtsordnungen außerhalb der Union berücksichtigt werden. In den FCTC‑Leitlinien zu den Regelungen bezüglich der Inhaltsstoffe von Tabakerzeugnissen und der Bekanntgabe von Angaben über Tabakerzeugnisse wird insbesondere ein Verzicht auf Inhaltsstoffe gefordert, die die Schmackhaftigkeit erhöhen, die den Eindruck erwecken, dass Tabakerzeugnisse einen gesundheitlichen Nutzen hätten, die mit Energie und Vitalität assoziiert werden oder die färbende Eigenschaften haben.

(19)      In Anbetracht dessen, dass der Schwerpunkt dieser Richtlinie auf jungen Menschen liegt, sollten Tabakerzeugnisse mit Ausnahme von Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen von bestimmten Anforderungen in Bezug auf die Inhaltsstoffe ausgenommen werden, solange es keine wesentliche Änderung der Umstände bezüglich der Verkaufsmengen oder der Konsumgewohnheiten bei jungen Menschen gibt.

(22)      Es gibt immer noch Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Vorschriften zur Kennzeichnung von Tabakerzeugnissen …

(23)      Diese Unterschiede können ein Handelshemmnis darstellen und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse behindern, weswegen sie beseitigt werden sollten. …

(24)      Eine Anpassung der Kennzeichnungsbestimmungen ist ferner notwendig, um die auf Unionsebene geltenden Vorschriften an internationale Entwicklungen anzugleichen. Beispielsweise fordern die FCTC‑Leitlinien über die Verpackung und Etikettierung von Tabakerzeugnissen große bildliche Warnhinweise auf beiden Hauptdarstellungsflächen, obligatorische Entwöhnungsinformationen und strenge Vorschriften gegen irreführende Angaben. …

(26)      Es sollte weiterhin möglich sein, Rauchtabakerzeugnisse, mit Ausnahme von Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen, die hauptsächlich von älteren Verbrauchern und kleinen Bevölkerungsgruppen konsumiert werden, von bestimmten Kennzeichnungsbestimmungen auszunehmen, solange es keine wesentliche Änderung der Umstände bezüglich der Verkaufsmengen oder der Konsumgewohnheiten bei jungen Menschen gibt. …

(34)      Alle Tabakerzeugnisse können Todesfälle, Morbidität und Behinderungen verursachen. … Es ist daher wichtig, Entwicklungen im Zusammenhang mit neuartigen Tabakerzeugnissen zu beobachten. …

(35)      Damit gleiche Ausgangsbedingungen gewährleistet sind, sollten neuartige Tabakerzeugnisse, die Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Richtlinie sind, den Anforderungen dieser Richtlinie genügen.

(51)      Um sicherzustellen, dass diese Richtlinie voll funktionsfähig ist[,] und um sie an technische, wissenschaftliche und internationale Entwicklungen anzupassen, sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 AEUV Rechtsakte hinsichtlich der … Rücknahme bestimmter Ausnahmeregelungen für Tabakerzeugnisse mit Ausnahme von Zigaretten und von Tabak zum Selbstdrehen … zu erlassen.

(52)      Die Kommission sollte die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Umsetzung und den Auswirkungen dieser Richtlinie beobachten und bis zum 21. Mai 2021 und erforderlichenfalls auch danach einen Bericht vorlegen, damit beurteilt werden kann, ob Änderungen dieser Richtlinie erforderlich sind. Dieser Bericht sollte Informationen über … Marktentwicklungen bei neuartigen Tabakerzeugnissen, über Marktentwicklungen, die eine wesentliche Änderung der Umstände ergeben, … umfassen …“

7.        Art. 2 der Richtlinie 2014/40 enthält folgende Begriffsbestimmungen:

„4.      ‚Tabakerzeugnis‘ [bezeichnet] ein Erzeugnis, das konsumiert werden kann und das, auch teilweise, aus genetisch verändertem oder genetisch nicht verändertem Tabak besteht;

5.      ‚rauchloses Tabakerzeugnis‘ [bezeichnet] ein Tabakerzeugnis, das nicht mittels eines Verbrennungsprozesses konsumiert wird, unter anderem Kautabak, Schnupftabak und Tabak zum oralen Gebrauch;

9.      ‚Rauchtabakerzeugnisse‘ [bezeichnet] Tabakerzeugnisse mit Ausnahme von rauchlosen Tabakerzeugnissen;

14.      ‚neuartiges Tabakerzeugnis‘ [bezeichnet] ein Tabakerzeugnis, das

a)      nicht in eine der nachstehenden Kategorien fällt: Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen, Pfeifentabak, Wasserpfeifentabak, Zigarren, Zigarillos, Kautabak, Schnupftabak und Tabak zum oralen Gebrauch; und

b)      nach dem 19. Mai 2014 in Verkehr gebracht wird;

28.      ‚wesentliche Änderung der Umstände‘ [bezeichnet] einen Anstieg der Absatzmengen in einer Erzeugniskategorie um mindestens 10 % in mindestens fünf Mitgliedstaaten, belegt durch Verkaufsdaten, die gemäß Artikel 5 Absatz 6 zu übermitteln sind, oder einen Anstieg des Niveaus der Verbreitung der Verwendung in der Verbrauchergruppe der unter 25-Jährigen um mindestens fünf Prozentpunkte in mindestens fünf Mitgliedstaaten in der jeweiligen Erzeugniskategorie, belegt durch den Eurobarometer-Sonderbericht 385 vom Mai 2012 oder durch gleichwertige Prävalenzstudien; eine wesentliche Änderung der Umstände gilt als nicht eingetreten, wenn die Verkaufsmenge der Erzeugniskategorie auf Einzelhandelsebene nicht mehr als 2,5 % des Gesamtverkaufs von Tabakerzeugnissen in der Union ausmacht“.

8.        Art. 5 („Meldung von Inhaltsstoffen und Emissionen“) Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 bestimmt:

„(6)      Die Mitgliedstaaten verpflichten die Hersteller und Importeure, verfügbare interne und externe Studien zu Marktforschung und zu den Präferenzen verschiedener Verbrauchergruppen, einschließlich junger Menschen und aktiver Raucher, betreffend Inhaltsstoffe und Emissionen sowie kurze Zusammenfassungen der Marktstudien, die sie anlässlich der Markteinführung neuer Produkte anfertigen, vorzulegen. Die Mitgliedstaaten verpflichten die Hersteller und Importeure außerdem, ab dem 1. Januar 2015 jährlich die Verkaufsmengendaten je Marke und Art (in Stück oder Kilogramm) und je Mitgliedstaat zu melden. Die Mitgliedstaaten stellen zusätzliche Verkaufsmengendaten bereit, die für sie verfügbar sind.“

9.        Art. 7 („Regelung der Inhaltsstoffe“) der Richtlinie 2014/40 lautete vor seiner Änderung durch die Delegierte Richtlinie 2022/2100 wie folgt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten verbieten das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma. …

(7)      Die Mitgliedstaaten verbieten das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die in irgendwelchen ihrer Bestandteile Aromastoffe enthalten, etwa in Filtern, Papieren, Packungen, Kapseln, oder die sonstige technische Merkmale enthalten, mit denen sich der Geruch oder Geschmack der betreffenden Tabakprodukte oder deren Rauchintensität verändern lassen. …

(12)      Tabakerzeugnisse mit Ausnahme von Zigaretten und von Tabak zum Selbstdrehen sind von den Verboten in den Absätzen 1 und 7 ausgenommen. Die Kommission erlässt gemäß Artikel 27 delegierte Rechtsakte zur Rücknahme dieser Ausnahme für eine bestimmte Erzeugniskategorie, falls es eine wesentliche Änderung der Umstände gibt, die in einem Kommissionsbericht festgestellt wird.

…“

10.      Die Art. 9 und 10 der Richtlinie 2014/40 legen die „[a]llgemeine[n] Warnhinweise und [die] Informationsbotschaft für Rauchtabakerzeugnisse“ bzw. die „[k]ombinierte[n] gesundheitsbezogene[n] Warnhinweise für Rauchtabakerzeugnisse“ fest, die auf Packungen und Außenverpackungen von Tabakerzeugnissen angebracht werden müssen.

11.      Art. 11 („Kennzeichnung von Rauchtabakerzeugnissen mit Ausnahme von Zigaretten, von Tabak zum Selbstdrehen und von Tabak für Wasserpfeifen“) der Richtlinie 2014/40 bestimmte vor seiner Änderung durch die Delegierte Richtlinie 2022/2100:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können Rauchtabakerzeugnisse mit Ausnahme von Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen und Tabak für Wasserpfeifen von der Verpflichtung ausnehmen, die Informationsbotschaft gemäß Artikel 9 Absatz 2 und den kombinierten gesundheitsbezogenen Warnhinweis gemäß Artikel 10 zu tragen. …

(6)      Die Kommission erlässt gemäß Artikel 27 delegierte Rechtsakte zur Rücknahme der Möglichkeit, Ausnahmen nach Absatz 1 für bestimmte Erzeugniskategorien zu gewähren, falls es eine wesentliche Änderung der Umstände gibt, die in einem Kommissionsbericht hinsichtlich der betreffenden Kategorie von Erzeugnissen festgestellt wird.“

12.      Art. 19 („Meldung neuartiger Tabakerzeugnisse“) der Richtlinie 2014/40 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten schreiben Herstellern und Importeuren von neuartigen Tabakerzeugnissen vor, bei den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten jedes derartige Erzeugnis zu melden, das sie in dem Mitgliedstaat in Verkehr zu bringen beabsichtigen. …

(2)      … Die Mitgliedstaaten stellen der Kommission alle gemäß diesem Artikel erhaltenen Informationen zur Verfügung.

(3)      Die Mitgliedstaaten können ein System für die Zulassung neuartiger Tabakerzeugnisse einführen. …

(4)      Neuartige Tabakerzeugnisse, die in Verkehr gebracht werden, müssen den Anforderungen dieser Richtlinie genügen. Welche der Bestimmungen dieser Richtlinie auf neuartige Tabakerzeugnisse anwendbar sind[,] richtet sich danach, ob diese Erzeugnisse unter die Definition der rauchlosen Tabakerzeugnisse oder des Rauchtabakerzeugnisses fallen.“

13.      Art. 28 („Bericht“) der Richtlinie 2014/40 sieht vor:

„(1)      Spätestens fünf Jahre nach dem 20. Mai 2016 und danach bei Bedarf legt die Kommission dem Europäischen Parlament, dem Rat, dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Ausschuss der Regionen einen Bericht über die Anwendung dieser Richtlinie vor.

(2)      In dem Bericht gibt die Kommission insbesondere an, welche Elemente der Richtlinie angesichts des aktuellen Stands der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse überprüft oder angepasst werden müssten – einschließlich der Entwicklung international vereinbarter Vorschriften und Normen über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse. Die Kommission legt dabei besonderes Augenmerk auf

c)      Marktentwicklungen, die eine wesentliche Änderung der Umstände darstellen;

(3)      Dem Bericht folgen gegebenenfalls Vorschläge zur Änderung dieser Richtlinie, die von der Kommission für nötig erachtet werden – soweit dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist – um die Richtlinie an Entwicklungen im Bereich der Tabakerzeugnisse und der verwandten Erzeugnisse anzupassen und um alle wissenschaftlich gesicherten neuen Entwicklungen sowie Entwicklungen in Bezug auf international vereinbarte Normen für Tabakprodukte und verwandte Produkte zu berücksichtigen.“

2.      Delegierte Richtlinie 2022/2100

14.      Durch Art. 1 der Delegierten Richtlinie 2022/2100 werden Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 der Richtlinie 2014/40 wie folgt geändert.

15.      Was Art. 7 Abs. 12 der Richtlinie 2014/40 anbelangt, so wurden „erhitzte Tabakerzeugnisse“ in die Liste der (Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen umfassenden) Kategorien aufgenommen, die nach Unterabs. 1 dieser Bestimmung nicht von den Verboten in Art. 7 Abs. 1 und 7 ausgenommen sind. Außerdem wurde dieser Bestimmung ein Unterabs. 2 angefügt, der vorsieht:

„Für die Zwecke von Unterabsatz 1 ist mit einem ‚erhitzten Tabakerzeugnis‘ ein neuartiges Tabakerzeugnis gemeint, das erhitzt wird, um Nikotin und andere Chemikalien freizusetzen, die dann von dem oder den Nutzer(n) inhaliert werden, und das je nach seinen Eigenschaften den rauchlosen Tabakerzeugnissen oder den Rauchtabakerzeugnissen zugerechnet wird.“

16.      Art. 11 wurde in zweierlei Hinsicht geändert. Erstens erhielt die Überschrift der Bestimmung folgende neue Fassung: „Kennzeichnung von Rauchtabakerzeugnissen mit Ausnahme von Zigaretten, von Tabak zum Selbstdrehen, von Tabak für Wasserpfeifen und von erhitzten Tabakerzeugnissen“. Zweitens wurden in Abs. 1 Unterabs. 1 „erhitzte Tabakerzeugnisse … im Sinne des Artikels 7 Absatz 12 Unterabsatz 2“ in die Liste der (Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen und Wasserpfeifentabak umfassenden) Kategorien aufgenommen, die nicht von der Verpflichtung zur Angabe der Informationsbotschaft und der Warnhinweise gemäß Art. 9 Abs. 2 und Art. 10 der genannten Richtlinie ausgenommen werden können.

B.      Irisches Recht

17.      Irland hat die Delegierte Richtlinie 2022/2100 mit den European Union (Manufacture, Presentation and Sale of Tobacco and Related Products) (Amendment) Regulations 2023 (Verordnung betreffend die Europäische Union [Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabak und verwandten Erzeugnissen] [Änderung] von 2023, im Folgenden: Verordnung von 2023) umgesetzt.

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18.      Im Januar 2023 erhoben die PJ Carroll & Company Limited, die Nicoventures Trading Limited sowie die Philip Morris Limited, die Philip Morris Products SA und die Philip Morris Manufacturing & Technology Bologna SpA (im Folgenden zusammen: Klägerinnen des Ausgangsverfahrens) beim High Court (Hohes Gericht, Irland) Klage u. a. auf Feststellung der Ungültigkeit der Verordnung von 2023, mit der die Delegierte Richtlinie 2022/2100 in irisches Recht umgesetzt wird. Sie waren der Ansicht, die Delegierte Richtlinie 2022/2100 sei ungültig, weil die Kommission die ihr durch die Richtlinie 2014/40 übertragenen Befugnisse überschritten habe. Insbesondere sei die Kommission nicht befugt gewesen, aus Erzeugnissen, die unter die Definition „neuartige Tabakerzeugnisse“ fielen, eine neue Erzeugniskategorie zu schaffen, und sie habe die Ausnahmen für diese neue Erzeugniskategorie nicht zurücknehmen dürfen. Die Bestimmungen der Richtlinie 2014/40, die die Kommission dazu ermächtigten, fänden auf neuartige Tabakerzeugnisse keine Anwendung.

19.      Da der High Court (Hohes Gericht) Zweifel hinsichtlich der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts hegt, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Delegierte Richtlinie 2022/2100 ungültig, weil sie im Licht von Art. 290 AEUV und unter Berücksichtigung von Art. 2 Nr. 14, Art. 19 und Art. 28 der Richtlinie 2014/40/EU über die durch Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40/EU eingeräumten Befugnisse hinausgeht?

2.      Ist die Delegierte Richtlinie 2022/2100 ungültig, weil die Kommission nicht zu dem Schluss hätte kommen dürfen, dass eine wesentliche Änderung der Umstände im Sinne von Art. 7 Abs. 12 und/oder Art. 11 Abs. 6 und/oder Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie 2014/40/EU vorlag?

20.      Im vorliegenden Verfahren haben die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, Irland, die französische und die italienische Regierung sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie alle haben außerdem in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2024 mündliche Ausführungen gemacht.

IV.    Würdigung

21.      Mit seinen beiden Fragen ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um eine Überprüfung der Gültigkeit der Delegierten Richtlinie 2022/2100, mit der für erhitzte Tabakerzeugnisse, eine von der Kommission neu geschaffene Erzeugniskategorie, die Ausnahmen vom Aromaverbot und von der Kennzeichnungspflicht (im Folgenden: Ausnahmen) zurückgenommen werden.

22.      Das vorlegende Gericht wirft hierzu zwei Fragen auf. Die erste Frage ist institutioneller und materiell-rechtlicher Art: Hat die Kommission mit der Delegierten Richtlinie die ihr durch den Hauptrechtsakt übertragenen Befugnisse überschritten? Die zweite Frage betrifft eher verfahrensrechtliche Aspekte und Tatsachenfragen: War die Voraussetzung einer „wesentlichen Änderung der Umstände“ erfüllt?

23.      Zur Klarstellung möchte ich gleich zu Beginn hervorheben, dass es sich bei erhitzten Tabakerzeugnissen unstreitig um „neuartige Tabakerzeugnisse“ im Sinne der Richtlinie 2014/40 handelt. Sie fallen nämlich unter keine der spezifischen, in Art. 2 dieser Richtlinie definierten Kategorien und wurden erstmals nach dem 19. Mai 2014 in Verkehr gebracht.

24.      Es ist außerdem völlig klar, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie, die die in Rede stehenden Verpflichtungen betreffen, grundsätzlich auf neuartige Tabakerzeugnisse anwendbar sind. Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2014/40 gilt das Aromaverbot nämlich für „Tabakerzeugnisse“, was offensichtlich neuartige Tabakerzeugnisse umfasst. Desgleichen finden nach Art. 9 Abs. 2 und Art. 10 der Richtlinie 2014/40 die Kennzeichnungspflichten auf „Rauchtabakerzeugnisse“ Anwendung, wozu auch neuartige Tabakerzeugnisse gehören, sofern es sich um zum Rauchen bestimmte Erzeugnisse handelt.

25.      Auch neuartige Tabakerzeugnisse waren von den in Rede stehenden Verpflichtungen ausgenommen (oder konnten davon ausgenommen sein), da es sich um „[andere] Tabakerzeugnisse [als] Zigaretten und … Tabak zum Selbstdrehen“ (im Sinne von Art. 7 Abs. 12 der Richtlinie 2014/40) und, wenn sie zum Rauchen bestimmt sind, auch um „[andere] Rauchtabakerzeugnisse [als] Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen und Wasserpfeifentabak“ (im Sinne von Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2014/40/EU) handelt.

26.      Umstritten ist im Wesentlichen die Befugnis der Kommission, im Wege eines delegierten Rechtsakts die Ausnahmen für neuartige Tabakerzeugnisse zurückzunehmen.

A.      Erste Frage

27.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Kommission die ihr vom Unionsgesetzgeber in Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 übertragenen Befugnisse überschritten hat, indem sie eine neue Kategorie von Erzeugnissen (nämlich erhitzte Tabakerzeugnisse) geschaffen und die Ausnahmen für diese Kategorie zurückgenommen hat.

28.      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens und die italienische Regierung sind der Ansicht, die Kommission sei mit der Delegierten Richtlinie 2022/2100 über die in der Richtlinie 2014/40 festgelegte Befugnisübertragung hinausgegangen und habe bestimmte wesentliche Aspekte dieser Richtlinie geändert. Irland, die französische Regierung und die Kommission vertreten die gegenteilige Auffassung und machen geltend, dass die Bestimmungen über die Rücknahme von Ausnahmen auch auf neuartige Tabakerzeugnisse anwendbar seien.

29.      In den folgenden Abschnitten werde ich erläutern, warum ich ungeachtet dessen, dass die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens und der italienischen Regierung vorgebrachten Argumente durchaus gewichtig sind, gleichwohl um die Schlussfolgerung nicht umhinkomme, dass die Kommission mit dem Erlass der Delegierten Richtlinie 2022/2100 die ihr vom Unionsgesetzgeber übertragenen Befugnisse nicht überschritten hat.

1.      Art. 290 Abs. 1 AEUV und die „wesentlichen Aspekte“ des Hauptrechtsakts

30.      Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass die Verfahrensbeteiligten, die Erklärungen eingereicht haben, im vorliegenden Verfahren ausführlich erörtert haben, ob durch die Delegierte Richtlinie 2022/2100 im Sinne von Art. 290 Abs. 1 AEUV bestimmte „wesentliche Aspekte“ des Hauptrechtsakts (der Richtlinie 2014/40) geändert wurden. Art. 290 Abs. 1 AEUV lautet:

„In Gesetzgebungsakten kann der Kommission die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen.

In den betreffenden Gesetzgebungsakten werden Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt. Die wesentlichen Aspekte eines Bereichs sind dem Gesetzgebungsakt vorbehalten und eine Befugnisübertragung ist für sie deshalb ausgeschlossen.“

31.      Nach ständiger Rechtsprechung sind „wesentliche Aspekte“ eines Gesetzgebungsakts im Sinne von Art. 290 Abs. 1 AEUV diejenigen, deren Erlass „politische Entscheidungen erfordert, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen“(7). Dieser Begriff darf insofern nicht zu weit gefasst werden, als er „Bestimmungen, durch die die grundsätzlichen Ausrichtungen der [betreffenden P]olitik [des Unionsgesetzgebers] umgesetzt werden“, vorbehalten bleiben muss(8). Dies ist u. a. dann der Fall, wenn der betreffende Aspekt „eine Abwägung der widerstreitenden Interessen auf der Grundlage einer Beurteilung zahlreicher Gesichtspunkte einschließ[t], oder [wenn er] Eingriffe in die Grundrechte der betroffenen Personen in einem Umfang erlaub[t], der das Tätigwerden des Unionsgesetzgebers erforderlich macht“(9).

32.      Unter Berücksichtigung des Vorstehenden bin ich der Ansicht, dass durch die Delegierte Richtlinie 2022/2100 keine wesentlichen Aspekte der Richtlinie 2014/40 geändert wurden.

33.      Was die in der vorliegenden Rechtssache einschlägigen Bestimmungen anbelangt, so hat der Unionsgesetzgeber nach meinem Dafürhalten im Wesentlichen drei politische Schlüsselentscheidungen getroffen(10). Erstens sollte grundsätzlich auf Aromastoffe in den Erzeugnissen verzichtet werden(11), und auf Packungen und Außenverpackungen sollten Warnhinweise und Informationsbotschaften angebracht werden(12). Zweitens sollten (oder können) Ausnahmen von diesen Verpflichtungen für Erzeugnisse gewährt werden, die „hauptsächlich von älteren Verbrauchern und kleinen Bevölkerungsgruppen konsumiert werden“(13). Drittens sollten diese Ausnahmen zurückgenommen werden, wenn es eine „wesentliche Änderung der Umstände“ im Hinblick auf die Verkaufsmengen oder die Konsumgewohnheiten junger Menschen gibt(14).

34.      Meines Erachtens wird keine dieser Schlüsselentscheidungen von der Delegierten Richtlinie 2022/2100 berührt, die insofern eine bloße Umsetzung im Hinblick auf eine neue Art von Erzeugnis darstellt. Die Entscheidung, die Ausnahmen zurückzunehmen, ist in Wirklichkeit ein recht technischer Vorgang, bei dem die Kommission über ein begrenztes technisches Ermessen verfügt, wenn sie prüft, ob die (in Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie 2014/40 genannten) Voraussetzungen für die Rücknahme erfüllt sind, nicht aber über politisches Ermessen (gemäß Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40)(15) in Bezug auf die Frage, ob die Ausnahmen zurückgenommen werden sollten(16).

35.      Zudem vermag ebenso wenig das Argument zu überzeugen, dass die Art und Weise, in der neuartige Tabakerzeugnisse durch die Richtlinie 2014/40 geregelt werden sollten, bedeutende politische Entscheidungen erfordere(17). Der Unionsgesetzgeber hat nämlich bereits die Ansicht vertreten, dass „alle Tabakerzeugnisse Todesfälle, Morbidität und Behinderung verursachen [können] und … daher ihre Herstellung, ihr Vertrieb und ihr Konsum geregelt werden [sollten]“ (34. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/40), außerdem klargestellt, dass „neuartige Tabakerzeugnisse … Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Richtlinie [sind]“ (35. Erwägungsgrund dieser Richtlinie), und des Weiteren entschieden, dass neuartige Tabakerzeugnisse „den Anforderungen der [Richtlinie 2014/40] genügen [sollten]“ (ebenfalls 35. Erwägungsgrund der Richtlinie).

36.      Es ist daher eindeutig, dass die Kommission die ihr übertragene Befugnis nicht dadurch überschritten hat, dass sie unter Verstoß gegen Art. 290 Abs. 1 AEUV in einen wesentlichen Aspekt des Hauptrechtsakts eingegriffen hätte. Ich werde mich nun der Frage zuwenden, ob die Kommission beim Erlass der Delegierten Richtlinie 2022/2100 „Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung“ beachtet hat, die sich aus Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 ergeben. Abgesehen von der Frage, ob die Delegierte Richtlinie sich innerhalb der Grenzen von Art. 290 Abs. 1 AEUV (der für alle delegierten Rechtsakte gilt) bewegt, stellt sich nämlich auch die Frage, ob sie die vom Unionsgesetzgeber in den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2014/40 festgelegten Grenzen beachtet.

37.      Insoweit werde ich nun Bedeutung und Tragweite von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 untersuchen. Zugegebenermaßen ist das nicht einfach. Der Wortlaut einiger Bestimmungen der Richtlinie 2014/40 ist nämlich in gewissem Maße mehrdeutig, und unabhängig davon, welchem Auslegungsansatz man in Bezug auf diese Bestimmungen folgt, sind ihre Wechselwirkungen nicht immer klar.

38.      In den folgenden Abschnitten werde ich erläutern, warum ich der Ansicht bin, dass die Argumente, die für die Befugnis der Kommission sprechen, für neuartige Tabakerzeugnisse die in Rede stehenden Ausnahmen zurückzunehmen, insgesamt überzeugender sind als die Argumente, die dagegen sprechen.

2.      Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 nach dem Wortlaut

39.      Es erscheint mir folgerichtig, meine Analyse mit der Prüfung des Wortlauts von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 zu beginnen.

40.      Ich möchte daran erinnern, dass nach Art. 7 Abs. 12 der Richtlinie 2014/40 „Tabakerzeugnisse mit Ausnahme von Zigaretten und von Tabak zum Selbstdrehen … von den Verboten in den Absätzen 1 und 7 ausgenommen [sind]“ und dass „[d]ie Kommission … delegierte Rechtsakte zur Rücknahme dieser Ausnahme für eine bestimmte Erzeugniskategorie [erlässt], falls es eine wesentliche Änderung der Umstände gibt …“. Ganz ähnlich bestimmt Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40, dass „[d]ie Kommission … delegierte Rechtsakte zur Rücknahme der Möglichkeit, Ausnahmen nach Absatz 1 für bestimmte Erzeugniskategorien zu gewähren, [erlässt], falls es eine wesentliche Änderung der Umstände gibt …“.

41.      Zwei Gesichtspunkte des Wortlauts scheinen mir in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung zu sein.

42.      Erstens stellen beide Bestimmungen eine klare Verknüpfung zwischen denjenigen Erzeugniskategorien, die in den Genuss der Ausnahmen kommen (oder kommen können), und denjenigen Kategorien her, für die die Ausnahmen zurückgenommen werden können. Diese Verknüpfung ist in Art. 7 Abs. 12 der Richtlinie 2014/40 in der Struktur angelegt: In ein und demselben Absatz dieser Bestimmung wird erstens eine Ausnahme festgelegt und zweitens die Möglichkeit zur Rücknahme dieser Ausnahme eingeführt. Die Verknüpfung wird in Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 noch deutlicher, da sie durch einen ausdrücklichen Verweis auf die betreffenden Kategorien von Erzeugnissen (und zwar dieselben Kategorien für Ausnahme und Rücknahme der Ausnahme) hergestellt wird. Dass diese Verknüpfung besteht, ist meines Erachtens ein Faktor, der ganz offensichtlich für die von Irland, der französischen Regierung und der Kommission vertretene Auslegung dieser Bestimmungen spricht.

43.      Zweitens beziehen sich beide Bestimmungen auf „bestimmte Erzeugniskategorien“(18). Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens und die italienische Regierung machen geltend, dass dieser Ausdruck so zu verstehen sei, dass er sich auf die Tabakerzeugnisse beziehe, die zu den verschiedenen in Art. 2 der Richtlinie 2014/40 definierten Kategorien gehörten. Die Kommission sei daher nicht befugt, neue Kategorien von Tabakerzeugnissen zu schaffen, indem sie isoliert auf eine Gruppe von Erzeugnissen (im vorliegenden Fall erhitzte Tabakerzeugnisse) innerhalb derjenigen Erzeugnisse abstelle, die unter die Definition der „neuartigen Tabakerzeugnisse“ fielen.

44.      Diese Argumente überzeugen mich nicht.

45.      Der Begriff „bestimmte“ wird in der Richtlinie 2014/40 nicht definiert. In Anbetracht der allgemeinen Systematik der Richtlinie erscheint es mir jedoch vernünftig, ihn als Synonym zu den Begriffen „konkrete“, „spezifische“ oder „gewisse“ zu verstehen(19). Im Kern liegt die Bedeutung dieser beiden Bestimmungen meines Erachtens darin, dass eine Rücknahme von Ausnahmen nur eine Erzeugniskategorie betreffen sollte, bei der eine wesentliche Änderung der Umstände eingetreten ist. Die Rücknahme darf sich nicht auf andere – ähnliche oder verwandte – Erzeugnisse erstrecken. Die Rücknahme von Ausnahmen ist, wie erläutert, ein recht automatischer Vorgang, bei dem die Kommission über einen begrenzten Spielraum verfügt.

46.      Ich sehe weder im Wortlaut noch in der Systematik der Richtlinie 2014/40 Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff „bestimmte“ im Sinne von „bereits vorhandene“ oder „bereits definierte“ zu verstehen wäre. Dies ergibt sich auch nicht aus der gewöhnlichen Wortbedeutung.

47.      Ebenso wenig vermag ich in der Richtlinie einen Hinweis darauf zu entdecken, dass der Begriff „Erzeugniskategorien“ in Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 auf die in Art. 2 dieser Richtlinie definierten Kategorien verwiese.

48.      Insoweit darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Richtlinie 2014/40, um einerseits die Erzeugnisse zu definieren, die in ihren Anwendungsbereich fallen, andererseits aber auch, um zu bestimmen, welche Vorschriften für welche Erzeugnisse gelten, verschiedene Begriffsbestimmungen verwendet, um die betreffenden Erzeugnisse zu kategorisieren. Die in Rede stehenden Erzeugnisse werden nämlich in verschiedenen Gruppen, Untergruppen und Kategorien zusammengefasst. Etwas vereinfacht ausgedrückt, handelt es sich dabei um folgende: i) Die Richtlinie gilt für „Tabakerzeugnisse“ und bestimmte verwandte (d. h. nicht aus Tabak bestehende) Erzeugnisse(20); ii) bei Tabakerzeugnissen kann zwischen „rauchlosen Tabakerzeugnissen“ und „Rauchtabakerzeugnissen“ unterschieden werden; iii) die zu diesen beiden Gruppen gehörenden Tabakerzeugnisse werden anschließend in spezifische Kategorien eingeteilt; iv) Erzeugnisse, die nicht in die bestehenden spezifischen Kategorien fallen und die nach dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie in Verkehr gebracht werden, gelten als „neuartige Tabakerzeugnisse“(21).

49.      Die Komplexität dieser Regelung wird durch zwei zusätzliche Faktoren erhöht. Erstens erkennt die Richtlinie 2014/40 an, dass es Erzeugnisse gibt, die aufgrund ihrer Merkmale oder ihres Verwendungszwecks in zwei oder mehr spezifische Kategorien fallen können(22). Zweitens ergibt sich aus der Richtlinie, dass „neuartige Tabakerzeugnisse“ unter die Definition von rauchlosen Tabakerzeugnissen oder von Rauchtabakerzeugnissen fallen können(23).

50.      Vor diesem Hintergrund teile ich die Auffassung der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, dass die Kommission nicht befugt ist, die in der Richtlinie 2014/40 vorgesehenen Gruppen und Kategorien zu ändern oder die für sie geltenden materiell-rechtlichen Bestimmungen zu variieren. Aus dem Vorstehenden ergibt sich jedoch nicht, dass die Liste der „bestimmten“ Kategorien abschließend und erschöpfend wäre. Wenn das der Fall wäre, wäre Art. 2 Nr. 14 Buchst. a der Richtlinie 2014/40, wonach neuartige Tabakerzeugnisse u. a. „nicht in eine der nachstehenden Kategorien [fallen]: Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen, Pfeifentabak, Wasserpfeifentabak, Zigarren, Zigarillos, Kautabak, Schnupftabak und Tabak zum oralen Gebrauch“(24), merkwürdig formuliert, da diese Kategorien im Prinzip sämtliche in Art. 2 aufgeführten Kategorien umfassen. Der Wortlaut legt vielmehr nahe, dass es durchaus – zumindest möglicherweise – andere Kategorien von Tabakerzeugnissen geben kann. Wenn außerdem die aufgeführten Kategorien denjenigen entsprechen, die nach Ansicht der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens und der italienischen Regierung die „bestimmten Kategorien“ im Sinne von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 bilden, stellt sich die Frage, warum dieser Ausdruck nicht auch in Art. 2 Nr. 14 Buchst. a dieser Richtlinie verwendet wurde.

51.      Das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Planta Tabak(25), auf das die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens verweisen, stellt dies nicht in Frage. In diesem Urteil hat der Gerichtshof lediglich bestätigt, dass erstens bestimmte in Art. 2 der Richtlinie 2014/40 definierte Erzeugniskategorien tatsächlich „Erzeugniskategorien“ im Sinne von Art. 7 dieser Richtlinie sind und dass zweitens der Begriff „Erzeugniskategorien“ in der gesamten Richtlinie einheitlich ausgelegt werden sollte. Mir ist nicht ersichtlich, welche Stelle dieses Urteils die Auffassung stützen würde, dass als Erzeugniskategorien nur die in Art. 2 der Richtlinie definierten Kategorien in Betracht kommen können.

52.      Wie die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens hervorheben, trifft es zwar zu, dass es keine Bestimmung ausdrücklich der Kommission gestattet, neue Erzeugniskategorien zu schaffen. Allerdings gibt es auch keine Bestimmung, die es der Kommission ausdrücklich verböte, dergleichen zu tun. Ob die Kommission hierzu berechtigt ist, hängt daher meines Erachtens davon ab, ob dies als erforderlich angesehen werden kann, um die ordnungsgemäße Ausübung der ihr nach Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 übertragenen Befugnisse sicherzustellen.

53.      Wenn diese Bestimmungen auch für neuartige Tabakerzeugnisse gelten, muss die Kommission dazu in der Lage sein, eine neue Erzeugniskategorie zu schaffen. Wie bereits ausgeführt, ermächtigen diese Bestimmungen die Kommission nämlich nur zu einem Tätigwerden in Bezug auf bestimmte Erzeugniskategorien, und es wäre abwegig, „neuartige Tabakerzeugnisse“ als eine dieser Kategorien anzusehen. Andernfalls würde dies bedeuten, dass ein erheblicher Anstieg des Absatzes eines neuen Erzeugnisses die Kommission zwingen würde, die Ausnahmen für alle neuartigen Tabakerzeugnisse zurückzunehmen, einschließlich solcher Erzeugnisse, die (hinsichtlich der Zusammensetzung, der Art der Verwendung, der organoleptischen Merkmale usw.) mit dem zuvor genannten Erzeugnis wenig Gemeinsamkeiten haben und darüber hinaus auch einen sehr begrenzten Absatz haben können. Hierin läge eine abwegige Auslegung der Richtlinie.

54.      Nach alledem ist meines Erachtens die entscheidende Frage, ob die Richtlinie 2014/40 andere Gesichtspunkte aufweist, die über meine Ausführungen in Nr. 42 der vorliegenden Schlussanträge hinaus darauf hindeuten, dass die Befugnisübertragung an die Kommission zur Rücknahme von Ausnahmen auch neuartige Tabakerzeugnisse umfasst.

55.      Meines Erachtens gibt es solche Gesichtspunkte.

3.      Systematische Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 – erster Teil

56.      Erstens bin ich der Ansicht, dass eine systematische Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 insgesamt nahelegt, dass die Kommission die Ausnahmen auch für bestimmte neuartige Tabakerzeugnisse zurücknehmen kann. Wenngleich es Anhaltspunkte für eine andere Auslegung dieser Bestimmungen gibt, sind die Anhaltspunkte, die für einen größeren Spielraum der Kommission bei der Umsetzung der in Rede stehenden Verpflichtungen sprechen, überzeugender als diejenigen, die dagegen sprechen.

57.      Zunächst einmal ist unstreitig, dass die Vorschriften der Richtlinie 2014/40 allgemein auf neuartige Tabakerzeugnisse Anwendung finden. Insoweit sieht Art. 19 Abs. 4 der Richtlinie vor, dass „[n]euartige Tabakerzeugnisse, die in Verkehr gebracht werden, … den Anforderungen dieser Richtlinie genügen [müssen]“ und dass die Frage, welche konkreten Bestimmungen dieser Richtlinie auf neuartige Tabakerzeugnisse anwendbar sind, „sich danach [richtet], ob diese Erzeugnisse unter die Definition der rauchlosen Tabakerzeugnisse oder des Rauchtabakerzeugnisses fallen“. Diese Regelung findet auch Ausdruck im 35. Erwägungsgrund der Richtlinie, in dem es heißt: „Damit gleiche Ausgangsbedingungen gewährleistet sind, sollten neuartige Tabakerzeugnisse, die Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Richtlinie sind, den Anforderungen dieser Richtlinie genügen.“

58.      In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen und unter Berücksichtigung dessen, dass erstens die Vorschriften über die in Rede stehenden Verpflichtungen und über die in Rede stehenden Ausnahmen eindeutig auf neuartige Tabakerzeugnisse anwendbar sind(26) und dass zweitens die Vorschriften über die Rücknahme „neuartige Tabakerzeugnisse“ nicht ausdrücklich ausschließen(27), scheint es vernünftig, anzunehmen, dass neuartige Tabakerzeugnisse auch in den Anwendungsbereich der Vorschriften über die Rücknahme der Ausnahmen fallen müssen.

59.      Wenn der Unionsgesetzgeber nicht gewollt hätte, dass die in Rede stehenden Verpflichtungen auf neuartige Tabakerzeugnisse anwendbar sind, wäre es schließlich unkomplizierter gewesen, solche Erzeugnisse unmittelbar vom Anwendungsbereich der einschlägigen Bestimmungen auszunehmen, statt eine Kombination aus einer grundsätzlichen Verpflichtung und einer nicht zurücknehmbaren Ausnahme von dieser Verpflichtung vorzusehen.

60.      Diese Auffassung scheint dadurch bestätigt zu werden, dass die Richtlinie 2014/40 in Bezug auf die in Rede stehenden Verpflichtungen bestimmte Sonderregelungen für bestimmte Gruppen oder Kategorien von Erzeugnissen enthält, wie z. B. „Erzeugnisse mit charakteristischen Aromen mit höheren Verkaufsmengen“(28) oder „elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter“(29). Ganz allgemein werden, wenn für bestimmte Erzeugnisse Sonderregelungen gelten, die mithin von der allgemeinen oder sektoralen Regelung abweichen, solche Abweichungen in den Bestimmungen der Richtlinie ausdrücklich formuliert(30).

61.      Darüber hinaus dürften meine Schlussfolgerungen auch eher im Einklang mit dem rechtlichen Rahmen stehen, den das FCTC und die FCTC‑Leitlinien bilden. Das Rahmenübereinkommen ist, wie im siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/40 ausgeführt wird, für die Union und ihre Mitgliedstaaten bindend und sollte daher bei der Festlegung von Vorschriften zu Materien wie denjenigen, die in der Richtlinie 2014/40 geregelt werden, umgesetzt werden. Was die FCTC‑Leitlinien anbelangt, so sind diese zwar nicht rechtsverbindlich, doch bezwecken sie gemäß den Art. 7 und 9 des FCTC, die Vertragsparteien bei der Umsetzung der Vorschriften dieses Übereinkommens zu unterstützen(31). Aus diesem Grund hat sich der Unionsgesetzgeber dafür entschieden, sie in der Richtlinie 2014/40 gebührend zu berücksichtigen(32).

62.      Zwar beziehen sich die FCTC‑Leitlinien in mehreren Punkten auf neuartige Tabakerzeugnisse(33); indessen legen sie nicht nahe, dass solche Erzeugnisse im Vergleich zu herkömmlichen Erzeugnissen, insbesondere im Hinblick auf Maßnahmen, die die Inhaltsstoffe und die Kennzeichnung betreffen, eine weniger strenge Behandlung erfahren sollten(34). Das Gleiche gilt für das FCTC: Keine der Bestimmungen dieses Übereinkommens legt nahe, dass solche Erzeugnisse vorübergehend nicht unter die allgemeinen Regelungen fallen könnten, während ihre Auswirkungen auf den Markt und auf die öffentliche Gesundheit geprüft werden(35).

63.      Ich kann daher unter den für die systematische Auslegung relevanten Gesichtspunkten keinen erkennen, der gegen die Feststellung spräche, dass die Kommission durchaus entscheiden kann, die Ausnahmen in Bezug auf bestimmte neuartige Tabakerzeugnisse zurückzunehmen. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens und die italienische Regierung verweisen jedoch auf andere Gesichtspunkte für die systematische Auslegung, die ihrer Ansicht nach ihre Auffassung stützen. Auf diese Argumente werde ich im Folgenden eingehen.

4.      Systematische (und historische) Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 – zweiter Teil

64.      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen zunächst geltend, dass eine „weite“ Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40, nach der diese Artikel auch auf neuartige Tabakerzeugnisse Anwendung fänden, nicht mit den Regelungen in Art. 19 Abs. 1 und Art. 28 dieser Richtlinie vereinbar sei. Diese Bestimmungen zeigten, dass der Unionsgesetzgeber eine Sonderregelung für neuartige Tabakerzeugnisse beabsichtigt habe.

65.      Mit Art. 19 Abs. 1 wird ein System zur Meldung neuartiger Tabakerzeugnisse bei den nationalen Behörden eingeführt, bevor solche Erzeugnisse in Verkehr gebracht werden. Die bereitzustellenden Informationen sollen u. a. „eine detaillierte Beschreibung des betreffenden neuartigen Tabakerzeugnisses sowie eine Gebrauchsanweisung dafür und Informationen über Inhaltsstoffe und Emissionen“ umfassen. Art. 28 der Richtlinie verpflichtet die Kommission, „bei Bedarf“ einen Bericht über die Anwendung der Richtlinie vorzulegen. In diesem Bericht soll die Kommission ein besonderes Augenmerk u. a. auf die „Entwicklungen des Marktes in Bezug auf neuartige Tabakerzeugnisse“ und die „Marktentwicklungen, die eine wesentliche Änderung der Umstände darstellen“, legen. Diesem Bericht sollen „Vorschläge zur Änderung dieser Richtlinie, die von der Kommission für nötig erachtet werden“, folgen.

66.      Ich räume ein, dass man diese beiden Bestimmungen auf den ersten Blick so verstehen könnte, dass sie darauf hindeuten, dass der Unionsgesetzgeber in Bezug auf neuartige Tabakerzeugnisse einen abwartenden „wait and see“-Ansatz verfolgt und sich dabei die Entscheidung, wie solche Erzeugnisse zukünftig geregelt werden sollten, vorbehalten hat(36).

67.      Bei näherer Betrachtung sind diese Bestimmungen meines Erachtens jedoch anders zu verstehen.

68.      Erstens scheint ein abwartender „wait and see“-Ansatz mit dem klaren Wortlaut des 35. Erwägungsgrundes und von Art. 19 Abs. 4 der Richtlinie 2014/40 – in Nr. 57 der vorliegenden Schlussanträge angeführt – unvereinbar zu sein: Nach diesem Wortlaut müssen solche Erzeugnisse den Anforderungen der Richtlinie genügen. Zudem würde Art. 19 Abs. 4 Satz 2 („Welche der Bestimmungen dieser Richtlinie auf neuartige Tabakerzeugnisse anwendbar sind, richtet sich danach, ob diese Erzeugnisse unter die Definition der rauchlosen Tabakerzeugnisse oder des Rauchtabakerzeugnisses fallen.“) jeglicher Bedeutung entkleidet, wenn sich die einzig maßgeblichen Anforderungen, wie die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens vortragen, aus Art. 19 der Richtlinie ergäben. Denn offensichtlich betreffen die Meldepflichten nach Art. 19 Abs. 1 und 2 beide Gruppen von Erzeugnissen. Die Wendung „welche der Bestimmungen dieser Richtlinie … anwendbar sind“ in Art. 19 Abs. 4 kann sich nur auf die materiell-rechtlichen Bestimmungen der Richtlinie einschließlich der Bestimmungen über die Inhaltsstoffe und die Kennzeichnung beziehen.

69.      Zweitens ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien nicht, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, neuartigen Tabakerzeugnissen einen Vertrauensvorschuss einzuräumen, sondern das Gegenteil: Neuartige Tabakerzeugnisse sollten weiterhin in vollem Umfang den allgemeinen Vorschriften der Richtlinie unterliegen, während ihre Auswirkungen auf die Gesundheit und die Konsumgewohnheiten untersucht werden. Sofern angemessen, könnten sodann für die Zukunft strengere Vorschriften erlassen werden.

70.      Dies bestätigt die im Jahr 2012 veröffentlichte Folgenabschätzung der Kommission. Die von der Kommission bevorzugte Regelungsoption für neuartige Tabakerzeugnisse lautete: „Für neuartige Tabakerzeugnisse wird eine Meldepflicht eingeführt …, und die Kommission wird fünf Jahre nach Umsetzung der [neuen Tabakrichtlinie] einen Bericht über die Entwicklung des Marktes für neuartige Tabakerzeugnisse veröffentlichen. Neuartige Tabakerzeugnisse, die in Verkehr gebracht werden, müssen den Vorschriften über die Kennzeichnung (gesundheitsbezogene Warnhinweise auf beiden Seiten) und die Inhaltsstoffe (Verbot von Erzeugnissen mit charakteristischen Aromen) entsprechen.“ Interessanterweise stützt keine der in der Folgenabschätzung bewerteten Regelungsoptionen das Vorbringen der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens(37).

71.      Dieser Ansatz (Nebeneinander von Meldeverfahren und standardmäßiger Anwendung der allgemeinen Vorschriften) spiegelt sich in vollem Umfang in der im Jahr 2012 vorgelegten Begründung zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie wider. In Abschnitt 3.6 („Neuartige Tabakerzeugnisse“) dieser Begründung führte die Kommission nämlich aus:

„Neuartige Tabakerzeugnisse … [müssen, d]amit gleiche Ausgangsbedingungen gewährleistet sind, … einige Bestimmungen der Richtlinie (z. B. zur Kennzeichnung und zu den Inhaltsstoffen) erfüllen; welche Bestimmungen dies im Einzelnen sind, richtet sich danach, ob das Erzeugnis mittels eines Verbrennungsprozesses konsumiert wird oder nicht.

In dem Vorschlag ist ferner eine Anmeldepflicht für neuartige Tabakerzeugnisse vorgesehen; zur Marktentwicklung bei diesen Erzeugnissen wird die Kommission fünf Jahre nach Frist für die Umsetzung der Richtlinie einen Bericht veröffentlichen. …“(38)

72.      Drittens scheint die bisherige Rechtsprechung die vorstehenden Schlussfolgerungen zu bestätigen. In seinem Urteil Philip Morris Brands u. a. hat der Gerichtshof klargestellt, dass der Unionsgesetzgeber mit der Richtlinie 2014/40 „beschlossen hat, einheitliche Regeln für sämtliche Tabakerzeugnisse mit einem charakteristischen Aroma zu erlassen“(39). Dies wird durch Rn. 32 des Urteils Swedish Match(40) nicht in Frage gestellt. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen geltend, der Gerichtshof habe an dieser Stelle entschieden, dass neuartige Tabakerzeugnisse, da ihre Auswirkungen auf die Gesundheit und die Konsumgewohnheiten noch nicht verifiziert werden könnten, nur in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/40 einbezogen worden seien, um sie dem Meldeverfahren zu unterwerfen.

73.      Diese Auffassung teile ich nicht. An dieser Stelle hat der Gerichtshof betonen wollen, dass der Verkauf neuartiger Tabakerzeugnisse – anders als bei Tabak zum oralen Gebrauch – nicht verboten war, weil ihre Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und die Dynamik des Marktes unbekannt waren. Dies wird deutlich, wenn diese Stelle des Urteils in ihrem eigentlichen Zusammenhang gelesen wird. Was der Gerichtshof geprüft hat, war, ob die Richtlinie 2014/40 gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstieß, soweit sie das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch verbot, während sie die Vermarktung anderer Tabakerzeugnisse einschließlich neuartiger Tabakerzeugnisse erlaubte. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine der in dem Verfahren, das letztlich zum Erlass der Richtlinie 2014/40 führte, in Betracht gezogenen Regelungsoptionen darin bestand, ein unumwundenes Verbot des Verkaufs neuartiger Tabakerzeugnisse einzuführen, wie es bereits für Tabak zum oralen Gebrauch bestand(41).

74.      Viertens findet die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens vertretene Auslegung der Art. 19 und 28 der Richtlinie 2014/40 im Wortlaut und im Telos dieser Bestimmungen keine Stütze: Sie haben einen weiten Anwendungsbereich und betreffen nicht speziell die in Rede stehenden Verpflichtungen.

75.      Das in Art. 19 und Art. 28 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2014/40 vorgesehene Meldesystem verfolgt mehrere Ziele, namentlich, erstens, es den Mitgliedstaaten zu gestatten, das Inverkehrbringen solcher Erzeugnisse zuzulassen (sofern sie über ein entsprechendes System verfügen)(42), zweitens die anwendbaren Bestimmungen der Richtlinie 2014/40 zu bestimmen(43) und, drittens, die Union und die nationalen Behörden über relevante Markt- und wissenschaftliche Entwicklungen im Hinblick auf etwaige Änderungen der Richtlinie auf dem Laufenden zu halten(44). Art. 19 der Richtlinie 2014/40 stellt weder ausdrücklich noch implizit eine Verbindung zwischen der betreffenden Meldung und der Notwendigkeit einer Prüfung durch den Unionsgesetzgeber zu der Frage her, ob die in Rede stehenden Verpflichtungen durch eine Rücknahme der Ausnahmen anwendbar gemacht werden sollten.

76.      Was Art. 28 der Richtlinie 2014/40 anbelangt, so scheint es mir völlig auf der Hand zu liegen, dass ein Gesetzgebungsakt zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen wohl im Laufe der Zeit regelmäßiger Überprüfungen bedarf, da sich der Markt ständig weiterentwickelt (vorhandene Erzeugnisse können sich verändern, neue Erzeugnisse können in Verkehr gebracht werden und die Vorlieben der Verbraucher können sich ändern) und neue wissenschaftliche Studien verfügbar werden. Ebenso liegt es auf der Hand, dass der Unionsgesetzgeber den Rechtsrahmen – sowohl hinsichtlich der allgemeinen Grundsätze und Definitionen als auch hinsichtlich der spezifischeren Vorschriften über Verpflichtungen, Ausnahmen und die Rücknahme von Ausnahmen – womöglich ändern möchte, um diese Vorschriften insbesondere an die Besonderheiten von Tabakerzeugnissen anzupassen, die nach dem Erlass der Richtlinie 2014/40 in Verkehr gebracht wurden.

77.      Selbstverständlich könnte der Unionsgesetzgeber dabei nach dem Grundsatz a maiore ad minus („wer mehr darf, darf auch weniger“)(45) auch selbst über die Fragen befinden, für die er der Kommission Befugnisse übertragen hat. Daher bin ich nicht der Ansicht, dass die Verweise auf neuartige Tabakerzeugnisse und eine etwaige Änderung der Umstände in Art. 28 der Richtlinie 2014/40 der von Irland, der französischen Regierung und der Kommission vertretenen Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 dieser Richtlinie entgegenstehen.

78.      Fünftens stünde ein abwartender „wait and see“-Ansatz nicht im Einklang mit dem – insbesondere in Art. 35 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 9 AEUV, Art. 114 Abs. 3 AEUV und Art. 168 Abs. 1 AEUV(46) verankerten – Vorsorgeprinzip, das nach ständiger Rechtsprechung anwendbar ist, wenn die Unionsorgane im Rahmen der Binnenmarktpolitik Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit erlassen(47). Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Unionsgesetzgeber bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit nach diesem Prinzip Schutzmaßnahmen treffen kann, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden(48).

79.      Schließlich geriete die dreistufige Regelung, die mit der Richtlinie 2014/40 in Bezug auf die in Rede stehenden Verpflichtungen eingeführt wurde (Grundregel/Ausnahme/Rücknahme der Ausnahme), etwas in Schieflage, wenn ihre dritte Stufe für bestimmte Erzeugnisse abgeschafft werden würde. Darauf werde ich unten in Abschnitt 6 zurückkommen.

5.      Systematische Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 – dritter Teil

80.      Ferner verweisen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens auf Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie 2014/40, wonach eine „wesentliche Änderung der Umstände“ einen gewissen prozentualen Anstieg der Absatzmengen oder einen gewissen prozentualen Anstieg des Niveaus der Verbreitung der Verwendung in der Verbrauchergruppe der unter 25-Jährigen (um 10 % bzw. 5 %) erfordere. Sie werfen die Frage auf, ob diese Schwellenwerte von neuartigen Tabakerzeugnissen nicht allzu leicht erreicht würden, da diese Erzeugnisse zum Zeitpunkt ihres Markteintritts wahrscheinlich nur einen geringen Absatz hätten. Die Klägerinnen weisen im Wesentlichen darauf hin, dass jede signifikante Expansion auf dem Markt die Schwelle für einen Anstieg des Absatzes um 10 % leicht erreichen und somit zur Rücknahme der Ausnahmen führen könne.

81.      Die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens geäußerten Zweifel sind in gewissem Umfang nachvollziehbar. Ich denke jedoch nicht, dass die in Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie 2014/40 festgelegten Voraussetzungen neuartige Tabakerzeugnisse zu Unrecht benachteiligen.

82.      Erstens ist die Hürde relativ hoch, die eine Erzeugniskategorie (sei sie herkömmlich oder neu) überwinden muss, damit eine solche Änderung von Umständen eintritt: Die Absatzmenge des betreffenden Erzeugnisses auf Einzelhandelsebene muss mehr als 2,5 % des Gesamtverkaufs von Tabakerzeugnissen in der Union ausmachen. Wird dieser Schwellenwert von 2,5 % nicht erreicht, kann es keine Rücknahme der Ausnahmen geben, unabhängig von der Höhe des Absatzanstiegs oder der Zunahme der Verwendung durch junge Menschen. In einem Markt, in dem im Jahr 2020 ungefähr 600 Millionen Stück verkauft wurden(49), stellt der Schwellenwert von 2,5 % meines Erachtens sicher, dass nur Erzeugnisse mit einer erheblichen Präsenz in der Union von einer Rücknahme der Ausnahmen betroffen sein können.

83.      Darüber hinaus muss in mindestens fünf Mitgliedstaaten ein Anstieg des Absatzes der betreffenden Erzeugnisse oder des Niveaus ihrer Verwendung durch junge Menschen festgestellt werden. Diese Anforderung führt unweigerlich dazu, dass solche Erzeugnisse nicht betroffen sind, die auf dem Unionsmarkt im Wesentlichen auf lokaler Ebene oder lediglich geringfügig präsent sind.

84.      Schließlich handelt es sich bei den Verkaufsdaten, die für die Beurteilung einer etwaigen Änderung der Umstände herangezogen werden, um die Daten, die von den Herstellern und Einführern selbst jährlich übermittelt werden. Das gewährleistet nicht nur die Qualität der Daten, sondern auch, dass ein sporadischer oder vorübergehender Anstieg des Absatzes nicht zur Rücknahme der Ausnahmen führen kann, da der Absatzanstieg nur durch einen Vergleich der jährlichen Daten ermittelt werden kann. Auch in Bezug auf das Niveau der Verwendung durch junge Menschen verpflichtet die Richtlinie die Kommission, ihre Beurteilung auf „den Eurobarometer-Sonderbericht 385 vom Mai 2012 oder … gleichwertige Prävalenzstudien“ zu stützen. Meines Erachtens sind unter „gleichwertigen“ Studien solche Studien zu verstehen, die in Bezug auf Genauigkeit und Ausführlichkeit mit dem Eurobarometer-Sonderbericht 385 vom Mai 2012 vergleichbar sind: Hierbei handelt es sich um eine recht in die Tiefe gehende Studie der Lage auf den nationalen Märkten(50).

85.      Daher halte ich die auf Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie 2014/40 gestützten Argumente der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nicht für überzeugend.

6.      Teleologische Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6

86.      Zweitens steht die Auffassung, wonach die dreistufige Regelung aus „Grundregel/Ausnahme/Rücknahme der Ausnahme“ uneingeschränkt auf neuartige Tabakerzeugnisse anwendbar ist, im Einklang mit den beiden Hauptzielen der Richtlinie 2014/40(51).

87.      Einerseits stärkt dieses System den Binnenmarkt, da es zu einheitlicheren Vorschriften für neuartige Tabakerzeugnisse führt(52). Zwar fällt die Regelung solcher Erzeugnisse weitgehend in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Gleichwohl sind die Auswirkungen einer Rücknahmeentscheidung in dieser Hinsicht eher begrenzt: Sie führt lediglich dazu, dass bestimmte neuartige Tabakerzeugnisse den allgemeinen Vorschriften über Inhaltsstoffe und Kennzeichnung entsprechen müssen. Dies lässt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Zulassung solcher Produkte keineswegs ins Leere laufen, wie PJ Carroll geltend macht.

88.      Vielmehr stünde eine Entscheidung, den Grad der Harmonisierung in dieser Hinsicht zu erhöhen, im Einklang mit der Auffassung des Gesetzgebers, wonach das Fehlen eines harmonisierten Ansatzes hinsichtlich der Inhaltsstoffe und der Kennzeichnung das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts behindere(53) und die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften in Zukunft wahrscheinlich zunähmen(54).

89.      Der soeben dargestellte Ansatz liegt auf einer Linie mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach „Art. 114 AEUV zwar als Rechtsgrundlage herangezogen werden [kann], um der Entstehung neuer Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, doch muss das Entstehen solcher Hindernisse wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken“(55). Außerdem geht aus der Rechtsprechung eindeutig hervor, dass sich der Unionsgesetzgeber, wenn die Voraussetzungen für die Heranziehung von Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage erfüllt sind, auf diese Grundlage stützen kann, auch wenn dem Gesundheitsschutz bei den zu treffenden Entscheidungen maßgebliche Bedeutung zukommt(56).

90.      Dies gilt sowohl für den ursprünglichen Rechtsakt als auch für jede spätere Änderung dieses Rechtsakts. Wie der Gerichtshof entschieden hat, kann der Unionsgesetzgeber im Hinblick auf seine Aufgabe, über den Schutz der im Vertrag anerkannten allgemeinen Interessen zu wachen, nicht daran gehindert sein, einen Rechtsakt zur Angleichung des Rechts der Mitgliedstaaten den Umständen oder neuen Erkenntnissen anzupassen. In einem solchen Fall kann der Unionsgesetzgeber seine Aufgabe, über den Schutz der im Vertrag anerkannten allgemeinen Interessen zu wachen, nämlich nur dann ordnungsgemäß wahrnehmen, wenn es ihm erlaubt ist, die einschlägigen Unionsvorschriften den Umständen oder neuen Erkenntnissen anzupassen(57). Folglich ist das Vorbringen von PJ Carroll zu einer möglichen Problematik im Hinblick auf Art. 168 Abs. 5 AEUV – der eine Harmonisierung im Bereich des Schutzes der menschlichen Gesundheit ausschließt – offensichtlich unbegründet.

91.      Andererseits würde die von mir vorgeschlagene Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 die Wirksamkeit dieses Rechtsakts im Hinblick auf das Ziel, ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit zu erreichen, verbessern, da die Verbraucher wirksamer vor den Risiken neuartiger Tabakerzeugnisse geschützt wären(58). Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass, wenn die Rücknahme der Ausnahmen für solche Erzeugnisse dem Unionsgesetzgeber vorbehalten wäre, unweigerlich ein erheblicher Zeitraum verstreichen würde, bevor dies umgesetzt werden könnte. Die Änderung der Richtlinie müsste nämlich im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erfolgen, und in der Richtlinie müsste eine angemessene Frist für ihre Umsetzung festgelegt werden. Dagegen ist das Verfahren zum Erlass eines delegierten Rechtsakts durch die Kommission üblicherweise viel schneller.

92.      Die vorstehenden Erwägungen scheinen umso zwingender, als sich die Richtlinie auf junge Menschen konzentriert(59). Der Sinn und Zweck des Aromaverbots besteht beispielsweise darin, die Vermarktung von Erzeugnissen zu verhindern, die für junge Menschen besonders attraktiv sein und dadurch den Einstieg in den Tabakkonsum erleichtern könnten(60). Vor diesem Hintergrund erscheint es recht folgerichtig, dass die Ausnahme von diesem Verbot, die für neuartige Tabakerzeugnisse gilt, rasch zurückgenommen werden kann, wenn ein neuartiges Tabakerzeugnis innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums Fuß fassen sollte. Die Überlegung, dass neuartige Tabakerzeugnisse häufig so konzipiert und vermarktet werden dürften, dass sich der Kundenkreis für Tabakerzeugnisse erweitert, anstatt Bestandskunden zu einem Wechsel des von ihnen bevorzugten Erzeugnisses zu bewegen, ist nicht abwegig.

93.      Richtig ist zwar, wie die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens hervorheben, dass die Kategorie der „neuartigen Tabakerzeugnisse“ eine breit gefächerte und heterogene Kategorie ist, die u. a. Erzeugnisse mit begrenzten Tabakmengen umfasst. Insofern solche Erzeugnisse für die menschliche Gesundheit weniger gefährlich sein könnten und ihre tatsächlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit je nach Art des Erzeugnisses unterschiedlich sein könnten, erachten die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens es als Gebot der Vernunft, dass die Entscheidung darüber, ob die in Rede stehenden Ausnahmen zurückgenommen werden sollten, dem Unionsgesetzgeber vorbehalten bleiben sollte.

94.      Allerdings hat der Unionsgesetzgeber insoweit offenbar bereits einen klaren Standpunkt eingenommen. Wie oben ausgeführt, heißt es nämlich im 34. Erwägungsgrund: „Alle Tabakerzeugnisse können Todesfälle, Morbidität und Behinderungen verursachen. Daher sollte ihre Herstellung, ihr Vertrieb und ihr Konsum geregelt werden.“ Bezeichnenderweise heißt es im unmittelbar folgenden 35. Erwägungsgrund: „Damit gleiche Ausgangsbedingungen gewährleistet sind, sollten neuartige Tabakerzeugnisse, die Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Richtlinie sind, den Anforderungen dieser Richtlinie genügen.“

95.      Der Unionsgesetzgeber war somit der Auffassung, dass erstens alle Tabakerzeugnisse für die menschliche Gesundheit gefährlich sind und zweitens neuartige Tabakerzeugnisse grundsätzlich denselben Regeln unterliegen sollten wie die herkömmlichen Tabakerzeugnisse, um gleiche Ausgangsbedingungen zu gewährleisten.

7.      Abschließende Erwägungen

96.      Schließlich haben mehrere der Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, auf bestimmte Stellen verschiedener Dokumente der Unionsorgane oder einiger Mitgliedstaaten verwiesen, die ihr Vorbringen untermauern sollen.

97.      Ich fand keinen dieser Verweise besonders überzeugend, auch wenn sie insgesamt eher für meine Auffassung zu sprechen scheinen.

98.      Erstens weise ich darauf hin, dass die bereits in Nr. 71 der vorliegenden Schlussanträge erwähnte Begründung zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie(61) weitere Erwägungen enthält, die – insbesondere zusammengenommen – die von Irland, der französischen Regierung und der Kommission vorgeschlagene Auslegung von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 zu bestätigen scheinen. Insbesondere sieht dieses Dokument offenbar erstens in Bezug auf die in Rede stehenden Verpflichtungen denselben Anwendungsbereich für die Ausnahmen und ihre Rücknahme vor(62), deutet zweitens darauf hin, dass neue Tabakerzeugnisse den Anforderungen der Richtlinien genügen müssen und dass die anwendbaren Vorschriften über die Kennzeichnung und die Inhaltsstoffe (nur) davon abhängen, ob das Erzeugnis mittels eines Verbrennungsprozesses konsumiert wird oder nicht(63), und es enthält drittens den Hinweis, dass „die Uneinheitlichkeit der Regeln für Kennzeichnung und Inhaltsstoffe … beispielsweise dazu [führt], dass die Industrie je nach Markt unterschiedliche Produktlinien produzieren muss“ und dass daher „[n]ur ein harmonisierter Ansatz auf EU-Ebene auf diesen Feldern … Hindernisse im grenzüberschreitenden Handel ausräumen und der Fragmentierung Einhalt gebieten, zugleich aber ein vergleichbar hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleisten [kann]“(64).

99.      Insoweit die Begründung jedoch die Struktur und den sprachlichen Duktus des Vorschlags widerspiegelt, sollte ihr Mehrwert für die Auslegung nicht überschätzt werden.

100. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens wiederum verweisen auf den Bericht der Kommission aus dem Jahr 2021 über die Anwendung der Richtlinie 2014/40 über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen(65). In diesem Bericht stellte die Kommission fest, dass „es ohne die Flexibilität zur Festlegung neuer Kategorien schwierig [ist], die für bestehende Kategorien entwickelten Vorschriften auf neuartige Tabakerzeugnisse anzuwenden, da darin nicht unbedingt auf die unterschiedlichen Eigenschaften der neuen Erzeugnisse eingegangen wird“(66). Angesichts dieser Feststellung tragen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens vor, die Kommission habe ausdrücklich eingeräumt, dass ihr die Befugnis zur Schaffung neuer Kategorien von Erzeugnissen fehle.

101. Diese Stelle des Berichts von 2021 ist zugegebenermaßen mehrdeutig. Ich bezweifle jedoch, dass ihre Auslegung durch die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens richtig ist. Meines Erachtens bezieht sich der von der Kommission beklagte Mangel an Flexibilität darauf, dass sie nicht in der Lage ist, neue Kategorien (oder Unterkategorien) zu schaffen, für die die Anwendung der materiell-rechtlichen Vorschriften der Richtlinie variiert oder angepasst werden kann. Nach meinem Verständnis bezieht sich die Feststellung der Kommission nicht auf die (viel enger gefasste) Frage, ob für die Zwecke von Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 neue Kategorien festgelegt werden könnten. Andere Stellen dieses Berichts deuten nämlich darauf hin, dass die Kommission die Rücknahme der Ausnahmen für neuartige Tabakerzeugnisse für möglich hielt und sich dabei ausdrücklich auf erhitzte Tabakerzeugnisse bezieht(67).

102. Jedenfalls sollte der Lesart der Richtlinie, wie sie die Kommission nach dem Erlass dieses Rechtsakts zum Ausdruck gebracht hat, keine ungebührlich große Bedeutung beigemessen werden, wenn dem Gerichtshof eine Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt worden ist(68). Entsprechendes gilt ebenso für die Erklärungen der drei Mitgliedstaaten, die während des Ausschussverfahrens die Ansicht vertreten haben, mit dem Erlass der Delegierten Richtlinie 2022/2100 überschreite die Kommission die ihr vom Unionsgesetzgeber übertragenen Befugnisse.

103. Als die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in der mündlichen Verhandlung gefragt worden sind, ob ihnen ein vorbereitendes Dokument, insbesondere des Parlaments oder des Rates, bekannt sei, das ihre Position stütze (in dem z. B. die Auffassung vertreten werde, dass entgegen dem Vorschlag der Kommission für neuartige Tabakerzeugnisse eine Sonderregelung oder jedenfalls eine weniger strenge Regelung gelten müsse), haben sie diese Frage im Wesentlichen verneint.

104. Zudem vermag auch das Argument der italienischen Regierung mich nicht zu überzeugen, dass die Kommission durch die Schaffung einer neuen Kategorie von Erzeugnissen, die sowohl Rauchtabakerzeugnisse als auch rauchlose Tabakerzeugnisse umfassen könne, ein „tertium genus“ geschaffen habe, das nicht in das System der Richtlinie 2014/40 passe, da ein Tabakerzeugnis zwingend entweder rauchlos oder zum Rauchen bestimmt sein müsse.

105. Wie ich in Nr. 49 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, erwähnt die Richtlinie selbst die Möglichkeit, dass bestimmte Erzeugnisse unter die Definitionen von zwei oder mehr Kategorien fallen können, und in diesem Fall gelten die strengeren Vorschriften. Keine Bestimmung der Richtlinie 2014/40 sieht eine allgemeine und unbedingte Regel vor, nach der jedes Erzeugnis, das zu einer bestimmten Kategorie gehört, den gleichen Regeln unterliegen muss. Ich wüsste auch nicht, warum es grundsätzlich nicht möglich sein sollte, dass eine neue Erzeugniskategorie (im vorliegenden Fall erhitzte Tabakerzeugnisse), die nur im Hinblick auf die in Rede stehenden Verpflichtungen eingeführt wurde, sowohl Rauchtabakerzeugnisse als auch rauchlose Tabakerzeugnisse umfasst.

106. Schließlich liegt auch keine Umgehung der vom Unionsgesetzgeber im Hauptrechtsakt vorgesehenen allgemeinen Regeln vor, da – und dies scheint mir recht klar zu sein – die Kennzeichnungspflichten, die nach den Art. 9 und 10 der Richtlinie 2014/40 nur für Rauchtabakerzeugnisse gelten, nicht für erhitzte Tabakerzeugnisse gelten, die nicht mittels eines Verbrennungsprozesses konsumiert werden.

107. Nach alledem komme ich zu dem Ergebnis, dass die Kommission die ihr vom Unionsgesetzgeber in Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 übertragenen Befugnisse nicht überschritten hat, indem sie eine neue Kategorie von Erzeugnissen (erhitzte Tabakerzeugnisse) geschaffen und die Ausnahmen für diese Kategorie zurückgenommen hat. Folglich hat die Prüfung der ersten Vorlagefrage nichts ergeben, weshalb die Delegierte Richtlinie 2022/2100 ungültig wäre.

B.      Zweite Frage

108. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die Delegierte Richtlinie 2022/2100 deswegen ungültig ist, weil die Kommission nicht berechtigt war, das Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Umstände im Sinne von Art. 2 Nr. 28, Art. 7 Abs. 12 und Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 in Bezug auf erhitzte Tabakerzeugnisse auf der Grundlage des Absatzes von Produkteinheiten („Stückzahlen“) festzustellen. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen geltend, die Kommission hätte die Absatzmengen stattdessen auf der Grundlage des Gewichts unter Berücksichtigung der enthaltenen Tabakmenge ermitteln müssen.

109. Ich stimme den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nicht zu.

110. Um zu definieren, was eine „wesentliche Änderung der Umstände“ darstellt, verweist Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie 2014/40 auf „einen Anstieg der Absatzmengen in einer Erzeugniskategorie …, belegt durch Verkaufsdaten, die gemäß Artikel 5 Absatz 6 zu übermitteln sind …“(69). Diese Bestimmung schreibt also nicht vor, wie die Absatzmengen zu bestimmen sind, sondern verweist lediglich auf die Verkaufsdaten, die Hersteller und Importeure den Mitgliedstaaten mitzuteilen haben. Insoweit sieht Art. 5 Abs. 6 der Richtlinie 2014/40 vor, dass „die Hersteller und Importeure … jährlich die Verkaufsmengendaten je Marke und Art (in Stück oder Kilogramm) und je Mitgliedstaat … melden [müssen]“(70).

111. Beide Optionen (Gewicht oder Stückzahlen) sind auch im Durchführungsbeschluss (EU) 2015/2186 der Kommission zur Festlegung eines Formats für die Bereitstellung und Verfügbarmachung von Informationen über Tabakerzeugnisse(71) vorgesehen. Insbesondere sieht Art. 2 Abs. 1 dieses Beschlusses vor, dass die Hersteller und Importeure Informationen u. a. über die Verkaufsmengen unter Verwendung des im Anhang dieses Beschlusses festgelegten Formats übermitteln. Abschnitt 3 des Anhangs („Übermittlung Produktinformationen und Beschreibung – Teil B“) enthält den Punkt „Produkt_Verkaufsmenge“, der wie folgt lautet: „Jährliche Verkaufsmengen des Produkts je Mitgliedstaat, die pro Jahr in Produkteinheiten oder in kg loser Tabak anzugeben sind“(72).

112. Offenbar haben auch die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens selbst in den letzten Jahren ihren Absatz von erhitzten Tabakerzeugnissen in Stückzahlen angegeben – wie dies bei der großen Mehrheit der in der Union vermarkteten Tabakerzeugnisse geschieht(73).

113. An keiner Stelle ist in den einschlägigen Bestimmungen vorgesehen, dass die Kommission auf Stückzahlen beruhende Daten in gewichtsbasierte Daten umwandeln sollte. Insoweit erscheint es auch relevant, dass, wie Irland anmerkt, die Kommission nach Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie 2014/40 verpflichtet ist, zu prüfen, ob „die Verkaufsmenge der Erzeugniskategorie auf Einzelhandelsebene … mehr als 2,5 % des Gesamtverkaufs von Tabakerzeugnissen in der Union ausmacht“. Augenscheinlich sind daher die Schlüsseldaten, die die Kommission in diesem Zusammenhang zu prüfen hat, gemäß der Vorgabe des Unionsgesetzgebers die Daten über die verkauften Produkteinheiten und nicht die Daten, die sich auf die in diesen Erzeugnissen verwendete Tabakmenge beziehen.

114. Dieser Ansatz steht meines Erachtens im Einklang mit einem der Hauptziele der Richtlinie: der Reduzierung der Verwendung von Tabakerzeugnissen durch junge Menschen, insbesondere indem sie von einem Einstieg in den Tabakkonsum abgehalten werden. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Unionsgesetzgeber, wie bereits ausgeführt, die Auffassung vertreten hat, dass Tabakerzeugnisse im Sinne der Richtlinie 2014/40 alle Erzeugnisse sind, die „auch teilweise … aus Tabak“ bestehen und dass „[a]lle Tabakerzeugnisse … Todesfälle, Morbidität und Behinderungen verursachen [können]“(74).

115. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass die Kommission keinen Fehler begangen hat, als sie anhand der verkauften Produkteinheiten beurteilt hat, ob eine wesentliche Änderung der Umstände in Bezug auf erhitzte Tabakerzeugnisse vorliegen könnte. Folglich hat auch die Prüfung der zweiten Vorlagefrage nichts ergeben, weshalb die Delegierte Richtlinie 2022/2100 ungültig wäre.

V.      Ergebnis

116. Nach alledem hat die Prüfung der vom High Court (Hohes Gericht, Irland) vorgelegten Fragen nichts ergeben, weshalb die Delegierte Richtlinie (EU) 2022/2100 der Kommission vom 29. Juni 2022 zur Änderung der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Rücknahme bestimmter Ausnahmen in Bezug auf erhitzte Tabakerzeugnisse ungültig wäre.












































































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