Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
ATHANASIOS RANTOS
vom 27. März 2025(1 )
Rechtssache C ‑632/23
Europäische Kommission
gegen
Republik Bulgarien
„ Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Staatliche Beihilfen – Für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärte Beihilfe – Art. 108 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV – Beschluss (EU) 2015/456 – Staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit dem Tausch von Forstflächen – Rückforderungspflicht – Informationspflicht – Nichtdurchführung innerhalb der gesetzten Frist – Benennung eines unabhängigen Sachverständigen für die Bestimmung der Höhe der zurückzufordernden Beihilfen – Fehlende Unabhängigkeit dieses Sachverständigen “
I. Einleitung
1. Mit der vorliegenden Vertragsverletzungsklage nach Art. 108 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Republik Bulgarien dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 288 Abs. 4 AEUV und den Art. 4 bis 6 des Beschlusses (EU) 2015/456 über die Beihilferegelungen der Republik Bulgarien in Bezug auf den Tausch von Forstflächen(2 ) verstoßen hat, dass sie nicht fristgerecht alle Maßnahmen ergriffen hat, um diesen Beschluss umzusetzen.
2. Im Einzelnen wirft die Kommission der Republik Bulgarien vor, nicht binnen zwölf Monaten nach Bekanntgabe des Beschlusses 2015/456, d. h. vor dem 5. September 2015, alle Maßnahmen ergriffen zu haben, die erforderlich gewesen seien, um zum einen alle staatlichen Beihilfen zurückzufordern, die Unternehmen im Rahmen von Tauschgeschäften von öffentlichen Forstflächen gegen private Forstflächen im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 27. Januar 2009 gewährt wurden und durch diesen Beschluss für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wurden, und zum anderen ihren Informationspflichten gegenüber der Kommission nachzukommen.
3. Die Kommission stützt ihre Klage auf drei Rügen, die sich teilweise überschneiden: erstens die Nichtumsetzung des Beschlusses 2015/456 innerhalb der gesetzten Frist, zweitens ein sehr bescheidenes Ergebnis bei der Rückforderung der fraglichen Beihilfen und drittens das Nichtvorliegen von Umständen, die eine absolute Unmöglichkeit der Umsetzung des Beschlusses belegten.
4. Entsprechend dem Ersuchen des Gerichtshofs werden sich die vorliegenden Schlussanträge auf die Prüfung des ersten Teils der zweiten Rüge der Kommission konzentrieren, der im Wesentlichen aus drei Argumenten in Bezug auf die Republik Bulgarien besteht, mit denen erstens geltend gemacht wird, dieser Mitgliedstaat habe ungerechtfertigterweise entschieden, einen unabhängigen Sachverständigen für die Bewertung der Marktpreise für die getauschten Forstflächen hinzuzuziehen, um die Höhe der zurückzufordernden Beihilfen gemäß dem 176. Erwägungsgrund des Beschlusses 2015/456 zu bestimmen, zweitens die fehlende Unabhängigkeit des benannten Sachverständigen gerügt wird und drittens beanstandet wird, es liege ein Verstoß gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit vor, da die Kommission nicht davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass es sich bei dem benannten Sachverständigen um ein öffentliches Unternehmen handle.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Verordnung (EG) Nr. 659/1999
5. Die Verordnung (EG) Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV](3 ), die durch die Verordnung (EU) 2015/1589(4 ) ersetzt wurde, bleibt aufgrund des zeitlichen Rahmens des Sachverhalts auf den vorliegenden Rechtsstreit anwendbar.
6. Der 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 659/1999 lautete:
„Bei rechtswidrigen Beihilfen, die mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbar sind, muss wirksamer Wettbewerb wiederhergestellt werden. Dazu ist es notwendig, die betreffende Beihilfe einschließlich Zinsen unverzüglich zurückzufordern. Die Rückforderung hat nach den Verfahrensvorschriften des nationalen Rechts zu erfolgen. Die Anwendung dieser Verfahren sollte jedoch die Wiederherstellung eines wirksamen Wettbewerbs durch Verhinderung der sofortigen und tatsächlichen Vollstreckung der Kommissionsentscheidung nicht erschweren. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, sollten die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Wirksamkeit der Kommissionsentscheidung treffen.“
7. Art. 14 („Rückforderung von Beihilfen“) Abs. 3 der Verordnung sah vor:
„Unbeschadet einer Entscheidung des Gerichtshofes … nach Artikel [278 AEUV] erfolgt die Rückforderung unverzüglich und nach den Verfahren des betreffenden Mitgliedstaats, sofern hierdurch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung ermöglicht wird. Zu diesem Zweck unternehmen die betreffenden Mitgliedstaaten im Fall eines Verfahrens vor nationalen Gerichten unbeschadet des [Unions]rechts alle in ihren jeweiligen Rechtsordnungen verfügbaren erforderlichen Schritte einschließlich vorläufiger Maßnahmen.“
8. Art. 23 („Nichtbefolgung von Entscheidungen und Urteilen“) Abs. 1 der Verordnung sah vor:
„Kommt der betreffende Mitgliedstaat mit Bedingungen und Auflagen verbundenen Entscheidungen oder Negativentscheidungen, insbesondere in den in Artikel 14 genannten Fällen, nicht nach, so kann die Kommission nach Artikel [108] Absatz 2 [AEUV] den Gerichtshof … unmittelbar anrufen.“
B. Beschluss 2015/456
9. In den Erwägungsgründen 44, 118 bis 121, 146 und 172 bis 177 des Beschlusses 2015/456 heißt es:
„(44) Im Eröffnungsbeschluss hat die Kommission ferner ihren vorläufigen Standpunkt dazu dargelegt, wie der aus den angefochtenen Tauschgeschäften resultierende Vorteil zu quantifizieren ist, sofern diese Tauschgeschäfte staatliche Beihilfen beinhalten. Heranzuziehen wären:
i) der Differenzbetrag zwischen dem tatsächlichen Marktpreis einer in Privateigentum stehenden Forstfläche 1 und dem Verwaltungspreis der Forstfläche 1 nach Maßgabe der Verordnung über die Basispreise,
ii) der Differenzbetrag zwischen dem tatsächlichen Marktpreis einer in Staatseigentum stehenden Forstfläche 2 und dem Verwaltungspreis der Forstfläche 2 nach Maßgabe der Verordnung über die Basispreise.
Die in einem Tauschgeschäft enthaltene staatliche Beihilfe entspreche dem Betrag von ii abzüglich des Betrags von i.
Etwaige aufgrund der Differenz zwischen den Verwaltungspreisen zweier tauschgegenständlicher Forstflächen zwischen den Parteien geleistete Ausgleichszahlungen würden ebenfalls bei der Berechnung der möglicherweise mit dem Tauschgeschäft verbundenen staatlichen Beihilfe berücksichtigt.
…
(118) Mit späteren Schriftsätzen haben die bulgarischen Behörden in Reaktion auf Auskunftsersuchen die Marktpreise sowohl für die privaten Forstflächen als auch für die öffentlichen Forstflächen in Bezug auf sämtliche Tauschgeschäfte im Bezugszeitraum vorgelegt …
(119) In ihrer Stellungnahme vom 19. November 2013 … haben die bulgarischen Behörden hingegen erklärt, es bestünden gewisse Probleme mit der Zuverlässigkeit der von ihnen übermittelten Daten. So übermittelten die bulgarischen Behörden für die Zwecke der Formel in Erwägungsgrund 44 die fairen Marktpreise für 82 Flächen …, bei denen Tauschgeschäfte beanstandet wurden. Für die übrigen Flächen haben sie bestmögliche Schätzungen für die Marktwerte angegeben und dabei darauf hingewiesen, dass diese möglicherweise nicht den fairen Marktwerten entsprechen. Hinsichtlich der übrigen betreffenden öffentlichen Forstflächen haben die bulgarischen Behörden erklärt, dass es sich bei den dafür als Marktpreise angegebenen Preisen eigentlich um Durchschnittspreise für verschiedenartige Forstgeschäfte handele. Folglich stellten sie nicht unbedingt den fairen Marktwert dar, da sie nicht den Durchschnittspreisen für vollkommen vergleichbare Geschäfte entsprächen.
(120) In Bezug auf die übrigen privaten Forstflächen, die immer noch keiner Wertermittlung durch einen unabhängigen Gutachter unterzogen worden waren, haben die bulgarischen Behörden erklärt, dass in bestimmten Fällen die Preise laut Verkaufsbescheinigungen, die von den Behörden als Schätzungswert der von ihnen angegebenen Marktpreise für diese Flächen eingesetzt wurden, ihrem sogenannten Steuerwert entsprachen bzw. nur geringfügig davon abwichen. Der Steuerwert einer Fläche ist nicht ihr Marktwert, sondern der Mindestpreis, der bei Immobiliengeschäften veranschlagt wird, d. h., der Marktwert der jeweiligen Fläche ist grundsätzlich höher.
(121) Ungeachtet der obigen Ausführungen haben die bulgarischen Behörden betont, dass die von ihnen gemachten Angaben über die Marktpreise die besten ermittelbaren Schätzungswerte seien, da i) es in Bulgarien keine Einzelregelungen über die Festsetzung von Marktpreisen für Forstflächen mittels Wertermittlung gebe, ii) die Durchführung einer Wertermittlung durch einen unabhängigen Gutachter hinsichtlich der möglichen Marktpreise für die betreffenden Flächen zum Zeitpunkt des Tauschgeschäfts viel Zeit in Anspruch nehmen würde und iii) dies eine sehr aufwendige Maßnahme wäre. Ferner haben die bulgarischen Behörden erklärt, die übermittelten Preise lägen jedenfalls näher an den fairen Marktpreisen als an den Verwaltungspreisen.
…
(146) Die bulgarischen Behörden haben erklärt, es lägen gewisse Probleme mit der Zuverlässigkeit der Daten vor, die sie zu den Marktpreisen vorlegen könnten … Zugleich haben sie auch betont, dass die übermittelten Auskünfte die besten Schätzungswerte der Marktpreise darstellten … Nach Ansicht der Kommission sind diese Angaben hinreichend zuverlässige Schätzungswerte des tatsächlichen (also des „fairen“) Marktwerts der jeweiligen Forstflächen.
…
(172) Die Kommission ist nicht rechtlich verpflichtet, den genauen zurückzufordernden Betrag festzusetzen, insbesondere wenn ihr die dafür notwendigen Daten nicht vorliegen. Stattdessen reicht es aus, wenn im Beschluss der Kommission Angaben enthalten sind, die es dem Mitgliedstaat ermöglichen, den zurückzufordernden Betrag ohne allzu große Schwierigkeiten zu ermitteln …
(173) … [D]ie Kommission [ist] der Auffassung, dass der Mitgliedstaat folgende Methode als Ausgangspunkt für die Ermittlung der Höhe der rechtswidrigen staatlichen Beihilfe zugrunde legen sollte, die von den einzelnen Begünstigten zurückzufordern ist:
i) Ermittlung des Differenzbetrags zwischen dem tatsächlichen Marktpreis für die private Forstfläche und dem Verwaltungspreis für diese Fläche, berechnet nach Maßgabe der Verordnung über die Basispreise; und
ii) Ermittlung des Differenzbetrags zwischen dem tatsächlichen Marktpreis für die öffentliche Forstfläche und dem Verwaltungspreis für diese Fläche, berechnet nach Maßgabe der Verordnung über die Basispreise.
Der Grundbetrag der durch das Tauschgeschäft gewährten staatlichen Beihilfe entspricht der Differenz aus ii minus i.
In Fällen, bei denen eine öffentliche Forstfläche mit einem höheren Verwaltungspreis gegen eine private Forstfläche mit einem niedrigeren Verwaltungspreis getauscht wurde, ist dieser Grundbetrag entsprechend anzupassen. Nach Angaben der bulgarischen Behörden musste in diesen Fällen der Begünstigte dem Staat zur Deckung der Differenz des Werts der Flächen eine Ausgleichszahlung leisten. Folglich sollte der Grundbetrag der Beihilfe um diesen von den Begünstigten an die bulgarischen Behörden geleisteten Betrag der Ausgleichszahlung reduziert werden. Den daraus resultierenden Betrag sollten die bulgarischen Behörden vom Begünstigten zurückfordern, damit der durch das Tauschgeschäft erhaltene Vorteil zurückerstattet wird.
(174) Zur Ermittlung der Marktpreise der jeweiligen Forstflächen muss deren Wirtschaftswert zum Tauschzeitpunkt vollumfänglich berücksichtigt werden. …
(175) Die Kommission stellt fest, dass die bulgarischen Behörden bereits über Informationen zu den bei den Tauschgeschäften angewandten Verwaltungspreisen sowie zu den Marktpreisen sämtlicher von diesen Geschäften zum Tauschzeitpunkt betroffenen Flächen verfügen …, sodass sie keine allzu großen Schwierigkeiten haben dürften, die zurückzufordernden Beträge aufgrund der Methode nach Erwägungsgrund 173 zu ermitteln …
(176) Jedoch können die bulgarischen Behörden in den Fällen, in denen sie begründete Bedenken hegen, dass diese Methode nicht angewandt werden kann oder zu einem Betrag führt, der offensichtlich die Höhe der vom Begünstigten erhaltenen staatlichen Beihilfe nicht angemessen widerspiegelt, beschließen, eine Bewertung der Marktpreise für die getauschten Forstflächen zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses mit Hilfe eines unabhängigen Sachverständigen durchzuführen, der für solche Bewertungen qualifiziert ist und im Wege einer offenen öffentlichen Ausschreibung gewählt wurde. Bei der Festlegung des Verfahrens zur Auswahl dieses Gutachters sind – selbst wenn bei der Ausschreibung die Schwellen nach den EU-Ausschreibungsrichtlinien nicht überschritten werden – die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung einzuhalten. Insbesondere muss die Ausschreibung: i) auf eine geeignete Art und Weise bekannt gemacht werden; ii) sich auf objektive, im Voraus bekannte Auswahlkriterien gründen; und iii) den Hinweis enthalten, dass nach einer Vorauswahl der endgültige Beschluss unter Beteiligung von Vertretern der Kommissionsdienststellen gefasst wird. In diesen Ausnahmefällen müssen die bulgarischen Behörden: i) angeben, um welche Flächen es geht; ii) begründen, weshalb eine Bewertung durch einen unabhängigen Sachverständigen in diesem Einzelfall notwendig ist; und iii) der Kommission einen (im Rahmen einer Ausschreibung ausgewählten) unabhängigen Sachverständigen vorschlagen, der sowohl von der Kommission als auch von der Republik Bulgarien angenommen werden muss.
(177) Ferner vertritt die Kommission, da für die Zwecke der Rückforderung die Lage von vor dem Zeitpunkt der Durchführung des Tauschgeschäfts wiederhergestellt werden muss, die Ansicht, dass in Anbetracht der außerordentlichen Natur derjenigen Tauschvereinbarungen in Bezug auf Forstflächen, die nicht für gewerbliche Zwecke genutzt worden sind, die Republik Bulgarien ihrer Pflicht zur Rückforderung der rechtswidrig gewährten Beihilfe auch nachkommen kann, indem sie die angefochtenen Tauschgeschäfte durch Rücktausch der betreffenden Flächen rückgängig macht. …“
10. In den Art. 1 und 4 bis 6 des verfügenden Teils des Beschlusses heißt es:
„Artikel 1
Die staatlichen Beihilfen, die die Republik Bulgarien im Zeitraum 1. Januar 2007 – 27. Januar 2009 unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV Unternehmen im Rahmen von Tauschgeschäften von öffentlichen Forstflächen gegen private Forstflächen rechtswidrig gewährt hat, sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar.
…
Artikel 4
(1) Die Republik Bulgarien fordert die mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfen im Rahmen der in Artikel 1 genannten Tauschgeschäfte von den Begünstigten zurück.
(2) Abweichend von den Bestimmungen von Absatz 1 kann eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe von dem Begünstigten zurückerstattet werden, indem die betreffenden Tauschgeschäfte rückgängig gemacht werden; dies ist jedoch nur möglich, wenn an den betreffenden öffentlichen und privaten Forstflächen nach dem Zeitpunkt dieses Geschäfts keine wesentlichen Veränderungen vorgenommen worden sind.
…
Artikel 5
(1) Die Beihilfen, die im Rahmen der in Artikel 1 genannten Regelung gewährt wurden, werden unverzüglich und tatsächlich zurückgefordert.
(2) Die Republik Bulgarien stellt sicher, dass dieser Beschluss binnen zwölf Monaten nach seiner Bekanntgabe vollständig umgesetzt wird.
Artikel 6
…
(3) Die Republik Bulgarien legt binnen zwölf Monaten nach Bekanntgabe dieses Beschlusses Nachweise für die vollständige Rückzahlung der Beihilfen durch die jeweiligen Begünstigten vor.
(4) Die Republik Bulgarien unterrichtet die Kommission mittels zweimonatlicher Berichte über den Fortgang ihrer Maßnahmen zur Umsetzung dieses Beschlusses, bis die Rückzahlung der Beihilfen, die im Rahmen der in Artikel 1 genannten Tauschgeschäfte gewährt wurden, abgeschlossen ist. Auf einfache Anfrage der Kommission legt die Republik Bulgarien unverzüglich Informationen über die Maßnahmen vor, die ergriffen wurden bzw. beabsichtigt sind, um diesem Beschluss nachzukommen. Ferner übermittelt die Republik Bulgarien ausführliche Angaben über die Beihilfebeträge und die Rückforderungszinsen, die von den Begünstigten bereits zurückgezahlt wurden.“
III. Vorgeschichte des Rechtsstreits und Vorverfahren
A. Sachverhalt
11. Im Jahr 1947 wurden die Forstflächen der Republik Bulgarien verstaatlicht. Nach 2000 begann die Republik Bulgarien mit der Rückübertragung der Forstflächen an ihre ehemaligen privaten Eigentümer. Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte geht hervor, dass eine am 22. Februar 2002 in Kraft getretene Änderung des Waldgesetzes(5 ) den Tausch entstaatlichter Forstflächen gegen öffentliche Forstflächen des öffentlichen Waldbestands ermöglichte. Die Preise für die getauschten Flächen wurden anhand von im bulgarischen Recht(6 ) festgelegten Kriterien bestimmt, die am 18. November 2003 in Kraft traten.
12. Da am 27. Januar 2009 ein Verbot der Tauschgeschäfte mit Forstflächen in Kraft getreten ist, erstreckt sich der Bezugszeitraum für die angefochtenen Tauschgeschäfte vom 1. Januar 2007 (Zeitpunkt des Beitritts der Republik Bulgarien zur Europäischen Union) bis zum 27. Januar 2009(7 ).
13. Nach einer Beschwerde im Jahr 2008, der zufolge im Zusammenhang mit dem Tausch von Forstflächen eine rechtswidrige staatliche Beihilfe gewährt worden sei, setzte die Kommission die Republik Bulgarien mit Schreiben vom 29. Juni 2011 von ihrem Beschluss in Kenntnis, bezüglich der angefochtenen Tauschgeschäfte das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV zu eröffnen.
14. Mit dem Beschluss 2015/456 stellte die Kommission fest, dass die Republik Bulgarien ihrer Pflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht nachgekommen sei, da sie Unternehmen im Zusammenhang mit dem Tausch von mindestens zwei öffentlichen Forstflächen gegen private Forstflächen im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 27. Januar 2009, in dem insgesamt 132 Tauschgeschäfte getätigt worden seien, eine rechtswidrige staatliche Beihilfe gewährt habe, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar sei.
15. Die Kommission war insoweit der Auffassung, dass die im Bezugszeitraum durchgeführten Tauschgeschäfte der Republik Bulgarien eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellten, wenn die an den Tauschgeschäften beteiligten Personen Unternehmen im Sinne der genannten Vorschrift seien und der Wert der Forstflächen dieses Mitgliedstaats nicht den Marktwert widerspiegele(8 ), sofern es sich nicht um De ‑minimis -Beihilfen im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013(9 ) handle.
16. Am 5. November 2014 beschloss die Republik Bulgarien, keine Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss 2015/456 zu erheben.
B. Vorverfahren
17. Nach dem Erlass des Beschlusses 2015/456 fand zwischen den bulgarischen Behörden und den Dienststellen der Kommission ein umfangreicher Schriftwechsel über die Umsetzung des Beschlusses statt. Für die Zwecke der vorliegenden thematisch begrenzten Schlussanträge beziehen sich die folgenden Ausführungen ausschließlich auf den Schriftwechsel zur Benennung des unabhängigen Sachverständigen.
18. Am 7. Oktober 2014 teilten die bulgarischen Behörden bei ihrem ersten Treffen mit den Dienststellen der Kommission nach Erlass des Beschlusses 2015/456 der Kommission mit, dass sie beschlossen hätten, die mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe zurückzufordern, jedoch nicht durch Rückgriff auf die Möglichkeit, die in Art. 4 Abs. 2 des verfügenden Teils des Beschlusses 2015/456 und in seinem 177. Erwägungsgrund vorgesehen sei, d. h. die Möglichkeit, die Tauschgeschäfte rückgängig zu machen, sofern an den betreffenden Forstflächen nach dem Zeitpunkt dieses Geschäfts keine wesentlichen Veränderungen vorgenommen worden sind. Vielmehr verpflichteten sie sich, die Beihilfe in allen Fällen zurückzufordern, in denen ihr Betrag den De ‑minimis -Höchstbetrag übersteige. Sie erklärten insoweit, dass sie eine Bewertung der Marktpreise der getauschten Flächen unter Hinzuziehung eines unabhängigen Sachverständigen im Einklang mit dem 176. Erwägungsgrund des Beschlusses vornehmen würden. Bei diesem Treffen erhob die Kommission keine Einwände gegen die Entscheidung der bulgarischen Behörden, einen unabhängigen Sachverständigen hinzuzuziehen.
19. Mit E‑Mail vom 17. Oktober 2014 übermittelten die bulgarischen Behörden der Kommission eine Liste mit 78 Tauschgeschäften von öffentlichen Forstflächen, die unter die De ‑minimis -Regel fielen.
20. Mit E‑Mail vom 22. Oktober 2014 teilten die Dienststellen der Kommission den bulgarischen Behörden mit, dass die Liste „korrekt erstellt“ worden sei.
21. Am 26. November 2014 genehmigte das bulgarische Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft die Liste der Tauschgeschäfte, die den De ‑minimis -Höchstbetrag überstiegen und bei denen die Bewertung der Marktpreise für die Forstflächen zum Tauschzeitpunkt durch einen unabhängigen Sachverständigen vorgenommen werden musste.
22. Die Ausschreibung für die Auswahl des unabhängigen Sachverständigen fand zwischen 2014 und 2017 statt. In diesem Zeitraum wurden zahlreiche Ausschreibungsverfahren veröffentlicht, da die ersten Ausschreibungen wegen einiger verfahrensrechtlicher Schwierigkeiten nicht abgeschlossen werden konnten(10 ).
23. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2017 teilten die bulgarischen Behörden der Kommission das Ergebnis des letzten Ausschreibungsverfahrens mit, wobei sie darauf hinwiesen, dass das Unternehmen Agrolesproekt EOOD als Sachverständiger ausgewählt worden sei und den Vertrag durchführen werde, indem es zwei qualifizierte Sachverständige hinzuziehen werde, die bei der Kammer der unabhängigen Gutachter Bulgariens registriert und befugt seien, Grundstücke in Waldgebieten zu bewerten. Ferner enthielt das Schreiben den Hinweis, dass gemäß den Anforderungen an die Bieter in den Ausschreibungsunterlagen eine Erklärung zu den zwei Gutachtern abgegeben worden sei, in der u. a. klargestellt werde, dass sie an der Besetzung der Ausschüsse zur Bestätigung der Bewertungsberichte für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 27. Januar 2009, auf den sich der Beschluss 2015/456 beziehe, nicht beteiligt gewesen seien(11 ). Das Schreiben enthielt keine Informationen zur Eigentümerstruktur von Agrolesproekt und vor allem nicht zu dem Umstand, dass das Unternehmen im 100%igen Besitz des bulgarischen Staats stand.
24. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2017 teilte die Kommission der Republik Bulgarien zum einen mit, dass sie die Auswahl von Agrolesproekt und den Umstand, dass der Vertrag von den beiden Sachverständigen durchgeführt werde, zur Kenntnis genommen habe, und zum anderen, dass die vorgeschlagene Auswahl unter Zugrundelegung der verfügbaren Informationen die Kriterien erfülle, nach denen unabhängige und ausreichend qualifizierte Sachverständige, die zuvor nicht an den im Beschluss 2015/456 genannten Tauschgeschäften beteiligt gewesen seien, hinzugezogen werden könnten. Sodann forderte sie die bulgarischen Behörden auf, ihr die Bewertungsberichte der Sachverständigen vorzulegen, sobald sie abgeschlossen seien.
25. Am 7. November 2017 unterzeichneten die bulgarischen Behörden und Agrolesproekt einen Vertrag über die Erbringung der Dienstleistung zur Berechnung des Marktpreises der ausgetauschten Flächen.
26. Mit Schreiben vom 8. Juni 2018 teilte die Republik Bulgarien der Kommission in Beantwortung des Schreibens vom 26. Oktober 2017 mit, dass Agrolesproekt einen Bericht über die durchgeführten Arbeiten erstellt habe, der dem öffentlichen Auftraggeber übermittelt und von ihm genehmigt worden sei, nachdem der Sachverständigenrat der Nationalen Forstbehörde seine Bewertung vorgenommen und einstimmig festgestellt habe, dass die Bewertungsberichte gemäß den technischen Spezifikationen des Auftrags und im Einklang mit der in den Verdingungsunterlagen festgelegten Methode erstellt worden seien.
27. Mit Schreiben vom 29. Juni 2018 forderte die Kommission die Republik Bulgarien auf, ihr Informationen über die Durchführung des Auftrags zur Bewertung der Forstflächen zukommen zu lassen.
28. Mit Schreiben vom 4. September 2018 legten die bulgarischen Behörden ihre Berichte über die Bewertung der Marktpreise der ausgetauschten Flächen vor. Auf der Grundlage dieser Berichte wurde für 103 der vom Beschluss 2015/456 betroffenen 132 Tauschgeschäfte ein positiver Beihilfebetrag festgestellt(12 ).
29. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2018 teilte die Kommission den bulgarischen Behörden in Beantwortung des Schreibens vom 4. September 2018 mit, dass sie die übermittelten Informationen zur Kenntnis genommen habe und das Ergebnis bestätige, wonach ein Vorteil für die an den 103 (von insgesamt 132) Tauschgeschäften beteiligten Begünstigten festgestellt worden sei.
30. Im November 2018 erklärten die bulgarischen Behörden der Kommission zufolge, dass sich die zurückzufordernden Beträge auf etwa 40 Mio. Euro beliefen.
31. Im Jahr 2020 ging bei der Kommission eine Beschwerde ein, mit der geltend gemacht wurde, dass sich der zurückzufordernde Betrag auf über 500 Mio. Euro belaufe, und in der Zweifel an der von den bulgarischen Behörden im Rahmen der Rückforderung angewandten Methode zur Berechnung der Beihilfe geäußert wurden.
32. Mit Schreiben vom 15. Mai 2020 forderte die Kommission die Republik Bulgarien angesichts dieser Zweifel auf, eine Reihe von Erläuterungen zu den Tätigkeiten von Agrolesproekt, insbesondere zu ihrer Eigentümerstruktur, zur Anwendung des Kriteriums der Unabhängigkeit des Sachverständigen im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens und zur Vergütung der beiden von Agrolesproekt herangezogenen Sachverständigen zu übermitteln(13 ).
33. Mit Schreiben vom 10. Juli 2020 antwortete die Republik Bulgarien, dass Agrolesproekt zu 100 % im Eigentum des bulgarischen Staats stehe, ihre Haupttätigkeit in der Erbringung von forstwirtschaftlichen Dienstleistungen und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Holzgewinnung bestehe und ihre Verwaltungsaufgaben vom Minister für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft wahrgenommen würden.
34. Da die Kommission der Ansicht war, dass die von den bulgarischen Behörden vorgelegten Informationen die geäußerten ernsthaften Zweifel an der vollständigen Umsetzung des Rückforderungsbeschlusses nicht ausräumen könnten(14 ), forderte sie die Behörden mit Schreiben vom 22. September 2020 dazu auf, alle individuellen Bewertungsberichte von Agrolesproekt zu überprüfen, um die Marktpreise nach der richtigen Methode zu ermitteln und unverzüglich die Höhe der zurückzufordernden Beihilfen zu berechnen.
35. Mit Schreiben vom 2. November 2020 setzten die Behörden die Kommission davon in Kenntnis, dass bei den nationalen Gerichten zahlreiche Klagen gegen die Rückforderungsanordnungen erhoben worden seien und es keinen rechtlichen oder gesetzlichen Mechanismus gebe, der die Wiederaufnahme oder Einstellung eines laufenden Gerichtsverfahrens ermögliche.
36. Mit Schreiben vom 19. April 2021 teilte die Kommission den Behörden mit, dass es sich bei Agrolesproekt um ein „öffentliches Unternehmen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/111/EG(15 ) handle und Agrolesproekt deshalb keine Bewertung der Marktpreise der zum Zeitpunkt des Geschäfts getauschten Forstflächen vornehmen könne. Folglich sei das von Agrolesproekt vorgelegte Sachverständigengutachten, auf das die bulgarischen Behörden ihre Maßnahmen zur Umsetzung des Beschlusses über die Rückforderung der Beihilfe gestützt hätten, keine verlässliche Grundlage für die Umsetzung des Beschlusses 2015/456. Die Kommission forderte die Behörden daher auf, zu prüfen, ob eine neue öffentliche Ausschreibung eingeleitet werden könne, um einen unabhängigen Sachverständigen im Einklang mit dem 176. Erwägungsgrund des Beschlusses zu benennen(16 ).
37. Mit Schreiben vom 11. Mai 2021 antworteten die genannten Behörden auf dieses Schreiben, indem sie die Auswahl von Agrolesproekt als Sachverständige rechtfertigten und u. a. darauf hinwiesen, dass die Auswahl gemäß dem 176. Erwägungsgrund des Beschlusses im Rahmen eines hinreichend transparenten, wettbewerbsorientierten, offenen und bedingungsfreien Verfahrens und auf der Grundlage des Kriteriums des niedrigsten Angebots getroffen worden sei. Außerdem erklärten sie, dass dieses Unternehmen für seine Tätigkeiten keine Finanzierung aus dem Staatshaushalt, den Haushaltsplänen der Gemeinden oder sonstigen anweisungsbefugten Behörden erhalte und seine Einnahmen aus seiner Haupttätigkeit stammten, nämlich der Erstellung von Waldplänen und Waldinventaren im Rahmen von Verträgen, die nach der Teilnahme an offenen Verfahren gemäß dem Zakon za obshtestvenite porachki (Gesetz über das öffentliche Auftragswesen)(17 ) geschlossen worden seien. Schließlich seien bei den nationalen Gerichten zahlreiche Verfahren anhängig, mit denen der Betrag der zurückzufordernden Beihilfe angefochten werde, und in einigen dieser Verfahren hätten gerichtliche Sachverständige einen Marktpreis ermittelt, der dem von Agrolesproekt ermittelten Preis vergleichbar sei oder unter diesem liege.
38. Mit Schreiben vom 20. Juni 2022 forderte die Kommission ergänzende Angaben zur Unabhängigkeit von Agrolesproekt an. Die Kommission verlangte nachdrücklich Transparenz in Bezug auf die folgenden Gesichtspunkte: a) die Haupttätigkeit des Unternehmens, die angebotenen Dienstleistungen und ein Verzeichnis seiner wichtigsten Kunden; b) seine Geschäftspolitik und Entscheidungsprozesse; c) andere Einheiten oder beteiligte Einheiten, die die Tätigkeit des Unternehmens kontrollieren oder beeinflussen; und d) eine genaue Aufstellung der Einnahmequellen und Anteil der staatlichen Finanzierung oder der von staatlicher Seite vergebenen Aufträge am Umsatz des Unternehmens sowie die geprüften Jahresabschlüsse für den Zeitraum 2017‑2021.
39. Mit Schreiben vom 12. Juli 2022 wiederholte die Republik Bulgarien ihre Ausführungen in ihrem Schreiben vom 11. Mai 2021, wobei sie darauf hinwies, dass in insgesamt 102 Fällen, in denen die Gewährung einer staatlichen Beihilfe festgestellt worden sei, bislang 66 Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit der Rückforderung der Beihilfe eingeleitet worden seien und der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) in zehn Fällen die angefochtenen Rückforderungsanordnungen für nichtig erklärt habe. Die bulgarischen Behörden hätten 21 Rückforderungsanordnungen versandt, von denen zehn bezahlt worden seien und fünf zur Rückabwicklung des Tauschgeschäfts geführt hätten.
40. Im Rahmen einer Klage gegen eine Anordnung zur Rückforderung einer Beihilfe im Zusammenhang mit einem Flächentausch wurde der Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens des Administrativen sad Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien) mit Fragen zur Auslegung des Begriffs „Unternehmen“ im Sinne von Art. 107 AEUV sowie zu den Modalitäten der Berechnung des Marktpreises der getauschten Flächen befasst(18 ).
41. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien
42. Die Kommission beantragt, festzustellen, dass die Republik Bulgarien dadurch, dass sie nicht innerhalb der gesetzten Frist alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um die staatlichen Beihilfen, die mit dem Beschluss der Kommission 2015/456 für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wurden, von den Begünstigten zurückzufordern, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 288 Abs. 4 AEUV und den Art. 4 bis 6 des Beschlusses verstoßen hat, und der Republik Bulgarien die Kosten aufzuerlegen.
43. Die Republik Bulgarien beantragt, die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
44. In der Sitzung vom 8. Januar 2025 haben die Parteien mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichtshofs beantwortet.
V. Würdigung
45. Die Kommission stützt ihre Klage auf drei Rügen, die sich teilweise überschneiden: erstens die Nichtumsetzung des Beschlusses 2015/456 innerhalb der gesetzten Frist, zweitens ein sehr bescheidenes Ergebnis bei der Rückforderung der fraglichen Beihilfen und drittens das Nichtvorliegen von Umständen, die eine absolute Unmöglichkeit der Umsetzung des Beschlusses belegten.
46. Die zweite Rüge besteht aus zwei Teilen, die die beiden Hauptgründe betreffen, die nach Ansicht der Kommission die tatsächliche Umsetzung des Beschlusses 2015/456 verhindert haben, nämlich zum einen die nicht gerechtfertigte Benennung eines Sachverständigen zur Ermittlung der Höhe der zurückzufordernden Beihilfe, der die Anforderungen an die Unabhängigkeit im Sinne des 176. Erwägungsgrundes des Beschlusses nicht erfüllte, und zum anderen die Anwendung einer falschen Berechnungsmethode durch diesen Sachverständigen, die den tatsächlichen Marktpreis nicht abbilden könne.
47. Entsprechend dem Ersuchen des Gerichtshofs werden sich die vorliegenden Schlussanträge auf den ersten Teil der zweiten Rüge(19 ) konzentrieren, der im Wesentlichen aus drei Argumenten der Kommission besteht, mit denen erstens geltend gemacht wird, die Republik Bulgarien habe, wie behauptet wird, ungerechtfertigterweise entschieden, einen unabhängigen Sachverständigen hinzuzuziehen (B), zweitens die fehlende Unabhängigkeit des benannten Sachverständigen gerügt wird (C) und drittens beanstandet wird, es liege ein Verstoß gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit vor, da die Kommission nicht davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass es sich bei dem benannten Sachverständigen um ein öffentliches Unternehmen handle (D)(20 ). Um die verschiedenen Argumente besser einordnen zu können, halte ich es für zweckmäßig, vorab kurz die Grundsätze in Erinnerung zu rufen, die die Pflicht zur Rückforderung einer für rechtswidrig erklärten Beihilfe (A) betreffen.
A. Verpflichtung zur Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe
48. Zunächst ist, wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, die Aufhebung einer rechtswidrigen Beihilfe durch Rückforderung die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Folglich hat der Mitgliedstaat, an den ein Beschluss gerichtet ist, der ihn zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen verpflichtet, nach Art. 288 AEUV alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Durchführung des Beschlusses sicherzustellen. Er muss die geschuldeten Beträge tatsächlich wiedererlangen, um die Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen, die durch den mit der rechtswidrigen Beihilfe verbundenen Wettbewerbsvorteil verursacht wurde(21 ).
49. Sodann erfolgt gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999(22 ), die zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses 2015/456 galt, die durch eine Entscheidung der Kommission angeordnete Rückforderung einer für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärten Beihilfe, wie sich auch aus dem 13. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, „unverzüglich und nach den Verfahren des betreffenden Mitgliedstaats“, sofern diese Verfahren die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Entscheidung ermöglichen; diese Bedingung spiegelt die Erfordernisse des Effektivitätsgrundsatzes wider(23 ).
50. Somit muss die Rückforderung unverzüglich und konkret innerhalb der Frist, die in dem nach Art. 108 Abs. 2 AEUV erlassenen Beschluss der Kommission zur Anordnung der Rückforderung einer Beihilfe gesetzt wird, oder gegebenenfalls innerhalb einer später von der Kommission festgesetzten Frist erfolgen. Eine verspätete Rückforderung nach Ablauf der gesetzten Frist kann den Anforderungen des AEU-Vertrags nicht genügen(24 ).
51. Schließlich kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs mit Ausnahme der Fälle, in denen ein Rückforderungsbeschluss nach Art. 263 AEUV für nichtig erklärt worden ist, ein Mitgliedstaat zur Verteidigung gegen eine von der Kommission gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV erhobene Vertragsverletzungsklage nur geltend machen, dass es absolut unmöglich gewesen sei, den ihm gegenüber ergangenen Beschluss durchzuführen(25 ). Ob dies der Fall ist, unterliegt jedoch einer strengen Prüfung. Die Voraussetzung einer absoluten Unmöglichkeit der Durchführung ist nämlich nicht erfüllt, wenn sich der beklagte Mitgliedstaat darauf beschränkt, die Kommission über die mit der Durchführung des Beschlusses verbundenen rechtlichen, politischen oder praktischen Schwierigkeiten zu unterrichten, ohne gegenüber den betroffenen Unternehmen wirkliche Schritte zur Rückforderung der Beihilfe zu unternehmen und ohne der Kommission andere Modalitäten zur Durchführung des Beschlusses vorzuschlagen, die es ermöglicht hätten, die Schwierigkeiten zu überwinden(26 ).
52. Im Licht dieser Grundsätze ist die vorliegende Vertragsverletzungsklage zu prüfen, um zum einen festzustellen, ob die Republik Bulgarien die Rückforderung der Beihilfe innerhalb der im Beschluss 2015/456 vorgesehenen Frist angemessen sichergestellt hat (erste und zweite Rüge), und zum anderen, ob, wenn dies nicht der Fall ist, die Republik Bulgarien berechtigt ist, sich auf eine absolute Unmöglichkeit der Durchführung dieses Beschlusses zu berufen (dritte Rüge)(27 ).
B. Entscheidung, einen unabhängigen Sachverständigen hinzuzuziehen
53. Mit ihrem ersten Argument im Rahmen des ersten Teils der zweiten Rüge wirft die Kommission der Republik Bulgarien vor, sich dafür entschieden zu haben, einen unabhängigen Sachverständigen für die Bewertung der Marktpreise für die getauschten Forstflächen hinzuzuziehen, um die Höhe der zurückzufordernden Beihilfen zu bestimmen, obwohl den bulgarischen Behörden, wie den Erwägungsgründen 146 und 175 des Beschlusses 2015/456 zu entnehmen sei, bereits zum Zeitpunkt des Beschlusserlasses u. a. die Marktpreise zum Tauschzeitpunkt sämtlicher von diesen Geschäften betroffenen Flächen vorgelegen hätten. Nach Ansicht der Kommission hätte es aufgrund dieses Umstands möglich sein müssen, den genauen Betrag der zurückzufordernden Beihilfe nach der im 173. Erwägungsgrund des Beschlusses beschriebenen Methode zu ermitteln, ohne einen Sachverständigen benennen zu müssen. Nach dem 176. Erwägungsgrund des Beschlusses sei es nämlich nur dann möglich, einen unabhängigen Sachverständigen hinzuzuziehen, wenn die im 173. Erwägungsgrund beschriebene Methode nicht angewandt werden könne oder zu einem Betrag führe, der die Höhe der vom Begünstigten erhaltenen staatlichen Beihilfe nicht angemessen widerspiegle. Im vorliegenden Fall habe jedoch keiner dieser beiden Rechtfertigungsgründe für die Hinzuziehung eines unabhängigen Sachverständigen vorgelegen. Somit habe die Entscheidung der bulgarischen Behörden, eine erneute Berechnung der Marktpreise für alle 132 vom Beschluss 2015/456 erfassten Tauschgeschäfte durch Hinzuziehung eines unabhängigen Sachverständigen vorzunehmen, zu einer erheblichen zusätzlichen Verzögerung geführt und den Prozess der Rückforderung ungerechtfertigterweise verkompliziert.
54. Die Republik Bulgarien entgegnet, die Voraussetzungen für die Anwendung des 176. Erwägungsgrundes des Beschlusses 2015/456 seien erfüllt, da die Marktwerte, die zur Bestimmung der Beihilfe bei Erlass des Beschlusses verwendet worden seien, nicht zwangsläufig die fairen Marktwerte der jeweiligen Forstflächen widerspiegelten. Die bulgarischen Behörden hätten nämlich bereits im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen, dass „gewisse Probleme“ mit der Zuverlässigkeit der von ihnen übermittelten Daten bestünden, wie die Kommission selbst im 119. Erwägungsgrund des Beschlusses eingeräumt habe, da diese Werte u. a. anhand von nicht verlässlichen Steuerschätzungen ermittelt worden seien.
55. Ich bin aus den nachstehenden Gründen der Auffassung, dass die Kommission der Republik Bulgarien nicht vorwerfen kann, einen unabhängigen Sachverständigen hinzugezogen zu haben.
56. Als Erstes weise ich darauf hin, dass die Möglichkeit, die Berechnungsmethode auf der Grundlage eines unabhängigen Gutachtens festzulegen, im Beschluss 2015/456 selbst ausdrücklich vorgesehen war. Der 176. Erwägungsgrund des Beschlusses sieht nämlich vor, dass „die bulgarischen Behörden in den Fällen, in denen sie begründete Bedenken hegen, dass [die im 173. Erwägungsgrund beschriebene Methode] nicht angewandt werden kann oder zu einem Betrag führt, der offensichtlich die Höhe der vom Begünstigten erhaltenen staatlichen Beihilfe nicht angemessen widerspiegelt“, einen unabhängigen Sachverständigen hinzuziehen können(28 ). Die Tatsache, dass diese Möglichkeit ausdrücklich im Beschluss vorgesehen ist, impliziert zwangsläufig, dass der Kommission bewusst war, dass zum Zeitpunkt der Annahme des Beschlusses die Möglichkeit bestand, dass die Rückforderung der Beihilfe nicht quasi automatisch auf der Grundlage der im Verwaltungsverfahren kommunizierten Marktpreiswerte durchgeführt werden könnte. Zudem hat die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen eingeräumt, dass die Bestimmung des Marktwerts eines Grundstücks in der Praxis mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein könne, die sich aufgrund der geringen Zahl vergleichbarer Geschäfte verstärken könnten, und a priori mehrere Methoden zur Bestimmung des Marktwerts eines Grundstücks denkbar seien.
57. Als Zweites hatten die bulgarischen Behörden in angemessener Weise auf die fehlende Zuverlässigkeit der von ihnen übermittelten Marktpreise für die Forstflächen hingewiesen, und zwar lange vor Erlass des Beschlusses 2015/456, nämlich bereits während des Verwaltungsverfahrens in ihrer Stellungnahme vom 19. November 2013 sowie im Anschluss an ein Auskunftsverlangen in Form einer Tabelle, die via E‑Mail am 21. Januar 2014 übersandt wurde. Dies stellte die Kommission im 119. Erwägungsgrund des Beschlusses ausdrücklich fest. Wie die Republik Bulgarien in ihren schriftlichen Erklärungen erläutert hat, war diese fehlende Zuverlässigkeit u. a. darauf zurückzuführen, dass es auf dem begrenzten Markt für Grundstücke in Waldgebieten nicht genügend vergleichbare Transaktionen gab, sowie auf die nationale Besonderheit, dass die überwiegende Mehrzahl der von den bulgarischen Behörden zugrunde gelegten notariellen Urkunden vermögensbezogene Steuerschätzungen wiederspiegelte, die dem tatsächlichen Marktpreis nicht ausreichend entsprachen. Abgesehen von diesen festgestellten Schwierigkeiten betonten die bulgarischen Behörden, wie sich aus dem 121. Erwägungsgrund des Beschlusses ergibt, dass die von ihnen gemachten Angaben über die Marktpreise „die besten ermittelbaren Schätzungswerte seien “(29 ), da „i) es in Bulgarien keine Einzelregelungen über die Festsetzung von Marktpreisen für Forstflächen mittels Wertermittlung gebe, ii) die Durchführung einer Wertermittlung durch einen unabhängigen Gutachter hinsichtlich der möglichen Marktpreise für die betreffenden Flächen zum Zeitpunkt des Tauschgeschäfts viel Zeit in Anspruch nehmen würde und iii) dies eine sehr aufwendige Maßnahme wäre“. Daher konnte es der Kommission nicht entgangen sein, dass es sich bei den mitgeteilten Preisen um „Schätzungswerte“ handelte, und sie konnte auch nicht kategorisch behaupten, dass die bulgarischen Behörden zum Zeitpunkt der Annahme des Beschlusses über alle Daten verfügten, die für die Bestimmung des zurückzufordernden Beihilfebetrags benötigt wurden.
58. Als Drittes weise ich nach alledem darauf hin, dass es sowohl zulässig als auch notwendig war, einen unabhängigen Sachverständigen mit besonderen Qualifikationen hinzuzuziehen, um die fehlende Zuverlässigkeit der Daten auszugleichen, die die Kommission zunächst von der Republik Bulgarien erhalten hatte. Wie die Republik Bulgarien nämlich zutreffend geltend macht, wäre es nicht möglich gewesen, die von der Kommission im 173. Erwägungsgrund des Beschlusses genannte Methode sachgemäß anzuwenden, ohne die Marktpreise der Grundstücke genau zu bestimmen, da der Marktpreis eines Grundstücks Bestandteil der in diesem Erwägungsgrund beschriebenen mathematischen Gleichung war.
59. Als Viertes schließlich scheint auch die Kommission bei ihrem ursprünglichen Ansatz ein ähnliches Verständnis zugrunde gelegt zu haben. Wie sie nämlich in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, akzeptierte sie bei einem Treffen mit den bulgarischen Behörden am 7. Oktober 2014, d. h. dem ersten Treffen mit den Behörden nach Erlass des Beschlusses 2015/456, deren Entscheidung, einen Sachverständigen hinzuzuziehen(30 ). Indem sie diese Entscheidung akzeptierte, erkannte sie jedoch deren praktische Konsequenzen implizit an. Es musste ihr nämlich vollkommen klar sein, dass diese Entscheidung zwangsläufig zu einer Verlangsamung des Verfahrens zur Rückforderung der Beihilfe führen würde, insbesondere weil der 176. Erwägungsgrund des Beschlusses vorsah, dass die Auswahl des Sachverständigen im Wege einer öffentlichen Ausschreibung erfolgen musste. Wenn die Kommission jedoch der Ansicht war, dass es keinen Grund für die Anwendung der in diesem Erwägungsgrund vorgesehenen Methode gab, hätte sie sich von Anfang an dagegen verwehren müssen, insbesondere ab dem oben genannten ersten Treffen, und nicht erst zehn Jahre später im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage. Zudem geht aus den Nrn. 18 bis 29 dieser Schlussanträge hervor, dass alle Maßnahmen der Republik Bulgarien zwischen dem Erlass des Beschlusses 2015/456 und der Vorlage des Berichts des unabhängigen Sachverständigen in Absprache mit den Dienststellen der Kommission getroffen wurden, und Letztere erhoben zu keinem Zeitpunkt, jedenfalls nicht schriftlich, Einwände in Bezug auf die anfängliche Entscheidung, diesen Sachverständigen hinzuzuziehen. Wie sich nämlich aus Nr. 29 dieser Schlussanträge ergibt, äußerte die Kommission selbst nach Abschluss der Arbeiten des Sachverständigen und Übermittlung der Bewertungsberichte zu allen 132 Tauschgeschäften keine Einwände oder Vorschläge, die darauf abzielten, neue oder zusätzliche Maßnahmen zur Bewertung der Grundstücke vorzunehmen.
60. Nach alledem ist das erste Argument der Kommission im Rahmen des ersten Teils der zweiten Rüge meines Erachtens als unbegründet zurückzuweisen.
C. Fehlende Unabhängigkeit des benannten Sachverständigen
61. Mit ihrem zweiten Argument im Rahmen des ersten Teils der zweiten Rüge macht die Kommission geltend, der von der Republik Bulgarien benannte Sachverständige, d. h. ein Unternehmen, das zum Zeitpunkt seiner Auswahl zu 100 % im Eigentum des bulgarischen Staats gestanden habe und von der gleichen Behörde beaufsichtigt worden sei, die ursprünglich die fragliche Beihilfe gewährt habe, nämlich dem Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft, erfülle nicht die Anforderungen an die Unabhängigkeit, die im 176. Erwägungsgrund des Beschlusses 2015/456 festgelegt seien. Genauer gesagt war die Kommission im Anschluss an das Auskunftsverlangen vom 20. Juni 2022(31 ) und vor dem Hintergrund der von der Republik Bulgarien am 12. Juli 2022 übermittelten Antwort(32 ) der Ansicht, dass Agrolesproekt eindeutig nicht funktionell und wirtschaftlich unabhängig von diesem Ministerium sei, so dass das Rückforderungsverfahren und somit die tatsächliche Umsetzung des Kommissionsbeschlusses mit einem Fehler behaftet seien.
62. Was zum einen die funktionelle Unabhängigkeit betreffe, ergebe sich aus den Satzungen, Tätigkeitsberichten und Jahresabschlüssen von Agrolesproekt im Wesentlichen, dass die Rechte des bulgarischen Staats als alleinigem Inhaber des Kapitals dieses Unternehmens vom Minister für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft ausgeübt würden und daher zwischen dem Unternehmen und der öffentlichen Einrichtung, die die Beihilfe gewährt habe, ein unmittelbares Unterordnungsverhältnis bestehe(33 ). In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission klargestellt, dass diese organisatorische Anbindung ein Problem für die objektive Unabhängigkeit darstelle, weil davon auszugehen sei, dass Agrolesproekt dem bulgarischen Staat unterstellt sei und als verlängerter Arm des Beihilfegebers auftrete. Da der Interessenkonflikt offensichtlich sei, weil eine staatliche Behörde, die gegen Unionsrecht verstoßen habe, die Verwaltungsaufgaben von Agrolesproekt wahrnehme, sei es „sinnlos, den Einfluss dieser Behörde auf den Entscheidungsprozess des Unternehmens zu leugnen“. Was zum anderen die wirtschaftliche Unabhängigkeit betreffe, lägen eine Reihe von Gesichtspunkten vor, die die fehlende wirtschaftliche Unabhängigkeit des Unternehmens belegten, wie u. a. der Umstand, dass seine Tätigkeit in vollem Umfang von einer öffentlichen Finanzierung abhänge, da alle von Agrolesproekt durchgeführten Aufträge im Wege von Ausschreibungen des öffentlichen Sektors vergeben worden seien. Im Übrigen habe die Republik Bulgarien keine näheren Angaben zur Identität der verschiedenen Auftraggeber des öffentlichen Sektors gemacht.
63. Die Republik Bulgarien tritt diesem Vorbringen entgegen und macht im Wesentlichen geltend, der Umstand, dass Agrolesproekt eine öffentliche Einrichtung sei, könne deren Unabhängigkeit in Bezug auf die ihr übertragene Aufgabe nicht beeinträchtigen, da das Unternehmen u. a. zur Bewertung der Marktpreise der ausgetauschten Grundstücke und Ermittlung der Höhe der zurückzufordernden Beihilfe auf zwei Sachverständige zurückgegriffen habe, die bei der Kammer der unabhängigen Gutachter Bulgariens registriert und befugt seien, Grundstücke in Waldgebieten zu bewerten, und deren Unabhängigkeit nicht in Frage gestellt werden könne.
64. Insoweit ist vorab festzustellen, dass sich der Beschluss 2015/456 und insbesondere sein 176. Erwägungsgrund darauf beschränkt, zum einen klarzustellen, dass die bulgarischen Behörden die Möglichkeit haben, die Bewertung der Marktpreise für die von dem Beschluss erfassten Grundstücke „mit Hilfe eines unabhängigen Sachverständigen durchzuführen, der für solche Bewertungen qualifiziert ist und im Wege einer offenen öffentlichen Ausschreibung gewählt wurde“, und zum anderen die verschiedenen Phasen des Verfahrens zur Auswahl des Sachverständigen festzulegen. Zwar sieht diese Bestimmung vor, dass der Sachverständige „unabhängig“ und „qualifiziert“ ist und „im Wege einer offenen öffentlichen Ausschreibung gewählt wurde“, doch enthält sie keine ausdrücklichen Hinweise zur Rechtsstellung oder zu den Eigentumsverhältnissen des Sachverständigen oder zu einer etwaigen Anforderung, wonach es sich nicht um ein öffentliches Unternehmen handeln dürfe.
65. Somit ist zu prüfen, ob davon auszugehen war, dass die bulgarischen Behörden, obwohl sich kein entsprechender Hinweis im Beschluss 2015/456 fand, wussten, dass die Bestellung eines öffentlichen Unternehmens zum Sachverständigen für sich genommen nicht mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit des Sachverständigen vereinbar war.
66. Ich bin aus den folgenden Gründen der Ansicht, dass dies hier nicht der Fall war.
67. Als Erstes ergibt sich nämlich ein solcher Grundsatz, wonach öffentliche Einrichtungen von Ausschreibungen, die Aufgaben als Sachverständiger betreffen, auszuschließen sind, weder aus den Regelungen der Europäischen Union über die Vergabe öffentlicher Aufträge noch aus den spezielleren Regelungen für staatliche Beihilfen.
68. Was zum einen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft, folgt aus Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU(34 ) in Verbindung mit deren 14. Erwägungsgrund, dass der Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ weit ausgelegt werden sollte und nicht nur natürliche oder juristische Personen beinhaltet, sondern auch jede öffentliche Einrichtung, die u. a. die betreffende Dienstleistung auf dem Markt anbietet, ungeachtet der Rechtsform, die sie für sich gewählt hat. Daher hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Möglichkeit, dass ein Wirtschaftsteilnehmer wegen öffentlicher Zuwendungen oder staatlicher Hilfen eine privilegierte Stellung hat, es nicht rechtfertigen kann, ihn von vornherein und ohne weitere Prüfung von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen(35 ). Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass eines der Ziele der Unionsvorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens die Öffnung für einen möglichst umfassenden Wettbewerb ist und für das Unionsrecht ein Interesse daran besteht, dass die Beteiligung möglichst vieler Bieter an einer Ausschreibung sichergestellt wird, nicht nur im Interesse am freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen, sondern auch im eigenen Interesse des beteiligten öffentlichen Auftraggebers, der so im Hinblick auf das wirtschaftlich günstigste und dem Bedarf der betreffenden öffentlichen Körperschaft am besten entsprechende Angebot über eine größere Auswahl verfügt(36 ).
69. Was zum anderen die spezielleren Vorschriften über staatliche Beihilfen betrifft, sah die Mitteilung der Kommission vom 10. Juli 1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand (im Folgenden: Mitteilung von 1997)(37 ), die zum Zeitpunkt der Annahme des Beschlusses 2015/456 sowie der ersten drei Ausschreibungen der bulgarischen Behörden zur Auswahl des unabhängigen Sachverständigen(38 ) anwendbar war, ausdrücklich vor, dass sich Beamte und Angestellte an einem unabhängigen Gutachten beteiligen konnten. Konkret hieß es in Titel II („Grundsätze“) Ziff. 2 Buchst. a der Mitteilung, dass die öffentliche Hand eines Mitgliedstaats, wenn sie nicht beabsichtigt, einen Verkauf von Bauten oder Grundstücken im Rahmen eines bedingungsfreien Bietverfahrens(39 ) durchzuführen, vor den Verkaufsverhandlungen eine unabhängige Bewertung durch (einen) unabhängige(n) Sachverständige(n) für Wertermittlung vornehmen kann, um auf der Grundlage allgemein anerkannter Marktindikatoren und Bewertungsstandards den Marktwert zu ermitteln. Der so festgestellte Marktpreis ist der Mindestkaufpreis, der vereinbart werden kann, ohne dass er als staatliche Beihilfe eingestuft wird. Die Bestimmung sah insoweit in Abs. 4 vor, dass der Sachverständige, abgesehen von seinen beruflichen Qualifikationen(40 ), „seine Aufgaben unabhängig aus [übt ], d. h., öffentliche Stellen sind nicht berechtigt, hinsichtlich des Ermittlungsergebnisses Anweisungen zu erteilen. Staatliche Bewertungsbüros, Beamte oder Angestellte gelten so lange als unabhängig, wie eine unzulässige Einflussnahme auf ihre Feststellungen effektiv ausgeschlossen ist “(41 ).
70. Es ist anzumerken, dass die Mitteilung von 1997 nicht auf das Verfahren anwendbar war, mit dem Agrolesproekt ausgewählt wurde: Es fiel nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Mitteilung, da diese zum einen „Verkäufe“ von Bauten oder Grundstücken der öffentlichen Hand und keine „Tauschgeschäfte“(42 ) und zum anderen die Bewertung von Bauten oder Grundstücken im Zusammenhang mit der Einstufung als Beihilfe und nicht die Rückforderung von Beihilfen betraf, und darüber hinaus war die Mitteilung auch zeitlich nicht anwendbar, da sie zu dem Zeitpunkt, als Agrolesproekt den Dienststellen der Kommission zur Genehmigung vorgeschlagen wurde, nicht mehr in Kraft war(43 ). Dennoch ist sie für die vorliegende Prüfung relevant, insbesondere weil sie den Grundsatz aufstellt, dass die staatlichen Bewertungsbüros bestens in der Lage sind, Bewertungen im Zusammenhang mit der Durchführung von Vorschriften über staatliche Beihilfen vorzunehmen, ohne dass davon auszugehen wäre, dass sie nicht unabhängig handeln. Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass die Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die die Mitteilung von 1997 ersetzt hat, keine Bestimmung enthält, die die Möglichkeit ausschließt, öffentliche Einrichtungen als unabhängige Sachverständige heranzuziehen, während die Möglichkeit, unabhängige Sachverständige einzubinden, bestehen bleibt(44 ).
71. Diese Feststellung kann nicht durch das Vorbringen der Kommission in Frage gestellt werden, wonach die vorliegende Rechtssache nicht im Zusammenhang mit der anfänglichen Bewertung eines für den Verkauf bestimmten Grundstücks durch einen Sachverständigen stehe, bei der staatliche Bewertungsbüros gemäß der Mitteilung von 1997 unabhängige Bewertungen vornehmen könnten, sondern mit der Rückforderung einer rechtswidrigen und mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe, was besondere Vorsichtsmaßnahmen erfordert hätte.
72. Zunächst kann ich mich nämlich nur schwer einer Auffassung anschließen, die das Kriterium der Unabhängigkeit je nach Verfahrensabschnitt unterschiedlich auslegt. Bei einem unabhängigen zugelassenen Sachverständigen, ganz gleich, ob es sich dabei um eine öffentliche oder private Einrichtung handelt, ist davon auszugehen, dass er vollkommen unabhängig handelt, sei es bei der Bewertung des Verkaufs eines Grundstücks, um (im Voraus) zu beurteilen, ob eine Beihilfe gewährt wurde, oder bei der (nachträglichen) Beurteilung des Werts eines Grundstücks zwecks Rückforderung einer Beihilfe. Außerdem kann ich aus theoretischer Sicht nicht nachvollziehen, inwiefern die Gefahr einer etwaigen staatlichen Einflussnahme davon abhängen soll, ob die Bewertung das Vorliegen einer Beihilfe oder ihre Rückforderung betrifft. Wenn beispielsweise das mit der Einflussnahme verfolgte Ziel darin besteht, den Betrag der Beihilfe zu senken, damit sie als „de minimis“ eingestuft wird, ist die Gefahr im Stadium der Einstufung der Beihilfe genauso hoch wie im Stadium ihrer Rückforderung. Dies gilt auch dann, wenn, wie die Kommission geltend macht, die Interessen der Behörde, die die Beihilfe gewährt, mit den Interessen der Beihilfebegünstigten übereinstimmen(45 ). Schließlich würde ein Grundsatz, nach dem im Wesentlichen vermutet wird, dass ein Mitgliedstaat rechtswidrig handelt und einen Sachverständigen beeinflusst, wenn es sich bei dem Sachverständigen um ein öffentliches Unternehmen handelt, meines Erachtens gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sowie den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten und den Unionsorganen verstoßen und ist daher nicht zu rechtfertigen.
73. Zweitens hätte die Kommission, wenn sie der Auffassung war, dass der Flächentausch im vorliegenden Fall problematisch sei und die tatsächliche Gefahr bestehe, dass die Stelle, die die Beihilfe gewährt hatte, auf die Einrichtung, die das Gutachten anfertigte (oder die unabhängigen Sachverständigen auswählte) Einfluss nehme, vor dem Hintergrund der oben getroffenen Feststellung, wonach gemäß dem Unionsrecht öffentliche Einrichtungen nicht von Ausschreibungen ausgeschlossen werden dürfen, die Bewertungen im Zusammenhang mit der Rückforderung einer staatlichen Beihilfe betreffen, im 176. Erwägungsgrund des Beschlusses 2015/456 ausdrücklich vorsehen müssen, dass die Benennung unabhängiger Sachverständiger von einer „unabhängigen Stelle“ vorgenommen werden müsse(46 ). Mangels einer solchen Formulierung konnte nicht davon ausgegangen werden, dass die Republik Bulgarien wusste, dass die Benennung von Agrolesproekt für sich genommen gegen die Anforderungen an die Unabhängigkeit im Sinne des 176. Erwägungsgrundes verstieß.
74. Als Drittes ergibt sich aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte, dass kein anderer Beweis aus den verschiedenen Schriftwechseln der Parteien eine Verpflichtung der bulgarischen Behörden (oder berechtigte Erwartungen der Kommission) in Bezug auf den Umstand, dass es sich bei dem benannten unabhängigen Sachverständigen nicht um eine öffentliche Einrichtung handeln dürfe, begründete. Vielmehr hatte die Kommission im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, das zum Erlass des Beschlusses 2015/456 führte, bei der Prüfung des Vorliegens einer Beihilfe ohne Einwände die Preise akzeptiert, die von Sachverständigen ermittelt worden waren, die dem Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft angehörten. Auch nach Erlass des Beschlusses wurde, wie die Republik Bulgarien zu Recht hervorhebt, die Objektivität des Berichts über die Bewertungen im Hinblick auf „De‑minimis“-Transaktionen von der Kommission nicht beanstandet, obwohl der Bericht von Beamten dieses Ministeriums angefertigt worden war(47 ). Schließlich wurde die Frage der Unabhängigkeit der Sachverständigen auch ausdrücklich im Rahmen des Schriftwechsels zum ersten Ausschreibungsverfahren angesprochen, das u. a. deshalb eingestellt wurde, weil der zugelassene Bewerter zuvor zu den Bewertungsberichten Stellung genommen hatte, die zwecks Feststellung der Beihilfe verfasst worden waren(48 ). Selbst in diesem Kontext ergriff die Kommission nicht die Gelegenheit, um ihre Befürchtungen hinsichtlich der Gefahr, die von einer etwaigen Bestellung eines öffentlichen Unternehmens zum unabhängigen Sachverständigen ausgehe, zu äußern.
75. Als Viertes schließlich hat die Kommission jedenfalls nicht nachweisen können, dass die bulgarischen Behörden einen wie auch immer gearteten Einfluss auf das Sachverständigengutachten von Agrolesproekt ausgeübt haben. Wenn man sich an den Kriterien orientiert, die bei der Beurteilung der Unabhängigkeit von Gerichten zugrunde gelegt werden, umfasst das Erfordernis der Unabhängigkeit zwei Aspekte: die objektive Unabhängigkeit und die subjektive Unabhängigkeit(49 ). Nach Ansicht der Kommission sind im vorliegenden Fall beide Aspekte der Unabhängigkeit nicht gegeben.
76. Was zum einen die objektive Unabhängigkeit betrifft, setzt diese voraus, dass der Sachverständige seine Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten. Dadurch wird er vor Interventionen oder Druck von außen geschützt, die die Unabhängigkeit seines Sachverständigengutachtens gefährden könnten(50 ).
77. Wie sich aus Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, äußert die Kommission Vorbehalte, die sich sowohl auf die funktionelle Unabhängigkeit als auch auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Agrolesproekt gegenüber dem Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft beziehen.
78. Ich bin erstens in Bezug auf die funktionelle Unabhängigkeit zunächst der Ansicht, dass die Unabhängigkeit von Agrolesproekt nicht allein dadurch in Frage gestellt werden kann, dass das Unternehmen von der Behörde benannt wurde, die die fragliche Beihilfe gewährt hatte. Vielmehr neige ich zu der Auffassung, dass die beiden von Agrolesproekt hinzugezogenen Sachverständigen bei der Erstellung der Bewertungsberichte ihre Aufgaben unter Einhaltung hoher ethischer und professioneller Standards ausübten, da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass sie bei der Kammer der unabhängigen Gutachter Bulgariens registriert waren(51 ). In diesem Sinne ist anzunehmen, dass sie über eine ausreichende objektive Unabhängigkeit verfügen. Diese Annahme ist schon deshalb geboten, da nicht ersichtlich ist, inwiefern der Umstand, dass das oben genannte Ministerium mit dem Gutachten beauftragt wurde, für sich genommen relevant sein soll. Zum einen stehen nämlich, wie die Republik Bulgarien bestätigt hat, die beiden Sachverständigen in keiner direkten Beziehung zum bulgarischen Staat: Sie sind keine Beamten des Ministeriums oder einer sonstigen öffentlichen Stelle und auch nicht bei Agrolesproekt beschäftigt, sondern wurden nur damit beauftragt, die ihnen übertragenen besonderen Aufgaben auszuführen. Zum anderen hat die Kommission weder die beruflichen Qualifikationen der beiden von Agrolesproekt benannten Sachverständigen noch ihre Eignung zur Erstellung des in Auftrag gegebenen Gutachtens in Frage gestellt. Sie hat in der mündlichen Verhandlung sogar eingeräumt, dass die Voraussetzung der Unabhängigkeit im Sinne des 176. Erwägungsgrundes des Beschlusses 2015/456 erfüllt gewesen wäre, wenn die beiden Sachverständigen ohne Einschaltung von Agrolesproekt direkt von den bulgarischen Behörden ausgewählt worden wären.
79. Sodann bin ich der Ansicht, dass diese Annahme nicht durch die bloße Behauptung widerlegt werden kann, es sei „sinnlos, den Einfluss [des Ministeriums] auf den Entscheidungsprozess des Unternehmens zu leugnen“. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens ist es nämlich Sache der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen und dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern, die es diesem ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen, ohne dass sich die Kommission hierfür auf irgendeine Vermutung stützen kann(52 ). Somit obliegt es der Kommission, den Beweis für einen Zusammenhang zwischen dem staatlichen Charakter von Agrolesproekt und der Qualität oder Zuverlässigkeit der Bewertungsberichte zu erbringen, um nachzuweisen, dass das Unternehmen den im 176. Erwägungsgrund des Beschlusses 2015/456 festgelegten Voraussetzungen für die Durchführung des Beschlusses nicht genügt. Wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, hat die Kommission jedoch keinen Beweis dafür vorgelegt, dass die bulgarischen Behörden dem Unternehmen oder den beiden benannten Sachverständigen Weisungen erteilt hätten. Auch die von der Kommission angeführten Jahresberichte des Unternehmens enthalten keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass es den Sachverständigen nicht freistand, ihren Auftrag in völliger Unabhängigkeit auszuführen.
80. Was zweitens die wirtschaftliche Unabhängigkeit angeht, so kann zwar die Vergütung der Sachverständigen in der Tat für die objektive Unabhängigkeit relevant sein, doch ergibt sich die Finanzierung von Agrolesproekt, wie die Republik Bulgarien bestätigt hat, aus der von ihr ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit. Somit stammen ihre Einnahmen aus ihrer Haupttätigkeit, d. h. der Erstellung von Waldplänen und Waldinventaren im Rahmen von Verträgen, die nach der Teilnahme an offenen Verfahren geschlossen wurden. Diese Informationen werden durch die im Handelsregister veröffentlichten Jahresabschlüsse für die Jahre 2018 und 2019 belegt, in denen in der Tat angegeben wird, dass das Unternehmen in der betreffenden Rechnungsperiode seine Einnahmen aus Verträgen im Rahmen offener Verfahren gemäß dem Gesetz über das öffentliche Auftragswesen erzielte.
81. Mir scheint daher, dass keiner der von der Kommission beigebrachten Beweise belegen kann, dass im vorliegenden Fall die objektive Unabhängigkeit von Agrolesproekt oder der beiden von ihr hinzugezogenen Sachverständigen beeinträchtigt wurde.
82. Was zum anderen die subjektive Unabhängigkeit betrifft, so steht diese mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihrer jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und keinerlei Interesse am Inhalt des erstellten Gutachtens besteht(53 ).
83. Hierzu hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, ihr lägen Informationen vor, denen zufolge die beiden fraglichen Sachverständigen bei der Ausführung ihres Auftrags in dem von Agrolesproekt festgelegten Rahmen nicht völlig frei gewesen seien, sondern Hinweise von den bulgarischen Behörden erhalten hätten, was sogar den Berichten des Unternehmens zu entnehmen sei.
84. Wie jedoch bereits oben in den Nrn. 78 bis 80 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, scheinen sich in den Jahresberichten von Agrolesproekt keine Anhaltspunkte dafür zu finden, dass die Sachverständigen bei der Ausführung ihres Auftrags nicht frei waren. Die Berichte beziehen sich nämlich auf forstwirtschaftliche Projekte, an denen Verwaltungseinheiten des bulgarischen Staats beteiligt waren. Sie sind jedoch irrelevant für den Auftrag von Agrolesproekt im Zusammenhang mit der Berechnung der Preise der Forstflächen. Ferner ist der dem Gerichtshof vorliegenden Akte zu entnehmen, dass der öffentliche Auftraggeber den Bewertungsbericht von Agrolesproekt genehmigte, nachdem der Sachverständigenrat der Nationalen Forstbehörde seine Bewertung vorgenommen hatte, ohne dass auf den Inhalt des Berichts Einfluss genommen wurde(54 ).
85. Nach alledem und insbesondere angesichts des Wortlauts des 176. Erwägungsgrundes des Beschlusses 2015/456, der maßgeblichen unionsrechtlichen Bestimmungen, der unzureichenden Angaben der Kommission im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vor und nach Erlass des Beschlusses sowie des Umstands, dass keine Beweise vorliegen, die die Objektivität des Sachverständigengutachtens von Agrolesproekt in Frage stellen könnten, wurde nicht nachgewiesen, dass die Republik Bulgarien gegen den genannten Beschluss verstoßen und einen Sachverständigen benannt hat, der den im 176. Erwägungsgrund vorgesehenen Anforderungen an die Unabhängigkeit nicht genügte.
86. Daher schlage ich vor, das zweite Argument im Rahmen des ersten Teils der zweiten Rüge als unbegründet zurückzuweisen.
D. Verstoß gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit wegen fehlender Offenlegung des Umstands, dass der benannte Sachverständige im Eigentum der öffentlichen Hand stand
87. Mit ihrem dritten und letzten Argument im Rahmen des ersten Teils der zweiten Rüge wirft die Kommission den bulgarischen Behörden vor, nicht rechtzeitig – d. h. bevor die Kommission die Benennung von Agrolesproekt am 26. Oktober 2017 genehmigte(55 ) – offengelegt zu haben, dass es sich bei Agrolesproekt um ein öffentliches Unternehmen handle, dessen Verwaltungsaufgaben vom Minister für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft wahrgenommen würden. Dieses Versäumnis, das die Dienststellen der Kommission in die Irre geführt habe, stelle einen Verstoß gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 3 AEUV dar. Die entsprechende Information sei der Kommission nämlich erst zwei Jahre später, und zwar am 10. Juli 2020, übermittelt worden(56 ). In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission erklärt, dass den bulgarischen Behörden bewusst gewesen sein müsse, dass diese Information, die die Kontrollverhältnisse des Unternehmens betreffe, für das Kriterium der Unabhängigkeit wichtig und relevant sei.
88. Die Republik Bulgarien beantragt, diese Rüge als unbegründet zurückzuweisen.
89. Insoweit genügt der Hinweis, dass, wie sich aus den Nrn. 67 bis 72 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, das Unionsrecht und die Entscheidungspraxis der Kommission keine Anhaltspunkte enthalten, die die Republik Bulgarien hätten veranlassen müssen, mitzuteilen, dass die beiden unabhängigen Sachverständigen von Agrolesproekt benannt worden waren, einem öffentlichen Unternehmen, das vom Staat und insbesondere vom Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft kontrolliert wurde.
90. Jedenfalls war, wie die bulgarische Regierung zu Recht geltend macht, die Information, falls die Kommission sie hätte überprüfen wollen, schnell und breit verfügbar. Informationen über die Leitungsorgane und die Kontrolle des Kapitals eines Unternehmens sind nämlich öffentlich zugänglich und im Handelsregister verfügbar, so dass jede interessierte Partei schnell und kostenlos darauf zugreifen kann, wenn sie dies für erforderlich hält, um eine Entscheidung zu treffen(57 ).
91. Somit kann meiner Meinung nach kein Verstoß der Republik Bulgarien gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit festgestellt werden, so dass auch das dritte Argument im Rahmen des ersten Teils der zweiten Rüge als unbegründet zurückzuweisen ist.
VI. Ergebnis
92. Nach alledem schlage ich vor, dass der Gerichtshof, falls er über den ersten Teil der zweiten Rüge entscheiden möchte, feststellt, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass die Republik Bulgarien gegen ihre Verpflichtungen u. a. aus dem 176. Erwägungsgrund des Beschlusses (EU) 2015/456 der Kommission vom 5. September 2014 über die Beihilferegelungen Nr. SA.26212 (11/C) (ex 11/NN – ex CP 176/A/08) und SA.26217 (11/C) (ex 11/NN – ex CP 176/B/08) der Republik Bulgarien in Bezug auf den Tausch von Forstflächen verstoßen hat.