C-59/23 P – Österreich/ Kommission (Centrale nucléaire Paks II)

C-59/23 P – Österreich/ Kommission (Centrale nucléaire Paks II)

CURIA – Documents

Language of document : ECLI:EU:C:2025:125

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 27. Februar 2025(1)

Rechtssache C59/23 P

Republik Österreich

gegen

Europäische Kommission

„ Rechtsmittel – Kernindustrie – Von der ungarischen Regierung geplante Beihilfe für die Entwicklung zweier neuer Kernreaktoren am Standort Paks – Beschluss, mit dem die Beihilfe vorbehaltlich der Erfüllung bestimmter Verpflichtungen durch Ungarn für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird “

I.      Einleitung

1.        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Republik Österreich die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 30. November 2022, Österreich/Kommission(2), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2017/2112 der Kommission vom 6. März 2017 über die von Ungarn geplante Maßnahme/Beihilferegelung/Staatliche Beihilfe SA.38454 – 2015/C (ex 2015/N) für den Bau von zwei Kernreaktoren im Atomkraftwerk Paks II(3) abgewiesen hat.

II.    Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss

2.        Die Vorgeschichte des Rechtsstreits, wie sie sich aus den Rn. 2 bis 9 des angefochtenen Urteils ergibt, lässt sich für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache wie folgt zusammenfassen.

3.        Am 22. Mai 2015 meldete Ungarn bei der Europäischen Kommission eine Maßnahme zur Gewährung eines finanziellen Beitrags zur Entwicklung von zwei neuen Kernreaktoren am Standort des Kernkraftwerks Paks in Ungarn an, an dem bereits vier Kernreaktoren betrieben werden (im Folgenden: angemeldete Maßnahme). Begünstigte dieser Maßnahme war die Gesellschaft MVM Paks II Nuclear Power Plant Development Private Company Limited by Shares (im Folgenden: Gesellschaft Paks II), die Eigentümerin und Betreibergesellschaft der beiden neuen Kernreaktoren werden sollte. Die Gesellschaft Paks II gehört zu 100 % dem ungarischen Staat.

4.        Am 23. November 2015 beschloss die Kommission, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten(4), und erließ am 6. März 2017 den streitigen Beschluss. Die in Abschnitt 2 dieses Beschlusses beschriebene angemeldete Maßnahme betrifft die Entwicklung zweier Kernreaktoren des russischen Typs WWER-1200 (V491) (im Folgenden: neue Reaktoren), deren Bau zugunsten der Gesellschaft Paks II, die Eigentümerin und Betreiberin dieser Reaktoren sein wird, vollständig vom ungarischen Staat finanziert wird. Die vier Kernreaktoren des russischen Typs WWER‑440 (V213), die bereits am Standort des Kernkraftwerks Paks betrieben werden, stehen im Eigentum einer Stromhandels- und ‑erzeugungsgesellschaft, die wiederum im Eigentum des ungarischen Staates steht, und sollen sukzessive bis 2037 stillgelegt werden, um durch die neuen Reaktoren ersetzt zu werden, die im Jahr 2025 bzw. 2026 in Betrieb gehen sollen.

5.        Gemäß einem zwischenstaatlichen Abkommen über die Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung von Kernenergie, das am 14. Januar 2014 zwischen der Russischen Föderation und der ungarischen Regierung geschlossen wurde (im Folgenden: zwischenstaatliches Abkommen), kooperieren beide Länder im Rahmen eines Kernenergieprogramms bei der Instandhaltung und der Weiterentwicklung des Kernkraftwerks Paks. Nach diesem Abkommen benennen die Russische Föderation und Ungarn jeweils eine erfahrene, in staatlichem Eigentum stehende und vom Staat kontrollierte Organisation, die als Auftragnehmerin bzw. Eigentümerin finanziell und technisch für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen u. a. in Bezug auf die Planung, den Bau und die Inbetriebnahme der neuen Reaktoren verantwortlich ist. Die Russische Föderation benannte die Aktiengesellschaft Nizhny Novgorod Engineering Company Atomenergoproekt (im Folgenden: JSC NIAEP) für den Bau dieser Reaktoren; als Eigentümerin und Betreibergesellschaft der beiden Reaktoren benannte Ungarn die Gesellschaft Paks II. Zu diesem Zweck unterzeichneten JSC NIAEP und die Gesellschaft Paks II am 9. Dezember 2014 ein Abkommen, das einen Vertrag über die Entwicklung, den Kauf und den Bau dieser Reaktoren zum Gegenstand hat.

6.        In dem zwischenstaatlichen Abkommen verpflichtete sich die Russische Föderation, Ungarn ein staatliches Darlehen zur Finanzierung der Entwicklung der neuen Reaktoren zu gewähren. Dieses Darlehen unterliegt dem zwischenstaatlichen Finanzierungsabkommen vom 28. März 2014 und sieht eine revolvierende Kreditfazilität von 10 Mrd. Euro vor, die ausschließlich für die Planung, den Bau und die Inbetriebnahme dieser Reaktoren eingesetzt wird. Einen weiteren Betrag von bis zu 2,5 Mrd. Euro zur Finanzierung der Investitionen am Standort des Kraftwerks Paks II wird Ungarn aus eigenen Mitteln aufbringen. Ungarn wird die erforderlichen Mittel für die Zahlung des Kaufpreises für die beiden neuen Reaktoren nicht auf die Konten der Gesellschaft Paks II übertragen. Diese Mittel werden größtenteils von der Vnesheconombank (russische Bank für Außenwirtschaft) gehalten. Für jeden als erfüllt betrachteten Meilenstein beantragt die Gesellschaft Paks II bei dieser Bank die Auszahlung von 80 % des jeweils fälligen Betrags unmittelbar an JSC NIAEP. Außerdem beantragt die Gesellschaft bei der ungarischen Staatlichen Behörde für Schuldenverwaltung die Zahlung der übrigen 20 %.

7.        Im streitigen Beschluss stellte die Kommission fest, dass die angemeldete Maßnahme eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle, die vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 3 dieses Beschlusses nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar sei (im Folgenden: in Rede stehende Beihilfe). Art. 3 des streitigen Beschlusses verpflichtet Ungarn, mehrere Maßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass die Gesellschaft Paks II bestimmte Verpflichtungen und Beschränkungen einhält, die insbesondere ihre (Re‑)Investitionsstrategie, den Betrieb einer Auktionsplattform sowie ihre rechtliche und strukturelle Autonomie betreffen.

III. Verfahren vor dem Gericht, angefochtenes Urteil, Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

8.        Mit Klageschrift, die am 21. Februar 2018 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Republik Österreich Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses. Dem Verfahren vor dem Gericht traten zum einen das Großherzogtum Luxemburg zur Unterstützung der Republik Österreich und zum anderen die Tschechische Republik, die Französische Republik, Ungarn, die Republik Polen, die Slowakische Republik und das Königreich Großbritannien und Nordirland zur Unterstützung der Kommission als Streithelfer bei. Die Republik Österreich stützte ihre Klage auf zehn Klagegründe. Mit dem angefochtenen Urteil prüfte das Gericht alle diese Klagegründe – mit Ausnahme des zweiten und des dritten Klagegrundes, die die Republik Österreich zurückgenommen hatte – und wies die Klage ab.

9.        Im vorliegenden Rechtsmittelverfahren haben die Tschechische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, die Republik Polen, die Französische Republik, Ungarn und die Kommission eine Rechtsmittelbeantwortung eingereicht. Am 12. November 2024 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Die Republik Österreich und das Großherzogtum Luxemburg beantragen, das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben, der Klage im ersten Rechtszug stattzugeben und der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Die Kommission und die Tschechische Republik beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Republik Österreich die Kosten aufzuerlegen. Die Französische Republik und Ungarn beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen. Die Republik Polen stellt keinen förmlichen Antrag, sondern unterstützt lediglich den Standpunkt der Kommission.

IV.    Analyse

10.      Die Republik Österreich stützt ihr Rechtsmittel auf vier Gründe. Entsprechend dem Ersuchen des Gerichtshofs werden sich die vorliegenden Schlussanträge nur mit dem ersten, dem zweiten und dem vierten Rechtsmittelgrund befassen, mit denen jeweils ein Rechtsfehler des Gerichts geltend gemacht wird, nämlich ein Rechtsfehler, indem es zu dem Schluss gekommen sei, dass die fehlende Durchführung eines Vergabeverfahrens für den Bau der neuen Reaktoren den streitigen Beschluss nicht rechtswidrig mache, ein Rechtsfehler bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe und ein Rechtsfehler bei der Determinierung der Tatbestandsmerkmale der in Rede stehenden Beihilfe.

A.      Zum ersten Rechtsmittelgrund

11.      Der erste Rechtsmittelgrund richtet sich gegen die Zurückweisung des ersten Klagegrundes durch das Gericht, mit dem die Republik Österreich geltend machte, dass der streitige Beschluss rechtswidrig sei, weil JSC NIAEP ohne Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung mit dem Bau der neuen Reaktoren beauftragt worden sei, was gegen grundlegende Vergabevorschriften verstoße, deren Einhaltung untrennbar mit dem Zweck der in Rede stehenden Beihilfe verbunden sei.

12.      Dieser Rechtsmittelgrund besteht aus drei Teilen. Ich werde zunächst die ersten beiden Teile gemeinsam und anschließend den dritten Teil prüfen.

1.      Zum ersten und zum zweiten Teil

a)      Zusammenfassung der Rügen der Republik Österreich

1)      Erster Teil

13.      Der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes richtet sich gegen die Rn. 27 bis 34 des angefochtenen Urteils. In diesen Randnummern hat das Gericht die Rüge der Republik Österreich zurückgewiesen, wonach die Kommission einen Rechtsfehler begangen habe, als sie im 280. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses die Auffassung vertreten habe, dass ihre Verpflichtung, die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit anderen als die staatlichen Beihilfen betreffenden Vorschriften zu beurteilen, nur für Modalitäten dieser Beihilfe gelte, die derart untrennbar mit ihrem Zweck verknüpft seien, dass sie nicht für sich allein beurteilt werden könnten(5). In diesem Zusammenhang hat das Gericht zunächst das Vorbringen der Republik Österreich zurückgewiesen, wonach der Gerichtshof im Urteil vom 22. September 2020, Österreich/Kommission(6), den Umfang dieser Verpflichtung habe erweitern und seine Rechtsprechung habe aufgeben wollen, nach der zwischen solchen Modalitäten, die eine untrennbare Verbindung mit dem Zweck der Beihilfe aufwiesen, und solchen, bei denen dies nicht der Fall sei, unterschieden werden müsse. Weiter führte das Gericht aus, dass eine Verpflichtung der Kommission, endgültig einen Verstoß gegen andere als beihilferechtliche Bestimmungen des Unionsrechts zu bejahen oder zu verneinen, die diese Unterscheidung nicht berücksichtige, zum einen gegen die Verfahrensvorschriften und ‑garantien, die für die speziell zur Kontrolle der Anwendung dieser Vorschriften vorgesehenen Verfahren gälten, und zum anderen gegen den Grundsatz der Autonomie der Verwaltungsverfahren und Rechtsbehelfe verstieße und die Gefahr von Widersprüchen mit sich bringe.

14.      Die Republik Österreich, unterstützt durch das Großherzogtum Luxemburg, macht geltend, dass der einzige Zweck der angemeldeten Maßnahme darin bestehe, den Bau der neuen Reaktoren zu unterstützen, und dass das Gericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass dieser Zweck auf die Überlassung dieser Reaktoren beschränkt sei. Die für den Bau dieser Reaktoren gewährte Förderung verstoße als solche gegen das Unionsrecht, insbesondere gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Die Republik Österreich weist auch darauf hin, dass aus der vom Gericht in den Rn. 29 und 30 des angefochtenen Urteils vorgenommenen Auslegung des Urteils Österreich/Kommission nicht abgeleitet werden könne, dass die Kommission im Rahmen des Verfahrens nach Art. 108 AEUV vergaberechtliche Vorgaben ignorieren könne. Wäre die Kommission nicht verpflichtet, in diesem Verfahren andere einschlägige Vorschriften des Unionsrechts zu berücksichtigen, so würde das Beihilferecht zu einer Art „eigenständigem Rechtssystem“ (self-contained regime) werden. Im Übrigen würde die Gefahr widersprüchlicher oder inkohärenter Ergebnisse entgegen den Ausführungen des Gerichts in Rn. 33 des angefochtenen Urteils nicht dadurch vermieden, dass die Autonomie der Verwaltungsverfahren aufrechterhalten werde. Vielmehr werde diese Gefahr umso größer, je weniger andere Bestimmungen des Unionsrechts als Bestimmungen über staatliche Beihilfen im Verfahren nach Art. 108 AEUV Berücksichtigung fänden. Eine starre Unterscheidung zwischen Verwaltungsverfahren würde auch der Rechtssicherheit schaden.

2)      Zweiter Teil

15.      Der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes richtet sich gegen die Rn. 35 bis 39 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht entschieden hat, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 281 bis 284 des streitigen Beschlusses zu Recht die Auffassung vertreten habe, dass die Vergabe des Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren keine Modalität der Beihilfe darstelle, die mit dieser untrennbar verbunden sei(7). In diesem Zusammenhang hat das Gericht festgestellt, dass, da die in Rede stehende Beihilfe darin bestehe, dass der Gesellschaft Paks II unentgeltlich neue Reaktoren zum Betrieb überlassen würden, die Frage, ob der Bauauftrag hätte öffentlich ausgeschrieben werden müssen, der eigentlichen Beihilfemaßnahme vorgelagert sei und die Durchführung eines solchen Verfahrens und die eventuelle Beauftragung eines anderen Unternehmens mit deren Bau „weder am Zweck der Beihilfe … noch a[n deren] Empfänger … etwas ändern [würden]“. Außerdem hätte sich ein Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften nur auf den Markt für den Bau von Kernkraftwerken ausgewirkt, nicht aber auf den Markt, auf den der Zweck der in Rede stehenden Beihilfemaßnahme gerichtet sei (vgl. Rn. 36 und 37 des angefochtenen Urteils). Was den Einfluss des Fehlens einer öffentlichen Ausschreibung auf die Höhe der Beihilfe betrifft, hat das Gericht festgestellt, dass nicht dargelegt worden sei, dass andere Anbieter in der Lage gewesen wären, die neuen Reaktoren zu besseren Konditionen bzw. zu einem niedrigeren Preis zu liefern, und dass, auch wenn eine öffentliche Ausschreibung zu einer anderen Beihilfehöhe hätte führen können, dies für sich genommen nichts an dem Vorteil geändert hätte, den die Beihilfe für die Gesellschaft Paks II dargestellt habe, so dass „eine Erhöhung oder Verringerung der Beihilfesumme im vorliegenden Fall weder zu einer Änderung der Beihilfe im eigentlichen Sinne noch zu einer Änderung ihrer wettbewerbswidrigen Wirkung [führt]“ (Rn. 38 des angefochtenen Urteils).

16.      Die Republik Österreich, unterstützt durch das Großherzogtum Luxemburg, weist erstens darauf hin, dass die vergaberechtlichen und die beihilfenrechtlichen Vorschriften das gleiche Ziel verfolgten, nämlich einen fairen unverfälschten Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts zu gewährleisten. Dies genüge, um vom Vorliegen einer untrennbaren Verbindung zwischen der Direktvergabe des Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren und der in Rede stehenden Beihilfemaßnahme auszugehen. Zweitens macht sie geltend, dass ein gemäß den vergaberechtlichen Vorschriften durchgeführter Auswahlwettbewerb möglicherweise zu einer völlig anderen Beihilfe – sowohl im Hinblick auf deren Höhe als auch deren Ausgestaltung – geführt hätte. Daher sei der Umstand, dass der Empfänger der Beihilfe nicht die Gesellschaft JSC NIAEP sei, irrelevant. Auch das Argument, wonach eine Erhöhung oder Verringerung der Beihilfesumme im vorliegenden Fall weder zu einer Änderung der Beihilfe im eigentlichen Sinne noch zu einer Änderung ihrer wettbewerbswidrigen Wirkung führe, sei nicht stichhaltig. Die strenge Trennung zwischen der unentgeltlichen Überlassung der neuen Reaktoren an die Gesellschaft Paks II und der hierfür seitens Ungarns aufgewendeten Mittel sei nämlich verfehlt. Drittens führt die Republik Österreich aus, das Vorliegen einer untrennbaren Verbindung zwischen der Vergabe des öffentlichen Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren und der in Rede stehenden Beihilfe ergebe sich allein aus dem zwischen Ungarn und der Russischen Föderation abgeschlossenen Abkommen, aus dem hervorgehe, dass die Vergabe des Bauauftrags und das Darlehen der Russischen Föderation einen einzigen Vorgang darstellten.

b)      Würdigung

17.      Wie ich bereits vorab ausgeführt habe, sind der erste und der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes meines Erachtens zusammen zu prüfen. Das Vorbringen der Republik Österreich im Rahmen dieses ersten Teils stellt nämlich offenbar nicht die Feststellung in Rn. 30 des angefochtenen Urteils in Frage, wonach der Gerichtshof im Urteil Österreich/Kommission nicht beabsichtigt habe, seine frühere Rechtsprechung zu dem rechtlichen Kriterium aufzugeben, das auf der Unterscheidung zwischen Modalitäten, die vom Zweck der Beihilfe getrennt, und solchen, die nicht davon getrennt werden könnten (im Folgenden: Kriterium der untrennbaren oder unlösbaren Verbindung), beruhe, sondern vielmehr die Art und Weise, in der das Gericht dieses Kriterium im vorliegenden Fall ausgelegt und angewandt hat. Dieser Teil kommt meines Erachtens dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes nahe.

18.      Im Folgenden werde ich als Erstes auf die einschlägige Rechtsprechung zum Umfang der Verpflichtung der Kommission eingehen, die Vereinbarkeit einer Beihilfemaßnahme mit anderen Bestimmungen des Unionsrechts als den Bestimmungen über staatliche Beihilfen zu prüfen. Als Zweites werde ich die Rügen der Republik Österreich im Licht der Grundsätze prüfen, die sich aus dieser Rechtsprechung ergeben.

1)      Einschlägige Rechtsprechung

i)      Kriterium der „untrennbaren Verbindung“: Urteil Iannelli & Volpi

19.      Das Kriterium der „untrennbaren Verbindung“ wurde erstmals im Urteil vom 22. März 1977, Iannelli & Volpi(8), formuliert. Der Gerichtshof war u. a. mit der Frage befasst worden, ob ein nationales Gericht, das über die Vereinbarkeit eines Systems staatlicher Beihilfen oder bestimmter Modalitäten eines solchen Systems zu befinden hatte, eine etwaige Verletzung von Art. 30 des EWG-Vertrags (jetzt Art. 34 AEUV) in Bezug auf mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen berücksichtigen konnte. Bei der Beantwortung dieser Frage hat der Gerichtshof, nachdem er zunächst zum einen klargestellt hat, dass die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt im System des EWG-Vertrags in einem geeigneten Verfahren zu erfolgen hat, dessen Durchführung Sache der Kommission ist, und zum anderen, dass Art. 30 dieses Vertrags unmittelbare Wirkung zukommt(9), in Rn. 14 dieses Urteils ausgeführt, dass „Modalitäten einer Beihilfe, die einen etwaigen Verstoß gegen andere besondere Vertragsbestimmungen als die Artikel 92 und 93 [jetzt Art. 107 und 108 AEUV] enthalten, … derart untrennbar mit dem Zweck der Beihilfe verknüpft sein [können], dass sie nicht für sich allein beurteilt werden können; die Prüfung ihrer Auswirkung auf die Vereinbarkeit oder Nichtvereinbarkeit der Beihilfe insgesamt hat in einem solchen Fall zwangsläufig nach dem Verfahren des Artikels 93 zu erfolgen“. Der Gerichtshof stellte klar, dass etwas anderes gilt, „wenn sich bei der Analyse einer Beihilferegelung Voraussetzungen oder Bestandteile herausarbeiten lassen, die zwar zu dieser Regelung gehören, zur Verwirklichung ihres Zwecks oder zu ihrem Funktionieren aber nicht unerlässlich sind“. Denn in diesem Fall „lässt sich aus der Zuständigkeitsverteilung nach den Artikeln 92 und 93 [des EWG-Vertrags] nichts dafür herleiten, dass bei einer Verletzung sonstiger Vertragsbestimmungen mit unmittelbarer Wirkung eine Berufung auf diese Vorschriften vor den einzelstaatlichen Gerichten allein deshalb ausgeschlossen wäre, weil der betreffende Bestandteil der Regelung eine Modalität einer Beihilfe darstellt“.

20.      Aus dem Urteil Iannelli & Volpi geht hervor, dass die Kommission, wenn dies für die Beurteilung einer nationalen Maßnahme im Rahmen des Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen unerlässlich ist, nicht nur befugt, sondern unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet ist, andere Bestimmungen des Unionsrechts zu berücksichtigen und gegebenenfalls inzidenter deren Verletzung festzustellen. Der Grund für die Existenz dieser Verpflichtung und des rechtlichen Kriteriums, das ihren Umfang festlegt – zumindest insoweit, wie er sich aus diesem Urteil ergibt –, besteht offenbar darin, zum einen die im Vertrag angelegte Zuständigkeit der Kommission im Bereich der Kontrolle staatlicher Beihilfen zu wahren und zum anderen zu verhindern, dass es durch die Ausübung dieser Zuständigkeit zu Lücken im System zum Schutz der Rechte, die den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts erwachsen, kommt.

ii)    Verpflichtung der Kommission zur Beachtung des Zusammenhangs: Urteile Kommission/Italien und Matra

21.      Einige Jahre später hatte der Gerichtshof die Folgen des Urteils Iannelli & Volpi für das Verhältnis zwischen dem Beihilfekontrollverfahren und dem Vertragsverletzungsverfahren klarzustellen. Im Urteil vom 21. Mai 1980, Kommission/Italien(10), hatte sich die Italienische Republik insbesondere auf das Urteil Iannelli & Volpi gestützt, um sich auf die Unzulässigkeit der gegen sie erhobenen Vertragsverletzungsklage wegen Verstoßes gegen Art. 95 des EWG-Vertrags (jetzt Art. 110 AEUV) zu berufen. Sie machte geltend, dass die beanstandete steuerliche Maßnahme, da sie zur Finanzierung einer Beihilferegelung bestimmt und daher eine mit dem Gegenstand dieser Regelung untrennbar verbundene Maßnahme sei, nicht im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage, sondern nur im Rahmen des Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen beurteilt werden könne. Nach der Feststellung, dass die Vertragsbestimmungen über staatliche Beihilfen und diejenigen über diskriminierende Abgaben zwar das gleiche Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt verfolgen, jedoch unterschiedliche Anwendungsvoraussetzungen haben, hat der Gerichtshof ausgeführt, dass eine im Wege einer diskriminierenden Abgabe durchgeführte Maßnahme, die gleichzeitig als staatliche Beihilfe angesehen werden kann, kumulativ beiden Regelungskomplexen unterliegen und daher Gegenstand eines gesonderten Vertragsverletzungsverfahrens sein kann(11). In Rn. 11 dieses Urteils hat der Gerichtshof weiter festgestellt, dass sich aus der allgemeinen Systematik des Vertrags ergibt, dass das Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen „niemals zu einem Ergebnis führen darf, das mit den besonderen Vorschriften des Vertrages … in Widerspruch steht“. So hätte in dieser Rechtssache, wenn der Gerichtshof am Ende des Vertragsverletzungsverfahrens festgestellt hätte, dass die beanstandete Abgabe gegen die Bestimmungen des Vertrags über diskriminierende Abgaben verstößt, das von der Kommission auf der Grundlage der Vorschriften über staatliche Beihilfen eingeleitete Verfahren jedenfalls nicht zu ihrer Beibehaltung führen können.

22.      Im Urteil vom 15. Juni 1993, Matra/Kommission(12), das etwa zehn Jahre nach der Verkündung des Urteils Kommission/Italien erging, äußerte sich der Gerichtshof, der mit einer Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung befasst war, mit der Investitionsbeihilfen zugunsten eines Joint Venture zwischen zwei Automobilherstellern genehmigt wurden, diesmal zum Verhältnis zwischen dem Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen und dem Verfahren nach den Art. 85 und 86 des EWG-Vertrags (jetzt Art. 101 und 102 AEUV), die von der Kommission parallel eingeleitet worden waren. Nach einem Hinweis auf die in den Urteilen Iannelli & Volpi und Kommission/Italien aufgestellten Grundsätze gelangte der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Verpflichtung der Kommission, den Zusammenhang zwischen den Beihilfevorschriften und den sonstigen Bestimmungen des Vertrags zu beachten, sie nicht daran hindern kann, eine Entscheidung über die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe zu treffen, ohne das Ergebnis eines nach Art. 85 oder Art. 86 des EWG-Vertrags eingeleiteten Parallelverfahrens abzuwarten, „wenn sie aufgrund einer wirtschaftlichen Analyse des Sachverhalts … zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Empfänger der Beihilfe nicht in der Lage ist, [diesen] Artikeln … zuwiderzuhandeln“(13).

23.      Im Urteil Matra hat der Gerichtshof erstmals zum Verhältnis zwischen dem Urteil Iannelli & Volpi und dem Urteil Kommission/Italien Stellung genommen und zugleich die Autonomie des Verfahrens zur Kontrolle der Beihilfen und das Erfordernis der Kohärenz der am Ende eines solchen Verfahrens erlassenen Entscheidungen mit anderen Bestimmungen des Vertrags bekräftigt. Er hat außerdem klargestellt, dass eine solche Verpflichtung zur Beachtung des Zusammenhangs „ganz besonders dann [gilt], wenn mit diesen anderen Vorschriften … ebenfalls das Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes verfolgt wird“(14).

iii) Die nach den Urteilen Iannelli & Volpi, Kommission/Italien und Matra ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs und die Schwierigkeiten bei der Anwendung des Kriteriums der „untrennbaren Verbindung“

24.      Die in den Urteilen Kommission/Italien und Matra aufgestellten Grundsätze wurden im Laufe der Jahre bestätigt. So hat der Gerichtshof mehrfach wiederholt, i) dass das Verfahren zur Kontrolle von Beihilfen niemals zu einem Ergebnis führen darf, das zu den besonderen Vorschriften des Vertrags im Widerspruch steht, ii) dass daher eine staatliche Beihilfe, die wegen einer ihrer Modalitäten gegen andere Bestimmungen des Vertrags verstößt, nicht von der Kommission als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden kann(15), iii) dass ebenso eine staatliche Beihilfe, die wegen bestimmter Modalitäten gegen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verstößt, nicht für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden kann(16), und iv) dass die Vorschriften über staatliche Beihilfen „keinesfalls“ dazu dienen dürfen, anderen Vorschriften des Vertrags ihre Wirkung zu nehmen, die mit ihnen das „gemeinsame Ziel“ verfolgen, sicherzustellen, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht zu einer Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt führen(17). Diese Grundsätze sind vom Gerichtshof erst kürzlich in den Urteilen Österreich/Kommission(18) und Braesch u. a.(19) sowie in den Urteilen zu Beihilfen für Luftfahrtunternehmen während der Covid-19-Pandemie bekräftigt worden(20).

25.      Das im Urteil Iannelli & Volpi enthaltene Kriterium der „untrennbaren Verbindung“ wurde kürzlich im Urteil vom 2. Mai 2019, A-Fonds(21), erneut bestätigt und seither mehrmals, auch nach dem Urteil Österreich/Kommission, angewandt(22), und zwar als Kriterium zur Zuständigkeitsverteilung zwischen den nationalen Gerichten und der Kommission(23) und zur Abgrenzung des Umfangs der Verpflichtung der Kommission, im Rahmen des Beihilfekontrollverfahrens die Vereinbarkeit der in Rede stehenden Maßnahme mit nicht zum Beihilferecht zählenden Vorschriften zu prüfen(24). Die Reichweite dieser Verpflichtung, die verhindern soll, dass eine Beihilfe, die gegen andere einschlägige Bestimmungen oder allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verstößt, als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden kann(25), hängt daher letztlich von der mehr oder weniger strikten Anwendung dieses Kriteriums ab.

26.      Der Gerichtshof hat im Übrigen versucht, die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Kriteriums klarzustellen.

27.      Zum einen hat er festgestellt, dass die Kommission Verstöße gegen andere Bestimmungen des Unionsrechts als die Beihilfebestimmungen berücksichtigen muss, die sich nicht nur aus Elementen, Bedingungen oder Modalitäten ergeben, die untrennbar mit der Beihilfe oder ihrem Zweck verbunden sind, sondern auch aus denjenigen, die sich aus der Beihilfe oder ihrem Zweck als solchen oder aus der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ ergeben, die mit ihr finanziert werden soll(26). In diesem Fall liegt die „untrennbare Verbindung“ im Sinne der aus dem Urteil Iannelli & Volpi hervorgehenden Rechtsprechung in re ipsa.

28.      Zum anderen hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass die Finanzierungsweise einer Beihilfe wie eine nationale Abgabe, die speziell der Finanzierung einer Beihilferegelung dient, nicht von der „Beihilfe im eigentlichen Sinne“ getrennt werden kann(27) und dass für ihre Beurteilung auch im Hinblick auf andere als die staatlichen Beihilfen betreffende Bestimmungen des Vertrags ausschließlich die Kommission zuständig ist(28). Ebenso hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Modalitäten, die die Voraussetzungen für die Beihilfefähigkeit im Rahmen einer Beihilferegelung festlegen, untrennbar mit der Beihilfe als solcher verbunden sind und zu den von der Kommission im Rahmen des Verfahrens nach Art. 108 AEUV zu prüfenden und gegebenenfalls zu genehmigenden Punkten gehören(29). Die Wahl des Empfängers einer Einzelbeihilfe ist hingegen Teil des eigentlichen „Gegenstands“ dieser Beihilfe(30). Im Urteil Braesch u. a. wurde klargestellt, dass nicht von der Kommission verlangte Maßnahmen, die vom betreffenden Mitgliedstaat mit dem Ziel eines die Beihilfe nach Abschluss der Vorprüfungsphase genehmigenden Kommissionsbeschlusses getroffen wurden(31), und ganz allgemein mit der Beihilfe als solcher „in einem Sachzusammenhang“ stehende, aber von der Beihilfe „rechtlich gesonderte“ Maßnahmen des Mitgliedstaats, der die Beihilfe angemeldet hat(32), keine „untrennbaren Modalitäten“ im Sinne des Urteils Iannelli & Volpi darstellen.

29.      Ungeachtet der Klarstellungen durch den Gerichtshof bleibt die Rechtsprechung, wenn es darum geht, dem Kriterium der „untrennbaren Verbindung“ eine konkrete Bedeutung zu geben, weitgehend einzelfallbasiert. Einige der für ihre Anwendung maßgeblichen Begriffe, wie etwa die Begriffe „Zweck“, „Modalität“ der Beihilfe, „untrennbare Modalität“ oder mit dem Zweck der Beihilfe „untrennbar verbunden“, sind nach wie vor schwer fassbar.

30.      Um innerhalb der Grenzen dessen, was für die vorliegende Rechtssache erforderlich ist, einen Schlüssel für das Verständnis dieser Begriffe zu liefern, ist meines Erachtens von der negativen Definition des Begriffs „untrennbar mit dem Zweck der Beihilfe verbundene Modalität“ aus dem Urteil Iannelli & Volpi auszugehen.

31.      Nach Auffassung des Gerichtshofs stellen Voraussetzungen oder Bestandteile, die „zwar zu [einer] Regelung gehören, zur Verwirklichung ihres Zwecks oder zu ihrem Funktionieren aber nicht unerlässlich sind“, keine solche Modalität dar und können daher von dieser Regelung getrennt werden(33). In seinen Ausführungen zum Begriff der Notwendigkeit vertrat Generalanwalt Saugmandsgaard Øe(34) in der dem Urteil A-Fonds zugrunde liegenden Rechtssache die Auffassung, dass „eine Modalität notwendig [ist], um das Ziel oder das Funktionieren einer Beihilfe zu erreichen, wenn sie ein Bestandteil oder wesentliches Element der Beihilfe ist, so dass ihre Nichtanwendbarkeit zu einer Änderung des Umfangs oder der wichtigsten Merkmale der Beihilfe führt“. Ich schließe mich dieser Definition zwar grundsätzlich an, jedoch unter der Voraussetzung, dass mit ihr auf die von dem betreffenden Mitgliedstaat konkret geplante Maßnahme als Ganzes Bezug genommen wird(35) und nicht unter isolierter Betrachtung derjenigen Bestandteile dieser Maßnahme, die abstrakt den Tatbestandsmerkmalen des Rechtsbegriffs der „Beihilfe“ entsprechen.

32.      Was insbesondere den Begriff „Zweck“ der Beihilfe betrifft, dem bei der Anwendung des Kriteriums der „untrennbaren Verbindung“ eine zentrale Rolle zukommt, gibt die in den Nrn. 19 bis 28 der vorliegenden Schlussanträge angeführte Rechtsprechung Hinweise dazu, was dieser Begriff nicht erfasst. Der Begriff unterscheidet sich somit sowohl von dem der „durch die Beihilfe finanzierte[n] Tätigkeit“ als auch von dem der „Modalität“, der sich auf die verschiedenen Bestandteile der Maßnahme bezieht, mit der der Mitgliedstaat die Beihilfe konkret durchzuführen beabsichtigt. Der Begriff „Zweck der Beihilfe“ ist auch nicht mit dem Begriff „Ziel“ zu verwechseln, wobei der erstgenannte Begriff das Mittel ist, mit dem der betroffene Staat den zweitgenannten erreichen will(36). So sind z. B. die „Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist“ (Art 107 Abs. 3 Buchst. a AEUV), die „Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“ oder die „Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ (Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV) oder aber die „Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige“ (Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV) nach dem Vertrag zulässige Ziele, die die Mitgliedstaaten durch unterschiedliche Maßnahmen – sowohl hinsichtlich ihrer Art als auch hinsichtlich des betroffenen Wirtschaftszweigs oder der betroffenen Tätigkeit oder der Identität oder Zahl der Begünstigten – verfolgen können(37). Jede dieser Maßnahmen hat einen eigenen „Zweck“, der durch das mit der Maßnahme verfolgte spezifische Ziel (z. B. Begünstigung bestimmter landwirtschaftlicher Betriebe oder Industriezweige, Unterstützung von Unternehmen in einer bestimmten Region, Unterstützung von Investitionen in bestimmte Tätigkeiten) und durch die Art und Weise ihrer beabsichtigten Umsetzung (z. B. Steuerbefreiung, Bereitstellung einer Kreditlinie, staatliche Garantie, Kapitalzuführung usw.) definiert wird. Dieser Zweck ist auch unter Berücksichtigung aller Elemente der in Rede stehenden Maßnahme, wie sie von dem betreffenden Mitgliedstaat konkret in Betracht gezogen wurde, zu bestimmen.

33.      Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Kommission bei der Beurteilung der Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt einen etwaigen Verstoß gegen andere Bestimmungen des Unionsrechts als die Beihilfebestimmungen berücksichtigen muss, wenn sich ein solcher Verstoß aus der finanzierten wirtschaftlichen Tätigkeit, aus der Beihilfe oder ihrem Zweck als solchen oder aber aus untrennbar mit dem Zweck der Beihilfe verbundenen Modalitäten ergibt. Eine solche untrennbare Verbindung besteht bei zur Verwirklichung des Zwecks der Beihilfe oder zu ihrem Funktionieren unerlässlichen Bestandteilen oder Bedingungen, ohne die die geplante staatliche Maßnahme nicht die verfolgten Ziele erreichen kann.

34.      Die von der Republik Österreich im Rahmen des ersten und des zweiten Teils ihres ersten Rechtsmittelgrundes erhobenen Rügen sind im Licht der in den Nrn. 19 bis 28 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung und der Gesamtheit der bisher angestellten Überlegungen zu prüfen.

2)      Anwendung auf den vorliegenden Fall

35.      Bevor ich mit meiner Analyse fortfahre, weise ich darauf hin, dass, selbst wenn das Vorbringen der Rechtsmittelführerin im ersten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes so verstanden wird – wie es dem Verständnis der Kommission und der die Kommission als Streithelfer unterstützenden Mitgliedstaaten entspricht –, dass die Aktualität des Kriteriums der „untrennbaren Verbindung“ nach dem Urteil Österreich/Kommission in Frage gestellt werden soll, aus der u. a. in Nr. 25 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung hervorgeht, dass dieses Vorbringen keinen Erfolg haben kann(38).

i)      Zum Zweck der angemeldeten Maßnahme

36.      Im Rahmen des ersten Teils ihres ersten Rechtsmittelgrundes wirft die Republik Österreich dem Gericht vor, nicht festgestellt zu haben, dass der „Zweck“ der in Rede stehenden Beihilfe der Bau der neuen Kernreaktoren gewesen sei. Damit sei das Gericht von der durch die Kommission im streitigen Beschluss vorgenommenen Einstufung dieses Zwecks abgewichen. Diese Rüge wird im Wesentlichen im Rahmen des zweiten Rechtsmittelgrundes wiederholt. Die Tschechische Republik, die Französische Republik und Ungarn machen geltend, dass das Gericht in den Rn. 36 und 37 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt habe, dass der Zweck der in Rede stehenden Beihilfe in der „unentgeltlichen Überlassung [an die Gesellschaft Paks II] von zwei neuen Reaktoren zum Betrieb“(39) bestehe. Die Kommission macht geltend, dass die angemeldete Maßnahme zwar die Entwicklung zweier Kernreaktoren in Ungarn betreffe, jedoch nicht den Bau dieser Reaktoren an sich, sondern ihre Zurverfügungstellung zur Benutzung.

37.      Hierzu ist festzustellen, dass die angemeldete Maßnahme in der Überschrift des streitigen Beschlusses als von Ungarn geplante Maßnahme „für den Bau von zwei Kernreaktoren im Atomkraftwerk Paks II“ bezeichnet wird. Im dritten Erwägungsgrund des Beschlusses wird diese Maßnahme als Maßnahme „zur Gewährung eines finanziellen Beitrags zur Entwicklung von zwei neuen Kernreaktoren am Standort Paks“ beschrieben. Im neunten Erwägungsgrund dieses Beschlusses heißt es unter Abschnitt 2 („Ausführliche Beschreibung der Maßnahme“) in Punkt 2.1 („Beschreibung des Vorhabens“): „Die Maßnahme besteht in der Entwicklung zweier neuer Kernreaktoren … in Ungarn, deren Bau zugunsten der Gesellschaft Paks II …, die auch Eigentümerin und Betreibergesellschaft der neuen Reaktoren sein wird, vollständig vom ungarischen Staat finanziert wird.“ Im 15. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, in dem die von Ungarn geplante finanzielle Unterstützung dargelegt wird(40), wird ausgeführt, dass das von der Russischen Föderation an Ungarn gewährte staatliche Darlehen „zur Finanzierung der Entwicklung von Paks II“ „eine revolvierende Kreditfazilität von 10 Mrd. [Euro] vor[sieht]“, die Ungarn „unmittelbar zur Finanzierung der im Zusammenhang mit Paks II erforderlichen Investitionen für die Planung, den Bau und die Inbetriebnahme der neuen [Reaktoren] verwenden [wird]“, wobei „[ein] weitere[r] Betrag von bis zu 2,5 Mrd. [Euro]“ aus eigenen Mitteln Ungarns hinzukomme. Im 21. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses wird angegeben, dass „Ungarn und Russland … das [zwischenstaatliche Abkommen] mit dem Ziel [unterzeichneten], am Standort Paks neue Kapazitäten zu schaffen“. Ganz allgemein wird die angemeldete Maßnahme von der Kommission als Investitionsbeihilfe definiert und geprüft, „die der ungarische Staat Paks II für die Entwicklung des Vorhabens gewährt“ und die die Investition für die Durchführung des Vorhabens abdecke(41). Es trifft zu, dass die Kommission im 197. Erwägungsgrund dieses Beschlusses festgestellt hat, dass mit der angemeldeten Maßnahme „ein wirtschaftlicher Vorteil für Paks II dadurch verbunden wäre, dass Paks II Eigentümerin und Betreibergesellschaft der beiden vollständig vom ungarischen Staat finanzierten neuen Kernreaktoren wäre“. Im 283. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, der zu den Gründen gehört, die der Prüfung der Frage gewidmet sind, ob eine untrennbare Modalität vorliegt, stellt die Kommission jedoch klar, dass „Zweck der Investitionsbeihilfe für Paks II ist …, dazu beizutragen, dass dieses Kraftwerk Strom erzeugen kann, ohne für die Investitionen für den Bau der Kernanlage aufkommen zu müssen“, wobei sie die von Ungarn getätigten Investitionen in unmissverständlicher Weise mit dem Bau der neuen Reaktoren verknüpfte. In den Erwägungsgründen 324 bis 328 dieses Beschlusses wird die angemeldete Maßnahme von der Kommission als ein „geeignetes Instrument zur Unterstützung des Baus der … neuen Reaktorblöcke …“ angesehen, das der „Erreichung des in der Förderung der Kernenergie bestehenden Ziels von gemeinsamem Interesse“ diene(42), und im 332. Erwägungsgrund heißt es, dass diese Maßnahme „einen Anreiz für die Erreichung des Ziels von gemeinsamem Interesse durch den Bau des Atomkraftwerks [bietet]“. Schließlich wird im 330. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses eindeutig festgestellt, dass die Gesellschaft Paks II „vom Staat mit dem einzigen Zweck der Entwicklung und des Betriebs [dieser Reaktoren] gegründet wurde“ und dass sie die in Rede stehende Beihilfe erhalte, um diesen Zweck zu erreichen. Ebenso heißt es im 334. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, dass Paks II als Begünstigter „eine Finanzierungsbeteiligung zum Bau von Erzeugungskapazitäten gewährt [würde]“(43).

38.      Daraus folgt meines Erachtens, dass die Rechtsmittelführerin zu Recht geltend macht, dass das Gericht, indem es den Zweck der in Rede stehenden Beihilfe als „unentgeltliche Überlassung“ der neuen Reaktoren identifiziert hat, nicht die Beschreibung dieses Zwecks zugrunde gelegt hat, wie sie, abgesehen von einigen Unstimmigkeiten, aus dem streitigen Beschluss hervorgeht, nämlich die Gewährung eines finanziellen Beitrags durch den ungarischen Staat an die Gesellschaft Paks II für die Entwicklung – einschließlich der Planung, des Baus und der Inbetriebnahme – zweier neuer Kernreaktoren. Damit hat es einen Fehler bei der Auslegung des vor ihm angefochtenen Rechtsakts begangen, was einen Rechtsfehler darstellt, der vor dem Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels geltend gemacht werden kann(44).

39.      Im Rahmen des zweiten Teils ihres ersten Rechtsmittelgrundes macht die Republik Österreich, unterstützt durch das Großherzogtum Luxemburg, ferner geltend, das Gericht habe dadurch, dass es den Zweck der angemeldeten Maßnahme als „die unentgeltliche Überlassung von zwei Kernreaktoren an die Gesellschaft Paks II“ definiert habe, künstlich zwischen den verschiedenen Bestandteilen ein und derselben Maßnahme unterschieden. Der Bau der neuen Reaktoren und die Direktvergabe des Auftrags an JSC NIAEP seien nämlich integraler Bestandteil des im Mittelpunkt des Abkommens zwischen der Russischen Föderation und Ungarn stehenden Vorhabens gewesen.

40.      Die Kommission macht geltend, dass diese Rüge, die im Verfahren vor dem Gericht nicht vorgetragen worden sei, unzulässig sei. Insoweit weise ich darauf hin, dass das Rechtsmittel nach Art. 170 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand nicht verändern kann(45), ein Rechtsmittelführer jedoch zulässigerweise ein Rechtsmittel einlegen kann, mit dem er vor dem Gerichtshof Rechtsmittelgründe und Argumente geltend macht, die sich aus dem angefochtenen Urteil selbst ergeben und mit denen dessen Stichhaltigkeit aus rechtlichen Erwägungen in Frage gestellt wird(46). Dies ist meines Erachtens bei der von der Republik Österreich erhobenen Rüge der Fall. Im Übrigen stellt die Rechtsmittelführerin, unterstützt durch das Großherzogtum Luxemburg, mit dieser Rüge nicht die Tatsachenwürdigung des Gerichts in Frage, sondern deren rechtliche Qualifizierung, die das Gericht ihres Erachtens dazu veranlasst hat, den Zweck der in Rede stehenden Beihilfe falsch zu definieren. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Fehler bei der rechtlichen Qualifizierung von Tatsachen ein Rechtsfehler, der im Rahmen eines Rechtsmittels geltend gemacht werden kann(47).

41.      In der Sache ist unstreitig, dass das Ziel der von Ungarn geplanten Beihilfe die Förderung der Tätigkeit der Kernenergieerzeugung war. Dieses Ziel wurde mit einem Vorhaben verfolgt, mit dem der Bau von zwei Kernreaktoren finanziert werden sollte, die dazu bestimmt waren, am Standort des Kraftwerks Paks in Betrieb genommen zu werden und letztlich die bereits bestehenden Reaktoren zu ersetzen. Wie die Republik Österreich geltend macht und wie aus der Beschreibung der angemeldeten Maßnahme im streitigen Beschluss hervorgeht, war die Überlassung der neuen Reaktoren an das Kraftwerk Paks II nur eine der Phasen dieses Vorhabens, das als Ganzes aufgefasst wurde und die Planung, den Bau und die Inbetriebnahme dieser Reaktoren umfasste(48). Bei den neuen Reaktoren, um deren Bau es bei dem zwischenstaatlichen Abkommen ging, handelte es sich nämlich um den „Gegenstand“, der dem Beihilfeempfänger überlassen wird. Die Gesellschaft Paks II hat zwar nicht selbst in den Bau ihrer künftigen Erzeugungskapazität investiert, da die ungarischen Behörden eine Kreditaufnahme unmittelbar durch Paks II nicht für erforderlich hielten(49), doch war sie an jeder Phase ihrer Entwicklung als von Ungarn benannte und „finanziell und technisch“ für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Vorhaben verantwortliche „in staatlichem Eigentum stehende“, „vom Staat kontrollierte Organisation“ beteiligt (vgl. elfter Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses). So geht aus dem 14. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses hervor, dass sie es war, die mit JSC NIAEP den Vertrag über die Entwicklung, den Kauf und den Bau der beiden neuen Reaktoren abschloss und dass es ihr außerdem oblag, die Bauarbeiten zu überwachen und die Zahlungen der JSC NIAP geschuldeten Beträge für jeden Meilenstein des Fortschritts dieser Arbeiten zu genehmigen (vgl. 39. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses).

42.      Demnach macht die Republik Österreich, unterstützt vom Großherzogtum Luxemburg, zu Recht geltend, dass es künstlich wäre, in der angemeldeten Maßnahme zwischen dem Bau der beiden Kernreaktoren und ihrer Überlassung an die Gesellschaft Paks II zu unterscheiden. Betrachtet man die Maßnahme in ihrer Gesamtheit, so wird meines Erachtens klar, dass sie darauf abzielt, die Investition in den Bau und die Inbetriebnahme der neuen Kraftwerksblöcke des Standorts Paks zu finanzieren.

43.      Daraus folgt, dass selbst unter der Annahme, dass das Gericht bei der Auslegung des streitigen Beschlusses keinen Fehler begangen haben sollte, als es den Gegenstand der in Rede stehenden Beihilfe als „die unentgeltliche Überlassung [an die Gesellschaft Paks II] von zwei neuen Reaktoren zum Betrieb“ definierte, diese Definition gleichwohl auf einer fehlerhaften rechtlichen Qualifizierung des Sachverhalts beruht.

ii)    Zum Vorliegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge, der sich aus dem Zweck der Beihilfe ergebe

44.      Im Rahmen des ersten Teils ihres ersten Rechtsmittelgrundes macht die Republik Österreich zum einen geltend, das Gericht habe der Kommission im Wesentlichen gestattet, bei ihrer Beurteilung einer Beihilfemaßnahme einen Verstoß gegen die Vergabevorschriften außer Acht zu lassen, und zum anderen, dass sich ein solcher Verstoß im vorliegenden Fall aus dem eigentlichen Zweck der in Rede stehenden Beihilfe, nämlich der Finanzierung des Baus eines Kernkraftwerks, ergebe, so dass das Gericht in den Rn. 28 bis 32 des angefochtenen Urteils zu Unrecht eine Unterscheidung zwischen der vorliegenden Rechtssache und der Rechtssache, in der das Urteil Österreich/Kommission ergangen sei, getroffen habe.

45.      Die Französische Republik stellt die Zulässigkeit dieser Rüge in Abrede, weil sie nicht im Verfahren vor dem Gericht vorgetragen worden sei. Insoweit trifft es zwar zu, dass die Republik Österreich in ihrer Klage nicht ausdrücklich geltend gemacht hat, dass die Direktvergabe des Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren an JSC NIAEP zum eigentlichen Zweck der in Rede stehenden Beihilfe gehöre. Aus Rn. 20 des angefochtenen Urteils geht jedoch hervor, dass sie auf der Grundlage ihrer Auslegung des Urteils Österreich/Kommission gleichwohl geltend gemacht hat, dass es für die Beurteilung der in Rede stehenden Beihilfe unerheblich sei, ob eine solche Direktvergabe eine „untrennbare Modalität“ oder überhaupt eine „Modalität“ dieser Beihilfe darstelle, da ganz allgemein staatliche Beihilfen, die gegen Bestimmungen des Unionsrechts verstießen, nicht für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden dürften. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Rüge, die die Republik Österreich nunmehr vor dem Gerichtshof erhebt, den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand verändert(50).

46.      In der Sache ist diese Rüge, die im Übrigen recht wenig ausgeführt wird, meines Erachtens zurückzuweisen.

47.      Zum einen beruht diese Rüge, soweit dem Gericht damit vorgeworfen werden soll, davon ausgegangen zu sein, dass die Kommission „im Rahmen des Verfahrens nach Art. 108 AEUV … vergaberechtliche Vorgaben ignorieren kann“, auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils. In den Rn. 28 bis 32 dieses Urteils hat sich das Gericht nämlich auf die Feststellung beschränkt, dass der Gerichtshof im Urteil Österreich/Kommission seine auf das Urteil Iannelli & Volpi zurückgehende Rechtsprechung nicht habe aufgeben wollen, was, wie ich bereits ausgeführt habe, nicht in Frage gestellt werden kann. Anders als die Republik Österreich offenbar annimmt, hat das Gericht hingegen nicht in Abrede gestellt, dass die Kommission verpflichtet ist, im Rahmen dieses Verfahrens einen etwaigen Verstoß gegen eine andere Bestimmung des Unionsrechts als die Bestimmungen über staatliche Beihilfen – einschließlich der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge – zu berücksichtigen, wenn sich ein solcher Verstoß aus dem Zweck der betreffenden Beihilfe oder aus einer ihrer untrennbaren Modalitäten ergibt.

48.      Zum anderen kann diese Rüge, wie insbesondere die Tschechische Republik geltend macht, auch insoweit keinen Erfolg haben, als mit ihr geltend gemacht wird, dass sich der von der Rechtsmittelführerin geltend gemachte Verstoß gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge aus dem eigentlichen „Zweck“ der in Rede stehenden Beihilfe oder aus der durch sie „finanzierten Tätigkeit“ ergebe. Denn selbst wenn der Gerichtshof entsprechend meinem Vorschlag der Auffassung sein sollte, dass das Gericht den Bau der neuen Reaktoren zu Unrecht vom Zweck dieser Beihilfe ausgenommen hat, kann die Direktvergabe des Auftrags für diesen Bau an JSC NIAEP nur eine mit diesem Zweck verbundene „Modalität“ darstellen, für die noch zu prüfen wäre, ob sie mit diesem Zweck untrennbar verbunden ist.

iii) Zum Vorliegen einer untrennbaren Modalität

49.      Im Rahmen des zweiten Teils ihres ersten Rechtsmittelgrundes beanstandet die Republik Österreich die vom Gericht vorgenommene Analyse des Vorliegens eines „untrennbaren Zusammenhangs“ zwischen der Direktvergabe des Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren an JSC NIAEP und dem Zweck der Beihilfe. Für die Darlegung des Vorbringens dieses Mitgliedstaats verweise ich auf Nr. 16 der vorliegenden Schlussanträge. Wie in Nr. 17 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, zielen bestimmte im Rahmen des ersten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes vorgebrachte Argumente im Wesentlichen ebenfalls darauf ab, diese Analyse in Frage zu stellen.

50.      Ich erinnere daran, dass ich in den Nrn. 36 bis 43 der vorliegenden Schlussanträge zu dem Ergebnis gelangt bin, dass die Definition des Zwecks der in Rede stehenden Beihilfe, die das Gericht u. a. in Rn. 36 des angefochtenen Urteils vorgenommen hat, mit einem Fehler bei der Auslegung des streitigen Beschlusses behaftet ist und dass diese Definition jedenfalls auf einer fehlerhaften Würdigung des Sachverhalts beruht. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass, wenn die Gründe des Urteils des Gerichts zwar eine Verletzung des Unionsrechts erkennen lassen, der Tenor des Urteils sich aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweist, ein solcher Verstoß nicht die Aufhebung des angefochtenen Urteils nach sich ziehen kann und eine Ersetzung von Gründen vorzunehmen sowie das Rechtsmittel zurückzuweisen ist(51). Daher ist zu prüfen, ob das Gericht trotz der begangenen Rechtsfehler in Rn. 39 des angefochtenen Urteils zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Kommission berechtigterweise die Auffassung vertreten hat, dass die Vergabe des Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren keine Modalität der Beihilfe darstelle, die untrennbar mit dieser verbunden sei.

51.      Aus den Gründen, die ich erläutern werde, bin ich der Ansicht, dass dies nicht der Fall ist.

52.      Als Erstes weise ich zunächst darauf hin, dass zwar insbesondere der Französischen Republik darin zuzustimmen ist, dass das Vorbringen der Republik Österreich, wonach der bloße Umstand, dass die Vorschriften über staatliche Beihilfen und die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge dasselbe Ziel verfolgten, nämlich einen unverfälschten Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts zu gewährleisten, ausreiche, um auf das Vorliegen einer untrennbaren Modalität zu schließen, nicht durchgreifen kann(52), die Republik Österreich jedoch zu Recht darauf hinweist, dass diese konvergierenden Ziele der Kommission eine erhöhte Verpflichtung auferlegen, auf den Zusammenhang zwischen diesen beiden Regelungskomplexen zu achten.

53.      Als Zweites hat das Gericht in Rn. 36 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft festgestellt, dass die Entscheidung über die Vergabe des Auftrags für den Bau der beiden neuen Reaktoren keine Modalität der Beihilfe selbst darstelle, da diese Vergabe „die Herstellung und die Ausstattung des unentgeltlich überlassenen Gegenstands [betrifft] und … damit der eigentlichen Beihilfemaßnahme vorgelagert [ist].“ Denn zum einen ist die Prämisse, auf der diese Schlussfolgerung beruht, dass nämlich der Gegenstand der in Rede stehenden Beihilfe die unentgeltliche Überlassung der beiden neuen Kernreaktoren an die Gesellschaft Paks II sei, falsch, wie ich oben dargelegt habe. Zum anderen ist, wie die Republik Österreich im Wesentlichen geltend macht, bei einer durch eine Beihilfe nach Art. 107 AEUV finanzierten staatlichen Maßnahme, die sich über verschiedene Phasen erstreckt, die Einstufung einer in einer dieser Phasen erlassenen Maßnahme als „Modalität“ oder als „untrennbare Modalität“ im Sinne des Urteils Iannelli & Volpi nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil diese Maßnahme der den gesamten Prozess beendeten Maßnahme vorausgeht. Selbst unter der Annahme, dass das Gericht die unentgeltliche Überlassung der neuen Reaktoren an die Gesellschaft Paks II zu Recht als Zweck der in Rede stehenden Beihilfe herangezogen hätte, würde dies somit nicht automatisch bedeuten, dass die Direktvergabe des Auftrags für ihren Bau an JSC NIAEP ein Bestandteil ohne Verbindung mit der in Rede stehenden Beihilfe darstellte. Es trifft zwar zu, dass, wie die Französische Republik geltend macht, eine Auslegung des Kriteriums der „untrennbaren Verbindung“, nach der unter den Begriff der „untrennbaren Modalität“ jede „Modalität der Planung“ eines mit öffentlichen Mitteln finanzierten Vorhabens fiele, dazu führte, dass dieses Kriterium ausgehöhlt würde. Dieses Argument ist im vorliegenden Fall jedoch nicht stichhaltig. Die Vergabe des Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren ist weder eine bloße „Modalität der Planung“ noch ein untergeordneter Gesichtspunkt der angemeldeten Maßnahme. Der Zweck der in Rede stehenden Beihilfe ist nämlich die Entwicklung dieser Reaktoren, und diese stellen den Gegenstand dar, der dem Begünstigten überlassen werden soll.

54.      Als Drittes geht, wie die Republik Österreich zu Recht geltend macht, aus dem streitigen Beschluss und dem angefochtenen Urteil hervor, dass die Benennung von JSC NIAEP als mit dem Bau befasste Einrichtung einer der Bestandteile des zwischenstaatlichen Abkommens war – zu dem das in Nr. 6 der vorliegenden Schlussanträge erwähnte Finanzierungsabkommen als integrales Element dazugehört – und eine der Bedingungen für das Darlehen zur Finanzierung des Großteils der für die Entwicklung der neuen Reaktoren erforderlichen Investitionen darstellte. Nach der in Nr. 25 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung kann die Finanzierungsweise einer Beihilfe jedoch nicht von dieser Beihilfe getrennt werden, und für ihre Beurteilung ist auch im Hinblick auf andere als die staatlichen Beihilfen betreffende Bestimmungen des Vertrags ausschließlich die Kommission zuständig.

55.      Als Viertes ist der in den Nrn. 19 bis 25 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung nicht zu entnehmen, dass ein Bestandteil oder eine Voraussetzung einer Beihilfe, der bzw. die sich nicht unmittelbar auf die Bestimmung des oder der Begünstigten oder auf die Höhe der Beihilfe auswirkt, keine „untrennbare Modalität“ darstellen kann, deren Rechtmäßigkeit von der Kommission im Rahmen des Verfahrens nach Art. 108 AEUV zu prüfen ist. Vielmehr ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass ein Bestandteil oder eine Bedingung der Beihilfe, der bzw. die sich „zur Verwirklichung ihres Zwecks oder zu ihrem Funktionieren als notwendig“ erweist, eine solche Modalität darstellt. Im vorliegenden Fall war die Vergabe des Bauauftrags an JSC NIAEP, wie die Republik Österreich im Wesentlichen geltend macht, ein notwendiger Bestandteil sowohl für die Verwirklichung des Zwecks der in Rede stehenden Beihilfe als auch für deren Funktionieren. Zum einen geht nämlich aus dem streitigen Beschluss und dem angefochtenen Urteil hervor, dass die Entscheidung für JSC NIAEP als das für die Planung, den Bau und die Inbetriebnahme der neuen Reaktoren verantwortliche Unternehmen ein integraler Bestandteil des zwischenstaatlichen Abkommens war und dass das von der Russischen Föderation an Ungarn gewährte Darlehen mit dieser Entscheidung verknüpft war(53). Zum anderen geht aus der Tatsache, dass Ungarn sowohl vor der Kommission als auch vor dem Gericht und dem Gerichtshof geltend gemacht hat, dass nur JSC NIAEP in der Lage sei, die für den Bau der neuen Reaktoren erforderliche Technologie zu liefern, hervor, dass dieser Mitgliedstaat davon überzeugt war, dass die Vergabe des Bauauftrags an dieses Unternehmen aus technischer Sicht eine notwendige Entscheidung war, um die Wirtschaftlichkeit und den Erfolg des durch die in Rede stehende Beihilfe finanzierten Projekts zu gewährleisten.

56.      Als Fünftes und Letztes frage ich mich, ob für die Beurteilung des Vorliegens einer untrennbaren Modalität im Sinne des Urteils Iannelli & Volpi die Feststellung in Rn. 37 des angefochtenen Urteils relevant ist, wonach „sich ein Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften nur auf den Markt für den Bau von Kernkraftwerken auswirken [würde], nicht aber auf den Markt, auf den der Zweck der [in Rede stehenden] Beihilfemaßnahme gerichtet ist“. Erstens kann diese Feststellung nicht die Schlussfolgerung stützen, dass eine solche Vergabe keine untrennbare Modalität der in Rede stehenden Beihilfe darstellt. Denn die Bestimmung der Maßnahmen, die nicht von der Beihilfe getrennt werden können, geht denknotwendig sowohl der Beurteilung ihrer Übereinstimmung mit dem Unionsrecht als auch der Prüfung ihrer Auswirkungen auf die Vereinbarkeit der Beihilfe voraus. Zweitens und in noch grundlegenderer Weise bezweifle ich die Gültigkeit der dieser Feststellung zugrunde liegenden Prämisse, nämlich dass nur ein Verstoß gegen andere Bestimmungen als die über staatliche Beihilfen, die zu einer zusätzlichen Verfälschung des Wettbewerbs oder einer Beeinträchtigung des Handels auf dem Markt, auf den die in Rede stehende Beihilfe gerichtet ist, eine Verpflichtung der Kommission begründen kann, einen solchen Verstoß im Rahmen des Verfahrens nach Art. 108 AEUV festzustellen(54). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht nämlich eindeutig hervor, dass die Kommission bei der Beurteilung, ob eine geplante Beihilfe die Voraussetzung von Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV, dass die Handelsbedingungen nicht in einer dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufenden Weise verändert werden dürfen, erfüllt, die negativen Auswirkungen berücksichtigen muss, die diese Beihilfe auf den Wettbewerb und den Handel im Binnenmarkt insgesamt, der gemäß Art. 26 Abs. 2 AEUV definiert wird als ein „Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist“, haben kann(55). Der Verweis der Französischen Republik und Ungarns auf das Urteil vom 31. Januar 2001, Weyl Beef Products u. a./Kommission(56), kann zu keinem anderen Ergebnis führen. In den Randnummern dieses Urteils, auf die diese Mitgliedstaaten verweisen, hat das Gericht, nachdem es festgestellt hatte, dass die streitigen Maßnahmen untrennbar mit dem Zweck der in Rede stehenden Beihilfe verbunden waren, geprüft, ob sie Auswirkungen haben, „die über das hinausgehen, was erforderlich ist, damit mit der Beihilfe die nach dem … Vertrag zulässigen Ziele erreicht werden können“. Eine solche Überprüfung fügt sich jedoch eindeutig in den Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Beihilfe ein, die auf die Festlegung des Umfangs der Maßnahmen folgt, die für die Beurteilung ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt zu berücksichtigen sind. Daher enthält das Urteil Weyl Beef Products u. a./Kommission keine Klarstellungen dazu, was es erlaubt, eine Maßnahme als „untrennbare Modalität“ einzustufen, noch kann es die These stützen, dass nur die Auswirkungen einer solchen Maßnahme, die sich auf dem „Markt, auf den der Zweck der [in Rede stehenden] Beihilfemaßnahme gerichtet ist“, zeigen könnten, für die Zwecke der Prüfung relevant sind, die von der Kommission im Rahmen des Verfahrens nach Art. 108 AEUV durchgeführt werden muss. Dagegen knüpft dieses Urteil an die aus dem Urteil Iannelli & Volpi hervorgegangene Rechtsprechung an(57). Gleiches gilt für das u. a. von der Kommission angeführte Urteil vom 3. Dezember 2014, Castelnou Energía/Kommission(58), in dem es heißt, dass, wenn die Modalität einer Beihilfe untrennbar mit ihrem Zweck verbunden ist, „ihre Vereinbarkeit mit anderen als die staatlichen Beihilfen regelnden Vorschriften somit im Rahmen des in Art. 108 AEUV vorgesehenen Verfahrens zu beurteilen [ist], und diese Beurteilung … dazu führen [kann], dass die betreffende Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird“.

57.      Zum letztgenannten Punkt komme ich zu dem Ergebnis, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass die Kommission den Verstoß gegen eine Bestimmung des Unionsrechts, der zu einer Verfälschung des Wettbewerbs auf einem anderen, aber – wie im vorliegenden Fall – mit dem Markt, auf den die Beihilfe gerichtet ist, verbundenen Markt führen kann, im Rahmen ihrer Prüfung der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt berücksichtigen muss.

iv)    Zum Bestehen einer Verpflichtung der Kommission, einen etwaigen Verstoß gegen die Vergabevorschriften zu prüfen

58.      Nach alledem hat das Gericht zu Unrecht die Schlussfolgerung der Kommission bestätigt, dass die Direktvergabe des Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren an JSC NIAEP keine vom Zweck der in Rede stehenden Beihilfe „untrennbare Modalität“ darstelle.

59.      Folglich hat es ebenfalls zu Unrecht angenommen, dass die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, im Rahmen des Verfahrens, das zum Erlass des streitigen Beschlusses geführt hat, die während dieses Verfahrens von der Republik Österreich und anderen Beteiligten aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit dieser Vergabe mit den Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu prüfen(59).

3)      Ergebnis zum ersten und zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

60.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass der erste und der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, gemeinsam betrachtet, begründet sind.

2.      Zum dritten Teil

61.      Der dritte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes umfasst zwei Rügen. Mit dem ersten Teil wird ein Begründungsmangel des streitigen Beschlusses gerügt, den das Gericht nicht festgestellt habe, und mit dem zweiten ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Vergaberechts. Diese Rügen richten sich gegen die Rn. 40 bis 49 und 196 bis 203 des angefochtenen Urteils.

62.      Die Rn. 40 bis 49 des angefochtenen Urteils gehören zu den Gründen, mit denen das Gericht den ersten Klagegrund der Republik Österreich, mit dem die fehlende Durchführung eines Vergabeverfahrens gerügt wurde, zurückgewiesen hat. In den Rn. 41 und 42 hat das Gericht als Erstes ausgeführt, die Kommission habe im 285. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses zu Recht festgestellt, dass sie zur Beantwortung der Stellungnahmen, die ihr von Beteiligten zur Vereinbarkeit der angemeldeten Maßnahme mit der Richtlinie 2014/25 vorgelegt worden seien, auf ein gegen Ungarn eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren verweisen könne, in dem sie „[auf der Grundlage] einer eingehenden Analyse der technischen Anforderungen“, auf die sich dieser Mitgliedstaat] berufen hatte, zu der Überzeugung gelangt sei, dass diese Richtlinie nach ihrem Art. 50 Buchst. c nicht auf die Beauftragung mit dem Bau der neuen Reaktoren anwendbar sei (im Folgenden: Vertragsverletzungsverfahren). In den Rn. 43 bis 46 des angefochtenen Urteils hat das Gericht als Zweites die Antwort der Kommission auf im Rahmen einer prozessleitenden Maßnahme gestellte schriftliche Fragen sowie die zur Stützung vorgelegten Unterlagen geprüft und festgestellt, dass sich aus dieser Antwort ergebe und durch diese Unterlagen bestätigt werde, dass die Kommission zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Direktvergabe der Arbeiten für den Bau der neuen Reaktoren an JSC NIAEP „ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb habe erfolgen können, da es aus technischen Gründen keinen Wettbewerb gegeben habe“. Als Drittes hat das Gericht in den Rn. 47 und 48 des angefochtenen Urteils klargestellt, dass es nicht vertretbar wäre „in dem Verfahren über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt alle früheren Entscheidungen in Frage zu stellen, die bereits Gegenstand eines eigenen Verfahrens waren“, „[da d]er Grundsatz der Rechtssicherheit [es] verbietet …, dass die Kommission die Vergabe des Bauauftrags im Rahmen des Beihilfeverfahrens erneut prüft, obwohl sie im Vergleich zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens beschlossen hat, über keine neuen Informationen verfügt“. In Rn. 49 des angefochtenen Urteils ist das Gericht als Viertes schließlich zu dem Ergebnis gelangt, dass „der Kommission kein Rechtsfehler unterlaufen [ist], als sie sich für die Zwecke des [streitigen] Beschlusses jedenfalls auf das Ergebnis des Vertragsverletzungsverfahrens gestützt hat“.

63.      Mit den Rn. 196 bis 203 des angefochtenen Urteils hat das Gericht hingegen den ersten Teil des zehnten Klagegrundes zurückgewiesen, der auf die unzureichende Begründung des streitigen Beschlusses in Bezug auf die Vereinbarkeit der Beihilfe mit anderen Bestimmungen des Unionsrechts gestützt war. In diesen Randnummern hat das Gericht im Wesentlichen festgestellt, dass die Kommission, da sie in den Erwägungsgründen 280 bis 284 des streitigen Beschlusses die Auffassung vertreten habe, dass sie nicht verpflichtet sei, die Frage eines möglichen Verstoßes gegen die Richtlinie 2014/25 zu prüfen, mangels einer untrennbaren Verbindung zwischen diesem Verstoß und dem Zweck der in Rede stehenden Beihilfe nicht verpflichtet gewesen sei, im streitigen Beschluss darzulegen, warum die in Art. 50 Buchst. c der Richtlinie 2014/25 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien.

a)      Zur Rüge der fehlenden Feststellung eines Begründungsmangels des streitigen Beschlusses

64.      Die Republik Österreich macht geltend, das Gericht habe zu Unrecht angenommen, dass der streitige Beschluss hinsichtlich der Frage, ob ein Verstoß gegen die Vergabevorschriften vorliege, hinreichend begründet sei. Ein bloßer Verweis auf ein abgeschlossenes nicht öffentliches Vertragsverletzungsverfahren stelle keine hinreichende Begründung dar. Nur anhand der Stellungnahmen der Kommission und der von ihr in Beantwortung einer prozessleitenden Maßnahme des Gerichts vorgelegten Unterlagen sei das Gericht in der Lage gewesen, die Gründe zu erkennen, die die Kommission dazu veranlasst hätten, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Vergabevorschriften auszuschließen.

65.      Die Französische Republik macht geltend, diese Rüge sei unzulässig, da sie erstmals im Rechtsmittelverfahren erhoben worden sei. Insoweit weise ich darauf hin, dass aus den Rn. 192 und 196 bis 203 des angefochtenen Urteils klar hervorgeht, dass zum einen die Republik Österreich vor dem Gericht gerügt hat, dass die Begründung des streitigen Beschlusses hinsichtlich der Vereinbarkeit der Beihilfe mit den Vergabevorschriften unzureichend sei, und dass zum anderen das Gericht diese Rüge geprüft und zurückgewiesen hat. Aus den Rn. 40 bis 49 des angefochtenen Urteils, deren Inhalt in Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegeben wird, geht auch hervor, dass das Gericht den Verweis der Kommission auf das Vertragsverletzungsverfahren im 285. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses ausdrücklich gebilligt hat. Daraus folgt, dass die vorliegende Rüge zulässig ist, da sie zum einen die von der Republik Österreich vor dem Gericht erhobenen Rügen aufgreift und zum anderen auf die Begründung des angefochtenen Urteils zurückgeht(60).

66.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss die nach Art. 296 AEUV erforderliche Begründung zwar die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann, jedoch muss diese Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen wurde, angepasst sein(61). Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei der Begründungspflicht um ein wesentliches Formerfordernis, das von der Frage der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört. Die Begründung einer Entscheidung soll nämlich förmlich die Gründe zum Ausdruck bringen, auf denen diese Entscheidung beruht. Weisen die Gründe Fehler auf, so beeinträchtigen diese die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung, nicht aber deren Begründung, die, obwohl sie fehlerhafte Gründe enthält, zureichend sein kann(62).

67.      Im vorliegenden Fall hat die Kommission ihre Schlussfolgerung, dass die Bewertung der in Rede stehenden Beihilfe nicht durch den behaupteten Verstoß gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge beeinträchtigt worden sei, mit zwei Gründen gerechtfertigt. Zum einen hat sie im 283. Erwägungsgrund dieses Beschlusses in erster Linie geltend gemacht, dass ein solcher Verstoß, selbst wenn er erwiesen wäre, keine zusätzliche verfälschende Wirkung auf den Wettbewerb und auf den Handel auf dem Strommarkt, auf den diese Beihilfe gerichtet sei, gehabt hätte und dass sie daher nicht verpflichtet sei, sich zu seinem Vorliegen zu äußern. Zum anderen hat sie im 285. Erwägungsgrund dieses Beschlusses hilfsweise(63) auf das Vertragsverletzungsverfahren verwiesen, in dem sie festgestellt hatte, dass die Richtlinie 2014/25 nicht auf die Direktvergabe des Bauauftrags an JSC NIAEP anwendbar sei und damit kein – insbesondere von der Republik Österreich behaupteter – Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie vorliege.

68.      Die in erster Linie dargelegten Gründe genügen zwar den Anforderungen von Art. 296 AEUV, sind aber aus den in den Nrn. 49 bis 59 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen mit Fehlern behaftet, die ihre materielle Rechtmäßigkeit beeinträchtigen.

69.      Die Begründetheit der im angefochtenen Urteil bestätigten Schlussfolgerung der Kommission, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, im streitigen Beschluss die Frage der Vereinbarkeit der Vergabe des Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren mit den Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu prüfen, beruht daher nur auf den hilfsweise dargelegten Gründen.

70.      Vorab weise ich darauf hin, dass ich – wie alle am vorliegenden Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten und die Kommission – der Ansicht bin, dass die Kommission im vorliegenden Fall ihrer Verpflichtung zur Durchführung einer solchen Prüfung dadurch nachkommen konnte, dass sie auf das Vertragsverletzungsverfahren verwies, das abgeschlossen worden war, ohne dass ein Verstoß gegen diese Bestimmungen festgestellt worden wäre. Insbesondere aus dem in Nr. 21 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Urteil Kommission/Italien geht nämlich hervor, dass eine kumulative Anwendung des Vertragsverletzungsverfahrens und des Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen die allgemeine Regel darstellt, wenn eine staatliche Maßnahme gleichzeitig in den Anwendungsbereich der Vorschriften über Beihilfen und anderer Bestimmungen des Vertrags fällt(64). Aus dem Sachverhalt der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, ergibt sich auch, dass eine solche kumulative Anwendung auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn eine untrennbare Verbindung zwischen der nationalen Maßnahme, die als gegen andere Bestimmungen des Vertrags als die Beihilfebestimmungen verstoßend angesehen wird, und dem Zweck der Beihilfe besteht, zumindest dann, wenn das Vertragsverletzungsverfahren vor Einleitung des Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen eingeleitet wurde.

71.      Allerdings konnte eine solche Verweisung eine inhaltliche Prüfung der Frage der Unvereinbarkeit der angemeldeten Maßnahme mit den Bestimmungen der Richtlinie 2014/25 im streitigen Beschluss nur unter der Voraussetzung ersetzen, dass die Kommission in diesem Beschluss die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte darlegt, auf deren Grundlage sie zu der Feststellung gelangt war, dass kein Verstoß gegen das Unionsrecht vorliege. Zwar muss eine solche Verpflichtung mit den u. a. von der Republik Polen und der Französischen Republik geltend gemachten Erfordernissen der Vertraulichkeit der Dokumente des Vertragsverletzungsverfahrens in Einklang gebracht werden, doch können solche Erfordernisse die Pflicht der Kommission, die von ihr erlassenen Rechtsakte zu begründen, nicht entfallen lassen.

72.      Hierzu ist festzustellen, dass sich der 285. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses darauf beschränkt, den „vorläufigen Schluss“ anzuführen, zu dem die Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens gelangt war, ohne Hinweise zu den tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu machen, auf denen dieser Schluss beruhte. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Anforderungen von Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet(65). Im vorliegenden Fall hat die Republik Österreich jedoch, ohne dass ihr die Kommission insoweit widersprochen hätte, vorgetragen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Beschlusses die Bestandteile des Vertragsverletzungsverfahrens, die die Mängel im Wortlaut des 285. Erwägungsgrundes dieses Beschlusses möglicherweise beheben könnten, weder öffentlich noch den am Verfahren Beteiligten zugänglich gewesen seien, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie Teil eines diesen Beteiligten bekannten Kontexts gewesen seien, der es ihnen ermöglicht hätte, klar und eindeutig die Gründe zu verstehen, die die Kommission zu der Annahme veranlasst hätten, dass die Richtlinie 2014/25 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei(66). Entgegen dem Vorbringen der Französischen Republik kann der Umstand, dass die Kommission die Gründe für den streitigen Beschluss im Lauf des Verfahrens erläutert hat, die Unzulänglichkeit der ursprünglichen Begründung dieses Beschlusses nicht aufwiegen. Die Begründung kann nämlich nicht zum ersten Mal und nachträglich vor dem Unionsgericht erfolgen, sofern nicht außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die mangels Dringlichkeit im vorliegenden Fall fehlen(67).

73.      Nach alledem ist der vorliegenden Rüge stattzugeben.

b)      Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Vergabevorschriften

74.      Mit einer gesonderten Rüge „weist“ die Republik Österreich, unterstützt durch das Großherzogtum Luxemburg, „auf die Bedenken hin“, die sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht in Bezug auf die Anwendbarkeit von Art. 50 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/25 unter den Umständen des vorliegenden Falles geäußert habe, der ein Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zulasse, wenn die Bauleistungen wegen „nicht vorhandene[m] Wettbewerb aus technischen Gründen“ nur von „einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer“ erbracht werden könnten. Es sei „viel naheliegender“, dass die von Ungarn vorgebrachten Kriterien für die Vergabe des Auftrags für den Bau der neuen Reaktoren, die insbesondere auf die Sicherheit abzielten, künstlich eingeengt worden seien, um in den Genuss der russischen Finanzierung zu kommen. Selbst wenn die Kriterien sachlich gewesen wären, hätte jedenfalls nicht ausgeschlossen werden können, dass sich angesichts der Höhe des Auftragswerts im Wege einer Ausschreibung andere Anbieter gefunden hätten. Die Republik Österreich, unterstützt durch das Großherzogtum Luxemburg, macht ferner geltend, das Gericht habe ihr insbesondere in den Rn. 38 und 64 des angefochtenen Urteils zu Unrecht die Beweislast dafür auferlegt, dass andere Anbieter die neuen Reaktoren hätten liefern können. Es sei Sache Ungarns, das sich auf die Ausnahme in Art. 50 der Richtlinie 2014/25 berufen wolle, nachzuweisen, dass ein Aufruf zum Wettbewerb habe unterlassen werden können.

75.      Diese Rüge kann meines Erachtens keinen Erfolg haben, soweit sie gegen die Rn. 40 bis 49 des angefochtenen Urteils gerichtet ist(68). Ihre Prüfung durch den Gerichtshof stößt meines Erachtens in zweierlei Hinsicht auf Schwierigkeiten. Zum einen ist das Vorbringen der Republik Österreich vage und lückenhaft. Zum anderen ergibt sich meiner Auffassung nach aus den in den Rn. 40 bis 49 des angefochtenen Urteils enthaltenen Gründen, dass sich das Gericht zum einen auf die Feststellung beschränkt hat, dass die Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens auf der Grundlage „einer eingehenden Analyse der technischen Anforderungen“, auf die sich Ungarn berufen habe(69), „zu der Überzeugung gelangt“ sei, dass Ungarn im vorliegenden Fall auf ein Verfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb nach Art. 50 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/25(70) zurückgreifen könne, und zum anderen, dass der Verweis auf das Ergebnis dieses Verfahrens im 285. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses daher gerechtfertigt sei. Dagegen ergibt sich aus diesen Randnummern des angefochtenen Urteils meiner Ansicht nach nicht, dass das Gericht eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Schlussfolgerung, wonach die Richtlinie 2014/25 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, auf die sich die Kommission im streitigen Beschluss hilfsweise gestützt hat, vorgenommen hätte. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung zu Recht zu dieser Frage ausgeführt hat, hat das Gericht in diesen Randnummern nur eine Überprüfung der Tatsachen vorgenommen.

c)      Ergebnis zum dritten Teil

76.      Aus den dargelegten Gründen bin ich der Ansicht, dass der dritte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes begründet ist, soweit dem Gericht vorgeworfen wird, es unterlassen zu haben, den in den Nrn. 71 und 72 der vorliegenden Schlussanträge erörterten Begründungsmangel des streitigen Beschlusses festzustellen.

3.      Ergebnis zum ersten Rechtsmittelgrund

77.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben.

B.      Zum zweiten und zum vierten Rechtsmittelgrund

78.      Die meisten von der Republik Österreich im Rahmen ihres zweiten und vierten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Argumente überschneiden sich, weshalb ich sie gemeinsam prüfen werde. Diese Rechtsmittelgründe richten sich gegen die Rn. 51 bis 65 sowie 184 und 185 des angefochtenen Urteils.

79.      In den Rn. 51 bis 65 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den ersten Teil des vierten Klagegrundes gewürdigt, mit dem die Unverhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe gerügt worden war, und ihn zurückgewiesen. Mit diesem Teil machte die Republik Österreich geltend, dass mangels einer Ausschreibung für den Bau der beiden neuen Reaktoren die Verhältnismäßigkeit dieser Beihilfe nicht gewährleistet sei, da nicht sichergestellt sei, dass ihre Höhe auf das für die Durchführung des Vorhabens erforderliche Mindestmaß beschränkt sei. Das Gericht hat zunächst festgestellt, dass „Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV zwar [verlangt], dass die Beihilfe sich auf das Mindestmaß beschränkt, was jedoch nicht bedeutet, dass die Durchführung einer Ausschreibung eine Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit einer Beihilfemaßnahme ist“, und dass ein solches Verfahren „nur eine der Möglichkeiten [ist], eine Beihilfe auf das zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderliche Mindestmaß zu beschränken“ (Rn. 59 und 60). Sodann ist das Gericht davon ausgegangen, dass „die Behauptung der Republik Österreich, der Bau der Reaktoren hätte kostengünstiger und mit weniger Beihilfen durchgeführt werden können, wenn eine Ausschreibung erfolgt wäre, nicht durch Beweise untermauert [wurde]“, und dass „es an der Republik Österreich gewesen [wäre], Anhaltspunkte darzulegen, die auf eine Alternativlösung für den Bau der fraglichen Reaktoren hinweisen“ (Rn. 64). Schließlich hat das Gericht in Rn. 65 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass „[i]n jedem Fall … die Frage, ob die Beihilfemaßnahme auf das zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderliche Mindestmaß beschränkt war, in Wirklichkeit die Frage auf[wirft], ob die unentgeltliche Überlassung der beiden neuen Reaktoren nicht unangemessen war, denn diese Überlassung ist Gegenstand der [in Rede stehenden] Beihilfe“.

80.      In den Rn. 177 bis 190 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den neunten Klagegrund gewürdigt, mit dem eine unzureichende Determinierung der in Rede stehenden Beihilfe gerügt worden war, und ihn zurückgewiesen. In Rn. 183 dieses Urteils hat das Gericht zum einen vorab darauf hingewiesen, dass der Zweck der Ermittlung der Beihilfeelemente darin bestehe, die Kommission in die Lage zu versetzen, festzustellen, dass die Beihilfe geeignet, erforderlich und nicht unverhältnismäßig sei, und zum anderen auf das Urteil vom 12. Juli 2018, Österreich/Kommission(71), verwiesen, in dem es bereits entschieden habe, dass die Kommission bei einer Beihilfemaßnahme, bevor sie deren Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV prüfe, nicht das Subventionsäquivalent beziffern müsse. In Rn. 185 des angefochtenen Urteils hat das Gericht in Bezug auf die Finanzierungskosten zunächst darauf hingewiesen, dass im 28. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses die Kosten für die Schuldenfinanzierung über die gesamte Laufzeit der revolvierenden Kreditfazilität erwähnt würden, und sodann festgestellt, dass die Republik Österreich „nicht substantiiert dargetan [hat], dass die Kommission auf der Grundlage der in diesem Erwägungsgrund angeführten Angaben zu den Darlehenszinssätzen und der Präzisierungen weiter unten in Fn. 16 [dieses] Beschlusses nicht in der Lage gewesen wäre, die Verhältnismäßigkeit des Beihilfeelements zu prüfen und wozu die Angabe der Kosten der Fremdfinanzierung (Kreditzinsen), wie sie ein privater Investor unter marktkonformen Bedingungen zu zahlen hätte, in diesem Zusammenhang dienen sollte“.

81.      Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund wirft die Republik Österreich dem Gericht vor, die ihrer Ansicht nach unzureichende Prüfung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe, die die Kommission im streitigen Beschluss vorgenommen habe, zu Unrecht bestätigt zu haben. Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund, der aus drei Teilen besteht, wirft die Republik Österreich dem Gericht hingegen vor, eine unzureichende Determinierung der Beihilfe gebilligt zu haben, insbesondere aufgrund der fehlenden Durchführung eines Vergabeverfahrens, der mangelnden Berücksichtigung der Kosten der Fremdfinanzierung sowie der mangelnden Berechnung eines Subventionsäquivalents.

82.      Ungarn, die Republik Polen und die Kommission haben in verschiedener Hinsicht Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des zweiten und/oder des vierten Rechtsmittelgrundes geäußert. Diese Vorbehalte sind zwar unbegründet, soweit sie sich auf diese Rechtsmittelgründe insgesamt beziehen, jedoch ist einigen von ihnen in Bezug auf einzelne Rügen, die von der Republik Österreich im Zusammenhang mit diesen Rechtsmittelgründen vorgebracht worden sind, Rechnung zu tragen. Ich werde im weiteren Verlauf meiner Analyse darauf hinweisen, wenn dies der Fall ist.

83.      Zwar räume ich im Allgemeinen ein, dass der zweite und der vierte Rechtsmittelgrund recht wenig ausgeführt werden und bisweilen unklar sind, doch lassen sich drei Rügen feststellen, die sich auf die Auswirkungen beziehen, die den folgenden Faktoren im Rahmen der vom Gericht vorgenommenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe zukommt: i) die fehlende Durchführung eines Vergabeverfahrens, ii) die fehlende Berechnung des Subventionsäquivalents und iii) die fehlende Ermittlung der Kosten der Fremdfinanzierung.

1.      Zur fehlenden Durchführung eines Vergabeverfahrens

84.      Die Republik Österreich macht geltend, das Gericht habe den Zweck der in Rede stehenden Beihilfe nicht klar ermittelt bzw. fehlerhaft ermittelt, indem es den Bau der neuen Kernreaktoren von diesem Zweck ausgenommen habe. Dies habe das Gericht daran gehindert, eine „korrekte“ Kontrolle der von der Kommission durchgeführten Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Beihilfe durchzuführen. Die Republik Österreich bleibt dabei, dass die Auftragssumme, die im Rahmen des Baus dieser Reaktoren von Ungarn bezahlt werde, ein unerlässliches Sachverhaltselement für die Beurteilung der in Rede stehenden Beihilfe sei. Sie folgert daraus, dass entgegen den Ausführungen des Gerichts u. a. in Rn. 65 des angefochtenen Urteils, deren Inhalt in Nr. 79 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegeben wird, die Verhältnismäßigkeit dieser Beihilfe ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens nicht korrekt beurteilt werden könne. Ein solches Verfahren hätte nämlich zu einer völlig anderen Beihilfe im Hinblick auf ihre Ausgestaltung und Höhe führen können. Die bloße Feststellung in Rn. 59 des angefochtenen Urteils, dass „[e]in Ausschreibungsverfahren … nur eine der Möglichkeiten [ist], eine Beihilfe auf das zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderliche Mindestmaß zu beschränken“, reiche für sich genommen nicht aus, da keine Angaben darüber vorlägen, anhand welcher Kriterien die Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe geprüft worden sei. Das angefochtene Urteil weise daher insoweit einen Begründungsmangel auf(72).

85.      Wie ich bereits ausgeführt habe, geht aus dem angefochtenen Urteil, insbesondere aus dessen Rn. 36 und 65, klar hervor, dass das Gericht davon ausgegangen ist, dass der Zweck der in Rede stehenden Beihilfe in der „unentgeltlichen Überlassung“ der neuen Reaktoren bestanden habe. In den Nrn. 34 bis 39 der vorliegenden Schlussanträge habe ich jedoch die Auffassung vertreten, dass eine solche Definition des Zwecks der in Rede stehenden Beihilfe, die den Bau der neuen Kernreaktoren von ihrem Umfang ausschließt, auf einer fehlerhaften Auslegung des streitigen Beschlusses und einer fehlerhaften rechtlichen Qualifizierung des Sachverhalts beruht. Diese Fehler stellen jedoch zwangsläufig die Prämisse in Frage, auf deren Grundlage das Gericht in Rn. 65 des angefochtenen Urteils die Relevanz der von der Republik Österreich im Rahmen ihres vierten Klagegrundes vorgebrachten Rügen verneint hat.

86.      Soweit das Gericht in Rn. 65 in engerer Weise auf den Vorteil Bezug nehmen sollte, den die Gesellschaft Paks II aufgrund der Entwicklung und Überlassung neuer Erzeugungskapazität aus dem von Ungarn finanzierten Vorhaben zieht, ist darauf hinzuweisen, dass ein enger Zusammenhang zwischen diesem Vorteil und der Höhe der von Ungarn für dieses Vorhaben gewährten Investition besteht, zu der auch der tatsächliche Kaufpreis gehört(73), der zumindest teilweise den wirtschaftlichen Wert dieser Anlagen widerspiegeln soll. Daraus folgt, dass dieser Betrag zwangsläufig den Ausgangspunkt für jede Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe bildete.

87.      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der vorliegenden Rüge, soweit sie gegen Rn. 65 des angefochtenen Urteils gerichtet ist, meines Erachtens stattzugeben ist. Ich weise jedoch darauf hin, dass diese Randnummer eine hilfsweise geltend gemachte Erwägung enthält, wie die Verwendung des Ausdrucks „in jedem Fall“ belegt. Folglich greift die vorliegende Rüge nur insoweit durch, als dem Vorbringen der Republik Österreich gegen die Rn. 58 bis 64 des angefochtenen Urteils stattgegeben wird.

88.      Was als Erstes die in den Rn. 58 und 59 des angefochtenen Urteils angeführten und in Nr. 79 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründe betrifft, lässt sich insoweit, wie ich soeben dargelegt habe, meines Erachtens nicht bestreiten, dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe und insbesondere bei der Prüfung, ob sie auf das zur Ermöglichung der Lieferung des Vorhabens, das sie finanzieren sollte, erforderliche Mindestmaß beschränkt war, der für die Durchführung dieses Vorhabens festgesetzte Investitionsbetrag, zu dem auch der Kaufpreis für die neuen Reaktoren gehört, nicht außer Acht gelassen werden konnte. Ebenso wenig kann, wie das Gericht im Übrigen selbst ausführt, bestritten werden, dass die Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens für die Kommission ein Mittel ist, sich der Verhältnismäßigkeit eines Auftragspreises zu vergewissern, da seine Festsetzung den Wettbewerbsregeln unterliegt. Wie jedoch aus Rn. 53 des angefochtenen Urteils hervorgeht, hatte die Republik Österreich im Rahmen des ersten Teils ihres vierten Klagegrundes geltend gemacht, dass ohne eine Ausschreibung des Baus der neuen Reaktoren die Angemessenheit der Beihilfe nicht gewährleistet sei und dass die Gesichtspunkte, auf die sich die Kommission gestützt habe, nämlich das Fehlen einer Überkompensation und die Verpflichtung zur Rückzahlung der Gewinne, nichts darüber aussagten, ob die in Rede stehende Beihilfe auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt sei. Die Republik Österreich macht daher nunmehr zu Recht geltend, dass die bloße Feststellung in Rn. 59 des angefochtenen Urteils, wonach „[e]in „Ausschreibungsverfahren … nur eine der Möglichkeiten [ist], eine Beihilfe auf das zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderliche Mindestmaß zu beschränken“, nicht ausreichte, um auf die von ihr geltend gemachte Kritik einzugehen, da die Gesichtspunkte, auf die sich die Kommission in Ermangelung eines solchen Verfahrens gestützt hatte, nicht angegeben wurden, so dass das angefochtene Urteil insoweit einen Begründungsmangel aufweist. Die von den im vorliegenden Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten und der Kommission angeführten Gegenargumente, die im Übrigen alle aus dem streitigen Beschluss selbst hergeleitet werden, können die Mängel des angefochtenen Urteils in diesem Punkt nicht ausgleichen(74).

89.      Was als Zweites Rn. 64 des angefochtenen Urteils betrifft, deren Inhalt in Nr. 79 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegeben ist, wirft die Republik Österreich dem Gericht im Rahmen ihres ersten Rechtsmittelgrundes vor, ihr die Beweislast dafür auferlegt zu haben, dass andere Anbieter in der Lage gewesen wären, die neuen Reaktoren kostengünstiger zu bauen. Insoweit genügt der Hinweis, dass das Gericht in dieser Rn. 64 die Auferlegung einer solchen Beweislast gegenüber der Republik Österreich mit einem Verweis auf die von Ungarn durchgeführte und von der Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens überprüfte Marktbewertung rechtfertigt, aus der sich ergebe, dass keine anderen geeigneten Lieferanten zur Verfügung ständen. Da die Gesichtspunkte, auf die sich die Kommission im Rahmen dieses Verfahrens gestützt hatte, der Republik Österreich nicht zugänglich waren und der streitige Beschluss insoweit nicht hinreichend begründet war, kann eine Beweislast, wie sie vom Gericht befürwortet wird, jedenfalls nicht gerechtfertigt sein.

90.      Aus den in den Nrn. 85 bis 89 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen ist die vorliegende Rüge meines Erachtens begründet.

2.      Zur fehlenden Berechnung des Subventionsäquivalents

91.      Die Republik Österreich macht geltend, dass die Kommission, selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass die in Rede stehende Beihilfe, wie das Gericht annehme, in der Überlassung der neuen Reaktoren bestehe, ein Subventionsäquivalent(75) hätte berechnen müssen, um diese Beihilfe zu beziffern und ihre Verhältnismäßigkeit zu beurteilen.

92.      Ohne dass es erforderlich wäre, zu der zwischen den Parteien erörterten Frage Stellung zu nehmen, ob die Kommission in jedem Fall verpflichtet ist, ein Subventionsäquivalent zu beziffern(76), beschränke ich mich insoweit auf den Hinweis, dass das Gericht in den Rn. 188 bis 190 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen hat, i) dass die in Rede stehende Beihilfe aus einer revolvierenden Kreditfazilität in Höhe von 10 Mrd. Euro und einem weiteren Betrag des ungarischen Staates in Höhe von 2,5 Mrd. Euro bestehe, wobei die Kreditfazilität 80 % der bestätigten Investitionskosten und der weitere Betrag die übrigen 20 % finanzieren solle, ii) dass sämtliche mögliche Kosten im Zusammenhang mit den Investitionen in diesen Beträgen enthalten seien und iii) dass mit dem streitigen Beschluss – unter Ausschluss etwaiger Erhöhungen dieser Beträge – lediglich das von Ungarn angemeldete Projekt genehmigt werde, so dass „jede Finanzierung, die über die Summe von 12,5 Mrd. Euro hinausginge, eine Änderung der bestehenden Beihilfe darstellen würde“, die nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004(77) zu bewerten sei. Das Gericht scheint daher von der Prämisse ausgegangen zu sein, dass das Beihilfeelement der gesamten vom ungarischen Staat gewährten Finanzierung entspricht, wie sie im streitigen Beschluss beschrieben wurde, und dass es daher unter den Umständen des vorliegenden Falles jedenfalls nicht notwendig sei, ein Subventionsäquivalent zu berechnen. Wie insbesondere Ungarn geltend macht, trägt die Republik Österreich nichts Konkretes vor, was die Argumentation des Gerichts in Frage stellen und ihre These stützen könnte, dass es ohne Berechnung des Subventionsäquivalents nicht möglich sei, die Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe zu beurteilen. Die vorliegende Rüge kann daher meines Erachtens keinen Erfolg haben.

3.      Zur fehlende Ermittlung der Kosten der Fremdfinanzierung

93.      Die Republik Österreich wirft dem Gericht vor, in Rn. 185 des angefochtenen Urteils ihr Vorbringen zurückgewiesen zu haben, dass die Kommission ohne Ermittlung der Kosten für die Schuldenfinanzierung (Kreditzinsen), wie sie ein privater Investor unter Marktbedingungen hätte zahlen müssen, den Betrag der in Rede stehenden Beihilfe nicht richtig habe ermitteln und somit deren Verhältnismäßigkeit nicht habe beurteilen können.

94.      Hierzu genügt die Feststellung, dass sich die Republik Österreich zur Stützung dieser Rüge darauf beschränkt, Argumente zu wiederholen, die sie in ihrer Klageschrift vor dem Gericht vorgebracht hat, auf die sie verweist. Daher ist die vorliegende Rüge, da überdies die beanstandeten Teile des angefochtenen Urteils nicht genau bezeichnet werden, meines Erachtens unzulässig. In einer Situation wie der vorliegenden, in der das Darlehen vom Staat zu im streitigen Beschluss genannten Zinssätzen aufgenommen worden war(78), das Vorliegen eines Vorteils für die Gesellschaft Paks II festgestellt worden war, der Beschluss eine Finanzierung betraf, die nicht über 12,5 Mrd. Euro hinausging(79), und es sich nach dem eigenen Vorbringen der Republik Österreich nicht um ein zinsbegünstigtes Darlehen handelte, oblag es jedenfalls, wie die Kommission in ihren Schriftsätzen hervorhebt, der Republik Österreich, wie das Gericht in Rn. 185 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, zu erläutern, warum die Kommission ohne Berechnung der Fremdfinanzierungskosten nicht in der Lage gewesen wäre, die Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe zu beurteilen. Die vorliegende Rüge kann daher jedenfalls keinen Erfolg haben.

4.      Ergebnis zum zweiten und zum vierten Rechtsmittelgrund

95.      Nach alledem ist meines Erachtens im Rahmen des zweiten und des vierten Rechtsmittelgrundes allein der Rüge stattzugeben, die in den Nrn. 85 bis 89 der vorliegenden Schlussanträge geprüft wurde.

C.      Folgen der Analyse

96.      Sollte der Gerichtshof, wie ich vorschlage, den ersten Rechtsmittelgrund und die in den Nrn. 85 bis 89 der vorliegenden Schlussanträge geprüfte Rüge, die im Rahmen des zweiten und des vierten Rechtsmittelgrundes erhoben wurde, für begründet erklären, wäre dem Rechtsmittel stattzugeben und das angefochtene Urteil aufzuheben.

V.      Ergebnis

97.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, den ersten, den zweiten und teilweise den dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes sowie die im Rahmen des zweiten und des vierten Rechtsmittelgrundes geltend gemachte Rüge, die in den Nrn. 85 bis 89 der vorliegenden Schlussanträge geprüft wurde, für begründet zu erklären. Ich schlage daher vor, dem Rechtsmittel stattzugeben und das angefochtene Urteil aufzuheben.

















































































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