Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)
30. Oktober 2025(* )
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Fischereipolitik – Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 – Wiegen von Fischereierzeugnissen – Art. 60 Abs. 2 – Wiegen bei der Anlandung – Art. 61 Abs. 1 – Wiegen nach der Beförderung vom Anlandeort – Ort des Wiegens bei einer Kontrolle – Möglichkeit der zuständigen Behörden, ein Wiegen der Fischereierzeugnisse am Anlandeort, bevor sie an einen anderen Ort befördert werden, zu verlangen “
In der Rechtssache C‑546/24
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) mit Entscheidung vom 30. Juli 2024, beim Gerichtshof eingegangen am 13. August 2024, in dem Verfahren
PN, 
Killybegs Fishing Enterprises Ltd., 
Killybegs Seafoods Unlimited, 
Killybegs Fishermen’s Organisation Ltd. 
gegen
Sea Fisheries Protection Authority 
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Schalin (Berichterstatter) sowie der Richter M. Gavalec und Z. Csehi,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
–        von PN, der Killybegs Fishing Enterprises Ltd., der Killybegs Seafoods Unlimited und der Killybegs Fishermen’s Organisation Ltd., vertreten durch D. Conlan Smyth, SC, E. Sweetman, BL, und R. McDonagh, Solicitor,
–        der Sea Fisheries Protection Authority, vertreten durch T. F. Creed, SC, P. McGarry, SC, D. McCarthy, BL, sowie M. A. Cleary und C. Derrig, Solicitors,
–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Dawes und C. Perrin als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil 
1         Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 60 Abs. 2 und 6 sowie Art. 61 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 des Rates vom 20. November 2009 zur Einführung einer Kontrollregelung der Union zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 847/96, (EG) Nr. 2371/2002, (EG) Nr. 811/2004, (EG) Nr. 768/2005, (EG) Nr. 2115/2005, (EG) Nr. 2166/2005, (EG) Nr. 388/2006, (EG) Nr. 509/2007, (EG) Nr. 676/2007, (EG) Nr. 1098/2007, (EG) Nr. 1300/2008, (EG) Nr. 1342/2008 sowie zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 2847/93, (EG) Nr. 1627/94 und (EG) Nr. 1966/2006 (ABl. 2009, L 343, S. 1, berichtigt u. a. in ABl. 2015, L 319, S. 21) in der durch die Verordnung (EU) 2015/812 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 (ABl. 2015, L 133, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1224/2009).
2         Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen PN, dem Kapitän eines Fischereifahrzeugs, der Killybegs Fishing Enterprises Ltd. und der Killybegs Seafoods Unlimited, zwei in der Fischwirtschaft tätigen Gesellschaften, sowie der Killybegs Fishermen’s Organisation Ltd., einer Organisation zur Vertretung der Fischerzeuger, auf der einen und der Sea Fisheries Protection Authority (Behörde für den Schutz der Seefischerei, Irland, im Folgenden: SFPA) auf der anderen Seite wegen deren Entscheidung, das Wiegen der von diesem Fischereifahrzeug gefangenen Fischereierzeugnisse am Anlandeort in Irland vorzunehmen, bevor die Erzeugnisse befördert werden.
 Rechtlicher Rahmen 
 Verordnung (EU)  Nr.  1380/2013 
3         Art. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1380/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 über die Gemeinsame Fischereipolitik und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1954/2003 und (EG) Nr. 1224/2009 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 2371/2002 und (EG) Nr. 639/2004 des Rates und des Beschlusses 2004/585/EG des Rates (ABl. 2013, L 354, S. 22), der die Ziele der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) festlegt, bestimmt in Abs. 1:
„Die GFP stellt sicher, dass Fischerei- und Aquakulturtätigkeiten langfristig umweltverträglich sind und auf eine Art und Weise durchgeführt werden, die mit den Zielen der Erreichung eines wirtschaftlichen, sozialen und beschäftigungspolitischen Nutzens und eines Beitrags zum Nahrungsmittelangebot vereinbar ist.“
 Verordnung  Nr.  1224/2009 
4         Der 29. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1224/2009 lautet:
„Um sicherzustellen, dass sämtliche Fänge angemessen überwacht werden, sollten die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass alle Fischereierzeugnisse erstmalig über Fischauktionen in Verkehr gebracht oder erfasst werden oder an eingetragene Käufer oder an Erzeugerorganisationen verkauft werden. Da das genaue Gewicht der Fänge für die Nutzung der Quoten bekannt sein muss, sollten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass sämtliche Fischereierzeugnisse gewogen werden, es sei denn, es gelten nach einer gemeinsamen Methodik erstellte Stichprobenpläne.“
5         In Art. 4 Nr. 18 der Verordnung Nr. 1224/2009 heißt es:
„… Außerdem gelten folgende Begriffsbestimmungen:
18.      ‚Risikomanagement‘: die systematische Erfassung von Risiken und Durchführung aller erforderlichen Maßnahmen zur Risikobegrenzung. Hierzu gehören die Erfassung von Daten und sonstigen Informationen, Risikoanalyse, Risikobewertung, Planung und Durchführung der Gegenmaßnahmen sowie regelmäßige Überwachung und Überprüfung des Ablaufs und seiner Ergebnisse auf der Grundlage internationaler, Unions- und nationaler Informationsquellen und Strategien“.
6         Art. 5 („Allgemeine Grundsätze“) Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1224/2009 sieht vor:
„(1)      Die Mitgliedstaaten überwachen die in den Geltungsbereich der gemeinsamen Fischereipolitik fallenden Tätigkeiten natürlicher oder juristischer Personen in ihrem Hoheitsgebiet und in den Gewässern unter ihrer Hoheit oder Gerichtsbarkeit, insbesondere Fischfang, Umladungen, Umsetzen von Fisch in Käfige oder Aquakulturanlagen einschließlich Mastanlagen, Anlandungen, Einfuhr, Transport, Verarbeitung, Vermarktung und Lagerung von Fischerei- und Aquakulturerzeugnissen.
…
(4)      Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die Kontrolle, die Inspektionen und die Durchsetzung der Vorschriften ohne jede Diskriminierung hinsichtlich der Sektoren, Schiffe oder Personen und auf der Grundlage eines Risikomanagements durchgeführt werden.“
7         Art. 60 („Wiegen von Fischereierzeugnissen“) Abs. 2 und 6 der Verordnung Nr. 1224/2009 bestimmt:
„(2)      Unbeschadet gegebenenfalls geltender spezifischer Vorschriften erfolgt das Wiegen bei der Anlandung, bevor die Fischereierzeugnisse gelagert, befördert oder verkauft werden.
…
(6)      Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten können verlangen, dass alle Mengen an Fischereierzeugnissen, die erstmalig in dem betreffenden Mitgliedstaat angelandet werden, in Anwesenheit von Vertretern der Behörden gewogen werden, bevor sie vom Anlandeort an einen anderen Ort befördert werden.“
8         Art. 61 („Wiegen von Fischereierzeugnissen nach der Beförderung vom Anlandeplatz“) Abs. 1 der Verordnung bestimmt:
„Abweichend von Artikel 60 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten gestatten, dass Fischereierzeugnisse nach der Beförderung vom Anlandeplatz gewogen werden, wenn diese an einen Ort im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats befördert werden und dieser Mitgliedstaat einen Kontrollplan angenommen hat, der auf der von der Kommission nach dem Verfahren gemäß Artikel 119 angenommenen risikobezogenen Methodik beruht und von der Kommission gebilligt wurde.“
 Durchführungsverordnung (EU)  Nr.  404/2011 
9         In Art. 79 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 404/2011 der Kommission vom 8. April 2011 mit Durchführungsbestimmungen zu der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 des Rates zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik (ABl. 2011, L 112, S. 1) heißt es:
„(1)      Fänge von Arten gemäß Artikel 78 der vorliegenden Verordnung werden direkt bei der Anlandung gewogen. Allerdings können Fänge von diesen Arten in den folgenden Fällen auch nach dem Transport gewogen werden, wenn
–        bei einem Bestimmungsort innerhalb desselben Mitgliedstaats der betreffende Mitgliedstaat einen Kontrollplan gemäß Artikel 61 Absatz 1 der [Verordnung Nr. 1224/2009] nach der in Anhang XXI beschriebenen risikobasierten Methodik verabschiedet hat;
…
und der Kontrollplan oder das Kontrollprogramm von der Kommission genehmigt wurde.
…“
 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage 
10       Am 11. Oktober 2020 übermittelte PN, der Kapitän eines in Irland registrierten Fischereifahrzeugs, der SFPA eine Anmeldung der Ankunft im Hafen (Prior Notification of Arrival) nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1224/2009 und machte gegenüber der SFPA Angaben zum Gewicht der gefangenen Fischereierzeugnisse. Bei seiner Ankunft am Anlandeort wurde dieses Fischereifahrzeug für eine Kontrolle des Fangs dieser Erzeugnisse am Anlandeort gemäß Art. 60 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1224/2009 ausgewählt. Der Kapitän protestierte gegen diese Kontrolle, durch die – anders als beim Wiegen nach der Beförderung vom Anlandeort zur Fischverarbeitungsanlage – die Qualität der Erzeugnisse beeinträchtigt werden könne.
11       Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass die SFPA vor dieser Kontrolle nicht am Anlandeort kontrollierte, dass sie aber, u. a. aufgrund einer von der Kommission vorgenommenen Überprüfung, die Unregelmäßigkeiten und Manipulationen beim Wiegen von Fischereierzeugnissen in bestimmten Fischverarbeitungsbetrieben ergeben habe, angekündigt hatte, künftig nach dem Zufallsprinzip Kontrollen vorzunehmen.
12       Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben beim High Court (Hohes Gericht, Irland) Klage gegen die Entscheidung der SFPA, die von dem betreffenden Fischereifahrzeug gefangenen Fischereierzeugnisse am Anlandeort zu wiegen. Sie stützten ihre Klage darauf, dass die in Art. 61 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 vorgesehene Abweichung, wonach die Fischereierzeugnisse nach der Beförderung vom Anlandeort gewogen werden dürften, Vorrang vor Art. 60 Abs. 6 dieser Verordnung habe. Mit Urteil vom 3. November 2023 wies der High Court die Klage ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die zuständige Behörde berechtigt bleibe, das Wiegen am Anlandeort zu verlangen, selbst wenn die Fischereierzeugnisse grundsätzlich erst nach ihrer Beförderung vom Anlandeort gewogen würden.
13       Die Kläger des Ausgangsverfahrens legten gegen dieses Urteil beim Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein. Dieses Gericht stellt auf die wörtliche Auslegung von Art. 61 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 sowie auf die Rechtsprechung zu den Auslegungsmethoden ab und vertritt die Auffassung, dass die Klage abzuweisen sei, äußert insoweit aber gleichzeitig Zweifel.
14       Unter diesen Umständen hat der Court of Appeal (Berufungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, der von seinem Recht gemäß Art. 61 Abs. 1 auf Abweichung von den Bestimmungen von Art. 60 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1224/2009 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der GFP nach Maßgabe eines von der Kommission gebilligten Kontrollplans Gebrauch gemacht hat, dann daran gehindert, zu verlangen, dass alle Mengen an Fischereierzeugnissen, die erstmalig in dem betreffenden Mitgliedstaat angelandet werden, in Anwesenheit von Vertretern dieser Behörden gewogen werden, bevor sie gemäß Art. 60 Abs. 6 der genannten Verordnung vom Anlandeort an einen anderen Ort befördert werden?
 Zur Vorlagefrage 
15       Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 61 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 dahin auszulegen ist, dass die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats, wenn dieser vorgesehen hat, von Art. 60 Abs. 2 dieser Verordnung durch die Annahme eines von der Kommission gebilligten Kontrollplans abzuweichen, nicht mehr auf der Grundlage von Art. 60 Abs. 6 der Verordnung verlangen kann, dass alle Mengen an Fischereierzeugnissen, die erstmalig in dem betreffenden Mitgliedstaat angelandet werden, am Anlandeort gewogen werden, bevor sie an einen anderen Ort befördert werden.
16       Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 10. Februar 2022, Minister for Agriculture Food and the Marine und SFPA, C‑564/20, EU:C:2022:90, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
17       Außerdem darf nach der Rechtsprechung eine Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht dazu führen, dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut der Bestimmung jede praktische Wirksamkeit zu nehmen. Somit kann der Gerichtshof, wenn sich der Sinn einer Bestimmung des Unionsrechts eindeutig aus ihrem Wortlaut ergibt, nicht von dieser Auslegung abweichen (Urteil vom 20. September 2022, VD und SR, C‑339/20 und C‑397/20, EU:C:2022:703, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).
18       Erstens ergibt sich aus Art. 60 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1224/2009, dass „[u]nbeschadet gegebenenfalls geltender spezifischer Vorschriften“ das Wiegen bei der Anlandung erfolgt, bevor die Fischereierzeugnisse gelagert, befördert oder verkauft werden.
19       Art. 61 Abs. 1 dieser Verordnung sieht als spezifische Vorschrift vor, dass die Mitgliedstaaten „[a]bweichend von Artikel 60 Absatz 2“ gestatten können, dass Fischereierzeugnisse nach der Beförderung vom Anlandeplatz gewogen werden, wenn diese an einen Ort im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats befördert werden und dieser Mitgliedstaat einen Kontrollplan angenommen hat, der von der Kommission gebilligt wurde.
20       Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Irland von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat und mit dem Durchführungsbeschluss 2012/474/EU der Kommission vom 13. August 2012 zur Genehmigung der Stichprobenpläne zum Wiegen von Fischereierzeugnissen gemäß Artikel 60 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 des Rates und der Kontrollpläne zum Wiegen von Fischereierzeugnissen gemäß Artikel 61 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 durch die Kommission (ABl. 2012, L 218, S. 17) ein Kontrollplan gebilligt wurde.
21       In diesem Kontext stellt sich dem vorlegenden Gericht die Frage, ob die betreffende Kontrollbehörde durch einen solchen Kontrollplan daran gehindert wird, auf der Grundlage von Art. 60 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1224/2009 ein kontrolliertes Wiegen der Fischereierzeugnisse am Ort ihrer Anlandung vorzunehmen.
22       Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut von Art. 61 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 die Mitgliedstaaten nur „[a]bweichend von Artikel 60 Absatz 2“ dieser Verordnung gestatten können, dass Fischereierzeugnisse nach ihrer Beförderung vom Anlandeplatz gewogen werden.
23       Nach ständiger Rechtsprechung sind Abweichungen von einer Grundregel eng auszulegen.
24       Aus dem eindeutigen Wortlaut von Art. 61 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 ergibt sich klar, dass diese Bestimmung eine Abweichung nur von Art. 60 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1224/2009 einführt, nicht aber von anderen Bestimmungen dieser Verordnung. Auf andere Bestimmungen der Verordnung, etwa Art. 60 Abs. 6, wird nicht Bezug genommen. Daraus folgt, dass Art. 61 Abs. 1 dahin auszulegen ist, dass er nicht von Art. 60 Abs. 6 abweicht und dass somit die zuständige Kontrollbehörde gemäß Art. 60 Abs. 6 verlangen kann, dass die Fischereierzeugnisse am Kai gewogen werden, selbst wenn es einen von der Kommission gebilligten Kontrollplan im Sinne von Art. 61 Abs. 1 gibt.
25       Die in den Rn. 22 und 24 des vorliegenden Urteils dargestellte wörtliche Auslegung von Art. 61 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 wird zweitens durch den Kontext, in den diese Bestimmung eingebettet ist, und durch die Ziele gestützt, die mit der Verordnung, zu der die Bestimmung gehört, verfolgt werden.
26       Insoweit ist in Bezug auf den Kontext festzustellen, dass gemäß Art. 5 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1224/2009 die Mitgliedstaaten die in den Geltungsbereich der GFP fallenden Tätigkeiten überwachen und gewährleisten, dass die Kontrolle, die Inspektionen und die Durchsetzung der Vorschriften auf der Grundlage eines Risikomanagements durchgeführt werden. Art. 4 Nr. 18 der Verordnung definiert den Begriff „Risikomanagement“ als „die systematische Erfassung von Risiken und Durchführung aller erforderlichen Maßnahmen zur Risikobegrenzung“ und als „die Erfassung von Daten und sonstigen Informationen, Risikoanalyse, Risikobewertung, Planung und Durchführung der Gegenmaßnahmen sowie regelmäßige Überwachung und Überprüfung des Ablaufs und seiner Ergebnisse auf der Grundlage internationaler, gemeinschaftlicher und nationaler Informationsquellen und Strategien“. In diesem Kontext kann das Wiegen von Fischereierzeugnissen bei der Anlandung gemäß Art. 60 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1224/2009 ein geeignetes Instrument zur Risikobewertung sein.
27       Hinsichtlich des Zwecks, der mit der Verordnung Nr. 1224/2009 verfolgt wird, ist darauf hinzuweisen, dass sie in den Rahmen der GFP eingebettet ist, deren Ziele, u. a. das Ziel der Erhaltung lebender aquatischer Ressourcen, in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1380/2013 festgelegt sind. Nach dieser Vorschrift soll mit der GFP sichergestellt werden, dass Fischerei- und Aquakulturtätigkeiten langfristig umweltverträglich sind und auf eine Art und Weise durchgeführt werden, die mit den Zielen der Erreichung eines wirtschaftlichen, sozialen und beschäftigungspolitischen Nutzens und eines Beitrags zum Nahrungsmittelangebot vereinbar ist. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, können die Mitgliedstaaten die Nutzung der Fangquoten nur dann angemessen überwachen und zur Erreichung der in dieser Bestimmung niedergelegten Ziele der GFP beitragen, wenn sie sich vergewissern können, dass sie über genaue und vollständige Angaben und Daten zu den Fangmöglichkeiten sowie – gemäß dem 29. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1224/2009 – zum genauen Gewicht der Fänge von Fischereierzeugnissen verfügen. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es unvereinbar mit dem Ziel der GFP, lebende aquatische Ressourcen zu erhalten, wenn die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats nicht die Befugnis hätte, nach Art. 60 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1224/2009 zu verlangen, dass alle Mengen an Fischereierzeugnissen, die erstmalig in dem betreffenden Mitgliedstaat angelandet werden, in Anwesenheit von Vertretern der Behörden gewogen werden, bevor sie vom Anlandeort an einen anderen Ort befördert werden.
28       Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 61 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 dahin auszulegen ist, dass die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats, wenn dieser vorgesehen hat, von Art. 60 Abs. 2 dieser Verordnung durch die Annahme eines von der Kommission gebilligten Kontrollplans abzuweichen, dennoch auf der Grundlage von Art. 60 Abs. 6 der Verordnung verlangen kann, dass alle Mengen an Fischereierzeugnissen, die erstmalig in dem betreffenden Mitgliedstaat angelandet werden, am Anlandeort gewogen werden, bevor sie an einen anderen Ort befördert werden.
 Kosten 
29       Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 61 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 des Rates vom 20. November 2009 zur Einführung einer Kontrollregelung der Union zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 847/96, (EG) Nr. 2371/2002, (EG) Nr. 811/2004, (EG) Nr. 768/2005, (EG) Nr. 2115/2005, (EG) Nr. 2166/2005, (EG) Nr. 388/2006, (EG) Nr. 509/2007, (EG) Nr. 676/2007, (EG) Nr. 1098/2007, (EG) Nr. 1300/2008, (EG) Nr. 1342/2008 sowie zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 2847/93, (EG) Nr. 1627/94 und (EG) Nr. 1966/2006 in der durch die Verordnung (EU) 2015/812 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 geänderten Fassung 
ist dahin auszulegen, dass 
die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats, wenn dieser vorgesehen hat, von Art. 60 Abs. 2 dieser Verordnung durch die Annahme eines von der Europäischen Kommission gebilligten Kontrollplans abzuweichen, dennoch auf der Grundlage von Art. 60 Abs. 6 der Verordnung verlangen kann, dass alle Mengen an Fischereierzeugnissen, die erstmalig in dem betreffenden Mitgliedstaat angelandet werden, am Anlandeort gewogen werden, bevor sie an einen anderen Ort befördert werden. 
Unterschriften