C-758/24 – Alace

C-758/24 – Alace

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:591

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

1. August 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Asylpolitik – Richtlinie 2013/32/EU – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Art. 36 und 37 – Begriff ‚sicherer Herkunftsstaat‘ – Bestimmung durch einen Gesetzgebungsakt – Anhang I – Kriterien – Art. 46 – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Gerichtliche Prüfung der nationalen Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat – Offenlegung der Informationsquellen, auf die diese Entscheidung gestützt ist “

In den verbundenen Rechtssachen C‑758/24 [Alace](i) und C‑759/24 [Canpelli]i

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale ordinario di Roma (Gericht Rom, Italien), mit Beschlüssen vom 31. Oktober 2024 und 4. November 2024, beim Gerichtshof eingegangen am 4. November 2024 und am 5. November 2024, in den Verfahren

LC (C‑758/24),

CP (C‑759/24)

gegen

Commissione territoriale per il riconoscimento della protezione internazionale di Roma – Sezione procedure alla frontiera II

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten T. von Danwitz, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin), des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis, der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún, der Kammerpräsidenten A. Kumin, N. Jääskinen, D. Gratsias und M. Gavalec, der Richterin I. Ziemele, der Richter J. Passer und Z. Csehi, der Richterin O. Spineanu-Matei sowie der Richter B. Smulders und M. Condinanzi,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2025,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von LC, vertreten durch S. Angilletta, Avvocata,

–        von CP, vertreten durch D. Belluccio und S. Greco, Avvocati,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch S. Fiorentino als Bevollmächtigten im Beistand von L. D’Ascia, E. Feola und I. Massarelli, Avvocati dello Stato,

–        der bulgarischen Regierung, vertreten durch S. O. Ruseva und T. S. Tsingileva als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch A. Edelmannová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch B. Dourthe, O. Duprat-Mazaré und B. Fodda als Bevollmächtigte,

–        der zyprischen Regierung, vertreten durch I. Neophytou und E. Symeonidou als Bevollmächtigte,

–        der lettischen Regierung, vertreten durch J. Davidoviča und S. Zellis als Bevollmächtigte,

–        der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis als Bevollmächtigten,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte,

–        der maltesischen Regierung, vertreten durch A. Buhagiar als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und A. Hanje als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und P. Thalmann als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und D. Lutostańska als Bevollmächtigte,

–        der slowakischen Regierung, vertreten durch E. V. Larišová als Bevollmächtigte,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo und M. Pere als Bevollmächtigte,

–        der schwedischen Regierung, vertreten durch F.‑L. Göransson und J. Olsson als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma, M. Debieuvre und F. Tomat als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. April 2025

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 36 bis 38 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) in Verbindung mit den Erwägungsgründen 42, 46 und 48 sowie Anhang I der Richtlinie und im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und der Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK).

2        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen LC bzw. CP, Staatsangehörigen der Volksrepublik Bangladesch, auf der einen und der Commissione territoriale per il riconoscimento della protezione internazionale di Roma – Sezione procedure alla frontiera II (Örtliche Kommission Rom für die Anerkennung des internationalen Schutzes – 2. Abteilung für Verfahren an der Grenze, Italien) über die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen, mit denen diese Kommission die Anträge von LC und von CP auf internationalen Schutz nach Abschluss beschleunigter Verfahren an der Grenze als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2013/32

3        Die Erwägungsgründe 18, 20, 40, 42, 46 und 48 der Richtlinie 2013/32 lauten:

„(18)      Es liegt im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die internationalen Schutz beantragen, dass über die Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge, entschieden wird.

(20)      Ist ein Antrag voraussichtlich unbegründet oder bestehen schwerwiegende Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung, sollte es den Mitgliedstaaten unter genau bestimmten Umständen möglich sein, das Prüfungsverfahren unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung und der effektiven Inanspruchnahme der in dieser Richtlinie vorgesehenen wesentlichen Grundsätze und Garantien durch den Antragsteller zu beschleunigen, insbesondere indem kürzere, jedoch angemessene Fristen für bestimmte Verfahrensschritte eingeführt werden.

(40)      Ein entscheidendes Kriterium für die Begründetheit eines Antrags auf internationalen Schutz ist die Sicherheit des Antragstellers in seinem Herkunftsstaat. Kann ein Drittstaat als sicherer Herkunftsstaat betrachtet werden, so sollten die Mitgliedstaaten diesen als sicher bestimmen und von der Vermutung ausgehen können, dass dieser Staat für einen bestimmten Antragsteller sicher ist, sofern Letzterer keine Gegenargumente vorbringt.

(42)      Die Bestimmung eines Drittstaates als sicherer Herkunftsstaat im Sinne dieser Richtlinie kann keine absolute Garantie für die Sicherheit von Staatsangehörigen dieses Landes bieten. Bei der dieser Bestimmung zugrunde liegenden Prüfung können naturgemäß nur die allgemeinen staatsbürgerlichen, rechtlichen und politischen Gegebenheiten in dem betreffenden Land sowie der Umstand berücksichtigt werden, ob Personen, die in diesem Land der Verfolgung, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung für schuldig befunden werden, auch tatsächlich bestraft werden. Daher ist es wichtig, dass ein als sicher eingestuftes Land für einen Antragsteller nicht länger als solches gelten kann, wenn dieser aufzeigt, dass es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass das betreffende Land für ihn in seiner besonderen Situation nicht sicher ist.

(46)      Wenn die Mitgliedstaaten einzelfallbezogen Konzepte des sicheren Herkunftsstaats anwenden oder Staaten durch die Annahme entsprechender Listen als sicher einstufen, sollten sie unter anderem die Leitlinien und Handbücher sowie die Informationen über Herkunftsländer und die Maßnahmen, einschließlich der Methode für Berichte mit Informationen über Herkunftsländer des [Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, (EASO)], gemäß der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen [(ABl. 2010, L 132, S. 11)], sowie einschlägige [Leitlinien des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR)] berücksichtigen[.]

(48)      Damit die richtige Anwendung der Konzepte des sicheren Staats ausgehend von aktuellen Informationen sichergestellt wird, sollten die Mitgliedstaaten regelmäßig die Lage in diesen Staaten auf der Grundlage einer Reihe von Informationsquellen überprüfen, einschließlich vor allem der Informationen anderer Mitgliedstaaten, des EASO, des UNHCR, des Europarats und anderer einschlägiger internationaler Organisationen. Erhalten die Mitgliedstaaten Kenntnis von einer wesentlichen Änderung der Menschenrechtslage in einem von ihnen als sicher eingestuften Staat, so sollten sie sicherstellen, dass die Lage so schnell wie möglich überprüft wird, und sollten erforderlichenfalls die Einstufung des Staats als sicherer Staat überprüfen.“

4        Art. 10 („Anforderungen an die Prüfung von Anträgen“) Abs. 3 Buchst. b und Abs. 4 der Richtlinie 2013/32 sieht vor:

„(3)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Asylbehörde ihre Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz nach angemessener Prüfung trifft. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass

b)      genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen, wie etwa EASO und UNHCR sowie einschlägigen internationalen Menschenrechtsorganisationen, eingeholt werden, die Aufschluss geben über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller und gegebenenfalls in den Staaten, durch die sie gereist sind, und diese Informationen den für die Prüfung und Entscheidung der Anträge zuständigen Bediensteten zur Verfügung stehen;

(4)      Die in Kapitel V genannten staatlichen Stellen haben über die Asylbehörde oder den Antragsteller oder in sonstiger Weise Zugang zu den in Absatz 3 Buchstabe b genannten allgemeinen Informationen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen.“

5        In Art. 12 („Garantien für Antragsteller“) Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 heißt es:

„Bezüglich der Verfahren des Kapitels III stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass alle Antragsteller über folgende Garantien verfügen:

d)      Ihnen und gegebenenfalls ihren Rechtsanwälten oder sonstigen Rechtsberatern gemäß Artikel 23 Absatz 1 wird Zugang zu den in Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe b genannten Informationen oder den von Sachverständigen gemäß Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe d bereitgestellten Informationen gegeben, sofern diese Informationen von der Asylbehörde zum Zweck der Entscheidung über den Antrag berücksichtigt wurden.

…“

6        Art. 24 („Antragsteller, die besondere Verfahrensgarantien benötigen“) der Richtlinie 2013/32 betrifft die Unterstützung, die den Antragstellern während der Dauer des Asylverfahrens zu gewähren ist.

7        Art. 31 („Prüfungsverfahren“) Abs. 8 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Artikel 43 durchgeführt wird, wenn

b)      der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne dieser Richtlinie kommt …“

8        Art. 32 („Unbegründete Anträge“) der Richtlinie 2013/32 sieht vor:

„(1)      Unbeschadet des Artikels 27 können die Mitgliedstaaten einen Antrag nur dann als unbegründet betrachten, wenn die Asylbehörde festgestellt hat, dass der Antragsteller nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9)] erfüllt.

(2)      Im Falle von unbegründeten Anträgen, bei denen einer der in Artikel 31 Absatz 8 aufgeführten Umstände gegeben ist, können die Mitgliedstaaten einen Antrag ferner als offensichtlich unbegründet betrachten, wenn dies so in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist.“

9        Art. 36 („Das Konzept des sicheren Herkunftsstaats“) der Richtlinie 2013/32 lautet:

„(1)      Ein Drittstaat, der nach dieser Richtlinie als sicherer Herkunftsstaat bestimmt wurde, kann nach individueller Prüfung des Antrags nur dann als für einen bestimmten Antragsteller sicherer Herkunftsstaat betrachtet werden, wenn

a)      der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des betreffenden Staates besitzt oder

b)      der Antragsteller staatenlos ist und zuvor seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Staat hatte

und er keine schwerwiegenden Gründe dafür vorgebracht hat, dass der Staat in seinem speziellen Fall im Hinblick auf die Anerkennung als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie [2011/95] nicht als sicherer Herkunftsstaat zu betrachten ist.

(2)      Die Mitgliedstaaten legen in den nationalen Rechtsvorschriften weitere Regeln und Modalitäten für die Anwendung des Konzepts des sicheren Herkunftsstaats fest.“

10      Art. 37 („Nationale Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten“) der Richtlinie 2013/32 sieht vor:

„(1)      Zum Zwecke der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz können die Mitgliedstaaten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften beibehalten oder erlassen, aufgrund deren sie im Einklang mit Anhang I sichere Herkunftsstaaten bestimmen können.

(2)      Die Mitgliedstaaten überprüfen regelmäßig die Lage in Drittstaaten, die gemäß diesem Artikel als sichere Herkunft[s]staaten bestimmt wurden.

(3)      Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Staat als sicherer Herkunftsstaat gemäß diesem Artikel bestimmt werden kann, werden verschiedene Informationsquellen, insbesondere Informationen anderer Mitgliedstaaten, des EASO, des UNHCR, des Europarates und anderer einschlägiger internationaler Organisationen herangezogen.

(4)      Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die Staaten mit, die sie gemäß diesem Artikel als sichere Herkunftsstaaten bestimmt haben.“

11      Art. 38 der Richtlinie 2013/32 betrifft das Konzept des sicheren Drittstaats.

12      Art. 43 („Verfahren an der Grenze“) Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten können nach Maßgabe der Grundsätze und Garantien nach Kapitel II Verfahren festlegen, um an der Grenze oder in Transitzonen des Mitgliedstaats über Folgendes zu entscheiden:

b)      die Begründetheit eines Antrags in einem Verfahren nach Artikel 31 Absatz 8.“

13      Art. 46 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben gegen

a)      eine Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz, einschließlich einer Entscheidung,

i)      einen Antrag als unbegründet in Bezug auf die Flüchtlingseigenschaft und/oder den subsidiären Schutzstatus zu betrachten;

(3)      Zur Einhaltung des Absatzes 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie [2011/95] zumindest in Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht beurteilt wird.

(5)      Unbeschadet des Absatzes 6 gestatten die Mitgliedstaaten den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf.

(6)      Im Fall einer Entscheidung,

a)      einen Antrag im Einklang mit Artikel 32 Absatz 2 als offensichtlich unbegründet oder nach Prüfung gemäß Artikel 31 Absatz 8 als unbegründet zu betrachten, es sei denn, diese Entscheidungen sind auf die in Artikel 31 Absatz 8 Buchstabe h aufgeführten Umstände gestützt,

ist das Gericht befugt, entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden[,] und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist.

…“

14      Anhang I („Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten im Sinne des Artikels 37 Absatz 1“) der Richtlinie 2013/32 lautet:

„Ein Staat gilt als sicherer Herkunftsstaat, wenn sich anhand der dortigen Rechtslage, der Anwendung der Rechtsvorschriften in einem demokratischen System und der allgemeinen politischen Lage nachweisen lässt, dass dort generell und durchgängig weder eine Verfolgung im Sinne des Artikels 9 der Richtlinie [2011/95] noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu befürchten sind.

Bei der entsprechenden Beurteilung wird unter anderem berücksichtigt, inwieweit Schutz vor Verfolgung und Misshandlung geboten wird durch

a)      die einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Staates und die Art und Weise ihrer Anwendung;

b)      die Wahrung der Rechte und Freiheiten nach der [EMRK] und/oder dem [am 16. Dezember 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten und am 23. März 1976 in Kraft getretenen] Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und/oder dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter [und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (United Nations Treaty Series, Bd. 1465, S. 85, Nr. 24841 [1987])], insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 [EMRK] keine Abweichung zulässig ist;

c)      die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung nach [dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnet wurde (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]), am 22. April 1954 in Kraft trat und durch das am 31. Januar 1967 in New York geschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzt wurde (im Folgenden: Genfer Konvention)];

d)      das Bestehen einer Regelung, die einen wirksamen Rechtsbehelf bei Verletzung dieser Rechte und Freiheiten gewährleistet.“

 Verordnung (EU) 2024/1348

15      Art. 61 („Das Konzept des sicheren Herkunftslands“) Abs. 2 der Verordnung (EU) 2024/1348 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens für internationalen Schutz in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU (ABl. L, 2024/1348) bestimmt:

„Ein Drittstaat kann sowohl auf [Ebene der Europäischen Union] als auch auf nationaler Ebene unter Ausnahme bestimmter Teile seines Hoheitsgebiets oder eindeutig identifizierbarer Personengruppen als sicheres Herkunftsland bestimmt werden.“

16      Art. 78 („Aufhebung“) Abs. 1 der Verordnung 2024/1348 lautet:

„Die Richtlinie [2013/32] wird unbeschadet des Artikels 79 Absatz 3 mit Wirkung ab dem in Artikel 79 Absatz 2 genannten Zeitpunkt aufgehoben.“

17      Art. 79 („Inkrafttreten und Geltung“) Abs. 2 und 3 der Verordnung 2024/1348 sieht vor:

„(2)      Diese Verordnung gilt ab dem 12. Juni 2026.

(3)      Diese Verordnung gilt für das Verfahren für die Zuerkennung des internationalen Schutzes in Bezug auf Anträge, die ab dem 12. Juni 2026 eingereicht werden. Anträge auf internationalen Schutz, die vor diesem Tag eingereicht wurden, unterliegen der Richtlinie [2013/32]. Diese Verordnung gilt für das Verfahren zum Entzug des internationalen Schutzes, wenn die Überprüfung zum Entzug des internationalen Schutzes ab dem 12. Juni 2026 begonnen wurde. Wurde die Überprüfung zum Entzug des internationalen Schutzes vor dem 12. Juni 2026 begonnen, so unterliegt das Verfahren zum Entzug des internationalen Schutzes der Richtlinie [2013/32].“

 Italienisches Recht

18      In der Präambel zum Decreto-legge n. 158 – Disposizioni urgenti in materia di procedure per il riconoscimento della protezione internazionale (Gesetzesdekret Nr. 158 mit Dringlichkeitsvorschriften auf dem Gebiet der Zuerkennung internationalen Schutzes) vom 23. Oktober 2024 (GURI Nr. 249 vom 23. Oktober 2024, im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 158/2024) heißt es:

„…

In Anbetracht der außergewöhnlichen Notwendigkeit und Dringlichkeit der Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Oktober 2024, [Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky (C‑406/22, EU:C:2024:841)], unter Ausschluss der Länder, die für bestimmte Teile ihres Hoheitsgebiets die Voraussetzungen nicht erfüllen (Kamerun, Kolumbien und Nigeria).

In Anbetracht der Verordnung [2024/1348], insbesondere ihres wie folgt lautenden Art. 61 Abs. 2: ‚Ein Drittstaat kann sowohl auf Unionseben[e] als auch auf nationaler Ebene unter Ausnahme bestimmter Teile seines Hoheitsgebiets oder eindeutig identifizierbarer Personengruppen als sicheres Herkunftsland bestimmt werden‘, die zwar erst ab dem 12. Juni 2026 anwendbar ist, in der jedoch die gemeinsame Linie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union festgelegt ist.

…“

19      Das Gesetzesdekret Nr. 158/2024 hat u. a. Art. 2bis des Decreto legislativo n. 25 – Attuazione della direttiva 2005/85/CE recante norme minime per le procedure applicate negli Stati membri ai fini del riconoscimento e della revoca dello status di rifugiato (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 25 zur Umsetzung der Richtlinie 2005/85/EG über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft) vom 28. Januar 2008 (GURI Nr. 40 vom 16. Februar 2008, im Folgenden: gesetzesvertretendes Dekret Nr. 25/2008) geändert. Infolge dieser Änderung bestimmt Art. 2bis Abs. 1 bis 4bis des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 25/2008:

„1.      In Anwendung der unionsrechtlichen Qualifikationskriterien und der Daten aus den von den zuständigen internationalen Organisationen zur Verfügung gestellten Informationsquellen werden folgende Länder als sichere Herkunftsstaaten erachtet: Albanien, Algerien, Bangladesch, Bosnien und Herzegowina, Kap Verde, Elfenbeinküste, Ägypten, Gambia, Georgien, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Marokko, Montenegro, Peru, Senegal, Serbien, Sri Lanka und Tunesien.

2.      Ein Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, kann als sicherer Herkunftsstaat erachtet werden, wenn sich auf der Grundlage seiner Rechtsordnung, der Anwendung der Rechtsvorschriften in einem demokratischen System und der allgemeinen politischen Lage nachweisen lässt, dass es im Allgemeinen und durchgängig nicht zu Verfolgungshandlungen …, Folter oder anderen Formen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe oder zur Gefahr willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommt. Bei der Bestimmung eines sicheren Herkunftsstaats können Ausnahmen für Personengruppen vorgesehen werden.

3.      Bei der Beurteilung nach Abs. 2 wird unter anderem berücksichtigt, inwieweit Schutz vor Verfolgung und Misshandlung geboten wird durch

a)      die einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Staates und die Art und Weise ihrer Anwendung,

b)      die Achtung der in der [EMRK], im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte … und im Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter vom 10. Dezember 1984 verankerten Rechte und Freiheiten, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der [EMRK] nicht abgewichen werden darf,

c)      die Wahrung des Grundsatzes gemäß Art. 33 der Genfer Konvention,

d)      ein System wirksamer Rechtsbehelfe bei Verletzungen dieser Rechte und Freiheiten.

4.      Die Beurteilung der Frage, ob ein Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, ein sicherer Herkunftsstaat ist, wird auf die von der Nationalen Asylkommission gestellten Informationen gestützt, die auch die vom Dokumentationszentrum … erstellten Informationen sowie andere Informationsquellen heranzieht, einschließlich der von anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, von der Asylagentur der Europäischen Union [(EUAA)], vom UNHCR, vom Europarat und von anderen zuständigen internationalen Organisationen zur Verfügung gestellten Informationen.

4bis.      Die Liste sicherer Herkunftsstaaten wird regelmäßig durch einen Rechtsakt mit Gesetzesrang aktualisiert und der Europäischen Kommission notifiziert. Zur Aktualisierung der Liste gemäß Abs. 1 verabschiedet der Ministerrat bis zum 15. Januar jedes Jahres einen Bericht, in dem er – in Einklang mit den vorrangigen Belangen der Sicherheit und Kontinuität der internationalen Beziehungen und unter Berücksichtigung der Informationen gemäß Abs. 4 – die Lage in den in der geltenden Liste aufgeführten Ländern und den Ländern, für deren Aufnahme in die Liste er sich einsetzen will, schildert. Die Regierung leitet den Bericht an die zuständigen parlamentarischen Ausschüsse weiter.“

 Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

20      LC und CP sind zwei Staatsangehörige der Volksrepublik Bangladesch. Nachdem sie von den italienischen Behörden auf See gerettet worden waren, wurden sie nach Albanien gebracht, wo sie in der Gewahrsamseinrichtung in Gjadër untergebracht wurden. Diese Maßnahmen wurden in Anwendung des Protocollo tra il Governo della Repubblica italiana e il Consiglio dei ministri della Repubblica di Albania per il rafforzamento della collaborazione in materia migratoria (Protokoll zwischen der Regierung der Italienischen Republik und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Verstärkung der Zusammenarbeit im Bereich der Migration) ergriffen, mit dem die albanische Regierung der Italienischen Republik im albanischen Hoheitsgebiet zwei Gebiete zur Verfügung gestellt hat, die vollständig in die Zuständigkeit der italienischen Behörden fallen und Grenz- oder Transitzonen gleichgestellt sind, in denen Asylbewerber in Gewahrsam genommen werden können.

21      Am 16. Oktober 2024 stellten LC und CP von dieser Gewahrsamseinrichtung aus bei den italienischen Behörden jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

22      Mit Entscheidungen vom 17. Oktober 2024 lehnte die Örtliche Kommission Rom für die Anerkennung des internationalen Schutzes – 2. Abteilung für Verfahren an der Grenze diese Anträge in einem beschleunigten Verfahren an der Grenze mit der Begründung ab, dass LC und CP aus einem sicheren Herkunftsstaat stammten. Die Entscheidungen über die Ingewahrsamnahme wurden vom zuständigen Gericht nicht bestätigt, und die Antragsteller wurden daher freigelassen.

23      Nach ihrer Ankunft in Italien legten LC und CP am 25. Oktober 2024 beim Tribunale ordinario di Roma (Gericht Rom, Italien), dem vorlegenden Gericht, einen Rechtsbehelf gegen die in der vorstehenden Randnummer genannten Entscheidungen ein, mit denen ihre Anträge auf internationalen Schutz abgelehnt worden waren.

24      Das vorlegende Gericht hegt Zweifel an der Bestimmung der Volksrepublik Bangladesch als sicherer Herkunftsstaat.

25      Als Erstes weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat bis zum Erlass des Gesetzesdekrets Nr. 158/2024 in zwei Schritten erfolgt sei. In einem ersten Schritt habe der italienische Gesetzgeber den rechtlichen Rahmen für eine solche Bestimmung durch ein Gesetz festgelegt. In einem zweiten Schritt habe die italienische Verwaltung durch interministerielles Dekret die sicheren Herkunftsstaaten auf der Grundlage der Informationsblätter über diese Staaten bestimmt. Das italienische Gericht sei befugt gewesen, die Vereinbarkeit solcher interministeriellen Dekrete mit diesem rechtlichen Rahmen zu überprüfen. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzesdekrets Nr. 158/2024 sei die Liste sicherer Herkunftsstaaten jedoch nunmehr in einem Rechtsakt mit Gesetzesrang enthalten, nämlich in Art. 2bis Abs. 1 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 25/2008 in der durch das Gesetzesdekret Nr. 158/2024 geänderten Fassung. Der italienische Gesetzgeber sei somit nunmehr befugt, sowohl den allgemeinen rechtlichen Rahmen für die Modalitäten und Kriterien für die Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat festzulegen als auch diese Bestimmung selbst vorzunehmen. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob eine solche Bestimmung durch einen Rechtsakt mit Gesetzesrang mit den Vorgaben der Richtlinie 2013/32 vereinbar ist.

26      Als Zweites weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die italienische Regelung nach Änderung von Art. 2bis des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 25/2008 durch das Gesetzesdekret Nr. 158/2024 keine Bezugnahme mehr auf die Informationsblätter über die fraglichen Drittstaaten im Hinblick auf ihre Aufnahme in die Liste sicherer Herkunftsstaaten enthalte und auch nicht das Erfordernis erwähne, die Quellen anzugeben, von denen diese Informationen stammten. Insbesondere würden die Abs. 2 bis 4 von Art. 2bis des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 25/2008 in seiner durch das Gesetzesdekret Nr. 158/2024 geänderten Fassung in Abs. 1 dieses Artikels in der geänderten Fassung nicht erwähnt. Dieser erstelle die Liste sicherer Herkunftsstaaten allgemein unter Bezugnahme auf die „Daten aus den von den zuständigen internationalen Organisationen zur Verfügung gestellten Informationsquellen“, ohne diese Daten oder Quellen zu identifizieren. Außerdem sehe der neue Abs. 4bis dieses Artikels lediglich vor, dass die Regierung für die Zwecke der regelmäßigen Aktualisierung der Liste einen Bericht über die Lage in den betreffenden Drittländern verabschiede. Folglich seien einerseits die Personen, die internationalen Schutz beantragten, und andererseits die Gerichte, bei denen deren Klagen anhängig seien, daran gehindert, die Herkunft, die Verlässlichkeit, die Glaubwürdigkeit, die Relevanz, die Aktualität, die Vollständigkeit und den Inhalt der Informationen, die zur Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat geführt hätten, zu bestreiten bzw. zu überprüfen, was ein Verstoß gegen den in Art. 47 der Charta verankerten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes sei.

27      Als Drittes möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Mitgliedstaaten den nationalen Gerichten erlauben müssen, alle relevanten Informationen, die ihnen zur Verfügung stehen, bei der Prüfung der Frage zu verwenden, ob die Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat zutreffend ist, unabhängig davon, ob die nationale Behörde, die eine solche Bestimmung vorgenommen hat, die Informationen, auf die sie sich gestützt hat, offengelegt hat. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass diese Frage zu bejahen sei, um einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz für Personen zu gewährleisten, die internationalen Schutz beantragt hätten und deren Anträge in einem beschleunigten Verfahren mit der Begründung abgelehnt worden seien, dass sie aus einem solchen sicheren Herkunftsstaat stammten.

28      Als Viertes möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, welche Konsequenzen aus dem Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky (C-406/22, EU:C:2024:841), zu ziehen sind. Aus der Präambel des Gesetzesdekrets Nr. 158/2024 gehe hervor, dass die italienische Regierung mit dessen Erlass diesem Urteil dadurch habe nachkommen wollen, dass sie in Art. 2bis Abs. 2 Satz 2 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 25/2008 die Möglichkeit gestrichen habe, einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, der für bestimmte Teile seines Hoheitsgebiets die Voraussetzungen für eine solche Bestimmung nicht erfülle. Gleichwohl habe die Regierung in dieser Vorschrift die Möglichkeit beibehalten, einen Drittstaat mit Ausnahme bestimmter Personengruppen als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen. Allerdings sei die zuletzt genannte Möglichkeit auf der Grundlage einer Argumentation, die der Argumentation des Gerichtshofs in diesem Urteil entspreche, auszuschließen. Da ein Ausschluss von Personengruppen meist das gesamte Hoheitsgebiet eines Drittlands betreffe, wiege er sogar schwerer als der in dem Urteil geprüfte gebietsbezogene Ausschluss. Daher hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, den Gerichtshof hierzu zu befragen, bevor es gegebenenfalls die Konsequenzen aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts zieht.

29      Unter diesen Umständen hat das Tribunale ordinario di Roma (Gericht Rom) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in beiden Rechtssachen gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Verwehren es das Unionsrecht und insbesondere die Art. 36 bis 38 der Richtlinie 2013/32, auch in Verbindung mit deren Erwägungsgründen 42, 46 und 48 und ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta (und der Art. 6 und 13 EMRK), einem nationalen Gesetzgeber, der dafür zuständig ist, die Erstellung von Listen sicherer Herkunftsstaaten zuzulassen und die hierbei zu befolgenden Kriterien und heranzuziehenden Quellen zu regeln, einen Drittstaat auch direkt durch Erlass eines Rechtsakts mit Gesetzeskraft als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen?

2.      Verwehren es das Unionsrecht und insbesondere die Art. 36 bis 38 der Richtlinie 2013/32, auch in Verbindung mit deren Erwägungsgründen 42, 46 und 48 und ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta (und der Art. 6 und 13 EMRK), einem Gesetzgeber jedenfalls zumindest, einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, ohne die zur Begründung dieser Bestimmung herangezogenen Quellen zugänglich und nachprüfbar bereitzustellen, wodurch Asylbewerber und Gerichte daran gehindert werden, deren Herkunft, Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Relevanz, Aktualität und Vollständigkeit und ganz allgemein deren Inhalt zu bestreiten bzw. zu überprüfen und das Vorliegen der in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten materiellen Voraussetzungen für diese Bestimmung eigenständig zu beurteilen?

3.      Sind das Unionsrecht und insbesondere die Art. 36 bis 38 der Richtlinie 2013/32, auch in Verbindung mit deren Erwägungsgründen 42, 46 und 48 und im Licht von Art. 47 der Charta (und der Art. 6 und 13 EMRK), dahin auszulegen, dass ein Gericht in einem beschleunigten Verfahren an der Grenze für Personen aus als sicher bestimmten Herkunftsstaaten in jedem Fall Informationen über den Herkunftsstaat verwenden darf, die es eigenständig aus den in Art. 37 Abs. 3 dieser Richtlinie genannten Quellen heranzieht und die nützlich sind, um das Vorliegen der in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten materiellen Voraussetzungen für diese Bestimmung nachzuprüfen?

4.      Verwehren es das Unionsrecht und insbesondere die Art. 36 bis 38 und Anhang I der Richtlinie 2013/32, auch in Verbindung mit deren Erwägungsgründen 42, 46 und 48 und ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta (und der Art. 6 und 13 EMRK), einen Drittstaat als „sicheren Herkunftsstaat“ zu bestimmen, wenn in diesem Staat Personengruppen existieren, hinsichtlich deren dieser Staat nicht die in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten materiellen Voraussetzungen für diese Bestimmung erfüllt?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

30      Das vorlegende Gericht hat beantragt, die Rechtssachen dem Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

31      Am 19. November 2024 hat die Zweite Kammer des Gerichtshofs auf Vorschlag der Berichterstatterin und nach Anhörung des Generalanwalts entschieden, diesem Antrag nicht stattzugeben.

32      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 21. November 2024 sind die vorliegenden Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

33      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 29. November 2024 sind die vorliegenden Rechtssachen dem in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung vorgesehenen beschleunigten Verfahren unterworfen worden.

34      Die Italienische Republik hat gemäß Art. 16 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt, dass die Große Kammer über die vorliegenden Rechtssachen entscheidet, was der Gerichtshof am 11. Februar 2025 zur Kenntnis genommen hat.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

35      Die italienische und die slowakische Regierung bestreiten die Zulässigkeit der jeweils ersten, zweiten und vierten Frage.

36      Zur jeweils ersten und zweiten Frage trägt die italienische Regierung vor, das vorlegende Gericht habe nicht angegeben, warum das Gesetzesdekret Nr. 158/2024 mit dem Unionsrecht unvereinbar sei und warum diese Fragen für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten erheblich seien. Vorliegend seien die Modalitäten der Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten nicht relevant, da die Volksrepublik Bangladesch bereits vor dem Erlass dieses Gesetzesdekrets als sicherer Herkunftsstaat bestimmt worden sei.

37      Die jeweils vierte Frage ist nach Ansicht der italienischen und der slowakischen Regierung abstrakt und hypothetisch. Das vorlegende Gericht habe nämlich nicht geprüft, ob die Volksrepublik Bangladesch für bestimmte Personengruppen kein sicherer Herkunftsstaat sei und ob LC und CP zu diesen Gruppen gehörten.

38      Nach ständiger Rechtsprechung spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur dann ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 19. Dezember 2024, Tudmur, C‑185/24 und C‑189/24, EU:C:2024:1036, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Vorliegend geht aus den Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass das vorlegende Gericht mit Klagen zweier Staatsangehöriger der Volksrepublik Bangladesch gegen Entscheidungen befasst ist, mit denen ihre Anträge auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden, weil sie aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen. Das vorlegende Gericht führt in diesen Ersuchen aus, dass es Zweifel an der Vereinbarkeit der Bestimmung dieses Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat mit dem Unionsrecht habe, und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, dass diese Bestimmung auf einen Gesetzgebungsakt zurückgehe, dass der italienische Gesetzgeber seine Informationsquellen nicht offengelegt habe und dass er die Möglichkeit, die genannte Bestimmung vorzunehmen, beibehalten habe, obwohl dieser Drittstaat für bestimmte Kategorien seiner Bevölkerung möglicherweise nicht „sicher“ sei. Insoweit verweist das vorlegende Gericht auf das vom italienischen Außenministerium erstellte Informationsblatt vom 3. Mai 2024 über die Volksrepublik Bangladesch, das die Grundlage für die Bestimmung der Volksrepublik Bangladesch als sicherer Herkunftsstaat vor Erlass des Gesetzesdekrets Nr. 158/2024 gewesen sei und in dem festgestellt worden sei, dass dieser Drittstaat nur unter Ausnahme bestimmter Personengruppen als sicherer Herkunftsstaat angesehen werden könne.

40      Vor diesem Hintergrund fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof mit seiner jeweils ersten, zweiten und vierten Frage im Wesentlichen nach der Auslegung mehrerer Bestimmungen der Richtlinie 2013/32, die das Konzept des sicheren Herkunftsstaats und die Bestimmung solcher Staaten durch die Mitgliedstaaten regeln, sowie nach den Modalitäten der gerichtlichen Überprüfung einer solchen Bestimmung.

41      Diese Fragen betreffen somit tatsächlich die Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts, die für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten relevant sind. Da das vorlegende Gericht den nationalen rechtlichen Rahmen und den Sachverhalt der Ausgangsrechtsstreitigkeiten in eigener Verantwortung festlegt, ist es nicht Sache des Gerichtshofs, die Prämissen zu überprüfen, auf denen diese Fragen beruhen.

42      Außerdem geht aus den Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen letztlich wissen möchte, ob die Bestimmung der Volksrepublik Bangladesch als sicherer Herkunftsstaat als solche mit dem Unionsrecht vereinbar ist, um gegebenenfalls die sich aus der Anwendung des Konzepts des sicheren Herkunftsstaats in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten ergebende Vermutung der Sicherheit zu entkräften. Daher ist der Umstand, dass nicht nachgewiesen ist, dass LC und CP zu einer der Personengruppen gehören, für die dieser Staat nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kein sicherer Herkunftsstaat ist, für die Zulässigkeit dieser Fragen unerheblich.

43      Daraus folgt, dass die jeweils erste, zweite und vierte Frage zulässig sind.

 Zu den Fragen

 Vorbemerkungen

44      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (vgl. Urteile vom 20. März 1986, Tissier, 35/85, EU:C:1986:143, Rn. 9, und vom 19. Dezember 2024, Khan Yunis und Baabda, C‑123/23 und C‑202/23, EU:C:2024:1042, Rn. 63).

45      Der Umstand, dass das vorlegende Gericht in seinen Fragen formal bestimmte Vorschriften des Unionsrechts angeführt hat, hindert den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens von Nutzen sein können, indem er aus dem gesamten von dem Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herausarbeitet, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. Urteile vom 29. November 1978, Redmond, 83/78, EU:C:1978:214, Rn. 26, und vom 19. Dezember 2024, Khan Yunis und Baabda, C‑123/23 und C‑202/23, EU:C:2024:1042, Rn. 64).

46      Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof insbesondere wissen, wie die Art. 36 bis 38 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta auszulegen sind.

47      Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass die Art. 36 und 37 der Richtlinie 2013/32 das Konzept des sicheren Herkunftsstaats bzw. die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten durch die Mitgliedstaaten betreffen.

48      Mit diesen Artikeln wird eine besondere Prüfungsregelung eingeführt, der die Mitgliedstaaten Anträge auf internationalen Schutz unterwerfen können. Diese Prüfungsregelung beruht auf einer widerlegbaren Vermutung, dass im Herkunftsstaat ein ausreichender Schutz gegeben ist, die vom Antragsteller widerlegt werden kann, wenn er schwerwiegende Gründe darlegt, die seinen speziellen Fall betreffen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Juli 2018, A, C‑404/17, EU:C:2018:588, Rn. 25, und vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Aufgrund dieser besonderen Prüfungsregelung können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 31 Abs. 8 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 zum einen festlegen, dass das Prüfungsverfahren beschleunigt wird, und zum anderen, dass die Prüfung an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Art. 43 der Richtlinie durchgeführt wird (Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 48).

50      Wurde ein Antrag auf internationalen Schutz, der von einem Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat gestellt wurde, als unbegründet betrachtet, weil die Asylbehörde gemäß Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 festgestellt hat, dass der Antragsteller nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95 erfüllt, können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 ferner einen Antrag als offensichtlich unbegründet betrachten, wenn dies so in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist (Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 49).

51      Darüber hinaus besteht eine der Konsequenzen für den Antragsteller, dessen Antrag auf der Grundlage der Anwendung des Konzepts des sicheren Herkunftsstaats abgelehnt wird – anders als im Fall einer einfachen Ablehnung –, darin, dass es möglich ist, wie sich aus Art. 46 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2013/32 ergibt, ihm nicht zu gestatten, bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf gegen die Antragsablehnung im Hoheitsgebiet des Staates zu verbleiben, in dem er den Antrag gestellt hat (Urteile vom 25. Juli 2018, A, C‑404/17, EU:C:2018:588, Rn. 27, und vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 50).

52      Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass Art. 38 der Richtlinie 2013/32 anders als ihre Art. 36 und 37 nicht das Konzept des „sicheren Herkunftsstaats“, sondern das Konzept des „sicheren Drittstaats“ betrifft. Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten betreffen jedoch allein die Anwendung des Konzepts des „sicheren Herkunftsstaats“. Daher braucht in den vorliegenden Rechtssachen über die Auslegung von Art. 38 der Richtlinie nicht entschieden zu werden.

53      Als Drittes ist festzustellen, dass dem in Art. 47 der Charta verbürgten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 entspricht, für Personen, die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, ein solches Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vorzusehen, für das Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie regelt, wie weit dieses Recht reicht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. März 2020, Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal [Tompa], C‑564/18, EU:C:2020:218, Rn. 60, und vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher ist auch die letztere Vorschrift zu berücksichtigen, selbst wenn das vorlegende Gericht in seinen Fragen darauf nicht Bezug genommen hat.

 Zur jeweils ersten Frage

54      Mit seiner jeweils ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 36 und 37 sowie Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, die Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten durch einen Gesetzgebungsakt vorzunehmen.

55      Wie in Rn. 48 des vorliegenden Urteils ausgeführt, wird mit den Art. 36 und 37 der Richtlinie 2013/32 eine besondere Prüfungsregelung eingeführt, der die Mitgliedstaaten Anträge auf internationalen Schutz unterwerfen können, die von Angehörigen der Staaten gestellt werden, die als sichere Herkunftsstaaten bestimmt worden sind.

56      Insoweit bestimmt Art. 37 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32: „Zum Zwecke der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz können die Mitgliedstaaten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften beibehalten oder erlassen, aufgrund deren sie im Einklang mit Anhang I sichere Herkunftsstaaten bestimmen können.“ Wie der Generalanwalt in Nr. 36 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, ergibt ein Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen dieser Vorschrift, dass der Begriff „Rechts- oder Verwaltungsvorschriften“ in einem weiten Sinne dahin zu verstehen ist, dass er Rechtsakte mit Gesetzes- oder Verordnungs- oder verwaltungsrechtlicher Art umfassen kann.

57      In diesem Sinne hat der Gerichtshof im Übrigen entschieden, dass die Mitgliedstaaten nur dann auf die besondere Prüfungsregelung und auf die widerlegbare Vermutung, die in den Vorschriften der Richtlinie 2013/32 bezüglich der Verfahren, die auf dem Konzept des sicheren Herkunftsstaats beruhen, vorgesehen sind, zurückgreifen dürfen, wenn sie diese Vorschriften durch von ihnen zu erlassende Rechts- und Verwaltungsvorschriften vollständig umgesetzt haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, A, C‑404/17, EU:C:2018:588, Rn. 31).

58      Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Vorschriften einer Richtlinie in der Weise umgesetzt werden, dass sie unzweifelhaft verbindlich und so konkret, bestimmt und klar sind, dass sie dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügen (Urteil vom 3. September 2020, Subdelegación del Gobierno en Barcelona [Langfristig Aufenthaltsberechtigte], C‑503/19 und C‑592/19, EU:C:2020:629, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59      In diesem Rahmen ist es Aufgabe jedes Mitgliedstaats, die sicheren Herkunftsstaaten nach den in den Art. 36 und 37 sowie in Anhang I der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Modalitäten zu bestimmen. Insbesondere hat der nationale Gesetzgeber eine Liste von Drittstaaten gemäß den in Anhang I festgelegten Kriterien anzunehmen, zusätzliche Durchführungsvorschriften und Durchführungsmodalitäten zu erlassen, der Kommission die Liste von sicheren Herkunftsstaaten zu übermitteln und diese auch regelmäßig zu überprüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, A, C‑404/17, EU:C:2018:588, Rn. 28).

60      Allerdings wird weder durch diese Vorschriften noch durch eine andere Vorschrift der Richtlinie 2013/32 festgelegt, welche Behörde(n) der Mitgliedstaaten für die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten auf nationaler Ebene zuständig sein sollte(n) oder welches Rechtsinstrument hierfür einschlägig ist.

61      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich aus Art. 288 Abs. 3 AEUV ergibt, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer Richtlinie über einen Wertungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Mittel und Wege zu ihrer Durchführung verfügen. Daher spricht – was die Wahl der zuständigen Behörden und der einschlägigen Rechtsinstrumente für die Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten auf nationaler Ebene betrifft – nichts dagegen, dass in einem Mitgliedstaat beschlossen wird, dem nationalen Gesetzgeber die Zuständigkeit für die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten durch einen Gesetzgebungsakt zu übertragen.

62      Allerdings lässt dieser Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Vorschriften der Art. 36 und 37 der Richtlinie 2013/32 die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. April 1984, von Colson und Kamann, 14/83, EU:C:1984:153, Rn. 15, und vom 31. März 2022, Lombard Lízing, C‑472/20, EU:C:2022:242, Rn. 35).

63      Insbesondere lässt dieser Wertungsspielraum die Pflicht des nationalen Gerichts unberührt, für die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – nationale Regelung, die einer Bestimmung des Unionsrechts mit unmittelbarer Wirkung entgegensteht, unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, EU:C:1978:49, Rn. 21 und 24, sowie vom 28. Januar 2025, ASG 2, C‑253/23, EU:C:2025:40, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64      Außerdem ist es in Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung zwar nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten und vorbehaltlich der Wahrung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, die verfahrensrechtlichen Modalitäten für Rechtsbehelfe zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus der Unionsrechtsordnung erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, doch müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass der in Art. 47 der Charta verbürgte Anspruch auf wirksamen gerichtlichen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall gewahrt ist, wobei im vorliegenden Fall die Tragweite dieses Rechts durch Art. 46 der Richtlinie 2013/32 präzisiert wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2025, Al Nasiria, C‑610/23, EU:C:2025:514, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65      Daraus folgt, dass die Wahl eines Mitgliedstaats hinsichtlich der zuständigen Behörde und des Rechtsinstruments, die auf nationaler Ebene gemäß den Art. 36 und 37 der Richtlinie 2013/32 zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten eingesetzt werden, keine Auswirkungen auf die Pflichten haben kann, die dem Mitgliedstaat nach der Richtlinie obliegen. Daher hat insbesondere jeder Mitgliedstaat die Wahrung des Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf zu gewährleisten, das Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie Personen, die internationalen Schutz beantragen, gegenüber Entscheidungen über ihre Anträge zuerkennt und dessen Tragweite durch Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie definiert wird.

66      Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass gemäß Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta ein nationales Gericht dann, wenn es mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wird, der im Rahmen der besonderen Regelung für Anträge von Antragstellern aus nach Art. 37 der Richtlinie als sichere Herkunftsstaaten eingestuften Drittstaaten geprüft wurde, im Zuge der nach Art. 46 Abs. 3 vorgeschriebenen umfassenden Ex-nunc-Prüfung auf der Grundlage der Akten sowie der Angaben, die ihm im bei ihm anhängigen Verfahren zur Kenntnis gebracht wurden, es berücksichtigen muss, wenn die in Anhang I dieser Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Einstufung verkannt worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 98).

67      Daher kann der Umstand, dass ein Mitgliedstaat beschlossen hat, sichere Herkunftsstaaten durch einen Gesetzgebungsakt zu bestimmen, unter Berücksichtigung der in den Rn. 62 und 63 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung das nationale Gericht, das unter den in der vorstehenden Randnummer dieses Urteils genannten Voraussetzungen befasst worden ist, nicht an der – sei es auch nur inzidenten – Prüfung hindern, ob bei der Bestimmung des betreffenden Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat die in Anhang I der Richtlinie 2013/32 genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung erfüllt sind.

68      Nach alledem ist auf die jeweils erste Frage zu antworten, dass die Art. 36 und 37 sowie Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, die Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten durch einen Gesetzgebungsakt vorzunehmen, sofern diese Bestimmung Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung, ob die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung erfüllt sind, sein kann, und zwar durch jedes nationale Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz befasst ist, der im Rahmen der besonderen Regelung für Anträge von Antragstellern, die aus als sichere Herkunftsstaaten bestimmten Drittstaaten stammen, geprüft wurde.

 Zur jeweils zweiten und dritten Frage

69      Mit seiner jeweils zweiten und dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 36 und 37 sowie Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass zum einen der Mitgliedstaat, der einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat bestimmt, die Informationsquellen im Sinne von Art. 37 Abs. 3 der Richtlinie, auf die diese Bestimmung gestützt ist, zugänglich machen muss, und zum anderen das nationale Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz befasst ist, der im Rahmen der besonderen Prüfungsregelung untersucht wurde, die für die Anträge der Antragsteller aus Drittstaaten gilt, die als sichere Herkunftsstaaten bestimmt wurden, bei seiner Prüfung, ob diese Bestimmung die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung erfüllt, die Informationen berücksichtigen kann, die es selbst eingeholt hat.

70      Art. 37 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 sieht vor, dass bei der Beurteilung der Frage, ob ein Staat als sicherer Herkunftsstaat bestimmt werden kann, verschiedene Informationsquellen, insbesondere Informationen anderer Mitgliedstaaten, der EUAA als Nachfolgerin des EASO, des UNHCR, des Europarats und anderer einschlägiger internationaler Organisationen herangezogen werden.

71      Zwar ist weder in dieser Vorschrift noch in einer anderen Vorschrift der Richtlinie 2013/32 ausdrücklich festgelegt, dass die nationale Behörde, die auf nationaler Ebene sichere Herkunftsstaaten bestimmt, die Informationsquellen zugänglich machen muss, auf deren Grundlage sie eine solche Bestimmung vorgenommen hat.

72      Dies ändert jedoch nichts daran, dass als Erstes die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat zur Folge hat, dass auf die Antragsteller aus diesem Staat die besondere Prüfungsregelung für Anträge auf internationalen Schutz anwendbar wird. Insbesondere ermöglicht diese – in den Rn. 48 bis 51 des vorliegenden Urteils dargelegte – Regelung den Mitgliedstaaten, das Verfahren zur Prüfung dieser Anträge zu beschleunigen, und beruht auf einer Form der widerlegbaren Vermutung eines ausreichenden Schutzes im Herkunftsland, die vom Antragsteller gemäß Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 widerlegt werden kann, wenn er schwerwiegende Gründe darlegt, die seinen speziellen Fall betreffen.

73      Wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann der Antragsteller von der Möglichkeit, diese Vermutung zu widerlegen, aber nur dann wirksam Gebrauch machen, wenn er in die Lage versetzt wird, die Gründe zu erfahren, weshalb sein Herkunftsland als sicher gilt. Folglich muss der Antragsteller aus diesem Grund Zugang zu den Informationsquellen haben, auf deren Grundlage sein Herkunftsstaat als sicherer Herkunftsstaat bestimmt worden ist.

74      Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass den Personen, die internationalen Schutz beantragen, nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit deren Art. 10 Abs. 3 Buchst. b während des Prüfungsverfahrens Zugang zu den genauen und aktuellen Informationen zu geben ist, die die Mitgliedstaaten aus verschiedenen Quellen, wie etwa EUAA und UNHCR sowie einschlägigen internationalen Menschenrechtsorganisationen, einholen und die über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller Aufschluss geben. Desgleichen ergibt sich aus Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie, dass auch die nationalen Gerichte Zugang zu allgemeinen Informationen haben müssen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen.

75      Dabei handelt es sich jedoch um Informationsquellen, die denen entsprechen, die die Mitgliedstaaten gemäß Art. 37 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 heranziehen können, um einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen.

76      Als Drittes ist darauf hinzuweisen, dass Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 Personen, die internationalen Schutz beantragen, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht gegen Entscheidungen über ihren Antrag zuerkennt. Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie definiert den Umfang des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, indem er klarstellt, dass die durch diese Richtlinie gebundenen Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass das Gericht, bei dem die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz angefochten wird, „eine umfassende Ex-nunc-Prüfung [vornimmt], die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie [2011/95] beurteilt wird“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Ferner geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Merkmale des in Art. 46 der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Rechtsbehelfs im Einklang mit Art. 47 der Charta zu bestimmen sind, der den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes bekräftigt. Art. 47 der Charta entfaltet jedoch aus sich heraus Wirkung und muss nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, dass er als solches geltend machen kann. Daher kann für Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie, der im Licht von Art. 47 der Charta ausgelegt wird, nichts anderes gelten (Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78      In dieser Hinsicht ist erstens daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta gewährleisteten gerichtlichen Kontrolle, in deren Licht Art. 46 der Richtlinie 2013/32 auszulegen ist, zum einen erforderlich ist, dass der Betroffene Kenntnis von den Gründen, auf denen die ihm gegenüber ergangene Entscheidung beruht, erlangen kann, entweder durch die Lektüre der Entscheidung selbst oder durch eine auf seinen Antrag hin erfolgte Mitteilung dieser Gründe, um es ihm zu ermöglichen, seine Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen zu verteidigen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es für ihn von Nutzen ist, das zuständige Gericht anzurufen. Zum anderen muss das zuständige Gericht befugt sein, von der betreffenden Behörde die Übermittlung dieser Gründe zu verlangen, um es vollständig in die Lage zu versetzen, die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der fraglichen nationalen Entscheidung auszuüben (Urteile vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 53, und vom 29. Juli 2024, protectus, C‑185/23, EU:C:2024:657, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79      Wird ein Antrag auf internationalen Schutz wie in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten als offensichtlich unbegründet abgelehnt, weil der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne der Art. 36 und 37 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit deren Anhang I kommt, deckt sich dieser Ablehnungsgrund im Wesentlichen mit den Gründen, auf denen die Vermutung eines ausreichenden Schutzes beruht, die sich aus der Bestimmung des betreffenden Staates als sicherer Herkunftsstaat ergibt.

80      Unter Berücksichtigung der in Rn. 78 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist daher festzustellen, dass die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes erfordert, dass sowohl der betreffende Antragsteller als auch das angerufene Gericht nicht nur Kenntnis von den Gründen für eine solche Ablehnung erlangen können, sondern auch Zugang zu den Informationsquellen haben können, auf deren Grundlage der betreffende Drittstaat als sicherer Herkunftsstaat bestimmt wurde.

81      Zweitens hat der Gerichtshof in Bezug auf den Umfang des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, wie in Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 definiert ist, festgestellt, dass die Worte „stellen … sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt“ so auszulegen sind, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, nach dieser Bestimmung ihr nationales Recht so auszugestalten, dass die Behandlung der genannten Rechtsbehelfe eine Prüfung aller tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte durch das Gericht umfasst, die ihm eine Beurteilung des Einzelfalls anhand des aktuellen Standes ermöglichen (Urteile vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 110, und vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 87).

82      Insoweit betont der Ausdruck „ex nunc“ zuvörderst die Verpflichtung des Gerichts, eine Beurteilung vorzunehmen, die gegebenenfalls neue Gesichtspunkte berücksichtigt, die sich nach Erlass der Entscheidung, gegen die sich der Rechtsbehelf richtet, ergeben haben (Urteile vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 111, vom 29. Juli 2019, Torubarov, C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 52, und vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 88).

83      Sodann bestätigt das Adjektiv „umfassend“ in Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32, dass das Gericht sowohl die Gesichtspunkte, die die Asylbehörde berücksichtigt hat oder hätte berücksichtigen müssen, als auch die Gesichtspunkte zu prüfen hat, die nach dem Erlass ihrer Entscheidung aufgetreten sind (Urteile vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 113, vom 29. Juli 2019, Torubarov, C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 52, und vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 89).

84      Schließlich hebt der Ausdruck „gegebenenfalls“ in dem Satzbestandteil „und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie [2011/95] beurteilt wird“ hervor, dass die dem Gericht obliegende umfassende Ex-nunc-Prüfung nicht notwendigerweise eine inhaltliche Prüfung des Bedürfnisses an internationalem Schutz zum Gegenstand haben muss und dass sie daher die verfahrensrechtlichen Aspekte eines Antrags auf internationalen Schutz betreffen kann, zu denen die Einstufung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 90 und 91 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

85      Wie sich aus der in Rn. 66 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, muss ein nationales Gericht gemäß Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta, wenn es mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz befasst ist, der im Rahmen der in Rn. 48 des vorliegenden Urteils genannten besonderen Prüfungsregelung geprüft wurde, bei der durch Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie vorgeschriebenen umfassenden Ex-nunc-Prüfung auf der Grundlage der Akten und der Angaben, die ihm im bei ihm anhängigen Verfahren zur Kenntnis gebracht wurden, es berücksichtigen, wenn die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung verkannt worden sind.

86      Die Wirksamkeit der gerichtlichen Kontrolle der Erfüllung der in Anhang I der Richtlinie 2013/32 genannten materiellen Voraussetzungen setzt jedoch voraus, dass das angerufene Gericht Zugang zu den Informationsquellen haben kann, auf deren Grundlage die zuständige nationale Behörde den betreffenden Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat eingestuft hat. Diese Wirksamkeitsanforderung impliziert auch, dass das Gericht prüfen kann, ob diese Einstufung die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen erfüllt, indem es andere Informationen berücksichtigt, die es gegebenenfalls selbst eingeholt hat, und zwar unabhängig davon, ob sie aus öffentlichen Quellen oder aus Quellen stammen, deren Vorlage es von einer der Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits verlangt hat, sofern zum einen das Gericht sich von der Zuverlässigkeit dieser Informationen überzeugt hat und zum anderen diese Parteien gemäß dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens Gelegenheit haben, zu diesen Informationen Stellung zu nehmen.

87      Folglich sind die Mitgliedstaaten nach Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 verpflichtet, ihr nationales Recht so zu gestalten, dass ein ausreichender und angemessener Zugang zu den Informationsquellen gewährleistet ist, auf die sie sich bei der Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten gestützt haben. Dieser Zugang muss es einer aus einem solchen Staat stammenden Person, die internationalen Schutz beantragt, und dem nationalen Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz befasst ist, im Einklang mit der in Rn. 78 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ermöglichen, von diesen Informationsquellen gebührend Kenntnis zu nehmen.

88      Nach alledem ist auf die jeweils zweite und dritte Frage zu antworten, dass die Art. 36 und 37 sowie Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass

–        der Mitgliedstaat, der einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat bestimmt, einen ausreichenden und angemessenen Zugang zu den dieser Bestimmung zugrunde liegenden Informationsquellen im Sinne von Art. 37 Abs. 3 der Richtlinie gewährleisten muss, der es zum einen der betroffenen Person, die internationalen Schutz beantragt und aus diesem Drittstaat stammt, ermöglichen muss, ihre Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen zu verteidigen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es für sie von Nutzen ist, das zuständige Gericht anzurufen, und zum anderen das Gericht in die Lage versetzen muss, eine Entscheidung, die den Antrag auf internationalen Schutz betrifft, zu kontrollieren,

–        das nationale Gericht, das mit einer Klage gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz befasst ist, der im Rahmen der besonderen Regelung für die Prüfung von Anträgen von Antragstellern aus als sichere Herkunftsstaaten bestimmten Drittstaaten geprüft wurde, in dem Fall, dass es – und sei es auch nur inzident – prüft, ob diese Bestimmung die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung erfüllt, die von ihm selbst eingeholten Informationen berücksichtigen kann, sofern das Gericht zum einen sich vergewissert, dass diese Informationen zuverlässig sind, und zum anderen gewährleistet, dass für die Parteien des Rechtsstreits der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens gewahrt ist.

 Zur jeweils vierten Frage

89      Einleitend ist festzustellen, dass die jeweils vierte Frage nicht die Kontrolle betrifft, die das vorlegende Gericht in Bezug auf die Umsetzung von Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 vorzunehmen hat, der vorsieht, dass die Vermutung eines ausreichenden Schutzes im Herkunftsland widerlegt ist, wenn der Antragsteller schwerwiegende Gründe darlegt, die seinen speziellen Fall betreffen. Die jeweils vierte Frage betrifft nur die Kontrolle, die das vorlegende Gericht in Bezug auf die Bestimmung – als solche – des Drittstaats der Herkunft des Antragstellers als sicherer Herkunftsstaat gemäß Art. 37 der Richtlinie vorzunehmen hat.

90      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner jeweils vierten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 37 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit deren Anhang I dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, der für bestimmte Personengruppen die in Anhang I dieser Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung nicht erfüllt.

91      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift ihr Wortlaut, der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele der Regelung, zu der sie gehört, zu berücksichtigen (Urteile vom 17. November 1983, Merck, 292/82, EU:C:1983:335, Rn. 12, und vom 6. Juli 2023, Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides [Flüchtling, der eine schwere Straftat begangen hat], C‑8/22, EU:C:2023:542, Rn. 29).

92      Was als Erstes den Wortlaut von Art. 37 der Richtlinie 2013/32 anbelangt, der nach seiner Überschrift die nationale Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten betrifft, wird dort mehrfach auf die Begriffe „Staat“ und „Drittstaat“ Bezug genommen. Im Wortlaut dieser Vorschrift deutet nichts darauf hin, dass diese Begriffe für die Zwecke einer solchen Bestimmung so verstanden werden könnten, dass sie nur einen Teil – gegebenenfalls den Großteil – der Bevölkerung des betreffenden Drittstaats erfassen, unter Ausschluss eines anderen Teils dieser Bevölkerung oder bestimmter Personengruppen.

93      Was als Zweites den Zusammenhang betrifft, in den sich Art. 37 der Richtlinie 2013/32 einfügt, geht erstens aus diesem Artikel hervor, dass die Mitgliedstaaten sichere Herkunftsstaaten im Einklang mit Anhang I der Richtlinie bestimmen können. Ebenso wie der Wortlaut dieses Artikels enthalten die in diesem Anhang genannten Kriterien jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass es den Mitgliedstaaten freistünde, einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, obgleich für bestimmte Personengruppen innerhalb der Bevölkerung dieses Staates die in Anhang I vorgesehenen materiellen Kriterien nicht erfüllt sind.

94      Vielmehr hängt nach dem Wortlaut von Anhang I die Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat von der Möglichkeit des Nachweises ab, dass dort „generell“ und „durchgängig“ weder eine Verfolgung noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu befürchten sind.

95      Insoweit trifft es zu, dass die Sprachfassungen von Anhang I der Richtlinie 2013/32 voneinander abweichen. So ist nur in der französischen Sprachfassung dieses Anhangs von dem Adverb „uniformément“ die Rede. Die anderen Sprachfassungen dieses Anhangs wie die bulgarische („за всеки отделен случай“), spanische („sistemática“), tschechische („soustavně“), dänische („til stadighed“), deutsche („durchgängig“), estnische („järjekindlat“), griechische („μόνιμα“), englische („consistently“), kroatische („trajno“), italienische („costantemente“), lettische („konsekventi“), litauische („sistemingai“), ungarische („következetesen“), maltesische („konsistentement“), niederländische („duurzame“), polnische („konsekwentnie“), portugiesische („sistemático“), rumänische („consecvent“), slowakische („sústavne“), slowenische („redno“), finnische („jatkuvasti“) und schwedische („genomgående“) entsprechen Ausdrücken wie „konstant“, „systematisch“, „dauerhaft“, „fortwährend“ oder „kohärent“.

96      Abgesehen von diesen Bedeutungsunterschieden liegt all diesen Wörtern jedoch eine Vorstellung der „Unveränderlichkeit“ zugrunde. Mangels einer Bezugnahme in Art. 37 der Richtlinie 2013/32 oder in deren Anhang I auf einen Teil der Bevölkerung des betreffenden Drittstaats ist folglich festzustellen, dass diese Bedeutungsunterschiede darauf hindeuten, dass die in Anhang I genannten Bedingungen im Hinblick auf die gesamte Bevölkerung des betreffenden Drittstaats erfüllt sein müssen, damit dieser Staat als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden kann. Sie bringen somit die Entscheidung des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, die Bestimmung eines sicheren Herkunftsstaats von der Voraussetzung abhängig zu machen, dass der Drittstaat im Allgemeinen für seine gesamte Bevölkerung sicher ist, nicht nur für einen Teil von ihr.

97      Im Übrigen gibt es selbst in einem Staat, der im Allgemeinen für seine gesamte Bevölkerung sicher ist, keine absolute Garantie für die Sicherheit jedes Einzelnen. Aus diesem Grund hat der Unionsgesetzgeber in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 – im Licht der Erwägungsgründe 40 und 42 der Richtlinie gelesen – für jede Person, die internationalen Schutz beantragt und aus einem als sicheren Herkunftsstaat eingestuften Staat stammt, die Möglichkeit vorgesehen, die widerlegbare Vermutung eines ausreichenden Schutzes dadurch zu entkräften, dass sie schwerwiegende Gründe darlegt, die ihren speziellen Fall betreffen.

98      Zweitens ist zu dem auf Art. 24 der Richtlinie 2013/32 gestützten Vorbringen festzustellen, dass dieser Artikel, der nach seiner Überschrift „Antragsteller, die besondere Verfahrensgarantien benötigen“, betrifft, keinen Zusammenhang zu der Bestimmung eines Drittstaats als „sicheren Herkunftsstaat“ im Sinne von Art. 37 der Richtlinie und deren Anhang I aufweist.

99      Drittens ermöglicht – wie in den Rn. 48 bis 51 des vorliegenden Urteils ausgeführt – die nationale Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten, dass Anträge auf internationalen Schutz von Antragstellern aus diesen Drittstaaten einer besonderen Prüfungsregelung mit Ausnahmecharakter unterworfen werden.

100    Eine Auslegung von Art. 37 der Richtlinie 2013/32 dahin, dass ein Drittstaat als sicherer Herkunftsstaat bestimmt werden kann, obwohl dieser Staat für bestimmte Personengruppen die materiellen Voraussetzungen des Anhangs I dieser Richtlinie nicht erfüllt, würde den Geltungsbereich dieser besonderen Prüfungsregelung erweitern. Da eine solche Auslegung weder im Wortlaut von Art. 37 noch im Weiteren in der Richtlinie eine Stütze findet, würde bei Bejahung einer solchen Möglichkeit verkannt, dass Bestimmungen mit Ausnahmecharakter eng ausgelegt werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. März 2015, Kommission/Luxemburg, C‑502/13, EU:C:2015:143, Rn. 61, und vom 8. Februar 2024, Bundesrepublik Deutschland [Zulässigkeit eines Folgeantrags], C‑216/22, EU:C:2024:122, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

101    Was als Drittes die Ziele der Richtlinie 2013/32 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass diese Richtlinie neben ihrem allgemeinen Ziel, gemeinsame Verfahrensvorschriften aufzustellen, insbesondere – wie u. a. aus ihrem 18. Erwägungsgrund hervorgeht – dafür sorgen soll, dass Anträge auf internationalen Schutz „so rasch wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge“, bearbeitet werden (Urteile vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 109, und vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 78).

102    In diesem Zusammenhang heißt es im 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32, dass es den Mitgliedstaaten unter genau bestimmten Umständen, etwa wenn ein Antrag voraussichtlich unbegründet ist, möglich sein sollte, das Prüfungsverfahren unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung und der effektiven Inanspruchnahme der in der Richtlinie vorgesehenen wesentlichen Garantien und Grundsätze durch den Antragsteller zu beschleunigen, insbesondere indem kürzere, jedoch angemessene Fristen für bestimmte Verfahrensschritte eingeführt werden (Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 79).

103    Wie in den Rn. 48 bis 51 des vorliegenden Urteils dargelegt, ist das der Grund, warum ein Mitgliedstaat Anträge auf internationalen Schutz von Antragstellern aus einem Drittstaat, den dieser Mitgliedstaat als sicheren Herkunftsstaat bestimmt hat, einer besonderen Prüfungsregelung unterwerfen kann, aufgrund deren insbesondere eine Beschleunigung des Verfahrens zur Prüfung dieser Anträge möglich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 80).

104    Insofern der Unionsgesetzgeber mit der Richtlinie 2013/32, wie in Rn. 101 des vorliegenden Urteils festgestellt, eine rasche und vollständige Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz gewährleisten will, ist es seine Aufgabe, im Rahmen der Ausübung des Ermessens, über das er bei der Festlegung gemeinsamer Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes verfügt, diese beiden Ziele bei der Festlegung der Bedingungen, unter denen die Mitgliedstaaten einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat bestimmen können, gegeneinander abzuwägen (Urteil vom 4. Oktober 2024, Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky, C‑406/22, EU:C:2024:841, Rn. 81).

105    Dass der Gesetzgeber im Rahmen der Richtlinie 2013/32 für die Mitgliedstaaten keine Möglichkeit vorgesehen hat, bestimmte Personengruppen für die Zwecke einer solchen Bestimmung auszuschließen, spiegelt diese Abwägung und seine Entscheidung wider, in Bezug auf die Anträge auf internationalen Schutz, die von Antragstellern gestellt wurden, deren Herkunftsstaat die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen nicht für seine gesamte Bevölkerung erfüllt, einer vollständigen Prüfung den Vorzug zu geben.

106    Zwar führt Art. 61 Abs. 2 der Verordnung 2024/1348, mit deren Art. 78 die Richtlinie 2013/32 mit Wirkung ab dem 12. Juni 2026 aufgehoben wird, eine solche Möglichkeit ein, indem er festlegt, dass ein Drittstaat sowohl auf Unionsebene als auch auf nationaler Ebene unter Ausnahme eindeutig identifizierbarer Personengruppen als sicheres Herkunftsland bestimmt werden kann. Dabei handelt es sich aber um das Vorrecht des Unionsgesetzgebers, diese Entscheidung im Zuge einer neuen Abwägung zu revidieren.

107    In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass es Sache des Unionsgesetzgebers ist, den Zeitpunkt zu wählen, ab dem eine neue Bestimmung wie Art. 61 Abs. 2 der Verordnung 2024/1348 anwendbar wird; diese Wahl hat er in Art. 79 Abs. 2 und 3 der Verordnung getroffen. Außerdem steht es ihm frei, diese Entscheidung durch Änderung der zuletzt genannten Vorschrift rückgängig zu machen, was im Übrigen von der Kommission vorgeschlagen worden ist. So sieht ihr Vorschlag vom 16. April 2025 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung 2024/1348 (COM[2025] 186 final) in Art. 1 Abs. 2 vor, Art. 79 Abs. 2 und 3 der Verordnung 2024/1348 zu ändern, um die Anwendung von u. a. Art. 61 Abs. 2 der Verordnung vorzuziehen.

108    Unter Berücksichtigung der in den Rn. 66 und 85 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen und in Anbetracht dessen, dass Art. 37 der Richtlinie 2013/32 und nicht Art. 61 Abs. 2 der Verordnung 2024/1348 auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbar ist, ist es daher Sache des vorlegenden Gerichts, gemäß Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie – im Licht von Art. 47 der Charta gelesen – auf der Grundlage der Akten sowie der Angaben, die ihm im bei ihm anhängigen Verfahren zur Kenntnis gebracht wurden, zu prüfen, ob die in Art. 2bis Abs. 1 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 25/2008 nach seiner Änderung durch das Gesetzesdekret Nr. 158/2024 vorgesehene Bestimmung der Volksrepublik Bangladesch als sicherer Herkunftsstaat im Hinblick auf die gesamte Bevölkerung dieses Drittstaats die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung erfüllt.

109    Nach alledem ist auf die jeweils vierte Frage zu antworten, dass Art. 37 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Anhang I der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, der für bestimmte Personengruppen die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung nicht erfüllt.

 Kosten

110    Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Art. 36 und 37 sowie Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sind im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, die Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten durch einen Gesetzgebungsakt vorzunehmen, sofern diese Bestimmung Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung, ob die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung erfüllt sind, sein kann, und zwar durch jedes nationale Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz befasst ist, der im Rahmen der besonderen Regelung für Anträge von Antragstellern, die aus als sichere Herkunftsstaaten bestimmten Drittstaaten stammen, geprüft wurde.

2.      Die Art. 36 und 37 sowie Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 sind im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

–        der Mitgliedstaat, der einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat bestimmt, einen ausreichenden und angemessenen Zugang zu den dieser Bestimmung zugrunde liegenden Informationsquellen im Sinne von Art. 37 Abs. 3 der Richtlinie gewährleisten muss, der es zum einen der betroffenen Person, die internationalen Schutz beantragt und aus diesem Drittstaat stammt, ermöglichen muss, ihre Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen zu verteidigen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es für sie von Nutzen ist, das zuständige Gericht anzurufen, und zum anderen das Gericht in die Lage versetzen muss, eine Entscheidung, die den Antrag auf internationalen Schutz betrifft, zu kontrollieren,

–        das nationale Gericht, das mit einer Klage gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz befasst ist, der im Rahmen der besonderen Regelung für die Prüfung von Anträgen von Antragstellern aus als sichere Herkunftsstaaten bestimmten Drittstaaten geprüft wurde, in dem Fall, dass es – und sei es auch nur inzident – prüft, ob diese Bestimmung die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung erfüllt, die von ihm selbst eingeholten Informationen berücksichtigen kann, sofern das Gericht zum einen sich vergewissert, dass diese Informationen zuverlässig sind, und zum anderen gewährleistet, dass für die Parteien des Rechtsstreits der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens gewahrt ist.

3.      Art. 37 der Richtlinie 2013/32 ist in Verbindung mit Anhang I der Richtlinie

dahin auszulegen, dass

er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einen Drittstaat als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, der für bestimmte Personengruppen die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung nicht erfüllt.

Unterschriften




Leave a Comment

Schreibe einen Kommentar